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Blutrote Rosen

von

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Kapitel 9

Die frische Luft strich angenehm kühl über mein Gesicht.
 

„Was haben die nur alle?“, fragte Chris. „Wir sind doch gar nicht zusammen! Was soll der Müll?“
 

„Naja“, räusperte ich mich. „Immerhin hast du meine Hand gehalten… Ist also gar nicht verwunderlich, dass deine Tante–“
 

„Du verstehst das nicht!“ Chris war stehen geblieben.
 

Ich tat es ihm gleich. „Dann erklärs’ mir!“
 

Chris atmete tief durch. „Es liegt nicht daran, dass ich deine Hand gehalten hab“, begann er „Sondern eher daran, dass niemand Rücksicht auf mich nimmt!“
 

„Was?“
 

„Meinst du, ich hätte deine Hand genommen, weil ich Langeweile hatte?“

Er setzte seinen Weg fort.
 

„Weißt du, vorletztes Jahr Sylvester hat Kalle versucht sich umzubringen. Eine Passantin hat ihn zum Glück gefunden und hat den Notarzt gerufen. Das war an dem Tag, als er uns gesagt hatte, dass er homosexuell ist. Meine Eltern haben gut darauf reagiert, aber ich war sauer und hab mich mit ihm gestritten. Ich weiß noch nicht einmal mehr, warum ich so wütend war. Auf jeden Fall war es meine Schuld, dass er nicht mehr leben wollte.“
 

„Nein, das war es bestimmt nicht!“, unterbrach ich ihn.
 

Er zuckte mit den Schultern „Kann schon sein“, sagte er. „Ich gebe mir auf jeden Fall immer noch die Schuld daran. Und als ich dann auf der Brücke stand…“ Er schüttelte den Kopf.
 

„Weißt du, es kam alles wieder hoch. Er saß damals unter genau dieser Brücke, als er sich die Pulsadern aufschnitt… Ich hatte Angst!“
 

Ich nickte nachdenklich. „Ja“, sagte ich. „Ja, ich glaube, ich verstehe dich! Aber weißt du, Kalle sagte, dass du derjenige warst, der ihm aus dieser Krise geholfen hat!“
 

Trotz der zunehmenden Dunkelheit erkannte ich, wie er errötete. „Echt?“, fragte er.
 

„Ja“, antwortete ich.
 

Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Ich sah Chris von der Seite an und musste erneut feststellen, wie wunderschön er aussah. Im Licht der Straßenlaternen leuchteten seine Augen wie kleine Kristalle und ich fragte mich, ob es okay war, einen Jungen hübsch zu finden. Aber wahrscheinlich war es das schon, denn Mädchen fanden sich untereinander ja schließlich auch hübsch ohne gleich lesbisch zu sein.
 

Nach einer Weile bemerkte ich, wie Chris wieder begann, nervös auf seiner Unterlippe herum zu kauen. Tatsächlich dauerte es auch nicht lange, bis er mit leicht zitternder Stimme zu sprechen begann.
 

„Du… wegen vorhin… also…“
 

„Ja?“
 

„Ich möchte nicht, dass du alles glaubst was meine Tante sagt. Okay, sie hat uns auf der Brücke gesehen und Kalle ist schwul, da liegt der Verdacht nahe, dass ich es auch bin. Aber ich bin es nicht, okay? Nicht dass du was Falsches von mir denkst…“ Er lachte nervös und irgendwie klang es nicht wie ein echtes Lachen, sondern wirkte auf seltsame Weise falsch.
 

Für einen kurzen Moment krampfte sich alles in mir zusammen. Nicht schwul. Deutlicher hätte er es nicht sagen können.
 

„Okay“, sagte ich und versuchte zu lächeln. Als ich jedoch bemerkte, dass es genauso aufgesetzt wirkte wie sein Lachen, lies ich es bleiben. Ich wusste nicht, was mit mir los war. Irgendwo in mir schien etwas zersprungen zu sein. Etwas, von dem ich gar nicht gewusst hatte, dass es existierte. Irgendwas…
 

Ich stand einfach nur da und sah Chris an. Und er stand einfach nur da und sah mich an.

Irgendwann wurde uns beiden die Stille unangenehm.
 

„Wie lange darfst du heute eigentlich bleiben?“, fragte Chris zögerlich.
 

„So lange ich will“, antwortete ich, froh darüber, die Stille durchbrechen zu können.
 

„Macht deine Mutter denn da keinen Stress?“
 

Ich schnaubte verächtlich. „Du kennst doch meine Mutter! Außerdem ist sie eh nicht da…“
 

„Arbeiten?“, vermutete Chris.
 

„Nee, Wellnesswochenende… Du weißt schon… Mein Weihnachtsgeschenk an sie…“
 

Chris lächelte sanft. „Du musst sie sehr lieben…“, flüsterte er.
 

Ich zuckte unwillkürlich zusammen.
 

