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Komm und hilf mir

von

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„Wie konntest du das nur tun?“ Seine Mutter war außer sich. „Hast du überhaupt einen Moment nachgedacht, was das für Folgen haben könnte?“

Mit gesenktem Kopf saß Bo zuhause am Küchentisch und musste sich seit über einer halben Stunde immer wieder dieselben Vorwürfe seiner Eltern anhören.

Warum hatte er nichts dagegen getan?

Warum hatte er Pascal nicht geholfen?

Warum hatte er nicht einmal versucht, seine Freunde von dieser wahnsinnigen Idee abzubringen?

Natürlich hatte Pascal alles erzählt, schon am nächsten Tag hatte die Polizei vor ihrer Haustür gestanden, da Stan und Eik nicht eingesehen hatten, weshalb sie nicht auch Matze und Bo darin verwickeln sollten. Ihrer Meinung mussten alle, die daran beteiligt gewesen waren, bestraft werden und nicht nur die, die Pascal direkt gesehen hatte und auch kannte.

„Du hast jetzt eine Vorstrafe, junger Mann, verstehst du das überhaupt?“ Seine Mutter wurde immer lauter, je weniger Bo auf sie reagierte. Natürlich wusste er, was das bedeutete, welche Konsequenzen es für seine Zukunft haben würde.

Aber was machte das schon aus? Mit seinem mittelmäßigen Realschulabschluss konnte er sowieso nicht glänzen, auf die Fachoberschule, auf die er momentan ging, konnte er verzichten und insgesamt sah er für seine Zukunft so oder so schwarz, da machte das jetzt auch keinen großen Unterschied.

Sein Vater sah aus, als hätte er soeben erfahren, dass der Weltuntergang kurz bevorstand. „Bo, es reicht langsam. Du hängst mit diesen Typen ab, die nicht einmal loyal genug sind, um ihre eigenen Freunde zu schützen. Wegen ihnen schwätzt du die Schule, treibst dich die ganze Zeit draußen herum und hast also auch nichts Besseres zu tun, als am Wochenende in fremde Häuser einzubrechen. Findest du das gut?“

Natürlich fand Bo das nicht gut, er hätte alles dafür gegeben, wenn Eik ihn nicht dazu überredet hätte. Nur konnte er das seinem Vater nicht sagen, er verstand das sicher nicht. Deswegen schüttelte er einfach nur den Kopf.

„Warum tust das dann? Denkst du, dadurch wirst du beliebt? Denkst du, es hilft dir in irgendeiner Weise weiter?“ Sein Vater musste sich wirklich beherrschen, um ihn nicht einfach anzubrüllen, warum er ihnen das antat und sich wie ein Kleinkrimineller benahm, das spürte Bo. Und das fand er noch viel schlimmer, als wenn sein Vater das wirklich getan hätte.

Irgendwann hielt er es nicht mehr in der Küche aus, nachdem seine Mutter auch noch in Tränen ausgebrochen war und ihn immer wieder fragte, was sie denn so falsch gemacht hatten, damit er sich zu solchen Taten verleiten ließ, und verließ schleunigst das Haus.

Ziellos lief er durch die Gegend und dachte darüber nach, was seine Eltern ihm soeben vorgeworfen hatten. Wollte er durch sein Verhalten cool erscheinen, damit angeben?

Nein, er wollte nur die einzigen Freunde, die er hatte, überzeugen, dass sie ihn nicht fallen lassen sollten. Dann wäre die einzige Aufmerksamkeit, die er je von jemandem erhalten hatte außer von seinen Eltern verloren gegangen und er stände wieder ganz alleine da.

Bo, der Verlierer. Bo, der in seinem ganzen Leben noch nie eine Freundin gehabt hatte, weil ihn die Mädchen schlichtweg übersahen oder sich mit ihm abgeben wollten, weil er nicht ihren Vorstellungen von einem perfekten Freund entsprachen.

