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Warmes Blut gefriert nicht

LavixKanda
von

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..Die grausame Vergangenheit, die schmerzhafte Gegenwart..

Er lachte fröhlich.

„Mama! Mama schau doch mal was ich kann! Ich bin ein Superheld Mama!“

Er strahlte über das ganze Gesicht.

„Bist du jetzt stolz auf mich Mama?“
 

Ein Schlag. Das Kind lachte nicht mehr. Noch ein Schlag. Tränen.

„Mama hör auf! Das tut weh Mama!“

„Teufel! Teufel!“

Blut. Schmerz. Angst.

„Wieso.. Mama?“
 

Warum..?

Warum ist keiner da?

Warum rettet mich keiner?

….Beschütze mich.. bitte beschütze mich….

Kannst du mich retten, mich beschützen?

…..Beschütze mich…..
 

Weil es deine Bestimmung ist.

Du musst sie retten. Werde stark. Werde der Stärkste von allen.

Und stirb nicht, bevor du sie gefunden hast. Diese Person..

Diese Stimme..?

Es ist so hell.

Habe keine Angst. Du brauchst nicht weinen.

Ich schenke dir diese Blume und damit dein Leben.

Die Blume..

Rette sie.. rette diese Person

Weine nicht.

Erfülle deine Bestimmung

…die Liebe…hörst du.. Lie..
 

„Yu-chan! Hey Yu-chan!“

Nenn mich nicht bei meinem Vornamen…

„Allen ist eingeschlafen und da habe ich sein Gesicht angemalt! Willst du es sehen?“

Sein Lachen…Lavi..

Lavi
 

…Blut..?

Lavi?

Lavi?

„Yu…cha..n..“

Lavi!

Wieso…? Nein! Sein Blut.. Wieso seins? Wieso er? Bitte.. nicht..

Lavi…
 

Mit einem Ruck erwachte Kanda in seinem Bett. Schweißgebadet saß er kerzengerade und krallte sich mit seinen Fingern in die Decke. Panisch ließ er seinen Blick schweifen und als er erkannte, dass er in seinem Zimmer war und alles nur ein Traum, ließ er sich zurück in das Kissen sinken.

„Nur ein Traum.. ein böser Traum.. aber warum ausgerechnet jetzt..?“ murmelte Yu leise und strich sich einige verschwitzte Strähnen aus dem Gesicht. Er schloss für einen Moment die Augen, doch stand er dann auf. Wieder ließ er seinen Blick schweifen. Auf dem Stuhl konnte er Mantel und Umhang entdecken, so wie einen Blutverschmierten Verband. Er fasste sich kurz an den Kopf. Was war noch einmal passiert? Wie war er hierher gekommen?

Er war durcheinander und immer wieder kam ihm sein Traum in den Sinn. Es war lange her dass er geträumt hatte, es war lange her, dass er über seine Vergangenheit geträumt hatte. Aber wieso war Lavi ihm erschienen? Lavi hatte nichts mit seiner Vergangenheit zu tun. Lavi hatte rein gar nichts mit ihm zu tun.

Gedankenverloren stand er in seinem dunklen Zimmer und merkte nicht, wie ein kleiner Spalt zwischen seinen Vorhängen etwas Mondlicht auf seinen Rücken fallen ließ.
 

Nachdem Kanda duschen gewesen war und sich eine schwarze Hose und ein weißes Hemd übergezogen hatte, streifte er leise durch das stille und menschenleere Hauptquartier. Er traf niemanden in den endlos langen Gängen an, alle schliefen sie noch, war ja noch nicht einmal die Sonne aufgegangen.

Yu wanderte ziellos umher. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen und die tiefe Unruhe in sich zu bändigen.

Plötzlich hörte er einen Aufschrei und im nächsten Moment sprang eine Tür polternd auf und verfehlte ihn knapp. Und als ob dies nicht schon verwunderlich genug wäre, rannte plötzlich Lavi aus diesem Raum. Als Lavi ihn erblickte, hellte sich seine Miene auf, doch ein weiteres krachendes Geräusch ließ ihn erschreckend in den Raum zurückschauen, ehe er Kandas Hand ergriff und schon losrannte.

„Lauf Yu! Lauf so schnell du kannst! Komui hat wieder einer seiner Komurins erfunden! Ich glaube, dieser ist der Schlimmste!“

„W-was?“

Kanda war zu durcheinander gewesen, um rechtzeitig zu reagieren. So wurde er von Lavi weiter gezogen, während es hinter ihnen immer wieder mal laut krachte und polterte. Instinktiv griff Yu an die Stelle, wo sonst immer sein Schwert hing, um jedoch mit Schrecken festzustellen, dass er es im Zimmer gelassen hatte. Als er nach hinten blickte und sah, wie Komurin eine Säule rausriss und nach ihnen werfen wollte, gab er den Drang auf, sich von Lavi losreißen zu wollen und sich Komurin zu stellen.

Lavi zog ihn einfach weiter, raus aus diesem Gang, eine Etage tiefer und dann nach draußen in den Garten, der für die Exorzisten als Ort der Ruhe und Entspannung angelegt worden war. Hinter einem großen Baum blieb Lavi stehen und ließ Kandas Hand los, stützte seine Hände auf die Oberschenkel und schnappte erst einmal nach Luft.

„Man! War das knapp gewesen! Beinahe hätte er uns platt gewalzt!“

Er schaute zu Yu und grinste dann fröhlich, jedoch warf Kanda, der sich gegen den Baum gelehnt hatte, ihm einen mürrischen Blick zu.

„Bist wohl mit dem falschen Bein aufgestanden, was?“ fragte Lavi und grinste immer noch fröhlich vor sich hin. Mittlerweile bildete sich am Horizont ein roter Schimmer, der nach und nach größer wurde und den Garten in ein warmes Licht tauchte.

„Pah..“ machte Yu leise und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wie lange habe ich geschlafen?“

„Oh.. nicht so lange wie zuvor. Vor einen Tag sind wir zurückgekommen. Geht’s dir schon besser? Du siehst immer noch müde aus.“

Yu sah Lavi an, welcher sich mittlerweile hingesetzt hatte und sich gegen den Baum lehnte.

Langsam fiel es ihm wieder ein, ihre Mission, das Gift, die Verletzung, der Kampf, alles. Er schob sein Hemd ein Stück hoch, doch an seiner Seite war nicht mal eine Narbe zu sehen. Seine Wunde war vollständig verheilt.

„Na super! Bist ja wieder der Alte! Wir sollen übrigens bis morgen unsere Berichte abgeben. Ich hab meinen schon fertig, kannst von mir abschreiben wenn du willst.“

Kanda verdrehte etwas die Augen und verschränkte wieder seine Arme. So etwas hatte er nun wirklich nicht nötig. Er seufzte leise und sah dann auch zum Horizont, wo seine Gedanken wieder um seinen Traum zu kreisen begannen. Und obwohl die warmen Sonnenstrahlen ihre Haut streiften, empfand Kanda nur Kälte.
 

„Mama hör auf! Das tut weh Mama!“

„Teufel! Teufel!“
 

„..Beschütze mich…“

„Hm? Hast du was gesagt Yu-chan?“

Kanda schreckte aus seinen Gedanken, als er Lavis Stimme hörte.

„Nein.. nein habe ich nicht..“ murmelte er leise und ging.
 

„Hmmmmm… Yu-chan war heute aber seltsam drauf..“

Lavi verschränkte die Arme hinter dem Kopf und fragte sich, wo Kanda sich wohl rum trieb. Beim Essen hatte er ihn nicht gesehen.

„Vielleicht verzweifelt er ja an seinem Bericht.“

Lavi lachte leise, denn die Vorstellung, Yu schwer grübelnd an einem Schreibtisch zu sehen, fand er mehr als nur amüsant.

„Ich sollte unbedingt nachschauen, ob ich Recht habe!“ sagte er vergnügt und wollte sich schon auf den Weg zu Kandas Zimmer machen, doch einer Intuition folgend, trat er erst an das Fenster im ersten Stock, von wo man aus in den Garten sehen konnte.

