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Happy ohne Ende?

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.

Long time no seen, ich weiß. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.

Vielen lieben Dank an Sunny :) Komplett anzeigen

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Ankunft

Das hier ist meine erste Story mit und über reale Personen und selbstverständlich ist das alles nur erfunden… Also keine Panik, nichts ist wahr, alles stammt nur aus meinem Hirn…

Es soll weder Ruf schädigend noch sonst irgendwie böse sein… Also habt Nachsicht…
 


 

Lena saß einfach nur da und starrte in die dunkle Nacht. Unter ihr unzählige Wolken und über ihr der Mond. Lena saß im Flugzeug und wusste nicht, was sie tun sollte. Sie musste sich irgendwie beschäftigen, sonst hatten ihre Gedanken zu viel Zeit sich immer wieder um ein und dasselbe Thema zu drehen und das machte sie irgendwann verrückt. Unbewusst ballte sie die Finger zur Faust und verkrampfte ihren Körper. Jeder Muskel schien angespannt und schon bald merkte sie, dass diese Haltung ihr nur Muskelschmerzen bereiten würde, aber eine Entspannung. Lena wusste nicht, wie sie ihren heillos überladenen Kopf von diesem unangenehmen Thema fernhalten sollte. Egal, was sie versuchte, sie drehte sich im Kreis und endete immer wieder an derselben Stelle: Bei ihm. Und das gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie wollte am liebsten gar nicht mehr denken, nicht mehr fühlen, aber diesen Gefallen tat ihr weder ihr Körper noch ihr Kopf.
 

Kraftlos ließ sie ihren Kopf gegen das kleine Fenster sinken. Unter ihr erstreckte sich die weite Wolkenlandschaft und sie konnte beim besten Willen nicht ausmachen, wo genau sie sich gerade befand oder wie weit es noch bis Bremen war. Sie hoffte nicht mehr all zu lange mit einem Haufen Leute in einem engen Flugzeug eingepfercht zu sein. Das war sie einfach nicht mehr gewöhnt nach all diesen bequemen Reisen. Aber ausnahmsweise war Lena nicht weiter wählerisch gewesen. Es musste halt auch mal so gehen.
 

„Liebe Passagiere, bitte bringen sie ihre Sitze in eine aufrechte Position und schnallen sich wieder an, da wir in wenigen Minuten mit dem Landeanflug auf Bremen beginnen werden. Es hat uns gefreut, dass sie mit Iberia Airlines geflogen sind und würden uns freuen sie recht bald wieder bei uns begrüßen zu können. Einen schönen Aufenthalt in der Hansestadt Bremen wünscht ihnen das gesamte Iberia Team.“
 

Lena schnaubte leise, so dass ihr Nachbar sie nicht hörte. Aber wenigstens musste sie nicht mehr lange in dieser Sardinenbüchse bleiben. Zwar hatte sie noch keinen genauen Plan, was werden sollte, nachdem sie gelandet waren, aber immerhin würde sie dann endlich wieder festen Boden unter den Füßen spüren und das konnte ihre Nerven dann schon sehr beruhigen, denn auch wenn Lena mittlerweile schon sehr häufig und auch schon Langstrecken geflogen war, so machte sich in so überfüllten Fliegern doch immer wieder ihre leichte Flugangst bemerkbar.
 

Glücklicherweise verlief die Landung problemlos und Lena war eine der ersten, die ihren Koffer erhielt. Unschlüssig sah sie sich in der Abflughalle um und überlegte, was nun zu tun war. Sie hatte sich spontan dafür entschieden ihren großen Bruder zu besuchen, einfach weil sie aus ihrer gewohnten Umgebung heraus gemusst hatte. Das Problem bestand nur darin, dass ihr Bruder nichts von seinem Glück wusste, dass seine Schwester kam und sie somit erstmal auf dem Flughafen festsaß, wenn sie sich nicht überwand und ihn anrief. Das würde sicherlich ein lustiges Telefonat werden.
 

’Ach hallo Brüderchen, ja ich habe dich auch vermisst, ich weiß, es ist kurz vor vier Uhr morgens und du hast sicherlich morgen früh Training, aber könntest du mich trotzdem vom Flughafen abholen und eine Zeit lang bei dir wohnen lassen, bis ich das Chaos, aus dem im Augenblick mein Leben besteht, gelöst habe? Ja? Das wäre wirklich lieb von dir.’
 

So wollte sie sich bei ihren großen Bruder nun auch nicht zurück melden, aber was blieb ihr schon anderes übrig? Sie kannte sonst keinen weiter in Bremen und eigentlich wollte sie auch niemanden anders als ihren Bruder sprechen. Er würde sie bestimmt bei sich aufnehmen und ihr eine Verschnaufpause gönnen. Er war immerhin ihr großer Bruder, ihr Schatz, an den bisher kein anderer Mann herangereicht hatte, auch wenn es da ein paar gab, die der Sache verdammt nah gekommen waren.
 

Noch während Lena ihren Gedanken nachhing, wurde sie von hinten angerempelt. Wütend drehte sie sich um und starrte ihren Gegenüber, der sich verlegen durch die Haare fuhr, mit blitzenden Augen an. Das hatte ihr heute Nacht gerade noch gefehlt, irgend so ein Depp der nicht aufpassen konnte, wo er hinlief. Lena nahm sich nicht die Zeit ihrem Gegenüber näher anzusehen, sondern wetterte gleich drauf los. Sie hatte halt schon immer eine große Klappe gehabt, wenn sie übernächtigt und schlecht gelaunt war. Da legte man sich am besten nicht mit ihr an. Aber das konnte der große Unbekannte ja nicht wissen.
 

„Sag mal, spinnst du, hier einfach so durch die Gegend zu rempeln?“
 

Etwas erstaunt über den unfreundlichen Ton, sah er zu Lena hinunter. Er hatte sie ja nicht absichtlich angestoßen, er hatte sie ehrlich gesagt einfach übersehen, weil sie sehr klein und er sehr groß war. Außerdem hatte er ein anstrengendes Wochenende hinter sich und war nicht mehr ganz so fit. Trotzdem dachte er, dass sein Verhalten einen solchen Ton noch nicht rechtfertigte, es war ja schließlich nichts passiert. Sie hatte ja keinen Kaffee oder so durch seine Ungeschicktheit verschüttet.
 

„Es tut mir Leid, Entschuldigung. Da habe ich wohl einen Moment nicht aufgepasst.“
 

„Das kannst du wohl sagen.“
 

Genervt drehte Lena ihm wieder den Rücken zu ohne ihm auch nur einen zweiten Blick zu schenken. Der „Rempler“ jedoch musterte sie neugierig. Die junge Frau ging ihm noch nicht einmal bis zu Kinn, was darauf schließen ließ, dass sie nur knapp die 1,60 m Marke überschritten hatte. Von Hinten konnte er sonst nur noch ihre welligen, mittelblonden Haare sehen, die in einem nachlässigen Pferdeschwanz zusammen gebunden waren. Sie sah so aus, als hätte sie einen langen, recht unbequemen Flug hinter sich, da ihre Klamotten an den meisten Stellen zerknittert waren und ihre ganze Körpersprache auf Erschöpfung hindeutete.
 

„Nah, fertig mit der Musterung?“
 

Lena hatte sich noch einmal umgedreht, als sie den Blick des Fremden in ihrem Rücken gespürt hatte. Im Grunde genommen hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie so schroff und unfreundlich reagiert hatte, wo er sich doch so brav entschuldigt hatte.
 

Wieder kratzte sich ihr Gegenüber nervös am Kopf und Lena glaubte zu spüren, dass er etwas sagen sollte, aber nicht wusste, wie er es am besten äußern sollte. Das war schon komisch, aber wenn man Psychologin war, fiel einem so etwas vielleicht wirklich eher auf. Ein sehr guter Freund hatte ihr früher schon immer gesagt, wie aufmerksam sie war und das ihr nichts entging, selbst ihr Bruder, der sie mit am Besten kannte, war der Meinung gewesen. Aber sie hatten sich schon lange nicht mehr gesehen und Lena wusste nicht, ob er sie immer noch genauso gut kannte wie früher.
 

„Es tut mir Leid, dass ich eben etwas unfreundlich reagiert habe.“
 

Lena musste den Kopf bald in den Nacken legen um dem Mann ins Gesicht zu sehen, so groß war er. Normalerweise hasste sie es zu Leuten aufsehen zu müssen, aber irgendwann schien sie sich daran gewöhnt zu haben, denn wer nur 1,62 m maß und sich allein berufsmäßig größtenteils mit größeren Menschen abgab, kam da nicht drum herum, auch wenn ihre Freunde meist nicht so viel größer waren als sie.
 

Jetzt hellte sich auch das Gesicht des Langen etwas auf. Er grinste schon fast und machte eine lockere Handbewegung.
 

„Ist doch gar kein Problem. Wir sind alle nur Menschen. Kann schon mal vorkommen, dass man morgens so früh noch nicht die allerbeste Laune hat. Verstehe das schon.“
 

Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu und Lena betrachtete ihn jetzt etwas eingehender. Alles an diesem Mann schien groß zu sein: Seine Hände, seine Füße und auch seine Tasche, die er neben sich abgestellt hatte. Irgendwoher kam er ihr bekannt vor, aber sie konnte nicht ganz genau sagen woher. Da war so ein nagendes Gefühl in ihrem Hinterkopf, dass ihr sagte, dass sie diesen Mann schon mal irgendwo gesehen hatte. Aber wo?
 

Dasselbe Gefühl plagte auch den langen Unbekannten. Dieses Gesicht kam ihm irgendwie bekannt vor, so als würde er es jeden tag sehen, aber war sich ganz sicher, dass er die Frau vor ihm noch nie gesehen hatte. Sie war zwar keine direkte Schönheit im üblichen Sinne, aber irgendetwas an ihrer Ausstrahlung, an ihrer Art, faszinierte ihn. Das und natürlich die Tatsache, dass sie ihn bisher noch nicht erkannt hatte. Eine wahre Seltenheit, irgendwie.
 

Er war sich nicht ganz sicher, ob er sich vorstellen sollte oder nicht, aber da sie auch keine Anstalten machte, ließ auch er es. Vielleicht machte so ein ganz normales Gespräch in der Anonymität ja auch mal wieder Spaß. Außerdem konnten sie da über ganz andere Themen sprechen. Also beschloss der Lange sie zu einem Kaffee einzuladen.
 

„Wollen wir? Oder müssen sie ganz dringend nach Hause?“
 

Etwas überrascht sah Lena ihren gegenüber an, doch da sie eh nichts bessere vor hatte und ihren Bruder jetzt lieber noch nicht weckte, stimmte sie zu. Sie schätzte ihn nicht wie einen psychopathischen Massenmörder ein, deswegen erschien ihr ein Kaffee recht harmlos.
 

„Nein, wenn ich aus dem Kaffe auch einen Kakao machen kann, dann gerne.“
 

Der Lange grinste frech und nickte.
 

„Kein Problem.“
 

Beide machten sich schweigend auf dem Weg zu einem der wenigen geöffneten Cafes. Morgens war noch nicht so viel los und sie bekamen problemlos einen Platz. Die Stille gefiel beiden nicht, doch keiner wusste so genau, was er sagen sollte. Erst als sie ihre Bestellung- einen schwarzen Kaffee und eine heiße Schokolade- bekommen hatten, brach das Eis und so langsam redeten sie über dies und das. Keiner fragte den anderen über persönliche Sachen, sie tauschten einfach ihre Meinung über Politik und verschiedene Länder der Welt aus. Beide waren in ihrem Leben schon viel gereist und schon bald entstand eine hitzige Diskussion über die Vorteile von Italien und Spanien, beides Länder, die Lena nur zu genau kannte.
 

Teilweise waren es Kleinigkeiten, aber Lena merkte, wie die Spannung aus ihren Schultern verschwand und auch die Nervosität vor dem Wiedersehen mit ihren Bruder trat in den Hintergrund, während sie da mit einem eigentlich völlig fremden Mann plauderte. Er war so erfrischend anders und sein bubenhaftes Lächeln ließ sich einfach nicht ignorieren. Seine Freude und Offenheit war ansteckend.
 

Schon bald lachten die beiden laut miteinander und waren froh, dass sie sich kennen gelernt hatten. Was so ein kleiner Rempler doch alles auslösen konnte.
 

Mit einem enttäuschten Blick auf die Uhr machte der Lange sich daran Geld aus seinem Portemonnaie zu holen.
 

„Musst du schon los?“
 

„Ja, leider. Ich muss in ein paar Stunden schon wieder arbeiten und ich denke mein Chef ist nicht besonders erfreut, wenn ich direkt vom Flughafen zur Arbeit komme. Ich wollte zumindest noch mal duschen gehen und mich umziehen. Außerdem ist es schon fast morgen.“
 

Lena hatte gar nicht auf die Uhr geschaut, aber jetzt merkte auch sie, dass es mittlerweile sieben Uhr war und sie so mehrere Stunden einfach nur geredet hatten. Einfach so. Das war ihr schon lange nicht mehr passiert, dass sie sich mit einem Mann so gut verstanden hatte. Sie hatte doch tatsächlich die Zeit und alle Probleme um sie herum vergessen- und das waren nicht wenige. Es war ihr unheimlich und sie sah es als Zeichen, dass sie hier ganz schnell weg musste. So schnell wie möglich.
 

„Ich muss dann auch los.“
 

Lena warf ein paar Münzen auf den Tisch, schnappte ihre Tasche und verließ fast fluchtartig das Lokal.
 

„Warte doch mal. Nur einen Augenblick. Ich weiß doch noch gar nicht, wie du heißt oder wann wir uns wieder sehen können. Ich bin Per.“
 

Rief er ihr hinterher, doch Lena hielt nicht an. Drehte sich noch nicht einmal um. Das war ihm definitiv noch nie in seinem Leben passiert, normalerweise lagen die Mädels ihm zu Füßen und wenn es auch nur wegen seines Ruhmes war. Diese hier schien das nicht zu interessieren. Sie schritt zügig auf den Ausgang zu, in Richtung Taxistand.
 

Sie hatte seinen Namen sehr wohl verstanden, dachte aber nicht daran ihm den ihre zu nennen. Es war eine nette Unterhaltung gewesen, aber Lena wusste, dass es besser war einfach zu gehen. Sie würde diesen freundlichen jungen Mann sowieso nie wieder sehen, er war einfach nichts für sie, konnte nichts für sie sein, warum also Zeit verschwenden und ihm ihren Namen nennen?
 

Schnell stieg sie in ein Taxi und nannte dem Fahrer die Adresse. Der beäugte sie von oben bis unten, sagte aber nichts und zündete nur den Wagen. Erschöpft ließ Lena sich in die Polster sinken und wappnete sich innerlich für das Gespräch mit ihrem großen Bruder. Es würde nicht einfach sein ihm eine plausible Erklärung zu liefern ohne irgendetwas wirklich zu verraten. Aber sie würde es schon schaffen, schließlich hatte sie ihn bisher auch immer leicht um den Finger wickeln können. Er war immerhin auch nur ein Mann. Und mit Männern kannte sie sich wunderbar aus.
 

Per hingegen stand fassungslos am Flughafen und schüttelte ungläubig den Kopf. Er konnte nicht fassen, dass seine hübsche Unbekannte ihn einfach so wortlos verlassen hatte. Noch nicht einmal ihren Namen kannte er.
 

’Mein Gott Per bist du erbärmlich, da unterhältst du dich über zwei Stunden mit der Frau und bekommst es nicht auf die Reihe sie nach ihrem Namen zu Fragen. Geschweige denn sie nach ihrer Telefonnummer zu fragen. Na toll.’
 

Per Mertesacker seufze vernehmlich und winkte sich ein Taxi ran. Er hatte es mal wieder königlich versaut und seine Chancen es wieder gut zu machen waren mehr als gering, immerhin wusste er nur, wie sie aussah, mehr nicht. Das war nicht gerade viel. Und ein Fußballfan schien sie auch nicht zu sein, sonst hätte sie ihn bestimmt erkannt. Oder spätestens irgendwie reagiert, als er ihr seinen Namen nachgerufen hatte. Aber nichts. Nada. Niente. Nothing.
 

Trotzdem wollte ihm ihr strahlendes Gesicht nicht aus dem Kopf gehen. Vielleicht hatte er ja auch ein Mal in seinem Leben Glück und würde sie wieder sehen. Vielleicht gab es solche Zufälle. Vielleicht. Per Mertesacker hoffte auf jeden Fall darauf. Er hatte ja auch keine Ahnung, wie greifend nah der Zufall sein konnte.
 


 

So, ich hoffe es hat euch gefallen… Das dürft ihr mir auch gerne persönlich sagen, würde mich sehr freuen…
 

Ist wie gesagt meine erste Story und das war auch erst der Anfang…Da kommt noch mehr auf euch zu…

Ein herzliches willkommen

Das hier ist meine erste Story mit und über reale Personen und selbstverständlich ist das alles nur erfunden… Also keine Panik, nichts ist wahr, alles stammt nur aus meinem Hirn…

Es soll weder Ruf schädigend noch sonst irgendwie böse sein…
 


 

Lena bezahlte den Taxifahrer, der sie erneut von oben bis unten musterte und dann einen schnellen Seitenblick zum Eingangstor der Villa riskierte. Man sah ihm an, dass er daran zweifelte, dass sie hier willkommen war. Sie zweifelte im Augenblick ja selbst noch dran, ob ihre Entscheidung nach Bremen zu kommen und hier erstmal ihre Wunden zu lecken, richtig gewesen war. Trotzdem stand sie jetzt hier und sie hatte nicht vor einfach wieder weg zu gehen. Sie hatte ihren Bruder, seine Frau und ihre beiden Nichten Lena und Lisa schon viel zu lange nicht mehr gesehen. Es war wirklich schon fast eine halbe Ewigkeit her, aber da sie selbst immer so fürchterlich beschäftigt gewesen war, hatte sie es sich auch selbst mit zu zuschreiben. Ihrem Arbeitspensum und der großen Entfernung, erst zwischen Bremen und Mailand und später zwischen Bremen und Barcelona.
 

Vorsichtig hievte Lena ihren Koffer aus dem Kofferraum und schritt selbstbewusst auf das Schmiedeeiserne Tor zu, dass die Auffahrt des Frings’schen Haus von dem Rest der Welt trennte. Ungeduldig machte sie eine Handbewegung in Richtung Taxifahrer, der sich augenscheinlich einen Spaß daraus machte zu warten um zu sehen, on Lena eingelassen wurde und wenn, dann von wem.

Als er jedoch die ärgerliche Geste der jungen Blondine sah, schüttelte er nur den Kopf, startete den Wagen und fuhr davon.
 

Zögerlich drückte Lena die Klingel und wartete auf eine Reaktion der Gegensprechanlage. Nach über eine Minute hatte noch immer niemand im Inneren der Villa reagiert und so langsam überlegte Lena, ob sie noch einmal klingeln sollte, als sie dann doch die verschlafene Stimme ihres Bruders hörte.
 

„Wer ist da? Und was wollen Sie?“
 

Es hatte sich also nicht viel verändert, ihr Torsten war immer noch ein Morgenmuffel und verabscheute jede morgendliche Störung. Da hatte sie sich ja genau den richtigen Augenblick ausgesucht um in die Höhle des Löwen vorzudringen. Klasse!
 

„Guten Morgen, Torsten. Ich freue mich auch deine Stimme zu hören. Aber noch mehr würde ich mich freuen, wenn du mich endlich reinlassen würdest, damit wir uns in aller Ruhe erstmal ordentlich begrüßen können.“
 

Im ersten Augenblick starrte Torsten Frings verwirrt auf die Lautsprecher der Gegensprechanlage. Er war sich sicher, dass er gestern Abend mit den Jungs keinen über den Durst getrunken hatte und ein kurzer Blick auf seine Uhr verriet ihm auch, dass es nicht mehr all zu früh war, als dass er es noch auf Träumerei schieben konnte. Zwar fehlte ihm noch seine morgendliche Tasse Kaffee um wirklich wieder ansprechbar zu werden, aber so neben der Spur konnte er selbst morgens um sieben Uhr irgendetwas nicht sein. Er hatte da eben doch tatsächlich die Stimme seiner Schwester gehört! Aber das war absurd. Um nicht zu sagen definitiv unmöglich. Seine kleine Schwester Lena arbeitete irgendwo im sonnigen Süden und sie telefonierten zwar regelmäßig, hatten sich aber schon ewig nicht mehr gesehen. Sie hatte keinen Grund gerade jetzt vor seiner Tür zu stehen. Aber vielleicht war das alles nur ein kleiner Scherz seiner Kollegen. Obwohl, die meisten kannten Lena gar nicht. Wussten vielleicht höchstens Beiläufig von ihrer Existenz, wenn er sie hin- und wieder mal erwähnt hatte.
 

„Ich frage noch mal: Wer sind Sie und was wollen Sie hier? Autogramme gebe ich nur nach dem Training.“
 

Es nervte ihn, das irgendwelche Fans noch nicht einmal seine Privatsphäre respektieren konnten, denn wenn es etwas gab, was ihm heilig war, dann sein Zuhause mit seiner Frau Petra und den Kindern. Lästige Fans brauchte er hier nicht auch noch. Diese Welt wollte er in seinem Haus weites gehend aussperren, damit seine Mädchen eine normale Kindheit haben konnten. So normal wie es eben möglich war mit einem berühmten Papa.
 

„Morgens immer noch der Charmeur wie eh und je. Aber jetzt Spaß bei Seite, ich bin’s Torsten, Lena, deine heiß geliebte kleine Schwester, die du schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen hast. Klingelt es?“
 

Erst jetzt fiel der Blick des Lutschers auf die Kamera, die ja am Tor installiert war und aus den Augenwinkeln bekam er noch mit, wie eine strahlende Blondine ihm freundlich zuwinkte.
 

Torsten öffnete das Tor, immer noch nicht ganz davon überzeugt, dass da unten auch wirklich seine kleine Schwester stand, auch wenn Aussehen und Stimme schon einmal über ein stimmten. So wartete an der Tür und als er sah, dass sie die Gestalt mit einem Koffer näherte, riss er die Tür auf und betrachtete sie von oben bis unten. Eingehend. Er suchte nach einem Indiz, das es nicht Lena war, die da gerade stand, aber alles in ihm sagte ihm, dass es doch seine Kleine war.
 

Nervös beobachtete Lena, wie sich die Tür öffnete und ihr Bruder zögerlich heraustrat. Sie konnte ihn verstehen, sie hätte ja auch sonst wer sein können, aber trotzdem versetzte sein Verhalten ihr ein Stich ins Herz. Wenn selbst ihr Bruder sie nicht mehr auf Anhieb erkannte, wie weit ging dann die Entfremdung der beiden? War ihr Auftauchen hier dann wirklich die richtige Idee gewesen? Die vorher verstummten Zweifel meldeten sich wieder, doch als Torsten ein paar Schritte aus der Tür auf sie zu machte, schoss Lena alle Zweifel, alle Fragen und alles zögern in den Wind, ließ ihren Koffer fallen und umarmte ihren Bruder stürmisch, der zuerst nur perplex da stand und sie fragend ansah, dann jedoch die Umarmung ebenso stürmisch erwiderte.
 

„Ich habe nicht geglaubt, dass du es wirklich bist, Lena. Ich dachte ich träume oder irgendwer von meinen Kollegen will mich auf den Arm nehmen. Vorzugsweise Diego oder Clemens, die sind für solche Späße immer zu haben, aber dass du hier wirklich vor mir stehst.“
 

„Ich freue mich auch so dich wieder zu sehen, Großer. Ich hab dich vermisst.“
 

Die beiden waren so in ihre Begrüßung vertieft, dass sie gar nicht bemerkten, dass Petra sie neugierig beobachtete. Auch sie hatte ihre Schwägerin im ersten Augenblick nicht erkannt und war umso erfreuter, als ihr Mann dann ihren Namen nannte. Die beiden Frauen verstanden sich schon seit Lenas Jugendzeit bestens. Petra hatte Torsten kennen gelernt, als Lena noch zu Schule gegangen war und daher kannten sie sich schon sehr lange. Und hatten sich immer blendend verstanden, auch noch nach der Hochzeit. Erst als Lena zum Studieren und Arbeiten ins Ausland gegangen war, war ihr Verhältnis abgekühlt, aber das war auf den Uni-Stress der Jüngeren und die große Distanz zwischen ihnen zurück zu führen, nicht auf irgendwelche Unstimmigkeiten innerhalb der Familie.
 

„Torsten, wenn du Lena für einen kleinen Moment loslassen würdest, dann könnte ich sie auch begrüßen.“
 

Überrascht sahen beide zu Petra, die immer noch in der Tür stand und lächelte. Selbstverständlich überließ Torsten seiner Frau den Platz und die beiden Frauen umarmten sich herzlich. Dann bat Petra Lena hinein und Torsten wurde dazu verdonnert ihren Koffer zu schleppen, den sie achtlos auf dem Weg hatte stehen lassen.
 

„Hallo Lena, wie geht es dir denn? Was machst du hier und vor allen Dingen: Meine Güte siehst du gut aus, Kleines, die Sonne des Südens hat wirklich ganze Arbeit geleistet.“
 

Schwatzend und lachend gingen die beiden in die Küche, während Torsten mürrisch den Koffer nach oben schleppte. Er war ein wenig beleidigt, dass seine kleine Schwester ihn so schnell abschrieb und sich nicht mehr weiter um ihn kümmerte, das krängte ihn in seinem Stolz.
 

Neben dem Gästezimmer hörte der Lutscher schon seine beiden Mädchen, Lisa und Lena, rumtoben und beschloss ihnen ebenfalls die frohe Nachricht über die Ankunft ihrer Tante zu überbringen. Die Mädchen sprangen sofort aus dem Bett und flitzten die Treppe hinunter um ihrer Tante Freude strahlend in die Arme zu springen. Lena konnte sich vor den beiden Mäusen in pinken Schlafanzügen kaum retten, als sie Torsten grinsend die Treppe herunter kommen sah.
 

Der murmelte so etwas wie
 

„Ausgleichende Gerechtigkeit“
 

Und machte sich auf den Weg zu seiner dampfenden Tasse Kaffee, die Petra ihm schon bereitgestellt hatte. Lena, die seine Worte durchaus vernommen hatte, flüsterte ihren Nichten etwas zu und schlich sich dann wieder zu Torsten, der sich hinter der Morgenzeitung verschanzt hatte. Diese entriss Lena ihm und ließ sich geräuschvoll auf seinen Schoß fallen. Liebevoll schlang sie die Arme um den hals ihres Bruders und strahlte ihn genauso unschuldig und lieb an, wie seine Töchter es auch immer machten, wenn sie etwas ausgefressen hatten und eine Standpauke von ihm erwarteten. Jetzt wusste er also auch, von wem sie diesen bettelnden Hundeblick geerbt hatten, den Lena gerade zur Schau trug.
 

„Ach Torsten, nicht böse sein.“
 

Ihre blauen Augen blitzen und er konnte sich nicht dran erinnern, wann er und Lena das letzte Mal so zusammen gesessen hatten. Es musste schon lange her sein, aber es fühlte sich so wunderbar vertraut an. Wortlos erwiderte er ihre Umarmung und schaukelte sie so, wie seine Jüngste immer geschaukelt werden wollte, wenn sie bei ihrem Papa auf dem Schoß saß. Seine jüngste Tochter, die er nach seiner kleinen Schwester benannt hatte, und eben jene Schwester, waren sich sehr ähnlich, nicht nur in ihrem Aussehen und ihrer Art, sondern auch noch in vielen anderen Dingen, die dem Lutscher gerade so spontan einfielen.
 

„Wie soll ich dir denn böse sein, Lena? Du wickelst mich ja genauso um den Finger wie die Kleinen. Aber eher eine andere Frage, warum sollte ich dir denn böse sein? Hast du irgendetwas ausgefressen?“
 

„Nein, nein. Ich meinte, weil ich so überraschend hier auftauche und mich einfach so, ohne zu fragen, bei euch einquartiere. Ich hoffe ich störe nicht all zu sehr, aber ich wusste im Augenblick einfach nicht, wo ich sonst hin sollte.“
 

Lena sah unsicher zu Torsten und dann zu Petra, die mittlerweile den Mädels das Frühstück fertig machte. Es war auch Petra, die antwortete.
 

„Das ist doch gar kein Problem, wir freuen uns, dass du hier bist.“
 

„Du kannst so lange bleiben, wie du willst Kleines, keine Panik, du störst uns nicht, ich bin eher froh, dass ich mein kleines Mädchen endlich mal wieder zu Gesicht bekomme. Aber trotzdem musst du jetzt runter von meinem Schoß, du bist schwer geworden und ich will mir nicht die Beine brechen.“
 

Mit einem spielerischen Klaps auf den Rücken ließ Torsten Lena von seinen Beinen gleiten. Die sah ihn beleidigt an und sagte dann ebenso spielerisch drohend.
 

„Wenn du nicht gleich aufhörst mir unter die Nase zu reiben, dass ich dick geworden wäre, dann haben wir hier wirklich bald zwei gebrochene Beine.“
 

Lena wartete nicht auf die Antwort ihres Bruders sondern stürmte einfach los, da Torsten sofort aufsprang und ihr hinterher jagte. Das Lachen der beiden schallte durchs ganze Haus und auch Lisa und Lena hielt nichts mehr auf ihren Plätzen. Im Wohnzimmer warfen sie mit Kissen durch die Gegend und kitzelten einander aus, bis Petra energisch dazwischen ging.
 

„Ich will euren Spaß ja nur ungern stören, aber Torsten, wenn du nicht zu spät kommen willst, solltest du langsam mal los. Und die Mädchen muss ich auch noch fertig machen.“
 

Erschrocken sah der Lutscher zu Uhr und wusste, dass seine Frau Recht hatte und er sich wirklich beeilen musste. Schnell rappelte er sich hoch und rief Lena nur noch hinterher
 

„Wenn du mitkommen willst zum Training, solltest du dir nur etwas anderes anziehen.“
 

Einen Augenblick erstarrte Lena bei dem Gedanken daran mit zum Training zu müssen, dann wurde die Panik in ihren Augen durch aufkeimende Erinnerungen ersetzt. Sie war hierher gekommen, um nichts davon zu hören und zu sehen, dabei hatte sie total ausgeblendet, dass ihr Bruder ja auch kein so unbedeutender Profi in der Bundesliga war. Scheiße!
 

Petra hatte die Gefühlsschwankungen ihrer Schwägerin aufmerksam beobachtet und konnte sich trotzdem teilweise nicht erklären, warum Torstens einfaches Angebot sie mit zum Training zu nehmen, Lena so aus der Bahn warf. Er hatte es immerhin nur lieb gemeint und wollte ihr stolz seinen geliebten Arbeitsplatz zeigen, aber irgendetwas an der Vorstellung schien ihrer Schwägerin nicht zu behagen. Sie beschloss Lena später bei einer heißen Schokolade danach zu fragen. Genauso wie nach dem wirklichen Grund, warum sie da war, denn Petra glaubte ihr keinen Augenblick, dass es allein die Sehnsucht nach ihrer Familie gewesen war. Dafür war es viel zu plötzlich und unerwartet und außerdem hatte Lena noch einen unbedachten Satz geäußert, der Torsten zwar entgangen war, seiner Frau jedoch noch lange nicht.
 

„Ich hoffe ich störe nicht all zu sehr, aber ich wusste im Augenblick einfach nicht, wo ich sonst hin sollte.“
 

Genau das hatte Lena leise gesagt und Petra machte sich ernsthafte Sorgen um ihre Schwägerin. Vielleicht hatte sie doch Probleme, von denen weder sie selbst noch Torsten etwas wussten. Wie dem auch war, sie würde es aus Lena schon heraus kitzeln, während der Lutscher sich alleine auf den Weg zum Trainingsgelände des SV Werder Bremens machte, wo er auf einen ziemlich verschlafenen und total unglücklichen Per Mertesacker traf.
 

"Hey Merte, was ist denn mit dir passiert? Hat dich dein Flugzeug überrollt?"
 

Der Lutscher lachte, doch als er merkte, dass sich das Gesicht seines Gegenübers nicht wirklich aufhellte, blieb er stehen und sah ihn fragend an. Per Mertesacker hatte sonst immer so ein sonniges, fröhliches Gemüt und ihn auf einmal so bedrückt zu sehen, das machte Torsten wirklich Gedanken. Vor allen Dingen so kurz nach seinem kleinen Sonderurlaub, den er eigentlich genossen haben musste.
 

"Hey Langer, was ist denn los? Ist irgendetwas Schlimmes passiert?"
 

"Ja, es ist was passiert, ich habe es verbockt, ich habe es wirklich vermasselt. Dabei kann man doch eigentlich gar nicht so beschränkt sein!"
 

Der Lutscher verstand nur noch Bahnhof.
 

So, das war es dann auch schon wieder, ich hoffe es hat euch gefallen…

Gespräche unter Männern

Das hier ist meine erste Story mit und über reale Personen und selbstverständlich ist das alles nur erfunden… Also keine Panik, nichts ist wahr, alles stammt nur aus meinem Hirn… Es soll weder Ruf schädigend noch sonst irgendwie böse sein…
 


 

"Ja, es ist was passiert, ich habe es verbockt, ich habe es wirklich vermasselt. Dabei kann man doch eigentlich gar nicht so beschränkt sein!"
 

Der Lutscher verstand nur noch Bahnhof.
 

Per Mertesacker hingegen ließ verzweifelt den Kopf hängen. So schlecht hatte der lange Innenverteidiger von Werder Bremen sich schon lange nicht mehr gefühlt. Irgendwie schien ihm heute alles zu entgleiten. Seit heute morgen ging ihm die junge Frau vom Flughafen nicht mehr aus dem Kopf. Es war wie verhext. Sie hatte so eine angenehme Stimme gehabt und so ein tolles Lächeln. Und sie hatte einfach so mit ihm über alles Mögliche geplaudert, ohne irgendwelche Hintergedanken. Sie hatte nicht irgendwie affektiert gehandelt oder sich anders Verhalten, so wie viele andere es ins einer Anwesenheit immer getan hatten. Augenscheinlich machte er die meisten Menschen irgendwie nervös, aber seine Unbekannte hatte es nicht gestört. Sie war an seiner Meinung zur politischen Lage des Landes und einigen anderen Dingen wirklich interessiert gewesen. Kurz gesagt hatten sie sich über alles außer Fußball unterhalten, das Thema, auf das er normalerweise früher oder später von jedem festgenagelt wurde. Aber sie hatte keinen Ton über diesen Sport gesagt, sie hatte ihn ja wahrscheinlich noch nicht einmal erkannt.
 

„Was ist denn passiert Per, dass du hier rum stehst als hätte dir jemand einen Zehnliter Eimer Wasser über den Kopf geschüttet? Schlechte Nachrichten?“
 

Erst jetzt bemerkte Merte erst, dass sein Freund und Teamkollege ihn erwartungsvoll ansah. Als Vize-Kapitän war es natürlich die Aufgabe des Lutschers sich um seine Kollegen Sorgen zu machen, aber da Per nicht nur Kollege, sondern auch Freund war, fühlte er sich doppelt verpflichtet eine Antwort aus dem Langen herauszukitzeln um ihm dann vielleicht irgendwie helfen zu können.
 

„Nein, keine schlechten Nachrichten, zumindest nicht direkt.“
 

„Aber?“
 

„Hast du schon mal jemanden getroffen, der die auf Anhieb sympathisch war?“
 

Die Frage des Verteidigers kam zögerlich, so als wäre er sich nicht ganz sicher, ob er die Frage auch wirklich stellen wollte, aber da sie nun einmal raus war, konnte er getrost auch die Antwort abwarten. In diesem Augenblick kam jedoch Clemens Fritz von hinten an und legte die Arme um seine beiden Freunde. Zufällig hatte er Pers Frage gehört und grinste nun breit, als er zu einer Antwort ansetzte und nicht Torsten.
 

„Also Großer, hat es dich auch endlich mal erwischt! Na da bin ich aber froh, wird ja auch langsam mal Zeit! Erzähl deinem alten Freund Clemens mal was von ihr. Wie sieht sie aus, wie heißt sie und so weiter.“
 

Erstarrt blickte Per zu Clemens, der immer noch Freudestrahlend zu seinem Freund aufsah. Um weiteren Spekulationen aus dem Weg zu gehen, erklärte er schnell:
 

„Ich habe keine Freundin, Fritz. Außerdem habe ich mich gerade vor deinem Auftritt in aller Ruhe mit dem Lutscher unterhalten!“
 

Sein Ton war schärfer und schroffer, als er es eigentlich beabsichtigt hatte und sowohl Clemens als auch Torsten sahen ihn überrascht an. Solche Töne kannten sie ja von vielen anderen Leuten, aber nicht von ihrem ruhigen Per. Normalerweise kam über seine Lippen selten ein böses Wort, geschweige denn so harte Worte. Klar, sie waren mitten in einem Gespräch gestört worden, aber so eine Reaktion war doch ein wenig überzogen. Augenscheinlich war hinter der Sache doch noch mehr, als Per im ersten Moment gesagt hatte.
 

Auch dem Innenverteidiger war sein rauer Ton aufgefallen und er bereute es sofort. Clemens Fritz zählte zu seinen besten Freunden und es war nun wirklich nicht fair ihn einfach so anzufahren, wo er doch im Grunde genommen nur sauer und wütend auf sich selbst und seine eigene Dummheit war. Da konnte sein Freund aber auch nichts zu. Langsam beschlich Per das schlechte Gewissen und er wusste, dass er sich schnellstmöglich bei seinem Freund entschuldigen musste. Hoffentlich nahm er es ihm nicht weiter krumm. Trotzdem wäre es ihm lieber gewesen, wenn dieses Gespräch zwischen ihm und Torsten Frings geblieben wäre. Er vertraute Clemens zwar voll und ganz, aber sobald es um Frauen ging, traten zwischen den beiden einfach riesengroße Unterschiede zu Tage. Unterschiede, die er heute nicht hören wollte. Es war ihm schon selbst klar geworden, dass er sich wie ein einfältiger Teenager verhalten hatte, da musste er sich nicht auch noch von einem seiner Freunde auslachen lasse, der ihn bestimmt nicht verstehen würde.
 

Per Mertesacker war eben eher der Ruhigere der beiden, meistens auch der Schüchternere, der sich gern einfach nur mit einer Frau unterhielt und sie erst eine Weile kennen musste, um sich ernsthaft in sie zu verlieben. Und wenn er in eine Frau nicht wirklich verliebt war, ließ er auch die Finger von ihr. Da gab es bei ihm keine Kompromisse, wenn er da kein kribbeln und nichts spürte, dann ging er auch mit keiner ins Bett, da hatte der ehemalige Spieler von Hannover 96 seine Prinzipien. Und mit Fans fing er grundsätzlich nichts an, das ging niemals gut.
 

In dieser Beziehung war Clemens jedoch ganz anders. Er liebte es tanzen und feiern zu gehen, was an sich nichts schlechtes war, da auch Per ab- und an einmal das Bremer Nachtleben unsicher machte, aber Clemens blieb selten lange allein. Schöne Frauen zog er an wie die Motten das Licht und er liebte die geballte weibliche Aufmerksamkeit, die sich überall da einstellte, wo er auftauchte. Schöne Frauen streichelten sein Ego und er wusste sie wahrscheinlich besser zu schätzen als jeder andere aus der Mannschaft. Selbstverständlich war Clemens nicht so oberflächlich, als das er sich von diesen Frauen täuschen lassen würde, aber hin- und wieder genoss er doch einen gedankenlosen Flirt oder sogar eine heiße Nacht ohne irgendwelche Versprechen von Liebe. Clemens war der geborene Charmeur, er sah verdammt gut aus und er wusste es. Selbst seine eingeschränkte Arroganz, die er nur in den seltensten Fällen zur Schau trug, trug zu seinem Charme bei. Ihm fehlte nie das Selbstbewusstsein eine junge Frau anzusprechen und mit seiner lockeren Art wickelte er sie alle um den Finger.
 

Grundsätzlich beneidete Per seinen Freund nicht um sein Händchen mit den Frauen, aber an diesem Morgen hätte er seinen frauenversierten Freund an seiner Seite gebraucht, denn dann wüsste er jetzt wahrscheinlich nicht nur den Namen der Unbekannten, sondern auch ihre Adresse und Handy-Nummer. Wie es ohne ihn gelaufen war, das Ergebnis kannte er ja nur zu gut.
 

„Tut mir leid Jungs, dass ich euch so angemacht habe. Ihr könnt ja auch nichts dazu. Sorry.“
 

Torsten Frings, der immer noch sprachlos über den Ausbruch des Jüngeren war, schüttelte nur leicht den Kopf.
 

„Ich sollte dann wohl besser gehen, wenn ihr beiden etwas miteinander zu besprechen habt und ich eh nur störe.“
 

Der Unterton in Clemens Stimme entging keinem der beiden und als der Blondschopf seinen Gang beschleunigte und etwas gekränkt auf die Kabine zusteuerte, hielt Merte ihn am Arm zurück. Er hatte seinen Freund wirklich nicht verletzen wollen, aber augenscheinlich war ihm das trotzdem gelungen. Jetzt musste er das erstmal gerade biegen. Schließlich gab es nichts Schlimmeres als mit einem Freund im Klinsch zu liegen.
 

„Clem, nun warte doch. So war das nicht gemeint, das habe ich doch eben schon Mal gesagt.“
 

„Ja, du hast auch vorher gesagt, dass du dich mit Torsten unterhalten hast, nichts für Ungut, Lutscher.“
 

Warf Clemens mit einer entschuldigenden Geste in Richtung Vize-Kapitän ein. Auf den war er ja nicht sauer, nur auf den langen Innenverteidiger, der ihm anscheinend nicht genug vertraute, um ihn von seiner neuen Flamme zu erzählen.
 

„Du störst wirklich nicht Clemens und es geht hier nicht darum, dass ich dir nicht genug vertraue. Sondern um etwas ganz anderes.“
 

Per, der die Gedanken seines Freundes leicht erraten hatte, tat alles um ihn zu beruhigen. Manchmal reagierte Clemens einfach über und das hier schien eine dieser Situationen zu sein.
 

„Ach, Herr Mertesacker, worum ging es dann?“
 

Fritz war noch nicht ganz bereit die Entschuldigung seines Freundes anzunehmen, auch wenn er mittlerweile bei weitem milder gestimmt war als noch vor wenigen Minuten. Natürlich war ihm auch klar geworden, dass er sich mal wieder wie eine Diva aufführt und total überreagierte, aber ein bisschen sollte Merte doch noch schwitzen.
 

„Wisst hier, ich bin ja heute Morgen aus Hannover wieder gekommen. Es war noch verdammt früh und ich hatte irgendwie noch keine Lust nach Hause, also bin ich einfach ein bisschen unerkannt durchs Flughafengebäude gelaufen und auf einmal stoße ich aus Versehen eine junge Dame an.“
 

Clemens grinste schon wieder und nickte nur schelmisch.
 

„Ja klar, Merte, ganz aus Versehen, wir verstehen schon.“
 

„Nein, ihr versteht es nicht, es war wirklich nur aus Versehen. Ich habe einfach nicht darauf geachtet, was vor meinen Füßen war. Im ersten Augenblick war sie verdammt sauer und hätte mich am liebsten vor allen Anwesenden zusammengefaltet, aber dann-“
 

Diesmal mischte Torsten sich in das Gespräch mit ein, sein Grinsen nur schwer unterdrückt.
 

„- aber dann hat sie dich angesehen und erkannt, wer du bist und da war natürlich ganz schnell kein Gedanke mehr ans Zusammenfalten, habe ich Recht, Großer?“
 

„Nein, hast du nicht Lutscher und das wüsstet ihr auch schon, wenn ihr mich ausreden lassen würdet. Also, eigentlich hat sie sich dann einfach umgedreht und ich konnte nicht aufhören sie anzustarren. Keine Ahnung, warum, aber es ging einfach nicht.“
 

Verlegen kratzte Per sich am Kopf und sah seine beiden Freunde an, die krampfhaft versuchten eine ernste Mine aufzusetzen. Sie scheiterten kläglich. Immer wieder zuckten ihre Mundwinkel.
 

„Na ja und dann hat sie sich auf einmal umgedreht und mich gefragt, wann ich denn fertig wäre sie zu mustern. Man war mir das peinlich, aber sie hatte so ein süßes Lächeln dabei auf dem Gesicht und sie klang auch ganz und gar nicht mehr ärgerlich.“
 

Clemens schlug Per auf den Rücken und klatschte dann in die Hände. So langsam wurde diese Geschichte ja doch noch richtig interessant.
 

„Dieses Mädel gefällt mir, die ist wenigstens nicht auf den Mund gefallen und wenn unser lieber Per gar nicht mehr aufhören kann sie anzustarren, dann muss sie ja wirklich was zu bieten haben. Sag Großer, wie sieht sie aus?“
 

Mertesacker wurde rot und er versuchte die richtigen Worte zu finden um seine Bekanntschaft vom Flughafen zu beschreiben.
 

„Ich weiß nicht so genau, was ich sagen soll. Sie ist relativ klein und-“
 

Jetzt lachte der Lutscher laut auf und Merte sah ihn fragend an.
 

„Na ja Per, du musst schon zugeben, dass im Grunde genommen jede Frau neben dir klein aussieht. Du bist nun mal ein ziemlicher Riese.“
 

Wenn man es so betrachtete, hatte der Lutscher ja Recht, also präzisierte Per sich ein bisschen.
 

„Ich denke sie wird die 1,60m Marke nur knapp erreicht haben, zufrieden?“
 

„Ja ja, damit wird sich der Lutscher wohl zufrieden geben, ich hingegen will mehr hören. Also weiter, schließlich beginnt gleich das Training und dann haben wir erstmal keine Zeit mehr.“
 

Clemens war jetzt Feuer und Flamme und die beiden anderen wussten, dass er nicht eher seinen Mund halten würde, bis er alles erfahren hatte. Und vielleicht sogar noch ein bisschen mehr, denn Clemens Fritz war, im Vertrauen gesagt, verdammt neugierig.
 

„Sie hatte mittellange blonde Haare und ein absolut umwerfendes Lächeln. Überhaupt sieht sie toll aus.“
 

Fritz gebot ihm mit einer Handbewegung weiterzumachen, auch wenn er sich das Grinsen wieder einmal nicht verkneifen konnte. Sein Freund geriet ja richtig ins Schwärmen über diese fremde Frau. Das musste dann schon ein Feger sein.
 

So erzählte Per den Beiden während sie sich zum Training fertig machten auch noch, wie die nächsten Stunden verlaufen waren. Wie sie zusammen einfach nur dagesessen und über Gott und die Welt geredet hatten. Sie staunten nicht schlecht, als sie erfuhren, dass die junge Frau wahrscheinlich keine Ahnung hatte, wer Per war.
 

Als Per mit seiner Erzählung zu ende war, begannen sie gerade mit einem lockeren Lauftraining, so dass Clemens, Torsten und eben auch Per in aller Ruhe neben einander herlaufen konnten.
 

„So Großer und jetzt sag uns, wann du sie wieder siehst, damit wir dir vor eurem ersten Date auch noch ein paar wertvolle Tipps mit auf den Weg geben können.“
 

Clemens war enthusiastisch und freute sich riesig für seinen Freund, den es augenscheinlich ziemlich erwischt hatte. Er wollte helfen wo er konnte und so wie er Per kannte, hatte er in dieser Beziehung einige Hilfestellung nötig.
 

„Ich weiß nicht ob ich sie jemals wieder sehe, geschweige denn wann.“
 

Pers seufzen schien aus tiefsten Herzen zu kommen. Jetzt war an der Stelle angelangt, an der seine beiden Freunde ihn bestimmt auslachen würden. Immerhin war er Per Mertesacker, ein gefeierte Fußballstar und auch wenn er nicht ganz so gut aussah wie Clemens, so lagen ihm doch genau Frauen zu Füßen und so musste er doch wissen, dass man eine Frau durchaus nach ihrem Namen fragte.
 

„Wieso weißt du nicht, ob du sie wieder siehst? Wenn du dich nicht traust sie anzurufen, dann machen wir das für dich.“
 

Per lachte auf und erntete ein paar komische Blicke von seinen Mitspielern, die natürlich keine Ahnung hatten, was da bei den Dreien beredet wurde.
 

„Wenn es nur mein fehlender Mut wäre, hätte ich keine Probleme, aber ich habe ihre Nummer nicht.“
 

Das ließ Fritz erstaunt aufsehen. Einen Augenblick zweifelte er an seinem Freund, doch dann fing er sich wieder schnell und gewann seinen Optimismus zurück.
 

„Na, das ist doch kein Problem, wozu gibt es denn eine Auskunft? Du fragst einfach nach ihrer Nummer.“
 

„Das geht nicht, weil-“
 

Erwartungsvoll sahen der Lutscher und Fritz ihren Freund an und wunderten sich, was denn nun schon wieder nicht gehen würde. Per Mertesacker und die Frauen war echt kein leichtes Thema, aber Clemens hatte irgendwie das Gefühl, das es bei dieser einen anders sein konnte.
 

„Das geht nicht, weil ich ihren Namen nicht kenne.“
 

Vollkommen überrascht blieben sowohl Clemens als auch Torsten stehen. Sie konnten es nicht fassen, da unterhielt sich ihr Freund stundenlang mit einer Frau und er bekam es nicht auf die Reihe sie nach ihrem Namen zu fragen? Hallelujah, es stand schlimmer um ihn als erwartet.
 

Der Lutscher war der Erste, der sich wieder gefangen hatte und gedanklich nach einer plausiblen Lösung suchte. Dabei dachte er natürlich keinen Augenblick an seine Schwester Lena, die auch gerade erst angekommen war und auf die Pers Beschreibung perfekt passte. So weit konnte er in diesem Moment einfach noch nicht denken.
 

„Oh Mann, Per, da hast du uns aber wirklich vor eine Aufgabe gestellt. Ich wusste ja schon länger, dass du schüchtern bist, aber das es so schlimm ist, hätte ich nicht erwartet.“
 

Clemens hingegen hatte sich mittlerweile wieder gefangen und konnte es sich nicht verkneifen Per kopfschüttelnd auf den Rücken zu klopfen.
 

„Was?“
 

„Per, wenn man dich mal allein lässt, da kriegst du ja gar nichts auf die Reihe, meine Güte, ich muss Torsten wirklich Recht geben, du wirst uns noch zu einem hoffnungslosen Fall. Es wundert mich schon, dass du sie überhaupt zu einen Kaffe eingeladen hast, wenn du schon bei ihrem Namen die Zähne nicht auseinander bekommst.“
 

Clemens lachte und versuchte die ganze Situation mit Galgenhumor zu sehen, doch anscheinend verstand sei n Freund gerade keinen Spaß, denn Per würdigte ihn keines Blickes und trabte nur schneller weiter. Er bereute es mittlerweile seinen Freunden von seiner Begegnung mit der jungen Frau erzählt zu haben, da er augenscheinlich nur zur allgemeinen Erheiterung diente.
 

Frings, der neben Clemens stehen geblieben war, sah diesen böse an.
 

„Verstehst du jetzt, warum Per es dir nicht erzählen wollte? Weil er keine Lust darauf hatte, dass du dich über ihn lustig machst. Siehst du nicht, wie ihn diese ganze Sache berührt? Da war das letzte, was er heute gebraucht hat, der Spott von seinen Freunden. Ihm ist schon klar, dass es nicht der klügste Schachzug war nicht nach ihrem Namen zu fragen, aber er kann es nun mal nicht mehr ändern. Du solltest ihm das nicht noch so unter die Nase reiben.“
 

Der Lutscher sah ernst aus und Clemens nickte betroffen. Er hatte den langen Innenverteidiger wirklich nicht verletzen wollen, er hatte einfach mal wieder schneller gesprochen als gedacht, wie schon so oft. Und genau das hatte ihn schon häufiger in arge Bedrängnis gebracht. So wie jetzt. Er musste sich schleunigst bei Per entschuldigen.
 

To be continued?? Nur wenn ihr wollt…

Gespräche unter Frauen

Das hier ist meine erste Story mit und über reale Personen und selbstverständlich ist das alles nur erfunden… Also keine Panik, nichts ist wahr, alles stammt nur aus meinem Hirn…

Es soll weder Ruf schädigend noch sonst irgendwie böse sein… Also habt Nachsicht…
 


 

Während sich Clemens und Torsten mit dem nichtexistenten Liebesleben ihres Kollegen Per beschäftigten, saßen Lena und Petra gemeinsam in der Küche und tranken eine heiße Schokolade, die Lena auch nach all den Jahren immer noch abgöttisch liebte. Für sie gab es keinen besseren Muntermacher, keine bessere Droge als eine dampfende Tasse Kakao mit einem Strohhalm drin. So konnte sie die Welt um sich herum vergessen und ein wenig entspannen. Deswegen hatte sie sich ja auch überhaupt erst von dem netten jungen Mann einladen lassen. Er hatte ihr eine Möglichkeit zum Entspannen geboten und Lena hatte sie dankend angenommen. Mittlerweile war sie sogar ein wenig traurig, dass sie dem großen Kerl nicht ihren Namen gesagt hatte. Er war ja so liebenswürdig gewesen und gegen ein erneutes Treffen hatte sie im Grunde genommen nichts einzuwenden, auch wenn sie eigentlich nach Bremen gekommen war, um die Männer zu vergessen. Also versuchte Lena das Lächeln des langen aus ihren Gedanken zu verbannen.
 

Die Mädchen waren mittlerweile aus dem Haus und die beiden Frauen hatten alle Zeit der Welt um sich ausgiebig auszutauschen. Was sie auch laut lachend taten. Petra erzählte Lena von ihrer bisherigen Zeit in Bremen, von den Mädchen, dem täglichen Leben mit Torsten, von ihren Freundinnen und natürlich auch dem Leben als Spielerfrau im Allgemeinen, auch wenn sie selbst diese Bezeichnung nicht gerade bevorzugte.
 

„So Lena und jetzt raus mit der Sprache: Warum bist du wirklich hier?“
 

„Das habe ich doch schon gesagt: Ich wollte euch endlich mal wieder sehen.“
 

„Das glaube ich dir ja, aber du hast auch gesagt, dass du nicht wusstest, wo du sonst hinsolltest. Was ist los mit dir, Kleines? Du bist ja fast erstarrt als dein Bruder dich mit zum Training nehmen wollte. Irgendetwas stimmt nicht, das habe ich im Gefühl.“
 

Einen Augenblick sahen die beiden Frauen sich an und Lena überlegte, ob sie ihrer Schwägerin die Wahrheit sagen sollte, oder ob eine Lüge besser wäre. Eine ganz kleine Notlüge nur. Normalerweise zog Lena es vor die Wahrheit zu sagen, aber wenn sie doch einmal log, erkannte es keiner, da sie als Psychologin die Körpersprache der Lügner kannte und so alle verdächtigen Bewegungen vermied, die sie vielleicht verraten konnten.
 

„Du kannst mir vertrauen Lena und wenn du nicht willst, dass Torsten es erfährt, dann erzähle ich es ihm auch nicht. Hast du etwa Liebeskummer und wolltest deswegen aus deiner gewohnten Umgebung raus? Hast du es nicht mehr ins einer Nähe ausgehalten?“
 

Lena sah in das zaghaft lächelnde Gesicht ihrer Schwägerin und entschied sich im Bruchteil einer Sekunde für die Wahrheit. Oder zumindest einen Teil der Wahrheit. Sie konnte und wollte Petra aber nicht mit alle ihren Problemen belasten. Außerdem war sie sich selbst über das gesamte Ausmaß ihres Dilemmas noch nicht im Klaren.
 

„Na ja, nein, eigentlich will ich wirklich nicht, dass mein Bruderherz es erfährt, er ist in solchen Angelegenheiten immer sehr beschützerisch und ich weiß nicht, ob ihm das gefallen würde, was ich in der letzten Zeit so gemacht habe.“
 

„Aha, also hat es doch was mit einem Mann zu tun.“
 

„Ja, so könnte man es sagen.“
 

„Aber kein Liebeskummer?“
 

Wieder überlegte Lena einen Moment, wie sie ihre Schwägerin ihre Situation am besten begreiflich machte. Sie wusste ja selbst nicht, ob sie Liebeskummer hatte, denn dafür musste man erstmal definitiv verliebt sein und da war Lena sich nun absolut nicht sicher.
 

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, Petra. Weißt du, in Barcelona, da gibt es einen tollen Mann, Leo, und wir sind schon befreundet, seit ich damals vor ein paar Jahren von Mailand dahin gezogen bin. Wir haben fast jede freie Minute gemeinsam verbracht, zusammen gelacht und Barcelona unsicher gemacht. Wie waren einfach nur ein geiles Team, wir haben uns ohne Worte verstanden. Ich mochte seine Freunde und kam mit seiner Arbeit klar, was irgendwie unerlässlich für unsere Freundschaft war. Und ja-“
 

Sie seufze, weil sie nicht wusste, wie sie Petra am besten ihre Beziehung zu Lionel beschrieb. Wie sollte man auch etwas Unbeschreibliches beschreiben. Sie hatte noch nie versucht mit irgendjemanden über Leo zu sprechen, der ihn nicht persönlich kannte. Oder sie zusammen erlebt hatte. Dazu hatte es bisher noch nie einen Grund gegeben und trotzdem saß sie jetzt hier mit Petra und versuchte es. Doch die schien sie auch ohne Worte zu verstehen und nickte nur wissend.
 