Bo, der alles tat, damit man ihn überhaupt wahrnahm und sich mit ihm abgab. Anscheinend schadete er sich damit nur selbst, aber andererseits würde er irgendwann durchdrehen, wenn er immer allein in der Schule herumhing und den anderen beim Leben zusehen musste.

„He, Bo, bleib mal stehen.“ Hinter ihm tauchte Matze auf, wie immer mit einer Kippe in der Hand, von der sich nur im äußersten Notfall trennen konnte. „Du siehst scheiße aus, Mann.“

Am liebsten hätte Bo ihm mitgeteilt, dass er sich auch so fühlte, aber erstens interessierte das Matze gar nicht und zweitens war es nicht seine Art, andere Menschen mit seinen Gefühlen, egal ob positiv oder negativ, zu überschütten.

Also beließ er es bei einem kurzen Nicken und wartete auf eine Erklärung, warum Matze ihn angehalten hatte.

„Dir haben sie nachträglich auch die Bullen auf den Hals gehetzt, oder? Sind schon Idioten, Stan und Eik, aber ich an ihrer Stelle hätte das auch getan.“ Er grinste Bo versucht aufmunternd an. „Ich hab sie mal gefragt, wie man sie dazu bringen kann, ihre Aussage zurückzunehmen und sie meinten, wenn du ihnen ein bisschen Kohle spendest, könnten sie sich umentscheiden. Obwohl dann noch nicht ganz sicher ist, ob das durchkommt, immerhin gibt es noch unseren kleinen Pascal, der was gegen dich in der Hand hat. Und, was sagst du dazu, willst du oder willst du nicht?“

Nur zu gern würde Bo es so hingebogen bekommen, dass die Nacht gestern theoretisch nicht passiert wäre, nur blieb die Frage, was Stan oder Eik dafür genau forderten.

„Was muss ich ihnen dafür geben?“ Hoffentlich nicht zu viel, seit seinem Wandel vom Außenseiter zum potentiellen Unruhestifter hatten seine Eltern ihm drastisch das Taschengeld gekürzt, um ihm zu zeigen, dass er so nicht weitermachen konnte. Wirklich viel hatte es nicht gebracht, außer dass Bo mit noch weniger Geld auskommen musste.

„Nicht viel, für jeden zweihundert“, meinte Matze leichthin und drückte seine Zigarette mit seinem Turnschuh auf dem Boden aus. „Ich habs ihnen vorhin schon bezahlt, je schneller du es machst, desto höher sind deine Chancen, Bo.“

Wie sollte er denn innerhalb von wenigen Minuten vierhundert Euro herbekommen? Sah er aus wie ein Goldesel oder wie eine Schatzkammer? Matze hatte Nerven.

„Kannst du mir vielleicht was leihen?“ Immerhin hatte er ihm auch schon oft genug fünf Euro zugesteckt, die er bis heute nicht wiedergesehen hatte.

„Nee, sorry, Bo, hab selbst gar nichts mehr, tut mir leid.“ Demonstrativ steckte Matze sich die nächste Kippe an, blies Bo den Rauch fast ins Gesicht und machte eine auffordernde Handbewegung. „Komm, such dein Geld zusammen, sonst wird das vielleicht nichts mehr.“

Zwar standen die Chancen sehr schlecht, in den Weiten seines Zimmers noch annähernd die gefordert Menge Geld zu finden, aber wenn er stattdessen hier herumstand, sich von Matze einnebeln ließ und im Selbstmitleid versank, würde erst recht nichts passieren.

„Viel Glück, Bo“, rief ihm Matze noch hinterher, als er hastig um die nächste Straßenecke bog und hoffte, dass doch noch alles gut werden würde.
 

Es war zum Schreien, Davonlaufen und nicht wiederkommen. Am liebsten hätte Bo seine Schreibtischlampe auf den Boden geworfen, aber davon kam auch nicht mehr Geld in das Schüsselchen, was vor ihm auf dem Bett lag.

Seit einer Dreiviertelstunde hatte er jeden Winkel des Raums, jeden Karton, jede Schublade, jede Hosentasche und jeden eigentlich unbenutzten Geldbeutel durchsucht, in der Hoffnung, mehr als nur ein paar Cents zu entdecken, doch seine Hoffnung wurde gnadenlos enttäuscht.