„Oh…“

Lavi kratzte sich etwas am Hinterkopf, als er Yu sehen konnte, wie er im Garten stand, mit verbundenen Augen und Mugen in der Hand.

„Soviel zu meiner Ich-verzweifle-an-meinem-Bericht-Theorie.. aber dass er jetzt schon wieder trainiert…“ murmelte Lavi, stützte seinen Kopf auf der Hand ab und schaute Yu ein wenig zu.

Kanda führte langsame und gleitende Bewegungen durch, jeder seiner Muskeln war dabei angespannt und Lavi wusste, dass Yu gerade höchst konzentriert war und Übungen zum lenken und kontrollieren seiner Kraft machte. Und obwohl seine Bewegungen langsam waren, steckten sie dennoch so voller Energie. So einen Zustand zu erreichen war nicht einfach, vor allem nicht seine Energien so präzise zu lenken. Es sah beinahe so aus, als würde er die Luft zerschneiden.

Lavi gefiel es Yu dabei zu zusehen, wie geschmeidig, leicht und doch kraftvoll seine Bewegungen waren. Er hatte Yu schon des Öfteren beim trainieren zugesehen und es wunderte ihn wirklich nicht mehr, dass Kanda so stark geworden war.

Ein lautes Fluchen von Yu unterbrach jedoch die träumerische Stille und ließ Lavi etwas zusammenzucken. Kanda riss sich die Augenbinde ab und warf sie wütend zu Boden, ehe er einen Moment inne hielt, doch dann mit einer Bestimmtheit direkt zu Lavi hochsah und ihm einen kühlen Blick zu warf. Dann wandte er sich von ihm ab, ergriff sein Handtuch und wischte sich etwas den Schweiß von der Stirn.

„Uhh.. er ist aber mächtig wütend..“

Das hielt Lavi jedoch nicht davon ab, hinunter in den Garten zu springen und sich zu Yu zu gesellen.

„Warum hast du so einfach aufgehört, Yu? Sah doch super aus!“

„Ich war unkonzentriert.. und nun lass mich in Ruhe.“

„Irgendwie.. siehst du ganz schön unglücklich aus… Komm, lass uns was Witziges machen, damit du auch mal deine Lachmuskeln trainierst!“

Yu spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Lavi sollte aufhören damit. Er sollte nicht näher kommen, nicht genauer hinsehen.

„Lass mich endlich in Ruhe! Tz..!“

Mit diesen Worten ergriff Kanda erneut die Flucht vor Lavi und ließ ihn verdutzt dreinblickend zurück.
 

„Du glaubst also, sie hatten Hilfe?“

Kanda nickte.

„Und nicht nur irgendwelche Hilfe.. Ich glaube, wir haben einen Verräter. Jemand, der so ein Gift herstellen kann, muss verdammt gut über die Innocence und ihre Träger Bescheid wissen. Akuma sind für so etwas zu dumm. Auch die mit höherem Level. Sie wären zu so etwas nicht in der Lage, aber jemand, der Tag ein und Tag aus mit Innocence und Exorzisten zu tun hat, der schon.“

Komui senkte nachdenklich den Blick.

„Das ist ein harter Vorwurf..“

„Ich weiß.“

Kanda sah ihn durchdringlich an, aber Komui sah weiterhin nachdenklich auf seinen Schreibtisch. Er konnte es sich kaum vorstellen. Sie sollten einen Verräter haben? Wer würde so etwas nur tun? Doch dann fiel ihm der Fall mit Suman ein und er seufzte schwer.

Möglich wäre es, dass einer sie verriet, egal wie sehr ihm dieser Gedanke missfiel. Und Kandas Sorge war nicht unbegründet. Wenn sie wirklich einen Verräter hatten, dann waren die Exorzisten in größter Gefahr. Wenn sie hier vergiftet werden würden.. nein, das wollte sich Komui gar nicht ausmalen. Denn schon allein die Vorstellung, dass die Exorzisten noch nicht einmal in ihrem eigenen zu Hause, vor ihren eigenen Verbündeten sicher waren, ließ Übelkeit in ihm aufsteigen.