„Und dieser wunderbare Freund ist mit der Zeit mehr für dich geworden, hat aber eine Freundin. Diese Beziehung willst du nicht in Gefahr bringen.“
 

„Nein. Er hat keine Freundin, zumindest keine feste. Hin- und wieder hat er mal ein Date, aber nichts wirklich ernstes, das ist es nicht.“
 

Petra fiel auf, dass Lena zwar der Sache mit der Freundin widersprochen hatte, nicht jedoch, das sie sich in ihn verliebt hatte. Ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, wusste sie jedoch nicht, dafür musste sie erst wissen, was dann das Problem ihrer Schwägerin war, wenn keine andere Beziehung.
 

„Was ist dann das Problem?“
 

„Die Sache ist kompliziert. Selbst wenn er etwas für mich fühlen sollte und wir zusammen kämen, dann müsste ich alles aufgeben, wofür ich all die Jahre so hart gearbeitet habe. Und ich weiß nicht, ob ich wirklich bereit bin all das für einen Mann zu opfern.“
 

Lena ließ ihren Kopf in ihre Hände sinken und schloss die Augen. Sie hatte Barcelona fluchtartig verlassen, weil mit einem Mal alles auf sie eingestürzt war, aber wenn sie jetzt hier so saß bemerkte sie, dass ihre Probleme ihr hartnäckig folgten. Wenn auch zum Glück nicht in Person von Lionel Messi.
 

„Verlangt er etwa von dir alles aufzugeben?“
 

Petra wusste, wie sehr Lena ihre Arbeit liebte. Sie ging immer mit Herzblut an die Sache ran und kniete sich voll rein. Für sie gab es nichts Besseres als Menschen zu helfen, auch wenn es „nur“ durchs Zuhören war. Sie hatte sich damals gegen den normalen Werdegang einer Medizinerin entschieden und hatte lieber 13 Semester Psychologie auf sich genommen. Erfolgreich. Und nun sollte eine mögliche Beziehung das alles gefährden?
 

„Leo würde so was nie von mir verlangen, er kennt mich. Und außerdem weiß er, dass ich meinen Beruf nicht aufgeben würde. Aber ich müsste es zwangsläufig tun, da alle anderen glauben würden, dass ich nicht gleichzeitig mit ihm zusammen sein und meine Arbeit richtig machen kann.“
 

Sie fragte Lena nicht weiter, warum beides nicht möglich war, denn sie sah der Jüngeren an, dass sie kein weiteres Wort mehr zu diesem Thema sagen würde. Sie war müde, erschöpft und so ließ Petra auch das Thema Werder Bremen Training auf sich beruhen. So wie es aussah würden sie noch einige Gelegenheiten haben sich ausgiebig zu unterhalten, da musste sie es jetzt nicht auf biegen und brechen versuchen. Vor allen Dingen da sie wusste, dass, wenn Lena erst einmal dicht gemacht hatte, aus ihr nichts mehr heraus zu bekommen war.
 

„Kleines, was hältst du davon, wenn ich dir ein bisschen die Stadt zeige und wir ein wenig einkaufen gehen? Hier in Bremen gibt es ein paar wunderbare Läden, die ich dir gerne einmal zeigen würde. Sie haben ganz tolle Sachen zu angenehmen Preisen. Shoppen hebt die Stimmung, das ist mittlerweile wissenschaftlich bewiesen, in irgendeiner Zeitung habe ich einen Bericht darüber gelesen. Außerdem kann man nie genug Kleider im Kleiderschrank haben.“
 

Beim Wort Shoppen hob Lena interessiert den Kopf. Normalerweise war sie nicht der Mensch, der stundenlang irgendwelche Sachen anprobierte, bei ihr musste es schnell gehen, aber das lag meistens eher an ihrer mangelnden Zeit. Und ihrer männlichen Begleitung. Sicherlich war es etwas vollkommen anderes mit ihrer Schwägerin Petra einkaufen zu gehen. Und sie würde sich Bremen schon gern einmal ansehen, wenn sie schon mal da war. Sie hatte schon einiges über die verschiedenen Sehenswürdigkeiten gelesen, bisher jedoch nie die Zeit gefunden sie sich auch wirklich anzusehen. Vielleicht würde sie ja auch mit etwa Glück Per wieder treffen. Dann könnte sie ihm ihren Namen sagen.
 

„Abgemacht. Aber was sollen wir denn kaufen? Gibt es irgendeinen besonderen Anlass? Irgendetwas müssen wir meinem großen Bruder ja schließlich auch erzählen, denn er steht nicht so auf sinnloses einlaufen nur um die Laune zu heben. Unnütze Geldverschwendung hat er früher immer geschimpft wenn wir einfach nur so zusammen bummeln waren, weißt du noch?“
 

Natürlich erinnerte Petra sich noch und bei dem Gedanken an Torstens Gesichtsausdruck konnte sie sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ihr Mann sah keinen Sinn darin bummeln zu gehen. Er hasste es sogar. Er saß lieber vor dem Fernseher und sah sich irgendein Fußballspiel aus einer der anderen europäischen Ligen an, als dass er mit ihr in die Stadt zum Einkaufen ging. Trotzdem fiel ihr spontan tatsächlich ein Anlass ein, für den sie noch nichts zum Anziehen hatte.
 

„Mir ist was eingefallen. In ein paar Tagen sind Torsten und ich dran einen kleinen, netten Abend für ein paar Nationalmannschaftsspieler zu machen. Nichts Besonderes, einfach ein Abendessen und ein netter Abend. Eigentlich hatte ich irgendetwas aus dem Schrank anziehen wollen, aber jetzt hat sich die Sachlage definitiv geändert.“
 

Petra lächelte schelmisch und Lena verstand sofort. In Windeseile zogen sie sich die Jacken an, stiegen ins Auto und machten sich auf den Weg in die Innenstadt um ein paar tolle Outfits zu finden.
 

Die beiden Frauen hatten ja keine Ahnung, wer ihnen ausgerechnet in einer kompromitierenden Situation begegnen sollte…
 


 

To be continued wenn Interesse besteht...

Umkleidekabine

Das hier ist meine erste Story mit und über reale Personen und selbstverständlich ist das alles nur erfunden… Also keine Panik, nichts ist wahr, alles stammt nur aus meinem Hirn…

Es soll weder Ruf schädigend noch sonst irgendwie böse sein…
 


 

Die Stadtführung brachten die beiden Frauen verhältnismäßig schnell hinter sich, denn auch wenn Bremen touristisch einiges zu bieten hatte, so musste man es ja nicht unbedingt alles an einem Tag abhandeln. Lena würde ja noch ein wenig länger bleiben und hatte noch viele Gelegenheiten die Perle an der Weser zu besuchen. Ein Genießer nahm sich Zeit und Bremen war die Stadt, die man unbedingt genießen musste.
 

Deswegen gingen die Frauen schneller als gedacht zum Shopping über und schlenderten durch einige Geschäfte, die es wahrscheinlich nur in Bremen gab. Kleine, ganz unscheinbare Läden bargen herrliche Kostbarkeiten, an denen Lena sich gar nicht satt sehen konnte. Filigrane Schmuckstücke standen genauso zum Verkauf wie breite, protzige Diamanten, an denen jedoch weder Petra noch Lena großen Gefallen fanden. Da standen sie beide eher auf etwas dezentes, elegantes, das nicht so penetrant aufdringlich nach Geld schrie. Das war in den meisten Fällen einfach nur geschmacklos. Zumindest in den Augen der beiden Frings-Frauen.
 

Sicher, in Mailand und auch in Barcelona hatte es viele kleine Läden für Kenner und Liebhaber gegeben und Lena war immer eine derjenigen gewesen, die diese Geschäfte entdeckt hatte, aber so etwas hatte sie noch nicht gesehen. Sowohl Ricardo in Mailand als auch Leo in Barcelona hatten ihr immer wieder schönen Schmuck schenken wollen und zu besonderen Gelegenheiten wie ihrem Geburtstag hatte sie ihn sogar angenommen, aber das hier war einfach atemberaubend.
 

Petra, die die sehnsüchtigen Blicke ihrer Schwägerin bemerkt hatte, lächelte.
 

„Wenn du Torsten ganz lieb fragst, kauft er dir bestimmt die Kette im Schaufenster, die dir so gefällt. Er hat doch seiner kleinen Schwester schon seit einer halben Ewigkeit nichts ordentliches mehr geschenkt.“
 

Erschrocken sah Lena Petra an. Das konnte doch wohl nicht ihr Ernst sein, oder? Sie sollte ihren Bruder darum bitten ihr ein Schmuckstück zu kaufen? Noch eines, das nicht ganz so billig war? Nein, Lena war froh, dass Torsten sie bei sich aufgenommen hatte, ein Geschenk erwartete sie nicht. Außerdem war sie durchaus selbst in der Lage sich die Kette zu kaufen, wenn sie es wirklich wollte. Sie verdiente nicht schlecht, eher sogar fast königlich für die Arbeit, die sie machte, aber das musste sie Petra ja nicht so direkt zu verstehen geben, da diese ja nicht genau wusste, womit sie sich ihren Lebensunterhalt verdiente.
 

„Ich will die Kette nicht von Torsten geschenkt bekommen, ich bin froh, dass ich in nächster Zeit erstmal bei euch bleiben kann, mehr brauch ich gar nicht. Und wenn ich die Kette wirklich haben will, dann kaufe ich sie mir schon selbst, keine Panik, dafür wird mein Budget reichen.“
 

Selbst ein Vollidiot hätte an diesem Punkt gemerkt, dass Lena sowohl etwas gegen das Thema Geld als auch das Schenken von Schmuck hatte und so hielt Petra es für besser nichts mehr davon zu sagen. Wenn ihre Schwägerin darauf empfindlich reagierte, hatte es wohl einen Grund. Wahrscheinlich wollte sie ihnen nicht das Gefühl vermitteln, dass sie komplett für ihren Lebensunterhalt aufkommen sollten, dabei war das bei dem Beruf ihres Mannes nun wirklich keine große Sache. Ein bisschen Unterstützung für die geliebte kleine Schwester würde Torsten nicht wehtun, im Gegenteil, er würde es gern machen.
 

„Lena, was hältst du davon, wenn wir noch mal kurz bei H&M reinschauen? Ich stöbere da gern und die haben meistens richtig tolle Sachen, auch für die Mädchen.“
 

„Klar, kein Problem.“
 

Zielstrebig betraten die beiden den Laden und sahen sich nach Sachen für Lena und Lisa um. Lena wollte ihren beiden kleinen Nichten unbedingt eine Kleinigkeit mitbringen, da sie in Barcelona nicht mehr daran gedacht hatte. Es war ihr erst eingefallen, als sie bereits erschöpft im Flugzeug gesessen hatte und da war es schon zu spät gewesen. Möglicherweise fand sie aber hier etwas Tolles für die Mädchen und konnte sie damit heute Abend noch überraschen. Im Grunde genommen hatte Lena keinen blassen Schimmer, was man zwei aufgeweckten kleinen Mädchen schenkte, aber ihr würde schon etwas einfallen. Bisher hatte sie immer nur Geschenken für Jungen gekauft und das war bei weitem einfacher gewesen.
 

Christian zum Beispiel war ein riesiger Fußballfan und ihm konnte man mit solchen Sachen wie einem Trikot, neuen Fußballschuhen oder etwas Ähnlichem eine große Freude machen, wenn er das alles nicht gerade erst von seinem Vater oder seinem Opa bekommen hatte. Die beiden verwöhnten ihren Christian ohne Ende, auch wenn sie es niemals zugeben hätten. Sie wollten nur das Beste für ihren kleinen Schatz und in Lenas Augen hatten sie definitiv das eine oder andere Mal übertrieben. Anders herum aber hatte Lena ihn natürlich auch verwöhnt, nicht mit materiellen Dingen, davon hatte er genug, dafür aber mit menschlicher Nähe. Mit Normalität in einem außergewöhnlichen Leben. Viel zu selten hatten seine Eltern wirklich Zeit für ihn und sie als Kindermädchen nahm sich alle Zeit der Welt um mit ihm all die Dinge zu tun, die Kinder normalerweise in seinem Alter taten. Sie gingen zusammen auf Spielplätze, spielten irgendwelche Spiele zusammen und wenn es nur Fangen war. Sie half ihm bei den Hausaufgaben und hörte ihm zu. Wenn es ihm schlecht ging oder er schlecht geträumt hatte, war Christian nicht zu seinen Eltern gegangen, sondern immer direkt zu „seiner“ Lena. Jetzt war ihr kleiner Junge mittlerweile schon gar nicht mehr so klein und begann in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Das fröhliche Strahlen und das unverschämt gute Aussehen hatte er auf jeden Fall schon einmal, fehlten vielleicht nur noch ein paar andere Dinge, aber die würde er mit der Zeit auch noch lernen.
 

Lena musste unwillkürlich lächeln, als sie an ihren kleinen Mann dachte, der sie auch nach ihrem Fortgang aus Mailand immer noch regelmäßig angerufen hatte um ihr alles zu erzählen. Der ganz aufgeregt auf ihre Besuche hingefiebert hatte und sie dann nie hatte gehen lassen wollen. Er war älter geworden, teilweise sogar vernünftiger, aber gehen lassen wollte er sie immer noch nicht. Christian war einfach nur süß, ihr kleiner Schatz.
 

Gedankenverloren stöberte Lena in der Unterwäscheabteilung und fand ein paar hübsche Dessous, die die unbedingt anprobieren wollte. Der eine war schwarz mit feiner rosa Spitze durchzogen und der andere weinrot mit schwarzer Spitze an den Rändern. Grundsätzlich bevorzugte Lena unspektakuläre Unterwäsche, die eher bequem als sexy sein musste. Für bestimmte Gelegenheiten hatte sie zwar auch aufwendigere Sachen im Schrank, aber meistens beließ sie es bei den schlichteren Modellen, die eher subtil wirkten und nicht so aufdringlich waren. Schließlich sollte sie unter normalen Umständen auch niemand unerwartet zu sehen bekommen. Schon gar nicht der Mann, mit dem sie vielleicht noch mehr vorhatte. Trotz ihrer eher bescheidenen Vorstellungen kaufte sie Slip und BH immer passend zu einander, weil sie es so einfach praktischer fand. Dann musste sie nicht erst noch ewig nach einem schönen Slip suchen, weil er direkt dabei war. Perfekt und Zeit sparend.
 

Sowohl Ricardo in Mailand als auch Leo in Barcelona hatten sich immer wieder über sie lustig gemacht, wenn sie beim Unterwäschekaufen lieber eine weibliche Meinung hatte hören wollen. Sie konnten sie in dieser Angelegenheit einfach nicht verstehen. Unabhängig von einander hatten sie immer damit argumentiert, dass die Dessous im Endeffekt für einen Mann waren und sie somit auch besser von einem Mann ausgesucht werden mussten. Das eine Frau sich auch durchaus Unterwäsche für sich aussuchte und nicht nur, um einen Mann zu beeindrucken, war ihnen nicht in den Kopf gekommen. Genauso wenig hatten sie verstanden, warum Lena sich dafür geschämt hatte mit ihnen Unterwäsche shoppen zu gehen. Irgendwann hatten sie es akzeptiert und sich von der Vorstellung verabschiedet sie irgendwann einmal in einem Hauch von Nichts in einer Umkleidekabine zu sehen.
 

„Petra, ich gehe die Sachen kurz anprobieren.“
 

„Mach das, wenn du irgendetwas brauchst, ruf einfach.“
 

Lena traute sich irgendwie noch nicht ihre Schwägerin Petra darum zu bitten einen Blick auf ihre Wahl zu werfen, das war ihr dann doch irgendwie etwas zu- komisch. Schließlich war sie die Frau ihres Bruders und sie hatten sich schon lange nicht mehr gesehen. Früher war sie hin- und wieder mit Petra einkaufen gewesen und es hatte ihr ehrlich Spaß gemacht, aber damals hatten sie sich auch noch besser gekannt. Waren vertrauter miteinander umgegangen, weil sie beide noch ganz einfache Frauen gewesen waren. Mittlerweile war Lena sich da nicht mehr ganz sicher.
 

Zielstrebig machte Lena sich auf den Weg in eine der Kabinen und zog den Vorhang hinter sich zu. Hier wimmelte es nur so von jungen Frauen und Mädchen, die scheinbar alle nichts anderes zu tun hatten als ein wenig bummeln zu gehen. Unten hatte sie schon eine kleine Menschenmenge entdeckt, sich aber nicht weiter darum gekümmert. Sie hatte sich fest vorgenommen sich von allen Menschenansammlungen fern zu halten. Und daran wollte sie sich auch halten und ihre Neugier sollte sie nicht daran hindern, auch wenn Lena schon gern gewusst hätte, was es da so besonderes gab.
 

Schnell hatte sie sich ausgezogen und den weinroten BH anprobiert. Er saß sehr bequem und machte ein schönes Dekoltée. Ein schönes Stück und der Preis war human, so dass sie ihn vorsichtig wieder auszog und zu ihren Sachen hing. Ein wenig provokativ baumelte er da über ihrem normalen Pullover und erweckte den Eindruck als wäre er nur für sie gemacht. Das gefiel ihr irgendwie. Locker zog Lena nun auch den schwarz-rosa BH an und betrachtete sich im Spiegel von allen Seiten. Ihre langen Haare fielen ihr wellig wie immer über die Schultern und ihre dunkelblauen Augen blitzen verführerisch, als sie ihr Spiegelbild betrachtete. Nur mit BH und enger, dunkler Jeans sah sie fast aus wie eines dieser Möchtegern-Models, die mit solchen Bildern versuchten Karriere zu machen. Immer noch lächelnd drehte Lena sich vom Spiegel weg und wollte sich fast schon wieder ausziehen, als auf einmal der Vorhang aufgerissen und schnell wieder vorgezogen wurde. Erschreckt sah Lena den Eindringling an, der sich schwer atmend auf seine Knie stütze und bisher noch nicht hochgesehen hatte.
 

Wie zur Salzsäule erfroren konnte Lena nicht aufhören den blonden Mann vor ihr anzusehen. Seine Frisur schien sorgfältig Haar für Haar gerichtet zu sein und seine Kleidung wirkte teuer, aber nicht protzig. Was Kleider anging hatte ihr gegenüber definitiv den richtigen Geschmack. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass er hier mit ihr in der Umkleidekabine stand, wo er eigentlich nichts zu suchen hatte.
 

So langsam hatte Clemens sich von seiner Flucht vor seinen aufdringlichen weiblichen Fans durch das halbe Geschäft erholt und sein Atem hatte sich wieder soweit beruhigt, dass er sich wieder ordentlich hinstellen konnte. Überrascht sah er in dunkelblaue Augen, die ihn wütend anstarrten. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er keine leere Kabine betreten hatte. Er hatte einfach nur einen Augenblick ruhe haben wollen, mehr nicht. Und nun sah er in die faszinierendsten Augen, die er je gesehen hatte.
 

Sofort schaltete er auf Autopilot und versuchte ein Gespräch zu beginnen. Dabei konnte er sich keinen Moment von ihren Augen lösen.
 

„Hallo schöne Frau!“
 

„Raus!“
 

Lenas Stimme war lauter als gedacht und hatte einen leicht drohenden Unterton, so dass Clemens erst jetzt richtig begriff, dass sie nichts weiter als eine Jeans und BH trug. Seine Gedanken fuhren postwendend Achterbahn und nun konnte er nicht aufhören ihren ganzen Körper anzustarren.
 

’Wow, die ist ja einfach der Wahnsinn. Hammer. Und diese Augen. Phänomenal. Heute muss einfach mein Glückstag sein.’
 

Lena jedoch war nicht gerade davon überzeugt, dass heute ihr Glückstag war und deswegen wurde sie immer ungehaltener, als dieser Kerl sie nun auch noch so komisch anstarrte. So langsam reichte es ihr aber wirklich. Was dachte der Kerl eigentlich, wer er war?
 

„Raus!“
 

Lena war noch lauter geworden und so langsam war sie sich sicher, dass auch alle anderen ihre Stimme gehört haben mussten. Warum ging dieser Kerl immer noch nicht, musste sie erst handgreiflich werden?
 

Erneut setzte Lena zum Schreien an und dieses Mal nahm sie all ihre Energie zusammen, doch bevor sie überhaupt einen Ton herausbringen konnte, hatte Clemens die kurze Distanz überbrückt und seine Lippen auf die ihren gepresst. Zum einen hatte er selbstverständlich keine Lust in so einer Situation mit einer fremden Frau erwischt zu werden, aber im Grunde genommen war sein Verlangen sie zu küssen in diesem Augenblick einfach stärker gewesen als alles logische Denken. Sie sah einfach viel zu sexy aus, wenn sie ihn so wütend anfunkelte, mit den Händen auf ihren schmalen Hüften gestemmt, was ihren Busen nur noch mehr betonte, der sich unter ihren schnellen Atemzügen unregelmäßig stark hob und senkte. Ein faszinierendes Spiel. Solchen Frauen konnte er einfach nicht widerstehen.
 

Vorsichtig intensivierte er den Kuss und als er auf keine all zu große Gegenwehr stieß, suchte er langsam mit seiner Zunge einlass. Das wiederum schien Lena endgültig aus ihrer Starre zu reißen und ehe Clemens auch nur ein Wort sagen konnte, hatte Lena ihm eine heftige Ohrfeige verpasst.
 

„Idiot! Was fällt dir eigentlich ein?!“
 

Auf Clemens Wange konnte man schon leicht rote Fingerabdrücke erkennen, aber das interessierte ihn in diesem Moment herzlich wenig. Er wollte wissen, womit er die Ohrfeige verdient hatte.
 

„Was mir einfällt? Was fällt dir ein mich einfach so zu schlagen? Und nein, ich heiße nicht Idiot mit Vornamen. Du kannst mich Clemens nennen, Clemens Fritz. Oder auch Clem, wenn dir das besser gefällt.“
 

Dieser Kerl schaffte es Lena innerhalb von Sekunden sowohl rasend als auch sprachlos zu machen. Dieses Talent hatten nicht viele, denn normalerweise hatte sie sich immer und unter allen Umständen unter Kontrolle. Nur eben jetzt nicht.
 

„RAUS!!!“
 

Auch Clemens verstand mittlerweile, dass die Schönheit vor ihm irgendwie mit seiner Anwesenheit nicht so ganz glücklich war, deswegen wandte er sich zum Gehen, drehte sich dann aber noch einmal kurz um und sagte breit grinsend:
 

„Sweetheart, wenn ich du wäre, würde ich eher den Weinroten nehmen, der steht dir besser als dieser hier. Rot ist schließlich die Farbe der Liebe und der Leidenschaft. Außerdem gefällt mir persönlich rot auch besser, aber sag’s keinem.“
 

Noch bevor Lena ein weiteres Mal ausholen konnte um ihn eine wohlverdiente Ohrfeige zu erteilen, hatte Clemens die Umkleide auch schon verlassen, jedoch nicht ohne ihr noch einmal eine Kusshand zu zuwerfen und breit zu grinsen.
 


 

To be continued? Wollt ihr mehr?

Schwester, Schwester

Das hier ist meine erste Story mit und über reale Personen und selbstverständlich ist das alles nur erfunden… Also keine Panik, nichts ist wahr, alles stammt nur aus meinem Hirn…

Es soll weder Ruf schädigend noch sonst irgendwie böse sein…
 

Fassungslos starrte Lena dem blonden Möchtegern hinterher. Sie stand noch viel zu sehr unter Schock um zu realisieren, dass dieser Kerl sie nicht nur geküsst hatte, was an sich schon schlimm genug war, sondern sie auch noch in ihrer Unterwäsche gesehen hatte. Mit nichts weiter an als einem Hauch von nichts! Und ihrer Jeans, ok, aber er hatte sie in ihrem BH gesehen, ein Anblick, den Lena bisher noch nicht vielen Männern gewährt hatte und schon gar keinen Fremden.
 

’Verdammt, warum habe ich nicht sofort reagiert und ihn rausgeschmissen. Dieser unverschämte Macho hat nichts anderes verdient. Mir dann auch noch sagen zu wollen, welcher Dessous mir besser steht. Der tickt wohl nicht ganz richtig, der ist ein bisschen zu lange in der Sonne gewesen, oder wie?’
 

Lenas Gedanken fuhren immer noch Achterbahn, als sie sich mit Petra an der Kasse traf. Wütend schmiss sie ihre Unterwäsche auf den Tresen und wartete missmutig darauf, dass die Kassiererin langsam mal ihren Job tat. Seit diesem Vorfall in der Umkleidekabine war ihre Laune so rapide in den Keller gesunken, dass sie jetzt am liebsten nur noch nach Hause wollte um in einem großen Schaumbad zu ertrinken. Es lief derzeit aber auch wirklich gar nichts rund in ihrem Leben. Mittlerweile war Lena sich vollkommen sicher: Irgendwer hatte es auf sie abgesehen und sich gegen sie verschworen, es konnte gar nicht anders sein, denn im Augenblick war das Schicksal ein wirkliches Biest!
 

„Was ist denn passiert, ist dir irgendwie eine Laus über die Leber gelaufen? Eben warst du doch noch so fröhlich und vergnügt und jetzt stehst du da und schaust, als hätte dir jemand die Petersilie verregnet, Kleines.“
 

Nicht umsonst war Petra Mutter von zwei kleinen Mädchen und merkte sofort, wenn etwas mit ihren kleinen nicht stimmte. Lena war zwar nicht ihre Tochter und auch kein kleines Mädchen mehr, aber dieser krasse Stimmungsumschwung war einfach nicht zu ignorieren.
 

„Tut mir Leid, dass ich so launisch bin.“
 

„Du musst dich für deine Laune nicht entschuldigen, jeder kann mal schlecht gelaunt sein, aber ich verstehe deinen plötzlichen Stimmungswandel nicht, als wir uns vor einer halben Stunde getrennt haben, war die Welt doch noch in Ordnung.“
 

Petras verständnisvoller Ton brachte Lena dazu ihrer Schwägerin die Ereignisse in der Umkleidekabine zu schildern und auch den ungewollten Kuss nicht auszulassen, der sie, wenn sie ehrlich zu sich war, doch nicht so ganz kalt gelassen hatte. Denn küssen konnte er, das musste man ihm lassen. Ein weiteres Talent neben seiner großen Klappe, auch wenn es bei den Frauen wohl besser ankam.
 

„Oh man, da hast du Bremen ja gleich von seiner charmanten Seite kennen gelernt. Ich kann dir versichern, dass so was bestimmt nicht alltäglich ist, also keine Panik. Das heute war wahrscheinlich nur die Verkettung unglücklicher Zufälle, Womöglich wirst du diesen Kerl nie wieder sehen und kannst deine Zeit hier mit uns in vollen Zügen genießen. Und nun vergiss ihn, wir reden auch nicht mehr weitere drüber, er ist es nicht wert auch nur einen weiteren Gedanken an ihn zu verschwenden, Kleines.“
 

Wieder etwas besser gelaunt, nickte Lena und lächelte ihre Schwägerin an, die sich dann doch eine Frage nicht verkneifen konnte:
 

„Und, welchen BH hast du nun genommen? Den, den er dir geraten hat, oder den anderen?“
 

Überrascht und gleichzeitig etwas entsetzt sah Lena Petra an, entschied sich dann aber für ein breites Grinsen und flüsterte ihre Schwägerin etwas ins Ohr.
 

Clemens hatte sich einigermaßen unauffällig aus dem Staub gemacht, nachdem er seiner neuesten Eroberung noch eine Kusshand zugeworfen hatte. Nun ja, de facto war sie ja noch nicht seine neueste Eroberung, aber er hatte da so ein ganz bestimmtes Gefühl, dass er sie wieder sehen würde und dass sie dann seinem Charme endgültig erliegen würde. Sie war ja auch in der Umkleidekabine schon auf dem besten Weg gewesen. Ihre abwehrende Haltung und auch die Ohrfeige spornten ihn nur noch mehr an und irgendwo hatte er mal gelesen, das Frauen so etwas auch gerne taten, um die Aufmerksamkeit eines Mannes zu fesseln. Das war ihr definitiv gelungen, denn Clemens Fritz hatte großes Interesse daran mehr über die Frau aus der Umkleide heraus zu finden und sie nach allen Regeln der Kunst zu verführen. Immerhin war sie auch nur eine Frau und er war ein attraktiver Mann, das musste ihm auch keiner sagen, das konnte er jeden Tag an den Blicken der weiblichen Bevölkerung beobachten. Auch jene, die ihn nicht kannten, starrten ihn an. Also würde er bestimmt auch die erste Frau wieder finden, die ihm eine saftige Ohrfeige verpasst hatte. Immerhin musste er ja auch noch herausfinden, ob sie seinen Rat befolgt und den weinroten BH gekauft hatte. Und das teste er dann am besten, wenn er sie langsam auszog.
 

Hinter ihm hupten die Autos, da er mitten vor der mittlerweile grünen Ampel in leicht anrüchige Tagträume von sich und der Blondine verfallen war. Himmel, er musste demnächst aufmerksamer sein, sonst würde er noch einen Unfall bauen und dann war es das mit dem Flirten für die nächste Zeit.
 

Ohne weitere Zwischenfälle kam er am Weserstadion zum Nachmittagstraining an. Clemens hatte eigentlich gar keine Lust auf Training, aber er kannte Thomas Schaaf gut genug um zu wissen, wie er auch ein „Ich habe keinen Bock auf Training“ reagieren würde. Nicht gerade positiv und seinen Stammplatz in der Außenverteidigung wollte er auf gar keinen Fall abgeben, schon gar nicht so kurz vor der nächsten Länderspielphase und den kommenden Workshops. Also machte er sich ohne zu murren daran sich warm zu laufen, während hinter ihm so langsam auch der Rest der Mannschaft auf dem Trainingsplatz 12 eintrudelten. Auch sie wirkten alle wenig begeistert und die Motivation war dementsprechend im Keller. Nur Diego machte das alles nichts aus und er scherzte munter vor sich hin.
 

„Ich könnte mir jetzt so viele Dinge vorstellen, die ich lieber tun würde als zu trainieren.“
 

Per dehnte sich ausgiebig um ein paar Minuten des Aufwärmlaufes zu verpassen.
 

„Was denn zum Beispiel, Großer? An die Frau vom Flughafen denken? Das kannst du doch auch während des Trainings machen.“
 

Clemens war gerade an Per und dem Lutscher vorbeigelaufen und hatte sich seinen Kommentar nicht verkneifen können. Nach dem Morgentraining hatten sie sich ausgesprochen und alles geklärt und selbstverständlich hatte Clemens versprochen das nächste Mal seine Zunge im Zaum zu halten, aber manche Gelegenheiten waren einfach zu verführerisch.
 

„Ach halt doch die Klappe, Fritz. Ich kann Per nur Recht geben, ich könnte mit meiner Zeit heute auch sinnvolleres anfangen. Warum muss auch gerade für heute die Nachmittagseinheit angesetzt worden sein, kann mir das mal einer bitte verraten?“
 

Per und Torsten hatten mittlerweile auch mit dem Laufen begonnen und joggten so wieder einmal neben Clemens her, der grundsätzlich als einziger von ihnen bester Laune war, wenn auch nicht besonders motiviert. Und diese gute Laune ließ er natürlich nicht nur an Per, sonder auch an Torsten selbst aus.
 

„Was kann sich unser Lutscher denn schöneres vorstellen als mit seinem hoch verehrten Kollegen ein wenig Fußball zu spielen? Hast du etwa eine romantische Verabredung mit Petra heute Abend für die du dich hübsch machen müsstest? Sollen Per und ich für euch den Babysitter spielen und auf die Mädchen aufpassen?“
 

Clemens grinste breit und auch Per konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen, wenn er daran dachte einen ganzen Abend mit Torstens beiden Mädchen zu verbringen. Er machte Kinder, keine Frage, und Lena und Lisa waren einfach zauberhaft, aber auch er hatte Grenzen und die waren meist nach wenigen Stunden Barbie oder Prinzessin spielen mit den beiden erreicht, oder spätesten sobald sie dann auf die Idee kamen ihn schminken zu wollen.
 

„Clem du Schwachkopf, Petra und ich haben keine Verabredung, für die ich mich fertig machen müsste, ich sehe von Natur aus gut aus und brauche im Gegensatz zu dir keine Stunde im Badezimmer, bis jedes Härchen sitzt.“
 

Damit hatte der Lutscher Clemens an seinem empfindlichen Punkt getroffen: Seinen Haaren! Er legte nun einmal sehr viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres und seine Frisur brauchte definitiv ein wenig Zeit und ein bisschen Aufmerksamkeit. Auch wenn er es nicht gern zu gab, da seine Kollegen ihn bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit damit aufzogen. Deswegen machte er sich seine Haare mittlerweile nach dem Training auch immer nur im Schnellvormat und sah zu, dass er auf direktem Wege nach hause kam um sie dort ordentlich zu richten.
 

„Außerdem würde ich dir allein meine Kinder nie für einen ganzen Abend anvertrauen. Du bringst sie nur wieder auf irgendwelche verrückten Ideen, die Petra und ich dann wieder ausbaden dürfen, nein danke, ich verzichte. Da habe ich jemanden vertrauensvolleren, der sich um meine beiden Engel kümmert.“
 

„Und wer wäre bitte vertrauensvoller und besser geeignet als Per und ich? Diese Person müsste erst geboren werden!“
 

„Irrtum Fritz, sie ist schon geboren und seit heute befindet sie sich auch in Bremen um ihrer Bestimmung nachzugehen.“
 

„Und wer sollte das nun sein?“
 

Der Lutscher lachte auf. Er liebte es, wenn Clemens neugierig war und man ihm das Geheimnis nicht sofort verriet, da wurde er immer so ungeduldig und unruhig, richtig niedlich.
 

„Na meine kleine Schwester natürlich!“
 

Sowohl Per als auch Clemens sahen Torsten überrascht an. Keiner von beiden hatte bisher von Torstens Schwester gewusst. Sie waren immer davon ausgegangen, dass ihr Vizekapitän ein Einzelkind gewesen war, denn bisher hatte er noch nie von einer Schwester gesprochen oder sie gar mal mit ins Stadion genommen. Und jetzt auf einmal tauchte sie wie aus dem Nichts auf. Interessant.
 

„Und warum wissen wir nicht, dass du eine kleine Schwester hast? Wir dachten du hättest keine Geschwister.“
 

„Tja, da habt ihr wohl falsch gedacht. Außerdem kann ich mich nicht erinnern, dass mich einer von euch schon mal gefragt hätte, ob ich noch eine Schwester hätte.“
 

Wo er Recht hatte, hatte er Recht, das mussten auch Per und Clemens einsehen, aber trotzdem waren sie überrascht, wie wenig sie im Grunde genommen von ihrem Lutscher wussten. Wenn er immerhin eine Schwester vor ihnen geheim halten konnte. Beide fragten sich, ob sie vielleicht zu desinteressierte Freunde waren, weil sie sich nicht weitere mit Torstens Leben beschäftigt hatten. Er war schon da gewesen, als sie an die Weser gekommen waren und so hatten sie sich nie viele Gedanken über seine Herkunft und seine Familie gemacht. Sie kannten ja immerhin seine Frau, seine beiden Töchter, hatten seine Eltern immerhin schon ein paar Mal von weitem gesehen und wussten, dass er in der Nähe von Aachen groß geworden war. Aber eine Schwester war in diesem Bild nicht vorgesehen.
 

„Wie alt ist sie denn? Wie heißt sie überhaupt? Und vor allen Dingen: Wo war sie die ganze Zeit und warum hast du nie über sie geredet, denn ich möchte mit dir wetten, dass die meisten anderen hier auch nicht wissen, dass du noch eine Schwester hast.“
 

Clemens Negier war mal wieder mit ihm durchgegangen und nun wollte er aber auch alles ganz genau wissen. So war das halt, wenn man schlafende Hunde weckte. Per hingegen sagte nichts und hörte einfach nur zu, so wie meistens. Er war einfach der geborene Zuhörer und Beobachter, so dass ihm meistens Kleinigkeiten auffielen, die anderen während eines Gespräches entgangen waren.
 

„Ich komme mir echt vor wie in einem Kreuzverhör, Clem. Aber wenn es dich glücklich macht: Lena ist 24 und hat die letzten acht Jahre sowohl in Mailand als auch in Barcelona verbracht, deswegen haben wir uns auch nicht so oft gesehen, wie ich das gerne gehabt hätte. Und du solltest doch mittlerweile wissen, dass ich normalerweise sehr darauf bedacht bin das mein Privatleben auch privat bleibt. Daher habe ich nicht viel über sie gesprochen.“
 

Per bemerkte an Torstens Gesichtsausdruck, dass da noch mehr hinter der Sache steckte, wollte aber jetzt nicht weiter nachfragen, da er sich denken konnte, dass irgendetwas da nicht ganz so war, wie der Lutscher es vielleicht haben wollte. Familienahngelegenheiten gingen dem Lutscher immer sehr nah, da er ein großer Familienmensch war, deswegen ließ der lange Innenverteidiger die Sache erstmal auch auf sich beruhen, denn die Freude über die plötzliche Rückkehr seiner Schwester war unübersehbar. Bei der Erwähnung ihres namens blitzten seine Augen und man merkte, dass er sehr stolz auf seine kleine Schwester war.
 

„Hast du deine Jüngste etwa nach deiner Schwester benannt?“
 

Per war erst eben der Geistesblitz gekommen, dass Torstens jüngste Tochter und seine Schwester den gleichen Vornamen trugen.
 

„Jein.“
 

„Wie jetzt jein, entweder ja oder nein.“
 

Für Clemens gab es auf solche antworten immer ein klares Ja oder ein einfaches Nein, ende der Diskussion. Mit einem Jein konnte er nicht viel anfangen.
 

„Irgendwo dazwischen, glaube ich. Petra und ich wollten unbedingt einen Namen mit L und Lena ist ein wirklich toller Name, aber eigentlich hatten wir ihn ausgeschlossen, weil es ja schon eine Lena in unserer Familie gibt. Zwei sind normalerweise ja immer sehr verwirrend und mehr Verwirrung brauche ich echt nicht, aber na ja. Dann ist unsere Kleine geboren worden und das erste, was ich gedachte habe war „Sie sieht ganz genauso aus wie Lena, als sie noch klein war“. Das habe ich auch Petra erzählt und sie meinte, ich sollte einfach mal mit Lena sprechen ob sie es uns Übel nehmen würde, wenn sie denselben Namen trägt. Klar hat sie es mir nicht Übel genommen, sie hat sich sogar riesig gefreut und als Petra ihr vorgeschlagen hat Patentante zu werden, war alles absolut fantastisch.“
 

„Und sehen sich die beiden immer noch ähnlich?“
 

Einen Moment sah der Lutscher Per an und schien zu überlegen, was er auf diese Frage antworten sollte. Er fing sich jedoch recht schnell wieder und grinste.
 

„Japs, die beiden gleichen sich sehr, aber nicht nur äußerlich, das fällt mir nicht mehr so sehr auf, es sind eher ihre charakterlichen Ähnlichkeiten, dieselben Angewohnheiten und so. Erst heute ist es mir so richtig bewusst geworden. Die Art, wie sie den Kopf schief legen, wie sie auf ihrer Unterlippe kauen, wenn sie nervös sind und all diese Kleinigkeiten. Vor allem aber haben sie denselben Hundeblick aus ihren großen blauen Augen, bei denen ich irgendwie einfach nicht nein sagen kann.“
 

Torsten seufze gespielt verzweifelt auf und sowohl per als auch Clemens wussten, dass der Lutscher seinen Töchtern nie einen Wunsch abschlagen würde, wenn sie ihn wirklich lieb darum baten und es irgendwie in seiner Macht lag ihn zu erfüllen. Er war ein Vater aus Leidenschaft und wurde bei den strahlenden Augen seiner Kinder schwach. Wie sollte es auch anders sein.
 

Gemeinsam liefen sie an Thomas Schaaf und Frank Baumann vorbei, die sich am Spielfeldrand unterhielten. Clemens kam nicht umhin und rief ihnen zu:
 

„Sagt mal ihr beiden, kennt einer von euch Torstens kleine Schwester?“
 

Zu seiner großen Überraschung nickten beide einstimmig und der Kapitän von Werder Bremen fragte dann:
 

„Wieso? Ist irgendetwas mit Lena? Ich habe sie schon ewig und drei Tage nicht mehr gesehen.“
 

„Ja, sie ist hier.“
 

„Wo hier?“
 

Frank sah sich suchend um, entdeckte jedoch niemanden, was Clemens zum Lachen brachte.
 

„Nicht direkt hier, ich meine in Bremen, bei Torsten.“
 

Thomas und Frank sahen zum Lutscher und warteten auf eine Bestätigung. Sie waren beide über diese Nachricht extrem überrascht, schließlich hatten sie Lena Frings schon seit Jahren nicht mehr in Bremen gesehen. Vielleicht hatte Clemens nur wieder irgendetwas falsch verstanden, deswegen zögerten sie einen Augenblick und warteten auf Torstens Reaktion. Der nickte nur unauffällig und zog es dann vor weiter zu laufen.
 

So langsam ging ihm das Thema auf die Nerven, auch wenn er nicht so ganz genau wusste, warum. Sie redeten hier schließlich nicht über irgendeine neue Eroberung von Clemens oder über das Mädchen vom Flughafen, das Per so faszinierte, nein, sie sprachen hier von seiner kleinen Lena und er mochte es einfach nicht. Sie war schließlich was Besonderes. Seine kleine Schwester eben.
 

Um nun endgültig das Thema zu wechseln fragte der Lutscher etwas genervt:
 

„Clem, hast du nicht irgendeine neue Flamme, von der du uns berichten möchtest?“
 

Frings’ unschuldige Frage brachte Clemens Augen zum Leuchten und alle Gedanken an Lena Frings waren sofort durch das Bild der halbnackten, blonden Schönheit ersetzt, die er vor wenigen Stunden kennen gelernt hatte.
 

Munter erzählte er den Jungs von seiner Begegnung, dem dreisten Kuss, den er als seine Meisterleistung darstellte, und natürlich auch von der Ohrfeige, die er sich eingehandelt hatte.
 

„Diese Frau ist mir sympathisch, wenn sie dir gleich welche hinter die Löffel gibt, das hast du nicht besser verdient. Weißt du denn wenigstens ihren Namen?“
 

„Nein, ich dachte mir ich nehme mir mal ein Beispiel an unserem lieben Per und probiere es ohne aus. Und was die Ohrfeige angeht, die hat sie mir nur gegeben, weil es sich eigentlich nicht schickt sich von einem Wildfremden küssen zu lassen. Reine Show, im Grunde genommen hat sie es genossen und wollte mehr, vertrau mir, ich kenne die Frauen. Und diese hier werde ich noch bei Weitem näher kennen lernen, das verspreche ich euch, Jungs!“
 

To be continued? Interesse?

Vanilla Kisses

Das hier ist meine erste Story mit und über reale Personen und selbstverständlich ist das alles nur erfunden…

Also keine Panik, nichts ist wahr, alles stammt nur aus meinem Hirn… Es soll weder Ruf schädigend noch sonst irgendwie böse sein…
 

Torsten schüttelte nur ungläubig den Kopf. Dieser Fritz war schon so ein ganz spezieller Fall. Da stürmte er einfach so in eine Umkleidekabine und anstatt sich zu entschuldigen küsste er die junge Frau auch noch. Und war auch noch fest davon überzeugt, dass sie ihn nur aus missverstandener Schicklichkeit geohrfeigt hatte. Halleluja, das hatte schon Mut, das musste selbst der Fringser gestehen. Er hätte sich das bei Petra zum Beispiel nicht getraut, schon gar nicht als sie sich noch nicht besonders gut kannten. Dieses Selbstbewusstsein hatte er als Jugendlicher einfach noch nicht gehabt, obwohl er sicherlich einiges nachgeholt hatte. Einige hielten ihn mittlerweile sogar für ein wenig arrogant, aber das machte ihm nicht viel, so lange die Leute, die ihm etwas bedeuteten, die Wahrheit kannten. Mit der Zeit hatte er sich einfach einen Panzer zugelegt und in gewissen Fällen bestand der sicherlich auch aus Arroganz, das wollte er nicht leugnen, aber im Grunde seines Herzens war er immer noch derselbe wie damals. Und damit auf jeden Fall viel zu schüchtern um so eine Sache wie Clemens abzuziehen.
 

„Meinst du denn, du findest sie wieder? Bremen ist zwar keine Millionmetropole, aber trotzdem. Eine Nadel im Heuhaufen zu finden ist wahrscheinlicher. Da gibt es bestimmt irgendwelche Statistiken, die es dir genau sagen könnten.“
 

Per war wie immer für Clemens’ Geschmack viel zu negativ, auch wenn eben jener es eher als „realistisch“ umschrieb. Man musste einfach mal auf ein wenig Glück hoffen und dann würde sich schon alles andere zusammen fügen, dieser Ansicht war Clemens zumindest.
 

„Nun sei doch nicht immer so miesepetrig. Lass mich doch von dieser tollen Frau träumen, du denkst ja immerhin auch noch an dein Mädel vom Flughafen und da stehen die Chancen, dass du sie wieder siehst etwa genauso wie bei mir.“
 

Das brachte den Innenverteidiger zum Schweigen und zeigte den anderen, dass Clemens mit seiner Vermutung richtig lag.
 

Tatsächlich konnte Per die junge Frau vom Flughafen irgendwie nicht aus seinen Gedanken verbannen. Es waren ganz viele Kleinigkeiten, die ihn an sie erinnerten. Teilweise waren es sogar Angst einflößende Dinge, denn wenn er es gerade so richtig überlegte, dann erinnerte ihn der Geruch des Lutschers an die Frau vom Flughafen. Komisch.
 

„Sag mal Torsten, hast du heute ein anderes Deo benutzt? Das habe ich mich schon heute morgen gefragt. Du riechst so anders.“
 

„Ich anders? Ne, wieso sollte ich, ich habe das genommen, was ich sonst auch nehme. So langsam wirst du mir unheimlich Per.“
 

„Dann liegt es vielleicht an mir, dass ich die ganze Zeit diesen frischen Vanillegeruch in der Nase habe.“
 

Clemens sah überrascht auf und schnüffelte erst einmal ausgiebig. Auch er konnte jetzt einen leichten Vanillegeruch erkennen und wusste, dass Per sich nichts einbildete. Und auch ihn erinnerte dieser angenehm süße Geruch an etwas, doch er konnte ihn gerade nicht so ganz zu ordnen.
 

„Das liegt nicht an dir, Langer, ich rieche es auch. Und es kommt definitiv von unserem Lutscher hier. Hast du uns etwas zu beichten, Torsten?“
 

Es war eher spaßig gedacht, doch Torsten hielt einen Augenblick inne und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Natürlich, Lena war die ganze Zeit vorm Training um ihn herum gewesen und wenn er sich nicht irrte, hatte sie ein nach Vanille duftendes Parfüm getragen. Vanilla Kisses oder so was, er kannte sich mit solchem Weiberkram ja nicht so aus.
 

„Nee, ganz bestimmt nicht. Und schon gar nichts, was dich interessieren würde, Kleiner. Aber jetzt weiß ich auch, was ihr meint, aber das ist nicht mein neues Deo, so was würde ich mir nie freiwillig ansprühen, das muss das Parfüm meiner Schwester sein. Lena liebt Vanillegeruch und da wird dann wohl was auf mich abgefärbt haben.“
 

Nun konnte sich auch Clemens daran erinnern, woher er diesen Geruch kannte: Die Frau aus der Umkleide, die er so leidenschaftlich geküsst hatte, hatte ebenfalls nach Vanille geduftet, wenn auch nicht nur, da war noch ein anderer Geruch dabei gewesen, den er nicht so ganz hatte deuten können, dafür war es dann doch zu schnell gegangen. Aber alles in allem war ihm dieser Geruch doch nicht unangenehm, nicht so aufdringlich wie viele andere Düfte. Eher dezent, das machte die Frau in seinen Augen nur noch begehrenswerter.
 

„Wann ist deine Schwester noch mal hier angekommen?“
 

Per war mit einem Mal mehr als hell wach. Wie viele Zufälle gab es schon auf einem Haufen? Nicht nur, dass Torstens Schwester so roch wie die Frau vom Flughafen, nein, sie konnte ebenfalls noch nicht so lange in der Stadt sein und musste mit dem Flugzeug gekommen sein. Vielleicht hatte er ja sogar Glück, oder auch kein Glück, je nach dem, wie Torstens Reaktion darüber ausfallen würde, falls seine kleine Schwester besagte Frau vom Flughafen war.
 

„Sie ist heute morgen hier angekommen, wieso?“
 

„Wann genau?“
 

„Keine Ahnung, so gegen sieben war sie wohl bei mir, aber sicher bin ich mir nicht. Sie hat einen relativ frühen Flug genommen und ist dann direkt zu mir, was interessiert dich das überhaupt, Langer?“
 

Per versuchte krampfhaft sich seine Enttäuschung nicht ansehen zu lassen. Für einen ganz kleinen Augenblick hatte er gehofft eine mögliche Spur zu der Frau gefunden zu haben, die ihm irgendwie den Kopf verdreht hatte, aber wie gewonnen, so zerronnen. Wenn Lena Frings direkt nach der Landung zu ihrem Bruder gefahren war, dann konnte sie nicht seine schöne Unbekannte sein, denn sie hatten ja schließlich Stunden gemeinsam in dem Cafe verbracht.
 

„Sagt mal Jungs, Themenwechsel, wer von euch kommt eigentlich morgen Abend zum Essen?“
 

Clemens und Per sahen Torsten überrascht an, bis ihnen siedend heiß wieder einfiel, was morgen Abend für ein Essen war. Es war nicht irgendein spontanes Treffen unter Kollegen, sondern ein verdammt wichtiges Essen, ein Nationalmannschaftsessen bei Torsten Frings!
 

„Scheiße, sorry Torsten, ich habe es total verplant. Jetzt habe ich da schon was vor, was ich nicht absagen kann.“
 

Per wirkte total am Boden zerstört, dass er eine Gelegenheit verpasste sich mit seinen Kollegen aus der Nationalmannschaft zu unterhalten. Dabei waren diese Abende, die sie schon seit einigen Jahren regelmäßig veranstalteten, immer lustig und heiter gewesen und sorgten eigentlich regelmäßig für Gesprächsstoff bei den obligatorischen DFB Veranstaltungen. Dass Per nun ausgerechnet auch noch ein Abendessen verpasste, dass in Bremen statt fand, war umso ärgerlicher.
 

„Tut mir leid Kumpel, ich kann auch nicht.“
 

Clemens wirkte nicht ganz so erschüttert wie Per, aber auch ihm schien es aufrichtig Leid zu tun, dass er das Essen vollkommen verschwitzt hatte. Obwohl es bei ihm auch vor allen Dingen an Petras hervorragenden Kochkünsten lag, die er dadurch verpasste.
 

Stirnrunzelnd betrachtete Torsten seine beiden Kollegen, die wie begossene Pudel neben ihm standen und ihn ebenso bettelnd ansahen. Sie wollten ihn so wortlos um Verzeihung für ihre Vergesslichkeit bitten und erhofften sich Gnade, denn wenn der Lutscher ernsthaft wütend war, sollte man ihm besser nicht in die Quere kommen, auch wenn er jetzt direkt nicht wütend war. Eher enttäuscht, dass seine Kollegen bereits etwas anderes vorhatten oder den Termin einfach vergessen hatten. Er konnte sich glücklich schätzen vorher noch einmal nachgefragt zu haben, sonst hätte Petra wieder Unmengen gekocht und wäre am Ende wieder sauer gewesen, weil keiner gekommen war.
 

„Bist du uns jetzt böse Torsten?“
 

Pers Frage war vorsichtig formuliert und wie immer merkte man es dem langen Innenverteidiger an, dass er keinen Streit haben wollte und auch solche Situationen am liebsten vermied. Per Mertesacker war nun einmal sehr harmoniebedürftig.
 

„Ach Quatsch, nein, natürlich nicht. Es ist einfach nur schade.“
 

Schweigend trotteten sie nebeneinander her, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft, bis Clemens es schließlich nicht länger aushielt und neugierig nachfragte:
 

„Wer hat denn alles zugesagt?“
 

„Na ja, da ich euch beide von der Liste ja nun streichen kann bleiben noch Bernd, Michael, Mario, Sedar, Timo, Miro und Arne, wenn ich mich nicht verzählt habe.“
 

„Und was ist mit unseren lieben Bayern? Haben die alle keine Zeit oder wollen sie den weiten Weg ins schöne Bremen nicht auf sich nehmen. Ich meine, so lang dauert es ja nun auch nicht, wenn Michael sogar aus London herfliegt.“
 

„Nein, bei Philipp, Basti und Lukas passt es leider mit dem Training nicht. Sie wären wirklich gern gekommen, aber der Fußball und der Verein gehen nun mal vor, ist ja auch verständlich. Miro kann nur kommen, weil er derzeit wegen einer Muskelverhärtung pausieren muss, sonst hätte er es auch nicht geschafft. Und bei Metze ist es wirklich einfach zu weit für Zwischendurch, außerdem brennt in Spanien im Augenblick wohl die Luft. Keine Ahnung, was genau vorgefallen ist, aber er meinte irgendetwas mit Barca und den Fans und das er auf keinen Fall gerade weg kann, weil sie da alle wohl gerade in der Luft zerfetzen.“
 

Keiner der drei wusste, was Christoph Metzelder damit wirklich meinte, denn niemand interessierte sich wirklich brennden für die Geschehnisse der spanischen Liga, aber sie wussten wie es um seinen Stammplatz stand und verstanden, das er ihn unter gar keinen Umständen riskieren wollte.
 

Gelassen trainierten sie zu ende, gaben dann noch ein paar besonders hartnäckigen Fans ein Autogramm und machten sich dann auf in Richtung Heimat.
 

Petra und Lena waren direkt vom Shoppen die Mädchen abholen gefahren und saßen mittlerweile vergnügt zu Hause und spielten gerade zusammen Mensch-Ärgere-Dich-Nicht, als Torsten das Haus betrat.
 

Es freute ihn unheimlich seine Frau, seine beiden kleinen Töchter und seine Schwester so friedlich vereint in seinem Wohnzimmer sitzen zu sehen. Auch wenn er sonst nicht so oft an Gott dachte, wie er es womöglich sollte, in diesem Augenblick dankte er dem Herren aus tiefsten Herzen für diese vier wunderbaren Frauen, die sein Leben bestimmten.
 

„Na meine lieben, habt ihr mich schon vermisst?“
 

Lisa und Lena sprangen sofort auf und liefen auf ihren Papa zu, während sich Petra und Lena lächeln ansahen und den beiden Kleinen den Vortritt ließen. Immerhin sollte Torsten auf seine alten Tage nicht noch zu eingebildet werden und außerdem war es viel zu süß wie beide Mädchen auf einmal versuchten die Aufmerksamkeit ihres Vaters zu erlangen um ihm zu erzählen, was sie heute schon alles mit Tante Lena unternommen hatten.
 

Erst als Lena mit den beiden nach oben ging, hatten Petra und Torsten genügend Zeit um sich ausgiebig und in Ruhe zu begrüßen.
 

„Wie war dein Tag heute?“
 

„Fast wie immer, eigentlich. Nur das Per und Clemens leider für morgen abgesagt haben.“
 

„Schade, aber kann man wohl nicht ändern. Dann sind wird noch neun, wenn Lena mit uns essen möchte zehn. Davon schlafen aber nur Bernd, Miro und Michael hier, der Rest fährt wieder nach hause, habe ich das richtig verstanden?“
 

Torsten nickte nur und überlegte, ob seine kleine Schwester wohl Interesse hatte mit einer Horde Fußballvernarrter Männer Abend zu essen.
 

„Keine Panik Torsten, ich habe mit Lena schon gesprochen. Sie hat versprochen, dass sie nicht das weite sucht, sondern brav mit ihrem großen Bruder und seinen Freunden einen Abend verbringt und sie hat uns sogar angeboten sich den ganzen Abend um Lena und Lisa zu kümmern, damit wir unsere Ruhe haben und wenn sie dann im Bett sind, wollte sie zu uns stoßen. Ist das ein Deal?“
 

„Klar ist das ein Deal!“
 

Torsten strahlte wie ein Honigkuchenpferd und freute sich unendlich auf den morgigen Tag. Ganz locker würde er sich mit seinen Freunden über Fußball unterhalten können ohne mit irgendwelchen Unterbrechungen zu rechnen, denn auch wenn er seine Schwester die letzten Jahre nicht besonders häufig gesehen hatte, so wusste er doch, dass sie problemlos mit seinen beiden Mäusen fertig wurde.
 

To be continued?? Interesse?

