Arkham
Mein Name ist Harleen Quinzel.
Ich bin Ärztin. Fachrichtung Psychiatrie. Es ist nicht leicht, sein Fachgebiet zu finden. In der Regel wälzt man, mehr oder weniger zerrissen zwischen dem einen Thema und einem anderen, Bücher, schlägt Informationen nach, die einem ohnehin schon grob bekannt sind und entscheidet sich, mehr oder weniger nach Zufallsprinzip, in welche Richtung es einen in Zukunft verschlägt. Bei mir war das anders. Private Ereignisse und daraus resultierende Erkenntnisse, auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen werde, nahmen mir die Entscheidung weitestgehend ab.
Jetzt bin ich hier. Arkham Asylum, Residenz der wirklich Irren, jener, die es vorgeben zu sein und denen, die versuchen, Ordnung in diesen Eimer voll wirrer Gedanken zu bringen. Eigentümer ist Jeremia Arkham, ein, wie es mir scheint, recht verwunderlicher Arzt mittleren Alters, der zeitweise nicht zu wissen scheint, ob er sich in diese Abgründe verlieren oder bei Verstand bleiben soll. Bei meinem Einstellungsgespräch hat er sich beinahe überschlagen, als er meine Noten sah, und jetzt - nun ja - jetzt gehöre ich zum Team der behandelnden Ärzte.
Also, genau genommen, noch nicht so richtig. Heute ist mein erster Tag. Und so kommt es, dass ich morgens um zehn mit wackeligen Knien an der Rezeption stehe, rüde von einer etwas beleibteren Angestellten angewiesen werde, doch zu warten, bis Dr. Swimmer sich meiner annimmt und mich in den Ablauf dieser Klinik einweist. Ich nicke, bedanke mich mit einer Stimme, die leiser klingt, als eigentlich beabsichtigt und sinke, nach wie vor nervös, in einen der gepolsterten Klinikstühle, wie man sie in Wartezimmern jeder Art vorfindet. Es ist relativ ruhig hier, Popmusik in mäßiger Lautstärke dringt aus einem kleinen Radio, welches sich auf der Rezeptionstheke befindet. Wahrscheinlich soll es Angehörige, die das zweifelhafte Vergnügen haben, einen ihrer nächsten Verwandten an diesem Ort besuchen zu dürfen, beruhigen, aber ich persönlich zweifele an der Wirksamkeit dieser Methode.
Schweigend sehe ich an mir herunter. Absatzschuhe, Seidenstrümpfe, Laufmasche. Mein Herz sinkt mir buchstäblich in den Magen, während ich verzweifelt versuche, das Loch mit meinem Rock zu verdecken. Der Erfolg ist mäßig. Meine Hand gleitet zu dem Dutt hoch, den ich mir heute morgen gemacht habe, und vergewissert sich der aktuellen Lage. Harleen Quinzel. Arkham, keinerlei Wind, die Frisur sitzt. Erleichtert atme ich auf - es gibt nichts schlimmeres an einem ersten Tag als ein falscher Eindruck - und rücke mir die Brille, die ich eigentlich nicht brauche, jedoch benutze, um meinem Aussehen etwas mehr autoritäres zu geben, zurecht.
Ein paar Meter neben mir sitzt eine recht junge Frau. Sie ist blond, hat die Haare zu einem Zopf gebunden, scheint jedoch nicht zu merken, dass diverse Strähnen kreuz und quer heraus stehen. Sie macht einen müden Eindruck, ist mager, die Kleidung ist abgetragen und verschlissen. Ein sehr blasses, vielleicht zwei Jahre altes Kind sitzt auf ihrem Schoß, hat den Daumen im Mund und schaut mich mit großen, fragenden Augen an. Ich weiß nicht, zu wem sie gehören, jedoch ist die Absicht ihres Aufenthaltes hier, mehr als offensichtlich. Vielleicht ist ihr Mann hier, vielleicht ist das Kind sogar von ihm. Vielleicht besucht sie ihre Schwester. Es wird keine Freundin sein, die sie hierher treibt. Patienten in Arkham haben keine Freunde mehr. Außer ihrem Wahn haben sie in der Regel gar nichts mehr.