Ihm glänzten kümmerliche 45,62 Euro entgegen, was nicht einmal ansatzweise die Forderungen von Stan und Eik deckten, und an sein Konto durfte er nur mit der Erlaubnis seiner Eltern und die würden ihm heute nicht einmal erlauben, einen Fuß vor die Tür zu setzen, wenn er sie fragte.

Natürlich gab es noch die Möglichkeit, ohne zu fragen seine Karte zu nehmen und damit in der nächsten Bank den fehlenden Geldbetrag abzuheben, nur wusste er auch nicht, wo seine Eltern diese versteckt hatten.

Eine aussichtslose Lage, die er nicht zu meistern wusste. Hätte er wenigstens Großeltern, die er um Geld anbetteln konnte, aber diese lebten leider fast hundert Kilometer von hier entfernt und nicht einmal per Eilpost würde das schnell genug gehen.

Eine ziemlich gewagte Idee schoss ihm durch den Kopf und zuerst verscheuchte Bo sie eilig, doch dann wollte sie nicht mehr verschwinden und er musste sich ihr stellen.

Warum lieh er sich nicht einfach das Geld von seinen Eltern? Immerhin war es bis zu einem bestimmten Grad auch für sie gedacht und wenn er es geschickt anstellte, merkten sie vielleicht gar nicht, dass ihnen 350 Euro fehlten.

Diebstahl war es in seinen Augen keiner, er würde es ihnen schließlich so schnell wie möglich zurückzahlen, blieb nur die Frage wann das sein würde. Sicher nicht mehr dieses Jahr, nächstes er schien ihm realistischer.

Im Moment war es noch zu früh, um an die Geldvorräte in der Küche zu gehen, die seine Eltern in einer Dose im Brotkasten versteckt hatten, falls irgendwann einmal Notzeiten abbrachen oder sie sich unbedingt einen Wunsch erfüllen wollten. Um kurz nach acht saßen sie sicher wie immer im Wohnzimmer zum Fernsehen, dann konnte er es versuchen, allerdings müsste er dafür noch einige Stunden warten, hoffentlich hatten Stan und Eik es sich bis dahin noch nichts anders überlegt.

Nervös lief Bo in seinem nun ziemlich chaotischen Zimmer – nach dem Durchsuchen hatte ihn der Antrieb gefehlt, alles wieder an seinen Platz zu räumen – auf und ab und stellte sich vor, wie er das Ganze am geschicktesten abwickelte, ohne zu viel Lärm zu verursachen oder auf frischer Tat ertappt zu werden, weil er nicht gelauscht hatte, ob jemand kam.

Die Zeit schien quälend langsam zu vergehen und Bo wurde immer aufgeregter, sein Herz schlug deutlich schneller als sonst und seine Gedanken kreisten immer wieder über dasselbe Thema. Gleichzeitig fürchtete er, dass Matze ihn anrufen und ihm mitteilen könnte, dass sich alles ganz anders entwickelt hatte, sodass nun definitiv feststand, dass er bei ihrem Unternehmen mitgewirkt hatte.

Als sein Wecker kurz vor halb neun anzeigte und er es vor Spannung kaum noch aushielt, atmete er dreimal tief durch und schlich sich in die Küche. Nebenan hörte er die Stimmen seiner Eltern und die Geräuschkulisse des Fernsehers, was ihn noch einmal verdeutlichte, wie nah er vor einer Entdeckung stand. Wenn jetzt jemand unerwartet in die Küche kam und ihn hier vor dem Brotkasten stehen fand...

Bo wollte gar nicht darüber nachdenken, sonst wäre er kopflos zurück in sein Zimmer gerannt und hätte die Sache endgültig abgeblasen.