Gute Nacht Geschichten

Das hier ist meine erste Story mit und über reale Personen und selbstverständlich ist das alles nur erfunden…

Also keine Panik, nichts ist wahr, alles stammt nur aus meinem Hirn… Es soll weder Ruf schädigend noch sonst irgendwie böse sein…
 

Wie immer geht mein aufrichtiger Dank an diejenigen, die sich die Zeit genommen haben mir einen Kommentar zu schreiben… Wie immer versuche ich eure Wünsche zu erfüllen… ;D
 


 

Lena war unheimlich froh nicht den gesamten Abend mit Torsten und seinen Fußballerkollegen verbringen zu müssen. Da machte sie sich lieber mit ihren beiden Nichten einen schönen Disney-Abend, bevor sie stundenlang mit irgendwelchen Fußballprofis da saß, die ihr doch nur vor Augen führten, wie sehr sie all ihre Freunde, ja ihr ganzes Leben in Barcelona vermisste. Und das diese Männer sie an Leo und die anderen erinnern würden, dass stand für Lena außer Frage, immerhin waren es Männer. Männer, deren Leben dem Fußball gehörte. Zumindest fast. So wie bei Leo, Ricardo, Paolo und wie sie nicht alle hießen. In dieser Beziehung waren sich wohl die meisten Fußballer ähnlich, egal ob sie nun in Deutschland, Spanien oder Italien spielten.
 

Torsten hatte Lena in der kurzen Zeit, die sie bisher bei ihm in Bremen gewesen war, schon scheinbar die ganze Lebensgeschichte eines jeden Spielers erzählt, der sich heute Abend bei ihnen die Ehre geben würde. Er wollte, dass sie sich genauso auf den Besuch freute wie er, dass sie ihn so anstrahlte, wie er sie früher immer hatte strahlen sehen und so versuchte er es eben mit der Aussicht auf viele toll aussehende Männer. Wenn der nur wüsste, wie viele davon bei ihr in Barcelona rum liefen… Da brauchte sie sich nicht in fremden Gewässern um zu sehen und neue Menschen kennen lernen.
 

Klar, Torstens langjährigen Freunde und Kollegen wie Bernd, Miroslaw und Michael kannte sie nicht nur dem Namen nach, sondern war ihnen auch schon hin- und wieder persönlich begegnet, doch die Anwesenheit der anderen Spieler machte sie nervös. Der Berliner und die Stuttgarter machten ihr nichts aus, auf Gomez freute sie sich sogar ein bisschen, da sie mit ihm vielleicht ein paar Worte spanisch würde sprechen können, aber die Anwesenheit der anderen konnte doch problematisch werden. Besonders die von Timo Hildebrand, was jedoch nicht an seinem Aussehen lag, sondern eher an der Tatsache, dass er die letzten Jahre in Spanien gespielt hatte und sie somit vielleicht erkennen konnte. Denn wenn Lena ehrlich mit sich war, erkannten sie die meisten Fans der spanischen Primera Division. Von den anderen Spielern ganz zu schweigen. Und das galt es auf jeden Fall zu vermeiden. Lena malte sich jetzt schon in immer düsteren Farben aus, was passieren würde, wenn ihr geliebter großer Bruder erfuhr, was in Spanien nicht alles geschehen war. Er würde sie bestimmt nie wieder so ansehen, wie er sie am Morgen ihrer Ankunft angeblickt hatte: Voller Liebe und Sorge und absolut glücklich, dass sie endlich wieder an seiner Seite war. Diesen Ausdruck in den Augen sollte Torsten nicht verlieren. Nicht jetzt und am besten gar nicht, wenn Lena es irgendwie verhindern konnte.
 

Gemeinsam mit Lena und Lisa saß sie schließlich eingekuschelt im Bett und sah gebannt auf den Fernseher, wo sich Dornröschen gerade lachend und singend durch den Wald tänzelte. Die beiden Mädchen hatten unbedingt einen Prinzessinnenfilm mit ihr schauen wollen und selbstverständlich hatte Lena ihnen ihren Wunsch nicht abschlagen können. Es war immerhin ewig her, dass sie diesen Film zuletzt gesehen hatte, auch wenn sie sich noch sehr genau an ihre Lieblingsstellen erinnerte. Wie die meisten normalen anderen Mädchen auch träumten auch Lena und Lisa davon, dass irgendwann ihr Märchenprinz auf einem weißen Schimmel vor ihrer Tür stehen würde. Sie wollte die beiden nicht enttäuschen, in dem sie ihnen sagte, dass es solche Prinzen wirklich nur im Märchen gab und das Liebe niemals so einfach sein konnte. Alles im Leben war kompliziert und die meiste Zeit glich es eher einer schlechten Tragikkomödie als einem Märchen, aber so lange man noch jung war durfte man träumen. Wer konnte denn schon vorher sagen, ob ihre Träume vielleicht nicht doch eines Tages fliegen lernen würden?
 

„Du Tante Lena, sag mal, hast du eigentlich schon deinen Märchenprinzen gefunden?“
 

Lisa sah sie unschuldig aus ihren großen braunen Augen heraus an und Lena musste ein paar Mal schlucken, bevor sie es einigermaßen schaffte ihre kleine Nichte anzulächeln und den kopf zu schütteln.
 

„Nein, Lisa, leider noch nicht. Ich dachte zwar mal, ich hätte ihn gefunden, aber dann hat sich das alles als ein riesengroßer Irrtum herausgestellt.“
 

Nun mischte sich auch die kleine Lena lebhaft ins Gespräch mit ein, denn das, was auf dem Bildschirm lief kannte sie schon und es war bei weitem nicht so spannend wie die Geschichte ihrer Tante.
 

„Wieso war es ein Irrtum? Hatte er etwa nur ein braunes Pferd und kein weißes?“
 

Lisa stupste ihre kleine Schwester an, die anscheinend noch nicht zu verstehen schien, dass die Farbe des Pferdes bei einem Prinzen keine so großes Rolle spielte.
 

Tante Lena konnte sich ihr Lachen jedoch nicht verkneifen und fragte sich mit einem Mal, wann sie diese kindliche Sicht der Dinge, bei der alles noch so einfach war, wohl verloren hatte.
 

„Es war sogar noch schlimmer, Lenchen, er hatte erst gar kein Pferd. Aber das hat mir damals nichts ausgemacht, weil ich ihn trotzdem für den tollsten Mann der Welt hielt.“
 

„So wie Papa?“
 

„Ja, so ein toller Held wie euer Papa.“
 

Lena schien zufrieden und drehte sich wieder dem Fernseher zu, während Lisa sie weiterhin ansah. Torstens ältere war bei weitem nicht so lebhaft wie ihre kleine Schwester, sondern viel ruhiger und besonnen. Fast schon ein wenig schüchtern, auch wenn sie diese Schüchternheit im Kreise der Familie meist abgelegt hatte.
 

„Weißt du Tante Lena, du bist doch eine so tolle und selbstständige Märchenprinzessin wie Papa immer sagt, da wirst du dir schon noch deinen Frosch schnappen und ihn dir selbst zum Prinz machen anstatt immer nur zu warten.“
 

Lena nahm Lisa in den Arm und knuddelte sie für ihre lieb gemeinten Worte, auch wenn ihr bei den Worten ihrer Nichte sofort das Bild des blonden Schönlings aus der Umkleidekabine vor Augen getreten war. Sein schelmisch Grinsen, sein gut gebauter Körper. Wie selbstbewusst er sie geküsst hatte, so als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Und wie spät sie erst reagiert und sich gewehrt hatte. Soviel zur selbstständigen Märchenprinzessin. Aber immerhin hatte sie jetzt schon ihren ersten Bremer Frosch geküsst und er hatte sie in keinen Märchenprinzen verwandelt. Das hätte sie auch schwer verwundert.
 

Nach Ende des Films machte Lena die Mädchen fertig zum ins Bett gehen und immer wieder drang das kehlige Lachen der Gäste bis hoch zu ihnen ins Schlafzimmer. Die Stimmung schien ausgelassen und Lena zweifelte langsam, ob sie wirklich gleich noch zu ihnen hinunter gehen sollte. Wahrscheinlich störte sie eh nur und wie das fünfte Rad am Wagen wollte sie sich auch nicht fühlen.
 

„So Mädels, ab ins Bett mit euch, es ist schon spät und ihr müsstet eigentlich schon längst schlafen.“
 

Ein wenig murrten die beiden und erst als Lena ihnen versprach ihnen noch etwas vor zu singen, gingen die beiden friedlich in ihre Betten.
 

Nach langem Überlegen entschied sich Lena für die deutsche Version des Phil Collins Klassikers „You’ll be in my heart“, den die Mädchen bestimmt aus dem Film Tarzan kannten. Den text konnte sie noch halbwegs auswendig und da würde sich ihre Stimme auch nicht so schrecklich anhören wie sonst.
 

Hör auf zu weinen und nimm meine Hand

halt sie ganz fest, keine Angst

Ich will dich hüten,

will dich beschützen

bin für dich hier, keine Angst
 

Du bist so klein und doch so stark

in meinen Armen halte ich dich schön warm

von nun an sind wir unzertrennlich

bin für dich hier, keine Angst
 

Denn dir gehört mein Herz

ja dir gehört mein Herz

Von heute an für alle Ewigkeit
 

Dir gehört mein Herz

Nun bist du hier bei mir

denn dir gehört mein Herz

nur dir
 

Noch bevor sie zu ende gesungen hatte, war Lena bereits eingeschlafen und auch Lisa konnte die Augen kaum noch offen halten. Doch augenscheinlich wollte sie noch etwas loswerden, so dass Lena sich zu ihr ans Bett kniete.
 

Schläfrig murmelte Torstens älteste:
 

„Tante Lena, du findest noch deinen Prinzen, vielleicht sitzt er ja auch schon unten und wartet nur auf dich?“
 

Lena lächelte und küsste ihre Nichte zur Guten-Nacht auf die Stirn. Als sie zu Lena sah bemerkte sie, dass die Kleine nicht richtig zugedeckt war und streifte ihr die Decke bis über die Schultern und gab auch der jüngsten dann einen Gute-Nacht-Kuss, bevor sie leise das Zimmer der beiden verließ.
 

Unschlüssig stand sie nun auf dem Flur, hin- und her gerissen zwischen den beiden Möglichkeiten, die sie hatte. Entweder den Rest des Abends allein auf ihrem Zimmer verbringen oder unten mit den anderen die Zeit genießen und fürchten, dass Timo sie erkannte. Beides waren keine prickelnden Aussichten, so dass Lena erst einmal beschloss Duschen zu gehen. Denn was half schon besser beim Entscheidungen Fällen als eine heiße Dusche?
 

Ohne weiter darüber nach zu denken zog Lena sich nach dem Duschen wieder normal an, was hieß eine einfache dunkle Jeans und ein legeres Oberteil, legte etwas Make-up und Mascara auf und tapste dann leise in Richtung Treppe, jedoch nicht ohne dabei noch einmal vorher kurz bei den Mädchen hinein zu schauen, die beide friedlich in ihren Betten lagen und schliefen. Zwei süße kleine Engel hatte ihr Bruder da in die Welt gesetzt und er konnte verstehen, warum er sie so feurig beschützte. Genauso, wie er sie auch immer zu beschützen versucht hatte. Mit mehr oder minder großem Erfolg.
 

Leise ging Lena die Treppe hinunter, so dass man ihr Kommen nicht gleich bemerkte, als sie mitten im Schritt inne hielt, weil ihr Name fiel. Oder der Name ihrer kleinen Nichte, dessen war sie sich nicht ganz sicher, aber sie beschloss erst ein Mal zu hören, was unten geredet wurde.
 

„So und jetzt mal zu dem Überraschungsgast, den du uns angekündigt hast, wer ist es denn? Du willst uns doch nicht etwa mit Clemens und Per als Stripper überraschen, oder?“
 

Alle am Tisch lachten über Timos kleinen Scherz. Er war zwar noch nicht so lange in der Mannschaft wie zum Beispiel Ballack oder Schneider oder Frings, aber er war auch kein Frischling mehr, so dass er es sich durchaus erlauben konnte, kleine Späße auf Kosten seiner Mitspieler zu machen. Auch wenn er erst neulich wieder ins Nationalteam geholt worden war nach seiner Nichtnominierung für die Europameisterschaft.
 

„Nein, nein, keine Panik, den Anblick werde ich euch ersparen, es reicht, wenn ich ihn jedes Mal beim Duschen genießen darf. Außerdem hat Petra viel zu gut gekocht, als dass ich das ganze Essen wieder zum Klo bringen wollen würde.“
 

Wieder lachten alle auf und auch Mario und Sedar, die beiden jungen Wilden des VfB Stuttgart stimmten fröhlich in das Lachen mit ein. Zuerst hatten sie sich im haus ihres Kollegen nicht so ganz wohl gefühlt, die älteren schienen sich alle so gut aus zu kennen und auch Torsten schon eine Ewigkeit zu kennen, so dass sie sich beide etwas deplaziert vorkamen, auch wenn sich dieses Gefühl schon während des Essens in Luft aufgelöst hatte. Alle waren herzlich, offen und freundlich. So wie bei den Spielen der Nationalmannschaft halt auch, nur eben etwas zwangloser. Und auf diesen ominösen Gast der im Laufe des Abends noch zu ihnen stoßen sollte, waren beide jungen Männer sehr gespannt.
 

„Nun rück schon endlich damit raus, wer noch kommt, Lutscher. Sonst erzähle ich deiner Frau ein paar kleine, unschöne Geschichten über dich, die sie bestimmt brennend interessieren.“
 

Michaels Ton war scherzhaft drohend doch für einen Augeblick rutschte der Lutscher unangenehm berührt auf seinen Sitz hin- und her. Sein alter Freund und Kollege würde doch wohl nicht? Dann sah er das Zwinkern in Michaels Augen und beruhigte sich wieder. Seine Peinlichkeiten würden zumindest den heutigen Abend überstehen ohne ans Licht gezogen zu werden, auch wenn Petra ihn neugierig ansah.
 

„Es ist nichts worüber du dir Sorgen machen müsstest, Petra.“
 

Stimmte nun auch Bernd zu, der natürlich genau wusste, von welchen Peinlichkeiten und Geheimnissen Michael da sprach. Aber auch er wollte endlich wissen, wer der geheimnisvolle Gast war, der Torsten in so eine gute Stimmung gebracht hatte.
 

„Also gut Leute, ich gebe mich geschlagen, ich verrate es euch, auch wenn ich eigentlich gehofft hatte, dass sie mittlerweile schon hier wäre, aber na ja… Frauen…“
 

Alle Anwesenden bis auf Petra und Torsten sahen verwirrt aus. Die Jungs hatten mit einigem gerechnet, aber nicht mit der Anwesenheit einer weiteren Frau, denn normalerweise waren höchstens die Ehefrauen bei so einem Abend erlaubt und nun wollte der Fringser ihnen eine weitere Frau vorstellen?
 

„Dir ist schon klar, dass Frauen hier eigentlich tabu sind?“
 

Miro war den ganzen Abend recht still gewesen, in Gedanken eigentlich immer noch in München, wo es zurzeit einfach nicht so lief, wie er das wollte. Da tat so ein Besuch in der alten Heimat bei guten, alten Freunden natürlich gut, aber es verunsicherte ihn auch, denn er spürte da so eine Sehnsucht nach den guten, alten Zeiten, die eigentlich nicht da sein sollte. Er spielte immerhin für den FC Bayern.
 

„Ja, ja Miro, ist mir schon klar, aber ich dachte für Lena könntet ihr ja mal eine kleine Ausnahme von der Regel machen. Wie sieht’s aus?“
 

Torsten grinste breit wie ein Honigkuchenpferd, denn er erkannte an den Gesichtern seiner Freunde, dass ihm seine Überraschung wirklich gelungen war. Sie waren absolut sprachlos. Michael sah ihn nur überrascht an, Bernd fragend und Miro lächelte. Na also, wunderbar.
 

Nur der Rest, also Timo Hildebrand, Mario Gomez, Sedar Tasci und Arne Friedrich, blickten ratlos von einem zum anderen. Sie verstanden nur Bahnhof. Sie wussten, dass die jüngste Tochter des Lutschers Lena hieß, aber von der konnte wohl kaum die Rede gewesen sein, sonst würden die anderen nicht so strahlen. Also fasst Sedar sich ein herz und fragte etwas schüchtern nach:
 

„Ähm, tut mir leid, dass ich eure Begeisterung nicht teilen kann, aber wer ist Lena? Habe ich was verpasst, muss ich sie kennen?“
 

Torsten sah seinen jungen Kollegen überrascht an und ihm fiel erst dann wirklich ein, dass die meisten Lena wirklich nicht kennen konnten. Warum hatte er das auch nicht früher bedacht? Aber noch bevor er antworten konnte, hatte Michael das Reden für ihn übernommen und er klärte seinen jungen Kameraden gern auf.
 

„Lena ist die kleine Schwester des Lutschers und wir haben sie alle schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen. Wenn du die beiden erst einmal zusammen erlebt hast, dann weißt du erst, wie unser Lutscher wirklich sein kann. Es wäre damals wirklich komisch gewesen, wenn es nicht so ernst gewesen wäre…“
 

„Was denn Micha?“
 

„Na ja, jedes Mal, wenn sie einen Junge nett fand, hat Torsten es geschafft ihn im Handumdrehen zu vergraulen. Nicht durch Gemeinheiten oder irgendetwas, sondern eher durch seine ziemlich finstere Mine und so. Er hat ihren armen Freunden wirklich Angst gemacht. Selbst ich wäre geflüchtet.“
 

Alle lachten, nur Torsten lief leicht rot an. Er erinnerte sich noch gut an die Zeit, in der er seine kleine Schwester noch vor den bösen Männern der Welt hatte beschützen können. Leider war es nicht lange gut gegangen und Lena hatte seine Bemühungen auch irgendwie nie so richtig zu schätzen gewusst. Meistens war sie eher sauer auf ihn gewesen. Aber damit hatte er leben können, wenn er seinen kleinen Engel dafür sicher zu hause wusste.
 

„Meine Güte, sie war damals 15 oder 16, was hätte ich denn tun sollen? Sie mit viel älteren Jungen einfach so weg gehen lassen? Die hätten sonst was mit ihr gemacht, wenn ich sie mir nicht vorher zur Brust genommen hätte.“
 

Tasci und Gomez stellten sich gerade bildlich vor, wie wohl ein etwas jüngerer Torsten Frings sich die Freunde seiner kleinen Schwester zur Seite genommen hatte. Mit drohenden Gesten und seinem furchteinflößensten Blick. Auch wenn sie älter gewesen waren, mit Torsten Frings würden Sedar und Mario sich ja jetzt schon nicht anlegen, geschweige denn, dass sie es mit 19 oder so gewagt hätten.
 

„Warum war sie denn immer mit älteren Jungen unterwegs? Ich hätte mir da auch so meine Gedanken gemacht als großer Bruder.“
 

Arne Friedrich versuchte etwas Verständnis auf zu bringen für den armen Lutscher, der mittlerweile anscheinend bemerkt hatte, dass die meisten seiner Kollegen seine Reaktion übertrieben fanden. Was sie ja im Grunde genommen auch war, überzogen, aber dennoch süß. Ein großer Beweis dafür, wie wichtig ihm seine Schwester war, fand Arne. Es war jedoch Petra, die ihm schmunzelnd antwortete:
 

„Lena ist nur mit Jungs aus ihrem Jahrgang ausgegangen.“
 

„Aber meinte Torsten nicht eben noch sie wäre alle viel älter gewesen?“
 

„Ja, das habe ich gesagt, aber Lena war, ich meine, sie ist verdammt intelligent und hat mehrere Klassen übersprungen, so dass sie schon mit 16 ihr Abitur hatte. Und alle in ihrem Jahrgang waren halt älter.“
 

Jene, die Lena nicht kannten, stellten sich gerade eine weibliche Frings, mit langen, zotteligen braunen Haaren, breitem Kreuz und Hornbrille vor. Schüchtern bis zum Umfallen, aber immer die richtigen Antworten. Des Lehrers Liebling. Eine kleine Streberin eben.
 

„Und von deine Kollegen wollen wir dann gar nicht erst reden, oder?“
 

Micha lachte wieder, ihm schien die ganze Geschichte hier Spaß zu machen, immerhin hatte er den Fringser damals regelmäßig live in Aktion erlebt. Und Lena, wie sie ihn am Ende doch ausgetrickst hatte.
 

„Ich habe Lena immer strickt verboten irgendetwas mit Fußballern an zu fangen, schon gar nicht mit meinen Kollegen und daran hat sie sich ausnahmsweise wirklich gehalten, also gibt es da nichts zu erzählen, Micha.“
 

Petra und Micha lächelten sich an, denn sie wussten beide, dass Lena sich keinesfalls an das Verbot ihres Bruders gehalten hatte und mit einigen Fußballern Essen gegangen war. Nicht mehr, weil meistens die Chemie nicht gestimmt hatte, aber sie hatte sich nie wegen Torsten zurück gehalten.
 

Lena hatte für ihren Geschmack schon viel zu viel gehört und beschloss der Sache nun endlich ein Ende zu machen, in dem sie die letzten Stufen hinunter ging und das Esszimmer betrat.
 

Fröhlich lachend ging sie zu ihrem großen Bruder, umarmte ihn herzlich und flüsterte deutlich vernehmbar:
 

„Bruderherz, es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die willst du lieber gar nicht so genau wissen.“
 

To be continued?? Was sagt ihr zu den Märchenprinzen? Und Lenas letzten Satz?

Die Jungs

Das hier ist meine erste Story mit und über reale Personen und selbstverständlich ist das alles nur erfunden…

Also keine Panik, nichts ist wahr, alles stammt nur aus meinem Hirn… Es soll weder Ruf schädigend noch sonst irgendwie böse sein…
 


 

Die Männer am Tisch grölten laut los vor lachen und konnten sich gar nicht mehr halten. Wie auch immer sie sich Lena, Torstens kleine, behütete Schwester, vorgestellt hatten, diese junge Frau vor ihnen passte definitiv nicht zu ihren Vorstellungen.
 

„Ich denke mal, ich muss mich nicht mehr vorstellen. Das hat mein liebster großer Bruder wohl schon für mich übernommen. Aber für alle, die ihm nicht zugehört haben, ich bin Lena.“
 

Lena winkte einmal locker in die Runde und ließ ihren blick unauffällig über die Männer gleiten um zu erkunden, wo Timo saß, denn von diesem platz würde sie sich, wenn möglich, fern halten. Mit ihren lockeren Begrüßungssatz hatte Lena wieder alle Lacher auf ihrer Seite und Torsten sah sie gespielt böse an. Seine böse Mine verwandelte sich jedoch schnell ebenfalls in ein Grinsen und er freute sich, dass seine kleine Schwester endlich auch hier war.
 

Schnell rutschten die Fußballer etwas zusammen um für den Neuankömmling Platz zu machen. Wie der Zufall es so wollte fand Lena sich neben Sedar Tasci und Bernd Schneider wieder und gegenüber von Mario Gomez, der sie neugierig beobachtete. Timo Hildebrand saß etwas weiter entfernt, so dass sich Lenas Muskeln, die sich automatisch verkrampft hatten, wieder entspannten.
 

„Du siehst richtig gut aus, Lena. Ich hätte dich beinahe nicht wieder erkannt. Hast dich seit wir uns das letzte Mal gesehen haben ziemlich verändert. Und so schön braun gebrannt bist du, da könnte ich ja fast neidisch werden.“
 

„Tja, Michael, das passiert halt, wenn man anstatt im sonnigen Süden im regnerischen London wohnt und arbeitet. Das wusstest du vorher. Außerdem überleg mal, wann wir uns das letzte Mal gesehen haben, das muss schon Jahre her sein. Du hast dich schließlich auch verändert.“
 

Es freute Lena ungemein, dass Michael sie hübsch fand und die Veränderungen an ihr bemerkt hatte, über die ihr werter Bruder noch nicht ein Wort verloren hatte. Außer natürlich ihre Bräune, die war sogar Torsten aufgefallen. Sonst hatte er aber noch nichts in der Richtung gesagt und das hatte Lena ehrlich schon ein wenig enttäuscht. Doch Ballack war eben der Frauenmensch und wusste, was das andere Geschlecht hören wollte, etwas, was ihr geliebter Bruder wahrscheinlich in hundert Jahren nicht beherrschen würde.
 

„Wo wohnst du eigentlich mittlerweile? Torsten hat irgendwie gar nichts erzählt.“
 

Lächelnd wandte sich Lena an den Leverkusener neben ihr, der ihr diese Frage gestellt hatte.
 

„Das wundert mich aber, Torsten ist doch sonst so ein Klatschweib. Nein, Spaß beiseite, ich hab die letzten vier Jahre größtenteils in Barcelona verbracht, obwohl ich zwischendurch immer Mal wieder nach Mailand geflogen bin, weil da eben immer noch so viele Freunde wohnen. Ich denke das kennen die meisten hier nur zu gut, dass man viele Freunde zurück lässt, wenn man umzieht.“
 

Überall in der Runde konnte man Nicken erkennen, besonders natürlich bei Michael Ballack und Timo Hildebrand, die diese Erfahrung durch ihren Umzug ins Ausland besonders stark gemacht hatten.
 

Jetzt meldete sich auch Mario Gomez zu Wort, der die ganze Zeit Lena bisher nur schweigend gemustert hatte. Ihm waren die strahlenden blauen Augen sofort aufgefallen und irgendwie hatte er seinen Blick nicht mehr von ihnen nehmen können, doch nun gewann seine Neugier überhand und besiegte seine Schüchternheit, so dass er einfach laut drauflos sprach.
 

„Heißt das, dass du spanisch sprichst?“
 

Lena wandte ihren Blick zu dem Halbspanier ihr direkt gegenüber und antwortete fröhlich:
 

„Si.“
 

Aufgeregt und froh über diese unerwartete Gelegenheit endlich mal wieder spanisch sprechen zu können, plapperte Mario munter drauf los und schon nach kürzester Zeit war ein reges Gespräch zwischen den beiden auf spanisch entstanden. Lena erzählte von Barcelona und Katalonien, während Mario ihr alles über die Heimat seiner Großeltern und seine Erinnerungen an Spanien erzählte. Immer wieder lachten die beiden auf und keiner der Anwesenden verstand warum, da sie kein spanisch sprachen.
 

Nur Timo versuchte unauffällig dem fröhlichen Gespräch der beiden zu folgen, auch wenn sein spanisch nur dürftig war und die beiden augenscheinlich wahre Profis waren, so bekam er doch das ein- oder andere mit. Sie plauderten vorwiegend über Belanglosigkeiten und sprachen wohl eher um des Sprechens willen. Eigentlich interessierte es ihn auch nicht sonderlich, was sein Teamkollege da so zu erzählen hatte, aber irgendwie hatte Timo das Gefühl gehabt, dass Torstens kleine Schwester ihn um jeden Preis meiden wollte. Sie hatte ihn nur ganz kurz bei der Begrüßung angesehen und danach nicht wieder, auch wenn er gerade irgendetwas erzählte sah sie ihn nicht an. Ihm kam es fast so vor, als würde sie sich hinter Sedars Rücken vor seinen Blicken verstecken, auch wenn das wahrscheinlich nur Einbildung war.
 

Erst als sich Sedar einen Augenblick zurück lehnte hatte Timo die Möglichkeit Lena in aller Ruhe zu betrachten. Auch ihm fielen die dunkelblauen Augen auf, die einen so leuchtenden Kontrast zu ihrer Haut bildeten. Ihre langen, welligen blonden Haare hatte sie nicht zusammengebunden und so fielen sie ihr flüssig über die Schulter. Alles in allem war die kleine Schwester des Lutschers, so befand Timo, ganz schön anzusehen und auch ihre offene, fröhliche Art machte es leicht mit ihr ins Gespräch zu kommen. Man musste sie wahrscheinlich einfach mögen, so wie der Fringser schon angekündigt hatte.
 

Lena fühlte, dass jemand sie ansah und drehte unauffällig den Kopf um zu sehen, wer sie da so ungeniert ansah, während sie Mario weiter zuhörte. Als sie erkannte, wer sie da musterte, bereute Lena sich überhaupt umgedreht zu haben, denn ihre Augen trafen die des ehemaligen Torhüters von Valencia. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Ruchartig drehte Lena sich wieder zu Mario um und lächelte ihn unbefangen an. Sie durfte sich nicht ansehen lassen, wie nervös sie Timos Anwesenheit machte. Wie groß die Angst war, dass er sie doch durch irgendeinen Zufall erkannte und das auch noch laut aussprach.
 

Timo stand immer noch, gelinde gesagt, unter Schock. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Lena seine eigentlich subtile Musterung spüren würde. Und als sich ihre Augen trafen, war ihm irgendwie ein Licht aufgegangen. Nein, man konnte schon eher sagen ein ganzes Beleuchtungsgeschäft. Irgendwoher kannte er die Frau, die da lustig plaudernd mit Sedar und Mario am Tisch saß. Lena war ihm vorher schon irgendwie bekannt vorgekommen, aber jetzt war er sich sicher, dass er sie kannte. Oder sie zumindest schon einmal gesehen hatte und zwar bestimmt nicht in Deutschland bei der Nationalmannschaft, sondern in Spanien, bei einem seiner Spiele für Valencia, dessen war er sich ganz sicher.
 

Lena und Mario waren mittlerweile wieder ins Deutsche gewechselt, damit auch Sedar sie verstehen konnte, der die meiste Zeit nur verwirrt von einem zum anderen gesehen hatte. Es war nicht ihre Absicht gewesen den 21-jährigen Stuttgarter auszuschließen, es war eher ein spontaner Reflex gewesen in die Sprache zu wechseln, die sie beide so sehr mochten.
 

„Sag mal Lena, wie alt bist du eigentlich? Torsten meinte du hättest sehr früh Abitur gemacht und so.“
 

Sedar schaute Lena etwas verlegen an. Ihm war klar, dass dies eine persönliche Frage war, aber sie unterhielten sich jetzt seit schätzungsweise anderthalb Stunden und er wusste bisher so gut wie gar nichts über die Frau an seiner Seite, die einen verdammt sympathischen Eindruck machte. Sie war so ganz locker und redete mit ihnen wie mit ganz normalen Menschen, was seit seinem ersten Bundesligaspiel nur noch sehr selten und nach seinem Nationalmannschaftsdebüt gar nicht mehr vorgekommen war. Es schien Lena wirklich nicht zu interessieren, dass sie verdammt erfolgreich waren und ein Leben im Rampenlicht führten. Jede Frau in Stuttgart behandelte ihn irgendwie- anders. Ob nun Fan oder nicht, sie erkannten sowohl ihn als auch Mario und auch dem konnte er ansehen, dass ihm ein normales Gespräch mal wieder richtig gut tat.
 

„Zu alt für dich, Kleiner. Ich bin 24.“
 

Tasci lief leicht rot an, doch aufgrund seiner dunkleren Hautfarbe sah man es nicht sofort. Es war ihm so verdammt peinlich. Nur Mario grinste schief, als er bemerkte, wie unangenehm seinem Freund die Situation war.
 

„Ich habe das jetzt nicht böse gemeint Sedar, ich habe nur einfach die Erfahrung gemacht, dass mich die meisten Menschen für jünger halten als ich eigentlich bin. Keine Ahnung woher das kommt.“
 

Lena zuckte etwas ahnungslos mit den Schultern und sah ihn dann ein wenig entschuldigend an. Selbstverständlich war auch Lena aufgefallen, dass Sedar neben ihr mit einem Mal still geworden war und sich seine Gesichtsfarbe leicht verändert hatte. Sie war immerhin eine der besten Psychologinnen in Barcelona und die achteten nun einmal auf die Körpersprache ihrer Gesprächspartner, auch wenn es nur ganz unbewusst und zumeist auch ungewollt geschah. Und so wie Lena das analysierte, hatte sie ihn mit ihren Worten wirklich verunsichert. Das hatte sie natürlich nicht gewollt, denn eigentlich verstand sie sich mit den beiden jungen Stuttgartern richtig gut und Sedar in eine peinliche Situation zu bringen war bei weitem nicht ihre Absicht gewesen.
 

Mario schien die Spannung auch zu fühlen und wechselte so elegant das Thema, als er fragte:
 

„Von uns weißt du ja schon, was wir beruflich machen, aber wie sieht es bei dir aus? Womit verdienst du dir deine Brötchen?“
 

„Ob ihr es nun glaubt oder nicht Jungs, ich bin Psychologin und habe eine kleine Praxis in Barcelona.“
 

Erstaunt sahen Gomez und Tasci zu Lena, die verlegen lächelte. So eine Reaktion war sie mittlerweile gewohnt, denn keiner, der sie neu kennen lernte, konnte fassen, dass sie schon fertige Psychologin war in einem zarten Alter von 24. Das Studium dauerte immerhin 13 Semester und war extrem hart, so dass es sehr selten vorkam, dass Studenten Semester übersprangen oder gar schon so früh fertig wurden. Da bildete sie mal wieder, wie schon so oft in ihrem Leben, eine Ausnahme.
 

„Ihr könnt eure Münder wieder schließen, sonst setzt ihr in dieser Haltung noch Moos an.“
 

Fröhlich lachte Lena auf und erst jetzt merkten die beiden, dass sie vor Erstaunen ihre Münder wirklich offen gelassen hatten. Wie schlimm das wohl ausgesehen haben musste. Mario wollte es sich gar nicht genauer vorstellen, wie sehr er sich da gerade zum Deppen gemacht hatte vor der hübschen Schwester seiner Nationalmannschaftskollegen. Aber wenigstens hatte Sedar ähnlich reagiert und die Peinlichkeit war dadurch nicht mehr ganz so groß. Unauffällig versuchte Gomez heraus zu finden, wer ihren Fauxpas noch beobachtete hatte und als sein Blick auf Torsten Frings fiel, musste der mit einem Mal laut los lachen.
 

„Mach dir keinen falschen Hoffnungen Mario, wir haben alle gesehen wie ihr Lena wie die Verrückten angestarrt habt. Mein Gott, das war schon ein Anblick für die Götter. Dass euch die Kinnlade nicht auf die Füße gefallen ist, war aber auch schon alles.“
 

Alle anderen stimmten in Torstens Lachen ein und irgendwann hatten auch Sedar und Mario sich von ihrem Schock erholte und lachten ebenfalls über ihr dummes Gesicht.
 

Bernd Schneider, der sich zu den beiden jungen Spaßvögeln umdrehen wollte, stöhnte mitten in der Bewegung auf und fasste sich mit schmerzverzerrtem Gesicht in den Nacken. Er versuchte vorsichtig seinen Kopf zurück zu bewegen, was jedoch nur mit vor Schmerzen zugekniffenen Augen möglich war.
 

Petra hatte das bemerkt und fragte natürlich sofort nach, was passiert sei. Jetzt richteten sich auch die Augen der anderen am Tisch auf den derzeit noch angeschlagenen Leverkusener Bernd Schneider, der sich innerlich verfluchte. Er wollte doch heute Abend nicht an seine Verletzung denken müssen, sondern einfach mit den Kollegen ein bisschen Spaß haben. Aber da hatten ihm wohl gerade seine Nackenwirbel mal wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht.
 

„Nichts, nichts, keine Panik, Petra. Ich bin nach meiner OP nur noch nicht ganz so beweglich, wie ich es mal war und bei manchen Bewegungen tut es halt noch sehr weh und alles verkrampft sich. Aber ganz ruhig, das legt sich bestimmt gleich wieder.“
 

Bernd versuchte es mit einem vorsichtigen lächeln, was jedoch sofort wieder auf Grund der Schmerzen verschwand. Es tat wirklich höllisch weh.
 

Petra sah wiederum zu ihrer jungen Schwägerin und las die unausgesprochene Frage in ihren Augen, die sie mit einem kaum merklichen Nicken beantwortete. Es würde schon nicht schaden, wenn sie da mal Hand anlegte. Schon war Lena aufgestanden und hielt Bernd die Hand hin. Der sah sie fragend an und Lena lachte nur und half ihm hoch. Auch die Anderen waren neugierig, was Lena auf einmal vorhatte, doch keiner sagte etwas, als die beiden den Raum verließen. Nur Sedar und Mario blickten ihr etwas enttäuscht hinterher, denn mit so einem unvorhergesehenen und abrupten Ende ihres Gesprächs hatten sie beide nun wirklich nicht gerechnet. Immerhin war es gerade so lustig gewesen und jetzt verzog Lena sich einfach mit Bernd Schneider? Das verstand wer wollte, die beiden Stuttgarter zumindest nicht.
 

Aus dem Wohnzimmer vernahmen sie dann noch Lenas Stimme, die sanft, fast zärtlich klang, als sie sagte.
 

„Bernd, ich glaube es ist besser, wenn du dich ausziehst, sonst kann das nichts mit uns beiden werden. Warte, ich helfe dir am besten mit dem Oberteil, den Rest schaffst du selbst?“
 

Sedar und Mario sahen sich überrascht an und ihre Fantasie überschlug sich gerade mit Bildern, was Lena und Schnix da wohl gerade im Wohnzimmer, direkt in Hörweite, taten. Und es gefiel den beiden nicht im Geringsten.
 


 

To be continued? Was denkt ihr, was die beiden da tun? Und was ist das wohl mit dem Timo und der Lena?

Nichts ist so, wie es erscheint

Das hier ist meine erste Story mit und über reale Personen und selbstverständlich ist das alles nur erfunden…

Also keine Panik, nichts ist wahr, alles stammt nur aus meinem Hirn… Es soll weder Ruf schädigend noch sonst irgendwie böse sein…
 


 

Wie versteinert saßen die beiden jungen Stuttgarter da und versuchten gespannt den Wortfetzen zu lauschen, die immer wieder aus dem Wohnzimmer in die Küche zu den anderen Fußballern drangen. Hilflos sahen sie einander an und wussten wirklich nicht, was da gerade geschah oder was sie auch nur denken sollten. Diese ganze Szenerie war einfach unfassbar. Da hatten sie eben noch fröhlich plaudernd nebeneinander gesessen und mit einem Mal war Lena aufgesprungen, hatte Bernd fast von seinem Stuhl gezerrt und war mit ihm ins Wohnzimmer verschwunden, wo sie sich augenscheinlich auszogen. Was war auf einmal los?
 

„Ohhh, Lena, verdammt ist das gut. Jaaa…“
 

Die Überraschung wandelte sich immer mehr in Entsetzen um, als sie Schneiders wohliges Aufstöhnen vernahmen. Immer wieder hörte man kurzes, abgehacktes Stöhnen und sogar kleine Aufschreie von Bernd, die meist von einem spielerischen Lachen Lenas gefolgt waren.

Selbstverständlich machten sich nicht nur Sedar und Mario so ihre Gedanken über die Vorgänge im fringsschen Wohnzimmer, doch sowohl Arnes, als auch Michaels Gedanken drifteten nicht in dieselbe Richtung wie die der Jüngsten, auch wenn die Töne doch recht eindeutig waren.
 

„Torsten, wenn noch irgendetwas von dem beschützerischen großen Bruder in dir steckt, dann bitte, es wäre eindeutig an der Zeit es raus zu lassen und dem ganzen ein Ende zu bereiten. Bitte!“
 

Marios eindringliches Flehen rief bei den älteren am Tisch nur leises Gelächter hervor, was Mario nur mit einem verwirrten Seitenblick quittierte. Nur Sedar schien ihn zu verstehen, denn er nickte beflissentlich.
 

„Ach Mario, warum sollte ich etwas unterbrechen, was doch anscheinend gerade erst so richtig angefangen hat. Da wäre ich wohl der fieseste große Bruder der Welt und Lena würde es mir nie verzeihen, dass ich ihr diese einmalige Chance zu Nichte gemacht habe. Immerhin wollte sie Bernd schon immer mal ausprobieren, wenn ich mich recht erinnere. Sie hatte da mal was in dieser Hinsicht angedeutet, aber damals waren sie beide noch um einiges jünger.“
 

Der Lutscher grinste breit und musste sich schon hart zurückhalten nicht in schallendes Gelächter auszubrechen ob der qualvoll verzerrten Gesichter von Gomez und Tasci. Immer, wenn weitere Geräusche aus dem Nebenraum drangen, sahen sie peinlich berührt und betreten in ihren Schoß, als könnten sie dadurch das ausblenden, was ihnen ihr Kopf mit lebhaften Bildern schilderte.
 

Auch Michael setzte freudig mit ein und fing an die beiden ein wenig zu necken und zu triezen.
 

„Nun kommt schon Jungs, ihr wollt uns doch nicht wirklich Weis machen, dass ihr noch nie bei derlei Aktivitäten zugehört habt? Wir sind hier immerhin gestandene Männer.“
 

Sowohl Mario als auch Sedar wurden rot, als sie kaum merklich den Kopf schüttelten um die Frage ihres Kapitäns zu beantworten.
 

Timo beobachtete die ganze Konversation nur schweigend und hing immer noch seinen Gedanken nach, woher er die Blonde wohl kannte. In der Zwischenzeit war er sich klar geworden, dass es definitiv aus Spanien sein musste, aber in Barcelonas hatte er sich nur zwei Mal aufgehalten, weswegen es ihm unrealistisch erschien, dass sie sich dort bereits begegnet sein sollten. Lenas abwehrende Haltung ihm gegenüber gab ihm jedoch sehr zu denken und weckte seine Neugier heraus zu finden, was für ein Spiel sie mit ihm spielte. Alles passte irgendwie ins Bild, aber es ergab alles noch keinen Sinn, weil er es noch nicht verstanden hatte die Puzzelteile zu ordnen, die offen für jeden auf dem Tisch lagen.
 

„Timo, kommst du mit?“
 

Erschrocken sah Timo Arne an, der ihn freundlich zu lächelte. Er musste wirklich tief in Gedanken bei dem Enigma der Lena Frings gewesen sein, wenn er nicht mitbekommen hatte, wie fast alle anderen Anwesenden bereits aufgestanden waren und der Berliner schon mehrmals versucht hatte mit ihm zu reden.
 

„Was?! Tut mir leid Arne, ich habe dir einen Augenblick nicht zu gehört.“
 

„Ja ja, als nur einen Augenblick würde ich das aber nicht bezeichnen. Du hast die ganze Zeit wie hypnotisiert auf die wand gestarrt und gar nicht reagiert. Ich glaube du hast noch nicht einmal mit den Wimpern gezuckt.“
 

Verlegen fuhr Timo sich durch die Haare. Es war ihm ein bisschen peinlich, dass sein Kollege ihn erst hatte wecken müssen, schließlich war er heute Abend hier um mit ihnen Spaß zu haben, nicht um über eine Frau nachzudenken.
 

„Ich wollte aber eigentlich nur fragen, ob du mit ins Wohnzimmer kommst.“
 

„Was wollt ihr denn da?“
 

Arne lachte auf und zwinkerte ihm spielerisch zu.
 

„Was sollen wir da schon wollen? Bernd und Lena ein wenig zu sehen, denn nur Hörfunk ist auf die Dauer doch nicht so prickelnd wie wenn man live dabei sein kann.“
 

Auch Timo erhob sich und bemerkte erst jetzt, dass sich Sedar und Mario noch nicht gerührt hatten. Mehr oder weniger elegant hatten sie beide ihre Hände ihm Schoß gefaltet und sahen ihn gequält an.
 

„Hey ihr zwei, kommt ihr etwa nicht mit?“
 

Mario kaute an seiner Unterlippe und Sedar presste seine Lippen so fest zusammen, dass fast nur noch ein dünner, heller Strick von ihnen übrig blieb. Eine Antwort brachte jedoch keiner von beiden hervor.
 

Nun machte sich Timo die Mühe seine beiden alten Kollegen etwas näher zu betrachten und einige Dinge fielen ihm sofort ins Auge. Beide Spieler wirkten extrem verkrampft, ihre Muskeln schienen bis an den Rand der Belastung gespannt und man konnte die Spannung schon fast in Wellen von ihrem Körper strömen sehen. Auch rutschten die beiden nervös immer wieder auf ihren Platz hin- und her, ihre Augen waren leicht glasig und ihre Wangen hatten einen fast schon dunklen Rot Ton angenommen. Na wenn das keine eindeutigen Anzeichen waren…
 

„Ist schon in Ordnung, ihr zwei, habe schon verstanden, ihr kommt dann aber nach, wenn es wieder alles im Lot ist, oder?“
 

Ein kurzes Nicken war die Antwort und beide schienen erleichtert zu sein, dass Timo sowohl ihre pikante Lage erkannt hatte ohne dass sie irgendetwas davon hatten erwähnen müssen und dass er augenscheinlich nicht vor hatte den anderen irgendetwas davon zu berichten. Den Spott ihrer Kollegen konnten sie sich durchaus sparen, denn diese Sache würde ihnen noch ewig anhängen und sie würde definitiv die Runde machen, so dass bald das ganze Team über sie lachen würde, wenn Timo nicht den Mund hielt. An Torstens und Lenas Reaktion wollten sie lieber gar nicht erst denken.
 

Im fringsschen Wohnzimmer fanden Petra, Torsten, Arne und Michael Bernd auf dem Bauch liegend mit freiem Oberkörper auf der Couch wieder. Sein Gesicht war immer wieder in eines der Kissen gedrückt, doch trotzdem konnte man die Laute seiner unendlichen Verzückung nur zu deutlich vernehmen. Lena hatte es sich auf seinem Hinterteil bequem gemacht und ihre Beine drückten locker gegen Bernds. Ihre Hände bewegten sich federleicht auf Bernds Rücken und stellten Dinge mit ihm an, von denen er nie zu träumen gewagt hatte. Das hier war fraglos der Himmel auf Erden und er hatte nicht vor ihn demnächst schon zu verlassen, auch wenn er wie von Ferne gedämpft die Ankunft der anderen wahrnahm.
 

„Und Bernd, wie gefällt es dir meiner kleinen Schwester ausgeliefert zu sein?“
 

Träge hob Schnix seinen Kopf aus den Kissen, blinzelte ein paar Mal und sah dann zu seinen werten Kollegen und Petra. Torsten hatte sich ihm direkt in die Blickrichtung gestellt und grinste ihn breit an, was Bernd zuerst nur mit einem fragenden Blick beantwortete. Dann jedoch veränderten seine Gesichtzüge sich. Sein Gesicht zierte dasselbe Grinsen, das man auch bei einer Katze sehen konnte, die gerade einen großen Topf Milch leer geschleckt hatte: Gesättigt, zufrieden und rundum glücklich.
 

„Torsten, ich muss dir gestehen, wenn das hier Sklaverei ist, dann will ich nie wieder zurück in die Freiheit. Ich bin gerade im Paradies, also nimm bitte deinen zotteligen Kopf aus meinem Gesichtsfeld, damit ich mich wieder ordentlich entspannen kann. Du störst uns nämlich gerade!“
 

Wieder ließ Schneider seinen Kopf in die Kissen sinken und Lena konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie mochte den „weißen Brasilianer“, wie ihn einige gern nannten, wirklich sehr und sein Umgang mit ihrem großen Bruder war einfach fantastisch. Klar hatte auch Michael hin- und wieder Widerworte, aber meistens waren sie ein Herz und eine Seele, ganz anders als Bernd, der es oft nicht lassen konnte die beiden ein wenig auf den Arm zu nehmen. Meistens nahm er die beiden und auch sich selbst nicht so Ernst, was oftmals einen wahren Segen darstellen konnte. Er war im Kreise seiner Freunde wirklich eine locker Stimmungskanone und gerade eben hatte seine Antwort einen so herrlichen Gesichtsausdruck auf Torstens Gesicht gezaubert, dass Lena bereit war den geschundenen Leverkusener noch weiter zu massieren.
 

„Bernd, allein für den Anblick meines Bruders eben gerade würde ich dich noch häufiger massieren!“
 

„Nur zu, tu dir keinen Zwang an. Wie wäre es, wenn du einfach mit mir mit kämest und wir es da dann mal zusammen probieren, hm? Du als meine persönliche Seelsorgerin?“
 

„Du wirst dich hüten meiner kleinen Schwester solche verdorbenen Angebote zu machen. Lena kann Großes erreichen, wenn sie nur will, immerhin ist sie Psychologin und Physiotherapeutin. Da lasse ich sie doch nicht bei dir verfaulen. Außerdem hat Lena weder Interesse an Fußball, noch an Fußballern. Schon gar nicht an solchen alten, kranken Knackern wie dir. Und jetzt runter von meiner Couch, aber avanti.“
 

Mehrere erstaunte Gesichter im Raum wandten sich Lena zu, die nur ungerührt ihren Bruder ansah. Sie zwang sich zu einem kleinen Lächeln, das ihre Augen jedoch nicht einmal ansatzweise erreichte. Erst jetzt wurde ihr wieder einmal mehr schmerzhaft bewusst, wie wenig ihr geliebter Bruder über die letzten acht Jahre ihres Lebens wusste. Wie wenig er überhaupt mittlerweile noch von ihr wusste und wie viele Lügen und Ausreden eigentlich zwischen ihnen standen. Und noch schmerzlicher war es für Lena, da sie einsehen musste, dass es ihr eigener Wille gewesen war, der sie soweit gebracht hatte. Es waren ihre Entscheidungen gewesen, die Torsten, Petra und die Kinder ausgeschlossen hatten aus einem Leben, das ihr irgendwie schon vor langer Zeit langsam aber stetig entglitten war. Zurück blieben das Chaos, die Verwirrung, die Angst und der Schmerz, den sie in Barcelona zurück gelassen hatte.
 

Lena musste schwer schlucken, als alles sie mit einem Mal zu überwältigen drohte. So viele Bilder fluteten ihr Gedächtnis, so viele glückliche Augenblicke mit Torsten, Ricardo, Paolo, Christian und nicht zuletzt auch mit Leo. Eine Vergangenheit von der sie nicht wusste, wo sie anfing und wo sie endete. Alles schien zu verwischen und es gab keine Grenzen mehr, nur noch Hindernisse, unüberwindbare Hindernisse. Zwischen ihr und dem Rest der Welt. Hindernisse, bei denen sie nicht wusste, was auf der anderen Seite lag, Hindernisse, die sie nicht einsehen konnte. Um sie herum war Dunkelheit, hinter den Hindernissen konnte womöglich das Licht auf sie warten. Womöglich. Vielleicht. Eine Garantie konnte ihr keiner geben. Und für uns als Menschen ist es manchmal besser, im Dunkeln zu tappen. Denn im Dunkeln hat man vielleicht Angst, aber dort herrscht auch Hoffnung. Diese Hoffnung wollte Lena nicht verlieren, denn sie hatte sonst nichts mehr, woran sie sich klammern sollte.
 

„Hey Lena, nicht ganz so fest bitte, das tut mittlerweile doch schon etwas weh.“
 

Unwillkürlich hatte Lena sich in Bernds Haut gekrallt und als sie los ließ konnte sie deutlich die Spuren ihrer Hände sehen. Ihre Fingernägel hatten sogar die oberen Hautschichten verletzt und er blutete ein wenig.
 

„Es tut mir furchtbar Leid, dass ich dir Weh getan habe, ich war nur gerade einfach so in Gedanken und habe nicht darauf geachtet, was ich tue.“
 

Lena senkte den Blick und stand vorsichtig auf um ein Taschentuch vom Tisch zu holen und Bernds Rücken abzutupfen. Es blutete nicht doll, aber immerhin ein bisschen.
 

„Ist doch nicht schlimm Lena, so was kann jedem Mal passieren, es tut doch auch gar nicht weh.“
 

Langsam betupfte Lena Bernds kleine Wunde und hörte nur mit einem Ohr zu, wie Torsten seinem Kollegen lachend riet:
 

„Siehst du Schnix, das geschieht dir ganz recht, jetzt hat sie auch mal dir gegenüber die Krallen ausgefahren. Wurde auch mal Zeit, dass nicht nur immer ich darunter leiden muss.“
 

Bernd ertrug Torstens gutmütigen Spott schweigend, denn ihm war Lenas abwesender, trauriger Blick aufgefallen und er fragte sich, woran die junge Frau wohl gedacht hatte, als sie sich so krampfhaft an seinem rücken festgehalten hatte. Es konnte irgendwie einfach keine positive Erinnerung sein, da ihr schmerzverzerrter Blick Bände sprach. Irgendetwas war plötzlich nicht mehr in Ordnung und Bernd hatte gerade nun wirklich keine Ahnung, was.
 

Das Klingeln eines Handys durchbrach die Stille und es hörte sich an wie leises Glockengeläut. Überrascht sah einer zum anderen, doch es war Lena, die hastig ihr immer lauter werdendes Mobiltelefon aus der Hosentasche fischte und mit gesenktem Blick das Display betrachtete.
 

Sie war sich wirklich nicht sicher, ob die in diesem Moment gerade die innerliche Stärke aufbrachte um mit ihm zu sprechen und ob es der richtige Zeitpunkt war um alles zu klären, aber Lena wusste zumindest mit hundertprozentiger Sicherheit, dass es nie einen richtigen Zeitpunkt geben würde und dass sie wahrscheinlich niemals stark genug oder vorbereitete genug sein würde für das Gespräch, das ihr jetzt bevorstand.
 

Zögernd klappte sie ihr Handy auf, atmete noch einmal tief durch, schloss für einen kurzen Augenblick die Augen und drückte dann auf die grüne Taste.
 


 

Was sagt ihr dazu? Wer ist der geheimnisvolle Anrufer und was könnte er von ihr wollen? Und warum sind Mario und Sedar nicht mit dabei?
 

To be continued?

Anruf aus der Vergangenheit

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

„Hola?“
 

Nichts.
 

„Hallo?“
 

Ihre Stimme klang bei der erneuten Frage unsicher und brüchig, fast als fürchtete sie, dass der Anrufer es sich anders überlegen und wieder auflegen würde. Innerlich war sie zerrissen, ob eine Verzögerung des Gespräches nun gut oder schlecht wäre. Vermutlich irgendwie beides zur gleichen Zeit.
 

Immer noch stille. Am anderen Ende der Leitung konnte Lena leises Rascheln und tiefe Atemzüge hören. So als versuchte sich da jemand an meditativen Beruhigungsmethoden um emotionalen Stress abzubauen.
 

Das zauberte ihr ein kleines, einsames Lächeln aufs Gesicht, was jedoch nach ein paar Sekunden weiter anhaltender Stille wieder verschwand. Warum redete er nicht mit ihr? Lena hatte mittlerweile das Wohnzimmer verlassen und stand jetzt im kalten Flur an die Wand gelehnt. Sie wollte nicht, dass einer der Jungs, womöglich noch ihr Bruder, oder Petra dieses Gespräch mitbekamen, auch wenn Lena natürlich die fragenden Blicke bemerkt hatte, die sie ihr alle mehr oder minder auffällig zugeworfen hatten. Doch für beruhigende Handzeichen oder so etwas war keine Zeit gewesen. Danach stand Lena gerade auch nicht der Kopf, denn dieses Gespräch würde bestimmt nicht ruhig ablaufen. Was, wenn sie durch ihre überstürzte Flucht aus Barcelona alles kaputt gemacht hatte? Wenn er ihr nicht verzieh? Damit konnte sie nicht leben, nicht schon wieder. Nicht noch einmal. Solch einen Fehler hatte sie schon einmal vor langer Zeit gemacht und danach hatte sie sich geschworen es nie wieder zu tun. Dafür war der Preis, den sie hatte zahlen müssen, einfach viel zu hoch gewesen.
 

„Leo? Verdammt noch mal rede mit mir!“
 

Leise hauchte Lena den Namen ihres besten Freundes ins Telefon und hoffte, dass er jetzt endlich reagieren würde. Und ihr Flehen blieb nicht unbeachtet.
 

„Si, mi corazón.“
 

Mein Herz. Ja, das war der Spitzname, den er ihr vor einer gefühlten Ewigkeit gegeben hatte. Damals, als sie wie ein Häufchen Elend in Barcelona angekommen war und nicht gewusst hatte, wie sie ihr neues Leben meistern sollte. Was sie aus ihrem leben machen sollte. Desillusioniert und verzweifelt. Als Kummer, Schmerz und teilweise sogar Wut ihre Welt beherrscht hatten. Und diese unglaubliche Sehnsucht, die Lena in der ersten Zeit nie hatte vergessen können. Sehnsucht nach Mailand, Sehnsucht nach ihrer zweiten „Familie“, auch wenn ihr die Gedanken an sie oftmals Weh taten.
 

Jedes Mal, wenn Lionel sie „mi corazón“ nannte, kribbelte es in ihrem Bauch und Lena fühlte sich sonst immer besser. Besser, weil da wieder jemand war, dem sie so unendlich viel bedeutete und für den sie so wichtig war, wie sein eigenes Herz. Früher hatte er sie immer freudig so genannt, heute nicht. Seine Stimme klang traurig, verloren und ausgezehrt, da war nichts mehr übrig von dem Lionel Messi, den Lena kannte. Sonst scherzte er immer fröhlich mit ihr, lachte und lächelte ohne Ende und es gab nicht, was seinen unendlichen Optimismus hätte aufhalten können. Er war einfach ein Mensch, der die meiste Zeit des Tages glücklich und dankbar war, weil sich sein größter Traum erfüllt hatte. Und diese Freude hatte er früher zumindest fast immer mit allen geteilt. Aber jetzt klang seine Stimme fast tonlos und seine Worte waren leer.
 

„Leo, ist irgendetwas passiert? Geht es allen gut?“
 

Aus der Leitung drang nur ein unfreundliches Schnauben, was Lenas Vermutung bestätigte, dass dieses Gespräch in der Tat nicht angenehm werden würde.
 

