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Blutrote Rosen

von

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Kapitel 8

Am nächsten Tag in der Schule ließ sich Tilo auf den leeren Platz neben mir fallen.

„Hast du Französisch-Hausaufgaben?“
 

Ich reichte ihm mein Heft. „Ja, aber wahrscheinlich falsch.“
 

„Macht nichts… Hauptsache ich hab da irgendwas stehen!“
 

Ich beobachtete Tilo beim Schreiben. Er hatte eine schöne, geschwungene Handschrift, eher untypisch für einen Jungen.
 

„Schöne Schrift“, bemerkte ich, wie nebenbei.
 

Tilo hielt inne und strahlte mich an. „Findest du?“
 

„Jaaah“, ich nickte bestätigend. „Du… übrigens… wegen gestern… Ich meine, danke, ne?!“

Es war eine recht plumpe Danksagung, aber Tilo schien das nicht zu stören.
 

„Kein Problem, hab ich doch gern gemacht!“, strahlte er und wandte sich wieder dem Heft zu.
 

„Warum?“
 

„Warum was?“
 

„Warum hast du mir geholfen?“
 

Tilo zuckte mit den Achseln. „Weiß nicht!“, murmelte er. „Ich meine… Du hast an der Tafel so glücklich ausgesehen… Und dann in Französisch auf einmal gar nicht mehr… Und da wollte ich dir halt irgendwie helfen…“
 

Er hatte den Stift hingelegt und sah mich an. „Weißt du, dir steht ein Lächeln im Gesicht richtig gut!“
 

„W…Was?“
 

„Naja, du wirktest auf einmal gar nicht mehr wie der Außenseiter der Klasse, sondern eher wie… Keine Ahnung wie ich das jetzt beschreiben soll… So glücklich und normal halt! Wie so einer, mit dem jeder unbedingt befreundet sein möchte, weil er so gutmütig ist, verstehst du?“
 

„Nein“
 

„Oh man, was ich damit sagen möchte ist eigentlich… dass ich mit dir befreundet sein will. Früher hast du meine Versuche immer abgeblockt und gestern schienst du halt so zugänglich zu sein und… Ach, keine Ahnung!“
 

Versuche? Welche Versuche?
 

Ich hatte nie etwas mit Tilo zu tun gehabt! Er hatte ein paar Mal meine Hausaufgaben abgeschrieben und dabei mit mir geredet. Ich wusste nicht einmal mehr das Thema… Es hatte mich auch nie interessiert. Ich hatte in ihm nie jemanden gesehen, der an mir interessiert war, sondern immer gedacht, er würde nur zu mir kommen, weil sich die Anderen weigerten, ihn ihre Hausaufgaben kopieren zu lassen. Konnte es sein, dass ich die ganze Zeit einfach nur nicht verstanden hatte, was Tilo wirklich bezwecken wollte? Das ich blind gewesen war, für das Offensichtliche?
 

„Du… Du willst mein Freund sein?“, fragte ich zögerlich. „Wieso denn das? Ich bin ein Loser hoch Zehn! Was würde dir das bringen?“
 

Tilo seufzte. „Du bist halt anders als die Anderen! Nicht so laut, nicht so aufgedreht… Das hat mich halt fasziniert!“ Er machte eine kurze Pause und kaute nervös an seinem Bleistift.
 

„Du hast es nicht gemerkt, oder? Dass ich dir helfen wollte, meine ich. Du warst immer nur so abweisend. Du hast mir nie zugehört wenn ich mit dir geredet habe, oder? Ich glaube, das machst du bei allen… Weil du dich nicht wirklich für sie interessierst. Und darum hast du auch mich nie beachtet, oder? … Ach warum erzähle ich dir das?“ Mit einem Seufzen schlug er mein Heft zu. „Ich kling ja schon wie ein Mädchen... Vergiss die Sache. Danke, dass ich die Hausaufgaben abschreiben durfte!“
 

Er wollte aufstehen, aber ich hielt ihn zurück. „Warte“, hörte ich mich sagen. Ich wunderte mich, warum ich nach außen hin so cool bleiben konnte, obwohl mein Herz doch so laut bollerte, dass ich dachte, er müsse es deutlich hören können. „Du hast doch noch gar nicht zu Ende abgeschrieben. Willst du etwa eine Sechs aufgeschrieben bekommen, wegen unvollständiger Hausaufgabe? Jetzt setzt dich schon wieder hier hin und mach die Scheiße zu Ende!“ Ich lächelte aufmunternd.
 