„Komui!“

Komui und Kanda sahen zu Reever, der gerade in das Büro gestürmt kam.

„Die Proben... die Proben die Lavi und Kanda mitgebracht haben.. es.. es sind exakt die gleichen, die letztens gefehlt haben! Irgendwer.. hat sie entwendet!

Und mit einem lauten Klirren war Komuis Tasse zu Boden gefallen und zerbrochen.
 

Die Liebe... die Liebe wird dich zu ihr führen.

Werde stark...

Weine nicht.. du wirst glücklich sein. Sie wird dir nicht wehtun.

Finde die Person und rette sie, dann wird sie auch dich retten.
 

„Stirb! Stirb Teufel!“

„Mama...“
 

„Yu!“

Lavi...

„Ach komm schon Yu-chan! Das wird witzig!“

Wieso lachst du immer..? Wieso bist du immer so glücklich?

„Yu..?“

Nein.. sieh mich nicht an! Geh weg! Lass mich alleine.. lass mich hier alleine.. in dieser Dunkelheit..

„Lass es gut sein Yu, okay? Lass uns eine Pause machen....“

Eine Pause.. tz..

„Du solltest mal dein Fenster aufreißen und laut laut lachen.....“

Ein Schrei? Sein Schrei!

Blut. Viel zu viel Blut.

„Yu...cha..n...“

NEIN!
 

„NEIN!“

Kanda schreckte erneut aus einem seiner Alpträume und hielt sich den Kopf.

„Nein.. nicht schon wieder... nicht schon wieder...“

Seit vier Tagen träumte er schon diesen Alptraum. Doch von Tag zu Tag wurde er schlimmer. Von Tag zu Tag spürte er die Schläge, die Schnitte, die Verbrennungen deutlicher. Von Tag zu Tag wurde Lavis Tod grausamer. Langsam konnte er nicht mehr. Er wollte sich nicht mehr erinnern, er wollte nicht mehr sehen. Es war genug, einfach genug.

Yu musste tief Luft holen, um sich etwas zu beruhigen und wieder einen klaren Gedanken fassen zu können.

Er stand mit leicht zitternden Händen auf und sah sich in seinem Zimmer um. Das erste Mal gab ihm sein Zimmer keine Sicherheit mehr. Er fühlte sich angreifbar, verletzbar hier drinnen. Er fühlte sich eingesperrt, schon beinahe erdrückt in der Dunkelheit seines Zimmers.

„Bitte.. beschütze mich...“

Kanda biss sich auf die Unterlippe und versuchte auszuharren. Es war sein Zimmer, hier war er er selbst, hier war er sicher. Doch eine unbekannte Angst überfiel ihn und bevor er wusste was er tat, rannte er aus seinem Zimmer, raus aus der Dunkelheit, mit dem nur einen Wunsch, wegzurennen und etwas, jemanden zu finden, der ihn beschützen würde.

Erst als er den Garten erreichte, blieb Yu stehen und schaute sich suchend um, doch niemand war da, keiner. Er war alleine und nur der abnehmende Mond erhellte mit seinem schwachen Licht den Garten.

Nein, das hier, das hatte er nicht gesucht. Dennoch rührte er sich nicht vom Fleck, rannte nicht weiter, wohin sollte er denn auch? Hier gab es nichts, niemanden, zudem er hätte laufen können. Sein Herz zog sich zusammen. Seit er diesen Alptraum hatte, war es so schrecklich kalt geworden.
 

Irgendwann hatte sich Kanda an den Baum gesetzt und dort den Rest der Nacht nachdenkend, alleine und frierend verbracht. Die Sonne war schon seit einiger Zeit aufgegangen und strahlte in vollen Zügen. Sie schien ihm ins Gesicht, aber er fühlte ihre Wärme schon gar nicht mehr. Ja, es versprach ein wunderschöner Tag zu werden und Yu hasste es. Er hasste jeden wunderschönen Tag, der nur für ihn nicht schön sein wollte. Der ihn aus seiner Schönheit ausschloss.