„Ich liebe sie nicht!“
 

„Doch natürlich“, sagte Chris und wandte sich mir zu.
 

„Überhaupt nicht“, zischte ich.
 

Wieder regte sich irgendwas in meinem Innersten. Wut loderte in mir auf. Ich war sowieso schon verwirrt genug und wusste nicht warum, nur dass es was mit Chris zu tun hatte. Und jetzt begann der auch noch so zu tun, als wüsste er über meine Gefühle genauestens Bescheid!

Meine Hand zitterte, ich hatte Mühe mich unter Kontrolle zu halten.
 

„Ja doch“, sagte er und merkte anscheinend nicht, wie Unrecht er hatte. „Sonst hättest du ihr so was nicht geschenkt.“
 

Irgendwas hinter meiner Stirn explodierte.
 

„ICH LIEBE SIE NICHT!“, schrie ich erneut, holte aus und schlug Chris mitten ins Gesicht.

Sekunden vergingen. Er starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an und ich starrte nicht minder entsetzt zurück.
 

Erschrocken lies ich die Hand sinken. Was hatte ich getan?
 

Ich hatte ihn geschlagen! Ich hatte Chris geschlagen!
 

„Scheiße“, flüsterte ich.
 

Dann drehte ich mich um und rannte weg.
 

„Fabian!“, schrie er mir hinterher, aber ich hielt nicht inne. Ich hatte ihn geschlagen! Verdammt!
 

Ich hatte Gewalt immer gehasst. Hatte es immer verurteilt, wenn mein Vater seine Hand gegen mich erhob. Und nun hatte ich es selber getan!
 

Auf einmal wusste ich auch, warum ich mich so komisch gefühlt hatte, als Chris mir gesagt hatte, dass er nicht schwul sei. Woher das Kribbeln in meinem Magen kam, immer wenn ich in seiner Nähe war. Warum ich Kalles Gefühle doch hatte nachvollziehen können.
 

Alles nur, weil ich derjenige war der ein Problem hatte. Kalle und Fiddi hätten mir sicher gesagt, dass meine Gefühle für Chris ganz normal wären. Aber genau das war der Punkt!
 

Es war Chris, den ich liebte. Ausgerechnet Chris. Mein Retter, mein Freund, mein Engel!

Chris war nicht wie sein Bruder, er war ganz normal. Ich würde niemals eine Chance bei ihm haben. Hatte er es vielleicht schon gewusst, bevor ich es selbst bemerkt hatte? Dass ich ihn liebte? Hatte er mich deshalb von sich geschoben? Hatte er mir deshalb noch einmal ausdrücklich klar gemacht, dass er nicht schwul sei?
 

Nein, das durfte nicht sein. Wenn er es wüsste, würde er es sicher akzeptieren, aber es würde sicher nicht mehr so wie früher sein, zwischen uns. Und außerdem hatte ich ihn geschlagen! Wie sollte ich jemals wieder seine Nähe genießen können, ohne mich schuldig zu fühlen?
 

Tränen stiegen in meine Augen. Ich fühlte mich schmutzig.
 

Mein Magen rumorte, Übelkeit stieg in mir auf. Bloß nach Hause!
 

Dort angekommen, schloss ich mich sofort in meinem Zimmer ein und ließ mich mit meinem gesamten Gewicht gegen die Tür fallen. Filmreif rutschte ich an ihr herunter.
 

Mir wurde klar, dass ich ein bisschen wie mein Vater war! Ich war ein kleines, dreckiges Schwein, das so feige war, dass es keinen anderen Ausweg sah, als jemanden zu verletzen und dann abzuhauen. Ich hatte Chris verloren! Endgültig…
 

Ich hörte, wie jemand die Treppe hoch gerannt kam.
 

„Fabian!“, brüllte Chris.
 

Ich hätte ihm das Versteck für unseren Ersatz-Haustürschlüssel nicht verraten sollen.
 

„Fabian, es tut mir Leid!“
 

Mein Herz klopfte. Es tat ihm Leid! Was tat ihm Leid? Er hatte doch gar nichts getan, oder?
 

Doch! Er hatte gesagt, dass ich meine Mutter liebte!
 

Dann wurde mir klar, was ich da dachte. Ich versuchte ihm die Schuld an allem zu geben! Was war ich nur für ein Freund? Ein schwuler Freund, der es nicht Wert war überhaupt ein Freund von Chris zu sein!
 

„Fabian!“ Er trommelte mit beiden Fäusten gegen die Tür. „Fabian, mach mir auf! Mach mir bitte auf! Sei vernünftig!“
 

Ja, ich wollte vernünftig sein, aber ich hatte es nicht verdient, mit Chris befreundet zu sein!
 

„Hau ab!“, schrie ich „Geh weg!“
 

„Nein, Fabian!!!“
 

Ich verstand auf einmal… Ich musste nur das Gegenteil von dem sagen, was ich fühlte.
 

