Zum Inhalt der Seite

Lauter Einzelteile

26 Teile des Lebens, die sich Sterben nennen
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Eidesis

Als sie auf das Mauerwerk der Uhr sah, waren gerade zwanzig Sekunden vergangen, seit sich die vierzehnte Minute der zweiundzwanzigsten Stunde verfestigt hatte. Gemeinsam mit dem Massiv der einundzwanzigsten Sekunde drehte sie sich wieder um.

Der Faden sirrte an ihrer behauenen Handinnenfläche entlang und spannte sich kraftvoll an der Wand ihrer Fingerkuppe, sodass es fast wehtat. Doch sie war stärker. Schon längst hatten sich Schuppen auf ihre steinernen Augen gelegt, auch wenn sie nicht drei von ihnen besaß und nur ein Lebensalter zählte, das wie ein Fels vor ihr selbst stand. Sie war sich viel zu sicher, um dieser Mauer nachgeben zu können.

Sie hörte den in Stein geschlagenen Geräuschen der Uhren zu, leiser und lauter Einzelteile eines labyrinthischen Urgesteins schlugen im pochenden Herzen, während der kräftige Faden über ihre Finger stieß. Es klang penetrant und überheblich, doch sie mochte das harte Klacken und Ticken der Zeiger, das stumme Rieseln des aus Millionen Steinen bestehenden Sandes, das Zerren an den kalten Ketten und blechernen Zapfen.

Mit den dürren, für ihre paranoide Sicht hautlosen Knochenfingern griff sie nach der ehernen Schere. Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Faden rot war. Wie Mauerverputz, der bereits alt geworden war, bröckelte die Farbe in ihre blockierte Sicht. Doch als sie ihn zerschneiden wollte, stieß sie vor ein Hindernis, sodass nur Mörtel und Ziegelsteine zu unterscheiden waren, die sie von allen Seiten einschlossen. Noch immer bahnte sich der Faden einen Weg über die verschiedenen Unebenheiten ihrer Handfläche. Vertrauensvoll folgte sie ihm in seinen Wirrungen. Harte Rhythmen trieben ihre Gehirnwindungen im Kreis. Sie fand keinen Ausweg aus ihrem wie Stein schweren Schädel.

Fadenscheinig ragte das massige Monstrum vor ihr auf, als sei es morsch geworden, machtlos, kraftlos.

Sie grinste hart.

Der rettende rote Faden, ihre hagere Hand, die die starre Schere hielt, die kalte Spitze, sie trafen, einander, unaufhaltsam, unausweichlich, unauslöschlich, tot.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück