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Assoziatives Schreiben

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Satz 20: Der Fall von Knigazsamok

Die in sich abgeschlossene Turmstadt hatte offenbar ausgedient.

Es war also so weit. Die Mauern würden fallen und das Wissen hinaus in die Welt strömen. Wie viele Jahre hatte der Harlekin die Bücher hier hinter diesen Mauern versteckt? Hatte sie mühsam aus der ganzen Welt zusammen getragen, sortiert, gepflegt und gehortet. Niemand sollte je dieses heilige Wissen entweihen und nun hatten diese Kinder es geschafft. Er hörte wie die Steine grollten und auseinander brachen. Ein Blick durchs Südfenster sagte ihm, dass dort die Mauer gerade brach. Er sah wie bereits hunderte von Büchern dort hinaus fielen. Hinaus zurück in die Welt. Sie schienen geradezu zu fliehen aus dieser Stadt. Die Stadt der Bücher.

Knigazsamok hatte er sie immer liebevoll genannt.

Er ging gerne durch die Straßen, in denen alte Seiten auf dem Boden verstreut lagen. In jedem Haus, egal ob ärmlich oder aristokratisch hatte er Regale gestellt, die bis zur Decke ragten. Jedes dieser Regale war voll mit Büchern, Schriftrollen und Blöcken. Er hatte jedes Wort gesammelt, das auf dieser Welt geschrieben wurde.

Nun war es vorbei.

Er schlurfte die Treppen hinunter. Wusste nicht, was er noch tun könnte. Die Kinder hatten gesiegt.

War es denn besser so? Wieso verließen ihn seine geliebten Bücher nun? War es denn wahr, was die Kinder gesagt hatten? Dass die Bücher nach Hilfe geschrien hatten?

War Harlekin wirklich ein verkorkster alter Geizhals? Ein irrer Vogel?

Dabei hatte er doch seine Bücher immer mit viel Liebe behandelt. Hatte jedes einzelne gelesen. Sein Leben hatte er ihnen gegeben. Wieso dankten sie es ihm auf diese Art?

Die Mauer an der Ostseite brach nun auch.

Die Bücher brachen aus den Häusern heraus. Türen und Fenster platzen vor lauter Druck und die Bücher flogen in Scharen davon. Der Fluch war gebrochen. Knigazsamok konnte die Bücher nicht länger gefangen halten. Wie hatten die Kinder es nur angestellt, dass diese robusten, unüberwindbaren Mauern brachen? Wenigstens das wollte er wissen.

Er setzte seine Kappe auf und sofort überspießen ihn Hahnenfedern. Eiligst flog er an die Nordmauer auf der Suche nach den Kindern. Nach einer Weile fand er sie auch. Sie waren bereits dabei auch diese Seite der Stadt mitsamt dem Turm zu Fall zu bringen. Interessiert umkreiste er das Schauspiel, das sich ihm bot. Und fassungslos stellte er fest, es waren seine Lieblinge, die die Mauer zum Einsturz brachten. Aber tausende Bücher drückten zusammen mit den Kindern gegen die Mauer. Sogar sein geliebter Hamlet war dabei. Dies zu sehen brach ihm das Herz. Es war wahr. Seine Bücher hassten ihn.

Mit einem Mal stürzte er vom Himmel herab und schlug auf dem Boden auf. Die Federn verschwanden wieder und er richtete seinen Körper auf.

„Der Harlekin“, schrie Elisa entsetzt auf. Sofort stellten sich ihre beiden Brüder schützend vor sie.

„Nicht aufhören zu drücken“, schrie Will den Büchern zu, während er und Georg den Harlekin sauer ansahen.

„Es ist vorbei“, schrie Georg und machte eine wegwerfende Bewegung. Langsam kam der Harlekin nun auf die Kinder zu. Diese wichen ängstlich zurück. Zu was er in der Lage war, wussten sie schon zu gut. Doch anstatt die Kinder anzufallen und ihnen seine Tinte einzuflößen, wie er es schon oft getan hatte, ging er an ihnen vorbei und stemmte eine Hand gegen die kalte Stadtmauer.

„Ihr seid frei.“ Mehr sagte er nicht, sondern stemmte sich nun mit dem kompletten Körper gegen die Mauer.

„Wenn wir frei sind, dann öffne doch die Tore“, rief Georg wütend.

„Nur rein, nicht raus“, meinte er Harlekin monoton, „ihr habt den einzigen Weg raus gefunden.“

Nun begann er zu krächzen, während er half seine geliebten Bücher in die Freiheit zurück zu entlassen.

So recht schienen die Kinder ihm noch nicht zu glauben. Elisa als erste setzte sich in Bewegung und stellte sich neben ihn, um nun auch wieder gegen die Mauer zu drücken.

„Diese Mauer ist viel schwerer als alle anderen“, gab sie unter Anstrengungslauten von sich.

„Das ist der Turm“, meinte der Harlekin und ließ auf einmal ab.

„Wir brauchen mehr Hilfe.“

Seinen Hals zum Himmel reckend begann er Ruflaute von sich zu geben. Der Himmel färbte sich schwarz und seine Armada stürzte vom Himmel. Die abertausende Raben – angeführt von Augustus – begannen nun immer wieder in riesigen Wellen gegen die Mauer zu stürzen und diese niederzuzwingen. Langsam, fast kaum bemerkbar gab der mächtige Turm auf und das Fundament begann zu wackeln.