Um nicht ausversehen irgendwo dagegen zu stoßen und dadurch Lärm zu erzeugen, ließ er das Licht an, näherte sich dem Brotkasten und öffnete so vorsichtig es ging die Klappe. Wie immer befand sich dort drin nicht sehr viel Auswahl, doch heute interessierte das Bo wenig, es ging ihm einzig und allein um die Plastikbox, die jemand versucht hatte, unauffällig hinter einer Tüte zu verbergen, nur fiel sie dadurch noch mehr auf.

Zögernd griff Bo nach der Box, entfernte den Deckel von ihr und griff blind hinein. Von außen konnte man eigentlich gar nicht sehen, dass er nicht nach dem Brot, sondern nach dem Geld fasste, was ihn wieder etwas beruhigte.

Doch als er seine Hand wieder zurückzog, stellte er wenig begeistert fest, dass er erst einen hundert Euroschein in der Hand hielt, viel zu wenig für seinen Deal mit den zwei. Ein weiteres Mal versuchte er sein Glück und achtete dieses Mal darauf, mehr Scheine auf einmal zu nehmen, ansonsten würde dieses Prozedur ewig dauern.

Das Knarren der Küchentür riss ihn aus seinem konzentrierten Zustand, während er schockiert feststellte, dass er so viel nachgedachte hatte, was er zu tun hatte, dass er das wesentliche vergessen hatte. Nämlich zu achten, nicht ertappt zu werden.

„Bo, was machst du...“, begann seine Mutter, aber als sie sah, wie ihr Sohn vom Brotkorb zurückwich und auch die Geldscheine in seiner Hand entdeckte, blieb ihr nichts anderes übrig als den logischsten Schluss daraus zu ziehen: Ihr Sohn bestahl sie.
 

Bo hatte geglaubt, schlimmer konnte es an diesem Tag nicht mehr werden, doch da hatte er sich getäuscht. Gewaltig getäuscht.

Nun war er für seine Eltern nicht nur ein Einbrecher, der tatenlos zusah, wie seine selbsternannten Freunde Gleichaltrige mit Messern attackierten, sondern auch ein Dieb, der seinen eigenen Eltern das ersparte Geld entwendete.

Seine Mutter lehnte an der Küchentheke und erweckte den Eindruck, jeden Augenblick ohnmächtig zu werden, sein Vater war in der Zwischenzeit herbeigekommen, hatte die Szene richtig gedeutet – der offene Brotkasten, das herumliegende Geld, seine hysterische Frau – und schrie Bo an, ob er überhaupt eine Ahnung hatte, wie sehr er ihr Vertrauen missbraucht und sie enttäuscht hatte.

Bo fühlte sich einfach klein, hilflos und schrecklich schuldig, die Ohrfeige, die sein Vater ihm gab, bekam er nur am Rande mit, das Brennen spürte er aber trotzdem.

Noch nie hatte sein Vater ihn geschlagen, egal was er angestellt oder nicht erreicht hatte, sein Vater hatte immer versucht, ruhig zu bleiben und nicht überzureagieren.

Davon schien nun nichts mehr übrig, seine Eltern hatten den letzten Funken Verständnis für ihn verloren und das tat mehr weh als der Schlag ins Gesicht.

„Hör auf, Manuel“, bremste Bos Mutter ihren Mann, „jetzt ist sowieso alles zu spät.“

Nur zu gerne hätte Bo ihr versichert, dass es nicht zu spät war, dass er es nicht so gemeint hatte, aber ihr Blick ließ ihm die Worte im Mund erstarren.

„Wenn Bo uns nur noch als Geldquelle sieht, auf die man keine Rücksicht nehmen muss, dann brauchen wir uns nicht mehr um ihn zu bemühen.“

„Mama...nein.“ Das konnte nicht ihr Ernst sein!

„Nicht nein, Bo, du hast deine Mutter gut genug verstanden. Du kannst gehen, wenn du nicht mehr in der Lage bist, dich wie ein normaler Mensch zu benehmen.“

„Aber... ihr könnt mich nicht rauswerfen.“

„Wir du nicht anders begreifst, dass du dich nicht so aufführen kannst, haben wir keine andere Wahl. Du kannst ja deine Freunde fragen, ob du vorübergehend bei ihnen wohnen kannst.“ Sein Vater blieb hart, obwohl Bo genau erkannte, wie schwer es ihm fiel, sein einziges Kind bis auf längere Zeit vor die Tür zu setzen und zu hoffen, dass irgendwelche anderen Menschen sich um ihn kümmerten.