Eine der Glastüren, welche die Lobby mit dem Rest der Psychiatrieflure verbinden, wird aufgeschoben und eine farbige Ärztin mittleren Alters betritt den Raum. Sie ist wohl ein paar Zentimeter größer als ich, die Haare reichen ihr nicht einmal bis zur Schulter. Sie trägt einen weißen Kittel und hat eine Akte unter dem Arm, und auch, wenn sie sich ein wenig verunsichert umsieht, als würde sie jemanden suchen, so strahlt ihre Erscheinung etwas sehr autoritäres aus. Mit dieser Frau ist nicht zu spaßen. Als sie mich sieht, kommt sie auf mich zu.
“Entschuldigung, kann ich Ihnen helfen?”
Unwillkürlich muss ich lächeln, klingt ihre Stimme doch um einiges weicher, als ich zuerst annahm. Ich nicke, stehe auf und streiche mir mit dem Zeigefinger eine blonde Strähne, die sich aus der Frisur löste, hinter das Ohr.
“Harleen Quinzel. Ich arbeite ab heute hier. Man sagte mir, ich solle auf einen Dr. Simmer warten.”
“Der bin ich”, antwortet sie und reicht mir die Hand. Ich ergreife sie, ein wenig überrascht, da ich dem Namen nach mit einem Mann gerechnet hatte, und schüttele sie schweigend. Ein verschmitztes Lachen.
“Oh nein, bitte entschuldigen Sie. Ich bin davon ausgegangen, dass Sie-“
“Das ich ein Mann bin?”
“Ja.”
“Das tun die meisten. Kommen Sie mit mir.”
Sie deutet auf die Tür hinter sich, dreht sich auf dem Absatz um marschiert los.
“An diesem Ort erwarten die meisten Menschen kein weibliches Personal. Scheint ihnen wohl zu gefährlich für eine Frau. Wie dem auch sei, es ist nur eine Frage der Zeit, bis Ihnen das gleiche zum ersten Mal passiert.
Dann verfällt sie in Schweigen, passiert mit mir eine Tür, auf der in großen, schwarzen Lettern ‘Staff Only’ notiert ist und vergräbt sich, kaum hat sie diese hinter sich geschlossen, in einen großen Stapel schwarzer Kartons am Ende des Raumes.
“Was für eine Kleidergröße haben Sie?”, fragt sie, ohne mich anzusehen. Ich nenne sie ihr, und ein wenig später kommt sie mit einem sogar noch eingeschweißten, weißen Kittel auf mich zu.
“Für Sie. Probieren Sie ihn an.”
Ich nicke schwach, öffne die Verpackung, während ich aus den Augenwinkeln registriere, dass sich Dr. Simmer an einem kleinen Safe zu schaffen macht. Es dauert eine gute Minute, bis ich das Klicken der sich öffnenden Safetür vernehmen kann, dann folgt ein leises Rascheln. Dann, gerade als ich an mir, im Kittel, herunterblicke und feststelle, dass er passt, als sei er für mich gemacht, fällt mein Blick auf eine kleine Plastikkarte in Dr. Simmers Hand. Ein Strichcode ist darauf abgebildet, mein Foto. In stiller Faszination nehme ich ihr den Ausweis ab, bemerke, dass neben meinem Namen auch mein Geburtstag und Beruf angegeben sind, und befestige ihn am Kittel. So weit, so gut.
Anschließend folgt die obligatorische Einführung in die Organisation eines Klinikalltages in Arkham. Sie führt mich durch Empfang, Aufenthaltsräume des Personals, Ambulanz, die offene Station, zeigt mir den Ort, an dem die Medikamente gelagert werden und diverse Einzelzellen für eventuelle Notfallpatienten. Das alles geht in einem unheimlich rasenden Tempo von sich, und während ich versuche, mit ihr schritt zu halten, und all die Instruktionen, die sie währenddessen von einem unsichtbaren Tonband, welches sich offensichtlich in ihrem Hirn befinden muss, abspult, in mich aufzunehmen, löchert sie mich mit Fragen jeder Art.
Warum ich mich mit meinen Noten ausgerechnet hier beworben habe, fragt sie. Ob es irgendwelchen tiefgreifenden persönlichen Gründe habe, dass ich diesen Beruf ergriffen habe. Ob ich aus Gotham sei, und, ganz wichtig, mir der permanenten Gefahr, die von dieser Institution ausgeht, bewusst. Ich nicke, antworte höflich, lächelnd, und hoffe innigst, dass wir dieses Kapitel möglichst schnell hinter uns bringen.