„Auf! Mehr!“, schrie Elisa frohen Mutes und strengte sich noch mehr an.

Schließlich gaben die Mauern nach und auch die Nordseite stürzte ein. Wieder ergossen sich hunderte von Büchern in die Freiheit. Einigen schienen zu singen, so kam es dem Harlekin jeden Falls vor. Aus den Gebäuden brachen die restlichen Bücher heraus und flogen in die Freiheit. Die Mauern von Knigazsamok waren gefallen. Selbst einzelne Seiten wehten davon. Zurück blieb ein verzweifelter Harlekin. Diesem rollten nun die Tränen übers Gesicht.

„Ich war glücklich.“ Mehr sagte er nicht. Der Zauber der Armada erlosch und die Schattenimitate des Raben Augustus verschwanden. Dieser setzte sich nun auf die Schulter seines Herrn. Stupste ihn zärtlich tröstend mit dem Schnabel an.

„Augustus, sorge dafür dass die Kinder heil nach Hause kommen. Das ist der letzte Dienst, den ich verlange.“

Elisa, Will und Georg standen da und beobachteten den verlassenen Harlekin. Beinahe schon überkam sie Mitleid. Dennoch konnten sie nicht vergessen, was er ihnen angetan hatte. Dieses Wesen war zu allem fähig. Augustus schwebte auf sie zu und deutete ihnen zu folgen. Ein langer Heimweg würde sie nun erwarten. Besser sie machten sich gleich auf den Weg.

Der Harlekin selbst schlich zurück in die tote Stadt. Sah in jedes Haus, ob den nicht wenigstens ein Buch bei ihm geblieben war. Nichts! Alles wie ausgestorben.

Gebrochen kippte er in seinem Turmzimmer zusammen. Er war allein.

Doch, was hörte er da? Das Rauschen kannte er ganz genau. Ein zart herber Duft strömte ihm in die Nase.

Konnte das sein? – Ja! Er blickte aus dem Fenster und erkannte Hamlet. Sein kleiner Hamlet schwebte durch die Luft auf das Turmfenster zu und plumpste schlussendlich in seinen Schoss. Der Harlekin strich zart über den filigranen Einband. Er war doch nicht ganz allein.

Ein irres Lachen erklang aus seiner Kehle.

Knigazsamok würde wieder auferstehen.

Verließ der Bücher.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2009-11-18T08:46:53+00:00 18.11.2009 09:46
Hallo,
mir kommt die Geschichte so surreal vor, so magisch. Wirklich toll.^^ Sie ist vom Schreibstil her sehr gut zu lesen und die Ideen, die dahinter stecken, sind (im wahrsten Sinne des Wortes) fantastisch. *g*
Lebendige Bücher, die Mauern einreißen, der Harlekin, der mich irgendwie an den Meister der Mühle in Krabat erinnert (dieses alles Dominierende und die magischen Fähigkeiten, auch sein Aussehen stelle ich mir irgendwie so ähnlich vor).
Ich hätte gern mehr über die Kinder erfahren. Sind sie wirklich seine Kinder oder vllt nur Figuren, die er aus Büchern erweckt hat? Was hat er ihnen angetan? Was machen sie, nachdem sie ihre Freiheit errungen haben?
Doch, die Geschichte gefällt mir sehr^^
lG Pluie
Von: abgemeldet
2009-11-17T17:01:30+00:00 17.11.2009 18:01
Hey

ich hatte ebenfalls das Gefühl, dies sei Teil einer grösseren Geschichte. Gibt es Bücher über diese Figuren oder sind es deine eigenen?
Sollten es deine eigenen sein, schreib ihre Geschichte doch! Sie hört sich klasse an.
Gegen Ende, als Harlekin so verzweifelt nach einem Buch sucht das bei ihm geblieben ist hat er mir so leid getan... ich war echt froh dass HAmlet zurückkommt! und dann wird er sofort wieder böse... das ist traurig :(
Von:  Bombadil
2009-11-17T13:01:27+00:00 17.11.2009 14:01
Hat mir wiedermal gut gefallen. Hast du dich an irgendeiner anderen Geschichte orientiert oder hast du dir die Sachen ganz spontan selbst überlegt? Sehr schön auf jeden Fall, da es einem vorkommt, als liest man einfach nur einen kleinen Teil einer viel größeren Geschichte.

Nur gegen Ende finde ich es etwas zu schnell abgehandelt. Da ist die Stadt grade eingestürzt und nur ein paar Minuten später ist der Harlekin wieder in alter Form. (so kam es einem vor) Das war mir dann doch zu fix. Das Ende war zwar gut, aber etwas übereilt reingeschmissen... wobei ein Ende bei Kurzgeschichten eh immer so eine Sache ist...

Ansonsten fand ichs mal wieder großartig! Fantastisch und voller Fantasie... wie viele Ideen wieder in der kurzen Geschichte stecken. Und das alles so spontan eingebracht. Da will man doch glatt mehr wissen. Und vor allem mehr von dir lesen. :D


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