Völlig neben sich stehend ging Bo ab seinem Vater und seiner Mutter vorbei; kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, hörte er wieder, wie seine Mutter weinte, zum zweiten Mal an diesem Tag und nur seinetwegen. Ob sein Vater von den gleichen Gefühlsausbrüchen heimgesucht wurde, konnte Bo nur erahnen, aber so unwahrscheinlich fand er es gar nicht. Wenn sein Vater von etwas schwer getroffen war, dann zeigte er das auch, davor schämte er sich.

In seinem Zimmer stopfte er wahllos einige Kleidungsstücke, seine Zahnbürste, einen Geldbeutel mit seinem restlichen eigenen Geld, eins seiner Bücher, einen Block und einige Stifte in seinen Rucksack. Sein Handy benötigte er nicht mehr. Wer sollte ihn auch anrufen? Seine Eltern sicher nicht mehr und bei Stan, Eik und Matze würde er nun vorbeigehen und fragen, wo er die nächste Zeit bleiben konnte.

Was würde er dafür geben, die Zeit zurückdrehen zu können, ab dem Augenblick, an dem er Eik und den anderen zu Pascals Haus gefolgt war, vielleicht sogar viel früher, als sie sich kennen gelernt hatten. Dann hätte er seine Eltern nicht so verletzt und müsste er sich nicht von seinem einsamen, aber wohlgeordneten Leben verabschieden.
 

Als er schließlich in der Kälte auf dem Bürgersteig stand und endlich realisierte, was er soeben alles verloren hatte, blieb ihm fast die Luft weg und er fing haltlos an zu weinen, obwohl er genau wusste, dass es nichts brachte, die Situation nicht verbesserte. Niemand würde nun noch mit ihm Mitleid haben, wenn herauskam, was er getan hatte.

Es dauerte geschlagene zwanzig Minuten, in denen Bo einfach nur dastand und sich seinem Kummer hingab, bis er sich langsam zu beruhigen begann.

Ob er wollte oder nicht, er musste sich jetzt zusammenreißen und zumindest für heute Nacht sich ein Dach über dem Kopf sichern, er wusste auch schon, bei wem.

Eik war indirekt für das Alles verantwortlich, also würde er ihn als erstes aufsuchen.
 

Zu Fuß zog sich der Weg bis zu Eik ewig hin und zu allem Überfluss wehte ein eisig klater Wind, der Bo trotz seiner dicken Jacke frieren ließ. Hoffentlich war jemand dort, sonst hatte er ganz umsonst den weiten Weg angetreten und bis zu Stan dauerte es auch mindestens zwanzig Minuten.

In den Fenstern brannte Licht, also musste sich dort jemand aufhalten, außer Eiks Eltern hatten eine Vorliebe für Stromverschwendung. Blieb nur zu hoffen, dass auch Eik daheim war.

Nervös drückte Bo auf die Klingel und wartete angespannt. Er wollte nichts sehnlicher als schlafen und vergessen, was heute durch sein falsches Verhalten geschehen war, doch dafür brauchte er erst einmal einen Ort, an dem er zumindest die Nacht verbringen konnte.

„Was willst du denn hier?“ Nicht besonders gut gelaunt öffnete Eik die Tür und musterte Bo eingehend. „Mir die Ohren volljammern, weil dieser kleine Wichser Passi gequatscht hat oder was? Dafür kann ich nichts, Mann.“ Er wollt Bo schon die Tür vor der Nase zuknallen, doch dieser stemmte sich geistesgegenwärtig dagegen, sodass sie nun weder komplett geöffnet noch geschlossen war.

„Bitte, Eik, lass mich rein. Meine Eltern haben mich rausgeworfen und jetzt weiß ich nicht, wo ich heute Nacht bleiben soll.“ Das musste er einfach verstehen.

