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Kristallherz

von

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Tod

Ich schlug nicht auf den Tisch. Aufgebracht trommelten meine Fingerkuppen auf ihm. Ich war keineswegs zornig, wie man vielleicht aufgrund des Rhythmus‘ und der Tonlage annehmen könnte. Ich war unruhig. Wie schon erwähnt, mochte ich es nicht, zu warten. Ich wurde dann automatisch nervös. Dennoch saß ich weiter unverrichteter Dinge in diesem nüchternen Zimmer. Sarah war ebenfalls noch hier. Wir waren gefangen in diesem Gebäude. Polizeiwachen mag ich nicht, so scheint es mir.

Sarah dagegen schon. Seit ihrer Geburt war sie für mich der Inbegriff eines Engels. Sanft. Sie tat niemand weh. Sorgend. Sie half jedem. Schützend. Sie setzte sich für jeden ein, der nicht im Unrecht war. Schön. Niemand war annähernd so atemberaubend. Menschen sterben. Engel auch, so scheint es mir. Sarah ist gestorben. Langsam, aber ohne Schmerzen. Zumindest für sie. Nicht für mich.

Ich denke oft an diesen Tag im Regen. Vor dem Kino. Ich wartete, ich wurde unruhig, ich sah nach, was geschehen sein mochte. Dieser Tag war der Beginn einer Krankheit, der Sarah erlag. Doch ich konnte noch bei ihr sein. Ich konnte ihr beistehen. Zu Hause, wo wir Ruhe hatten. Bis ihr Freund kam. Ich konnte nicht mehr da sein. Sarah starb. Mit meinem Auszug war ihr Leben beendet. Mein Engel war tot. Warum? Weil ich nicht mehr existent war. Nicht in der Form, in der ich es wollte.

Die Tage, als sie bei mir lebte, waren glücklich. Wenn ich auf diese Zeit zurückblicke, glaube ich an Wunder. Mein Bein war gebrochen. Wie oft habe ich mich seitdem selbst verletzt, darauf hoffend, dass es wieder eine Reanimation meines Engels bewirken würde? Eine Zeit lang funktionierte es. Sarah war für mich da, wenn immer es mir schlecht ging. Doch mit jedem neuen Aufenthalt bei mir wurde sie reservierter. Sicher lag das an ihrem Freund. Wer weiß, was er ihr für Unsinn erzählt hatte. Letztendlich kam sie nicht mehr.

Nicht mehr bei einer Grippe, einer Schnittwunde am Fuß, weil ich in Scherben getreten war, nicht mehr, nachdem ich mir einen Finger gebrochen hatte. Ich mag schon das Knacken von Gelenken nicht, das manchmal entsteht, wenn man sich dehnt. Es kostete mich Überwindung, das Geräusch meines eigenen brechenden Knochens zu hören. Anders als bei dem Beinbruch war ich nicht abgelenkt, denn meine Konzentration galt dem Vorgang des Verletzens, nicht dem Ausüben eines Wintersports. Doch diese Fraktur brachte meinen Engel nicht kurzzeitig zum Leben zurück, brachte Sarah nicht zu mir.

Sie lebte mit ihm. Wenn ich ehrlich bin, war sie wirklich tot nach dem Kuss. Nie war sie in meiner Gegenwart mehr unbefangen. Ihre späteren Besuche waren wohl nur Nachwehen. Nervenzucken, wie bei Hähnen, die nach ihrem Tod kopflos umherlaufen. Sie wandelte zwar mit Kopf, aber ohne Herz weiter. Sie ignorierte mich. Der Engel war nicht mehr. Konnte ein Mensch ohne Herz leben?



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