„Bei mir ist nichts passiert, die Frage ist eher: Warum bist du bei Nacht und Nebel aus Barcelona verschwunden? Warum?!“
 

Lena schluckte und versuchte in Gedanken eine Antwort zu formulieren, die Leo nicht so sehr verletzen würde. Sein anklagender, verletzter Ton machte ihr jedoch bereits deutlich, wie schwer ihr Fehler gewesen war, einfach so zu gehen.
 

„Warum hast du mir nichts gesagt, Lena? Warum bist du einfach so gegangen, ohne ein Wort des Abschieds? Ich dachte wir könnten über alles reden. Ich dachte ich bedeute dir etwas. Aber anscheinend bin ich dir genauso egal wie der Rest deines Lebens hier.“
 

„Leo, bitte, das stimmt nicht. Du bedeutest mir unendlich viel, mi torbellino. Ich- Ich weiß, es war ein Fehler einfach so zu gehen, aber ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten.“
 

„Weißt du Lena, das hättest du mir auch sagen können. Uns sagen können. Wir haben doch immer versucht dich zu verstehen. Immer wieder haben wir dich gefragt, wie du mit der ganzen Sache klar kommst und deine Antwort war immer, dass es dir gut geht, dass es kein Problem gibt. Du hast uns absichtlich aus deinem Leben ausgeschlossen und dich immer weiter von uns zurückgezogen seit dieser Sache. Und jetzt bist du einfach so aus meinem Leben verschwunden. Soll das alles sein?“
 

Eigentlich wollte Lena etwas erwidern, wollte bestreiten was Leo sagte, doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass er Recht hatte. Leo hatte absolut Recht, mit jedem einzelnen Wort, auch wenn es Lena bis ins Herz traf. Sie hatte ihre Freunde, hatte Lionel, wissentlich aus ihrem Leben ausgeschlossen, hatte ihnen Dinge verschwiegen und alles getan, damit sie sich keine Sorgen um sie machen mussten. Sie hatte sich zu einem Lächeln gezwungen und eiskalt gelogen. Ihr schlechtes Gewissen aber hatte sie so lange geplagt, bis sie ihnen fast nicht mehr ins Gesicht sehen konnte. Deswegen war sie gegangen. Um nicht noch mehr lügen zu müssen. Um nicht noch mehr Geheimnisse wahren zu müssen, wo sie Leo doch am liebsten ihr Herz ausgeschüttet hätte. Ihr war das alles zu viel geworden, es war ihr über den kopf gewachsen und sie war zu dem Menschen geflüchtet, der ihr ein Gefühl von Liebe, Geborgenheit aber vor allen Dingen auch Sicherheit geben konnte. Torsten würde nicht zulassen, dass ihr etwas geschah, dass ihr jemand Weht tat. Und dadurch würde Lena auch die Menschen beschützen können, die ihr Herz so sehnsüchtig vermisste.
 

„Wo bist du, Lena? Bist du wieder bei ihm?“
 

Da war er wieder, dieses leichte Gefühl von Schmerz, das sich jedes Mal einstellte, wenn er seinen Namen aussprach. Lionel hatte einen ganz speziellen Ton und jedes Mal, wenn sie über ihn sprachen, was nicht all zu häufig vorkam, kamen in Lena die Erinnerungen hoch. Es war nun schon einige Jahre her, doch der Schmerz war immer noch da. Unterschwellig, aber da. Da sah man wieder: Die Zeit heilte keine Wunden, man gewöhnte sich nur an den Schmerz.
 

Lena schluckte. Sie hatte gewusst, dass diese Frage kommen würde, genauso wie sie wusste, dass sie ihm nicht sagen konnte wo sie war. Er würde alles stehen und liegen lassen und zu ihr kommen. Weil nicht aufgab. Niemals aufgab. Er wollte ihr ein Freund sein, der beste Freund, den sie jemals gehabt hatte, wollte ihr helfen, für sie da sein und sie beschützen, doch das konnte Lena nicht zu lassen. Lionel Messi durfte sich unter gar keinen Umständen auf den Weg zu ihr machen. Und für sie gab es keinen Weg zurück. Nicht jetzt. Eine Lüge jedoch brachte Lena in diesem Augenblick auch nicht über die Lippen. Diesen Schmerz konnte sie Lionel nicht wissentlich antun. Das wäre grausam und würde vielleicht die letzten Reste ihrer Freundschaft zerstören, die Lena bisher noch heil gelassen hatte. Denn einen Körper sezierte man mit einem Skalpell, eine Seele mit Worten und Gedanken.
 

„Nein, Leo, bin ich nicht.“
 

„Dann sag mir wo du bist und ich komme dich holen. Ich lasse dich nicht einfach so gehen. Wir brauchen dich hier. ICH brauche dich hier.“
 

In seiner Stimme klang eine Verzweiflung mit, die Lena bis dato noch nie gehört hatte. Und es zerriss ihr fast das Herz dastehen zu müssen und diejenige zu sein, die ihn so unsagbar leiden ließ. Das hatte sie nicht gewollte, das hatte sie alles nicht gewollte. Aber jetzt war es nicht mehr zu ändern.
 

„Ich kann nicht, versteh doch.“
 

„Also bist du doch wieder bei ihm.“
 

Mit einem Mal war Lionels Stimme nicht mehr nur traurig, sondern eher wütend. Wahrscheinlich wütend auf sie, weil er sie für schwach genug hielt wieder dahin zurück zu kehren, wo man ihr das erste Mal das Herz gebrochen hatte, und wütend auf ihn, weil er nicht stark genug war so zu tun, als würde es ihn nicht interessieren.
 

„Nein, Leo, ich bin zu meinem Bruder und seiner Familie geflogen. Hier habe ich Ruhe und kann vielleicht etwas Abstand gewinnen. Außerdem kennt mich hier keiner und es würde niemand auf die Idee kommen und in mir die Psychologin, das Maskottchen und beste Freundin Lionel Messis zu sehen. Barca und die Gerüchteküche ist weit genug weg. Hier lesen die Leute keine spanischen Zeitungen. Sie wissen also von nichts.“
 

Lena hoffte inständig, dass er ihr glaubte. Dass er nicht an ihr zweifelte und sie nicht aufgab. So wie sie sich selbst im Flugzeug hierher schon beinahe aufgegeben hatte. Seine Freundschaft bedeutete Lena viel und sie wusste nicht, wie sie ohne Leo leben sollte. Er zauberte ihr ein Lächeln ins Gesicht und mit ihm konnte sie stundenlang reden ohne auch nur einmal das Gefühl zu haben, dass es ihn nicht interessierte. Leo war im Laufe der Zeit irgendwie der Mann an ihrer Seite geworden. Und sie die Frau an seiner, auch wenn sie nicht, wie die Medien so gerne spekulierten, romantisch involviert waren. Sie waren einfach nur beste Freunde und wenn Lena diese Freundschaft noch irgendwie retten wollte, dann musste sie es jetzt tun.
 

„Bist du nur wegen der Sachen in den Zeitungen gegangen? Wegen dieser Schmierschriften und diesen grässlichen Fotos? Dir ist doch bewusst, dass unsere Rechtsabteilung da schon hinter sitzt und alles und jeden verklagt, der daran beteiligt war, oder? Bald wird niemand mehr darüber sprechen und alles andere überstehen wir auch zusammen. Was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir dann zusammen, nicht wahr, mi corazón?“
 

„Leo, bitte, du bist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben und ich will dich nicht verlieren, aber im Augenblick brauche ich eine Pause. Ich kann nicht mehr, ich weiß nicht mehr wo mir der Kopf steht.“
 

„Verstehe.“
 

„Nein, du verstehst nichts. Ich bin gegangen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Das hat aber nichts mit dir oder den anderen Jungs zu tun. Ich liebe meine Arbeit und ich liebe das Team, das weißt du, aber ich muss einfach mal einen Ganz zurück schalten und etwas anderes sehen. Meinen Bruder und meine beiden kleinen Nichten habe ich schon lange nicht mehr gesehen und hier habe ich irgendwie das Gefühl angekommen zu sein. Bei ihnen kann ich meine Reserven auftanken.“
 

„Damit du dann wieder zurück kommst? Damit wir uns wieder sehen?“
 

„Genau, damit ich wieder komme und wir uns wieder sehen.“
 

Lena musste lächeln, als sie sich vor Augen führte, wie kindlich sich ihr Gespräch wohl gerade anhörte, aber das war ihr eigentlich verdammt egal. Sie fühlte, dass Lionel auf dem besten Weg war sie zu verstehen und es war unnötig zu verzeihen, wenn man verstand. Und genau das erhoffte sie sich von Leo.
 

„Dann bist du also nicht für immer gegangen?“
 

„Nein, ich kann doch meine geliebte Chaos-Truppe nicht einfach so im Stich lassen. Ihr braucht mich doch, sonst lauft ihr noch irgendwann Amok. Nee, Herr Messi, so schnell werden sie mich nicht los.“
 

Jetzt musste Lena lauter lachen und steckte Leo doch glatt damit an. So lachten sie beide eine weile in den Hörer, bis Leo sich räusperte.
 

„Auch wenn du erst einmal Abstand brauchst, darf ich dich trotzdem weiterhin anrufen? Ich vermisse deine Stimme schon nach den paar Tagen, die du fort bist und ich glaube ich werde wirklich verrückt, wenn ich über längere Zeit nicht mit dir reden kann.“
 

„Ich würde unsere Gespräche auch um keinen Preis der Welt aufgeben, mi torbellino.“
 

Beide schwiegen in den Hörer, denn jetzt waren sie an einer Stelle des Gesprächs angelangt, die sie beide vor Beginn des Gesprächs wahrscheinlich nicht für möglich gehalten hätten. Auf beiden Seiten waren da dinge, die nicht gesagt werden konnten aus dem einen oder anderen Grund, aber alles in allem waren Lena und Lionel froh, dass sie miteinander gesprochen hatten.
 

„Schlaf gut Leo und träum süß.“
 

„Du auch, mi corazón.“
 

Erschöpft aber erleichtert legte Lena auf und sackte nun regelrecht an der Wand zusammen und rutschte, bis sie den Boden berührte. Die Fliesen waren kalt, aber unter ihren warmen, schweiß nassen Handflächen machte das nichts.
 

Für einen Augenblick schloss Lena die Augen und sah Leo und sich selbst vor sich, wie sie zusammen auf einer Wiese in einem Park Barcelonas gelegen hatten. An diesem Nachmittag hatten sie ausgelassen gelacht und waren glücklich gewesen. Wunderbare Erinnerungen an vergangene Tage, die unwiderruflich vorbei waren, auch wenn sie irgendwann wieder nach Barcelona kommen würde.
 

Unmerklich fing Lena an zu weinen und sie bemerkte es erst, als die ersten Tränen sich ihren Weg über ihre Wange bahnten. Sie versuchte leise ein aufkeimendes Schluchzen zu unterdrücken und fragte leise, aber eindringlich:
 

„Wie lange stehst du schon da und lauschst?“
 


 

To be continued? Was meint ihr, was war denn nun in Barcelona?? Und wer hat sie da wohl belauscht?? Fragen über Fragen und ich hätte gerne Theorien…

Wenn die Vergangenheit dich einholt

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 


 

Betreten sah er zu Boden. Er war nur kurz auf die Toilette gegangen und als er wieder gekommen war, hatte er im Flur zufällig Lenas Stimme gehört, die gar nicht gut geklungen hatte. Ohne weiter nach zu denken, war er im Dunkeln stehen geblieben und hatte gewartet. Gewartet, dass sie wieder gehen würde, damit er unauffällig wieder zu den anderen zurückkehren konnte. Es war nicht seine Absicht gewesen, ihrem Gespräch zu lauschen, aber je länger er da stand und ihre traurige, verzweifelte Stimme gehört hatte, desto weniger konnte er sich bewegen. Er fühlte sich wie fest gewachsen und konnte absolut nichts dagegen tun. Ihre Worte hypnotisierten ihn. Ihr Flehen traf ihn ins Herz und ihr Lachen ließ ihn aufatmen. Er fragte sich, wie dieser Mann es zulassen konnte, dass Lena so litt, denn es war ihr klar anzumerken.
 

Als sie dann seinen Spitznamen erwähnte, war es ihm, als ginge ihm eine Flutlichtanlage auf. Lena sprach mit jemandem aus Barcelona, einem Leo, dieser Name kam häufiger vor, doch als sie ihn fast zärtlich „mi torbellino“ genannt hatte, war für ihn alles klar gewesen. Das Puzzle setzte sich langsam zusammen und ihm war gerade ein bedeutendes Puzzelteil direkt in den Schoß gefallen. Ein Torbellino, ein Wirbelwind, der mit Kurznamen noch Leo hieß und aus Barcelona kam, davon gab es vermutlich nicht so viele, denn ihm fiel spontan nur einer ein: Lionel Messi.
 

„Nun sag schon, wie lange stehst du schon da im Dunkeln und beobachtest mich?“
 

Lena hatte ihre Augen immer noch nicht geöffnet und ihre Stimme klang nicht wütend, sondern einfach nur erschöpft. Ausgezerrt. Wie zu wenig Butter auf zu viel Brot verstrichen. Ihre Tränen versuchte sie mühsam unter Kontrolle zu bringen, auch wenn es ihr mehr schlecht als recht gelang.
 

„Ich-“
 

„Was hast du gehört?“
 

Er musste schwer schlucken. Diese ganze Situation erschien ihm so verdammt unwirklich. So etwas passierte nicht in der Realität, so etwas gab es nur in schlechten, zu dramatischen Soaps. Und doch stand er jetzt an den Türrahmen gelehnt und sah Lena an. Wie sie so da saß, im Dunkeln, mit Tränenspuren auf den Wangen an die weiße Wand gelehnt. Der Fußboden musste kalt sein, aber das schien sie nicht im Geringsten zu stören. Er konnte durch das Licht, das durch einen Türspalt fiel, ihre Hände ausmachen, die sich ineinander krallten, als suchten sie nach Halt, den es nirgendwo anders zu finden gab. Sie wirkte so klein und zerbrechlich, dass er sie am liebsten in den Arm genommen hättet, aber so wie er sie bisher kennen gelernt hatte, würde sie es wohl nie im Leben zulassen.
 

„Ich frage dich noch mal: Was hast du gehört?“
 

„Alles.“
 

„Alles?“
 

„Ja.“
 

Panik kroch in Lena hoch und sie spürte, wie sie ihr langsam die Kehle zuschnürte. Für einen Moment glaubte sie keine Luft mehr bekommen zu können. Das hier war ein Alptraum, gerade erst hatte sie Leo dazu bringen können ihr zu verzeihen und ihr etwas Zeit bei ihrem Bruder zu geben und jetzt würde dieser Mann gleich zu ihrem Bruder rennen und ihm alles erzählen. Und was dann? Lena wusste, wie wichtig Torsten Vertrauen war und sie hatte sich in dieser Disziplin nicht unbedingt einen Orden verdient.
 

Kraftlos ließ Lena ihren Kopf gegen die Wand sinken. An welchem Punkt war ihr Leben so dermaßen aus den Fugen geraten? Und warum hatte sie es nicht früher bemerkt und irgendetwas dagegen getan?
 

Er konnte nicht länger einfach nur dastehen und zusehen, wie es Torstens kleiner Schwester augenscheinlich schlecht ging. Wie sie litt. Sie sah so klein und zerbrechlich aus, wie sie da mit Tränenspuren auf den Wangen und geschlossenen Augen an die weiße Wand gelehnt saß. Nicht mehr stark, selbstbewusst, schlagfertig und auch ein kleines bisschen vorlaut, sondern irgendwie nur noch verloren.
 

Unbemerkt von Lena ließ er sich neben sie sinken und legt einen Arm um ihre Schultern und zog sie zu sich heran. Ihr Körper war schon etwas abgekühlt und er versuchte so gut es ging sie zu wärmen. Er wollte nicht, dass sie sich auch noch erkältete. Widerstandslos legte Lena ihren Kopf in seine Halsbeuge und ein paar Minuten saßen sie nur schweigend da, bis Lena sich wieder einigermaßen gefangen hatte und ihre Tränen versiegten.
 

„Wirst du Torsten erzählen was du gehört hast?“
 

Er überlegte einen Augenblick. Anscheinend wusste der Lutscher nichts von der bewegten Vergangenheit seiner kleinen Schwester und sie hatte vermutlich aus unerfindlichen Gründen Angst davor, dass er es ihm erzählen könnte. Warum aber fürchtete sie sich so vor seiner Reaktion? Sie hatte doch nichts wirklich Schlimmes getan, soweit er das beurteilen konnte. Aber er war ja nun auch schon länger nicht mehr in Spanien, vielleicht hatte sich da so einiges verändert.
 

„Willst du, dass ich es ihm sage?“
 

„Nein.“
 

„Warum nicht?“
 

Zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs schaffte es Lena ihm ehrlich ins Gesicht zu sehen. Es fiel ihr nicht leicht, aber sie versuchte ein zaghaftes Lächeln. Ihre Erklärung würde ihn wahrscheinlich nicht überzeugen, aber ein Versuch war es definitiv Wert.
 

„Weil Barcelona vergangen ist. Vorbei. Jetzt bin ich hier in Bremen und versuche mir über einige Dinge klar zu werden, Entscheidungen zu treffen und mein Leben neu zu ordnen, doch wenn das wirklich funktionieren soll, brauche ich Abstand.“
 

„Es geschieht manchmal, ob man will oder nicht, da holt einen die Vergangenheit ein.“
 

„Ich weiß. Aber was soll ich Torsten denn bitte erzählen? Hallo, Brüderchen, ich habe es dir nicht gesagt, aber im Grunde genommen bin ich ein riesiger Fußballfan und arbeite auch mit diversen Fußballern zusammen und bin sozusagen ihr Kummerkasten?“
 

„Ja, das wäre zum Beispiel ein Anfang. Und wenn du schon mal dabei bist, kannst du mir auch gleich erklären, was du da eigentlich genau machst, denn ich habe dich zwar oft genug in diversen Klatschzeitungen gesehen, aber immer nur als Messis Vielleicht-Freundin.“
 

„Ich bin nicht mit Leo zusammen, wir sind nur gute Freunde. Die Presse spekuliert zu viel und interpretiert in harmlose Gesten viel zu viel hinein, das solltest du als Fußballer doch eigentlich auch zu genau wissen. Zwischen uns läuft auf jeden Fall nichts. Und was meine Arbeit angeht: Ich betreue die Kinder- und Jugendabteilung des FC Barcelonas, mit den Profis habe ich nichts weiter zu tun.“
 

„Aha, daher bezeichnen dich die Spieler auch immer als ihr Maskottchen, ihren Glücksbringer und diejenige, die den ganzen Laden mit ihrer bloßen Anwesenheit zusammenhält und zu jeder Tages- und Nachtzeit für sie da ist. Messi widmet dir ständig seine Tore und du bist bei allen wichtigen Ereignissen an der Seite der Spieler. Das ist für dich also nichts weiter.“
 

„Das ist was anderes.“
 

„Ach ja?“
 

„Ja. Wir sind ziemlich gut befreundet und sie sind zufällig zur selben Zeit auch noch meine Patienten, aber das ist eher privat.“
 

„Also führst du eine eigene Praxis in Barcelona?“
 

„Ja.“
 

Einen Moment hielt er inne und überlegte. Sie hatte doch einen grundsoliden Job und hatte etwas aus ihrem Leben gemacht. Klar, sie stand regelmäßig mit wahrscheinlich freu erfundenen neuen Skandalgeschichten in der Presse, aber das war nichts, was Torsten nicht verstehen würde. Bei ihm oder zumindest bei ein paar seiner Kollegen war es doch nicht anders, das Risiko ging man ein, wenn man sich für das Leben eines Fußballers entschied. Und dasselbe galt natürlich auch für die Freunde. Besonders für den weiblichen Teil. Da wurden schnell mal Dinge geschrieben, die nicht der Realität entsprachen, aber über so was stand Torsten seiner Erfahrung nach drüber. Er liebte Lena, das war nicht zu übersehen. Und auch die kleine Notlüge was den Fußball anging, würde er ihr verzeihen. Da musste also noch mehr sein. Viel mehr.
 

„Warum belügst du ihn dann? Warum sagst du ihm nicht einfach die Wahrheit? Er würde dich verstehen, da bin ich mir sicher. Er ist dein Bruder, er liebt dich.“
 

Überrascht sah Lena ihm in die Augen. Sie diskutierte nicht gern ihr Familienleben mit Fremden, schon gar nicht mit einem umschwärmten Fußballstar, der gleichzeitig noch ein Freund ihre Bruders war. Das war ihr mehr als unangenehm, vor ihm hatte sie sich eine Schwäche erlaubt, die schon lange nicht mehr zu Tage getreten war. Lena wollte ihm nicht noch mehr Einblicke in ihr kompliziertes Seelenleben geben, deswegen antwortete sie ihm eher kryptisch im psychologendeutsch:
 

"Die Wahrheit sagen ist nicht immer gut, aber lügen ist auch nicht immer schlecht. Wenn man jemanden durch die Wahrheit verletzen würde, kann eine Lüge besser sein. Gutes kann vom Lügen kommen und Schlechtes kann kommen wenn man zu ehrlich ist. Obwohl manchmal die halbe Wahrheit auch schon eine Lüge ist."
 

Wie erwartet starrte er sie nur verständnislos an. Einen Moment ließ er sich ihre Worte durch den Kopf gehen. Irgendwie hatte sie ja schon Recht. Aber das konnte er ihr ja jetzt schlecht erzählen, denn er wollte sie ja dazu bringen Torsten reinen Wein einzuschenken. Plötzlich hielt er mitten in seinen Gedanken inne: Warum mischte er sich in diese Familiensache überhaupt ein? Was gingen ihn Lenas verschleierte Vergangenheit und ihre Beziehung zu Torsten an? Was kümmerte es ihn?
 

Wenn er ganz ehrlich war, konnte er sich all diese Fragen beantworten: Unbemerkt war Lena ihm unter die Haut gegangen. Ganz langsam und unauffällig und als sie da eben so hilflos geschluchzt hatte, war in ihm der alte „Drachentöterkomplex“ aktiviert worden. Nun wollte er die Dämonen vertreiben und die schöne Prinzessin in der Not retten. Und die schlimmsten Dämonen schlummerten augenscheinlich in ihr selbst. Und das erinnerte ihn irgendwie an sich selbst, den unsicheren Jungen, dem man solche Unsicherheiten nicht zugestand. Schon gar nicht auf dem Platz, da, wo es zählte. Er hatte sie lächelnd in der fringsschen Küche stehen sehen und in diesem Augenblick waren anscheinend ein paar Sicherungen in seinem Oberstübchen durchgebrannt. Seit dem hatte er den ganzen Abend damit verbracht sie zu beobachten und sich zu erinnern, woher er sie nun kannte. Jede ihrer Gesten, jedes Wort, dass sie an einen seiner Kollegen gerichtet hatte. Ihre lockere, entspannte Art, bis sich ihre Blicke getroffen hatten und wie sie danach unheimlich schnell wieder weggesehen hatte. Als hätte sie Angst gehabt, er könnte etwas sehen, was die anderen nicht sehen konnten. Und tatsächlich, jetzt wusste er, wovor sie sich die ganze Zeit gefürchtete hatte: Sie hatte verhindern wollen, dass er sie irgendwie erkannte und mittlerweile wusste er sogar, woher sie ihm so bekannt vorkam: Oft hatte sie ihm an Lionel Messis Arm aus diversen Zeitungen entgegen gelächelt und dann hatte er sie entspannt auf der Trainerbank des FC Barcelona sitzen sehen, als wäre es das selbstverständlichste der Welt. Als würde sie genau da hingehören. Sie war es gewesen, mit der die Barca-Spieler in den Katakomben noch fröhlich gescherzt hatten, als alle Valencia-Spieler schon längst angespannt hin- und her trippelten. Sie hatte ihnen in der Halbzeitpause in den Hintern getreten und für und vor allen Dingen auch durch sie hatten sie das Spiel am Ende dann doch noch gedreht. Alle Valencia-Fans hätten ihr an diesem Tag wohl am liebsten den Hals umgedreht, wohingegen Barcelona ihren kleinen Star von der Trainerbank feierte.
 

Wieso wusste Torsten nichts von ihrem Engagement? Er verfolgte die ausländischen Ligen aufmerksam und Lena konnte man einfach nicht übersehen, schon gar nicht als ihr großer Bruder. Schlief dieser Kerl, wenn Barca-Spiele kamen? Oder ging sie immer so gut in Deckung, dass er gar keine Chance hatte? Fragen über Fragen, auf die er spontan keine antwort hatte. Trotzdem musste er Lena noch etwas auf ihre kluge Feststellung erwidern, also kramte er ganz tief in seinem Gedächtnis und fand sogar noch eine annähernd genauso philosophische Formulierung:
 

„Man kann das Falsche aus den richtigen Gründen tun, doch deswegen bleibt die Handlung trotzdem falsch.“
 

Jetzt löste sich Lena endgültig von seiner Halsbeuge und sah ihn mit großen Augen an. Mit so einer Antwort hatte sie nun nicht gerechnet. Deswegen fing sie leise an zu lachen, was so ansteckend war, dass sie bald zusammen auf der Erde saßen und sich nicht mehr halten konnten.
 

„Hey, was macht ihr beiden denn da auf der Erde?“
 

Erschrocken fuhren sie auseinander und sahen Torsten, der im Türrahmen stand, erstaunt an. Sie hatten gar nicht mitbekommen, dass da noch jemand war, obwohl sie wahrscheinlich damit hätten rechnen müssen, dass irgendwer sie suchen würde, schließlich saßen sie nun schon ziemlich lange auf dem kalten Fußboden.
 

Lena sah kurz zur Seite und in seinen Augen konnte sie Zweifel erkennen. Flehend hob sie leicht die Augenbrauen und er konnte einfach nicht anders, als kaum merklich zu nicken.
 

„Wir kommen schon, Torsten.“
 

Ihre Stimme klang für ihn ungewohnt fest und sicher, fast fröhlich, als wäre überhaupt nichts passiert. Ja, sie war definitiv eine Meisterin der Verstellung, denn in diesem Moment fragte er sich ehrlich, ob das Gespräch eben tatsächlich statt gefunden hatte.
 

Langsam rappelte Lena sich hoch und bot ihm die Hand an um ihn hoch zu ziehen. Ein kurzer Blick zurück zeigte ihr, dass Torsten bereits wieder ins Wohnzimmer gegangen war. Deswegen hielt sie seine Hand noch einen kurzen Augenblick länger, drückte sie leicht und murmelte nur leise:
 

„Dank Timo.“
 

To be continued?
 

Nun wisst ihr also, wer der Lauscher war. Enttäuscht? Hoffentlich nicht. Nun ist die Sache mit dem Beruf hoffentlich verständlich geklärt… Und ein bisschen Vergangenheit gab es ja nun auch, wenn auch nicht wirklich viel…

Sleepless Nights and Hart Fights

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Es war Lena an diesem Abend wirklich schwer gefallen wieder zu den anderen zurück zu kehren und so zu tun, als wäre nichts geschehen. Nur durch die Routine in der Verstellung, die sie mittlerweile auf Grund der vergangenen Monate in Barcelona hatte, hatte sie ihnen leicht lächelnd gegenüber treten können, obwohl all ihre Gedanken nur noch nach einem stillen Ort geschrieen hatten, an dem sie in Ruhe nachdenken und vielleicht sogar weinen konnte. Doch bis sie an diesen Ort konnte, mussten noch ein paar Stunden vergehen. Ein paar Stunden, in denen sie tapfer bleiben musste. Und was waren schon ein paar Stunden, in denen sie Haltung bewahren musste, gegen die vergangenen Monate, die nur noch daraus bestanden hatten ihr Gesicht zu wahren und stark zu sein?
 

Lena konnte Bernd besorgten Blick spüren und Torstens Fragen schienen wie eine Wolke über ihm zu schweben. Bernd berührte sie vorsichtig am Arm, sah sie fragend an und ließ dann seinen Blick unauffällig auf das Handy gleiten, dass sie immer noch krampfhaft in der Hand hielt. Seine stumme Frage war recht eindeutig, deswegen murmelte sie ihm nur ein leises „Schon Ok“ zu. Für Lena war die Sache damit erledigt, auch wenn Schneider noch nicht so ganz überzeugt war, ließ er dich Angelegenheit auf sich beruhen, da er merkte, dass sie nicht darüber sprechen wollte.
 

Torsten wunderte sich immer noch, warum seine Schwester und Timo gemeinsam auf dem kalten Flur gesessen hatten. Von seiner Schwester kannte er ja so manche komischen Macken, aber warum der Torwart der TSG Hoffenheim sich dazu hatte hinreißen lassen, das verstand wer wollte, der Lutscher zumindest nicht. Doch schon bald waren seine Gedanken von dieser skurrilen Begebenheit wieder zu den aktuellen Gesprächen zurück gewandert und er freute sich einfach ungemein, dass alle so viel Spaß zu haben schienen.
 

Timo hingegen hatte sich in eine Ecke verzogen und reagierte nur noch, wenn man ihn direkt ansprach. Meistens machten sich Sedar oder Mario die Mühe, obgleich auch sie bemerkten, dass der ehemalige Stuttgarter seit seinem Toilettenbesuch nicht mehr so gesprächig war wie vorher. Irgendwie schien er sich gedanklich vollkommen aus den laufenden Gesprächen ausgeklinkt zu haben und nun versank er in seinen ganz eigenen Gedanken.
 

Sie ließen den lustigen Abend ruhig ausklingen und irgendwann gegen kurz nach drei machten sich auch die letzten auf den Heimweg ins Hotel und Petra, Torsten und Lena kamen endlich zu ihrem wohlverdienten Schlaf.
 

Während Torsten und seine Frau sofort ins Reich der Träume glitten, wälzte Lena sich in ihrem Bett hin- und her. Ihre Bettdecke hatte sie mehrfach um ihren Körper gewickelt, doch irgendwie wollte sich das wohlige Gefühl und die schläfrige Wärme in dieser Nacht einfach nicht einstellen. Immer wieder drehte sie sich von einer Seite auf die andere und starrte die weiße Decke an. Stille. Nur das leise Ticken einer Uhr war zu hören und am liebsten hätte sie den kleinen Wecker an die Wand geschmissen, damit auch er schwieg.
 

Lena kam innerlich nicht zur Ruhe. Ihr gingen die Gespräche, die sie an diesem Abend geführt hatte, einfach nicht aus dem Kopf. Da waren so viele Dinge, so viele Entscheidungen, die sie zu treffen hatte und sie wusste wirklich nicht, wo sie anfangen sollte ihr Leben aufzuräumen. Eine Entrümplungsaktion auf aller höchstem Niveau. Am besten fing sie mit ihren Gedanken, mit ihren ganzen Erinnerungen an. Im Grunde genommen waren Erinnerungen ja etwas sehr schönes, wenn sie nur nicht immer die Vergangenheit wachrufen würde. Und mit der wollte Lena jetzt nicht auch noch kämpfen, sie hatte so schon genug auf ihrem Tablette, da brauchte sie nicht auch noch das Chaos ihrer Erinnerungen. Genug war genug, jetzt musste sie erstmal in der wirklichen Welt für Ordnung sorgen. Denn nur deswegen hatte sie Leo ja eigentlich um Zeit gebeten: Um Ordnung in ihrer Welt zu schaffen.
 

Aber es war eher alles noch viel komplizierter geworden statt einfacher seit sie hier bei ihrem Bruder wohnte. Jetzt lasteten auch noch die Schuldgefühle auf ihrem Gewissen, weil sie ihm nicht sagen konnte, warum sie da war. Weil sie damit ein zu großes Risiko eingehen würde. Es war eine schier ausweglose Situation, aber Timo hatte Recht gehabt, als er ihr gesagt hatte, dass es so nicht weiter gehen konnte. Womöglich tat sie wirklich das Falsche aus den richtigen Gründen, vielleicht sollte sie es einfach einmal auf einen Versuch ankommen lassen und zumindest ein bisschen ehrlicher werden. Stück für Stück. Nach der altbekannten Salamitaktik konnte sie ihrem Bruder unter Umständen immer tiefere Einblicke in ihr Leben geben und ihn langsam auf einige Fakten vorbereiten. Oder sie ließ es einfach alles beim Alten und betete, dass niemand etwas mitbekam. Zwei Wege, die sie nehmen konnte und beide führten an ein unterschiedliches Ziel. Egal was sie tat, irgendwen würde es immer verletzen und wahrscheinlich hatte Timo Recht mit seiner Vermutung, dass ihre Lügen noch schlimmer waren als alles andere.
 

Aber was würde aus ihr werden, wenn sie diesen Schutzschild langsam einriss? Was würde geschehen, wenn jemand einen Blick hinter die Fassade werfen würde? Was wäre, wenn? Diese Fragen schwirrten in Lenas Kopf herum und so viel ihr rational denkendes Hirn auch noch einer plausiblen Lösung suchte, so fand sie doch nichts, was den einen oder den anderen Weg rechtfertigen würde.
 

„Manchmal muss man jemandem Weh tun, um ihn zu retten, so traurig und tragisch das auch ist. Manchmal muss man diesen Schaden in Kauf nehmen um nicht noch größeres Unheil an zu richten. Ich habe Leo Weh getan und ich kann nur hoffen, dass er es mir irgendwann vielleicht einmal verzeiht, wenn ich bereit bin ihm die ganze Geschichte zu erzählen. Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort. Bis dahin kann ich nur hoffen, dass er den Glauben an mich nicht verliert. Und dass er mir genug vertraut, auch wenn ich dieses Vertrauen im Augenblick nicht verdient habe. Aber geschehenes kann nicht ungeschehen gemacht werden, egal wie sehr man es sich vielleicht auch wünschen mag. Irgendwie werde ich es aber zu verhindern wissen, dass ich Torsten, Petra und den Mädchen dasselbe antun muss!“
 

Mit diesem Entschluss schlief auch Lena dann endlich ein.
 

Gegen Mittag schlug träge Lena die Augen auf und im ersten Moment fragte sie sich, wo sie war bis ihr wieder einfiel, dass ihr Heim sich derzeit im Gästezimmer ihres großen Bruders befand. Vereinzelt blitzten Sonnenstrahlen durch die Verdunkelung und in den Lichtkegeln konnte Lena kleine Staubpartikel tanzen sehen. Es hatte so etwas herrlich Entspannendes an sich, dass Lena eine weitere halbe Stunde einfach nur da lag und den Staubkörnchen zusah. Irgendwann wurde ihr das jedoch auch zu langweilig und etwas widerwillig machte sie sich auf den Weg in die Küche um sich eine schöne heiße Tasse Kakao zu gönnen. Immerhin konnte man einen Morgen unter gar keinen Umständen ohne eine ausreichend hohe Dosis Schokolade beginnen. Das war eine Sache der Unmöglichkeit. Manche Menschen waren Koffein-Junkies, Lena zählte zu den Kakao-Junkies, die zwar nicht so verbreitet waren wie die Kaffee-Junkies, denen sie mit ihrer „Sucht“ jedoch um nichts nachstanden.

Zum Glück gab es im fringsschen Haushalt genügend Kakao, da auch Torstens Töchter mit wachsender Begeisterung dieser Sucht frönten, gerade seitdem ihre Tante da war und ihnen den besten Kakao der ganzen Welt zubereitete.
 

„Guten Morgen Schlafmütze, na, auch schon aus dem Bett gefallen?“
 

Petra wirkte absolut fitt, munter und extrem gut gelaunt, so dass Lena gespielt entsetzt den Kopf wegdrehte. So viel Fröhlichkeit und Enthusiasmus am Morgen ertrug sie noch nicht auf nüchternen Magen.
 

„Pfui, was machst du denn so früh morgens schon mit deiner guten Laune, Petra, das ist ja krank.“
 

Ihre Schwägerin lachte nur und antwortete dann immer noch genauso unbeschwert und gut gelaunt:
 

„Wenn es denn noch morgens wäre, Schätzchen. Für mich zählt halb eins aber schon zum Mittag, deswegen darf ich da ruhig auch schon wieder gute Laune haben. Außerdem bin ich halt schon etwas länger auf den Beinen, denn Lisa und Lena haben gestern nicht so lange gemacht, wie du ja weißt und die wollten heute Morgen pünktlich zu ihren Freizeitaktivitäten gebracht werden. Auf dem Wege habe ich Torsten dann auch noch gleich beim Stadion raus gelassen, der Arme hat völlig verpennt, dass ja heute Mittag Training ist und nun darf er sich vollkommen übermüdet über den Platz quälen.“
 

Petra musste bei der Vorstellung an Torsten, wie er wehleidig eine Runde nach der anderen lief, lachen, denn im Grunde genommen war es seine eigene Schusseligkeit gewesen nicht richtig auf den Trainingsplan zu schauen. Und das hatte man eben davon.
 

„Wie, Torsten ist schon beim Training?“

Lena war entsetzt, fast schon panisch, so schien es Petra, die nicht verstand, warum sich ihre Schwägerin auf einmal so darüber aufregte, dass Torsten schon wieder beim Training war. Die vergangenen Tage hatte es sie ja auch nicht wirklich interessiert, wann Training war, eher im Gegenteil, sie war bisher, so erschien es Petra zumindest, immer froh gewesen, wenn Torsten sie nicht gebeten hatte mitzukommen. Tatsächlich hatte sie seine Einladung aus verschiedenen Gründen bisher immer ausgeschlagen. Aber Petra konnte ja auch nicht ahnen, dass Lena sich gerade für das nächste Training entschieden hatte um Torsten vorsichtig zu zeigen, dass sie sich unter Umständen doch etwas mehr für Fußball interessierte als die ganze Zeit gedacht. Außerdem wollte sie ihm ein wenig Fachwissen demonstrieren, denn das war, so hatte Lena es sich zumindest in der Nacht gedacht, der erste Schritt in die richtige Richtung auf dem Weg zur Wahrheit. Dann konnte Timo schon mal stolz auf sie sein, dass sie nicht einfach so weiter gemacht hatte wie bisher. Und nun war ihr Bruder schon weg und ihre Chance vertan. Verdammt, womöglich machte sie bis zum nächsten Mal einen Rückzieher.
 

„Ich muss übrigens auch gleich auch noch ziemlich überraschend weg und dann hätten wir ein kleines Problem: Unser eines Auto ist doch gerade zur Reparatur und wenn ich weg fahre, kommt Torsten nicht wieder vom Trainingsgelände hier her, es sei denn einer seiner Kollegen fährt ihn, aber das haben wir nicht abgesprochen und -“
 

Lena sah da gerade ihre Chance zurückkommen und lächelte Petra begeistert an.
 

„Das ist doch gar kein Problem: Wie wäre es, wenn ich dich dort absetze, wo auch immer du hin musst und ich danach zum Weserstadion fahre und auf Torsten warte? Wenn ich den dann eingesackt habe fahren wir wieder nach Hause und du meldest dich, wenn du wieder abgeholt werden willst.“
 

„Das kann ich nicht annehmen Lena, du hast sicherlich selbst genug vor und willst nicht den Chauffeur spielen, ich bekomme das auch so hin, keine Angst.“
 

„Keine Widerrede Petra, ich mache das gerne. Außerdem habe ich hier im Augenblick doch eh nichts besseres zu tun als euch auf der Tasche zu liegen und wenn mich mein Bruder schon nichts zum Haushalt dazu geben lässt, dann kann ich dir doch wenigstens diesen kleinen Gefallen tun, oder etwa nicht?“
 

Ein bisschen widerwillig nickte Petra, die jedoch recht schnell erkannte, dass Lena alles, was sie gesagt hatte vollkommen Ernst meinte und es ihr wirklich nichts ausmachte sie zu fahren. Im Gegenteil, sie schien sogar ehrlich erfreut, auch wenn Petra Frings sich die Freude ihrer Schwägerin über so eine Kleinigkeit nicht erklären konnte.
 

Lena trank nur noch schnell ihren Kakao aus und hüpfte unter die Dusche, die sie in einer Rekordzeit von nur 15 Minuten auch wieder verließ um sich fertig zu machen. Grundsätzlich trieb sie keinen übermäßig großen Aufwand um ihr Aussehen, aber mit der Zeit hatte sie schon gelernt, dass jedes Outfit seine Vorteile hatte und es einen besseren Eindruck machte, wenn man der Gelegenheit entsprechend angezogen war. So entschied sie sich heute für eine dunkelblaue enge Jeans, die ihre relativ kurzen Beine länger erscheinen ließ, und für ein weißes Top mit leichtem Spitzenbesatz, dass sich sowohl von ihrer Haut als auch von der Jeans optisch perfekt abhob. Die leicht durchsichtigen Spitzeneinsätze an der Seite machten dieses Oberteil besonders raffiniert und auch die verspielte Spitze am Rand ließen sie eher locker-frisch als zu sexy wirken, denn das wollte Lena auf gar keinen Fall. Immerhin würde sie ihren Bruder abholen und da konnte man nie vorsichtig genug sein, aber auf der anderen Seite wimmelte es da von Fußballern und manchmal hatte Lena da so einen Impuls, dem sie nicht widerstehen konnte. Mit einem fröhlichen Grinsen auf dem Gesicht verließ Lena das Haus.
 

So setzte Lena Petra wohlbehalten an ihrem Zielort ab und machte sich dann auf den Weg zum Weserstadion. Der Weg war relativ gut ausgeschildert und sie bog nur ein oder zwei Mal falsch ab, was sie wahrscheinlich ihrem Großstadtgespür zu verdanken hatte, das sich selbst in Metropolen wie Mailand oder Barcelona spielend zu Recht fand. Ihre Hände waren jedoch schweißnass und Lena konnte das unangenehme Kribbeln in ihrer Magengegend schon bald nicht mehr ignorieren: Keine Frage, sie war nervös. Definitiv. Dabei würde sich Torsten sicherlich freuen von ihrer angeblich neuen Begeisterung für den Fußball zu erfahren. Wie oft hatte er sich nicht schon scherzhaft über mangelndes Interesse an seinem Job beklagt und nun würde sie ihm sozusagen mit ihrem Geständnis einen Herzenswunsch erfüllen. Da hatte diese ganze Aktion ja doch noch eine positive Seite. Sie konnte nur hoffen, dass es nicht ausgerechnet heute ein öffentliches Training gab und es dort vor Fans und Presse nur so wimmelte, das konnte Lena nun aber gar nicht gebrauchen.
 

Einen kurzen Augenblick überlegte Lena wo sie parken sollte, ob auf dem Spielerparkplatz, der hinter einer Sperre lag, oder den Parkplatz für die „normalen“ Fans parken sollte, entschied sich jedoch an dafür es auf einen Versuch ankommen zu lassen und ohne Probleme wurde für sie die Schranke geöffnet, da das Kennzeichen dem Wächter anscheinend bekannt war. Wie im Schlaf parkte Lena den VW in einer relativ breiten Parklücke und stieg dann aus.
 

Ein kurzer Blick auf die Uhr bestätigte ihr, dass das Training an sich schon vorbei sein musste, weswegen Lena sich nicht mehr auf den Weg zum Trainingsplatz machte sondern einfach hier am Wagen auf ihn warten wollte.
 

Lässig lehnte sie sich gegen das schwarze Gefährt und beobachtete ihre Umgebung, besonders natürlich den Ausgang der Umkleidekabine, wo sie jeden Moment mit Torsten rechnete. Die Sonne schien ihr ins Gesicht und für einen Augenblick fühlte sie sich schon fast wieder wie zu Hause in Barcelona, wo sie ebenfalls regelmäßig in der Sonne vorm Stadion auf Lionel gewartet hatte, bis er mit dem Duschen fertig gewesen war.
 

Am Kabinenausgang regte sich etwas und sie sah die ersten Spieler das Stadion verlassen. Einer der Spieler musste augenscheinlich in ihrer Nähe geparkt haben, denn er kam direkt auf sie zu. Also nutzte Lena die Gelegenheit und sprach ihn an, denn Berührungsängste nur weil sie Fußballer waren hatte Lena noch nie gehabt.
 

„Hey, du, könntest du mir bitte sagen-“
 

„Nein, kann ich nicht.“
 

Hartnäckig ignorierte Lena die unfreundliche Abfuhr, die ihr der junge Mann eben erteilt hatte.
 

„Ich will doch bloß wissen, wann-“
 

Jetzt drehte er sich wutentbrannt zu ihr um und sah sie bitter böse an. Seine Augen funkelten vor Wut und man konnte sehen, wie sein Ober- und sein Unterkiefer aufeinander mahlten. Seine Fäuste schlossen und öffneten sich wieder und der junge Mann, so schien es Lena zumindest, war kurz vor einem ernsthaften Wutanfall. Und so kam es dann auch.
 

„Mich interessiert es einen Scheißdreck was du willst. Wie kommst du überhaupt hier rein? Das hier ist Vereinsgelände und wenn du nicht ganz schnell zusiehst, dass du Land gewinnst, dann lasse ich den Sicherheitsdienst rufen, der dich dann von hier entfernt und dich wegen Hausfriedensbruch anzeigt. Also verschwinde endlich!“
 

So langsam wurde es auch Lena zu bunt und ihre Wut brach allmählich aus ihr heraus. Sie hatte diesen eingebildeten Kerl ganz freundlich und normal etwas fragen wollen und der rastete gleich so aus. Für wen hielt der sich eigentlich? Maradona? Wohl eher eine Primadonna auf der Erbse.
 

„Ich will nur wissen wann Torsten Frings kommt.“
 

Stur sah sie ihm direkt in die Augen, denn aus ihrem Studium wusste sie, dass so etwas die meisten Leute nur noch mehr aufregte und diesem Kerl hätte sie gerade verdammt gerne in seinen gut bezahlten Hintern getreten. Hatte seine Mama ihm denn keine Manieren beigebracht oder hatten ihn Geld und Erfolg alles andere vergessen lassen? Hoffentlich hatte Torsten während des Trainings seinen Fans gegenüber nicht auch solche arroganten Anwandlungen, denn wenn ja, würde sie dringend ein ernstes Wörtchen mit ihrem großen Bruder reden müssen. Aber dazu musste sie ihn jetzt erstmal finden und so wie es aussah, war der Kerl vor ihr keine besonders große Hilfe.
 

„Kleine, vergiss es einfach, der ist glücklich verheiratet und hat zwei Kinder, da muss du hier nicht in deinem Flittchendress ankommen, ein bisschen mit deinem Hintern wackeln und dich auf der Motorhaube rekeln, ich kenne ihn, das zieht nicht. Also zieh Leine!“
 

Lena wollte darauf gerade etwas erwidern, als sie von hinten eine Stimme hörte.
 

To be continued?
 

Na, wer ist wohl unser mies gelaunter Macho, den Lena ausnahmsweise mal nicht gleich aus den Socken haut? Irgendwelche Vorschläge? Und wessen Stimme wird das wohl im Hintergrund sein??? Kommentare wie immer erwünscht….^^

Sorgen auf höchstem Niveau

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 


 

Lena war sich fast sicher, dass sie diese Stimme schon einmal vor langer Zeit irgendwo gehört hatte. Sie kam ihr irgendwie so seltsam bekannt und vertraut vor. Bestimmt als sie das letzte Mal bei Torsten zu Besuch gewesen war. Sie konnte sie im Augenblick nur nicht genau zu ordnen, aber das kümmerte sie erstmal auch herzlich wenig, denn die Stimme war noch weit genug weg und vor ihr stand genau die Sorte Fußballer, denen sie am liebsten so lange in den Hinter trat, bis ihr Gehirn wieder einigermaßen zu recht gerutscht war, falls es jemals an der richtigen Stelle gesessen hatte.
 

„Sag mal hast du irgendetwas an den Ohren? Zieh Leine, habe ich gesagt. Versuch irgendwen aus deiner Liga an die Leine zu legen, aber nicht Torsten.“
 

„Den einzigen, den man hier wohl an die Leine legen müsste, bist dann ja wohl du, so wie du dich hier aufführst. Außerdem hast du vielleicht ein kleines, aber sicherlich nicht unwichtiges Detail vergessen: Deutschland ist ein freies Land. Wobei, wenn ich mir dich so ansehe, denke ich doch glatt, dass man manche Leute trotzdem lieber einsperren sollte.“
 

Lena hatte die Schnauze gestrichen voll, dass dieser Möchtegern-Macho meinte ihr irgendwelche Vorschriften machen zu können. Sie hatte heute morgen noch so gute Laune gehabt und hatte in Ruhe ganz gemütlich mit ihrem Bruder über Fußball im Allgemeinen und die Bundesliga im speziellen reden wollen, doch jetzt hatte Lena einfach nur noch das Bedürfnis irgendwen derbe anzuschreien, wahlweise den arroganten Kerl direkt vor ihr. Wie konnte ein Mensch nur so von sich selbst überzeugt sein? Irgendwann würde der noch über sein verdammtes, aufgeblasenes Ego stolpern und ganz böse auf die Nase fallen, da war sie sich sicher.
 

„Wenn man mich einsperrt, was sollen sie denn dann erst mit dir machen? Gleich mit deinem Tanga aufhängen?“
 

Dem hatte jemand definitiv zu viel Puderzucker in den Arsch geblasen, da er jetzt auch noch die Dreistigkeit hatte ganz unschuldig und zuckersüß zu grinsen. Als wäre das alles hier für diesen Mistkerl ein großer Scherz. Und mit so etwas arbeitete ihr Bruder Tag täglich zusammen. Ein absoluter Alptraum, zumindest für Lena, die sich vorkam, als wäre sie im falschen Film. Er ließ sie ja noch nicht einmal ausreden und seine Beleidigungen waren absolut niveaulos. Aber vermutlich wusste dieser Troll noch nicht einmal, was Niveau war. Denn Niveau war keine Creme, wie er unter Umständen annehmen würde, nein, nein.
 

„Oh, das war jetzt aber ein Schlag unter die Gürtellinie, wie überaus einfallsreich. Lernt ihr Fußballer solche geistreichen Beleidigungen auf dem Platz oder doch eher unter der Dusche?“
 

Mit ihrer spöttischen Stimme versuchte Lena den Mann vor ihr auf die Palme zu bringen, damit er nicht bemerkte, wie sehr sie seine Anschuldigungen doch getroffen hatten und um ihn vom Weitermachen abzuhalten. Als eiserne Lady musste sie stark sein und durfte nicht zeigen, dass seine Worte sie an Stellen getroffen hatten, die seit ihrer Flucht aus Barcelona noch nicht wieder verheilt waren und vermutlich auch niemals heilen würden.
 

Ihr Gegenüber war bei ihrer Bemerkung über die Duschen noch röter geworden als vorher schon und wäre er eine Dampflok gewesen, so wäre ihm der Rauch schon längst aus den Ohren gekommen. Lena konnte seinen Oberkiefer auf den Unterkiefer mahlen sehen und seine Hände ballten sich immer wieder zur Faust, bis dir Knöchel weiß hervortraten. Er schien wirklich „not amused“ darüber, dass sie ihm mittlerweile Konter gab.
 

„War das dein jetzt Ernst?“
 

„Nein, das war Ironie, du Depp!“
 

Gerade wollte der Unbekannte zu einer Erwiderung ansetzen, da wurde er jedoch von dem Auftauchen zweier Gestalten daran gehindert, die sie freudig begrüßten.
 

„Na, was macht ihr denn hier so allein?“
 


 

Torsten und Frank waren fast zeitgleich mit dem Duschen fertig geworden und hatten beschlossen gemeinsam zum Parkplatz zu gehen, wo Torsten auf Petra würde warten müssen, da eines ihrer Autos derzeit in der Werkstatt war. Sie hatten schon länger nicht mehr ausgiebig plaudern können, deswegen holten sie es jetzt nach. Und Gesprächsstoff gab es ja nun mehr als genug.
 

„Sag mal, wieso ist Lena jetzt eigentlich so plötzlich nach Bremen gekommen?“
 

Frank Baumann sah seinen Kollegen fragend an, der nur mit den Schultern zuckte und den Blick dann wieder lustlos auf seine Schuhe senkte.
 

„Keine Ahnung.“
 

Überrascht zog Frank eine Augenbraue hoch und sah seinen Vize-Kapitän etwas irritiert an. Mit dieser Antwort hatte er nun doch nicht gerechnet. Eher ein brummiges „Geht dich nichts an“, falls Torsten nicht darüber sprechen wollte, aber dieses „Keine Ahnung“ war ungewöhnlich.
 

„Wie, keine Ahnung?“
 

„Na keine Ahnung eben. Ich weiß nicht, was sie in den Kopf gekriegt hat.“
 

Der Ton des Lutschers war aggressiv, doch darauf achtete Baumann in diesem Moment nicht, da er immer noch viel zu überrascht von der Tatsache war, dass Torsten Frings augenscheinlich nicht zu wissen schien, warum seine Schwester Lena ihn so plötzlich besuchte.
 

„Du musst doch wissen, warum sie hier ist. Schließlich habt ihr euch doch schon ewig nicht mehr gesehen und mit einem Mal steht sie vor deiner Tür. Macht dich das nicht stutzig?“
 

Ihn hätte es zumindest stutzig gemacht und den Torsten, den er kannte, auch. Der war immerhin für seine Neugier fast genauso bekannt wie für seine manchmal doch etwas unkonventionelle Art Probleme zu lösen.
 

„Natürlich macht mich das stutzig, was denkst denn du?“
 

„Na also, warum fragst du sie dann nicht einfach nach den Gründen? Immerhin ist Barcelona nicht gerade in der Bremer Nachbarschaft und sie wird da doch bestimmt auch einen Job zurück gelassen haben und das alles. Was ist damit? Ihrer Wohnung, ihren Freunden?“
 

So langsam wurde der Lutscher richtig sauer und so fiel auch seine Antwort genervter aus, als er eigentlich beabsichtigt hatte. Schließlich konnte der Kapitän des SV Werder Bremens auch nichts für seine private Misere.
 

„Ich weiß es nicht, verdammt noch mal, Frank. Ich bin mir ja noch nicht einmal sicher, was genau sie in Barcelona überhaupt tut.“
 

Betreten über den doch recht emotionalen Ausbruch Torstens sahen beide zu Boden.
 

„Tut mir Leid.“
 

Torstens Entschuldigung war leise und auch ein wenig kleinlaut, aber er wusste im Augenblick einfach nicht so genau, wie er mit der ganzen Situation umgehen sollte. Alles war im Augenblick so verwirrend und gleichzeitig so schön. Seine Familie war wieder komplett und das ließ ihn eigentlich laut aufjubeln, denn im Grunde seines Herzen war der Lutscher ein ziemlicher Familienmensch. Harte Schale, weicher Kern. Und zum ersten Mal seit langem hatte er ungestört Zeit für seine Freunde und für Petra ohne sich Gedanken um Lisa und Lena machen zu müssen, denn er wusste, dass sie bei seiner kleinen Schwester in guten, liebevollen Händen waren. Trotzdem war da dann noch diese unheimlich Ungewissheit. Die vielen Fragezeichen, die einfach nicht aus seinen Gedanken verschwanden, so sehr er sich auch darum bemühte.
 

„Schon in Ordnung, Torsten. Wirklich.“
 

„Nein, es ist nicht in Ordnung, das weiß ich ja selbst. In den letzten paar Jahren haben Lena und ich uns total von einander entfremdet. Seit sie damals nach Mailand gegangen ist, hat sich so vieles verändert. Sie hat sich verändert.“
 

„Natürlich. Sie ist auch älter geworden, genauso wie du. Da ändern sich Menschen nun mal. Man macht neue Erfahrungen, schlägt neue Wege ein, man entwickelt sich weiter, denn nichts bleibt auf der Welt so wie es gerade ist.“
 

„Das meine ich nicht, Frank. Die Sache ist anders. Lena ist nicht nur nach Italien gegangen, weil sie dort ein super Stipendium bekommen hat, sonder eher, weil sie einfach weg wollte. Weg von unseren Eltern, raus aus einer Welt, wo sie immer nur die kleine Schwester des Torsten Frings war und damit natürlich auch weg von mir. Indirekt könnte man also sagen, dass es meine Schuld ist, dass sie uns damals verlassen hat und somit ist es auch meine Schuld, dass wir uns mit der Zeit entfremdet haben. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich das nie gewollt. Ich hätte sie so gerne irgendwo in meiner Nähe gehabt.“
 

Geknickt sah Torsten zu Boden. Es machte ihn oft wehmütig, wenn er daran dachte, wie er damals seine kleine Schwester nicht davon hatte abhalten können nach Italien zu gehen. In die große, weite Welt. In ein land, dessen Sprache sie noch nicht einmal wirklich beherrschte und wo sie niemanden kannte.
 

„Damit du weiterhin auf sie aufpassen könntest, wolltest du sie an deiner Seite haben.“
 

„Genau, ich meine, sie war 16. Mit 16 ist man noch ein halbes Kind und noch nicht bereit um ins Ausland zu gehen. Schon gar nicht alleine. Aber sie ließ sich nicht beirren. Lena ist sowieso ein ziemlicher Sturkopf. Sobald sie sich für etwas entschieden hat, kann man sie nur sehr schwer vom Gegenteil überzeugen. Da haben wir wahrscheinlich was gemeinsam, aber na ja. Und seitdem sie nach Mailand gegangen ist, weiß ich kaum noch was von ihrem Leben. Es ist wie ein tiefer Bruch, den ich erst viel zu spät bemerkt habe, eine unsichtbare Wand, gegen die ich immer wieder renne, wenn ich etwas mehr über die letzten Jahre hören will.“
 

„Sie lässt dich nicht an sich ran.“
 

Franks Schlussfolgerungen waren immer so kurz und prägnant. Er traf es auf den Punkt und schien seinen Kollegen auch wirklich zu verstehen.
 