Die Sonne war wirklich grausam. Das hatte er schon als kleines Kind so empfunden. Egal was passiert war, egal wie schlecht es einem ging, die Sonne lachte einfach schadenfroh weiter. Die Sonne lachte, als wäre es ihr vollkommen egal. Die Sonne verriet einen. Aber die Dunkelheit, die Dunkelheit litt mit einem. Sie lachte nicht, nein, die Dunkelheit lachte nie. Aber warum hatte er das Gefühl, dass nun auch die Dunkelheit ihn verraten wollte? Wo sollte er hin, wenn noch nicht einmal die Dunkelheit ihm Schutz bot?

Er machte sich etwas kleiner, denn es wurde nur noch kälter. Er verstand nicht warum, aber er schaffte es einfach nicht mehr, sich warm zu halten.

„Wieso ist es nur so kalt..?“

„Kalt? Dir ist kalt? Hier, dann nimm meine Jacke.“

Eine Jacke landete auf seinen Schultern, was ihn heftig zusammenzucken ließ. Er war so in Gedanken gewesen, dass er nicht gehört hatte, wie Lavi zu ihm getreten war.
 

„Haha! Du musst ja wirklich ganz weg gewesen sein! Ich hab dich schon von dort vorne gerufen.“

Lavi lächelte fröhlich, doch als Yu zu ihm hochsah, trat Sorge in sein Gesicht.

„Hey.. du siehst nicht gerade gut aus... Ist alles okay Yu-chan? Nicht das du krank wirst..“

Kanda sah schon seit einiger Zeit so müde und erschöpft aus, er hatte Augenringe und im Moment konnte Lavi noch nicht einmal Stolz in Kandas Augen erblicken. Das einzige was er noch in seinen Augen sehen konnte, war eine Leere, die ihm sein Herz durchbohrte.

„Yu?“

So hatte er Yu noch nicht erlebt. Irgendetwas war nicht in Ordnung, ganz und gar nicht.

„Ich brauch deine Jacke nicht..!“

Kanda stand auf und Lavi ahnte schon, dass Yu nur wieder flüchten würde, weswegen er ihm beide Hände auf die Schultern legte, ehe Kanda sich die Jacke abstreifen konnte, und ihn Richtung Ausgang schob.

„Was soll das? Lass mich los!“

„Nichts da! Ich mach mir Sorgen um dich Yu! Findest du nicht auch, dass es langsam Zeit wird..?“
 

Plötzlich war es warm geworden, für einen kleinen Moment, und als er aufsah, konnte er zu Lavi hochsehen. Er brauchte einige Momente bis er realisiert hatte, dass Lavis Jacke für den Augenblick der Wärme verantwortlich war. Doch warum hatte Lavi ausgerechnet jetzt auftauchen müssen? Warum jetzt, wo er sich so schrecklich schwach fühlte?

Nein, er musste schnell weg, Lavi sollte ihn nicht so sehen. Aber Lavi war schneller und schob ihn schon aus den Garten hinaus, mit bestimmenden Griff, und er wusste nicht wieso er sich jetzt nicht mit allen Mitteln wehrte, um von ihm loszukommen. Lag es vielleicht an seinen Worten? Es wurde langsam Zeit...? Zeit wofür? Aber diese Worte regten irgendetwas in ihm und ehe er sich versah, fand er sich in Lavis Zimmer wieder.

In diesem Zimmer war es sehr hell, die Sonne schien aus dem Fenster direkt hinein. Das Bett stand gegenüber von dem Fenster, links davon ein kleiner Schrank und ein Schreibtisch. Der Rest des Zimmers war übersehen von Büchern. Ihm fiel auf, dass er noch nie hier gewesen war.

„Yu.. nun erzähl mir doch endlich, was dich so quält! Denkst du denn wirklich, dass mir das nicht auffällt? Was ist los..?“

„Tz.. ich schlafe nur schlecht in letzter Zeit, das ist alles!“

Kanda verschränkte die Arme vor der Brust und sah zur Seite.