Tilos Augen weiteten sich vor Erstaunen. Dann verzogen sich auch seine Mundwinkel zu einem Lächeln. „Okay“, strahlte er und setzte sich. „Okay, Fabi!“
 


 

In den großen Pausen traf ich mich mit Chris. Immer öfter gesellte sich jetzt aber auch Tilo dazu und manchmal war sogar Lena dabei.
 

Manchmal überlegte ich, ob es vielleicht an mir gelegen hatte, dass ich ein Außenseiter gewesen war und nicht an den Anderen.
 

Ich hatte mich nicht sonderlich verändert. Das einzige, was geschehen war, war dass ich offener für Andere war. So war zumindest meine Sicht der Dinge.
 

Lena versuchte immer öfter, mir aufzuzählen, was ich früher anders gemacht hatte, aber ich hörte ihr nie zu. Was hätte mir dieses Wissen auch gebracht? Im Prinzip nichts anderes als Vorwürfe gegen mich selbst, weil ich so gewesen war, wie ich eben nicht hätte sein sollen.

Die Tage vergingen trotzdem wie im Flug. Viel zu schön war die Zeit.
 

Meinen Siebzehnten Geburtstag feierte ich nicht allein zu Hause, sondern bei Chris, zusammen mit seinen Eltern, Tilo und Lena.
 

Kalle musste arbeiten und Fiddi ebenfalls, aber die beiden hatten mir eine Karte hinterlassen, auf der nur ein Satz stand:
 

Dunkle Wolken ziehen oft schneller vorüber, als man denkt.
 

Zwar stellten alle wilde Vermutungen in den Raum, was mit diesem Spruch gemeint sein könne, aber ich wusste es. Ich wusste es ganz genau. Und ich glaube, Chris verstand es auch. Irgendwie. Mein Tagebuch füllte sich mit immer mehr und mehr positiven Gedanken und Gefühlen.
 

Meine Mutter hingegen bekam ich immer seltener zu Gesicht. Sie arbeitete mehr als sonst und ich glaubte sogar zu wissen, warum das so war.
 

Manchmal, wenn ich sie nach einem langen Arbeitstag sah – müde, dünn und blass – tat sie mir fast ein bisschen Leid. Aber ich versuchte, das zu ignorieren. Sie war schließlich nur die Frau die mich geboren hatte. Nicht mehr und nicht weniger…
 

Dann kam das verhängnisvolle Wochenende, an dem meine Mutter den Wellnessgutschein einlöste und ich bei Chris sein würde, da dieser seinen sechzehnten Geburtstag feierte.
 

Ich mochte seine Eltern und ihn und Kalle sowieso. Fiddi gehörte quasi auch dazu und ich fühlte mich auch schon fast wie ein Familienmitglied. Die Art, wie jeder sofort freundlich aufgenommen wurde, wie sie innerhalb der Familie miteinander umgingen... Ich wünschte, bei mir wäre es jemals so gewesen, aber ich hatte immer Abstand gehalten… Zu jedem!
 

Als ich nun vor Chris’ Haustür stand und klingelte, war ich doch reichlich nervös.

Immerhin würde ich heute die gesamte Familie Schulten kennen lernen.
 

Ob sie alle so herzlich waren?
 

Ich wippte von einem Fuß auf den Anderen. Immer vor und zurück. Vor und zurück…

Die Tür wurde aufgerissen.
 

„Alles Gute zum Geburtstag, Chris!“, begrüßte ich ihn. „Süße sechzehn, hm?“
 

„Fabi!“ Er umarmte mich. Er tat das ständig und ich hatte mich nie dagegen gewehrt. Ich mochte es, ihm so nah zu sein. „Schön dass du da bist! Es sind noch nicht alle da. Komm rein!“
 

Nach und nach trudelten auch die anderen Familienmitglieder ein. Tilo, Kalle und Fiddi waren schon da und Lena kam wie immer zu spät.
 

Auch Tante Karla, die ich schon am Neujahrstag kennen gelernt hatte, kam um zu gratulieren. Sie warf mir befremdliche Blicke zu, aber ich überging es gezielt.
 

Es wurde gegessen (Chris’ Mutter war eine hervorragende Köchin), getrunken und gelacht.

Um acht Uhr Abends gingen dann die meisten nach Hause.
 

Ich blieb und zu meinem Bedauern auch Karla.
 