„Nein, keine Chance. Egal wie oft ich es versuche. Jedem Wort, das ihr zu nahe kommt, weicht sie aus. Ich wollte ja mir ihr reden, wirklich, aber dann sehe ich ihren mal verschlossenen, mal traurigen Gesichtsausdruck und ich weiß einfach nicht mehr wie. Ich will ihr doch mit meinen Fragen auch nicht Weh tun und sie womöglich an irgendetwas Schmerzvolles erinnern, was sie eigentlich vergessen wollte. So grausam bin ich nicht. Und was ist, wenn sie einfach wieder geht, wenn ich zu viel frage? Erst jetzt, wo ich Lena wieder jeden Tag um mich habe, wird mir klar, wie sehr ich sie doch vermisst habe.“
 

„Du hast doch aber auch noch Petra und die Mädchen.“
 

„Ja klar, aber das ist einfach nicht das selbe. Lena ist eben meine kleine Schwester, sie ist schon immer Teil meines Lebens gewesen und du müsstest sie und die Mädchen mal zusammen sehen. Goldig, da geht dir das Herz auf. Gerade meine kleine Lena. Sie blühen förmlich auf und sie lieben sie schon nach ein paar Tagen abgöttisch. Ich will nicht, dass Lena uns so schnell wieder verlässt, also halte ich meinen Mund.“
 

„Dir ist aber schon klar, dass du sie nicht zwingen kannst bei euch zu bleiben, oder? Und dass du sie nicht auf ewig wirst halten können?“
 

Der Lutscher nickte nur nachdenklich. Seine Gedanken schienen weit fort, irgendwo im Land der Erinnerungen, aus dem ihn keiner vertreiben konnte.
 

„Ja, aber ich muss es doch nicht noch provozieren, oder? Je weiter ich nachbohre, desto verschlossener wird sie, also lasse ich es. Ich bin ihr Bruder, sie hat mir bisher noch all ihre Geheimnisse früher oder später gebeichtet, irgendwann wird sie zu mir kommen und sich mir anvertrauen und bis dahin muss ich halt geduldig warten.“
 

„Du und geduldig? Das ich nicht lache!“
 

Frank konnte sich ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen und auch Torsten musste leise lachen. Es tat ihm gut mit seinem langjährigen Freund über diese Sache zu sprechen, die ihn nun schon seit einigen tagen belastete.
 

„Für Lena, ja. Ich sehe ihr an, dass sie irgendetwas belastet und ich höre es auch, wenn sie sich nachts in den Schlaf weint, ich bin weder blind noch taub. So wie sie manchmal ihr Handy ansieht, wenn es klingelt, wie sie regelrecht zusammenzuckt. Da ist was nicht in Ordnung, aber ich werde warten, bis sie Vertrauen zu mir fasst und es mir selbst erzählt.“
 

Sein Entschluss stand fest, er würde seine kleine Schwester zu nichts drängen, was sie nicht von selbst entschied. Sie musste entscheiden, wann sie soweit war und bis wohin sie ihm vertrauen würde. So war es vermutlich das Beste für alle beteiligten, auch wenn dem Lutscher das Geduld haben und das Warten nicht besonders gefiel.
 

„Ja, wenn du meinst.“
 

Torsten und Frank bogen zusammen um die letzte Ecke zu den Autos und staunten nicht schlecht, als sie registrierten, wer da stand und sich anscheinend unterhielt.
 

„Na, was macht ihr denn hier so allein? Flirtest du schon gleich mit einem meiner Kollegen, Kleines?“
 

Entsetzt sah der unbekannte Werder Spieler von Lena zu Torsten und dann wieder zurück. Der Gesichtsausdruck des Lutschers war undefinierbar, irgendwo zwischen amüsiert und ein wenig verstimmt, doch Lena sah ihm direkt ohne Scheu in die Augen und hob nur eine Augenbraue ganz leicht an.
 

„Gestatten, mein Name ist Lena Frings und da wir bisher während unserer kleinen Unterhaltung zu solchen Höflichkeiten noch nicht gekommen sind, stelle ich mich einfach mal so vor. Meinen großen Bruder Torsten kennst du ja sicherlich schon.“
 

Nun war es an Lena zuckersüß zu lächeln und ihn erwartungsvoll an zusehen. Und dann fiel schließlich auch bei Tim Wiese der Groschen, wer da gerade vor ihm stand un ihm so unschuldig und süß zulächelte wie alle Erzengel zusammen.
 

Dieses Biest, war sein einziger Gedanke.
 


 

To be continued…?
 

Nun habe ich also das Geheimnis um den anonymen Störenfrieds gelüftet... Und wie fandet ihr Lenas Kontra?

Wie immer sind Kommentare, Hypothesen und all diese Dinge nicht nur erwünscht, sondern dringend erforderlich, denn im nächsten Kapitel dreht sich die Welt wieder um unsere beiden Traumprinzen und da brauch ich noch Inspirationshilfen…^^

Kleine Prinzen

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 


 

Clemens und Per trotteten, mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern, gemeinsam in Richtung Umkleidekabine ohne weiter auf ihre Umgebung zu achten. Ihre Beine waren unheimlich schwer und jeder Atemzug bereitete ihnen immer noch leichte Schmerzen, von den ungewohnten Seitenstichen ganz zu schweigen. Man sah dem Duo schon von weitem an wie ausgepowert und erschöpft sie waren.
 

Das Training war für sie beide nicht unbedingt optimal gelaufen und der sonst so beherrschte Thomas Schaaf hatte ihnen ordentlich den Kopf gewaschen. Sowohl Clemens als auch Per waren gedanklich ganz weit weg gewesen und so waren Clemens’ Flanken unpräzise und katastrophal gewesen, während Per einfach zu langsam und zu spät hinter seinen Gegnern her gerannt war. Ihre Unaufmerksamkeit hatte ihnen eine Rüge vor der versammelten Mannschaft eingehandelt und darüber waren beide nicht gerade froh, immerhin waren sie es normalerweise gewohnt als Stammspieler eine gewisse Leit- und Vorbildfunktion einzunehmen, aber wer sich im Training so präsentierte, konnte solche Ansprüche gleich vergessen, denn bei den Hanseaten herrschte Zucht und Ordnung, auch wenn Trainer Schaaf den Spielern hin- und wieder eine gewisse geistige Abwesenheit durchgehen ließ. Sie waren ja auch nur Menschen und Thomas Schaaf erinnerte sich noch selbst lebhaft genug an seine Jugend, so dass er in dieser Beziehung vielleicht nicht ganz so streng war wie andere Trainer.
 

„Sag mal Per, wo warst du heute eigentlich mit deinen Gedanken? Auf dem Spielfeld ja wohl nicht, oder?“
 

Schon wieder hatte Clemens Fritz ein leicht anzügliches Lächeln auf den Lippen, was seinem großen Kollegen zeigte, dass die Schelte von vor wenigen Minuten nicht mehr anzuhalten schien. Clem war schon wieder fast genauso fröhlich wie vor dem Training, was Per zeigte, dass der junge Außenverteidiger sich die Worte vom Trainer wohl nicht ganz so zu Herzen genommen hatte wie er selbst. Manchmal beneidete er seinen Freund um die Gabe all diese unerfreulichen Dinge für einen Augenblick verdrängen zu könne, was ihm immer nur sehr schlecht gelang. Meistens grübelte er noch stundenlang über ein verpatztes Training, von einem miesen Spiel ganz zu schweigen. Wahrscheinlich gab es nur wenige Dinge oder Menschen, die es schafften, Per Mertesacker an einem solchen Tag abzulenken.
 

Clemens jedoch ließ sich seine gute Laune von einem mittelmäßigen Training nicht vermiesen und auch die verlorenen Spiele schien er schneller abhaken zu können, auch wenn Merte bewusst war, dass sein Freund über Fehler und vergebene Chancen genauso nachdachte wie er selbst. Nur vielleicht nicht ganz so exzessiv, denn der Fritz war dafür bekannt, dass er sich im Notfall etwas Ablenkung suchte. Zwei Beine, lange Haare und gut definierte Kurven, so sah seine Ablenkung zumeist aus.
 

„Die gleiche Frage könnte ich dir auch stellen, aber ich denke mal, dass ich mir das sparen kann.“
 

„Genau, denn eine Frage beantwortet man nicht mit einer Gegenfrage, hat dir das deine Mama nicht beigebracht?“
 

Mit dieser Aussage fing Clemens sich einen leichten Hieb von Per ein, der es ganz und gar nicht leiden konnte, wenn irgendwer seine Mutter auch nur so spaßeshalber in die Gespräche einbrachte.
 

„Du weißt doch ganz genau, dass du meine Familie aus solchen Angelegenheiten raus lassen sollst, die haben damit nichts zu tun.“
 

„Ist ja schon gut, Großer, war keine Absicht.“
 

„Weiß ich ja, tut mir Leid, dass ich so ein bisschen überreagiert habe.“
 

Per sah Clemens ehrlich zerknirscht an. Er hatte tatsächlich nicht so überreagieren wollen, aber seine Familie war sein Ein- und Alles und da gab es für ihn keine Kompromisse. Sie hatten es durch seine Berühmtheit nicht unbedingt leichter, denn oft kampierten Fans dort in der Hoffnung er wäre da und wenn es gerade einmal schlecht lief für ihn, dann wurden sie auch schon mal beschimpft oder im schlimmeren Fall mit Obst beworfen und das hatten sie nun wirklich nicht verdient. Deswegen versuchte der lange Innenverteidiger von Werder Bremen auch sein Privatleben so gut es eben ging von seinem Beruf zu trennen, was für einen Menschen des öffentlichen Interesses keine leichte Aufgabe war. Per liebte seine Familie abgöttisch und versuchte sie so gut es eben möglich war zu unterstützen, was wirklich nicht immer leicht war, da seine Eltern sich beharrlich weigerten Geld von ihm anzunehmen.
 

„Schon in Ordnung, aber jetzt sag schon, wo waren deine Gedanken? Doch nicht etwa immer noch bei der Frau vom Flughafen mit dem Vanilleduft, oder?“
 

Dass Clemens Eins und Eins so schnell zusammen gezählt hatte, wunderte Per mittlerweile schon nicht mehr. Er war es gewohnt, dass sein Freund ihn besser zu durchschauen schien als Plexiglas. Also nickte er nur.
 

„Wow, dich scheint es ja echt voll erwischt zu haben, wenn du nach so langer Zeit immer noch an sie denken musst. Dabei habt ihr euch wie lange unterhalten, zwanzig Minuten?“
 

„Nein, Clem, es waren mehrere Stunden. Wir saßen stundenlang da, in diesem kleinen, unscheinbaren Cafe am Flughafen, und haben uns über alles möglich unterhalten, außer Fußball versteht sich. Trotzdem ist uns nie der Gesprächsstoff ausgegangen, keine peinlichen Pausen, nichts. Nada. So unheimlich wohl in der Gegenwart einer Frau habe ich mich schon ewig nicht mehr gefühlt. Es war einmalig. Und ich weiß doch selbst nicht, was da mit mir los ist. Aber jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, habe ich ihr lachendes Gesicht vor den Augen. Oder wie sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht streicht, so vollkommen natürlich und unbeschwert.“
 

Beschämt, mit leicht geröteten Wagen sah Per auf seine Schuhspitzen als seien sie das Interessanteste, was er seit Stunden zu sehen bekam. Fasziniert beobachtete er, wie sie Schritt für Schritt der Kabine näher kamen und der sonst immer so vorlaute Clemens Fritz andächtig schweigend neben ihm herging.
 

„Was ist denn los Clem, habe ich dich mit meinem Geständnis verschreckt? Ich dachte du wolltest hören, was mich beschäftigt.“
 

„Wollte ich ja auch. Und will ich immer noch, Großer, ich versuche mir nur gerade vorzustellen, wie ihr da gemeinsam an einem Tisch sitzt und miteinander redet. Ich würde die Frau gerne kennen lernen, die es schafft, dich so glücklich zu machen.“
 

Jetzt lächelte auch Per seinen Kollegen an, von dem er solch nachdenklichen Worte nun doch ehrlich gesagt eher nicht erwartet hätte. Aber so war Clemens Fritz nun einmal, er hatte mehrere verschiedene Seiten, nicht nur die vorlaute und zumeist extrem selbstbewusste, sondern auch noch die einfühlsame, besorgte, die er nur seinen Freunden und engsten Vertrauten zeigte. Immerhin hatte er ja noch einen Ruf als Frauenheld und Macho zu verlieren, auch wenn er das in diesem Sinne gar nicht war. Bei ihm waren immer Gefühle im Spiel, nur dass das Gefühl nicht immer Liebe hieß, sondern auch oft Lust oder Spaß. Gefühle waren es trotzdem allemal.
 

„Ich würde sie auch gerne wieder sehen, aber so langsam bezweifele ich, dass der da Oben ein einsehen mit mir hat.“
 

Clemens hatte tierisches Mitleid mit seinem großen Kollegen, der da mit hängenden Schultern und traurig gesenktem Kopf neben ihm herging. Krampfhaft suchte er nach irgendetwas aufheiterndem, aber es wollte ihm partout nichts einfallen, deswegen wechselte er, nachdem sie in der Kabine angekommen und mit dem Duschen fertig waren, auch das Thema.
 

„Du, sag mal Per, wie stellst du dir eigentlich die kleine Schwester vom Lutscher vor?“
 

Diese Frage traf den langen Innenverteidiger recht unvermittelt und so spontan fiel ihm da nichts ein, weswegen er erst einmal die Einschätzung seines Freundes abwartete. Womöglich waren sie sich ja ausnahmsweise was Frauen anging einmal einig.
 

„Also ich kann mir nun wirklich kein genaues Bild von dir machen, ich meine, stell dir doch mal unseren Frings in weiblich vor, hm? Da laufen doch alle Kerle sofort schreiend davon. Diese zotteligen Haare, die kräftige Figur und wahrscheinlich dann auch noch eine genauso spitze Zunge wie unser lieber Vize-Kapitän. Und wenn sie schon nicht vor ihr flüchten, dann bestimmt, wenn sie das erste Mal auf Torsten treffen, der ihnen ordentlich Feuer unterm Hinter macht. Wie der Feuerspuckende Drache im Märchen, denn genau so schätze ich ihn in Bezug auf seine Schwester ein.“
 

„Und, würdest du davon rennen?“
 

„Ich? Na klar, bin ich denn lebensmüde genug um mich mit einem wütenden Fringser anzulegen, nene Kumpel, das ist mir keine Frau wert, dann müsste sie ehrlich schon was ziemlich besonderes sein.“
 

„So wie dein Mädchen aus der Umkleidekabine vielleicht?“
 

Einen Augenblick überlegte Clemens und sah seine Blondine mit dem kräftigen Schlag wieder vor sich, so dass er sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen konnte.
 

„Ja, für die würde ich sogar mit einem Drachen wie Frings kämpfen. Eine Frau, für die der Kampf sich lohnt. Und wie sieht es bei dir aus? Für das Mädel vom Flughafen würdest du das alles auf dich nehmen, ist ja klar, da wärst du der Ritter in glänzender Rüstung, ganz edel und vorbildlich, der alle Türme erstürmt und Drachen erlegt, aber wie stellst du dir Torstens kleine Schwester vor?“
 

Wieder musste Per an einen der vielen Zweikämpfe auf dem Spielfeld zurückdenken, wo er versucht hatte dem Lutscher das Leder abzunehmen. Dabei war es heiß her gegangen und Torsten und er waren sich so verdammt nahe gekommen, dass Per schon wieder diesen leichten Vanilleduft hatte wahrnehmen können. Er schien den Lutscher neuerdings wie eine zweite Haut zu umgeben und sobald er diesen Duft wahrnahm, gingen bei ihm alle Lichter aus, daher war es auch nicht verwunderlich gewesen, dass der Fringser früher oder später leicht an ihm vorbeigekommen war, da Per immer noch in Gedanken bei der jungen Frau vom Flughafen gewesen war, die genauso gerochen hatte. Na ja, vielleicht etwas besser und nicht ganz so verschwitzt wie sein Vize-Kapitän, aber ähnlich.
 

„Wenn sie nur halb so gut aussieht, wie ihr Deo riecht, dann muss sie schon recht ansehnlich sein.“
 

Diese Antwort war höchst diplomatisch und brachte Clemens zum Lachen. Verständnislos sah Merte zu Clemens.
 

„Mein Gott, Per, hast du dir eben mal beim Sprechen zugehört? Nein? Wie geschwollen das daher kam, mein lieber Herr Gesangsverein!“
 

„Wenn dir meine Art zu sprechen nicht passt, dann musst du mir eben nicht zuhören. Ganz einfach.“
 

Ohne ein weiteres Wort verließ Per die Umkleidekabine und machte sich auf den Weg durch die Katakomben, wo ihm ein schwarzes Haarband auffiel, das achtlos am Boden lag. Gedankenlos hob er es auf und erinnerte sich daran, dass es eines der Marke war, die Torsten immer trug, seit er sich für eine akkurate Langhaarfrisur entschieden hatte.
 

‚Ich bring ihm das wohl besser wieder, nachher vermisst er es noch und sucht es.’
 

Gesagt, getan, also änderte Merte seine Richtung ein bisschen und lief anstatt in Richtung Tiefgarage zu den Spielerparkplätzen im Freien, wo Petra ihren Mann wohl am wahrscheinlichsten abholen würde.
 

Hinter sich hörte Per schnelle Schritte und er wusste auch ohne sich umzudrehen, dass es Clemens war, der noch mal mit ihm reden wollte. Also hielt er im Gehen inne und wartete darauf, dass ihn sein Vereinskollege eingeholt hatte. Etwas außer Atem japste Clemens nur:
 

„Tut mir Leid, Per, ich wollte mich nicht über dich lustig machen. Bist du wieder lieb?“
 

Der Fritz versuchte seinen besten Hundeblick und seine Wirkung, die er normalerweise immer auf Frauen hatte, ging auch an Per nicht spurlos verloren, deswegen nickte der nur und antwortete:
 

„Alle wieder Ok Clemens, keine Panik. Ich habe einfach schon wieder überreagiert, wird neuerdings zu meinem Hobby, aber nach der Sache am Flughafen bin ich gerade wegen meiner Sprache ziemlich unsicher. Immerhin habe ich es da nicht auf die Reihe bekommen sie nach ihrem Namen zu fragen, wie peinlich ist das denn.“
 

„Ach komm schon Per, alles halb so wild.“
 

„Aber wie hättest du in meiner Situation reagiert? Sie ist schon fast aus dem Terminal raus in Richtung Taxi und du musst ihr unbedingt noch was sagen und brauchst ihre Aufmerksamkeit. Wie macht das ein Meister der Frauen, hm? Vielleicht ein kleiner Tipp, falls ich irgendwann doch noch mal eine Chance bekomme.“
 

„Was soll ich da schon groß machen, ist doch im Grunde genommen ganz logisch: Dann gehe ich hinterher und spreche sie an und sag’ ich wär’ ihr Prinz und dass sie mich noch haben kann.“
 

Entsetzt sah der lange Innenverteidiger zu seinem Kollegen, der ein verdammt breites Grinsen aufgesetzt hatte, was keine Zweifel daran ließ, dass er es vollkommen Ernst meinte. Ja, Clemens Fritz war so ein Spruch auf jeden fall zu zutrauen, aber ihm, dem schüchternen Per Mertesacker doch nicht. Und genau diesen Gedankengang schien gerade auch Clemens zu haben, denn er ergänzte seine Aussage noch schnell:
 

„Gut, bei dir müsste man das etwas umändern, denn deine Qualitäten als Prinz in allen Ehren, Per, trotzdem erinnerst du den Grossteil der weiblichen Bevölkerung doch eher an einen zu groß geratenen Teddybären, deswegen würde ich dir auch eher raten etwas zu sagen so in der Richtung: Ich bin der Teddybär, der schon seit Jahren sehnsüchtig darauf wartet von dir mit ins Bett genommen zu werden. Na, wie wäre das, damit hast du ihre Aufmerksamkeit sicher!“
 

„Ja, und danach hält sie mich für den schlimmsten Aufreißer und Vollidioten dieser Stadt, nein danke Clemens, solche Sprüche passen wohl doch eher zu dir als zu mir. Ich bleibe da lieber ich. Da weiß ich wenigstens, was man sagt und wie man sich benehmen sollte.“
 

„Wenn du willst, alter Kumpel, ich wollte dir ja nur helfen.“
 

„Dein großmütiger Versuch wurde wohlwollend zur Kenntnis genommen und vielleicht werde ich irgendwann auf ihn zurückgreifen, aber jetzt muss ich erstmal unserem Vize-Drachen sein Stirnband bringen, das hat er nämlich unterwegs scheinbar verloren. Wartest du hier auf mich, ich bin auch gleich wieder da, dann können wir noch zusammen was trinken gehen oder eine Runde Billard spielen, wenn du willst.“
 

„Na klar, kein Problem, aber beeil dich, sonst komme ich dich suchen.“
 

Grinsend trennten sich die beiden, während Clemens in den Katakomben stehen blieb, machte Per sich auf den Weg in Richtung Parkplatz, wo er auch schon bald eine kleine Gruppe stehen sah. Aus der Entfernung konnte er Torsten, Frank und Tim klar ausmachen, doch wer die Blondine war, die mit dem Rücken zu ihm stand und scheinbar heftig mit dem Werder Torwart diskutierte, konnte er nicht erkennen.
 

Erst als sie vehement ihren Kopf schüttelte und ihre Haare nach hinten warf, so dass der lange Innenverteidiger einen kurzen Blick auf ihr ebenmäßiges Profil werfen konnte, traf es Per mit einem Mal wie aus heiterem Himmel.
 

„Das kann nicht sein. Das ist doch nicht wahr. Ich träume, ich muss einfach träumen, aber bitte Herr, wenn das ein Traum ist, dann lass mich nicht mehr aufwachen.“
 

Pers Flehen war leise und eindringlich, doch er kannte sich selbst gut genug um zu wissen, dass er unbedingt Gewissheit brauchte. Vielleicht war das auch alles nur ein Scherz oder ein Streich, den ihm seine Augen gespielt hatten, weil er seine hübsche Unbekannte vom Flughafen wieder sehen wollte. Es gab tausend logischere Erklärungen als die eine, die sich gerade in seinen Hirnwindungen breit machte:
 

„Das muss Torstens Schwester sein!“
 


 

To be continued….
 

Kommentare sind wie immer erwünscht und wenn ihr die Antwortfunktion anstellt, bekommt ihr auch eine… Meine Stammleserschaft kennt das ja schon, also nichts Neues…

Spekulationen ^^ und all diese Dinge sind sehr erwünscht und machen mich „Happy ohne Ende“…

Surprise, Surprise

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 


 

Nun war es an Lena zuckersüß zu lächeln und ihn erwartungsvoll an zusehen. Und dann fiel schließlich auch bei Tim Wiese der Groschen, wer da gerade vor ihm stand.
 

Es konnte doch nicht wahr sein, dass er die ganze Zeit mit Torstens kleiner Schwester gesprochen hatte? Das hier war bestimmt nur ein ziemlich schlechter Scherz, den sich seine Kollegen nach diesem Horror-Tag mit ihm machen wollten, um ihn abzurunden. So viel Pech konnte ein Mensch doch gar nicht haben. Außerdem passte Torstens Beschreibung seiner Schwester ganz und gar nicht zu der Frau, die da so unverschämt zufrieden vor ihm stand. Ihr Lächeln glich dem einer Katze, die die ganze Zeit mit einer Maus gespielt hatte und sie nun soweit in der Falle hatte, dass es keinen Ausweg mehr gab.
 

Fragend wandte er seinen Blick zu Torsten, der die beiden etwas verwirrt und unsicher musterte.
 

„Tja Tim, wie ich sehe, hast du meine Kleine schon kennen gelernt.“
 

Tims Antwort war ein wenig unsicher, denn er wusste wahrlich nicht, ob sein Vize-Kapitän ihn direkt in der Luft zerfetzen würde, sobald Lena ihm von seinen wüsten Unterstellungen berichten würde. Wenn sie das tun würde, vielleicht hatte der liebe Herr im Himmel ja auch noch einmal Mitleid mit ihm.
 

„Jaaaha. Wir hatten schon das Vergnügen. Hocherfreut.“
 

Schmunzelnd betrachte Frank Baumann seinen ersten Torwart, der aussah, als hätte er eben auf eine Zitrone gebissen, als er die letzten Worte gesagt hatte. So etwas war er von Tim Wiese ja noch gar nicht gewohnt. Auch wenn er den Jüngeren bei weitem nicht so gut kannte wie den Lutscher, so bemerkte er doch, wenn irgendetwas nicht stimmte. Und das war hier definitiv der Fall, denn auch Lenas Ton gefiel ihm nicht so ganz und ihr Aussehen zeigte deutliche Spuren einer hitzigen Diskussion, denn ihre Wangen waren noch gerötet und auf ihrer Stirn hatte sich ein feiner Schweißfilm gebildet, der unmöglich nur von der warmen Bremer Sonne kommen konnte.
 

„Aber wir hatten das Vergnügen noch nicht, Lena.“
 

Breit grinsend schritt Frank auf Lena zu und umarmte sie. Sie kannten sich schon länger und da war so ein herzlicher Umgang nicht seltenes. Umarmungen standen in Spanien sowieso an der Tagesordnung, deswegen machte Lena sich auch nicht aus der etwas forschen Begrüßung des Werder-Kapitäns. Es war ihr ehrlich gesagt sogar lieber als dieses distanzierte, kühle Hände-Schütteln. Nach acht Jahren in den südlichen Gefilden hatte sie diese Traditionen des lockeren Körperkontakts bei der Begrüßung zu schätzen gelernt, auch wenn sie dagegen war schon mit Fremden Küsschen auszutauschen, wie manche überschwängliche Italienerinnen es taten.
 

„Hallo Frank, schön dich mal wieder zu sehen. Es ist ja wirklich schon eine Ewigkeit her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.“
 

Lachend blickten sich die beiden an und lösten sich voneinander, damit Lena auch ihren großen Bruder umarmen konnte, der sich bisher eher zurückgehalten hatte. Etwas recht untypisches für den Lutscher, aber Baumann wusste, dass es alles mit seinem Entschluss ihr Ruhe und Freiraum zu geben, zu tun hatte.
 

„Was macht den mein Lieblingsschwesterchen hier?“
 

Fröhlich strahlte Lena Torsten an und für einen Augenblick vergaß sie ihren Diskurs mit Tim und die Anwesenheit Franks und sagte nur ernst:
 

„Ich will den besten Bruder abholen, den sich eine kleine Schwester wünschen kann. Immerhin haben wir beide uns fast schon genauso lange nicht mehr gesehen und so dachte ich mir, dass wir einfach mal ein bisschen Zeit zu zweit verbringen könnten. So wie früher auch, wir beide gegen den Rest.“
 

In Torstens Augen trat ein fast schon unnatürliches Leuchten, als er Lenas Worte vernahm. Sie sprach ihm aus der Seele und das sie es gewesen war, die diesen Entschluss gefasst hatte und ihn sogleich abholen gekommen war, rührte ihn. Seine kleine Schwester blieb eben einfach ein unberechenbares Unikat, auf das er unter gar keinen Umständen verzichten wollte. Trotzdem war er neugierig genug um zu fragen, worüber Tim und Lena bis eben noch gesprochen hatten. Ein Fehler, wie er sich später eingestehen musste, denn auf Lenas einfache Erwiderung „Nichts besonderes“ schaltete sich auch tim Wiese wieder ins Gespräch ein und bekräftigte Lenas Worte, was ihm sehr suspekt erschien. Und Lena reizte.
 

„Vielen Dank, ich brauche keinen Papageien, der mir alles nachplappert. Torsten hat mich schon verstanden.“
 

„Meine Güte, immer noch so verdammt empfindlich. Ist das bei dir Dauerzustand oder hast du deine Tage?“
 

Wenn Lena nicht leiden konnte, dann waren es solche Machokommentare, die sie regelmäßig unheimlich wütend machten. In Barcelona hatten die Jungs schnell gelernt, dass sie diese Attitüde in ihrer Nähe würden ablegen müssen, wenn sie nicht gerade Lust auf eine langatmige Diskussion mit ihr hatten. Das konnte Tim Wiese jedoch nicht wissen und so war er kopfüber in ein riesiges Fettnäpfchen gefallen und Lenas guten Vorsätze Torsten nicht zu zeigen, dass sie seinen Kollegen verabscheute und ihn am liebsten auf den Mond schießen würde, verpufften in der Luft.
 

In schierer Rekordzeit fauchten sich die beiden wieder an und hatten ihre Umwelt, also Torsten und Frank, total vergessen. Bissige Bemerkungen flogen zwischen ihnen hin- und her und auch ihre Gestik wurde immer ausladender. Man konnte beiden ansehen, wie genervt und wütend sie waren und Torsten erkannte seine eben noch so ruhige und sanfte Schwester kaum wieder, wie sie sich da leidenschaftlich mit seinem Kollegen stritt, der genauso scharfe Retourkutschen schickte wie sie selbst.
 

Am liebsten wäre er dazwischen gegangen und hätte die beiden sowohl um eine Auszeit als auch um eine Erklärung gebeten oder sie wohl eher mit aller Autorität verlangt, aber keiner von beiden hörte seine zugegebener Maßen zögerliche Versuche, die eher Frank Baumann amüsierten als die beiden Streithälse zu beeinflussen.
 

Unsicher und nur sehr zögerlich näherte Per sich der kleinen Gruppe. Er konnte Franks Lachen von hier hören und Tim Wieses Gesichtsausdruck deutete darauf hin, dass er der Explosion nahe war. Augenscheinlich machte sich die Blondine, die relativ lebhaft mit ihren Hände redete, über den gegeelten Werder Torwart lustig, was ihm ganz und gar nicht zu behagen schien. Verständlich. Aber sicher war Per sich nicht. Torstens Gesicht konnte er schließlich genauso wenig sehen wie das der jungen Frau, die eben mit dem Gesicht zu Tim und dem Rücken zu ihm stand.
 

Ihre Körperhaltung wirkte absolut unverkrampft, als stünde sie jeden tag mit Fußballstars zusammen und würde mit ihnen plaudern. Genau so eine Haltung hatte seine Frau vom Flughafen auch drauf gehabt. Diese lässige Aura, die sie zu umgeben schien, so wie sie die Hände in die Hintertaschen ihrer engen Jeans gesteckt hatte und scheinbar ein wenig gelangweilt auf ihren Absätzen hin- und her wirkte.
 

Um das Rätsel endlich zu lösen und Gewissheit zu erlangen beschleunigte der große Innenverteidiger seinen Schritt, so dass er die wenigen Meter, die ihn von der Wahrheit getrennt hatten, schnell überbrückt hatte. Fassungslos stand er nun vollkommen ignoriert zwischen Frank und Torsten und sah die Frau vom Flughafen vor sich. Die gleiche Haltung, die gleichen feinen Gesichtszüge, dasselbe ihm scheinbar so vertraute Leuchten in den Augen. All das war da, unverkennbar klar, nur das sanfte, sympathische Lächeln fehlte, denn sie hatte ihren vor Funken sprühenden Blick unverwandt auf Tim Wiese gerichtet, der ebenso entschlossen und wütend wirkte wie die junge Frau.
 

Keiner der beiden Streithähne beachtete den Ankömmling, ihnen war noch nicht einmal aufgefallen, dass sie nicht mehr alleine waren, so tief waren sie in ihrem Disput versunken, bei dem keiner klein beigeben wollte. Hier waren wirklich zwei extreme Sturköpfe aufeinander getroffen und genau das warf Tim Wiese ihr auch wieder vor.
 

„Mein Gott, wie kann man nur so verdammt stur sein. Hallo, welcher Mann will den so eine anstrengende Frau haben?“
 

Im gleichen Tonfall wusste Lena sich jedoch durchaus zur Wehr zu setzen.
 

„Ach, ich bin stur? Danke, von dir nehme ich das mal als Kompliment, denn das heißt, dass dir endlich mal jemand den ganzen Puderzucker aus dem Hinter klopft, den die ganzen verrückten Weiber da rein geblasen haben. Das ist ja echt nicht zum Aushalten. Hast du die etwa dafür bezahlt dein Ego aufzublasen?“
 

„Nein, Männer wie ich müssen für so etwas nicht bezahlen, ganz im Gegensatz zu Frauen wie dir. Wir können uns die Frauen schließlich noch aussuchen.“
 

„Ist schon klar, so was muss man sich in deiner Situation wohl einreden, denn das einzige, was du heute noch aufreißen wirst, ist die Klotür. Oder die Frau, die du verführen möchtest, tut es, kommt wahrscheinlich aufs Gleiche raus.“
 

„Hey, du hast ja keine Ahnung, ich bin im Bett wie ein Tier, aber dieses Vergnügen wirst du niemals erleben.“
 

Lena lachte herzhaft auf und schüttelte zum wiederholten Male ihre lange blonde Mähne, die sich locker über ihren Rücken und einen teil ihrer Schultern verteilte. Das Licht ließ ihr blond besonders intensiv glänzen und in diesem Moment fühlte sie sich einfach wieder hübsch. Woran es lag, wusste sie nicht, aber es war so. Und es gab ihr neues Selbstbewusstsein diesen nervtötenden Menschen vor ihr gehörig den Kopf zu waschen. Und so etwas machte man am besten mit dem Überraschungsmoment.
 

„Ja, das kann ich mir durchaus vorstellen.“
 

Verwirrt sah tim Wiese seine Kontrahentin an. War das eben wirklich ein Zuspruch gewesen? Also im Grunde genommen die weiße Fahnen, das Zeichen für seinen Sieg in dieser hitzigen Diskussion? Dann war es am Ende also doch einfacher gewesen als gedacht.
 

„Das heißt also du gibst auf und stimmst mir zu?“
 

Lena lächelte wieder zuckersüß und mit einem Mal schwante Tim böses, denn das letzte Mal, als sie so gelächelt hatte, hatte sie ihm eröffnet, dass sie Torstens viel gelobte kleine Schwester war. Aber das, was jetzt kam, konnte unmöglich schlimmer sein als die Blamage von eben. Falsch gedacht.
 

„Ich habe nichts von aufgeben gesagt, ich habe nur gesagt, dass ich mir durchaus vorstellen kann, dass du im Bett ein Tier bist. Ein Siebenschläfer nämlich!“
 

Dieser Schlag hatte gesessen und einen Augenblick war Tim Wiese tatsächlich sprachlos. Nicht zum ersten Mal innerhalb der letzten Stunden. Er hatte es noch nie erlebt, dass eine Frau ihm so Kontra gab und auf jeden seiner schlagfertigen Kommentare eine noch bessere Antwort wusste. Verdammt, ein Tim Wiese ließ sich nicht so einfach die Butter vom Brot nehmen. So nicht.
 

So langsam hatte Per sich in das Gespräch eingehört und diese Schlagabtausche, die diese beiden sich da lieferten, gefielen ihm überhaupt nicht. Er war auf einem fragwürdigen Niveau und ging um Dinge, die nach Mertes Geschmack besser im Schlafzimmer geblieben wären, wo sie hingehörten. Er war einfach nicht der Mensch, der solche Themen in aller Öffentlichkeit besprach, wenn man es bei den beiden Streithälsen noch als „Besprechen“ durchgehen lassen konnte. So hatte er seine Frau vom Flughafen während ihres Gespräches nicht ein einziges Mal erlebt. Sie hatte couragiert und lebhaft argumentiert und ihre Augen hatten vor Freude gesprüht, aber sie war nicht einen Augenblick so wütend gewesen. Kein Wunder, wer konnte schon sagen wie lange sie hier schon standen und was Tim ihr nicht schon alles Verletzendes an den Kopf geworfen haben musste. Was solche Sachen anging war der Werder Torwart bei weitem nicht zimperlich und Merte wollte sich gar nicht ausmahlen, wie sehr sein Kollege sie schon verletzt haben musste, dass sie sich schon so wehren musste. Also schritt er beherzt an und machte seinen Kollegen auf sich aufmerksam.
 

„Mensch Wiese! Kannst du das Arschloch in dir nicht einmal ausschalten??“
 

„Nein, aber ich kann es auf stand-by schalten! Wenn ich nur will, weißt du doch Merte. Werde ich nur jetzt nicht tun, weil diese Miss Independent meint sie könnte sich alles leisten.“
 

Lena schnaubte nur und zog eine Augenbraue hoch. Sie hatte es nicht gerne, wenn sich irgendwer in ihre Angelegenheiten einmischte und sie verabscheute es noch mehr, wenn irgendwelche Männer sich einbildeten ihre Kämpfe austragen zu müssen, wo sie doch klar ersichtlich durchaus selbst in der Lage war sich zu behaupten. Das hatte Torsten früher schon immer versucht und sie hatte ihn jedes Mal lautstark dafür angefahren. Und anders würde es dem großen Kerl, der mit einem mal neben ihr stand, auch nicht ergehen.
 

Schwungvoll und wütend drehte Lena sich um nur um gegen den durchaus muskulösen und wohlgeformten Oberkörper ihres vermeintlichen Retters zu schauen. Der steckte nämlich in einem hellen, engen T-Shirt und machte einen recht formidablen Eindruck, wenn Lena auf solche Nebensächlichkeiten geachtet hätte. Es dauerte einen Augenblick, bis sie realisierte, dass sie nur mit einem seiner Körperteile sprach und nicht in sein Gesicht, aber das war ihr erstmal egal, immerhin hatte sie schon angefangen zu sprechen.
 

„Ich bin durchaus in der Lage mich selbst verteidigen zu können, Herr?“
 

Klasse jetzt musste sie sich auch noch erstmal fast den Hals verrenken, um dem Übeltäter in die Augen schauen und ihn höflicherweise nach seinem Namen fragen zu können. Dieser Tag war wirklich miserable.
 

Trotzdem besann Lena sich auf ihre guten Manieren, immerhin stand ihr geliebter großer Bruder noch bei ihnen und da konnte sie sich kein schlechteres Benehmen leisten. Er hatte sie sowieso schon von einer recht unangenehmen Seite gesehen und während ihrer Streiterei mit Tim waren ihr seine fragenden und teilweise sogar missbilligenden Blicke nicht entgangen. Normalerweise wäre sie niemals so ausgerastet, schon gar nicht in Torstens Gegenwart und wegen einem seiner Kollegen, aber dieser Wiese hätte etwas an sich, was sie schier in den Wahnsinn trieb. Vermutlich reagierte sie allergisch auf das Zeug, der er sich täglich in die Haare schmierte, wer weiß?
 

Früher hätte sie sich wahrscheinlich auf die Zunge gebissen und den Mund gehalten, heute nicht mehr. Sah man ja. Ihre Zeit in Spanien hatte das an ihr verändert. Dort waren die Menschen offen und impulsiv, sie liebten nicht nur leidenschaftlich, sie stritten auch genauso, es wurde laut, es wurde unangenehm, aber wenn man schließlich alles gesagt hatte, nahm man sich wieder in den Arm und hatte sich lieb. Das war ungemein befreiend, aber Lena hatte sich erst langsam an diese impulsive Art gewöhnen müssen, die ihr jetzt augenscheinlich schon zur Gewohnheit geworden war. Genauso wie ihre Schlagfertigkeit, die sie sich schon in Mailand angeeignet hatte, weil sie fast jeden Tag mit einer Horde Fußballern zu tun gehabt hatte und man bei diesen Männern auf alles gefasst sein musste und jeden Spruch schnell und raffiniert kontern können musste. Jetzt war einfach wieder eine dieser Situationen und Lena konnte einfach nicht aus ihrer Haut.
 

Als Lenas Augen endlich an ihrem Ziel, dem Gesicht ihres Retters, angekommen waren, stockte ihr der Atem und leise, fast kaum wahrnehmbar flüsterte sie:
 

„Per? Du?“
 

To be continued?
 

Ich gebe es offen zu, ich habe mich mal wieder stark verschätzt und alles, was eigentlich in diesem Kapitel kommen sollte, wird sich auf das kommende nach hinten verschieben… Sorry, aber sonst wäre es noch länger geworden und das wollte ich vermeiden.
 

So, wie immer dieselbe Frage. Was sagt ihr dazu? Wie gefielen euch diesmal die Dialoge und Per der geschätzte Retter? Antwortet fleißig so wie die letzten Male… Ich würde mich freuen.

Wenn es für Dummheit einen Preis gäbe...

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 


 

Fassungslos starrte Lena den großen Innenverteidiger an. Warum war sie auch nicht vorher drauf gekommen, dass ihre Bekanntschaft vom Flughafen, DER Per Mertesacker sein könnte, ein Kollege, von dem Torsten schon recht häufig erzählte? Es war ja nun auch nicht der geläufigste Name und so groß war auch nicht jeder, sie hätte eigentlich sofort drauf kommen müssen, aber an diesem Morgen waren ihre Gedanken noch so weit weg gewesen, dass sie nicht auf diese gravierenden Parallelen geachtet hatte. Die Quittung bekam sie jetzt dafür, in Form eines leicht lächelnden Mertesacker, den die ganze Situation zu amüsieren schien.
 

’Oh mein Gott, wenn es für Dummheit einen Preis gäbe, würde ich ihn garantiert gewinnen. Die Fußballer gehen mir auf die Nerven, erst dieser Wiese und jetzt auch noch Per. Und ich mache ihn auch noch so dumm von der Seite an. Mist! Wieso muss auch jeder Mann in meinem Leben irgendetwas mit diesem gottverdammten Sport zu tun haben? Hallo, gibt es denn nirgendwo ganz normale Kerle, die höchstens hin- und wieder ein bisschen Sportschau schauen? Nein, Lena, du hast echt einen siebten Sinn dafür Fußballer aufzugabeln.’
 

In Gedanken beschimpfte Lena sich immer weiter, so dass sie gar nicht bemerkte, dass Per ihr immer noch nicht geantwortet hatte und sie nun seinerseits musterte. Ihr überraschter Gesichtsausdruck und die Feststellung, dass sie ihn oder zumindest seinen Namen nicht vergessen hatte, ließen ihn innerlich jubilieren, auch wenn Torstens fragend-kritischer Blick ihn schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte, deswegen bestätigte er etwas ruhiger:
 

„Ja, ich bin es. Freut mich, dich wieder zu sehen.“
 

„Mich auch, obwohl ich nicht so schnell damit gerechnet hätte.“
 

Pers Lächeln wurde bei Lenas Worten um einige Millimeter breiter und er schien noch um ein oder zwei Zentimeter zu wachsen. Es machte ihn unheimlich glücklich, dass sie über das Wiedersehen nicht verärgert war. Immerhin hatte sie ihn eben so wütend angefahren, dass er so seine Zweifel bekommen hatte. Jetzt jedoch hatte sich sowohl ihr Gesichtsausdruck als auch ihre Stimmlage geändert und sie schien wieder die Frau vom Flughafen zu sein. Als hätte es den Streit zwischen ihr und Tim eben gar nicht gegeben. Es war faszinierend zu sehen, wie schnell sich ihre Stimmungslage ändern konnte. Und wahrscheinlich auch verdammt nützlich zu wissen.
 

„Tja, ja, ich ehrlich gesagt auch nicht, aber deswegen freut es mich halt umso mehr.“
 

„Obwohl ich dich eben so angemacht habe?“
 

Ihr Ausdruck wurde etwas unsicher und Per fand es süß, dass sie es wirklich zu bereuen schien ihn angefahren zu haben, wo er doch wirklich nur selbstlos hatte helfen wollen. Doch der lange Innenverteidiger gehörte nicht zu den Menschen, die lange nachtragend waren, dafür war er viel zu Harmoniebedürftig, deswegen nickte er nur leicht mit dem Kopf.
 

„Ob wohl du mich eben so angemacht hast. Ist schon vergessen, kein Problem.“
 

Er zwinkerte ihr leicht zu und es fiel keinem von beiden auf, dass man dieses Verhalten fast schon flirten nennen konnte.
 

„Doch, es tut mir wirklich Leid, normalerweise bin ich nicht so, na ja, schroff und unhöflich. Hoffentlich hast du jetzt keinen falschen Eindruck von mir bekommen.“
 

Etwas verlegen sah Lena auf ihre Schuhe, denn diese ganze Situation war ihr peinlich und unangenehm, denn sie war sich ihrer Zuhörer durchaus bewusst und auch wenn Torsten sich derzeit noch zurückhielt, so ahnte sie, dass das Donnerwetter nicht ausbleiben würde. Und wenn er schon nicht ernsthaft böse war, so würde doch ein fringssches Kreuzverhör der Spitzenklasse folgen. Grandiose Aussichten, wenn man bedachte, dass sie ihm heute eigentlich etwas aus ihrem Leben erzählen wollte. Aber es war nun einmal nicht zu ändern, Lena konnte nur hoffen, das nicht noch mehr schief ging.
 

„Von dir kann man gar keinen schlechten Eindruck bekommen.“
 

Per lächelte sie ein wenig schief an, denn er konnte ja schlecht übers ganze Gesicht strahlen und ihr sagen, wie wunderbar er sie fand und dass ihn der erste Eindruck beinahe aus den latschen gehauen hatte. Diese kleinen Details behielt er besser für sich und versuchte sich nichts anmerken zu lassen, auch wenn sein Magen einen Salto nach dem anderen hinlegte und sich scheinbar gar nicht mehr beruhigen wollte.
 

„Danke, das ist lieb von dir, auch wenn dir da gewisse Herren eher widersprechen würden.“
 

Lena warf Tim einen Seitenblick zu und versuchte dabei ihren Bruder zu ignorieren. Niemals dem Raubtier in die Augen schauen, also ließ sie es geflissentlich bleiben.
 

„Das ist doch alles Quatsch. Versuchst du eigentlich immer alle Komplimente, die man die macht, so abzuschmettern?“
 

Per sah sie etwas schief von der Seite an und in seinen Augen konnte Lena definitiv Belustigung erkennen, weswegen ihre Antwort auch nicht ganz so ernsthaft ausfiel.
 

„Nein, normalerweise nicht, aber wenn du Komplimente machst, Per, solltest du vorsichtig sein.“
 

„Wieso?“
 

Lena fand Pers verwirrten Gesichtsausdruck wirklich knuffig, denn er schien ehrlich zu überlegen, wo bei seinem Kompliment ein Fehler gewesen sein mochte, immerhin war es nur ein ganz, ganz kleines gewesen. Sie hatte Mitleid mit ihm und verriet ihm die Antwort mit einem leicht schelmischen Grinsen:
 

„Hör auf dir den kopf zu zerbrechen, den brauchst du sicherlich noch. Ich verrat es dir auch so. Frauen Komplimente zu machen ist ungefähr so, wie in einem Minenfeld Topfschlagen zu spielen, wenn du verstehst, was ich meine.“
 

Etwas überrascht dachte Per einen Augenblick über das Gesagte nach und ein kurzer Seitenblick verriet ihm, dass seine Kollegen ähnlich dachten, denn Lenas Ausdruck beschrieb wirklich eindeutig die Gefahren beim Komplimente machen. War nicht jeder von ihnen irgendwann einmal unbewusst und verdammt gutgläubig kopfüber in dieses Fettnäpfchen gefallen? Per zumindest schon häufiger, wenn er versucht hatte seiner weiblichen Begeleitung charmant ein Kompliment zu machen. Überhaupt war ihm diese ganze gezwungene Konversation nicht, wo mehr aufgesetztes Getue als wahre Gefühle zum Ausdruck gebracht wurde. Irgendwann sagte der lange Innenverteidiger der Hanseaten irgendetwas Uüberlegtes oder er schaffte es vor lauter Schüchternheit gar nicht mit seiner Begleitung zu sprechen. Dafür war er einfach nicht geboren, das überließ er seinem Freund Clemens, der auf diesem Gebiet ein wahrer Profi zu sein schien, denn in solche Stolperfallen geriet er schon lange nicht mehr.
 

„Ja, ich weiß ganz genau, was du meinst, nur hätte ich es bei weitem nicht so treffend formulieren können.“
 

„Tja, das ist dann eben ein Vorrecht der Frauen so etwas in Worte zu fassen, immerhin üben wir jeden Tag stundenlang, während die meisten Männer da doch eher etwas wortfaul sind. Zumindest bis sie etwas aufgetaut sind, nicht wahr?“
 

Unwillkürlich musste Per über seine eigene Schweigsamkeit zu Beginn ihres Aufenthaltes im Cafe denken, die bestimmt auch Lena gerade in den Sinn gekommen sein musste, denn anders wusste er ihre Worte nicht zu deuten. Die Erinnerung gefiel im und spontan lächelte er wieder, nicht nur auf Grund der Erinnerung, sondern auch, weil es ihm gefiel, dass Lena sich selbst nicht so ernst nahm und mit den vielen Klischees zu spielen schien, die es über Männer und Frauen gab.
 

Auch Lena erwiderte nun etwas zögerlich sein Lächeln und strich sich etwas verlegen eine Strähne aus der Stirn. Keiner von beiden sagte einen Ton, sie sahen sich nur in die Augen und es schien, als hätten sie alles um sich herum vergessen, selbst Torsten und Tim, die beide nicht besonders glücklich über die neue Situation wirkten, da sie nicht verstanden, was da gerade passierte.
 

„Hätte vielleicht einer von euch beiden Mal die Freundlichkeit mich aufzuklären, was hier gerade eigentlich läuft? Woher kennt ihr euch?“
 

Torstens Stimme holte sie beide ziemlich unsanft in die Realität zurück und Per merkte gleich, das ihm die Worte fehlten seinem Kollegen und Vize-Kapitän die Angelegenheit zu erklären, ohne dass dieser vor Wut in die Luft ging und Lena ihm eine Ohrfeige für seine Gedanken verpasste. Aber im Grunde genommen konnte es ihm egal sein, wann sie ihn maßregelte, denn Torsten würde ihr garantiert von seinen Aussagen über sie erzählen und dann müsste er sich wohl besser ein ganz tiefes Loch suchen, denn Lena konnte er dann so nicht mehr unter die Augen treten.
 

’Oh, ich glaube das gibt Ärger.’
 

Waren Pers einzige Gedanken, doch Lena schien das alles ganz ruhig hinzunehmen, zumindest war das scheue Lächeln aus ihrem Gesicht noch nicht verschwunden.
 

„Entschuldigung Torsten, natürlich klären wir dich auf. Als ich hier angekommen bin, sind wir auf dem Flughafen etwas unsanft zusammengestoßen und dann ins Gespräch gekommen, bis es Zeit war mich auf den Weg zu dir zu machen. Und jetzt haben wir uns hier zufällig eben wieder getroffen, denn ich denke mal Per möchte dir dein Haarband geben, dass du vermutlich mal wieder irgendwo hast liegen lassen. Ende der Geschichte.“
 

Verwirrt sah Per Lena an und die hob nur fragend die Augenbrauen.
 

„Was ist? Habe ich irgendetwas Wichtiges vergessen?“
 

Spontan wären Per da einige peinliche Dinge eingefallen, die Lena jedoch nicht wissen konnte, die Torsten aber sehr genau kannte. Immerhin hatte er ja mit ihm und Clemens über die Frau vom Flughafen gesprochen. Und das nicht zu knapp.
 

„Nein, ich habe mich nur gewundert, woher du das mit dem Haarband weißt, denn bisher bin ich noch nicht dazu gekommen es ihm zu geben.“
 

„Eigentlich würde ich jetzt ja sagen, dass ich Gedanken lesen kann, aber das wäre gelogen. Ich habe ganz einfach das Stirnband in deiner Hand gesehen und eins und eins zusammen gezählt. Da deine Haare nicht lang genug für eins sind und mein Bruder seine bevorzugt irgendwo verliert oder rum liegen lässt, war es also nur eine logische Schlussfolgerung.“
 

Verlegen kratze Per sich am Hinterkopf, denn Lenas Erklärung war verdammt logisch und ihm war es ein bisschen peinlich nachgefragt zu haben, auch wenn er so hoffte Torsten abgelenkt zu haben, aber wie auf dem platz, so hatte er sich auch hier festgebissen und ließ nicht locker.
 

„Aha, ihr habt euch also auf dem Flughafen kennen gelernt.“
 

Ein viel sagender Blick ging von Torsten in Pers Richtung, bevor er weiter sprach.
 

„Und wieso hast du mir nicht erzählt, dass du mit einem meiner Kollegen in einem Cafe saßt und ihr stundenlang geplaudert habt? Hätte mich theoretisch ja interessieren können.“
 

Frank Baumann sah seine Kollegen etwas verwirrt an, denn diese Worte passten so ganz und gar nicht zu der Taktik Lena Zeit zu lassen und sie nicht zu bedrängen. Dieses Verhalten war ja fast schon aggressiv.
 

„Ich habe dir nichts davon gesagt, weil ich erstens da gar nicht mehr dran gedacht habe sondern nur mit meiner Familie beschäftigt war und ich zum Zweiten gar nicht wusste, dass Per dein Kollege ist.“
 

Per, der neben Lena stand, war unheimlich nervös. So hatte er sein wieder sehen mit ihr nun auch nicht geplant. Bisher war Lena noch gar nicht aufgefallen, dass Torsten nähere Details über ihr Treffen wusste, die sie ihm eben gar nicht erzählt hatte, aber das konnte ja noch kommen und dann wäre das Chaos sicherlich perfekt.
 

Wie Per sich doch irren sollte, denn hinter ihm näherte sich unbemerkt von Torsten, Lena und Per Clemens Fritz, dem die Warterei mittlerweile auf die Nerven gegangen war und der nun selbst nach seinem Kollegen Ausschau halten wollte.
 

Wütend, dass Merte ihn so lange hatte warten lassen, obgleich er den Lutscher doch schon lange gefunden zu haben schien, stürmte Clemens auf die kleine Gruppe zu. Er hatte lange genug in den Katakomben gewartet und dass Per sich augenscheinlich hier draußen mit einer kleinen Blondine vergnügte, dämpfte seine schlechte Stimmung nicht gerade.
 

Gerade als er angekommen war, drehten sich alle Gesichter nach ihm um und sahen ihn fragend an, Clemens jedoch hatte nur Augen für eines, nämlich das der jungen Frau aus der Umkleidekabine, die neben Per stand und so noch kleiner wirkte.
 

Einem Impuls in sich nachgebend, machte der Außenverteidiger noch drei weitere Schritte und war dann ganz nah bei dir, so dass er ihren leichten Vanillegeruch wahrnehmen konnte. Auch heute sah sie wieder zum Anbeißen aus und er staunte nicht schlecht, dass sie ihm auch mit Kleidung gut gefiel. Ohne weiter nachzudenken überbrückte er die kurze Distanz zwischen ihnen und küsste sie leidenschaftlich auf den Mund, so wie er es bereits in der Umkleidekabine einmal getan hatte.
 

Erst nach einer kleinen Ewigkeit schien er sich von ihr zu lösen und grinste sie erwartungsvoll an.
 

To be continued?
 

Was sagt ihr zu Pers geturtel? Herz aller liebst, oder etwa nicht? Und Torstens Reaktion? Ich fand sie noch recht harmlos im Vergleich zu dem, was jetzt noch kommen könnte…

Wie denkt ihr wird Lena wohl diesmal reagieren? Vorschläge?

Freue mich wie immer über jeden, der fleißig einen Kommentar hinterlässt.

Kuschelkurs?!

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 


 

Im ersten Augenblick sah Lena Clemens einfach nur überrascht an. Ihr Gehirn konnte gar nicht so schnell die Geschehnisse verarbeiten, wie die Wut in ihr aufstieg und noch bevor sie die gesamte Situation, in der sie sich gerade befand, rational durchdacht hatte, hatte sie ihre Hand auch schon erhoben und sie mit aller Kraft auf Clemens’ Wange niedergehen lassen.
 

Man konnte das Klatschen deutlich hören und sofort zeichneten sich feuerrote Fingerabdrücke auf seiner Wange ab, doch bevor Fritz auch nur ein Wort sagen konnte, hatte Lena ihm schon die nächste Ohrfeige verpasst. Diesmal auf die andere Wange, damit der Herr wenigstens ein gleichmäßiges Muster vorzeigen konnte.
 

„Sag mal bist du jetzt komplett irregeworden? Mich einfach so zu schlagen? Wofür waren die verdammt noch mal?“
 

So eine Frage konnte in der entsprechenden Situation auch nur von Clemens Fritz kommen, der den Ernst der Lage wahrscheinlich wirklich nicht in Lenas Augen erkennen konnte. Die anderen hingegen sahen die aufgestaute Wut und Tim Wiese meinte nur ganz süffisant in Richtung seines blonden Kollegen:
 

„Du rüttelst ganz schön stark am Ohrfeigenbaum, mein Kleiner.“
 

Die Worte seines Kollegen brachten Clemens jedoch nicht dazu die Klappe zu halten, eher im Gegenteil, erwartungsvoll sah er Lena an und wartete auf eine Antwort, dabei blendete er die wutverzerrten Gesichter von Per und Torsten gelassen aus.
 