„Ist es mein Problem, dass deine Eltern so ausflippen? Nein, ist es nicht, meine Eltern sind sowieso schon mies drauf, da musst nicht auch noch du bei mir rumhocken. Mach die Fliege, Bo, bis irgendwann.“ Mit aller Kraft warf er sich gegen die Tür, sodass diese sich endgültig schloss und Bo fast die Finger im Rahmen eingeklemmt hätte.

„Das kannst du nicht machen!“ Fassungslos starrte Bo auf das Fensterglas in der Tür, hinter dem er noch Eiks Umrisse erkennen konnte. „Eik, lass mich rein.“

Nichts rührte sich, Eik reagierte nicht au sein Rufen. Damit hätte Bo nicht gerechnet.

Ziemlich verletzt von dieser deutlichen Abweisung drehte er Eiks Haus den Rücken zu und setzte sich in Bewegung, um sein Glück bei Stan zu versuchen.

Wenn dieser ihm auch die Tür unfreundlich und ohne plausiblen Grund zuschlug, blieb nur noch Matze übrig und dann... niemand, höchstens eine Parkbank in der entfernten Grünanlage oder ein leerer Hauseingang.

Stan wirkte ebenfalls nicht erfreut, ihm um diese Uhrzeit auf der Türschwelle seines Zuhauses anzutreffen, da sie sowieso nie sehr gut miteinander ausgekommen waren.

„Was willst du? Hast du keine Hobbies oder warum hängst du hier rum?“

„Kann ich heute Nacht bei dir schlafen? Meine Eltern haben mich...“

„Geht nicht, hab schon Besuch“, unterbrach ihn Stan einfach, ohne sich die angesetzte Erklärung auch nur halb angehört zu haben. „Geh jemand anderem auf die Nerven, aber nicht mir.“

„Aber Stan...“

„Weg da, geh nach Hause, Alter!“

„Stan, was schreist du hier rum?“ Ein blondes Mädchen tauchte hinter ihm auf und Bo wusste genau, dass das nicht seine Schwester war, da Stan keine hatte. Eine Cousine konnte es auch nicht sein, die lebten angeblich alle in Amerika und wussten nichts von Stan Existenz, hatte er ihnen einmal erzählt.

Sicher musste sie der Grund sein, wieso er hier nicht erwünscht war. Aber seit wann hatte Stan eine Freundin? Er hatte nie etwas in der Richtung erzählt, wenn sie zu viert unterwegs gewesen waren.

„Nichts, hier merkt nur jemand nicht, dass er abhauen soll, weil er stört.“ Genervt funkelte Stan Bo an und machte eine auffordernde Handbewegung, sofort von diesem Grundstück zu verschwinden. „Nerv doch Matze, der freut sich bestimmt darüber.“ Gnadenlos zog er die Tür bei, bis nur noch ein kleiner Spalt frei war, aus dem Bo eins von Stans Augen ihn beobachtete, um zu erfahren, ob er tatsächlich das Weite suchte.

Wieso taten sie ihm das an? Wegen ihnen war er doch erst in diese Situation gekommen und nun wollte keiner von ihnen die für Konsequenzen geradestehen.

Vielleicht hatten seine Eltern doch Recht gehabt und sie waren gar nicht seine Freunde, sondern nutzen ihn nur als Mittel zum Zweck.

Bei diesem Gedanken wurde Bo richtig schlecht und er hoffte inständig, dass sich das nur als Verdacht und nicht als Tatsache entpuppte. Vielleicht hatte auch das Auftauchen der Polizei und die Folgen davon ihr unfreundliches Verhalten beeinflusst. Immerhin war Bo nicht der einzige, der Ärger bekommen hatte.

Als Bo wenig später – Matze und Stan wohnten fast in derselben Straße – das Gartentor von dem Mehrfamilienhaus, in dem Matze lebte, aufdrückte, traute er sich fast nicht zu klingeln. Wenn seine letzte Chance sich ebenfalls als Reinfall herausstellte, wäre er verloren. Bei den Temperaturen draußen zu übernachten war glatter Selbstmord.