Dann, ehe ich mich versehe, bleibt Dr. Simmer vor einer großen, durch technische Einheiten und Security gesicherten Stahltür stehen. Ein kleines Schild an der Wand verrät, was sich hinter all diesem Aufwand verbirgt.
“locked ward - admission for privileged staff only”
Die geschlossene Abteilung. Mein Herz macht einen Hüpfer und schlägt anschließend mit doppelter Geschwindigkeit weiter. Hier befinden sich jene, die nicht in das Raster einer regulären Sicherheitsverwahrung passen. Notorische Straftäter mit schizophrenem Hirn, paranoide Brandstifter, Serientäter, Soziopathen, Psychopathen. Menschen, deren Lebensführung so sehr von unserer Abweicht, dass wir sie als ‘krank’ und ‘unzurechnungsfähig’ einstufen. Sicherlich wäre anhand ihrer Lebensmodelle kein Leben in einer geregelten Gesellschaft möglich. Dennoch glaube ich, dass wir, die wir normal sind, uns einige ihrer Verhaltensweisen durchaus zunutze machen könnten. Es kommt immer darauf an, von welcher Seite man den Würfel betrachtet.
“Dr. Arkham teilte mir mit, dass unsere geschlossene ein sehr ausschlaggebender Grund für Ihre Bewerbung bei uns war?”
Dr. Simmerss wirft mir einen Blick zu, der verrät, dass sie genau diese Station hier mehr als notwendiges Übel betrachtet.
“Solche extremen Persönlichkeiten sind tiefer. Ich denke, gerade diese Persönlichkeiten hier sind eine Fundgrube für jeden Forscher.”
Ich lache kurz und meine, für den Bruchteil einer Sekunde ein Lächeln auf Dr. Simmerss Lippen zu sehen. Sie geht jedoch nicht weiter auf meine Äußerung ein, sondern deutet mir, ihr zur Wand zu folgen. Schweigend komme ich dieser stillen Aufforderung nach.
An der Wand befindet sich ein kleiner Kasten, der jenen Alarmanlagen ähnelt, die man in nahezu jeden amerikanischen Haushalt antreffen kann.
“Ohne Code kein Zutritt”, murmelt Simmerss. “Außerdem erhält die Security eine Benachrichtigung. Seien Sie also so gut und verbummeln Sie ihn nicht.”
Sie tippt, ich schaue zu, notiere mir die Ziffern gedanklich. Welch ein Aufwand betrieben wurde, um diese Menschen endgültig von der Außenwelt abzuschnüren. Es jagt mir einen Schauer über den Rücken, denke ich daran, in der gleichen Situation zu sein. Allein, unverstanden, ignoriert. Ich habe Glück, dass mir so etwas niemals geschehen wird. Ich bin auf der anderen Seite des Wahnsinns.
Mit einem lauten Ächzen öffnet sich die Tür. Drinnen das gleiche Szenario. Wachmänner, Kameras. Überall. Staunend folge ich Simmerss durch den Eingang, dann fällt die Tür hinter uns zurück ins Schloss. Ein metallisches Surren verkündet, dass wir nun mit Personen eingeschlossen sind, die man seinem schlimmsten Feind nicht wünschen würde.
“Lassen Sie sich nicht in Gespräche verwickeln, die Sie nicht angefangen haben.”
Simmerss, nach wie vor neben mir hergehend, wirft einen Blick in die Akte, welche sie schon die ganze Zeit mir sich herumschleppt. Ich kann nicht sehen, was darin steht, aber sie ist ungewöhnlich dick.
“Diese Menschen hier verspeisen Frischfleisch wie Sie zum Frühstück.”
Frischfleisch wie mich, pah! Mein Blick verdunkelt sich für einen Moment, ein schweres Gefühl macht sich in meinem Brustkorb breit - und verschwindet wieder. Statt dessen Lächele ich.
“Natürlich. Ich werde Acht geben.”