„Die eine war dafür, dass du mich ohne zu fragen geküsst hast und die zweite war dafür, dass du es schon wieder getan hast. Dummheit muss bestraft werden.“
 

„Ich weiß doch aber ganz genau, dass es dir gefallen hat. Und du hast dich nicht gewehrt.“
 

Ungläubig wandten sich acht weitere Augenpaare Clemens zu, der weiterhin Lena fixiert hatte und um sich herum nichts weiter wahrnahm. Die wiederum war von der Dreistigkeit dieses Schönlings wirklich geschockt. Wie interpretierte dieser Kerl denn sonst ihre Ohrfeigen, wenn nicht als massive Gegenwehr? Als freundliche Streicheleinheiten?
 

„Mistkerl!“
 

„Fritz, angenehm, aber wir hatten das Vergnügen ja schon einmal.“
 

Sein Ton ließ eindeutig die Doppeldeutigkeit seiner Worte durchblicken und jeder, der die Anspielung bis dahin noch nicht verstanden hatte, musste nur Clemens’ Augen folgen. Provokant ließ er seinen Blick über Lenas immer noch leicht geröteten Lippen gleiten, dabei zierte ein Grinsen sein Gesicht, das jeder Katze Ehre gemacht hätte.
 

Lena war nahe dran ihm noch mal gehörig eine zu scheuern. Aber nicht nur sie, auch Torstens Hand hatte sich zur Faust geballt und so langsam wusste er nicht, wie lange er sich noch würde beherrschen können. Für Lena hatte er sich die ganze Zeit ruhig verhalten, hatte an seiner Contenance gearbeitet und sich immer wieder eingeredet, dass sie alt genug war und für das alles eine ganz plausible Erklärung hatte, aber langsam zweifelte er daran. Erst der Streit zwischen Tim und Lena, dann die wunderbare Offenbahrung, dass sich sein langer Teamkollege ausgerechnet in seine kleine Schwester verliebt hatte und nun auch noch diese Kussattacke von Clemens. Irgendwann war es auch für den Lutscher zu viel. Und derzeit spielten alle anwesenden Männer mit Ausnahme von Frank Baumann mit dem Feuer. Ein ziemlich gefährliches Spiel, bei dem sich vor allen Dingen Clemens die Finger verbrennen würde.
 

„Ich sage doch Clemens, Vorsicht am Ohrfeigenbaum.“
 

Tim Wiese hatte zwar keine Ahnung gehabt, warum Per und Lena sich auf an hieb so gut verstanden hatten, aber die Sache zwischen Clemens und Lena verstand er sehr wohl. Dafür war er selbst einfach Macho und Mann genug. Und immerhin war sein Kollege eine kleine Klatschtante und jeder im Team wusste von seiner interessanten Begegnung in der Umkleidekabine und so, wie es derzeit aussah, stand sie direkt vor ihm. So, wie er Lena bisher erlebt hatte, würde es noch sehr, sehr amüsant werden und es freute Tim, dass diesmal nicht er das Ziel ihrer spitzen Zunge werden würde, sondern Clemens. Und es konnte keiner behaupten er hätte ihn nicht gewarnt. Also lehnte Tim sich zurück und genoss die Show.
 

„Ganz ruhig Tim, ich habe doch gar nichts gemacht.“
 

„Du meinst wohl auch um deinen Kopf kreist ein 500 Watt Heiligenschein, oder wie?“
 

Lenas Ton war aggressiv, jeder Idiot wäre mittlerweile in Deckung gegangen und hätte seinen Mund gehalten, doch trotzdem brachte Clemens ihr nicht mehr als ein lässig-laszives Grinsen entgegen, dass eher ins Schlafzimmer als auf einen öffentlichen Parkplatz gepasst hätte.
 

„Ach Süße, zieh’ die Krallen ein, du weißt doch, dass ich dein Prinz und dass du mich jetzt küssen-“
 

Weiter kam der Bremer Außenverteidiger nicht, denn ein wütender Torsten Frings schnitt ihm das Wort ab.
 

„ICH. WILL. JETZT. WISSEN. WAS. HIER. LOS. IST. Und zwar SOFORT!!!“
 

Überrascht sah Clemens zu seinen Vize-Kapitän und Kollegen, der vor Wut und wahrscheinlich auch Anstrengungen schon etwas rot angelaufen war und jetzt entschlossen in die Runde blickte. Selbst Clemens, der eben noch locker dagestanden hatte, schien unter den feurigen Blicken des Lutschers ein paar Zentimeter kleiner zu werden und nur Lena stand immer noch mehr oder weniger normal da. Auch ihr Atem ging schneller, ihr Herz pochte fast schmerzhaft gegen die Rippen und nur langsam beruhigte sie sich wieder. Das war heute einfach alles zu viel.
 

„Torsten, es gibt für das alles hier eine Erklärung.“
 

„Das will ich auch schwer hoffen, junge Dame, und wir machen uns jetzt sofort auf den Heimweg, da hast du mehr als genug Zeit mir zu erklären, was das hier bitte schön sollte.“
 

Ohne ein weiteres Wort oder einen weiteren Gruß an seine Kollegen stampfte Torsten zum Auto und zog eine eher verzweifelte Lena mit sich, die irgendwie erfolglos versuchte aus seinem eisernen Griff zu entkommen. So hatte sie sich ihren Aufklärungsnachmittag mit Torsten nun wirklich nicht vorgestellt und mit diesem arroganten Schönling hatte sie auch noch eine Rechnung offen. Was bildete der sich eigentlich ein?
 

Zurück blieben ein ziemlich verwirrter Clemens Fritz, ein wütender Per Mertesacker und ein höchst amüsierter Tim Wiese, dessen schlechte Laune nach einer zugegebenermaßen miesen Trainingseinheit wie weggewischt war. Frank Baumann war direkt hinter Torsten her und hatte sich den sicher kommenden Ausbruch der Jungspunde ersparen wollen. Er war zwar der Kapitän, aber so masochistisch veranlagt war er nun doch nicht. Deswegen hatte er auch nicht versucht seinen Freund, den Lutscher, zurückzuhalten, als dieser Lena zum Auto gezerrt hatte.
 

„Was war das denn gerade? Warum ist Torsten denn so abgegangen? Und wieso zum Teufel nimmt er die Kleine gleich mit? Habe ich irgendetwas verpasst?“
 

Ratlos sah Clemens seine beiden Kollegen an, die bisher noch stumm neben ihm den Abgang der fringsschen Geschwister beobachtet hatten.
 

„Ach Clemens, ich würde mal sagen, dass du dich gerade gewaltig in die Scheiße geritten hast.“
 

„Warum? Nur weil ich sie geküsst habe? Mein Gott, sie sollte nicht so empfindlich sein, immerhin hat es ihr gefallen, ich spüre es einfach, wenn es einer Frau gefällt. Diese Ohrfeigen waren doch bloß Fassade. Aber was hat sie eigentlich hier gemacht? Scheinbar kennt sie ja unseren Vize-Kapitän.“
 

„Gut kombiniert Fritz, du hast soeben deinen persönlichen VIP Eingang zur Hölle aufgestoßen, in dem du Torstens kleine Schwester direkt vor seinen Augen und vermutlich gegen ihren Willen abgeknutscht hast. Kannst du dir auch nur ansatzweise vorstellen, wie der Fringser reagieren wird, wenn er dich erstmal in die Finger bekommt? Ich würde an deiner Stelle zusehen, dass ihr in nächster Zeit nicht allein seid.“
 

Clemens’ Gesichtsausdruck in diesem Moment war für Tim zumindest unbezahlbar, da Per nicht so wirklich auf seinen Freund achtete. Seine Blicke galten immer noch dem langsam verschwindenden Auto der Frings’. Er konnte das alles noch gar nicht so schnell einordnen, was da gerade eben vor seinen Augen geschehen war. Zu viele Informationen in einem viel zu kurzen Zeitraum. Als Clemens angekommen war, war er selbst noch so in Gedanken bei der Tatsache gewesen, dass Torsten nun eins und eins zusammenzählen würde und wüsste, dass seine kleine Schwester Lena die wunderbare Frau vom Flughafen war und während er noch an die möglicherweise furchtbaren Konsequenzen gedacht hatte, war sein Freund einfach neben ihm aufgetaucht und hatte Lena geküsst. Er hatte sie geküsst, auf den Mund, ohne irgendetwas! Und Lena hatte ihm dafür zwei saftige Ohrfeigen verpasst. Aber warum tat Clemens so etwas? Und wieso schien es nicht das erste Mal zwischen den beiden zu sein.
 

’Normalerweise weist keine Frau Clemens ab, eine Abfuhr gibt es in seiner Welt nicht. Die Einzige, die das bisher gewagt hat, war die Frau aus der Umkleidekabine. Aber die-’
 

Da fiel auch bei Per der Groschen, was diese ganze Küsserei und auch der Spruch mit dem Prinzen so auf sich hatte. Lena, die er am Flughafen kennen gelernt hatte, musste dieselbe Frau sein, die Clemens auf der Flucht vor übereifrigen Fans in der Umkleidekabine überrascht und geküsst hatte. Es konnte gar nicht anders sein.
 

Sein Freund und er hatten sich beide in dasselbe Mädchen verliebt, wenn man bei Clemens überhaupt von solchen Gefühlen sprechen konnte, denn bisher war es immer eher das Verlangen nach Spaß gewesen und nicht nach einer stabilen, festen Beziehung.
 

’Aber was ist, wenn es diesmal anders ist? Andere Frauen hat er sonst schon wieder vergessen, Lena küsst er einfach so noch mal. Clemens schaltet doch sonst nicht spontan sein Hirn aus. Und sie hat sich wirklich erst hinterher gewehrt, was, wenn sie es doch genossen hat? Was, wenn sie Clemens insgeheim doch genauso toll findet wie alle anderen Frauen? Was dann?’
 

Fragen über Fragen schwirrten in Pers Kopf herum und er wusste wirklich nicht, wie er gerade mit seinem besten Freund umgehen sollte, denn da war immer noch diese Mordswut in seinem Bauch, die bisher noch nicht nachgelassen hatte.
 

Davon bemerkte Clemens relativ wenig, denn sein Blick galt gerade einzig und allein Tim, der locker und sichtlich amüsiert vor sich hin grinste. Seine Neuigkeit war eingeschlagen wie eine Bombe und das spiegelte sich in Clemens’ Gesichtszügen eindeutig wieder. Die Kinnlade wäre ihm wahrscheinlich auf den Fuß gefallen, wenn sie nicht angewachsen gewesen wäre.
 

Tim hatte eigentlich erst erwartet, dass er beim Fringser bis in die Steinzeit und noch drei Steine weiter verschissen hätte, weil er es gewagt hatte seinem kleinen Engel solche bösen Dinge an den Kopf zu werfen, aber der Außenverteidiger hatte ihm diese Sorge definitiv abgenommen, so wie Torsten abgerauscht war. Der würde sich wegen ein paar Worte keine Gedanken machen, eher wegen der Küsse des Herrn Fritz.
 

„Sag das bitte noch mal ganz langsam zum Mitschreiben, denn ich glaube, ich habe mich da eben irgendwie verhört.“
 

Es war jedoch nicht Tim, der ihm antwortete, sondern per, der versuchte so neutral wie möglich zu klingen, was ihm sichtlich schwer fiel, da seine Stimme leicht zitterte.
 

„Nein, du hast dich nicht verhört, das war eben Torstens kleine Schwester Lena, die du vor allen Leuten mitten auf dem Parkplatz abgeschlabbert hast.“
 

Ungläubig sah Clemens seine n Freund an, der ihm jedoch nicht in die Augen sah, sondern seine Schuhspitzen fokussiert hatte.
 

„Irgendetwas stimmt hier trotzdem nicht, was ist los? Nur, weil das Torstens Schwester war, musst du mich nicht so furchtbar böse anschauen, als hätte ich dir gerade deine Prinzessin unter der Nase weggeschnappt, Per.“
 

Das war zu viel für den langen Innenverteidiger. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und verließ den Parkplatz in Richtung Tiefgarage, wo sein Wagen stand. Seine Sachen hatte er dabei schon längst vergessen.
 

„Sag mal Tim, was habe ich denn nun schon wieder falsches gesagt? Ich weiß zwar, dass unser lieber Per empfindlich ist, aber so…“
 

„Tja, das könnte wohl daran liegen, dass er sich bis zu deinem Auftritt noch ziemlich gut mit ihr unterhalten hat und du ihn dabei so ein bisschen gestört hast.“
 

„Meine Güte, der soll sich nicht so anstellen, es war ja immerhin nicht die Frau vom Flughafen, mit der er sich unterhalten hat, sondern nur Torstens Schwester.“
 

„Sagtest du da gerade Flughafen?“
 

„Ja, wieso?“
 

„Weil Lena etwas in der Richtung erwähnt hatte. Auf Torstens nachfrage hin, woher sie sich kennen, meinte sie nur, dass sie sich vor kurzem am Flughafen kennen gelernt hätten.“
 

Im ersten Moment musste Clemens die Augen schließen. Dann kniff er sich selbst leicht in den Oberarm, was ihm von Tim einen komischen Seitenblick einbrachte. Das hier war gerade selbst für ihn ein bisschen zu viel. Er hatte ja mit einigem gerechnet, aber das? Heilige Scheiße, jetzt verstand er natürlich auch Pers nicht mehr ganz so übertriebene Reaktion auf seinen kleinen Spruch eben.
 

„Ich glaube, wir stecken hier ganz tief in der Scheiße.“
 

„Japs, ich denke mal, das kannst du laut sagen, aber wie heißt es doch so schön: Wenn man bis zum Hals in der Scheiße steckt, soll man den Kopf nicht hängen lassen.“
 

Mit einem letzten kurzen Gruß zum Stammtorwart der Bremer machte sich nun auch Clemens aus dem Weg. Er musste Per finden und mit ihm reden. Er wollte das unbedingt klären, nicht, dass noch ihre Freundschaft den Bach runter ging wegen einer Frau, an diese beide aller Wahrscheinlichkeit nach sowieso nicht herankamen, weil ihr großer Bruder sie besser beschützte als die Area 51.
 

Die erste Zeit herrschte Schweigen im Auto der Frings’ als sie den Parkplatz verließen und sich in den täglichen Verkehr Bremens einfädelten. Immer wieder wechselte der Lutscher die Spur und drückte lautstark die Hupe, wenn der Verkehr sich nicht sofort so bewegte, wie er es haben wollte. Es schien fast, als ließe er all seine Wut und all seinen Frust am Auto aus, jedoch ohne ein einziges Wort zu sagen und Lena war froh darüber, dass sie sich erst einmal sammeln konnte. Doch dann riss Torsten der Geduldsfaden und er fragte unfreundlicher als eigentliche beabsichtigt:
 

„So und nun erklär mir bitte einmal, was das da gerade auf dem Parkplatz war.“
 

Auch wenn Torsten das kleine Wörtchen „Bitte“ verwendet hatte, so wusste Lena doch aus langjähriger Erfahrung mit ihrem Bruder, dass er sie nicht eher in Ruhe lassen würde, bis sie ihm die ganze Wahrheit erzählt hatte und in diesem Fall konnte das eine verdammt lange Geschichte werden. Zu mehr würden sie sicherlich nicht kommen und so, wie sie seine Laune derzeit einschätzte, waren andere, pikante Details aus ihrer Vergangenheit auch gerade nicht angebracht.
 

„Tja, wo soll ich da bloß anfangen?“
 

„Am Anfang.“
 

In solchen kurzen Antworten zeigte sich Torstens schlechte Laune schon seit Jahren, daher wusste Lena ganz genau, dass sie jetzt am besten sprechen sollte, wenn sie nicht einen ausgewachsenen Wutausbruch ihres Bruders bezeugen wollte.
 

„An dem Tag, an dem ich zu dir bin, kam der Flug irgendwann sehr früh morgens an, ich wollte euch noch nicht wecken, deswegen stand ich da erstmal auf dem Flughafengelände um und Per hat mich aus Versehen anrempelt und dann-“
 

Unwirsch fiel Torsten ihr ins Wort.
 

„Den Teil der Geschichte kenne ich schon in allen Details, danke, ich will wissen, was das mit Clemens war. Und Tim.“
 

Bei dieser miesen Laune kam Lena gar nicht dazu sich zu wundern, woher ihr Bruder diesen Teil der Geschichte schon kannte, weil sie sich eher beeilte schnell weiter zu sprechen um Torsten nicht noch unnötig weiter zu reizen.
 

„Als ich mit Petra zusammen einkaufen war, hat dieser Clemens mich in der Umkleidekabine überrascht und geküsst. Und was da sonst noch war, hast du ja eben live miterlebt. Dieser Kerl ist einfach nur eine gottverdammte Landplage. Ende der Geschichte. Und mit diesem Tim habe ich nur angefangen zu diskutieren, weil er der Meinung war, dass ich mich an einen verheirateten Mann, also dich, heranmachen wollte mit meinem seiner Meinung nach billigen Outfit und so etwas habe ich mir von diesen Macho einfach nicht sagen lassen. Da gab dann halt ein Wort das andere. Zufrieden, großer Meister?“
 

Am liebsten hätte Torsten sie angeschrieen, dass er bei weitem noch nicht zufrieden war und er eher das Gefühl hatte, innerhalb dieser letzten Jahre seine kleine Schwester vollkommen verloren zu haben, als dass sie sich „nur“ weiterentwickelt hätte. In Augenblicken wie diesen fragte der Lutscher sich sogar, ob sie sich wirklich noch kannten oder ob sich mit der Zeit nicht eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen aufgebaut hatte. Sie war einfach nicht mehr das kleine Mädchen, das mit 16 Jahren das Haus seiner Eltern verlassen hatte. Die Frau, die neben ihm saß, das hatte Torsten heute eindrucksvoll vor Augen geführt bekommen, hatte ganz neue Charakterzüge an sich, die er von seiner Schwester nicht kannte. Und an deren Entstehung er nicht aktiv beteiligt war.
 

Verstrickt in ihre Gedanken sagte keiner von beiden ein weiteres Wort bis sie an der Villa der Familie Frings angekommen waren. Ebenso schweigsam betraten sie das Haus und während Torsten sich gleich in seinen Hobbykeller zurückzog um den aufgestauten Frust loszuwerden, fiel Lena Petra in die Arme und schluchzte leise los.
 

To be continued…
 

Tja, das hier ist bis jetzt das längste Kapitel der Story, wie fandet ihr es? Ich war ja gerade mit dem ende nicht besonders zufrieden, aber naja... Ehrliche Kommentare zu den Dialogen und natürlich bitte wie immer Spekulationen…

Stark

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Lena spürte die warme Hand ihrer Schwägerin auf ihrem Rücken und in der Umarmung fühlte sie sich wohl und geborgen. Sie hielt ihre Augen geschlossen und versuchte für den Moment das Gefühl zu genießen, das sich langsam aber stetig in ihr ausbreitete. Wie lange hatte sie schon niemand mehr so umarmt? So völlig ohne Hintergedanken, jemand, dem einfach nur daran gelegen war, dass es ihr wieder besser ging. Wie lange war das her? Wann hatte sie all den Menschen, die sie so bedingungslos liebten, den Rücken gekehrt? Und vor allen Dingen: Warum hatte sie sie verlassen?
 

Einen Augenblick versuchte Lena die hässliche, grausame Wahrheit auf Distanz zu halten, aber wer sich selbst solche Fragen stellte, musste damit rechnen, das die Antwort nicht angenehm war. Das sie sogar unter Umständen wehtun würde. So wie in diesem Moment, in dem der Schmerz und die Gewissheit Lena fast die Kehle zu schnürten. Sie hatte die Antwort gewusst und die Frage trotzdem gestellt, war das jetzt töricht und dumm oder mutig, weil es der erste Schritt zur Selbsterkenntnis war? Im Grunde genommen war es egal, denn es tat vor allen Dingen weh. Und wenn man litt, wollte man lieber nicht allein sein.
 

„Danke, dass du da bist, Petra.“
 

Es waren schlichte, einfache Worte, aber zu mehr war die junge Frau derzeit nicht fähig und Petra verstand auch ohne große Reden, dass es jetzt an der Zeit war, einmal mit Lena über ihre Vergangenheit zu reden, denn scheinbar hatte ihr irgendetwas gerade ziemlich zugesetzt, so dass sie jetzt kraftlos fast in ihrem Armen lag.
 

„Gern geschehen, Lena.“
 

Vorsichtig brachte Petra ihre Schwägerin ins Wohnzimmer und machte sich selbst auf den Weg in die Küche um Lena und sich selbst einen schönen heißen Kakao zu zubereiten, denn egal was geschehen war, in Lenas Welt, das wusste Petra, gab es nichts, was so gut half wie ein Becher heißen Kakaos.
 

Lena saß indes im Wohnzimmer ihres großen Bruders und versuchte sich so klein zu machen wie irgendwie möglich. Die Beine hatte sie an die Brust gezogen und umschlang sie mit ihren Armen. Den Kopf hielt sie gesenkt, die Augen verschlossen. Immer wieder tauchte vor ihren Augen Torstens wütender, enttäuschter Gesichtsausdruck auf und sie tat alles um diese Bilder aus ihren Gedanken zu verbannen. Sie versuchte auf ihren eigenen Herzschlag zu hören und fragte sich zum wiederholten Male, wie ihr Leben so hatte außer Kontrolle geraten können. Gerade bei ihr, die eigentlich immer alles weitestgehend unter Kontrolle hatte, sie, die genau deswegen so gut wie nie Alkohol trank, da er die Menschen dazu brachte die Kontrolle zu verlieren. Hier saß sie nun und wusste nicht mehr genau, wo oben und wo unten war.
 

Aber sie war normalerweise nicht der Mensch, der den Kopf in den Sand steckte und jammerte, das war nicht ihr Stil, das war nicht ihre Art und so ließ sie ihre Beine los und setzte sich normal aufs Sofa. Langsam fühlte sie, wie sich auch ihr Puls wieder beruhigte und nach mehrmaligen heftigen Schlucken löste sich auch langsam der Kloß in ihrem Hals. Es wurde wieder leichter zu atmen, leichter aufrecht zu sitzen und den Kopf gerade zu halten. Eine stolze, unnachgiebig Haltung. Streng mit sich selbst, so war Lena die vergangen Jahre mit sich umgegangen. Sie hatte sich damals, in Mailand, geschworen niemals wieder aus menschlicher Schwäche heraus zu weinen. Nie wieder. Sie wollte nicht mehr leiden, in Selbstmitleid versinken und zulassen, dass andere ihr Leben bestimmten. Sie war alt genug und stark genug um sich nicht mehr weinend in eine Ecke zu verziehen und die Wunden zu lecken. Bisher hatte sie sich an dieses Versprechen gehalten und auch wenn sie eben in Petras Armen mit ihrem Schluchzen nahe dran gewesen war diesen Schwur zu brechen, so hatte sie es doch nicht getan. Sie war stark geblieben und würde es auch bleiben. Eisern hatte Lena ihre Gefühle wieder unter Kontrolle und so versuchte sie es mit einem leichten lächeln, als Petra mit zwei dampfenden Tassen das Wohnzimmer betrat.
 

„So, hier erstmal dein Kakao. Und dann erzählst du mir ganz langsam, was passiert ist und warum mein Mann gerade wie wild in den Keller gestürmt ist um dort wer weiß was zu tun.“
 

Es war Petras ruhige, mütterliche Art, die Lena dazu brachte ihre Abwehrbastionen, die sie sorgfältig um sich errichtet hatte, ein wenig zu senken und ihr von den Geschehnissen des Vormittages zu berichten.
 

„Ich stand einfach so da und habe auf Torsten gewartet, als da auf einmal ein braun gebrannter Kerl mit einer ziemlich großen Klappe auf mich zu kam und mich dämlich von der Seite angemacht hat, als ich ihn Fragen wollte, wo Torsten denn steckt.“
 

„Das wird dann wohl deiner Beschreibung nach Tim Wiese gewesen sein.“
 

Einen Augenblick überlegte Lena, ob sie diesem Namen heute schon einmal gehört hatte und tatsächlich klingelte da etwas bei ihr.
 

„Ja, ich glaube so heißt er auch.“
 

Petra lächelte ihre Schwägerin leicht an. Es war ja mal wieder klar gewesen, dass Tim da seine Finger im Spiel hatte. Aber wenn sie nur mit Tim aneinander geraten war, dann war noch nichts zu spät, das würde sich schon wieder einrenken lassen. Der Werder Torhüter war zwar immer aufbrausend und wusste selten, wann es vielleicht besser war den Mund zu halten, aber trotzdem mochte Petra ihn. Sie verstanden sich gut und man konnte mit ihm zeitweise sogar wunderbar unterhalten, auch wenn das einige nicht glauben wollten. Also versuchte sie ihn ein wenig vor Lena zu verteidigen, immerhin konnte es ja eigentlich nicht allzu schlimm gewesen sein, denn normalerweise war Tim nur grob zu Menschen, die er kannte und gegen die er eine ausgeprägte Antipathie hegte, nicht aber gegenüber ganz normalen jungen Frauen, die ihm nur eine kleine Frage gestellt hatten.
 

„Mach dir nichts draus, Lena, Tim ist für seine unüberlegten Äußerungen bekannt. Er trägt halt manchmal seine Gedanken auf der Zunge und spricht ohne vorher darüber nachzudenken, ob er seinen Gegenüber vielleicht verletzt, aber im Grunde genommen hat er sein Herz am rechten Fleck.“
 

Zweifelnd sah Lena zu ihrer Schwägerin. Es schien fast, al ob sie von verschiedenen Menschen sprechen würden. Doch sie entschied sich diese Bemerkung einfach zu übergehen und weiter zu erzählen.
 

„Torsten hat dann halt mitbekommen, wie wir uns so die ein- oder andere Nettigkeit an den Kopf geworfen haben. Einige Treffer landeten da dann doch schon mal unter der Gürtellinie, weil er anscheinend verdammt angepisst war und meine Laune mittlerweile auch nicht mehr hitverdächtig war, da gab halt ein Wort das andere. Klar, hat Torsten das nicht gefallen, aber das war ja alles noch ganz harmlos. Dann kam Per an und wollte ihm sein Stirnband wieder geben, dass er anscheinend irgendwo hat liegen lassen.“
 

Mit einer ausladenden Handbewegung deutete Lena den Raum an, wo ihr werter Herr Bruder seine Sachen verteilt zu haben schien.
 

„Das ist ja mal wieder so typisch für meinen Mann: Überall lässt er seine Klamotten rum fliegen und erwartet von allen anderen, dass sie ihm seine Sachen hinterher schleppen, nur, weil ich es hier zu Hause aus Versehen einmal angefangen habe. Ich könnte mich immer noch Ohrfeigen, dass ich es ihm einmal habe durchgehen lassen, seitdem macht er es ständig. Aber eine kleine Zwischenfrage: Woher kennst du Per?“
 

Ein wenig verlegen blickte Lena in ihre Kakao-Tasse und suchte fieberhaft nach einer passenden, unverfänglichen Antwort, ohne gleich wieder Lügen zu müssen. Das hatte ihre Schwägerin nicht verdient, die sich ihr als Fels in der Brandung anbot und an dem sie sich dankend festgeklammert hatte. Nein, Lena wollte Petra wirklich nicht belügen, schließlich kannte Torsten die ganze Geschichte. Es hätte keinen Sinn, es wäre eine nutzlose Lüge, nur um des Lügens Willen. Diesen Impuls verspürte sie in letzter Zeit ständig, wahrscheinlich, weil ihr das Lügen schon so in Fleisch und Blut übergegangen war, dass sie es jetzt nicht einmal mehr bewusst wahrnahm, wenn sie wieder die Wahrheit etwas verdrehte. Das war einer der vielen Nachteile, die man hatte, wenn man zu seinen Freunden nicht mehr ehrlich sein konnte. Man gewöhnte sich zu sehr ans Lügen.
 

„Wir haben uns bei meiner Ankunft zufällig am Flughafen kennen gelernt, wobei ich ehrlich gesagt zu geben muss, dass ich damals noch nicht wusste, dass ich mit Per Mertesacker, Torstens Kollegen, einen Kakao trinken war.“
 

„Aha. Und was hat Torsten daran nun so aufgeregt? Dann kennst du Merte halt schon und hast dich mit Tim ein wenig gehabt, mein Gott, ist doch kein Weltuntergang.“
 

Ratlos sah Petra zu der jungen Frau und wunderte sich immer mehr über das Verhalten ihren Gatten. Alles sehr merkwürdig und irgendwie wurde sie auch das Gefühl nicht los, dass es da noch mehr gab, was Lena ihr noch nicht erzählt hatte.
 

„Es geht ja noch weiter. Und du hast eben schon ein verdammt gutes Wort für das, was dann geschehen ist, gebraucht.“
 

Einen Augenblick musste Petra nachdenken, bis ihr einfiel, was dann geschehen sein könnte. Entsetzt sah sie ihre Schwägerin an.
 

„Du möchtest mir doch jetzt nicht ernsthaft erzählen, dass du unserem lieben, langen Merte eine Ohrfeige verpasst hast, oder? Unseren Teddyper schlägt man nicht Lena, der tut doch keinem was.“
 

Leise lachte Lena auf und zum ersten Mal seit ihrem Streit mit Torsten war es ein ehrliches Lachen, das ihr sehr gut tat. Es wirkte befreiend, denn der Gedanke, wie sie sich zu Per hinaufstrecken würde, um überhaupt erst einmal an sein Gesicht zu kommen, war einfach zu köstlich. Wirklich komisch. Und dann auch noch Petras Name für den langen Innenverteidiger. Sie musste sich einfach verhört haben.
 

„Wie hast du ihn gerade genannt?“
 

„Teddyper.“
 

Nun ja, da hatte sie sich wohl doch nicht verhört. Ihre Schwägerin hatte diesem Mann wirklich einen Spitznamen gegeben, der doch sehr stark an der Wort „Teddybär“ erinnerte und die waren ja bekanntlich knuffig, pelzig, braun und vor allen Dingen: klein!
 

Und in diese Kategorie konnte Lena Per nun beim besten Willen nicht einordnen. Knuffig, ja definitiv, damit kannte sie leben, braun nur bedingt, eigentlich wirkte er eher etwas blass, aber so hätte sie wahrscheinlich auch ausgesehen, wäre sie nicht in den letzten Jahren ständig von warmer Sonne beschienen worden. Zu pelzig konnte sie sich bisher noch kein urteil erlauben, aber das, was sie bisher von ihm gesehen hatte, ließ nicht darauf schließen, dass Per noch irgendwo einen Pelz unter seinem Trikot versteckt. Hoffte Lena zumindest. Und einen Mann von fast zwei Meter Größe als klein zu bezeichnen war eher ein schlechter Scherz als eine Tatsache. Was war sie denn dann mit ihren 165 cm bitte schön, ein Zwerg?
 

„Wow, wenn man sich vorstellt, wie groß dieser „Teddyper“ ist, finde ich den Namen komisch, aber andererseits passt es zu ihm. Und nein, keine Panik Petra, ich habe Per nicht geschlagen, wieso sollte ich einen Mann hauen, der so einen umwerfenden Hundeblick hat wie er?“
 

Beide Frauen grinsten sich an und es brauchte kein Genie um zu erkennen, dass die Beiden gerade Pers sanftes Lächeln vor Augen hatten.
 

„Ja, aber wen hat es dann erwischt? Doch nicht etwa Tim, oder?“
 

„Nene, bei dem konnte ich mich gerade noch zusammen reißen, aber auch nur, weil Torsten daneben stand und ich keine Szene riskieren wollte.“
 

„Und wer hat dich nun letztendlich so wütend gemacht, dass du die Beherrschung verloren hast?“
 

Petra war gespannt, wer ihre Schwägerin so aus der Reserve locken konnte, damit sie vor Torsten die Beherrschung verlor und gedankenlos einfach mal Ohrfeigen austeilte. Bisher hatte sie Lena immer nur äußerst beherrscht und reserviert erlebt, sie schien nicht der Typ Frau zu sein, der problemlos austeilte, auch wenn Petra sich durchaus bildlich vorstellen konnte, wie Lena ausgeholt hatte.
 

„Erinnerst du dich noch an unsere kleine Shopping Tour kurz nach meiner Ankunft?“
 

„Klar.“
 

„Und weißt du auch noch, dass mich da dieser unverschämte Kerl in der Umkleidekabine überrascht und geküsst hat?“
 

Keine Sekunde nachdem Lena ihre Frage ausgesprochen hatte, breitete sich ein Grinsen auf Petras Gesicht aus. An ihre erste Shoppingtour in Bremen erinnerte sich die Spielerfrau noch lebhaft. Immerhin hatte sie ihre Schwägerin damals erstmal beruhigen müssen, nachdem ihr irgend so ein notgeiler Heini zu nahe getreten war.
 

„Sicher, wie sollte ich das vergessen, dein Gesichtausdruck war einfach zu köstlich.“
 

„Tja, du hast mir gesagt, dass ich ihn wahrscheinlich nicht wieder sehen werde, Pustekuchen. Während ich mich lieb mit Per unterhalt und nichts Böses ahne, stürmt dieser Verrückte auf einmal auf mich zu, reißt mich in seine Arme und küsst mich. Vor versammelter Mannschaft, sprich Torsten, Tim, Per und Frank. Kannst du dir das vorstellen?!“
 

Überrascht sah Petra ihre junge Schwägerin an, die mittlerweile, nach ihrer Gesichtsfarbe und ihrem empörten Ausdruck in den Augen, schon fast wieder so aufgeregt sein musste, wie bei dem Vorfall selbst.
 

„Wie heißt denn der Glückliche? Sag jetzt bitte nicht, dass er auch einer von Torstens Kollegen ist, bitte nicht.“
 

Innerlich betete Petra, dass der Kerl, den sie eben noch für einen notgeilen Heini gehalten hatte, nur ein verrückter Fan war und kein Teammitglied des SV Werder Bremens. Aber ihre Gebete wurden nicht erhört, denn Lena nickte nur bedauernd.
 

„Doch, Clemens Fritz.“
 

Petra konnte sich mittlerweile Torstens Reaktion mehr als nur bildlich vorstellen. Vor ihren Augen spielte sich das ganze Drama noch einmal ab und so, wie sie es sich vorstellte, entbehrte es trotz allem nicht einer gewissen Komik, gerade wenn sie an ihren beschützerischen Mann dachte. Armer Torsten! Erst musste er zusehen, wie sich sein kleines Prinzesschen mit seinem Torhüter stritt, dann fand er überraschend heraus, dass sie einen seiner Kollegen kannte und zum krönenden Abschluss kam auch noch Clemens, notorischer Weiberheld und für seine vielen Affären bekannt, und küsste sie öffentlich. Zum Glück hatte Lena ihm nichts von der Geschichte in der Umkleidekabine erzählt, denn dann, da war Petra sich sicher, würde ihr Mann Clemens bei der nächst besten Gelegenheit einmal deftig in den Hintern treten. Auch wenn die Situation immer noch komisch erschien.
 

„Ja ja, unsere kleinen Prinzen sorgen schon dafür, dass keine Langeweile aufkommt.“
 

Verständnislos blickte Lena zu Petra, die mit überkreuzten Beinen konzentriert in ihren Kakao-Becher sah. Man konnte ihr deutlich anmerken, dass sie sich ihr Grinsen verkneifen musste.
 

„Du kannst ruhig lachen, ich weiß ja selbst, dass der Anblick für alle anderen einmalig gewesen sein muss, aber trotzdem. Und wen meinst du eigentlich mit den „kleinen Prinzen“? Ich habe da nur große Idioten gesehen, na ja, mal abgesehen von Frank, Torsten und Per.“
 

„Wir nennen Per und Clemens immer unsere kleinen Prinzen, keine Ahnung warum. Merte vielleicht etwas weniger, aber Clemens dafür umso mehr. Denn in manchen Beziehungen ist er echt verwöhnt wie ein kleiner Prinz.“
 

Lenas erste Reaktion darauf war ein Schnaube, denn wenn sie es so sah, passte der Spitzname tatsächlich. Allein seine Anmache schon, da hatte er ihr ja dasselbe erzählen müssen. Fürchterlich! Aber jetzt wusste sie wenigstens, woher diese Idee kam. Trotzdem konnte sie sich eine Frage nicht verkneifen:
 

„Und kleine Prinzen kriegen immer was sie wollen?“
 

Petra lachte schallend auf und auch Lena konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
 

„Ja, so ungefähr. Aber kleine Prinzen tun nicht immer, was sie sollen. Auf der Suche nach dem Leben tun sie alles was gefällt, weil doch jeder Prinz sich eben für den größten König hält.“
 

Zustimmend nickte Lena. Dem war im Grunde genommen nichts mehr hinzu zufügen. Schweigen senkte sich über das Wohnzimmer und beide Frauen versanken für einen Moment in ihren Gedanken und ließen das erzählte Revue passieren.
 

„So ungefähr verstehe ich jetzt, warum Torsten so wütend abgerauscht ist.“
 

„Das ist ja schön für dich, ich verstehe es nämlich nicht. Was hat sich mein lieber, großer Bruder denn bitte schön dabei gedacht? Noch bevor ich diesem vermeintlichen Prinzen ordentlich die Meinung geigen konnte, zieht er mich weg, setzt mich ins Auto und bringt mich hierher.“
 

Wieder brauchte Petra nicht besonders viel Fantasie um sich die Szenerie bildlich vorzustellen. Eine wütende, aufgebrachte Lena, ein unverschämt grinsender Clemens und ein schäumender Lutscher. Zu gern wäre sie dabei gewesen. Dann wäre die Situation vielleicht auch nicht so eskaliert.
 

„Ihm ist die Situation entglitten und da hat er das einzige gemacht, was ihm einfiel: Dich in Sicherheit bringen. Er will doch nur das Beste für dich, er möchte dich beschützen und in diesem Augenblick hat halt sein Großen-bruder-komplex eingesetzt.“
 

„Ich bin doch aber keine 16 mehr, Petra. Ich bin 24, das sollte auch Torsten langsam mal verstehen.“
 

Lenas Stimme klang mittlerweile nicht mehr wütend und aufgebracht, sondern eher ein wenig traurig und resigniert. Anscheinend ging ihr Torsten Reaktion doch näher als erwartet.
 

„Das tut er ja auch. Meistens zumindest. Aber manchmal gehen wohl die Pferde mit ihm durch, da schießt er über das Ziel hinaus, aber er meint es ja nur gut, glaub mir Lena, sei ihm nicht böse deswegen.“
 

„Ich bin ihm ja deswegen auch gar nicht böse. Klar bin ich wütend, dass er mich die Sache nicht hat alleine regeln lassen, aber das bin ich ja nicht anders von ihm gewohnt, viel schlimmer war sein Gesichtsausdruck während der Fahrt, Petra.“
 

Einen Moment schwieg Lena um sich zu sammeln und diesmal sprach sie mit etwas brüchiger Stimme weiter.
 

„Die meiste Zeit haben wir nur geschwiegen. Es war schrecklich. Torsten und ich schweigen uns nicht an. Haben wir noch nie. Wir schreien uns an, wir hauen uns gegenseitig die Köppe ein, aber wir schweigen nicht einfach. Und dann dieser traurige Blick. Wie er so starr auf die Straße gesehen hat. Als würde er krampfhaft versuchen an etwas Anderes zu denken. Als versuchte er alles zu tun, um seine Enttäuschung runter zu schlucken. Um mir nicht ins Gesicht sehen zu müssen und zu erkennen, dass ich nicht der Mensch geworden bin, auf den er stolz sein kann. Verstehst du Petra, ich habe Torsten enttäuscht.“
 

Die Spielerfrau konnte die Verzweifelung im Blick ihrer Schwägerin sehen und fragte sich, warum sie sich so sicher war, dass sie Torsten enttäuscht hatte. Und warum es ihr so nahe ging, denn so, wie Petra ihren Mann kannte, würde in ein paar Stunden und nach einem klärenden Gespräch zumindest zwischen den beiden wieder alles in Ordnung sein. Wie es da bei Clemens aussah, darüber wollte sie lieber nicht spekulieren, denn das Donnerwetter, das ihn für diese Aktion erwarten würde, war bestimmt nicht von schlechten Eltern.
 

„Lena, sieh mich an: Du hast Torsten nicht enttäuscht, höchstens überrascht, weil er diese Art von dir nicht gewohnt ist. Und womöglich auch ein bisschen verwirrt, immerhin habt ihr euch lange nicht mehr gesehen und du hast dich in den vergangenen Jahren auch weiterentwickelt, nicht nur körperlich. Du hast Erfahrungen gemacht, an denen Torsten nicht beteiligt war und von denen er jetzt nichts weiß, weil du ihm nie davon berichtet hast. Er versteht es nicht. Aber egal was auch geschehen mag, eines darfst du niemals in Zweifel ziehen: Torsten wird immer stolz auf dich sein. Du kannst ihn gar nicht enttäuschen.“
 

Wieder schwieg Lena und dachte über Petras Worte nach. Tief im innern wusste sie, dass ihre Schwägerin Recht hatte. Es musste wirklich schwer für ihren Bruder sein ihre neue, veränderte Art zu verstehen, wo er doch nicht wusste, warum sie sich teilweise wirklich so drastisch verändert hatte. Sie hatte sich ja auch immer ausgeschwiegen über die unangenehmen Ereignisse, schwieg ja selbst jetzt noch über den Grund ihres Kommens. Petras nächsten Worte rissen Lena aus ihren Gedanken.
 

„Lena, ich will dich nicht zu sehr bedrängen, aber eine Frage liegt mir schon seit deiner Ankunft hier im Magen und ich weiß, dass Torsten mir die Antwort nicht geben kann oder geben will, deswegen dachte ich mir, dass du mir unter Umständen helfen kannst.“
 

Erschrocken sah Lena zu Petra. Wollte ihre Schwägerin jetzt etwa den wahren Grund hören, warum sie hier war? Sollte jetzt der Augenblick sein, in dem die Wahrheit auf den Tisch kam? Ungeschönt und ehrlich? War sie dazu schon bereit? War Lena bereit auszusprechen, warum es so gekommen war, wie es jetzt war?
 

Innerlich sträubte Lena sich gegen die unvermeidlichen Lügen, wenn sie diese Frage für sich selbst jetzt verneinte. Aber die Alternative bereitete ihr noch mehr Unbehagen. Darüber reden zu müssen, allein diese Vorstellung trieb ihr Schweißperlen auf die Stirn. Andererseits konnte sie Petra vertrauen und war es ihr eigentlich in gewisser Weise sogar schuldig, aber jetzt noch nicht.
 

„Ich frage mich schon die ganze Zeit, warum du damals von zu Hause weggegangen bist. Und dann auch noch ins Ausland. Du hattest doch bei deinen Eltern alles, was du dir wünschen konntest und jedes normale Mädchen wäre mit 16 niemals in ein fremdes Land gegangen um zu studieren, dass muss doch einen Grund gehabt haben. Torsten spricht nicht darüber, er macht sofort dicht, wenn ich ihn etwas in diese Richtung fragen will. Er murmelt höchstens etwas in der Art „Es war alles meine Schuld“ und schweigt dann den ganzen Abend. Er macht sich wirklich Vorwürfe und wenn er sich dann so einigelt, weiß ich nicht, wie ich ihm helfen soll, weil ich ja nicht weiß, warum er sich Vorwürfe macht.“
 

Lena fiel ein Stein vom Herzen. Niemand wollte wissen, warum sie ausgerechnet jetzt gekommen war. Ihr Geheimnis würde noch weiter genau das bleiben: Geheim. Sie war schon fast erstaunt, dass Petra ihren Erleichterungsseufzer nicht wahrnahm. Auch wenn ihre Frage nicht sehr viel angenehmer war, so sprach sie doch lieber über ihre Kindheit als über ihre direkte Vergangenheit. Das lag zum Teil vermutlich auch daran, dass diese Wunden in den vergangenen Jahren Zeit hatten zu heilen und sie mittlerweile selbst reifer geworden war um auch eigene Fehler in ihrem Verhalten zu erkennen.
 

Ja, definitiv, diese Frage war leichter und Lena überlegte nur einen kurzen Augenblick, bis sie antwortete.
 

To be continued
 

Das war mal wieder ein langes Kapitel, aber wie ihr euch denken könnt, ist sozusagen die Einleitung für ein paar Informationen aus ihrer Vergangenheit gewesen…

Wie fandet ihr das Kapitel, gut, schlecht, mittelmäßig? Kommentare sind wie immer erwünscht… ;)

Journey to the Past

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 


 

Während dieses einen Augenblickes zogen Bilder ihrer Kindheit an ihr vorbei. Ein bunter Wirbel aus verschiedenen Farben und Eindrücken, jeder mit einer besonderen Bedeutungen. Jeder konnte seine ganz eigene Reaktion auslösen. Und Lena hielt einen Moment inne und schloss die Augen.
 

Szenen, die sich ihr Unterbewusstsein so zurechtgelegt hatte, weil sie es auf Bildern so gesehen hatte, tauchten vor ihrem inneren Auge genauso auf wie Szenen, an die sie sich ganz bewusst erinnern konnte.
 

Ein bittersüßer Schmerz griff nach ihrem Herzen und drohte es eisern zu umklammern, aber Lena versuchte sich gegen die Flut der Emotionen und aufkommenden Erinnerungen zu wehren, indem sie leise, langsam und stockend anfing zu reden. Vermutlich ihre ganz eigene Therapie, ihre Art, damit fertig zu werden. Reden, ja, das konnte helfen. Sie war fest entschlossen Petra zumindest diesen Teil ihrer Vergangenheit zu schildern. Das hatte sie sich verdient und vielleicht würde sie dann Torsten die Schuldgefühle nehmen können, die ihn scheinbar schon seit Jahren plagten. Wieder wunderte Lena sich, warum sie davon nie etwas mitbekommen hatte, schließlich hätte sie ihm diese unnötige und ungerechtfertigte Last schon vor Jahren von seinen Schultern nehmen können. Aber es half nichts über vergebene Chancen zu jammern, man musste die sich ergebenden zu nutzen wissen. Und Lena versuchte es redlich.
 

„Was hat Torsten dir von unserer Kindheit erzählt? Dann weiß ich, worüber ich schweigen kann und was ich dir noch neues berichten kann.“
 

„Er hat mir immer erzählt, wie glücklich ihr doch ward. Das kleine Häuschen im Grünen, die wunderbare Mutter, die sich zu Hause um das Wohlbefinden der Familie kümmert und der lieber Vater, der das Geld Heim bringt. Friedliches Familienidyll, auch wenn sich bei seinen Schilderungen irgendwie immer ein trauriger Schleier über seinen Blick legt, als versuche er etwas zu verdrängen, was ihm aber nicht ganz gelingt. Manchmal glaube ich bald, er kann mir dabei nicht einmal in die Augen sehen. Außerdem ist er dann immer in einer seltsamen Stimmung, fast schon melancholisch.“
 

Petra schwieg einen Augenblick und wartete auf die Reaktion ihrer Schwägerin, die prompt kam.
 

„Ja, ich kann mir denken, dass er dir bei diesen Worten nicht in die Augen sehen kann. Zumindest nicht so, wie er es sonst immer tut. Seine Schilderungen entsprechen ja auch jedem Klischee, das er sich hätte ausdenken können.“
 

„Ist es etwa gelogen? Bist du deswegen von Zuhause weg, weil es dort so schlimm war?“
 

Eigentlich kannte Petra ihre Schwiegereltern nur als gutmütige, liebe Menschen, die keiner Fliege etwas zu Leide tun konnten, aber anscheinend kannte Lena noch eine andere Seite, eine, die nicht so wunderbar war. Immerhin hatte Lena, seit sie sich bei ihnen in Bremen befand, nicht einmal mit ihren Eltern sprechen wollen und auch Torsten hatte kein Wort über sie verloren, wo sie doch sonst regelmäßig mit ihnen und von ihnen sprachen. Es war, als wären sie kurzzeitig aus seinem Leben verschwunden. Da konnte es ja irgendwie nur an ihren Schwiegereltern liegen, dass Lena gegangen war, denn mit Torsten verstand sie sich ja immer noch blind, auch nach all den Jahren. Trotzdem blieb Petra die Vorstellung fremd, das diese einfühlsamen Menschen, die mit ihren beiden Enkelinnen so wunderbar umgingen, ihrer Tochter solch ein großes Unrecht angetan haben mussten, damit diese sich von ihnen abwandte und sogar ihr heiß geliebter Sohn darüber schwieg. Was war damals bloß im Hause Frings vorgefallen?
 

„Nein, es war nicht schlimm in diesem Sinne. Wirklich nicht. Und wahrscheinlich sollte ich mich auch nicht beschweren, da es so viele Kinder gab und gibt, die tatsächlich in einem schrecklichen Elternhaus aufwachsen müssen. Denen so gut wie alles fehlt. Mama und Papa haben zumindest immer dafür gesorgt, dass uns materiell nichts fehlte.“
 

„Aber?“
 

„Eine Puppe spricht nicht mit dir. Ein Teddybär nimmt dich nicht in den Arm, wenn du einsam bist. Ein Brettspiel hilft dir nicht wieder in den Schlaf, wenn du nach einem Alptraum schweißgebadet aufwachst. Eltern schon. Sollten sie zumindest. Sie können mit dir sprechen, dich in den Arm nehmen und dich vorsichtig wieder in den Schlaf wiegen, wenn sie es wollen. Und da ist es bei mir dran gescheitert: Sie wollten nicht.“
 

„Wie, sie wollten nicht? Torsten hat mir häufig davon erzählt, wie seine Mutter ihn in den Schlaf gesungen hat.“
 

Lena lächelte mild und sah ihre Schwägerin dann offen an. Dieser klare Blick zeigte Lenas Verletzlichkeit und Petra bemerkte, wie unheimlich schwer es ihr fallen musste all diese Geschehnisse in Worte zu fassen. Trotzdem hatte sie bisher noch nicht aufgehört zu sprechen, etwas, was Petra ihr hoch anrechnete. Und Lena sich selbst auch. Hier war weder der Ort noch die Zeit für Ausreden oder Beschönigungen.
 

„Das kann ich mir auch gut vorstellen. Torsten war immer ihr Wunschkind, ihr Goldjunge. Ich hingegen war eher ungeplant und habe ihr bisher geordnetes Leben durcheinander gebracht. Damit will ich nicht sagen, dass sie mich nicht genauso geliebt haben wie Torsten, aber mit ihm war es eben etwas anderes. Etwas ganz anderes. Er war in dieser Familie der einzige, der sich wirklich gefreut hat, dass ich da bin.“
 

Zuerst fiel es ihr unheimlich schwer das in Worte zu fassen, was sie erlebt hatte, vor allen Dingen natürlich, was sie gefühlt hatte, denn sie war noch nie gut darin gewesen über solche Dinge zu reden
 

„Meine erste Erinnerung gilt nicht Mama oder Papa, sondern Torsten. Mein großer Bruder, wie er versucht mit mir Fußball zu spielen. Wie er mir immer wieder einen kleinen ball zurollt und dabei herzlich lacht. Und es war Torsten, zu dem ich getapst bin, wenn ich nach einem Alptraum nicht mehr schlafen konnte. Es hat ihn nie gestört, wenn ich ihn mitten in der Nacht geweckt habe, nur um mich zu ihm zu legen und mich anzukuscheln. Meine Eltern hat es dafür umso mehr geärgert.“
 

Flashback
 

Draußen gewitterte es fürchterlich und immer wieder zuckten taghelle Blitze am Nachthimmel auf. Der laute Donner ließ Lena jedes Mal wieder erstarren, bis sie sich ein Herz fasste und mit ihrem Kuscheltier unterm Arm in das Zimmer ihres Bruders schlich. Wie die meisten kleineren Kinder auch fürchtete sie sich des Nachts vor Gewitter und wollte nichts lieber, als sich irgendwo zu verkriechen, bis alles wieder gut war.
 

Ängstlich und ziemlich durchgefroren stand sie nun mit verwuschelten Haaren in ihrem langen Nachthemd vor Torstens Bett und zupfte ihn am Arm.
 

„Torsten, darf ich heute Nacht bei dir bleiben?“
 

Ein wenig verwirrt erwachte Torsten von der leisen, verschreckten Kinderstimme und sah, wie schon häufig, seine kleine Schwester vor seinem Bett stehen, mit ihrem heiß geliebten Kuscheltier unterm Arm und ihren großen, dunkelblauen Kulleraugen groß aufgerissen. Als ein weiterer Donner grollte, zuckte sie ängstlich zusammen und Torsten beeilte sich Platz zu machen und sie ganz fest in den Arm zu nehmen.
 

„Keine Angst mein kleiner Engel, dir kann hier nichts passieren, ich bin ja da und passe auf dich auf. Ganz ruhig, ich bin ja da. Nimm deine Maus ganz fest in den Arm und versuch ein bisschen zu Schlafen.“
 

„Ich hab’ dich lieb, Torsten.“
 

Die kleine Kinderstimme durchbrach die Stille und Torsten konnte nicht anders als liebevoll auf die mittlerweile geschlossenen Augen seiner kleinen Schwester zu sehen.
 

„Ich dich auch, Kleines, ich dich auch.“
 

Wortlos zog er sie noch fester in seine Umarmung und gemeinsam schliefen sie bis zum Morgengrauen, als ihre Mutter erschrocken ins Zimmer polterte.
 

Verschlafen öffnete Torsten die Augen und wollte sie schon damit beruhigen, dass Lena ja bei ihm war und sie sich keine Sorgen machen müsste, da hatte sie auch schon das kleine Geschöpf unter der Decke weggezogen und schüttelte sie leicht.
 

„Sag mal Lena, was denkst du dir denn dabei Nachts einfach zu Torsten zu gehen? Dein Bruder hat heute ein wichtiges Spiel und braucht seinen Schlaf. Wenn er deinetwegen unausgeruht ist und schlecht spielt, nicht auszudenken.“
 

Mit betroffenem Blick schaute Lena zu Boden. In ihren Augen glitzerten Tränen und sie verstand noch nicht so recht, was sie böses getan hatte, aber da es etwas mit ihrem innig geliebten großen Bruder zu tun hatte, musste es wirklich schlimm gewesen sein. Und das hatte sie doch nicht gewollt.
 

„Entschuldigung Torsten, das wollte ich doch nicht, es tut mir Leid.“
 

In Lenas Kinderwelt gab es keine schlimmere Vorstellung als ihren Bruder irgendwie verärgert zu haben und sie betete inständig, dass er ihr noch einmal verzieh. Für Torsten stellte sich noch nicht einmal die Frage, ob es etwas zu verzeihen gab: Als Lena die Nacht bei ihm aufgetaucht war, hatte er nicht an seinen dringend benötigten Schlaf oder das Spiel gegen die benachbarte Dorfmannschaft gedacht, sondern nur daran, seine kleine Schwester so gut es eben ging zu beruhigen und zu trösten. Und so verstand er jetzt auch nicht die Reaktion seiner Mutter.
 

Seit dieser Nacht hatte sich Lena sowohl bei Alpträumen als auch bei Gewittern lieber in den Schlaf geweint, als Torsten noch einmal zu stören. Zu sehr fürchtete sie sich davor ihren besten Freund zu verlieren. Als er das jedoch zufällig erfuhr, nahm er seine kleine Schwester einfach so mit und sie beschlossen es geheim zu halten und noch bevor seiner Eltern etwas merken konnte, brachte er sie, wenn sie nachts bei ihm gewesen war, wieder zurück in ihr Bett.
 

Er hasste dieses Versteckspiel, aber er wusste, dass Lena ziemlichen Ärger bekäme, wenn sie sich offen den Anordnungen ihrer Eltern widersetzen würden. Er nicht, nein, niemand würde ihn dafür verantwortlich machen, nur über Lena würden sie wieder herfallen, wie so häufig, wenn er irgendeine Idee hatte und Lena da mit rein zog. Obwohl er es nicht anders kannte, machte Torsten das Verhalten seiner Eltern wütend. Und er fühlte sich schuldig, weil er Lena nicht wirklich helfen konnte, obgleich er doch sah, wie sehr sie unter dieser Missachtung litt.
 

Flashback ende
 

Sich all die Erinnerungen wieder vor Augen zu rufen war an sich für Lena nicht schwer. Sie fand sogar, dass Erinnerungen etwas sehr Schönes waren, wenn sie nicht immer die schmerzliche Vergangenheit wachrufen würden. Und gerade diese Behandlung ihrer Eltern hatte ihr jahrelang zu schaffen gemacht.
 

„Weißt du, Petra, für mich gab es nie jemanden, der Torsten auch nur ansatzweise das Wasser reichen konnte. Nie. In der Schule übersprang ich oftmals so schnell die Klassen, dass ich gar keine Zeit hatte Freundschaften zu schließen und als ich dann endlich einmal länger blieb, waren die anderen um so vieles älter als ich. Sie konnten mit mir nicht viel anfangen. Ich hatte damals nicht viele Freunde. Die einzigen, die mich so mochten, wie ich war und die mein Alter nicht interessierte, waren Torstens Freunde. Oder eher seine Mannschaftsmitglieder.“
 

Lena lächelte versonnen, als sie an den verrückten Haufen dachte, mit dem Torsten in seiner Jugend Fußball gespielt hatte. Wie fröhlich und unbeschwert er gewesen war, auch wenn sein Ehrgeiz ihn schon damals von allen anderen abgehoben hatte.
 