„VERZIEH DICH!!!“, brüllte ich so laut ich konnte. „ICH WILL DICH HIER NICHT MEHR SEHEN!! ICH WILL DICH ÜBERHAUPT NICHT MEHR SEHEN! ICH HASSE DICH!“
 

Bitte geh nicht weg. Lass mich nicht allein…
 

Von draußen hörte ich ein Schluchzen. „Nein, Fabian, das sagst du doch jetzt nur so… Bitte…“
 

„ICH HASSE DICH!“, wiederholte ich „UND ICH HAB DICH IMMER GEHASST!!! LASS MICH BLOß IN RUHE! DU BIST AUCH NICHT ANDERS ALS DIE ANDEREN!“
 

Du warst der einzige, dem ich jemals meine gesamten Geheimnisse anvertraut habe. Weil ich dir vertraue… Weil du was Besonderes bist…Weil ich dich Liebe…
 

Wieder dieses Schluchzen, das mir fast das Herz brach. „…Fabian… bitte nicht…“
 

Und noch einmal: „HAU AB!“
 

Siehst du? Ich habe kein Mitleid… Ich achte nicht auf deine Gefühle… Es ist ganz einfach…
 

Und Chris ging tatsächlich. Ich hörte wie seine Fäuste noch ein paar Mal kraftlos gegen meine Tür klatschten, dann eine Weile nichts. Unten fiel die Haustür ins Schloss.
 

Meine Stimme versagte. Heiße Tränen rannen mir übers Gesicht.
 

Was doch so ein paar Worte auslösen konnten.
 

Ich wusste, dass es falsch gewesen war, was ich getan hatte. Aber ich wollte nicht darüber nachdenken. Ich wollte gar nicht mehr denken… Es war zu spät…
 

Ich starrte auf das kleine, blaue Schälchen. Das Licht der Deckenlampe reflektierte auf der Rasierklinge. Ich streckte langsam die Hand aus. Doch dann stockte ich.
 

Nein!
 

Ich zog meine Hand wieder zurück.
 

Ich durfte es nicht schon wieder tun… Ich sollte ruhig leiden! Ich hatte es nicht anders verdient, ich war ekelig.
 

Meine Hand zuckte immer wieder in Richtung der blauen Schale, aber ich wusste, dass ich dem Drang nicht nachgeben durfte!
 

Ablenkung! Ich brauchte eine Ablenkung!
 

Mein Blick fiel auf die CD, die ich von meiner Mutter zu Weihnachten bekommen hatte. Ich hatte sie noch nicht angerührt, die Folie in der sie eingeschweißt war, schimmerte leicht im Licht meiner Deckenlampe.
 

Jetzt packte ich sie aus und legte sie in meinen CD-Player.
 

Dann schloss ich die Augen und versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren.

Ich hatte Chris verloren…

Meinen Chris…
 

Im Hintergrund lief die Musik und ich dachte über Chris nach…
 

Until the day I die

I’ll spill my heart for you
 

Ich hatte so viel Zeit mit ihm verbracht.

Er war der einzige, der mich richtig verstand…
 

War das der Grund warum ich ihn liebte? Wenn meine ganzen Gefühle darauf zurückzuführen waren, dann waren sie bloß Einbildung. Dann hatte ich noch eine Chance alles wieder gut zu machen.
 

Ich lauschte tief in mich hinein, hörte aber bloß mein eigenes Herz schlagen. Poch-Poch-Poch…

Der einzige Beweis dafür, dass die Zeit verging, war dieser gleichmäßige, immerwährende Herzschlag. Aber so sehr ich auch nachdachte, so sehr ich auch versuchte, meine Gefühle nur als unwirklich anzusehen… Es ging nicht!
 

Wenn es etwas wirklich Wahres auf dieser Welt gab, dann war es dieses Gefühl.

Verdammt, ich hätte es wissen müssen. Ich hätte mich nie derartig an einen Menschen klammern dürfen. Es war alles meine Schuld. Vielleicht war es wirklich besser so, wie es war.
 

Wann hatte ich überhaupt aufgehört, so zu sein, wie ein jedes Kind hätte sein sollen?
 

Ich wollte doch einfach nur mit Chris befreundet sein… Aber genau das war der Fehler den ich gemacht hatte…
 

My hands are at your throat

And I think I hate you

We made the same mistakes

Mistakes like friends do

Wenn ich so darüber nachdachte, wurde mir klar, dass ich diesen Fehler nicht bereute.

Ich bereute auch nicht, mich in Chris verliebt zu haben.

Ich bereute nur, dass ich ihn hatte gehen lassen.
 

Aber es war besser so…
 

Until the day I die

I’ll spill my heart for you

Ich drückte auf die Stopp-Taste an dem Player und sank weinend in mich zusammen…

Weinend wie ein kleines Kind…



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