Sie war die Einzige aus Chris’ Verwandtschaft, die mir nicht im Geringsten sympathisch war. Sie wirkte so falsch, so aufgesetzt…
 

Chris, seine Eltern, Tante Karla und ich saßen noch am Küchentisch und unterhielten uns über alle möglichen Peinlichkeiten, da lies Tante Karla einen Kommentar fallen, den ich ihr nie verzeihen sollte.
 

„Jaja“, hüstelte sie „Am peinlichsten ist es aber, wenn man als junger Mann Händchen haltend mit seinem heimlichen Freund von der eigenen Tante erwischt wird. Nicht wahr Chris?“ Sie zwinkerte. „Naja, du bist eben wie dein Bruder, kann man nichts machen, liegt anscheinend in der Familie. Macht ja auch nichts“
 

Sie beugte sich nach vorne und tätschelte liebevoll die Hand von Chris, der aufgehört hatte zu kauen und seine Tante fassungslos anstarrte. Im Raum wurde es still.
 

Alle Augenpaare richteten sich auf Chris.
 

„Du hast einen Freund?“
 

Chris erstarrte. „Was? Nein…“
 

„Aber Karla hat doch gerade…“
 

„Ich hab keinen Freund!“
 

„Chris, du brauchst es doch gar nicht zu verheimlichen. Du weißt das wir dich so akzeptieren wie du bist, und es ist doch schön…“
 

„ICH HAB KEINEN FREUND!!!“ Chris war aufgesprungen und funkelte Tante Karla böse an. Doch diese ließ sich nicht beeindrucken, zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. „Sicher… So direkt hab ich das auch nie behauptet…“
 

Chris starrte seine Tante entgeistert an, dann fuhr er auf der Stelle herum und rannte aus dem Zimmer.
 

„Chris!“ Ich lief ihm hinterher. Die Gedanken wirbelten durch meinen Kopf. Chris, schwul? Oder meinte Karla mich mit seinem Freund? Sie hatte uns schließlich zusammen auf der Brücke gesehen. Aber das war doch nicht gewesen, weil einer von uns beiden schwul war. Oder doch?
 

Aus Chris’ Zimmer war ein Schluchzen zu hören. Ich klopfte an die Tür.
 

„Chris?“, flüsterte ich.
 

„Bleib weg“
 

„Chris, bitte, ich…“
 

„HAU AB! Ich will dich nicht sehen! Ich brauche dich nicht!“
 

Ich brauche dich nicht

Die Wörter des letzten Satzes hallten in meinem Kopf wider, wie ein Echo, mal lauter, mal leiser.
 

Er brauchte mich nicht…

Er brauchte mich nicht!
 

Hatte er das ernst gemeint? Blödsinn, er war bloß aufgewühlt, er konnte es nicht so gemeint haben. Das durfte nicht sein!
 

„Nein!“, schrie ich und riss seine Zimmertür auf. „Nein, das ist nicht wahr!“
 

Chris saß auf seinem Bett, die Augen rot verquollen, das Kissen mit dem Dir en grey Aufdruck, dass er von mir bekommen hatte, fest umklammert.
 

Ich stürzte auf ihn zu und umarmte ihn. „Bitte“, krächzte ich. Meine Augen brannten verdächtig.
 

„Bitte sag nicht, dass du mich nicht brauchst!“
 

Ein undefinierbarer Laut, der einem Schluchzen glich, kam aus Chris’ Kehle. Sein Körper zitterte. „Tut mir Leid“, flüsterte er und schlang seine Arme um mich. „Natürlich brauch ich dich“
 

Mir fiel ein Stein vom Herzen. Für einen Moment hatte ich gedacht, ich hätte alles verloren. Ich vergrub mein Gesicht in seinen weichen Haaren. Sie dufteten nach Pfirsich.
 

Er war mir nah – so nah! Wieder durchlief dieses Kribbeln meine Magengegend. Ich roch ihn, spürte seinen immer noch zitternden Körper an meinem, fühlte seinen Herzschlag ganz nah bei meinem eigenen. Ich hätte ewig so dasitzen können, doch als er sich wieder beruhigt hatte, schob er mich vorsichtig von sich.
 

„Ich weiß nicht“, murmelte Chris. „Es ist so komisch!“
 

„Was ist komisch?“
 

„Weiß ich nicht“
 

Ich stand auf. „Sollen wir ein bisschen spazieren gehen?“
 

Chris nickte dankbar.



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