„Mein Bruder hat mich von klein auf immer mit zum Training genommen und irgendwann war es eher verwunderlich, wenn ich nicht da war, als wenn ich am Rand saß und zusah. Egal bei welchem Wetter: Wenn Torsten trainieren konnte, dann konnte ich auch zuschauen und ein wenig mitbolzen. Vor allen Dingen Papa hat es nicht gefallen, dass Torsten mich immer mitgenommen hat. Ich solle meinen Bruder nicht vom Training abhalten, hat er immer wieder gesagt.“
 

Für Lena war es ungewohnt selbst so viel zu reden und nicht einfach nur zu zuhören. Und noch ungewohnter war es, über all diese persönlichen Dinge zu sprechen. Sie zog Gespenster ans Licht, die wahrscheinlich schon viel zu lange in den Untiefen ihres Kopfes schlummerten. Vielleicht half es sogar. Noch war sie sich nicht sicher, ob sie sich damit befreite oder nur selbst quälte. Die Chancen standen fifty fifty.
 

„Nein, lustig war es nicht immer, wirklich nicht. Auch wenn nicht alles nur schlecht war. Torsten war immer mein Lichtblick. Er hat mit mir geredet und mit Mut gemacht. Gerade in der Pubertät, wo ich mich so gern verlieben wollte, aber na ja. Ich war die halt Kleine auf dem Schulhof, der keiner Briefchen schreibt. Das zahnbespannte Lächeln, das immer unerwidert bleibt. Meinen ersten Kuss habe ich mit meinem gottverdammten Kissen geübt und jeden Samstagabend saß ich allein zu hause und habe wider jede Vernunft gehofft, dass doch noch irgendwer vorbeikommt und mich abholt. Es war nicht wichtig wer, es sollte einfach nur jemand sein, dem etwas an mir lag. Ich wäre weiß Gott nicht wählerisch gewesen. Erst nachdem Torsten langsam anfing berühmt zu werden und alle anderen begriffen, dass ich seine kleine Schwester war, fingen sie an mit mir zu reden. Auf ein Mal war alles wunderbar. Aber das wollte ich nicht. Überall war ich nur noch Torsten Frings kleine Schwester. So hatte ich mir das ehrlich nicht vorgestellt. Kurz: Egal was in meiner Kindheit und Jugend getan habe: Ich war chancenlos. Aber dafür gebe ich Torsten nicht die Schuld, er kann wahrscheinlich am wenigstens dafür. Und er sollte sich auch keine unnötigen Schuldgefühle machen.“
 

So langsam konnte auch Petra sich ein Bild davon machen, wie die Kindheit für Lena im fringsschen Haushalt wohl ausgesehen haben musste. Neben ihrem von den Eltern verehrten Bruder hatte sie einfach keine Chance gehabt zu bestehen. Die Aufmerksamkeit hatte scheinbar immer Torsten und seinem Fußball gegolten, nie aber dem schüchternen, jungen Nesthäkchen, das seinen Bruder ebenso abgöttisch liebte. Vermutlich, weil es ihm genauso ging.
 

Wehmütig versuchte Lena die erneut in ihr aufsteigenden Tränen weg zu lächeln. Sie fand es albern wegen dieser alten Geschichten eine Träne vergießen zu müssen, das hatte sie ihn ihrer Jugend oft genug getan, vor allen Dingen, nachdem Torsten ausgezogen war. Ohne ihn an ihrer Seite war das alles nur noch schlimmer geworden. Die Nichtachtung ihrer Eltern war sie gewohnt, damit konnte sie umgehen, sie wusste ja mittlerweile zu Genüge, dass sie es ihnen niemals recht machen würde, daran änderte auch Torstens Weggang nichts. Aber die plötzliche Einsamkeit hatte sie wie eine Keule in die Magengrube getroffen.
 

’Dass man alleine ist, merkt man, am besten daran, dass man im Dunkeln vergeblich nach einer Hand sucht, die einem Halt geben soll.’
 

Das hatte Lena schon vor langer Zeit begriffen, als sie alleine in ihrem bett darauf gewartet hatte, dass die Angst irgendwann vergehen würde. Da war keine Hand gewesen, sein freundliches Lächeln hatte ihr Mut gemacht. Nach Torstens Auszug war sie allein und vor allen Dingen: allein.
 

„Das hat sich jetzt doch mittlerweile alles geändert, oder? Du bist eine hübsche, selbstbewusste junge Dame, die ihren eigenen Kopf hat und im Leben etwas erreichen kann. Du bist nicht nur Torstens kleine Schwester und das weißt du, deine Eltern sind auch stolz auf dich, das weiß ich.“
 

„Und weißt du was, Petra, ich glaube dir sogar, dass meine werten Erzeuger in all den Jahren so etwas Vergleichbares zu Stolz entwickelt haben. Und genau das ist ja mal wieder typisch: So viele Dinge bekommt man erst dann, wenn man sie nicht mehr gebrauchen kann, denn ehrlich gesagt ist es mir mittlerweile egal, ob sie stolz auf mich sind. Ob sie mit meinem Lebensweg zufrieden sind. Als ich ihre Fürsprache, ihren Zuspruch am meisten gebraucht hätte, waren sie nicht da, jetzt brauch ich ihn auch nicht mehr.“
 

In Lenas Stimme konnte man einen Hauch Trotz hören und Petra glaubte zu erkennen, dass es der jungen Frau bei weitem nicht so egal war, wie sie tat. Sie hatte das Herz am rechten Fleck und auch nach allem, was damals schief gelaufen war, liebte sie ihre Eltern trotzdem noch, egal, wie sie es jetzt vor ihr und auch sich selbst zu verbergen versuchte.
 

„Und du bist vor acht Jahren von Zuhause weg, weil-“
 

„-weil ich mich irgendwie von ihnen befreien musste. Es kommt eine Zeit im Leben, da bleibt einem nichts anderes übrig, als seinen eigenen Weg zu gehen. Eine Zeit, in der man die eigenen Träume verwirklichen muss. Eine Zeit, in der man endlich für die eigenen Überzeugungen eintreten muss. Und genau das war meine Zeit. Ihre Ansichten, ihre Ignoranz und ihre absolute Missachtung meiner Leistungen haben mich zu lange zu viel Kraft gekostet. Ich habe es alles geschluckt, nie verdaut. Nachdem Torsten zielsicher seinen Weg ging, hielt mich nichts mehr in diesem haus zurück. Da kam mir die Idee nicht nur meinen Eltern, sondern auch ganz Deutschland den Rücken zu kehren. Ich wollte endlich einmal in meinem Leben mehr sein als nur Torstens kleine Schwester. Und das konnte ich am Besten im Ausland, wo Torsten bis dato noch keiner kannte.“
 

„Wieso ausgerechnet Mailand?“
 

Nun musste Lena schmunzeln, denn genau diese Frage hatte sie sich auch schon hundert- oder gar tausendfach gestellt. Vor allen Dingen, nachdem sie nach Barcelona gegangen war und wehmütig an die schöne Zeit dort zurück gedacht hatte. Warum ausgerechnet die Hauptstadt der Lombardei? Eine gute Frage, vermutlich war es Schicksal gewesen. Ein Schicksal, das sie unheimlich verändert und geprägt hatte. Im guten wie im schlechten Sinne. Wahrscheinlich würde niemand in Barcelona vermuten, wie sie einmal gewesen war und auch nur die Mailänder, die sie von Anfang an gekannt hatten, würde es jetzt noch für möglich halten, dass die selbstbewusste Lena und die zurückhaltend-schüchterne Lena ein und dieselbe Person waren.
 

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Vermutlich Schicksal. Oder Zufall. Es kommt aufs Gleiche raus. Eine spontane Entscheidung, die mir sowohl schöne Erinnerungen, als auch schlechte Erinnerungen beschert hat.“
 

„Und welche überwiegen?“
 

Unwillkürlich tauchte ein lachender Junge vor ihrem geistigen Auge auf, der wie wild von seinem ebenfalls lachenden Vater durch die Luft geschleudert wurde. Lena konnte das Glück fast schmecken, so real erschien es ihr. Und wieder derselbe kleine Junge, wie er ihr fröhlich zuwinkte, nachdem er ein Tor geschossen hatte. Dieses strahlende, schelmische Lachen, mit dem er sie jedes Mal wieder angesteckt hatte. Und schließlich wie er engelsgleich in ihren Armen schlief. Und sein Vater, der sie liebevoll anlächelt und in den Arm nimmt, ihr leise etwas zuflüstert. So viel Liebe, so viel Wärme und Geborgenheit. Und plötzlich, ganz ungewollt tauchte da das Bild eines jungen, gut aussehenden Mannes auf, der sie träge unter seinen halbgeschlossenen Augenlidern ansah, während er sich in nichts weiter als einer Badehose sonnte. Oh ja, la dolce Vita.
 

„Definitiv die guten.“
 

Petra freute sich so viel von der sonst so verschlossenen Lena erfahren zu haben. Jetzt konnte sie unter Umständen auch ihrem Mann helfen, wenn er sich irgendwann wieder beruhigt hatte.
 

Besorgt warf die zweifache Mutter einen Blick in Richtung Flur und erstarrte dann mitten in ihrer Bewegung. Das konnte doch nicht wahr sein. Unbemerkt von ihnen hatte sich Torsten angeschlichen und sein Gesichtsausdruck war nicht zu deuten. Er hatte eine undurchdringbare Maske aufgesetzt, durch die nicht die kleinste emotionale Regung ihres Gatten drang. Petra konnte nichts in seinem Gesicht lesen. Geschweige denn, dass sie genau sagen konnte, ab wann er da schon stand und wie viel er mitgehört hatte.
 

Sicherlich zu viel für Lenas Geschmack, dessen war Petra sich sicher, denn die junge Frau hatte sich ihr anvertraut und zwar nur ihr, nicht ihrem Bruder und Petra konnte die Reaktion ihrer Schwägerin nicht einschätzen, wenn sie jetzt sah, dass Torsten sie belauscht hatte. Egal wie lange es gewesen sein mochte. Also bedeute sie ihm so unauffällig wie möglich zu verschwinden, in der Hoffnung, dass Lena, die mit dem Rücken zur Tür saß, nichts bemerkte.

Die jedoch war so sehr mit sich und ihren Erinnerungen beschäftigt, dass sie weder die entsetzte Reaktion noch die Handbewegungen ihrer Schwägerin wahrnahm. Erst das leise Klingeln eines Handys riss sie aus ihrer emotionalen Starre. Irritiert sah sie auf und wendete ihren Blick in die Richtung, aus der der Ton zu kommen schien.
 

To be continued…
 

Ja, ich weiß, dieses Kapitel ist nicht ganz so, wie viele es wahrscheinlich erwartet haben, aber ich hoffe nichts desto trotz, dass es euch gefallen hat. Und ihr Lena jetzt ein wenig besser versteht. Beim Schreiben hatte ich ehrlich gesagt hin- und wieder so meine Probleme und eigentlich wollte ich noch viel mehr schreiben, aber dann wäre es zu lang geworden. So habe ich noch was für später…

Wird sie Torsten jetzt wohl in der Tür stehen sehen oder was wird passieren?

How many times should I say I'm sorry?

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 


 

Immer noch wütend und furchtbar aufgewühlt stürmte Per durch die fast vollkommen leere Tiefgarage. Er sah weder nach rechts noch nach links, nur stur gerade aus, ein absoluter Tunnelblick. Seine Schritte hallten auf dem Asphalt wieder und hin- und wieder quietschten seine Stollenschuhe. Krampfhaft versuchte Per seine Atmung zu kontrollieren, aber irgendwie blieb sie abgehackt und so langsam spürte er leichte Seitenstiche, etwas, was er sonst höchsten bei harten Spielen und besonders anstrengenden Trainingseinheiten hatte. Seine Gedanken fuhren Achterbahn und eigentlich wusste er, dass es besser war das Auto jetzt stehen zu lassen, da man nicht emotional aufgeregt Autofahren sollte, aber im Augenblick interessierten ihn all diese Ratschläge, die ihm sein eigenes Gewissen erteilte, herzlich wenig. Er musste einfach nur noch weg und mit dem Auto ging das eben am schnellsten. Einen Kollegen wollte er bei seiner derzeitigen Stimmung nicht damit belasten ihn zu fahren, schon gar nicht Clemens, der konnte ihm gestohlen bleiben.
 

Um nicht vor Wut und Enttäuschung gegen sein eigenes Auto treten zu müssen, holte er aus und schlug mit der Faust gegen die Betonwand, vor der er geparkt hatte. Einen kurzen Augenblick fühlte er den Schmerz in seiner Hand, doch der wurde schnell durch Taubheit ersetzt. Irgendwie gefiel ihm dieses Gefühl, das sich langsam in seiner Hand ausbreitete. Denn an diesem Tag stellte Per Mertesacker es sich entspannend vor taub zu sein, nichts zu fühlen und vor allen Dingen nichts denken zu müssen. Vielleicht sollte er seinen Kopf auch einmal kräftig vor die Wand donnern, wenn er dann genauso gefühllos wurde und wenn das nicht funktionierte, dann hätte er hinterher bestimmt solche Kopfschmerzen, dass er nicht in der Lage sein würde über das nachzudenken, was gerade auf dem Parkplatz geschehen war. Was sein bester Freund da veranstaltet hatte.
 

Ungeduldig versuchte Per sein Auto aufzuschließen, als er schnelle Schritte hinter sich vernahm. Er konnte sich denken, wer das war, aber auf seinen Freund hatte er jetzt garantiert keine Lust. Nicht nach der Show, die er abgezogen hatte, nicht, nachdem er ihm mal wieder alles kaputt gemacht hatte. Normalerweise hatte Per kein Problem damit, dass der kleine Außenverteidiger die hübschen Mädels abbekam, wenn sie zusammen unterwegs waren, immerhin hatte er überhaupt kein Interesse an diesen kreischenden Fans, aber jetzt, wo ihn eine Frau wirklich interessierte, wo er eine gefunden hatte, die er wirklich mochte, selbst da konnte Clemens sich nicht zurück halten und musste sie mit seinem Machogehabe einwickeln. Oder es zumindest versuchen. Vermutlich hatten einige Spötter schon Recht, die ihm nachsagten, dass keine Frau vor ihm sicher sei. Scheinbar musste er seine hohe Meinung, die er bisher von seinem Freund gehabt hatte, etwas ins negative korrigieren, denn eben hatte er ja wunderbar bewiesen, dass er jede Frau küssen musste, die nicht bei drei auf den Bäumen war. Dabei kannte er Lena doch gar nicht!
 

Endlich hatte Per es geschafft und seine Zentralverriegelung sprang hoch. Ruppig riss er die Tür auf und versuchte weiterhin Clemens’ immer näher kommende Stimme zu ignorieren.
 

„Per, verdammt, jetzt höre mir doch mal zu! Du kannst nicht ewig davon laufen, also dreh dich jetzt endlich um und sieh mich an! Ich will doch nur mit dir reden!“
 

Wütend wirbelte Per herum und funkelte den um einiges kleineren Außenverteidiger böse an. Er war unheimlich gereizt, schlecht drauf und konnte für nichts mehr garantieren. Und genau das zeigte auch sein Blick, unter dem Clemens sicherlich ein paar Zentimeter schrumpfte. Immerhin hatte er Per noch nie wirklich wütend erlebt und noch nie war all die Wut des Fast-Zwei-Meter-Mannes einzig und allein auf ihr gerichtet gewesen. Ziemlich Angst einflößend, aber der geborene Erfurter kannte seinen Freund mittlerweile lange genug um zu wissen, dass er eigentlich lammfromm war und keiner Seele etwas zu leide tun konnte.
 

„Sag mir, wie oft ich mich noch entschuldigen soll und ich tue es!“
 

Mit diesen Worten hatte der gebürtige Erfurter eigentlich seinen Versöhnungswillen beweisen wollen, doch sein Freund sah das anscheinend anders, der sah ihn nämlich nur noch wütender an und schnaubte hörbar.
 

„Wie wär’s mit so oft, bis du es wirklich ernst meinst und es nicht nur leere Worte sind. Sei doch wenigstens einmal ehrlich mit dir, Clemens, dir tut es nicht Leid.“
 

Die Stimme des gebürtigen Niedersachsen war ungewöhnlich kalt und wieder verfluchte sich Clemens für seine überstürzten Worte, wobei er sich eigentlich vollkommen sicher war, dass es nicht unbedingt seine Worte gewesen waren, die Per so auf die Palme gebracht hatten, sondern eher seine Taten. Aber wenn er sich das auch wirklich eingestand, konnte er sich nicht mehr ernsthaft entschuldigen, denn es tat ihm nicht Leid, dass er seine Frau aus der Umkleidekabine wieder getroffen und wieder geküsst hatte, ganz und gar nicht. Bedauerlich war eher die Tatsache, dass Pers Traumfrau vom Flughafen mit seiner Kaufhausbegegnung identisch war. Und wahrlich katastrophal erschien es ihm, dass sie auch noch Torstens kleine Schwester sein musste.
 

„Doch Per, es tut mir Leid, hätte ich gewusst, wer sie ist, dann hätte ich anders gehandelt.“
 

„Glaubst du das wirklich Clemens? Wenn du gewusst hättest, dass Lena Torstens Schwester ist, hätte es irgendetwas geändert?“
 

Verdutzt sah Clemens seinen Freund an. Hatte der denn wirklich nicht verstanden, was er mit seinen Worten auszudrücken versucht hatte. Scheinbar nicht, dann musste er wohl deutlicher werden.
 

„Nein, auch wenn ich vorher gewusst hätte, dass sie Torstens kleiner Schatz ist, ich hätte nichts anders gemacht, aber-“
 

„Siehst du, kein aber, diese Tatsache hätte nichts verändert!“
 

„Wenn der Herr Mertesacker endlich einmal die Güte hätte mich ausreden zu lassen, dann wüsste er jetzt, dass mich das nicht zurück gehalten hätte, sondern etwas anderes.“
 

„Und was wäre das?“
 

Pers Ton war genervt und aggressiv, man konnte ihm anhören, dass seine Geduld langsam am Ende war und er keine Lust auf diese Spielchen mehr hatte. Eigentlich wollte er nur noch nach Hause und darüber nachdenken, wie am besten aus diesem ganzen Schlamassel wieder raus kam ohne dabei Kopf und Kragen zu riskieren.
 

Clemens’ Amateurhaften Entschuldigungsversuche interessierten ihn da herzlich wenig und sein Gefasel von Tatsachen, die ihn womöglich hätten zurückhalten können, wollte Per auch nichts mehr hören. Es war ja eh alles Schall und Rauch. Und der ehemalige Hannoveraner hasste Lügen, er hasste es, wenn er selbst lügen musste und er verabscheute es belogen zu werden und was konnte Clemens anderes tun als lügen? Denn welcher Mann konnte schon ruhigen Gewissens zugeben, dass er Lena nicht gern geküsst hätte? Das es etwas gab, was ihn davon abgehalten hätte. Wahrscheinlich keiner, zumindest keiner bei Verstand, so urteilte zumindest Per, der selbst die Versuchung gespürt hatte, aber zu schüchtern gewesen war um sich zu holen, wonach er sich sehnte.
 

Immer auf eine Antwort wartend tappte Per mit dem Fuß auf den Boden und irgendwann platze Clemens dann auch der Kragen und er schrie den langen Innenverteidiger schon fast an.
 

„Du!“
 

„Ich?“
 

„Ja du, Per Mertesacker, Innenverteidiger von Werder Bremen und mein bester Freund.“
 

Sprachlos sah Merte zu Clem und schon an seinem Stirnrunzeln erkannte Clemens, dass da doch noch einige Erklärungen von Nöten waren, bis sein langer Freund begriff, was er sagen wollte. Scheinbar wollten es ihm heute alle Menschen in seiner Umgebung so schwer wie irgend möglich machen, zumindest fühlte Clemens es so.
 

„Denk doch mal nach, Langer, wie lange sind wir jetzt schon befreundet? Eigentlich seit wir hier zusammen spielen und noch nie haben wir uns wegen einer Frau gestritten. Und warum? Weil das albern ist. Wenn ich also vorher gewusst hätte, dass Lena die Frau ist, die du am Flughafen kennen gelernt hast, dann hätte ich sie doch dort nicht geküsst.“
 

’Zumindest nicht sofort’ setzte Clemens in Gedanken dahinter und schämte sich dafür, dass er seinem Freund nur die halbe Wahrheit sagte, aber eine solche Aussage hätte doch sofort alles wieder kaputt gemacht und Per wäre wieder auf 180 gewesen, da war es Clemens so bei weitem lieber. Was sein Freund nicht wusste, konnte ihn auch nicht aufregen, eine bequeme Meinungshaltung, aber anders wusste Clemens Fritz sich gerade einfach nicht zu helfen. Und irgendwie war es ja auch nicht gelogen, hätte er von Anfang an gewusst, dass Lena die Frau vom Flughafen war, hätte er sie niemals vor Per und den anderen geküsst, aber trotzdem hätte er nicht garantieren können, dass er es nicht doch irgendwann wieder getan hätte, wenn sie einmal einen Augenblick allein gewesen wären. Er war eben auch nur ein Mann.
 

Per beruhigte sich langsam wieder und versuchte die ganze Angelegenheit rational zu betrachten, auch wenn seine Wut noch lange nicht verraucht war. Clemens hatte ja wirklich nicht wissen können, dass Torstens kleine Schwester und seine Frau vom Flughafen ein und dieselbe Person waren, woher denn auch? Er hatte ihn also nicht absichtlich verletzt, in dem er „seine“ Frau geküsst hatte. So etwas würde Clemens nie tun. Und als er sie auf dem Parkplatz gesehen hatte, da war sie ihm sicher nur als seine Frau aus der Umkleidekabine vorgekommen, sozusagen Freiwild, auf das er es schon Mal abgesehen hatte und das ihm schon Mal durch die Latten gegangen war. Sein besonders starker männlicher Jagdinstinkt hatte sich also aktiviert und nach der Abfuhr, die er erhalten hatte, so gut kannte Per seinen Freund, würde er sich revanchieren und noch offensiver an die Sache rangehen. Clemens Verhalten war also grundsätzlich logisch zu erklären. Und trotzdem war er immer noch wütend auf seinen Freund.
 

„Mal ganz ehrlich Clemens: Lena ist die Frau, die dir in der Umkleidekabine eine gescheuert hat, die, die du bis jetzt nicht vergessen konntest. Glaubst du wirklich du hättest sie nicht geküsst, wenn du gewusst hättest, dass ich sie mag?“
 

Einen Augenblick zu lang schwieg Clemens und das war für Per antwort genug. Ein wenig enttäuscht sah er auf seine Schuhspitzen. Eigentlich hatte er nichts anderes erwartet. Oder zumindest erwarten dürfen, aber es war eben nicht so leicht sich damit abzufinden, dass man mit dem besten Freund um eine Frau konkurrierte. Noch schwieriger war es jedoch sich damit abzufinden, dass der Freund bisher jede Frau bekommen hatte und das man eigentlich schon von vorne herein chancenlos war. Per hasste es Spiele zu spielen, die von vorne herein verloren waren, außerdem war Lenas für ihn mehr als ein Spiel. Viel mehr.
 

„Siehst du Clemens, dein Schweigen sagt mehr als tausend Worte. Und ich nehme es dir auch nicht Übel, falls du das befürchtet hast.“
 

Diese Worte meinte Per wirklich ernst, denn mittlerweile war seine Wut verraucht und er versuchte sich irgendwie mit der Situation zu arrangieren. Er wollte seinen besten Freund und Weggefährten nicht verlieren, also versuchte er die Eifersucht einzustellen, die ihm beim Anblick von Lena und Clemens überfallen hatte.
 

„Ich werde mich wohl an den Gedanken gewöhnen müssen, dass wir und beide in dieselbe Frau verliebt haben. Du bist doch in sie verliebt, oder?“
 

Wieder schwieg Clemens, weil er die Antwort auf Pers Frage nicht wusste. Darüber hatte er sich keine Gedanken gemacht, so sehr war er darauf bedacht gewesen die Sache mit Per wieder in Ordnung zu bringen. Und jetzt wollte der wissen, was er für Lena empfand, na Klasse! Sicher, er fand Lena ganz anziehend, sie war attraktiv, hatte eine tolle Ausstrahlung und war scheinbar nicht auf den Mund gefallen, aber war er gleich in sie verliebt? Musste man immer sofort nach seinen Gefühlen fragen?
 

Er kannte sie doch gar nicht, im Gegensatz zu Per, der sich schon stundenlang mit ihr unterhalten und mit dem sie sich wohl verdammt gut verstanden hatte. Er wusste doch gar nicht, was sie für ein Mensch war und ob sie irgendwelche Gemeinsamkeiten hatten. Kurz: Er wusste nichts über Lena Frings außer, dass sie verdammt weiche Lippen hatte und auch unter ihrem Top ziemlich heiß aussah. Und einen ganz schön harten Schlag.
 

„Clemens, sag mir jetzt bitte nicht, dass sie für dich nur ein Abenteuer ist, eine Frau für ein paar heiße Nächte, aber nicht mehr, das hat sie nicht verdient!“
 

„Beruhig dich, Per, das wollte ich nicht sagen, aber ich kann dir auch nicht sagen, dass ich mich in sie verliebt habe. Ich kenne sie ja gar nicht.“
 

„Aber das kann man ändern.“
 

Der lange Innenverteidiger von der Weser wusste, wie wichtig es für Clemens war seine Partnerin wirklich zu kennen. Auch wenn sein Freund als Womanizer verschrien war, so kannte er seinen wahren Charakter doch etwas besser als die Presse und er wusste, was sein Freund in eine Beziehung mit einer Frau brauchte und was er wollte. Und dazu gehörte einfach dieses Wissen um den Partner. Ihre Stärken und Schwächen, ihre Macken und persönliche Eigenarten, einfach alles. Der Frau, der Clemens Fritz sein Herz schenkte, musste er uneingeschränkt vertrauen können und das ging nun mal nur, wenn man sich kannte. Damit war jedoch nicht die Frau gemeint, die er für eine Nacht mit in sein Bett nahm, sondern die, die an seiner Seite war. In guten wie in schlechten Zeiten. Immer. Denn für Clemens Fritz gab es Liebe nur mit Vertrauen und Vertrauen kam nur durch intensives Kennen lernen.
 

„Vielleicht, vielleicht auch nicht, ich weiß es ehrlich gesagt nicht, Per. Ich weiß, dass du sie sehr magst und ich will dir da nicht zwischen funken. Unsere Freundschaft ist mir wichtiger als eine Frau und du hast es verdient glücklich zu werden.“
 

Per sah zu dem kleinen Außenverteidiger hinab. Manchmal machte sich der Größenunterschied zwischen den beiden doch bemerkbar, in Situationen wie diesen eben. Fritz hielt seinem Blick stand und starrte ohne mit der Wimper zu zucken zurück. Er hatte jedes einzelne Wort verdammt ernst gemeint und er wollte seinen großen Teddybären glücklich sehen, auch wenn es vielleicht hieß, dass er dafür darauf verzichten müsste Lena näher kennen zu lernen, für die Freundschaft mit Per würde er das in Kauf nehmen.
 

„Du aber auch Clemens, du aber auch.“
 

Die Worte kamen leise, aber verloren nichts an ihrer Eindringlichkeit, vielleicht eher im Gegenteil. Man konnte Per ansehen, dass seine Wut und Enttäuschung restlos verschwunden war.
 

„Aber wir können nicht beide mit der gleichen Frau glücklich werden, Per. Da überlassen ich dir jetzt das Feld, bevor es uns noch unsere Freundschaft kostet, weil wir nicht wissen, wann wir aufhören müssen. Weil wir schon zu viel Gefühl investiert haben und nicht mehr los lassen können.“
 

Beide sahen sich einfach nur an. Schweigen. Stille. Eigentlich war dem nichts mehr hinzu zu fügen und trotzdem war noch so vieles ungesagt, was unbedingt ausgesprochen werden musste, es wollte nur keiner den Anfang machen, denn sie wussten beide nicht, wo.
 

„Nein, wir können nicht beide mit ihr glücklich werden, aber wir können es doch beide versuchen. Und trotzdem Freunde bleiben. Vielleicht ist es doch alles nicht so wie es erscheint, vielleicht passen Lena und ich gar nicht zusammen und dann hättest du womöglich für mich auf eine große Chance verzichtet, nein, Clemens, das will ich nicht. Solange unsere Freundschaft nicht darunter leidet, können wir doch beide unser Glück versuchen.“
 

Natürlich war Per sich bewusst, dass er seinem Freund gerade die Erlaubnis gegeben hatte, sich an Lena heran zu machen, etwas, was ihn vor wenigen Minuten noch auf die Palme gebracht hatte. Aber es war besser so, das hatte er im Gefühl. Lena sollte sich für ihn entscheiden, weil sie ihn wollte und nicht, weil er seinem besten Freund verboten hatte, es bei ihr zu versuchen. Wenn die Frau vom Flughafen, Lena, wirklich die war, die er in ihr sah, dann würde auch Clemens’ Charme ihr nicht gefährlich werden können. Wenn sie es wirklich war, dann hatte vielleicht auch er wieder eine reelle Chance glücklich zu werden.
 

To be continued
 

Ich weiß ja ehrlich gesagt nicht so Recht, ob Per hier nun den Bär aus dem Schrank geholt hat. Teilweise sicherlich, aber am Ende war er ja doch wieder ganz handzahm… Ich habe bei diesem Kapitel irgendwie ein komisch Gefühl, so ganz entscheiden kann ich mich nicht, ich weiß auch nicht so genau, ich bin zwiegespalten, aber na ja… Was meint ihr?

La dolce Vita

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Lena hörte wie die Musik langsam lauter wurde. Ihr Handy hatte die penetrante Angewohnheit immer lauter zu werden, je länger sie es ignorierte. Weil sie es verdammt oft und sehr gerne ignorierte, sie war einfach nicht einer dieser Menschen, die ihr Handy selbst nachts neben dem Kopfkissen liegen haben mussten. Die meiste Zeit konnte man sie über ihr Handy sowieso nicht erreichen, da sie es aller Wahrscheinlichkeit nach immer in irgendeiner Tasche hatte. Ganz unten, versteht sich. Und bis sie soweit war, dass sie das Geräusch identifiziert und geortet hatte, hatte der Anrufer fast immer auch schon wieder die Geduld mit ihr verloren, außer natürlich es war jemand aus ihrem Freundeskreis, die kannten ihre Beziehung zu diesen Neumodernen Dingern und ließen extrem lange klingeln. So wie jetzt.
 

Mittlerweile war es so laut, dass sie das Lied sogar schon identifizieren konnte. Die ersten rockigen Töne von Gianna Nanninis „Bello e impossibile“ waren verklungen und unmerklich schlich sich ein leichtes Lächeln auf ihr Gesicht. Ihr Fuß tappte leicht auf den Boden und Lena merkte, wie sie leise mitsummen musste. Sie konnte einfach nicht anders. Dieses Lied weckte so viele Erinnerungen in ihr, doch diesmal waren sie nicht so schmerzhaft wie die ihrer Kindheit, sondern eher angenehm. Schön.
 

Natürlich wusste sie ganz genau, wer anrief, sie kannte zwar mehrere Männer, auf die diese Beschreibung schön und unmöglich gepasst hätte, aber es gab nur einen Mann, dem sie dieses Lied zugeordnet hatte.
 

Langsam stand Lena auf und ging ans Sofa-Ende, wo sie ihre Tasche achtlos hingeschmissen hatte, als sie sich von Petra hatte trösten lassen. Ihr Blick war zielsicher auf die Erde gerichtet, wo Signora Nannini mittlerweile zum zweiten Mal anfing ihren Evergreen zu singen. Zum Glück wusste der Anrufer um ihre Angewohnheit ständig ihr Handy erst suchen zu müssen, denn jeder andere hätte vermutlich schon lange wieder aufgelegt. Er jedoch nicht, er kannte sie dafür schon viel zu lange und auch viel zu gut.
 

„Ciao.“
 

„Ciao Pricipessa. Come va?“
 

Seine fröhliche Stimme klang durchs Telefon. Sie konnte sein breites Grinsen beinahe schon sehen und die strahlende italienische Spätsommersonne auf ihrer Haut fühlen. Womöglich saß er gerade auf der Terrasse und genoss das Leben. La dolce Vita. Im Augenblick wünschte sie sich auch nichts sehnlicher als dem Chaos zu entfliehen, das derzeit ihr Leben ausmachte. Eine Zeit lang überhaupt nicht denken zu müssen, diese Vorstellung war für Lena sehr reizvoll. Denn vielleicht hieß diese Flucht vor dem Denken dann auch eine Flucht vor den Gefühlen und Problemen, die das „normale“ Leben unweigerlich mit sich brachte. Aber de facto war sie ja schon geflohen, nur dass ihr diese Flucht rein gar nichts gebracht hatte. Realistisch gesehen hatte sie sich nur noch mehr Probleme bereitet, für die sie weder Zeit, Kraft noch Nerven hatte.
 

„Bene, grazie, Paolo.“
 

Die Stimme am anderen Ende der Leitung wurde ernster, strenger und Lena konnte erahnen, dass er sich mittlerweile richtig hingesetzt hatte und gerade angestrengt irgendeinen Punkt fixierte. Das machte er immer so, wenn er nachdachte.
 

„Du lügst.“
 

Zwei kleine Worte. Eine Feststellung, die ihr mal wieder bewies, dass sie ihn auch über die Distanz zwischen Bremen und Mailand genauso wenig belügen konnte, wie wenn sie ihm gegenüberstand. Manchmal war es wirklich zum Verrückt werden mit den Menschen.
 

Einen Augenblick überlegte Lena ernsthaft, ob es sich zu widersprechen lohnte, doch dann entschied sie sich dagegen. Warum eine Lüge mit einer weiteren Lüge bekräftigen, wenn die erste doch schon als solche erkannt worden war? Nein, sie hatte wahrhaftig keinen Grund Paolo zu belügen, er konnte ruhig wissen, wie es ihr wirklich ging.
 

„Wenn du einen Moment Zeit hast, sage ich dir, wie es wirklich in mir aussieht.“
 

Langsam, fast schlafwandlerisch, bewegte Lena sich mit dem Handy ans Ohr gepresst in Richtung ihres Zimmers. Dabei achtete sie nicht auf die raschelnde Bewegung des Vorhangs, der Wohnzimmer und Flur voneinander trennte. Sie sah auch nicht die großen Füße, die unter eben jenen Vorhang hervorschauten. Das leise Schnaufen drang nicht bis an ihr Ohr, Lena war vollkommen in Gedanken und bereitete sich auf das unweigerlich anstrengende Gespräch vor.
 

Sie wusste zwar, dass Petra kein italienisch sprach und sie sich keine Sorgen machen musste, dass ihre Schwägerin da etwas hören konnte, was nicht für ihre Ohren bestimmt war, aber sie wollte trotzdem lieber allein sein, wenn sie mit Paolo sprach. So wie sie ihn kannte, würde er wieder ziemlich unangenehme Fragen stellen, die den Nagel genau auf den Kopf trafen und ihre tiefsten Gefühle berührten und dann konnte selbst die sonst so beherrschte und kontrollierte Lena meist für nichts mehr garantieren. Und einen weiteren emotionalen Zusammenbruch wollte sie Petra nun doch nicht mit ansehen lassen. Die würde zwar, da war die jungen Blondine sich relativ sicher, nicht schlecht von ihr denken oder sie für schwach halten, aber ein letztes bisschen Würde wollte Lena sich doch noch bewahren. Deswegen würde sie mit Paolo hinter geschlossen Türen sprechen.
 

„Was soll denn das, Principessa, du weißt doch, dass ich für dich immer Zeit habe. Da brauchst du nicht extra fragen. Und fang bitte nicht an mich schon in deinem zweiten Satz zu belügen, das steht dir nicht.“
 

Ein zynisches Lächeln umspielte Lenas Lippen, als sie sich schwerfällig auf das Gästebett im fringsschen Haushalten fallen ließ. Unmerklich schloss Lena die Augen und versuchte sich wieder nach Italien, wieder nach Mailand in Paolos geräumige Villa zurück zu denken, wo sie vier glückliche Jahre verbracht hatte. Zusammen mit ihm, seiner Frau und seinen beiden Söhnen, Christian und Daniel. Und natürlich seinen zahlreichen Freunden und Kollegen, von denen besonders einer ihr Herz im Sturm erobert hatte.
 

„Ich weiß, Paolo, ich weiß, aber hast du schon Mal etwas davon gehört, dass man auf diese Frage nach dem Befinden standardmäßig immer mit gut antwortet, weil es die meisten Menschen eh nicht interessiert, ob es dir wirklich gut geht oder du nur der Höflichkeit halber freundlich lügst?“
 

„Klar habe ich davon schon gehört, bin aber davon ausgegangen, dass es bei uns beiden nicht so ist. Also nun sag schon, wo bist du und wie geht es dir?“
 

Irritiert setzte Lena sich auf und überlegte, woher Paolo wissen konnte, dass sie nicht mehr in Barcelona war. Hatte es sich etwas schon rum gesprochen, dass sie die Flucht ergriffen hatte? Und genau das fragte sie ihn dann auch, doch als Antwort bekam sie zuerst nur ein heiseres Lachen.
 

„Du kennst mich, Principessa, ich habe meine Quellen.“
 

„Also hat dich irgendwer angerufen und gefragt, ob ich bei dir bin, habe ich Recht? Wann war das? Und wer war es? Lionel? Wohl eher nicht. Carles oder doch eher Andres?“
 

Das Schweigen am anderen Ende der Leitung war Lena schon Antwort genug. Scheinbar hatte irgendwer von Barcelona aus nach ihr gesucht und war selbstverständlich als erstes auf Paolo gekommen. Auf wen auch sonst, immerhin wusste keiner von ihnen von ihrem Bruder, von Torsten.
 

„Nun sag schon, wer ist es gewesen?“
 

Lenas Stimme konnte man die Neugier und die Ungeduld anhören, sie interessierte es wirklich brennend, wer nach ihre Nacht- und Nebelaktion sofort darauf gekommen war ausgerechnet in Mailand nach ihr zu suchen. Lionel konnte es wohl wirklich nicht gewesen sein, denn der wusste ja schließlich, welche schmerzhaften Erinnerungen Lena mit dieser Stadt verband und dass dort bestimmt nicht der richtige Ort für sie war um die Wunden der vergangenen Wochen zu lecken. Nicht mit ihm in unmittelbarer Nähe.
 

„Direkt den Morgen nach deinem Verschwinden und es wird wohl Carles gewesen sein, glaube ich.“
 

„Glaubst du? Du musste doch wissen, mit wem du telefoniert hast, Paolo! So etwas vergisst man nicht, auch in deinem Altern noch nicht.“
 

„Hey, hey, ganz ruhig junge Dame, was heißt denn hier in meinem Alter, vierzig ist doch noch nichts, also bitte. Und du kannst mir vertrauen, wenn mich jemand aus Barcelona angerufen hätte, dann wüsste ich es jetzt noch.“
 

Das ließ sie einen Augenblick stutzen. Augenscheinlich hatte Carles nicht bei Paolo angerufen, sondern bei einem anderen Mailänder. Aber warum? Und vor allen Dingen bei wem?
 

„Also hat Carles gar nicht bei dir angerufen, sondern bei wem anders?“
 

„Richtig erkannt, Principessa.“
 

„Bei wem?“
 

Das erneute Schweigen am Ende der Leitung ließ Lenas Magen sich unangenehm zusammenziehen und ihr Herz ein paar Schläge schneller schlagen. Ihre Vermutung gefiel ihr nicht und innerlich versuchte sie sich für Paolos Antwort zu wappnen, die jedoch auch nach einigen Augenblicken immer noch nicht gekommen war. Deswegen nahm sie selbst das Heft in die Hand und äußerte ihre Befürchtung.
 

„Er hat bei ihm angerufen, oder? Ich meine Carles, er hat ihn gefragt, ob ich bei ihm bin.“
 

„Si.“
 

Lenas gequältes Seufzen und die Art, wie sie es vermied seinen Namen auszusprechen, verriet Paolo, dass die junge Deutsche immer noch nicht über das hinweg war, was damals geschehen war oder ihn einfach nicht vergessen konnte. Oder wollte. Es kam ja irgendwie dasselbe bei raus: Jede Menge Tränen, Schmerz, Enttäuschung und Wut. Und das fand er verdammt traurig, denn seine Prinzessin hatte sich ihr Glück verdient, sie sollte nicht immer noch um eine verlorene Liebe, einen vergebenen Mann trauern, der es seiner Meinung nach gar nicht Wert war. Aber wer fragte schon nach seiner Meinung?
 

„Und was hat er ihm gesagt?“
 

Wieder kam Lenas Frage nur zögerlich und Paolo wusste, dass sie mit sich gerungen haben musste sie wirklich zu stellen. Ihre ganze Tonlage war unentschlossen und vorsichtig, zwiespältig, als würde sie die Antwort unbedingt wissen wollen, aber auch genauso fürchten.
 

Lena hatte die Angewohnheit am liebsten Fragen zu stellen, deren Antwort sie bereits sicher oder zumindest mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kannte, da sie schmerzlich hatte lernen müssen, wie es war, wenn einem eine unbedachte Frage wieder um die Ohren flog und einem den Boden unter den Füßen entzog. Ein absolut grausames Gefühl und der damit verbundene Kontrollverlust war für einen Menschen wie Lena nur schwerlich zu ertragen. Sie musste einfach ein gewisses Maß an Kontrolle behalten um nicht zu verzweifeln.
 

Natürlich stellte sich unweigerlich die Frage, warum Lena überhaupt noch fragte, wenn sie letztendlich doch die Antwort schon wusste, aber darauf hatte sie immer gesagt, dass es durchaus einen Unterschied machte, ob man etwas im stillen wusste oder ob ein anderer sich die Mühe machte es laut auszusprechen. Einen himmelweiten Unterschied, denn eine leise innere Stimme ließ sich leichter verleugnen als das laut ausgesprochene Wort eines anderen.
 

Das Risiko, das sie jetzt mit dieser Frage einging, war aus ihrer Sicht enorm, denn Paolo war sich sicher, dass sie absolut keine Ahnung hatte, was zwischen dem Spanier und dem Brasilianer gesprochen worden war.
 

„Du musst dich etwas genauer ausdrücken, Principessa. Sie haben beide etwas gesagt, aber was willst du davon wissen?“
 

Er wollte ihr noch einmal eine letzte Chance geben einen Rückzieher zu machen. Ein Schlupfloch lassen, falls sie es sich jetzt doch anders überlegt hatte. Denn im Augenblick ahnte sie nur, was die beiden einander erzählt hatten, sobald Paolo jedoch zu antworten beginnen würde, würde aus ihrer Vermutung unter Umständen Realität werden. Also hatte sie jetzt ein letztes Mal die Chance auf die Wahrheit zu verzichten um ihren Seelenfrieden nicht zu gefährden.
 

„Ich will alles wissen, Paolo, alles, was du mir sagen kannst. Aber zu aller erst möchte ich wissen, was Carles zu-“
 

To be continued
 

Na, was sagt ihr dazu? Handys können schon eine ziemlich nervtötende Angelegenheit sein…^^

Ich hoffe ich konntet mein etwas verwirrendes Geschwafel über das Prinzip von Fragen und Antworten bei Lena halbwegs verstehen… Ich wollte auch in diesem Übergangskapitel ein wenig tiefer gehen und etwas mehr von ihr zeigen, keine Ahnung, ob mir das nun gelungen ist oder nicht.

Konntet ihr alle Männer, von denen die Rede war, zuordnen, oder gibt es da noch Probleme? Könnt ja raten, wessen Namen ich da wohl absichtlich weggelassen habe zum Schluss, bin ja mal gespannt… ;)

As long as you're mine

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Dieses Lied hat mich zu meinem Flashback inspiriert, hört es am besten, wenn ihr ihn lest, dann wisst ihr sicherlich, was ich meine. Der Song ist aus dem Musical „Wicked“ und heißt „As long as you’re mine“.

http://www.youtube.com/watch?v=09w-BySRpEI&feature=related
 

„Ich will alles wissen, Paolo, alles, was du mir sagen kannst. Aber zu aller erst möchte ich wissen, was Carles zu Ricardo gesagt hat.“
 

„Woher weißt du eigentlich, dass es Carles gewesen ist, der angerufen hat? Ich bin mir sicher, dass ich dir keinen Hinweis gegeben habe.“
 

Lena lachte leise auf. Das war mal wieder typisch Paolo: Anstatt sie gleich danach zu fragen ließ er immer erst etwas Zeit vergehen und sprach über etwas anderes, bis er dann seine Frage stellte. Irgendwie beruhigte es sie, dass es Dinge gab, die sich auch in all der Zeit nicht verändert hatten. Dass sich ihr Paolo Maldini nicht zu sehr verändert hatte.
 

„Hast du auch nicht. Ich habe geraten. Leo konnte es nicht gewesen sein, mit dem habe ich vor ein paar Tagen erst telefoniert und dann blieben nur noch Andres und Carles zur Auswahl. Die beiden zählen neben Lionel zu meinem besten Freunden dort und ich wüsste niemandem, dem Lionel sonst von Ricardo erzählt hätte.“
 

Wieder war es still am anderen Ende der Leitung und Lena ahnte, dass Paolo sich seine Worte sehr vorsichtig zu recht legen würde. Das tat er immer, wenn sie mehr oder weniger zufällig auf das Thema „Ricardo“ kamen, weil er sie nicht verletzten und alte Wunden aufreißen wollte, die eigentlich schon längst verheilt sein sollten. Eigentlich.
 

„Keine Angst, du musst nicht wie eine Katze um den heißen Brei herumschleichen, Paolo. Ich bin alt genug um damit wie eine Erwachsene umzugehen und außerdem ist es ja auch schon ein paar Jahre her. Ich bin über ihn hinweg. Außerdem war ich ja im Endeffekt selbst Schuld, dass es überhaupt so gekommen ist, wie es gekommen ist.“
 

Lena versuchte ihre Stimme stark und sicher klingen zu lassen, doch wie immer, wenn sie an damals dachte und darüber sprach, schlich sich ein leichtes Zittern ein. Jedem anderen wäre es wohl nicht aufgefallen, Paolo schon. Er kannte sie einfach zu gut und wusste, worauf er achten musste. Niemand sonst hätte ihre Lüge zu Beginn des Gesprächs erkannte außer Paolo, der immer auf ihre Stimmlage und –feste achtete. Wie er sowieso scheinbar immer alles im Blick hatte. Daher überraschte es Lena auch nicht weiter, dass er ihre Worte nicht glaubte. Trotzdem war er unerwartet sanft, sonst schollt er sie immer dafür, dass sie ihm indirekt noch nachtrauerte, obgleich er das seiner Meinung nach nicht Wert war.
 

„Nicht Principessa“, bat Paolo „Versuch nicht zu Rechtfertigen, was dir so wehtut.“
 

„Ich versuche nichts zu rechtfertigen, ich will einfach nur wissen, was Carles und er miteinander besprochen haben.“
 

Ihr Tonfall war schärfer als beabsichtigt, aber er nahm es ihr nicht Übel, immerhin hatte er mit einer solchen Abfuhr gerechnet. Alles, was Lena irgendwie zu nahe kam, blockte sie vehement ab. So war sie einfach und mit der Zeit lernte man sie zu akzeptieren und zu lieben, wie sie war.
 

„Soweit ich weiß, war das Gespräch nur recht kurz. Carles wollte wissen, ob du bei ihm bist und er hat erwartungsgemäß mit nein geantwortet. Du kannst dich auch beruhigen, es ist kein böses Wort gefallen oder irgendetwas, was zu persönlich gewesen wäre. Sie haben nicht über dich geredet. Zumindest nicht mehr als das, für mehr war Ricardo in dem Augenblick auch vermutlich nicht fähig. Aber er war schon verdammt überrascht, dass jemand aus Barcelona ausgerechnet bei ihm anruft und nach deinem Aufenthaltsort fragt. Damit hat er nicht gerechnet. Und ich übrigens auch nicht. Ich dachte ehrlich gesagt, dass du deinen Freunden dort nichts davon erzählt hättest. So hattest du es zumindest vor, oder täusche ich mich?“
 

Man konnte den Felsbrocken, der von Lenas Herzen fiel, fast hören, so erleichtert war sie, dass Carles und Ricardo sich nicht weiter über sie unterhalten hatte. Sie hasste es, wenn jemand hinter ihrem Rücken über sie sprach und gerade die Mischung aus Barcelona und Mailand ließ sie nervös werden. Es gab eben Dinge und vor allem Menschen, die nicht zusammengehörten und dazu zählten definitiv diejenigen, die sie aus Barcelona und Mailand kannte. Eine explosive Mischung, deren Detonation sie besser nie erleben wollte.
 

„Es sollte ja auch niemand wissen, aber eines Abends war ich mit den Jungs unterwegs nach einem gewonnen Auswärtsspiel, wir hatten schon ein bisschen getrunken und dann- “
 

„Dann bist du redselig geworden und hast aus dem Nähkästchen geplaudert?“
 

Das konnte sich Paolo beim besten Willen nicht vorstellen. So kannte er seine kleine Principessa gar nicht, normalerweise trank sie kaum Alkohol und wenn, dann wurde sie in diesem Zustand selten redselig. Eine redselige Lena, die ohne Punkt und Komma sprach, kannte er im Grunde genommen gar nicht.
 

„Bist du wahnsinnig? So gut solltest du mich eigentlich mittlerweile kennen, dass ich mich weder betrinke, noch ohne weiteres drauf los erzähle. Nein, den Abend habe ich mich einfach so verdammt einsam und allein gefühlt. So klein und hilflos. Und da war Lionel einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Er hat genau das richtige gesagt, mich in den Arm genommen und mir zugehört. Die ganze Zeit. Er hat mich einfach reden lassen und es hat unheimlich gut getan. Hinter hatte ich natürlich Angst, dass er jetzt schlecht von mir denken könnte, aber Leo hat mich einfach nur angelächelt und gesagt, dass er nie etwas schlechtes von mir denken könnte.“
 

Lenas Stimme hatte einen weichen Ton angenommen, als sie begonnen hatte zu schildern, was Lionel an diesem Abend für sie getan hatte und irgendwie beruhigte es den Abwehrakteur des AC Mailand, dass der junge Argentinier für sie da gewesen war und auch so verständnisvoll reagiert hatte. Trotzdem war Paolo sich ziemlich sicher, dass es einen speziellen Grund gehabt haben musste, dass Lena in eine solche Stimmung verfallen war, aber wenn sie ihn ihm im Augenblick nicht sagen wollte, so akzeptierte er das schweigend.
 

„Lena, wann wirst du endlich begreifen, dass dich keiner für das, was geschehen ist, allein verantwortlich macht. Wenn man da überhaupt von Verantwortlichkeit sprechen kann. Ihr habt euch ineinander verliebt und das passiert in den besten Familien.“
 

„Man verliebt sich nicht einfach so in einen verheirateten Mann, Paolo, und das weißt du. Man tut all das nicht, was wir getan haben, wenn man nicht frei ist.“
 

Resigniert schüttelte Maldini den Kopf. Manchmal war Lenas Dickkopf einfach zum Verzweifeln, das musste wohl in der Mentalität der Deutschen liegen, diese vermaledeite Sturheit. In der Beziehung war sie vermutlich wie alle anderen „guten“ Menschen: Sie konnte sich ihren vermeintlichen Fehler nicht verzeihen. Und das war auch ihr größtes Problem, eines, das sie mit allen anderen „guten“ Menschen gemeinsam hatte: Gute Menschen kommen nicht in den Himmel, weil sie sich selbst nicht verzeihen konnten.
 

Manche Dinge geschahen einfach, ohne dass sie vorher jemand um Erlaubnis bat. Jeden Tag, überall auf der Welt. Völlig unvorhergesehen eben und wenn sie dann geschahen, musste man sich mit ihnen arrangieren. Natürlich war er nicht begeistert gewesen über das, was geschehen war, als er davon erfahren hatte, aber er hatte sie ebenfalls nicht verurteilt. Im Grunde genommen hatte Paolo es kommen sehen, hatte es erwartet. Und trotzdem hatte es ihn noch eiskalt erwischt.
 

„Nein, Principessa, normalerweise tut man es nicht, aber beantworte mir nur eine Frage: Warst du in den Augenblicken mit ihm glücklich?“
 

Ohne zu zögern kam Lenas unmissverständliche Antwort:
 

„Ja, unendlich glücklich.“
 

„Siehst du. Und nun mein Rat, den mein Vater schon von seinem Vater hat und an den ich mich mein Leben lang gehalten habe: Bereue nie, wenn du im Augenblick des Geschehens glücklich warst!“
 

Lena musste unweigerlich schlucken. Vielleicht war es albern, dass Paolos Worte sie so berührten, aber sie taten es einfach. Sie konnte nichts dagegen tun, war wehrlos. Seine Stimme war so sanft und verständnisvoll gewesen. Er hatte schon vorher gewusst, dass sie mit ’ja’ antworten würde und dass es Erinnerungen wach rufen würde, die Lena sowohl liebte als auch hasste. Sie hinterließen immer einen bittersüßes Schmerz, denn mittlerweile wusste sie, dass das Märchen nicht gut ausgehen würde und trotzdem lief wieder dieser Film vor ihrem inneren Auge ab. Und so wie jedes Mal spürte sie da wieder dieses Kribbeln im Bauch, diese Anspannung. Alles, was sie so sorgfältig aus ihren Kopf verbannt hatte, war wieder da und drang mit aller Macht in ihr Bewusstsein.
 

25. Mai 2005
 

Angespannt saß Lena auf der Tribüne und starrte konzentriert auf das kleine, runde Leder, das gerade an der Mittellinie hin- und her gepasst wurde. Aus den Augenwinkeln nahm sie noch Christians aufgeregtes Gehopse war, doch das interessierte sie ausnahmsweise nicht weiter. Sie konnte seine Aufregung ja nur zu gut verstehen, teilte sie sogar, immerhin stand dort unten sein Vater auf dem Platz und kämpfte mit seiner Mannschaft, dem AC Mailand, um die bedeutendste Trophäe des europäischen Vereinsfußballs.
 

Trotzdem ruhten Lenas Augen nicht auf Paolo, der ungefähr 25 Meter vorm Tor hin- und her trabte, nachdem er seine ’Rossonieri’ bereits in der ersten Minute in Führung gebracht hatte, sondern auf einem anderen Spieler im Dress der Italiener. Sie verfolgte gespannt jede Bewegung ihres besten Freundes Ricardo, der von allen anderen nur liebevoll ’Kaká’ genannt wurde. Immer wieder erkämpfte er sich den Ball und versuchte das Spiel in die Hälfte der Liverpooler zu treiben, die trotz eines Null zu Drei Rückstandes noch nicht resigniert hatten.
 

Voller Elan hielten sie dagegen und kämpften bis an den Rand der Erschöpfung. Innerlich zollte Lena ihren Leistungen Respekt, aber sie wollte Ricardo unbedingt gewinnen sehen. Wollte sein Lächeln wieder sehen, das ganz schnell verschwunden war, nachdem seine Frau, Caroline, ihm mitgeteilt hatte, dass sie nicht zum Finale kommen würde. Dringende Geschäfte in Brasilien hätten sie aufgehalten und die würden sich wohl auch noch über mehrere Wochen hinziehen. Wer’s glaubte. Für Lena zumindest war es ein weiterer Grund die Frau ihres besten Freundes nicht zu mögen. Bisher hatten sie sich seinetwegen zusammengerissen, weil sie ihn nicht verletzen wollte, aber wenn das so weiterginge wie würde sie nicht mehr lange ihren Mund halten können. Diese Frau sollte Ricardo schließlich glücklich und nicht unglücklich machen.
 

Lena war so in Gedanken gewesen, dass sie erst Christians entsetzter Aufschrei in die Realität zurückholte. Ebenso entsetzt schaute sie auf die Anzeigetafel, die emotionslos den neuen Zwischenstand von Drei zu Eins verkündete. Steven Gerrad hatte die Liverpooler wieder hoffen lassen und das konnte man förmlich spüren. Noch lagen sie zwei Tore in Führung aber irgendwie hatte Lena kein gutes Gefühl. Auf dem Platz schien es Paolo ähnlich zu gehen, denn wütend trieb er seine Kollegen an und hetzte selbst unerbittlich durch die lauwarme türkische Abendluft.
 

Fassungslos mussten Christian, Lena und Paolos Frau Adriana zusehen, wie Liverpool bis zum Ende der regulären Spielzeit noch zwei weitere Tore erzielte. Es war wie verhext und Lena konnte von den VIP Plätzen aus sehen, wie geknickt die Mannschaft war. Keiner hatte damit gerechnet dieses Spiel noch aus der Hand zu geben, aber genau das war passiert.
 

Die Liverpooler Fans hingegen machten lautstark Stimmung und feuerten ihre Mannschaft frenetisch an, wohingegen die Milan Fans während der Verlängerung zunehmend leiser geworden waren, als es immer wahrscheinlicher wurde, dass es ein Elfmeterschießen geben würde.
 