„Und das sicher nicht ohne Grund, oder? Hör endlich auf zu denken, du könntest mir etwas vor machen! Ich weiß, dass es dir nicht gut geht, also rede endlich mit mir! Bitte Yu.. ich will dir doch nur helfen!“

„Verdammt.. ich träume schlecht! Nun zufrieden?! Ich brauche deine Hilfe nicht, ich komme alleine zu recht!““

Yu merkte, wie Wut in ihm aufstieg. Lavi mit seiner aufdringlichen Art, er verstand doch gar nichts, er kannte ihn nicht, wie konnte er sich nur so anmaßen?

„Du weißt gar nichts! Du weißt nichts über mich! Also lass mich in Ruhe!“

„Dann erzähle mir von dir.. denn ich will mehr über dich wissen. Yu.. versuch es, okay? Erzähl mir was du träumst und was dich so bedrückt. Sollte ich dir nicht helfen können, dann werde ich dich auch in Ruhe lassen, in Ordnung? Gib mir eine Chance!“

„Pahh.. meinetwegen.. wenn du mich danach endlich in Ruhe lässt!“

Er lehnte sich gegen die Zimmerwand und ließ seine Arme verschränkt. Er würde Lavi nicht alles von seinem Traum erzählen, nur einen kleinen Teil und dann würde Lavi feststellen können, dass er nichts würde tun können und er würde ihn endlich in Ruhe lassen. Ja, genau das wollte er. Lavi sollte ihn endlich in Ruhe lassen.

„Ich träume von meiner Kindheit, von der Zeit, kurz bevor ich in den Orden gekommen bin. Zu der Zeit habe ich meine heilende Gabe entdeckt, nachdem ich beinahe in einem Fluss ertrunken wäre. Ich habe davon meiner Mutter erzählt. Sie hat es jedoch nicht als Gabe angesehen sondern dachte, der Teufel wäre in mich gefahren.. Sie hat mich geschlagen aus Wut und Verzweiflung und jedes Mal wenn meine Wunden heilten, wurde sie nur noch wütender und verzweifelter. Es ging so weit, dass sie versuchte mich umzubringen.“

Kanda versuchte so gleichgültig wie möglich zu klingen, wollte er Lavi doch nicht in sein Herz blicken lassen, doch während er sprach, spürte er jeden einzelnen Schlag, jeden einzelnen Messerschnitt, den seine Mutter ihm zugefügt hatte. Bilder von einem dampfenden Bügeleisen, wie es auf sein Gesicht zuraste, schossen ihm durch den Kopf und ließ seine linke Gesichtshälfte eine unglaubliche Hitze verspüren. Sein Körper konnte sich an alles erinnern. An alles, was seine Mutter ihm angetan hatte.

Seine Finger krallten sich leicht in seinen Arm und er war froh, dass durch seine Gabe keine Narben zurückgeblieben waren.

„Und bist du nun zufrieden? Jetzt weißt du mehr über mich! Tz..! Lach ruhig darüber.. ich weiß, dass es nichts als nur Schwäche ist, nach all diesen Jahren noch davon zu träumen!“

Doch Lavi lachte nicht. Er sah ihn an, mit einem traurigen und mitfühlenden Blick und dann tat er etwas, womit Kanda nicht gerechnet hätte.
 

„Yu...“

Lavi drückte ihn an sich, nachdem er die Arme um ihn gelegt hatte und würde ihn am liebsten nie wieder loslassen. Auch wenn Yu gleichgültig getan hatte, hatte er durch ihn hindurch gesehen und den tiefen Schmerz erkannt, die diese Erinnerungen in sich trugen. Er hatte seine Angst gespürt, so viel gelitten, er hatte so viel, zu viel, gelitten. Es war schrecklich, wie es ihn zur Waffe gemacht hatte.

Und dabei ahnte er noch nicht einmal, wie viel wirklich hinter diesem Traum steckte.
 

