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Kristallherz

von

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Schauspiel

Meine Fingernägel sind sauber und kurz. Immer noch betrachte ich sie. Gerne würde ich mit der Faust auf den Tisch schlagen, an dem ich sitze. Die Tür des kleinen Raumes, in den sie mich geführt hatten, stand offen. Auf dem Gang liefen die Beamten geschäftig umher, aus jeder Ecke drangen Gesprächsfetzen an mein Ohr. Vandalismus, Diebstahl, ein flüchtiger Straftäter. Wie ging es der Frau, was machte man am Abend, wie war der letzte Urlaub. Die Tür stand offen, hielt nicht fest, lud zum Gehen ein.

„Hallo?“ rief ich erbost auf den Flur hinaus. Eine kleine blonde Frau, die ihre Körpergröße durch widerlich pinkfarbene Stöckelschuhe zu kaschieren suchte, steckte kurz den Kopf herein und bat ‚um noch ein klein wenig Geduld.’ Bald würde jemand kommen, der sich um mich kümmere. Als ob ich alt und klapprig, ein Pflegefall wäre.

Einmal war ich das beinahe. Ich hatte mir im Skiurlaub das Bein gebrochen. Die Fraktur war nicht so kompliziert, dass ich operiert werden musste, aber eine Weile konnte ich die Welt nur auf einem Bein und zwei Stützen durchqueren. Damals zog Sarah zu mir. Ich wohnte schon einige Zeit allein. Sicher hätte ich noch nicht ausziehen müssen. Oft kam Sarahs Freund zu uns nach Hause. Alle waren so unverschämt glücklich, dass man einfach zwangsläufig schlechte Laune bekommen musste. Jedenfalls wollte ich selbstständig sein. Es war die richtige Entscheidung. Alleine in meiner Wohnung fand ich Ruhe.

Nach dem Unfall waren die kleineren alltäglichen Arbeiten allerdings lästig. Ich bin ein ordentlicher Mensch. Manche mögen penibel sagen, aber wer nicht im Schweinestall geboren ist, sollte auch nicht so leben. Täglich aufwaschen und Staubsaugen. Wöchentlich Fenster putzen, Staub wischen, Wäsche waschen und Blumen gießen. Sarah wollte mit ihrem Freund zusammenziehen. Unsere Eltern klammerten. Das zweite Kind zu verlieren, konnten sie mit ihrem Ego noch nicht vereinbaren. Zu Sarah meinten sie, Sorge triebe dazu, ihr von diesem Schritt abzuraten. Sie wäre nicht in der Lage, alleine zu leben.

Ich war ihr Prüfstein. Früher hätte ich nie geglaubt, dass Sarah Menschen ausnutzen würde. Nicht sie. Doch die Zeit ändert Meinungen. Vielleicht heilt sie auch Wunden. Ich weiß es nicht. Darüber habe ich noch keine Dokumentation gesehen. Schließlich würde sie mit ihrem Freund und nicht allein leben. Dass sie dies könne, wollte sie unseren Eltern demonstrieren. Bei mir zu sein, dass war fast wie zu Hause. Es war Familie. Darum war es ein idealer Versuchsort. Sarah konnte überzeugend sein. Sie zog zu mir. Wenn alles glatt gehen würde, solle sie danach mit ihrem Freund unter einem Dach leben.

Ich hatte gerade meine Ausbildung zum Bürokaufmann beendet, hockte auf der Arbeit viel am Schreibtisch, sodass nur das Hin- und Zurückkommen problematischer war. Abends erwartete mich Sarah. Sie hielt die Wohnung sauber und kochte überraschend gut. Einmal gab sie mir sogar lachend einen Kuss auf die Stirn. Sie müsse ja trainieren, um dann das Super-Heimchen für ihren Freund zu sein. Ich küsste sie auf den Mund. Wenn Training, dann richtig. Sarah stieß mich weg und schaute mich entsetzt an, wie damals, als ich sie geschlagen hatte. Ich lachte nur und ignorierte sie. Das ganze war nur ein Scherz. Kein Grund, es ernst zu nehmen. Das war genauso witzig wie die Tatsache, dass uns die anderen Mieter im Haus für ein Paar hielten, wie ich zufällig aufgeschnappt hatte. Gewissermaßen stimmte dies. Spielten wir denn nicht eines? Zur Generalprobe, beim echten Auftritt allerdings mit einer anderen Besetzung der männlichen Hauptrolle. Ich mochte Sarahs Freund nicht.



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