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Lauter Einzelteile

26 Teile des Lebens, die sich Sterben nennen
von

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Fest

Das wird ein Fest. Die Alten und Guten stehen längst bereit und warten. Sind von ihren Meinungen überzeugt, tragen Flaggen und Kreuze vor sich her durch die Stadt. Halten Abstand zu uns, als wollten sie uns zeigen, dass wir nicht zu ihnen gehören. Machen das nur im festen Glauben, wollen ihre Kinder beschützen, ihre Familien, ihre Kultur und alles, was man vor dem Anderssein beschützen muss.

Aber wir sind nicht anders. Wir schützen die Unschuld, die sich nicht wehren kann.

Wir beschützen die Mutter mit ihrem Baby vor den Schlitzaugen, die ihr die Nahrung für den Nachwuchs wegkaufen. Unsere hochwertigen Produkte wollen die in die Welt verschiffen, die Mafia steckt da auch mit drin. Jeder nur zwei, maximal drei Packungen täglich. Wir erkennen euch sogar, wenn ihr mehrmals am Tag auftaucht und euer krummes Ding durchzieht. Immer auf die Fresse.

Wir beschützen die verhüllten Frauen, die ein paar Schritte weiter hinten laufen müssen. Wir schlagen ihre Männer zu Brei, reißen ihnen die Tücher herunter und fassen ihre Haare an. Das finden die schlimm, können dann nicht mehr heiraten und dann geht es ans Weiberabschlachten in den eigenen Reihen. Daneben stehen wir und lachen.

Wir beschützen das kleine Mädchen auf der Rutsche vor dem Mann in Orange, während Pfennige vom Himmel fallen. Das Geld ist aus der aufgerissenen Tasche geflogen, als wir den Kerl am Kragen und an der Hose packen. Stoff reißt unter unserem Griff. Wir halten fest und schlagen fest zu, bis das Blut auf den Gehweg spritzt. Es ist ein herrlicher Tag.

Unsere unehrlichen Mitstreiter stehen am Rand, halten anders als wir nur weiter ihre Flaggen und Kreuze fest und sind in Wahrheit froh, dass einer den Dreck wegräumt. Sind eigentlich froh, dass sie was zum Gucken haben. Dann schaut nur her, schaut uns zu.

Wir sind das Volk. Wir sind die Macht. Wir sind das Fest.

Die Punks singen, unser Fußtritt sei ein Schrei nach Liebe. Wir sagen, unser Fußtritt ist unser Standpunkt der Zusammengehörigkeit. Manche wechseln von links nach rechts und umgekehrt, doch unser Wort ist dasselbe und unsere Faust so fest wie das Wort.

Die Medien behaupten, wir hätten keine Argumente, aber was sie sagen, ist Rabulistik. Auch unsere Köpfe stammen aus dem Bildungsbürgertum. Lügenpresse, auf die Fresse. Die Fingerknöchel riechen nach Tod und Loyalität. Pack nennen sie uns und treffen damit jene fahnentragenden Köpfe, die getroffen werden wollen. Pack mit an, alter Mann, rufen wir und lassen für sie unsere Fäuste sprechen. Wir brauchen keine Argumente, denn wir haben eine gemeinsame Meinung. Was alle denken, ist Recht und richtig. Gemeinsam sind wir stark. Nur gemeinsam haben wir Macht und Macht stärkt unseren Gemeinsinn. Macht durch Disziplin, Gemeinschaft und Handeln! Das Zusammengehörigkeitsgefühl hält uns fest.

Unsere Idee bedeutet nicht die Unterordnung des Ganzen unter den Einzelnen, sondern die Hingabe des Einzelnen für das Ganze. Einer für alle, alle für das Ganze. Lauter Einzelteile sind sie, die laute Gesamtheit sind wir.

Es gibt kein Ich und kein Du. Es gibt nur uns und die Anderen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Was bewegt Menschen dazu, sich in Ideologien hineinzusteigern und sie mit Hass aufzuladen, obwohl sich an ihrer Lebenssituation nichts geändert hat und sie keinen Grund für ihre Wut besitzen? Ich wohne in Sachsen, nicht weit entfernt von Heidenau, und höre immer wieder von ganz normalen Leuten, mit denen ich sonst gut auskomme, menschenverachtende Kommentare über Flüchtlinge oder generell über Ausländer. In Notsituationen werden Menschen zu Monstern, das stimmt, aber was bringt sie dazu, ihre Menschlichkeit zu verlieren und Notleidende anzufeinden, wenn es ihnen selbst eigentlich gut geht? Ist es vielleicht wirklich nur die Suche nach einem Gemeinschaftsgefühl, das ihnen ohne Ideologie fehlt? Diese Fragen beschäftigen mich in letzter Zeit häufig, ohne eine Antwort darauf zu finden.
Dieser Text ist bewusst aus umgekehrter Sicht verfasst. Ich weiß, dass man das leicht falsch verstehen oder sich davon angegriffen fühlen kann, darum entschied ich mich am Schluss für diese lange Anmerkung. Dennoch möchte ich an dieser Stelle nichts über meine Beweggründe schreiben. Stattdessen interessiert mich, welche Gedanken beim Lesen ausgelöst wurden.
Der Vollständigkeit halber muss ich darauf hinweisen, dass ich mich bei manchen Formulierungen an Mein Kampf von Adolf Hitler orientierte. Die Hingabe des Einzelnen für das Ganze ist ein Zitat von ihm. (Nach deutschem Recht ist das Zitieren erlaubt, solange es nicht kommerziellen Zwecken dient oder damit Volksverhetzung gegen bestimmte Menschengruppen betrieben wird.) Des Weiteren stammt die Devise von Macht durch Disziplin, Gemeinschaft und Handeln aus dem Roman Die Welle von Morton Rhue. An zwei Stellen finden sich Anspielungen auf die Lieder Schrei nach Liebe von den Ärzten und Slide von den Dresden Dolls. Komplett anzeigen

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