„Lass das! Ich brauch so etwas nicht, kapiert!?“

Yu drückte Lavi von sich, bevor dessen Wärme Besitz von ihm ergriff, denn er wusste, er wäre wie schon auf ihrer Mission zu schwach, um ihr zu widerstehen. Doch Lavi ergriff ihn am Handgelenk und zog ihn erneut an sich und hielt ihn dieses Mal fester.

„Yu.. du bist doch auch nur ein Mensch. Menschen können nicht immer nur kämpfen und vor allem nicht alleine. Du brauchst nicht mehr alleine zu kämpfen, Yu.. Lass mich für dich kämpfen und dich gleichzeitig beschützen. Lass mich dich beschützen.. Nicht weil du schwach bist, keiner, keiner hier denkt, dass du schwach bist. Und vor allem ich nicht. Ich will dich doch nur Lächeln sehen, dass wollen wir alle! Weil wir dich lieben.. Wir lieben dich Yu.. selbst Allen. Jeder liebt dich auf seine Art und Weise.“

Und ich... ich liebe dich ganz besonders.. fügte er in Gedanken hinzu.
 

Lavis Worte brachen durch seine Mauer hindurch und hinterließen ein reines Schlachtfeld in seinem Inneren. Seine Mauer, seine schützende Mauer, die ihn noch nie im Stich gelassen hatte, war zerbrochen, in tausende von Trümmern geschlagen. Und jetzt, wo seine Mauer nicht mehr stand, jetzt, wo er sich nicht mehr selber schützen konnte, erfasste Lavis Wärme ihn mehr als jemals zuvor.

Für wenigstens einen Moment wollte er Lavis Worten glauben, wollte glauben, dass es okay war, wollte glauben, dass er eine Pause von dem ständigen Kämpfen machen konnte und das Lavi, das Lavi ihn wirklich beschützen würde.

„Bitte... bitte beschütze mich..“ murmelte er leise, während er sich an ihn drückte und sein Gesicht in Lavis Halsbeuge verbarg. Und als Lavi ihn nicht losließ, fühlte er sich das erste Mal in seinem Leben wirklich beschützt.
 

„Yu.. ich beschütze dich...“ flüsterte Lavi leise in sein Ohr und fuhr mit seiner Hand sanft über Kandas Rücken. Er war so froh, dass Yu sich endlich ein klein wenig geöffnet hatte. Endlich konnte er für ihn da sein, ihm helfen. Ein kleines Lächeln umspielte Lavis Lippen bei diesem Gedanken. Er hatte sich wirklich lange gedulden müssen.

Nach einer Weile spürte er, wie Kanda sich mehr und mehr gegen ihn lehnte und als er genauer hinsah stellte er fest, dass Yu eingeschlafen war. Lavi konnte darüber nur etwas grinsen, doch hob er Yu dann hoch und legte ihn in sein Bett. Nach diesen Augenringen zu urteilen, waren die Nächte sicher schlaflos gewesen und er konnte sich vorstellen, wie müde Kanda sein musste. Für einen kurzen Moment überlegte er, die Vorhänge zuzuziehen, doch entschied er es sich anders. Wenn Yu sich ausgeschlafen hatte, sollte er in Licht erwachen. Die Zeit der Dunkelheit war vorbei. Ab heute würde er ihn nie wieder zurück in diese Dunkelheit gehen lassen.

Lächelnd sah er ihm zu wie er schlief. Seine Gedanken kreisten jedoch um Kandas Vergangenheit und je länger er darüber nachdachte, desto mehr verschwand sein Lächeln. Yu hatte es wirklich nicht einfach gehabt und er fragte sich, ob genau das der Grund war, wieso er sich so verschlossen hatte.

Kandas unruhige Bewegungen und sein gequältes Gesicht rissen ihn jedoch aus seinen Überlegungen. Lavi war sich sicher, dass Yu wieder schlecht träumte, weswegen er sich vorsichtig zu ihm legte. Sanft strich er ihm einige Strähnen aus dem Gesicht, ehe er einen Arm um ihn legte und Kanda sachte an sich drückte.