Etwas langsamer gehen wir den Gang entlang. Wände, mit Backstein verstärkt, eingeteilt in Zellen von gut drei mal drei Metern Größe. Es gibt keine Gitterstäbe, welche die Patienten von der Außenwelt trennen, statt dessen ist die Front komplett mit Glas ausgekleidet. Dahinter befinden sich Menschen jeden Alters, Geschlechts, Hautfarbe. Alle tragen sie einen grauen Krankenhauspyjama mit Gummizügen und kurzen Armen.
Ich räuspere mich, bleibe dicht hinter Simmerss. Es ist die Luft, die, eingeschleust durch diverse Lüftungssysteme, jede Feuchtigkeit verloren hat und die Kehle austrocknet. Dennoch ist es stickig, der modrige Mief eines alten Hauses vermischt mit dem charakteristischen Geruch eines durch Desinfektionsmittel verseuchten Krankenhauses. Der ganze Ort macht, trotz des hochtechnologischen Aufbaus, dem er unterliegt, einen trostlosen Eindruck.
Da ist diese Frau rechts von mir, die direkt vor ihrer Glasscheibe sitzt und einen Rosenkranz in der Hand hält. Ich kenne sie aus Fachzeitschriften, es ist Martha Stone, eine christliche Fundamentalistin, die sich vom Teufel besessen glaubte und diverse Kirchen anzündete. So weit mag zwar gegen brennendes Holz nichts einzuwenden sein, jedoch sieht die Sache ein wenig anders aus, wenn sich währenddessen ein Gottesdienst innerhalb abspielt. Nach sechsunddreißig Brandopfern, die ihretwegen in einem Zeitraum von zehn Jahren zu beklagen waren, landete sie dann hier. Und wird hier wohl vorerst auch bleiben.
Ich starre sie an, während ich an ihr vorbeigehe. Als sie jedoch ihren Kopf hebt und zurück starrt, gleitet mein Blick zurück zu Simmers, die wieder in der Akte blättert.
“Wir erhielten heute einen Neuzugang”, murmelt sie, als sie meinen recht neugierigen Blick bemerkt.
“Ist ein Stammgast hier, er dürfte Ihnen bekannt sein. Falls Sie wirklich eine Fundgrube für neue psychiatrische Erkenntnisse suchen, versuchen Sie sich hier. Obwohl’s mich wundern würde, wenn Sie zu ihm durchdrängen - Sie wären die erste. Das restliche Kollegium hat sich hier schon die Zähne ausgebissen.”
Meine Augenbrauen schießen nach oben. Nun, mir war stets bewusst, dass es hier den ein oder anderen sehr, wirklich sehr schweren Fall gibt, doch dass einer so geistesgegenwärtig war, sämtliche Ärzte hier an der Nase herum zu führen?
Ein schwaches Schmunzeln, erfüllt von Genugtuung erscheint auf meinen Lippen, während ich Dr. Simmers zum Ende des Raumes folge. Die frage, wer sich in dieser Zelle aufhalten wird, hat sich unbarmherzig in meinen Kopf gebohrt und lässt nun nicht mehr von mir ab. Wieder schießt Adrenalin in meinen Blutkreislauf, wieder werden meine Knie butterweich. Darf ich wagen, zu hoffen, dass der Mensch, der mich dazu brachte, Psychiaterin zu werden, direkt vor mir steht? Derjenige, der lange Jahre vor mir verstand, dass Chaos die einzig wirksame Form des Seins ist? Der Mensch kann nichts planen, dass ist etwas, was mir vor Jahren auf äußerst schmerzhafte Art und Weise bewusst geworden ist.
Langsam betrete ich die Fläche hinter der Glasscheibe, die mich von all den ausgestoßenen um mich herum abgrenzt und werfe einen nahezu schüchternen Blick in die Zelle. Wirkt sie auf den ersten Blick leer, so fällt mir auf den zweiten ein hagerer, sehr großer Mann auf, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnt. Er ist sehr blass, sein Haar mehrmals gebleicht und anschließend grün getönt. Als er mich bemerkt, wie ich, mit offenem Mund, vor der Glasscheibe stehe, und nicht fassen kann, was gerade um mich herum geschieht, lächelt er mich an. Und zwinkert. Mein Herz setzt aus.
Joker.
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Das wars. Für dieses Kapitel. Harley Quinn scheint es ja fast von den Socken gehauen zu haben ;]
Ich hoffe.... es hat einigermaßen gefallen und man hört von euch :>
-J.