Zuerst schien es, als sei keiner zuhause, was Bo veranlasste, solange hier vor der Eingangstür zu warten, bis jemand von Matzes Familie kam, doch dann summte es und er konnte in das unaufgeräumte Treppenhaus hineingehen.

„Hi Bo, hast du das Geld schon?“, wollte Matze als erstes erfahren, als Bo vor ihm stand, aber er erkannte, dass irgendetwas nicht stimmte. „Hat es nicht gereicht?“

Eilig ratterte Bo herunter, was vorgefallen war, weil er befürchtete, Matze könnte ihn wie die anderen ebenfalls dreist abwürgen, und flehte ihn beinahe an, ihn für diese Nacht bei sich aufzunehmen.

„Naja, ich glaube nicht, dass meine Eltern damit einverstanden sind“, begann Matze langsam der Bitte auszuweichen, stoppte allerdings, als er bemerkte, wie Bo kurz davor stand, von seinen ganzen negativen Gefühlen und Ängsten überrollt zu werden. „Und du kannst wirklich nirgendwo anders hin?“

„Nein, Eik und Stan haben mich schon abgewiesen“, erklärte er und wischte sich schnell über die Augen. Vor Matze musste er wirklich nicht anfangen zu weinen, das würde dessen Entscheidung auch nicht ins Positive beeinflussen.

„Scheiße. Okay, komm rein, aber lass dich nicht von meinen Eltern erwischen, die sind echt alles andere als gut gelaunt.“

Bo fiel ein Stein vom Herzen, als Matze ihn hinter sich in die Wohnung zog, vorsichtig den Gang hinunter lotste und ihn in sein eigenes Zimmer schob. Seine Befürchtung hatte sich nicht bestätigt, zumindest Matze stand hinter ihm, jedenfalls für den heutigen Tag noch. Was morgen kam, würde er früh genug sehen.

Bo legte seine Jacke und die Tasche neben dem Schreibtisch ab und ließ sich ohne zu fragen und ohne sich umzuziehen auf das Bett fallen. Er wollte einfach nur schlafen.

„Bist ja schon ziemlich dreist“, zog Matze ihn auf und setzte sich zu ihm auf das Bett. „Hast du Hunger oder so? Brauchst du was?“

„Nein, danke“, murmelte Bo leise vor sich hin und vergrub sich in die warme Decke. „Ist schon gut.“

„Du weißt aber, dass ich da auch noch irgendwo schlafen muss, wir haben keine Extramatratze und es fällt auf, wenn ich plötzlich auf der Couch penne“, erinnerte Matze daran, dass er das Bett nicht für sich alleine beschlagnahmen konnte.

Das hatte Bo schon geahnt, aber für den einen Abend würde er es überleben, nur sollten die anderen beiden nicht unbedingt etwas davon erfahren; auf solche Dinge reagierten sie doch deutlich allergischer als Matze, der es noch relativ locker hinnahm.

„Mann, wird das schwul“; hörte er Matze noch vor sich hinnuscheln, bevor dieser noch einmal irgendwohin verschwand, vielleicht um sich etwas zu trinken zu holen.

Langsam sank Bo in einen Dämmerzustand, aus dem er auch nicht mehr richtig erwachte, als er merkte, wie er vorsichtig zu Seite geschoben und ihm ein Stück der Decke entwendet wurde. Anscheinend wollte Matze nun auch seine verdiente Ruhe haben.

Er würde ihn dabei sicher nicht stören.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Inan
2010-03-07T00:02:37+00:00 07.03.2010 01:02
Hat er wirklich gedacht, Eik und Stan meinen es ernst mit ihm? Oo
Naja, vermutlich ein Verdrängungsmechanismus oder so,
der Junge ist ja wirklich arm dran
*patt und Bett überlass xD*
Immerhin ist Matze nicht auch son Arsch, der hat wenigstens doch Mitleidt~
tolliges Chap, ich freu mich schon aufs nächste <3



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