„Ich bin bei dir.. es ist okay. Ich beschütze dich Yu..“

Und tatsächlich, Kanda wurde langsam ruhiger und sein Gesicht entspannte sich wieder. Zufrieden schloss Lavi sein Auge.
 

Durch warme Sonnenstrahlen wurde Yu sanft aus seinem Schlaf gezogen. Er öffnete die Augen, doch musste er sie sofort wieder schließen, denn das Licht blendete ihn.

„So hell..“ murmelte er leise und öffnete die Augen erneut, dieses Mal langsamer und vorsichtiger. Ein Anflug eines Lächelns war auf seinem Gesicht zu erkennen.

„Es ist warm... so warm war es noch nie..“

Er fragte sich, ob er träumte. Das konnte doch nicht wahr sein, dafür war es zu schön. Warum sollte der Tag plötzlich auf seiner Seite sein? Warum sollte die Sonne ihn mit ihrer Schönheit beschenken?

Als er nach rechts sah, fand er die Antwort. Er war hier. Natürlich schien da die Sonne, sie schien immer, wenn er da war. Ja, Lavi war schon immer wie die Sonne gewesen. Hell, stark, schön und warm. Und es gab Zeiten, da hatte er ihn dafür gehasst, genauso wie er die Sonne gehasst hatte. Doch es war egal wie sehr er ihn und die Sonne hasste, am Ende hatte er sich dennoch nach ihnen gesehnt.

Beide waren wirklich grausam. Und dennoch war er hier und der Gedanke, dass er froh darüber war und er sich wünschte, für immer so neben ihm liegen zu können, ließ Hitze in seine Wangen steigen. War es denn wirklich okay? Er konnte es sich kaum vorstellen. Noch nie lag seine Seele so offen wie jetzt und er verspürte die Angst, dass er es bereuen würde. Lavi könnte ihn verletzen. Es wäre so einfach. Wollte er dieses Risiko wirklich eingehen?

Nein.

Es würde schief gehen. Er musste gegen diese Schwäche kämpfen. Kämpfen..? Schon wieder kämpfen? Hatte er dies nicht schon die ganze Zeit getan?

Er war es müde zu kämpfen.
 

Leise stand Kanda auf und trat ans Fenster. Er sah hinauf in den wolkenlosen Himmel. Wenn die Sonne doch nie mehr gehen würde. Wenn er diesen Moment einfrieren könnte, er würde es sofort tun.

„Bitte.. geh nie wieder..“

Langsam senkte Yu seinen Blick wieder. Er sollte aufhören sich etwas vorzumachen. Die Sonne würde untergehen und ihn wieder alleine in der Dunkelheit lassen. Und mit der Sonne würde er auch gehen. Er ballte die Hände zu Fäusten.

Drehe mir nicht den Rücken zu! Drehe mir nicht den Rücken zu! Nicht nachdem du mir das hier alles gegeben hast!

War es schon zu spät? Nein, wenn er der Sonne und Lavi den Rücken zudrehte, dann würde es so wie früher werden. Das Licht passte doch nicht zu ihm. Er hätte es beinahe vergessen. Zu ihm passte nur die Dunkelheit, nur die Zerstörung. An seiner Seite war sie schon immer gewesen, die Zerstörung. Und sie würde nicht so einfach gehen, nur weil er es sich wünschte.

Er wandte sich von dem Fenster ab.

„Willst du etwa schon gehen..? Willst du wirklich gehen Yu?“

Ein wenig erschrocken schaute er zu Lavi. Seid wann war er wach?

„Du wirst nie heilen, du wirst nie fühlen, solange du dir weiter ins Gesicht lügst.“

Mit ernstem Blick war Lavi aufgestanden und hielt ihm die Hand hin.

„Geh nicht.. ich bitte dich Yu. Bleibe bei mir und ich werde dir zeigen, wie schön das Leben ist. Ich werde dir das ganze Licht zeigen.“

Ein sanftes Lächeln legte sich auf seine Lippen.

„Nimm meine Hand.. und dann lass uns von hier aus zusammen gehen.“



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