Und genau so kam es dann auch. Lena versuchte den kleinen Christian neben sich ruhig zu halten, doch daran war nicht zu denken. Ihre Nerven lagen blank und immer wieder hörte Lena sich selbst ’Forza Milan’ schreien. Vergeblich. Andreas und Shevas Elfmeter hielt der Liverpooler Torhüter Dudek und binnen Sekunden war der Traum vom Titel für die Mailänder ausgeträumt.
 

Enttäuscht und unheimlich traurig nahmen sie ihre Medaillen für den zweiten Platz entgegen, doch Lena sah, dass viele von ihnen, darunter auch Paolo, sie sofort wieder ablegten und nur sehnsüchtige Blicke zum silbernen Pokal warfen.
 

„Adriana, ich glaube wir sollten runter in die Katakomben, ich glaube sie brauchen uns jetzt.“
 

Schweigend nickte Paolos Frau und gemeinsam mit Christian machten sie sich auf den Weg in die Katakomben. Doch trotz der VIP Pässe wurden sie nicht vorgelassen und mussten am Eingang auf Paolo und die anderen warten. Die schlichen ihnen auch schon nach kurzer Zeit mit gesenkten Köpfen und resignierter Haltung entgegen. Adriana beeilte sich schnell zu ihrem Mann zu kommen und auch Christian versuchte alles um seinen Vater ein wenig aufzumuntern und abzulenken, doch wie nicht anders zu erwarten gelang es ihnen nicht recht.
 

Lena hatte in der Menge gleich nach Ricardo gesucht, ihn jedoch nicht sofort gefunden. Erst nachdem sie Andrea und Sheva, den beiden traurigen Elfmeterschützen, aufmunternd auf die Schulter geklopft hatte, erblickte sie ihn einsam mit geschlossenen Augen an die kalte Wand gelehnt. Ein eiskalter Schauer lief Lena den Rücken runter, denn in so einer Verfassung hatte sie ihren besten Freund noch nie erlebt. Jetzt war definitiv der Augenblick, in dem er ihre Fürsprache und ihren Trost brauchte und deshalb näherte sie sich ihm trotz der warnenden Blicke der anderen.
 

Kaká hatte ihre Schritte nicht bemerkt, starte immer noch wie hypnotisiert auf den Boden, als sich zwei schlanke Arme um ihn schlangen und ihn mit sanfter Gewalt zu sich heran zogen. Er musste nicht aufsehen um zu erkennen, wer ihn so in den Armen hielt, er kannte nur eine Frau auf der Welt, die solch einen unverwechselbaren Duft trug. Es war eine Mischung aus Vanille und ihrem ganz eigenen Geruch, der ihn wie in einen Kokon einhüllte. Wortlos erwiderte er die Umarmung und für einen Moment fiel die Last des verlorenen Finals von ihm ab.
 

„Ricardo, Lena, wir müssen.“
 

Paolos Stimme holte die beiden zurück in die Wirklichkeit und nur widerwillig ließ Ricardo Lena gehen. Nachdenklich folgte er ihr und kurz bevor er in den Bus steigen musste, der ihn wieder ins Hotel bringen sollte, fragte er sie leise:
 

„Bleibst du heute Nacht bei mir, Lena? Ich will nicht allein sein.“
 

Es brauchte keine Antwort, ein Blick in ihre Augen versicherte Ricardo, dass sie da sein würde, wenn er sie brauchte, so wie sie bisher immer da gewesen war, seit er sie vor einigen Jahren durch seinen Kapitän kennen gelernt hatte. So stieg er beruhigt in den Bus und wusste, dass er sich an diesem Abend nach dieser Niederlage nicht wie die meisten anderen sinnlos betrinken würde, sondern dass seine beste Freunde da sein würde um ihm zu zuhören, ihm neuen Mut zu machen und neue Kraft zu schenken. Jetzt hatte er keine Angst mehr vor der erdrückenden Einsamkeit seines Einzelzimmers, denn er wusste, dass Lena da sein würde.
 

Ihr leichtes Klopfen überhörte Ricardo fast, da er im Bad stand und sich die Zähne putzte. Nur mit einem Handtuch um die Hüften stand er da und starrte in den Spiegel, als könne der ihm sagen, warum es nicht gereicht hatte. Aus seinem Schlafzimmer drang die leise Musik des Radios bis an sein Ohr, aber so richtig bekam er nichts mit.
 

Vorsichtig öffnete Lena die Tür, die nur angelehnt war und betrat das Zimmer des Mittelfeldakteurs, der heute zumindest während der ersten Halbzeit der Spielbestimmende Mann auf dem Platz gewesen war. Am Ende hatte es leider nicht gereicht, auch wenn er einer derjenigen gewesen war, der seinen Elfmeter verwandelt hatte.
 

„Ricardo bist du hier?“
 

„Ja, warte, ich komme gleich.“
 

Nur ein paar Augenblicke später stand Ricardo schon in der Tür, die das Badezimmer und den Schlafraum miteinander verband. Schmunzeln beobachtete er Lena, die es sich bereits auf seinem Bett bequem gemacht hatte. Ihr war wahrscheinlich klar, dass sie die ganze Nacht über das Spiel und auch seine Probleme mit Caroline reden würde, also hatte sie es sich gleich angenehm eingerichtet.
 

Lena war nur in einem seiner langen Shirts gekommen, die er ihr irgendwann einmal zum Schlafen gegeben hatte. Deswegen sah auch Ricardo keinen Grund für Förmlichkeiten und ließ sich nur mit einer Boxershorts bekleidet neben sie nieder. So hatten sie schon oft nebeneinander gesessen und keiner hatte ein Problem mit dem Aufzug des anderen. Immerhin gab es für sie nichts, was sie nicht schon gesehen hätten. Zwar war es schon sehr lange her, dass sie miteinander geschlafen hatten und damals waren sie beide ziemlich angetrunken gewesen, aber sein Erste Mal vergaß man einfach nicht.
 

„Was war heute auf dem Platz los, Ricardo?“
 

„Wenn ich das so genau wüsste. Es war alles irgendwie wie verhext, zuerst ging alles viel zu gut und dann brach mit einem Mal der Sturm los. Vielleicht waren wir zu arrogant?“
 

Ohne einen Blick auf die Uhr zu werfen redeten sie und redeten. Es war fast wie früher, wenn sie bis in die frühen Morgenstunden zusammen gesessen hatten. Solche Gelegenheiten waren seltener geworden, seitdem Kaká verheiratet war und so genoss er es umso mehr. Mit seiner Carolin konnte er so nicht reden, sie würde ihn nicht verstehen und hätte wohl auch nie die Geduld gehabt ihm so lange aufmerksam zu zuhören. Lena jedoch war da ganz anders.
 

Auf einmal überkam ihn ein komisches Gefühl. Er konnte es zuerst gar nicht richtig zuordnen, es war so angenehm und war und er fühlte sich wohl. Die Trauer über die Niederlage schmerzte nicht mehr so und Lenas Kopf, der leicht an seine Schulter gelehnt war, faszinierte ihn mit einem Mal unheimlich. Ihre strahlenden blauen Augen zogen ihn magisch an und ehe er wirklich realisieren konnte, was er da gerade tat, beugte er sich zu ihr herunter und legte seine Lippen ganz sanft auf ihre.
 

Überrascht sog Lena den Atem ein, schloss dann jedoch unweigerlich die Augen. Seine Lippen waren rau, doch fühlten sie sich unendlich gut an. Unmerklich begann Lena den Kuss zu erwidern und schließlich war es Ricardo, der erschrocken über seine eigene und Lenas Reaktion damit aufhörte.
 

„Was machen wir hier?“
 

„Ich weiß es nicht.“
 

Ihre Stimme zitterte leicht und sie konnte nicht verbergen, wie sehr sie diese Situation verwirrte. Hier lag sie mit ihrem verheirateten besten Freund, den sie eigentlich nur hatte trösten wollen, und in ihrem Bauch flogen die Schmetterlinge wie wild durcheinander. Das durfte nicht sein, das war alles so furchtbar falsch, dass ihr die Worte dafür fehlten, aber ganz tief in ihr drin pochte ihr Herz ein wenig schneller und sagte ihr, dass nichts, was sich so gut anfühlte, schlecht sein konnte.
 

„Ich auch nicht, aber ich weiß ganz genau, was geschehen wird, wenn wir so weiter machen, Lena. Ich will nichts tun was du später mal bereuen wirst, doch heute Nacht brauche ich bisschen mehr als Freundschaft.“
 

Ricardos Stimme riss Lena aus ihren Gedanken und sie wusste, dass sie jetzt eine wichtige Entscheidung zu treffen hatte. Wenn sie das alles nicht wollte, würde sie aufstehen und gehen müssen. Blieb sie, dann würde sie mit Ricardo schlafen, daran hatte sie genauso wenig Zweifel wie er.
 

Doch im Gegensatz zu Ricardo wusste Lena, dass wenn sie sich jetzt dafür entschiede bei ihm zu bleiben, würde sie sich endgültig in ihn verlieben. In ihren besten Freund. Und sie hatte keine Ahnung, was dann sein würde, was er dachte und fühlte. In ihrem Kopf schwirrten so viele Fragen herum doch zum ersten Mal in ihrem Leben interessierte es sie nicht, was das weisere, das vernünftigere wäre, sie ließ ihr Herz entscheiden und das wollte bei Ricardo bleiben, das wollte dieses Bett, dieses Zimmer, nie wieder verlassen.
 

Langsam strich Lena über seine Wange und sie konnte sehen, wie sich langsam eine Gänsehaut über seinen ganzen Körper ausbreitete. Zärtlich beugte sie sich zu ihm hinunter und hauchte ihm einen leichten Kuss auf den Mund nur um dann langsam seinen Hals entlang zu wandern.
 

Der türkische Radiosender spielte mittlerweile ein englisches Lied und Lena hielt einen Moment inne mit ihren Küssen um den Worten der Sängerin zu folgen. Es schien, als hätte jemand ihre Gefühle erraten und extra für sie dieses Lied bestellt.
 

„Just for this moment

As long as you're mine

I've lost all resistance

And crossed some borderline

And if it turns out

It's over too fast

I'll make ev'ry last moment last

Say there's no future

For us as a pair

And though I may know

I don't care!”
 

Dieses Lied sprach ihr aus dem Herzen, aus der Seele und Lena wusste, egal wie sich ihre Beziehung durch diese Nacht verändern würde, sie würde die Erinnerung an diese Nacht für immer in ihrem Herzen bewahren. Alles andere war nicht wichtig, diese eine Nacht sollte nur ihnen beiden gehören.

Zärtlich beugte Ricardo sich zu ihr und küsste sie erneut, dass ihr fast schwindlig wurde vor Glück. Für Lena war es ein Traum, aus dem sie nicht wieder aufwachen wollte und für Ricardo war es die Erfüllung einer lange gehüteten Sehnsucht, an die er schon fast nicht mehr geglaubt hatte. Beide waren sich bewusst, dass am nächsten Morgen alles anders sein würde und sie sich unangenehme Frage stellen würden, aber sowohl Lena als auch Ricardo war es mittlerweile egal.
 

To be continued
 

Was hat Lena wohl so aus der Bahn geworfen, dass sie sich Lionel einfach so anvertraut hat? Denkt ihr, dass ihre unnachgiebige Haltung sich selbst gegenüber so gut ist? Fragen über Frage…

Jetzt ist wenigstens das große Geheimnis um den mysteriösen Unbekannten aus Mailand gelöst und ich hoffe euch hat der Flashback gefallen. Mich hat er zumindest viel Kreativität gekostet… Was denkt ihr wird wohl noch mit den beiden passieren? Jetzt in der Nacht und am nächsten Morgen…

Und wie steht ihr zu dem „Hausrezept“ der Maldinis?

Augenblick verweile doch

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Lena und Ricardo lagen eng aneinandergekuschelt und Bett und träumten selig, als im Zimmer neben ihnen laut die Türen geknallt wurden und wenig später ein Telefon zu läuten begann. Auf dem Flur schoben halblaut schnatternd die Frauen des Reinigungspersonals ihre Wagen von Zimmer zu Zimmer und gingen ihrer Arbeit nach. Scheinbar war das halbe Hotel bereits auf den Beinen, auch wenn die Uhr erst acht Uhr morgens anzeigte. All das vermochte jedoch weder Lena noch Ricardo zu stören, die vollkommen unbehelligt von ihrer Umwelt weiterschliefen.
 

Erst die kitzelnden Strahlen der türkischen Frühlingssonne weckten einen noch ziemlich verschlafenen Ricardo aus seinen süßen Träumen. Einen Augenblick hielt er die Augen einfach nur geschlossen und versuchte die Welt anzuhalten. Sie sollte für einen kurzen Moment inne halten und ihm Zeit geben. Es war alles so verdammt unwirklich für ihn. Hier lag er und auf seiner Brust schlief seine beste Freundin, die erste Frau, für die er je etwas tieferes als Freundschaft empfunden hatte, die Frau, nach der er sich so lange gesehnt hatte, aber der er sich doch nicht hatte nähern können. Aus Angst vor ihrer Zurückweisung. Wie albern ihm das jetzt auf einmal vorkam.
 

Seine linke Hand ruhte auf ihrem Rücken und Ricardo konnte nicht anders als sie leicht zu streicheln. Ihre warme Haut unter seinen Fingern zu spüren jagte ihm neue Schauer über den Rücken. Am liebsten hätte er geseufzt, aber um nichts in der Welt wollte er seine schlafende Prinzessin wecken. Im Schlaf sah sie sich glücklich aus, so friedlich. Das leichte Lächeln auf ihren Lippen schlug Ricardo in den Bann und er fragte sich, von was sie wohl träumte, dass es ihr einen solchen Ausdruck bescherte. Im Stillen hoffte er, dass er ihn ihrem Traum vorkam, so wie sie in dieser Nacht und schon in vielen anderen seine Träume besucht hatte.
 

Mit der rechten Hand fuhr er durch ihre in alle Himmelsrichtungen abstehenden Harre, wickelte sie um den Zeigerfinger und genoss einfach nur den Augenblick. Lenas warmer Atem auf seiner Haut fühlte sich so verwirrend gut an und er war sich nicht sicher, ob er nicht doch mit offenen Augen schlief und wieder träumte. Vielleicht spielten ihm seine Sinne auch nur einen Streich und wenn er dann wirklich aufwachte, würde doch nicht Lena, sondern Carolin neben ihm und schlafen.
 

So in Gedanken versunken, bemerkte Ricardo gar nicht, wie auch Lena langsam aus Morpheus’ Armen entschwand und wieder in das Reich der Wachenden zurückkehrte. Zuerst war sie leicht verwirrt, spürte sie doch die Wärme eines anderen Körpers neben sich, fühlte eine Hand auf ihrem Rücken, die sie zärtlich streichelte und die andere Hand, wie sie mit ihrem Haar spielte. Ihre Verwirrung verschwand jedoch, als sie einmal tief einatmete und den unverkennbaren Geruch Ricardos wahrnahm und mit diesem Geruch kamen auch die Erinnerungen an den vergangenen Abend und die vergangene Nacht wieder.
 

Lena fragte sich, ob sie vielleicht hätte früher aufwachen und gehen müssen, um ihnen eine unangenehme Szene zu ersparen, verwarf den Gedanken dann aber gleich wieder. So, wie Ricardo sie hielt, wie er sie streichelte und mit ihrem Haar spielte, wollte er nicht, dass sie ging. War womöglich sogar froh, dass sie noch da war und sie gemeinsam hatten aufwachen dürfen, auch wenn das vermutlich nur ihr eigener Wunschgedanke war, immerhin war Ricardo kein gewöhnlicher, kein freier Mann. Außerdem hätte eine Flucht aus dem Bett und dem Raum nichts verändert, sie hätte das unvermeidliche nur herausgezögert und für Lena gab es nichts Schlimmeres als auf eine schmerzhafte Angelegenheit zu warten, der sie nicht entfliehen konnte. Deswegen war sie auch die erste, die sprach.
 

„Buon Giorno.“
 

Beim Klang ihrer leisen, melodischen Stimme verkrampfte Ricardo sich leicht, hatte er doch nicht erwartet Lena schon so früh wach zu sehen. Und mit ihr reden zu müssen, etwas, was er gerne noch aufgeschoben hätte, denn dann würde er nachdenken müssen und das würde sein Glück in diesen vier Wänden zerstören. Er wollte jetzt weder denken noch reden, er wollte sie einfach noch ein wenig länger in seinem Armen halten und sich vorstellen, wie es wohl wäre jeden Morgen neben ihr aufzuwachen. Jeden Morgen als erstes ihre Stimme zu hören und in ihre strahlend blauen Augen zu sehen. Heute wollte er diesen Traum einmal zu ende träumen und nicht von lästigen Gedanken und Schuldgefühlen geplagt werden.
 

„Guten Morgen.“
 

Schweigen. Keiner der beiden wusste, was zu sagen war. Was sie sagen sollten, was vernünftig wäre zu sagen, wussten sie beide nur zu genau, aber trotzdem brachte es keiner der beiden über die Lippen. Keiner wollte die Magie des Augenblickes zerstören.
 

Lena war es schließlich wieder, die sich widerwillig aufraffte, ihren Kopf von Ricardos warmer, bequemer Brust hob. Sich auf ihre Ellenbogen stützte und ihm tief in die Augen sah. Ein unheimlich intensiver Blickkontakt, der mehr sagte als tausend Worte, ihnen jedoch trotzdem nicht das kommende Gespräch ersparen konnte. Aber erst jetzt fiel ihr auf, wie herrlich braun seine Augen waren und am liebsten hätte sie sich jetzt und hier in ihnen verloren. Doch zum ersten Mal seit vergangener Nacht gewann die Vernunft überhand über Lenas Herz und so fing sie stockend an zu sprechen.
 

„Ricardo, was haben wir nur getan?“
 

Faktisch war es recht einfach und schnell zu erklären, was sie getan hatten und Ricardo war nahe dran ihre Frage genau so zu beantworten um nicht wirklich über das Geschehene nachdenken zu müssen, doch dafür war die Lage einfach viel zu ernst. Egal auf welchen Nenner sie kämen, es würde unter allen Umständen Konsequenzen haben. Genauso wie seine Antwort auf ihre Frage. Außerdem kannte er Lena gut genug um zu wissen, dass sie solch eine Antwort nicht akzeptieren würde. Also musste er spontan improvisieren, wollte er doch wissen, was sie für ihn fühlte, warum sie mit ihm geschlafen hatte. Also antwortete absichtlich ein wenig provozierend:
 

„Du hast nichts getan, Lena, außer einen Freund, der deprimiert und am Boden war, zu trösten. Ich war es, der mehr von dir wollte und du hattest aus Mitleid mit mir nicht das Herz mir zu widersprechen.“
 

„Das stimmt nicht Ricardo, so nicht. Ja, ich wollte dich trösten, ja, du warst es, der um mehr gebeten hat und ja, ich hatte nicht das Herz mich deiner Bitte zu verweigern, aber nicht aus Mitleid.“
 

In seinen Augen versuchte Lena zu lesen, ob er ihre Worte auch genauso weit reichend verstanden hatte, wie sie sie gemeint hatte. Doch in ihnen konnte sie weder eine positive noch eine negative Regung erkennen. Eigentlich verzog er keine Miene, doch in seinem Gehirn arbeitete es fieberhaft, während sein Herz bereits einen wahren Stepptanz aufführte.
 

„Warum hast du es dann zugelassen, dass ich dich küsse?“
 

„Wieso hast du mich überhaupt erst geküsst?“
 

Lena war klar, dass sie ihm mit dieser Gegenfrage nur auswich, aber sie war sich noch nicht ganz genau im Klaren darüber, was sie ihm auf seine Frage antworten sollte. Die schlichte Wahrheit, die wahrscheinlich alles kaputt machen würde, oder eine dreiste Lüge, die diese ganze Sache als einmaligen Ausrutscher ohne Gefühle darstellte? Sie wollte ihn nicht belügen, aber er war mit Carolin verheiratet und wenn sie ihm gestand, was sie für ihn fühlte, würden sie vermutlich ihre Freundschaft verlieren und das wollte Lena lieber nicht riskieren.
 

Ricardo, der bemerkt hatte, dass Lena ihm nicht so ohne weiteres auf seine Frage antworten würde, weil sie noch viel zu sehr mit sich rang, entschied sich das Risiko einzugehen und sein Gefühlsleben offen zu legen. Es war ein gewagter Schritt, höchstes Risiko, aber er war der Ansicht, dass jetzt er jetzt nichts mehr verlieren konnte, was nicht eh schon verloren war.
 

„Weißt du, Lena, ich habe dich geküsst, weil ich nicht anders konnte. Aus dem Impuls heraus. Die ganze Zeit habe ich wacker gegen diesen Drang angekämpft, aber gestern Abend war ich des Kämpfens müde, ich wollte nur noch die Augen schließen und mich fallen lassen, in der Hoffnung, dass du da bist und mich auffängst. So wie du immer für mich da warst, wenn ich gefallen bin. Gestern, da hatte ich schlicht und ergreifend keine Kraft mehr meiner Sehnsucht zu widerstehen: Ich musste dich einfach küssen, sonst wäre ich wahrscheinlich durchgedreht.“
 

Verlegen versuchte Ricardo überall hinzusehen, nur nicht auf die junge Frau, deren Blick er förmlich auf seiner Haut spüren konnte. Fieberhaft überlegte er, ob er mit seinem Geständnis zu weit gegangen war und ob er sie jetzt endgültig verschreckt hatte, doch als Lena nach einer halben Ewigkeit ihre Stimme wieder gefunden hatte, klang sie ruhig und- liebevoll.
 

„Weißt du, Ricardo, ich habe mich von dir küssen lassen, weil ich nicht anders konnte.“
 

Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie Ricardos Worte wiederholte und schon wollte er protestieren, da legte sie ihm ebenso sanft den Zeigefinger auf die Lippen und bedeutete ihm ihr weiter zuzuhören. Sie war noch nicht fertig.
 

„Bis gestern Abend habe ich mir die ganze Zeit unbewusst eingeredet, dass wir nur Freunde sind und dass diese wechselnden Gefühle in meinem Bauch ganz normal sind. Genauso normal wie mein Herz, dass jedes Mal, wenn du mich berührst, einmal kurz aussetzt, nur um dann die nächsten Schläge schneller zu schlagen. Bis zum gestrigen Abend war ich wirklich erfolgreich damit daran zu denken, dass du ein vergebener Mann bist und ich mich unter gar keinen Umständen in dich verlieben darf, aber verdammt, mit deinem Kuss hast du mein gesamtes Kartenhaus rücksichtslos niedergerissen.“
 

Verlegen und unsicher sahen sie einander an, bis sie beide im gleichen Augenblick die Distanz für einen Kuss zu überbrücken versuchten. Schwungvoll stießen ihre Köpfe gegeneinander und mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht rieben sie sich ihre Stirn ehe ihnen die Komik dieser Situation bewusst wurde und das befreiende Lachen einsetzte. Viel zu schnell wurde Lena jedoch wieder ernst.
 

„Und was machen wir jetzt? Was wird aus uns, falls es überhaupt ein „Uns“ gibt? Immerhin bist du mit Carolin verheiratet und das, was wir hier tun würden manche als Sünde bezeichnen.“
 

„Was sollen wir schon machen? Das ist doch vollkommen klar.“
 

„Ach ja, ist es das? Also mir ist im Augenblick gerade nichts klar und ich habe absolut keine Ahnung, wie das alles hier weiter gehen soll, wenn du das schon weißt, bitte, sag es mir. Denn wenn ich ehrlich sein soll macht mir diese ganze Situation, diese ganzen Gefühle und all diese Veränderungen gerade eine Heidenangst.“
 

Lena hatte nicht so aufbrausend reagieren wollen, aber diese Ungewissheit zerrte schon jetzt an ihren Nerven. Sie hatte einfach Angst vor der Zukunft und dieses Gefühl war Lena neu, denn ihr Leben lang hatte sie immer geplant und organisiert, sie war nie ohne genaue Planung und detaillierte Vorbereitung in etwas hineingestolpert, mit Ausnahme der letzten Nacht. Das hatte sie nicht geplant, darauf war sie nicht vorbereitet gewesen, genauso wenig wie auf die Flut ihrer eigenen Gefühle, die jetzt die Überhand zu erlangen drohten.
 

„Bitte beruhig dich, Lena, ich kann verstehen, dass dir das alles hier Angst macht, mir geht es doch genauso. Aber ich bin auch so glücklich wie schon lange nicht mehr, vielleicht sogar so glücklich wie ich noch nie war.“
 

Ein leises „ich auch“ von Lena bekräftigte Ricardo weiter zu sprechen und ihm war klar, dass es eine extreme Entscheidung war, die er innerhalb kürzester Zeit aus seinen Gefühlen heraus gefällt hatte, aber noch nie im Leben war er sich so sicher gewesen wie jetzt das richtige zu tun. Hätte er diese Gewissheit nur schon nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht gehabt, so hätte er sich und Lena viel ersparen können. Vor allem natürlich sich selbst.
 

„Und gerade weil ich mit dir so glücklich bin und ich dich noch viel, viel glücklicher machen will, gibt es für mich nur eine Möglichkeit wie es weiter gehen kann: Ich werde mit Carolin reden, ihr alles erklären und mich dann von ihr scheiden lassen, damit wir beide eine reelle Chance haben miteinander in Glück und Frieden alt zu werden.“
 

Langsam lief eine einzelne Träne über Lenas Gesicht und Ricardo hob vorsichtig den Daumen um sie wegzuwischen. Es war ihnen beiden klar, dass Ricardo etwas zu vorschnell vom zusammen alt werden gesprochen hatte, aber Lena wusste, was er eigentlich meinte. Für was ihm die passenden Worte fehlten und es rührte sie zutiefst. Um sie glücklich zu machen war er bereit seine Ehe zu beenden, für ein Leben mit ihr wollte er alles Vertraute aufgeben. Das waren viele Dinge, die er bereit war aufzugeben, und Lena fürchtete sich fast vor diesen Opfern, aber sie war trotzdem nicht bereit aus purer Angst auf ihren Märchenprinzen zu verzichten.
 

„Das würdest du alles tun? Ohne zu zögern? Ich bin also nicht nur eine kleine Affäre für dich, mit der du dich so lange abgibst, wie sie dir interessant genug erscheint? Die du dann aber wegwirfst wie ein benutztes Taschentuch?“
 

Innerlich wusste Lena, dass Ricardo niemals so von ihr denken oder sie so behandeln würde, doch sie war einfach zu sehr Frau um nicht doch all diese Unsicherheiten zu verspüren, die es mit sich brachte einen verheirateten Mann zu lieben.
 

„Ja, das würde ich nicht nur tun, sondern das werde ich tun. Und nicht nur für dich, sondern vor allen Dingen für mich selbst, weil ich nicht in einer Ehe leben will, in der ich nur unglücklich bin. Das Leben ist zu kurz um nicht jede Sekunde auszukosten. Und ich bin mit niemandem so glücklich wie mit dir, Lena, deswegen werde ich Carolin auch verlassen, aber das möchte ich ihr gerne von Angesicht zu Angesicht sagen. Persönlich. Alles andere wäre schändlich, das hat sie nicht verdient. So lange müssen wir unsere Beziehung geheim halten, denn ich will nicht, dass sie aus der Presse davon erfährt.“
 

Gedanklich überschlug Lena wie lange es noch war bis zu Carolins Rückkehr und kam auf knappe vier Wochen. 28 Tage, in denen sie eine Lüge würden leben müssen. Das war eine lange Zeit und sie würde bestimmt nicht leicht werden, aber andererseits konnte Lena seine Beweggründe verstehen, etwas anderes hätte sie ja auch nicht von ihm erwartet, also nickte sie nur leicht. Sie hatten ihre Gefühle bisher so lange verheimlich, da würde es auf vier weitere Wochen auch nicht mehr ankommen.
 

„Danke, dass du mir diese Zeit lässt.“
 

Ein überglückliches, strahlendes Lächeln zierte sein Gesicht und kurz bevor er sich zu Lena hinüber beugte um sie zu küssen flüsterte er leise:
 

„Ich liebe dich, Lena.“
 

Es war Paolos wissende Stimme, die Lena wieder aus dem Land der Erinnerungen in die Realität zurück holte und für den Moment war sie sich nicht sicher, ob sie sich darüber freuen oder ihm dafür verfluchen sollte. Einerseits tat es ihr unheimlich weh daran zu denken, was sie damals verloren hatte, zum anderen war diese Nacht aber viel zu schön gewesen um sie vergessen zu können. Lena erinnerte sich noch viel zu lebhaft an das traumhafte Gefühl in Ricardos Armen aufzuwachen, sie wusste noch Wort für Wort, was er an diesem Morgen zu ihr gesagt hatte. Sie konnte seine Küsse förmlich wieder auf ihrer Haut spüren und sie wusste, dass es nur noch mehr schmerzen würde, wenn sie weiter daran dachte.
 

„Lena, du bist nicht allein verantwortlich für das, was zwischen euch passiert ist, versteh’ das doch endlich, dann geht es dir besser. Zu so einer Beziehung gehören immer noch zwei Menschen.“
 

Am liebsten hätte Lena vor Frust laut los geschrieen, aber sie wusste sich zu beherrschen. Es war doch immer wieder dasselbe: Jedes Mal, wenn sie über diese Sache sprachen, fing Paolo damit an ihr einreden zu wollen, dass sie nicht alleine Schuld an diesem Dilemma war. Dabei war die Sache doch glasklar.
 

„Ach Paolo, lassen wir das lieber. Wir werden nie einer Meinung sein.“
 

„Wahrscheinlich nicht, aber ich möchte, dass du weißt, dass Ricardo es genauso sieht wie ich. Wobei nein, im Grunde genommen sieht er es genau wie du. Und doch irgendwie anders.“
 

„Wie meinst du das jetzt schon wieder?“
 

„Er glaubt, genau wie du, allein an all dem Leid und den Schmerzen verantwortlich zu sein. Er denkt, er allein hätte es angefangen und er wäre es letztendlich auch gewesen, der dir das Herz gebrochen und dich aus der Stadt vertrieben hat. Und das tut ihm unendlich Leid und wenn er euer letztes wirkliches Gespräch rückgängig machen könnte, dann würde er es sofort tun.“
 

Lena versuchte krampfhaft die aufkommenden Erinnerungen an ihr letztes ernstes Gespräch mit Ricardo zu verdrängen, das hielt sie jetzt nicht auch noch durch. Für einen Tag waren schon zu viele bitter-süße Erinnerungen auf sie eingeprasselt, erst ihre Kindheit, dann der Beginn ihrer Beziehung zu Ricardo, den Gedanken an ihr Ende ertrug sie jetzt nicht auch noch. So ging sie zum Fenster, öffnete es, atmete tief durch und versuchte sich wieder auf Paolo und das Gespräch zu konzentrieren.
 

„Ich kann dir nicht sagen, ob es mir Leid tut, was ich damals gesagt habe, aber er sollte, und das kannst du ihm gerne von mir ausrichten, die Vergangenheit ruhen lassen, denn vergossenen Wein, den trinkt keine mehr. Ricardo kann die Zeit genauso wenig zurückdrehen wie wir und manchmal glaube ich, dass es auch besser so ist. Manche Dinge sollen halt einfach nicht sein.“
 

Lena wusste wirklich nicht, ob es ihr Leid tat, was sie damals gesagt hatte. Sie hatten damals einander sehr wehgetan, ohne auch nur einen Augenblick aufzuhören einander zu lieben, das wusste sie. Es war paradox, dass man immer genau den Menschen am meisten verletzte, den man doch eigentlich so sehr liebte. Schmerzhaft paradox, aber viel zu wahr. Das Leben war voller Entscheidungen, aber keiner sagte jemals was von der Angst, die man in Augenblicken wie diesem fühlte. Wenn man Entscheidungen treffen musste, die das Leben vieler Menschen verändern würde. Würde sie die Zeit zurück drehen wollen um etwas anderes zu sagen? Eigentlich nicht, denn alles hatte sie genau so gemeint und wäre sie jetzt wieder in der gleichen Situation, so würde sie wieder genauso handeln, würde wieder dasselbe tun.
 

„Da hast du wahrscheinlich Recht, Principessa, aber für andere Dinge wiederum lohnte es sich zu kämpfen. Du musst nur zwischen beiden zu entscheiden wissen.“
 

„Ich habe mich entschieden.“
 

„Ja, und deswegen bist du auch vor deinen Problemen in Barcelona weggelaufen. Wäre jetzt nicht der richtige Augenblick um zu kämpfen?“
 

„Nein.“
 

„Warum nicht?“
 

„Bitte nicht, Paolo, tue es nicht. Ich habe das wunderbare Gefühl dir alles sagen zu können, bitte gib mir nie das Gefühl dir alles sagen zu müssen. Das könnte ich nicht ertragen.“
 

Auch wenn Paolo am anderen Ende des Telefons schwieg, wusste Lena doch, dass er sie verstanden hatte und wusste, was sie damit meinte. Hin- und wieder gab es einfach diese Augenblicke, in denen sie nicht miteinander sprechen mussten um sich wirklich zu verstehen. Da ging es einfach so.
 

„In Ordnung, Principessa, ich werde nicht weiter nachfragen, ich will nur fragen, ob es dir da, wo du gerade bist, einigermaßen gut geht.“
 

„Ach Paolo, du kannst auch ganz direkt fragen, wo ich bin, du musst es nicht so umschreiben. Du nicht. Ich wollte zwar niemandem sagen, wo ich bin, aber dir kann ich vertrauen. Ich bin derzeit bei meinem Bruder und seiner Familie in Bremen und es geht mir den Umständen entsprechend gut. Lena und Lisa, meine beiden Nichten, bringen mich auf andere Gedanken.“
 

Wieder herrschte einen Augenblick schweigen am anderen ende und Lena war sich sicher, dass Paolo erst wieder überlegte, ob er das, was er dachte, auch wirklich so aussprechen konnte ohne sie zu verletzen. So war es bei Paolo immer und in Zeiten wie diesem war Lena ihm dafür überaus dankbar.
 

„Es tut dir gut wieder Kinder um dich zu haben, habe ich Recht, Principessa? Du vermisst sie, oder?“
 

„Ja, schon. Besonders natürlich Christian. Grüß meinen kleinen Schatz von mir, Paolo.“
 

„Werde ich machen, versprochen. Und ob du es glaubst oder nicht, er vermisst dich auch. Keine wird je an das heran reichen, was du ihm bist. Er würde dich gerne bald mal wieder sehen.“
 

Selbstverständlich wusste Lena, dass Paolo sie geschickt dazu überreden wollte wieder nach Mailand zurück zu kommen, aber dazu war sie auch nach all der Zeit einfach noch nicht wieder bereit. Das wäre zu viel.
 

„Ich weiß, ich weiß und ich werde kommen, aber nicht demnächst ja? Wenn Christian möchte, kann er mich ja auch hier in Bremen oder mal wieder in Barcelona besuchen kommen. Hier hätte er sogar Lisa und Lena als Spielkameradinnen.“
 

Sowohl Lena also auch Paolo lachten leise auf, jedoch aus unterschiedlichen Gründen. Lena, weil sie sich ihren herzallerliebsten Wirbelwind mit ihren beiden Nichten vorstellte, Paolo, weil er an eine Aussage seines Sohnes dachte.
 

„Ihm würde das bestimmt gefallen, aber deinem Bruder unter Umständen nicht, denn Christian war der Auffassung, dass wenn er dich schon später mal nicht heiraten kann, dann will er wenigstens jemanden heiraten, der dir so ähnlich ist wie irgend möglich. Und so wie du bisher von der kleinen Lena berichtet hast, könntet das genau auf sie zutreffen.“
 

Der Gedanke an Christian und Lena als Paar heiterte Lena wirklich ungemein auf und in ihrem Kopf formte sich schon das Bild der beiden Händchen haltend. In der Tat, sie würden sicher ein süßes Paar abgeben, aber erst in ein paar Jahren. So lange wollte Lena ihren lieben Bruder solche Sorgen ersparen, es reichte schon, wenn er sie selbst wie ein Wachhund vor allen Männern abschottete.
 

Erschöpft und emotional vollkommen ausgelaugt ließ Lena das Telefon sinken. Es rutsche ihr aus der Hand und fiel mit einem dumpfen Geräusch auf den Teppichfußboden. Das kümmerte Lena jedoch herzlich wenig, so tief war sie in Gedanken versunken. Minutenlang stand sie einfach so am Fenster und starrte wie hypnotisiert in die Ferne. Erst als sie ihre Zimmertür hörte, drehte sie sich um nur um ihren besorgt aussehenden Bruder im Rahmen stehen zu sehen. Seinen sorgenvollen Blick ertrug Lena jetzt nicht auch noch, das war einfach zu viel, deswegen wandte sie sich wieder dem Fenster zu und flüsterte nur ganz leise und mit zittriger Stimme:
 

„Nicht jetzt, Torsten, bitte nicht jetzt.“
 

Trotz ihrer geringen Lautstärke hatte der Lutscher verstanden und verließ leise das Zimmer, nicht jedoch ohne sie noch einmal unauffällig zu mustern. Und was er sah gefiel im nicht sonderlich: Ihre sonst so fröhlich strahlenden Augen waren glanzlos und leer, ihr Gesicht fahl und ihre ganze Haltung hatte Resignation geschrieen, dabei war seine Schwester nie ein Mensch gewesen, der leicht aufgab, aber so, wie sie da gerade am Fenster gestanden hatte, schien sie einfach nur ein kleines, gebrochenes Mädchen zu sein, das all seine Hoffnung verloren hatte. Ein Anblick, der sich unwiderruflich in Torstens Gedächtnis gebrannt hatte.
 

Und genau so wollte er seine geliebte kleine Schwester nie wieder sehen und er schwor sich, dass er alles tun würde, um sie endlich wieder fröhlich und aus tiefsten Herzen lachen zu sehen. Koste es, was wolle, sein kleines Mädchen sollte wieder so glücklich werden wie früher, als sie gemeinsam davon geträumt hatten die Welt zu erobern. So unbeschwert und frei.
 

To be continued…
 

Nun wisst ihr, wie die beiden den Morgen „danach“ erlebt haben. Habe ich zu dick aufgetragen oder ist es glaubhaft?

Wie lange geht diese Beziehung wohl dann gut und woran scheiterte sie letztendlich? Was haben sie sich gegenseitig an den Kopf geworfen, dass Ricardo es bereut, Lena sich aber nicht sicher ist?

Und wie wird der Lutscher wohl das Lächeln zurück ins Gesicht seiner Schwester zaubern? Theorien, Vorschläge? ;)

Kaffeeklatsch mit Torsten

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Torsten hatte es in den folgenden Tagen nicht geschafft Lena auf das, was er gehört und gesehen hatte, anzusprechen. Er wusste einfach nicht wie. Und es war diese Hilflosigkeit wiederum, die ihm ziemlich schlechte Laune brachte, die er nicht zuletzt häufig an seinen Mitspielern im Training ausließ, besonders an Clemens, der irgendwie immer das Pech hatte gerade in seiner Nähe zu sein, wenn Torsten wieder einmal über das seltsame Verhalten seiner kleinen Schwester nachgrübelte. Er wollte ihr nicht verraten, dass er ihr Gespräch mit Petra belauscht hatte, denn dann würde Lena bestimmt nicht mehr mit ihm reden, aber ohne eine plausible Erklärung würde sie ihm wahrscheinlich kein Wort glauben, auch wenn er sich bereits vorher Sorgen um sie gemacht hatte. Irgendwann während ihrer Zeit im Ausland, das hatte der Lutscher mittlerweile bemerkt, war Lena sehr misstrauisch geworden. Und wieder einmal wusste er nicht, was sie letztendlich zu dieser überzogen Vorsicht gedrängt hatte.
 

Allein drehte Torsten weiter auf dem Trainingsplatz zwölf seine Runden. Vor und hinter ihm trabten seine Mitspieler in kleinen Gruppen schwatzend nebeneinander her, als gäbe es keine Probleme auf der Wellt. Als wäre alles wunderbar. Torsten aber hatte keine Lust auf Gesellschaft, er wollte einfach nur seine Ruhe haben, denn auf die meisten seiner Mitspieler war er im Augenblick nicht besonders gut zu sprechen. In den letzten Tagen hatten sie ihn einfach nur genervt. Seit dem „Parkplatzvorfall“ wie einige ihn flapsig nannten, war seine Schwester das Gesprächsthema Nummer Eins in der Mannschaft. Und das ging ihm tierisch gegen den Strich!
 

Tim Wiese hatte es sich natürlich nicht nehmen lassen am nächsten Tag jedem, den es interessiert, alles haarklein zu berichten. Bis ins letzte Detail wurde die Mannschaft über das Zusammentreffen der anderen mit Lena berichtet. Seine äußerliche Beschreibung von Lena an sich war weites gehend ehrlich, doch sobald er von ihrem Charakter sprach drehte sich Torsten der Magen um. Sicherlich war seine kleine Schwester eine selbstbewusste junge Frau, die ganz genau wusste, was sie wollte und sie war bei weitem nicht auf den Mund gefallen, das hatte sie gerade Tim eindrucksvoll bewiesen, aber das war eben nur eine Seite ihrer Persönlichkeit. Hätte Torsten sie am selben Tag vielleicht nicht so schwach und zerbrechlich gesehen, hätte er Tim unter Umständen sogar zugestimmt, aber so nicht.
 

Selbstverständlich konnten sich alle vor Lachen nicht mehr halten, wenn sie daran dachten wie Clemens gleich zwei Ohrfeigen bekommen hatte. Schadenfroh waren sie alle gar nicht, nein. Es tat ihnen nur gut zu sehen, dass es auch Frauen auf dieser Welt gab, die Clemens Fritz nicht vor die Füße fielen und ihn anbeteten. Obwohl es dem Frauenschwarm keinen Dämpfer gegeben hatte, eher noch mehr Angriffslust.
 

Selbst Frank Baumann beteiligte sich an diesen Gesprächen, zwar nur, um auch den Teil der Geschichte zu erzählen, den Tim wohlweißlich ausgelassen hatte, aber trotzdem, auch er sprach über Lena. Er war es, der dem Team von den Wortgefechten der beiden berichtete und wie Lena selbst einen Tim Wiese, der scheinbar mit großem Selbstbewusstsein und einer noch größeren Klappe geboren worden war, locker Paroli geboten hatte.
 

Und so kam es dann auch, dass alle anderen aus dem Team, die Lena noch nicht persönlich kennen gelernt hatten, Torsten belagerten und ihn darum baten sie doch einmal zu einem Spiel oder zum Training mitzunehmen, was er seit diesem Vorfall tunlichst vermieden hatte. Sie wollten die jüngere Frings gerne kennen lernen und sich selbst ein Bild von der jungen Frau machen, die es geschafft hatte gleich zwei ihrer Kollegen so in die Schranken zu weisen. Man konnte dieses Verhalten durchaus als Sensationsgeilheit bezeichnen, aber wenn Torsten dass seinen Mitspielern an den Kopf warf, zuckten sie nur mit den Schultern und nannten es lieber „gesunde Neugier“. Als besonders hartnäckig und penetrant erwiesen sich der quirlige Brasilianer Diego und Markus Rosenberg, die scheinbar beide bald kein anderes Gesprächsthema mehr kannten als Lena Frings.
 

Nur einer sagte zu der ganzen Sache gar nichts und schwieg auch, wenn man ihm direkt darauf ansprach und das war Per Mertesacker. Ihm ging es ähnlich wie Torsten, denn auch ihm gefiel es nicht, dass Lena Mannschaftsgesprächsthema Nummer Eins war. Er kannte sie ja immerhin nicht nur als recht selbstbewusste Frau, die auch mal austeilen konnte, sondern hatte sich am Flughafen länger mit ihr unterhalten und wusste, dass man problemlos über so ziemlich alles mit ihr reden konnte. Lena war seiner Meinung nach ein herzensguter Mensch und dieses ständige Gerede hatte sie seiner Meinung nach nicht verdient und deswegen hielt er den Mund sobald die Gespräche auf Torstens Schwester kamen.
 

„Sag mal Torsten, wie geht es Lena eigentlich?“
 

Genervt drehte der Lutscher sich nach rechts um, wo Frank Baumann neben ihm herlief.
 

„Willst du jetzt etwa neue Informationen für euren Kaffeeklatsch suchen, dann vergiss es! Mir reicht es nämlich so langsam, sucht euch ein neues Gesprächsthema als meine Schwester.“
 

Überrascht und auch etwas erschrocken über den rauen Ton des Mittelfeldspielers, starrte Frank seinen Vize-Kapitän an. Natürlich hatte er bemerkt, dass es Torsten nicht gefiel, dass man so viel über seine Schwester sprach, aber dass es ihm so gegen den Strich ging hatte selbst der Kapitän nicht vermutet.
 

„Nein, ich wollte eigentlich nur fragen wie es dir und Lena geht, ob ihr mittlerweile mal länger miteinander gesprochen habt um die verlorene Zeit aufzuholen.“
 

Franks freundlicher Ton brachte Torsten sofort dazu sich schlecht zu fühlen, weil er seinen Freund so grundlos angefahren hatte. Aber in letzter Zeit war er einfach nur noch so genervt von allem und dann kam da natürlich auch noch die frustrierende Tatsache hinzu, dass er immer noch keinen Weg gefunden hatte Lena wieder ihr altes, unbeschwertes Lächeln ins Gesicht zurück zu zaubern. Klar, wenn sie mit Lena und Lisa im Garten tobte lachte sie aus vollem Herzen und sah wirklich zufrieden aus, doch sobald er in ihre Augen sah entdeckte er da einen Schleier von Traurigkeit, der einfach nicht aus ihnen verschwinden wollte, egal, was er tat. Und dann hatte Lena auch immer wieder diese Zeiten, in denen sie sich in ihr Zimmer zurück zog und entweder telefonierte oder über ihrem Laptop brütete. Wenn er sie darauf ansprach antwortete sie immer nur, dass sie auch aus der Ferne arbeiten müsse, aber so ganz konnte Torsten das nicht glauben.
 

„Tut mir Leid, Frank, dass ich dich so angemerkt habe.“
 

„Schon in Ordnung, ich weiß ja, dass dir diese ständigen Spekulationen der anderen über Lena auf die Nerven fallen. Mir würde es wahrscheinlich ähnlich gehen, wenn sie so über meine kleine Schwester reden würden. Aber du musst mir glauben, ich hätte mich daran nicht beteiligt, wenn nicht irgendwer auch Tims Rolle in dieser ganzen Geschichte wahrheitsgemäß hätte darstellen müssen. Du weißt doch, ich bin nicht so der Mensch für Klatsch und Tratsch, das überlasse ich in diesem Fall lieber Diego und Markus.“
 

Torsten stöhnte gequält auf, als Frank die Namen seiner beiden Mitspieler erwähnte. Die beiden benahmen sich im Moment wirklich schlimmer als selbst die hartnäckigsten BILD-Reporter und das sollte schon etwas heißen. Sie waren sogar schon einmal mit fadenscheinigen Beweggründen bei ihm aufgetaucht, natürlich in der Hoffnung Lena kennen lernen zu können. Der Fringser kam sich fast schon vor wie im Kindergarten.
 

„Ja, das kannst du laut sagen, ich glaube, wenn die so weiter machen, drehe ich irgendwann noch am Rad. Haben die kein eigenes Privatleben, um das sie sich kümmern sollten? Müssen sie sich unbedingt für meins interessieren?“
 

„Scheinbar nicht, aber solange sie Lena vor Neugier nicht irgendwann auflauern, geht es ja noch.“
 

„Selbst das würde ich ihnen zutrauen. Diego zumindest. Der ist zu allem fähig.“
 

Beide Männer lachten los bei der Vorstellung, wie Diego sich hinter einem Busch vor dem fringsschen Haus verstecken würde nur um einen Blick auf Lena zu erhaschen.
 

„Ja, passt schon. Aber nun erzähl schon, habt ihr miteinander gesprochen oder nicht?“
 

„Nein, bisher noch nicht. Zumindest nicht richtig. Den Tag, als sie mich vom Training abgeholt hat, bin ich gleich in den Keller um mich erstmal abzuregen und als ich dann wieder hochgekommen bin, saß sie mit Petra auf dem Sofa und hat sich unterhalten.“
 

„Und?“
 

„Nichts und. Sie haben mich nicht bemerkt und Lena hat von unserer Kindheit berichtet. Wie es für sie war in meinem Schatten aufzuwachsen. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie schlimm das alles für sie gewesen sein muss. Mir war schon klar, dass es nicht leicht war, so wie meine Eltern sich verhalten haben, aber dass es so extrem war, hätte ich mir nicht träumen lassen. Deswegen ist sie dann letztendlich auch weg.“
 

Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her bis Frank wieder das Wort ergriff.
 

„Hat sie dich dann doch noch gesehen oder hast du ihr gesagt, dass du sie gehört hast?“
 

„Weder noch. Lena würde mir den Kopf abreißen, wenn sie wüsste, dass ich sie belauscht habe. Mit Petra habe ich danach ziemlich lange über das alles gesprochen und sie war der Ansicht, dass ich Lena Zeit lassen müsste. Es wäre im Augenblick alles nicht einfach für sie und sie wäre hierher gekommen um in Ruhe nachdenken zu können.“
 

Frank und Torsten drehten weiter ihre Runden, so vertieft in ihr Gespräch, dass sie gar nicht merkten, wie nahe ihn ein ebenso einsam laufender Per Mertesacker gekommen war, der unweigerlich die Ohren spitzte, als er Lenas Namen hörte.
 

„Aber so ein bisschen reden hat doch noch keinem geschadet. Vielleicht sollte ihr einfach mal was zu zweit unternehmen. So wie früher auch immer. Wie wäre es gleich mit heute Nachmittag, da haben wir doch Trainingsfrei.“
 

„Geht nicht.“
 

Überrascht sah Frank seinen langhaarigen Vize-Kapitän an.
 

„Und warum nicht?“
 

„Weil der heutige Nachmittag und Abend für Petra reserviert sind. Befehl von Lena. Sie war der Meinung wir beide müssten auch mal wieder etwas mehr Zeit für uns haben und darum hat sie uns kurzerhand für heute frei geben. Und wir wollte es uns bloß nicht einfallen lasse zu protestieren oder gar während des Nachmittages anzurufen. Sie holt Lena und Lisa von der Schule ab und passt auf sie auf. Zuerst wollten sie in den Zoo und dann heute Abend ins Kino. Meine beiden Mädels wollen schon die ganze Zeit Prinzessin Lillifee schauen und Lena hat sich erbarmt mit ihnen zu gehen. Vor elf Uhr abends möchte mich meine kleine Schwester nicht wieder zu Hause sehen.“
 

Das entlockte Frank Baumann ein herzhaftes Lachen. Fast konnte er sich gar nicht mehr beherrschen, so dass sie automatisch die Aufmerksamkeit ihrer Kollegen auf sich zogen, was Torstens Blick gleich wieder Fenster werden ließ. Baumi ließ sich von dem ganzen nicht beeindrucken und lachte munter weiter. Er konnte sich Lena bildlich vorstellen wie sie ihren Bruder zu Recht wies ja nicht früher wieder zu kommen. Und dass sie mit Lisa und Lena klar kommen würde, davon ging der Bremer Kapitän aus.
 

„Also an deiner Stelle würde ich mich über den freien Tag freuen.“
 

„Ich freue mich doch auch, aber ich hatte mir eigentlich fest vorgenommen Lena wieder zum Lachen zu bringen und ihr eine Freude zu machen und nicht anders herum.“
 

„Wer weiß, vielleicht entwickelt sich ihre Zeit mit den Kindern im Kino am Zoo ja auch zu etwas freudigen. Lass dich doch einfach mal überraschen, Torsten.“
 

Dabei drehte er sich verschmitzt grinsend zu Per um, der ihnen mittlerweile fast in die Hacken treten konnte, so nah war er an ihnen dran. Baumi zwinkerte ihm bedeutungsvoll zu und lief dann mit Torsten weiter über den Platz.
 

Merte dagegen war langsam zurückgefallen und dachte über die Geste seines Kapitäns nach. Das Grinsen und das Zwinkern hatten ihn irritiert, was hatte Frank ihm nur genau damit sagen wollen? Es ergab alles irgendwie keinen Sinn.
 

Noch in seine Grübeleien vertieft, bemerkte der lange Innenverteidiger gar nicht, wie auf einmal Diego und Naldo neben ihm auftauchten.
 

„Hey Merte, hast du heute schon was vor? Wir wollten mal wieder was zusammen unternehmen.“
 

Per wollte gerade schon fast mit ja antworten, als es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. Natürlich, genau das hatte Frank ihm mitteilen wollen, deswegen diese präzisen Angaben in welchem Kino Bremens sie ausgerechnet sein würden. Ganz klar, er hatte heute schon etwas vor. Lena würde mit Torstens Kinder im Kino am Zoo sein um Prinzessin Lillifee zu schauen. Allein. Und Torsten würde auch nicht vor elf wieder kommen, das war seine Gelegenheit Lena wieder zu sehen und etwas Zeit mit ihr zu verbringen ohne Angst vor Torstens Reaktion haben zu müssen. Denn der würde nichts davon erfahren müssen, schließlich würde er Lena dort ganz „zufällig“ und unverfänglich treffen.
 

„Tut mir Leid Jungs, ich habe heute schon etwas vor, vielleicht nächstes Mal.“
 

„Was ist es denn? Vielleicht können wir ja mit?“
 

Wie immer ließ Diego sich nicht so leicht abschütteln und Per suchte krampfhaft nach einer Ausrede, die den kleinen Brasilianer davon abhalten würde weiter nachzufragen und mitkommen zu wollen.
 

„Nein, ihr könnt nicht mit.“
 

„Warum denn nicht, Merte? Du nimmst uns doch sonst immer mit. Oder hast du heute etwa ein Date?“
 

Diego lachte fröhlich auf, als er dann jedoch sah wie der lange Innenverteidiger errötete schlug er seinem großen Freund Naldo breit grinsend auf die Schulter.
 

„Echt jetzt, Langer? Du hast für heute Abend eine Verabredung? Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Na, dann wollen wir auch nicht stören.“
 

Immer noch breit grinsend lief Diego wieder weiter und Naldo verharrte noch einen kurzen Moment bei seinem Abwehrkollegen um entschuldigend mit den Schultern zu zucken und leicht zu lächeln. Manchmal war Diego etwas anstrengend, aber er sollte es ihm doch bitte nicht Übel nehmen, so, wie es vielleicht geklungen haben mochte, war es nicht gemeint gewesen. Per nickte nur und ließ dann auch Naldo davon laufen. Im Grunde genommen hatte er kein richtiges Date mit Lena, die ja auch noch nichts von ihrem Glück wusste, aber das hatte er ja selbst auch nicht behauptet. Der kleine Brasilianer hatte einfach eigene Schlüsse gezogen und ihm keine Zeit gelassen die Sache richtig zu stellen.
 

Trotzdem fühlte sich Per aufgeregt wie vor einen richtigen Date als er am Nachmittag vor seinem Kleiderschrank stand und absolut nicht wusste, was er anziehen sollte. Die verschiedensten Kombinationen hatte er ausprobiert, doch nichts hatte ihm wirklich zugesagt. Er durfte ja auch nicht zu overdressed aussehen, immerhin würde es für Lena ein eher „zufälliges“ Aufeinandertreffen werden.
 

Und genau das führte den langen Innenverteidiger im Diensten von Werder Bremen schon zu seinem nächsten Problem: Er hatte keine Ahnung, wie er sie ansprechen sollte, wenn sie dann im Kino auftauchen würde. Sollte er bereits vorher zu ihr hingehen und mit ihr plaudern oder sollte er warten, bis sie ihn im Kinosaal sah? Er hatte dort angerufen und sich nach den Plätzen erkundigt, die Lena reserviert hatte. Zu seinem Glück war noch ein Platz neben ihnen frei gewesen, den er sich selbstverständlich gleich reserviert hatte. Aber würde es ihr nicht komisch vorkommen ihn allein in einem Kinderfilm zu sehen? Wahrscheinlich schon. Also musste er es irgendwie anders machen.
 

Grübelnd trabte Per durch seine Wohnung und strich sich immer wieder nervös durch die kurzen Haare. Er hatte weder eine Ahnung, was er für den Abend anziehen sollte, noch wusste er, wie er Lena letztendlich ansprechen sollte. Das fand er mal wieder ganz typisch Per Mertesacker. So kompliziert hatte er sich die ganze Angelegenheit nach Franks aufmunterndem Zuzwinkern bestimmt nicht vorgestellt. Ob er wohl nicht vielleicht doch Clemens anrufen und ihn um Hilfe bitten sollte?
 

To be continued
 

Markus und Diego sind also die perfekten Nervensägen und ganz scharf darauf Lena endlich kennen zu lernen, was sagt ihr, solch ich den beiden diesen Gefallen tun? Oder lieber nicht um Torsten nicht noch wütender zu machen?

Na, was denkt ihr, wird Per Clemens wohl noch anrufen und ihn um Tipps bitten? Sowohl für die „Anmache“ als auch für sein Stylingproblem? Ich war der Ansicht, dass bestimmt auch Männer solche Probleme vor Dates haben und nicht nur die Frauen, daher habe ich Per einfach mal „leiden“ lassen… ;)

Und wie wird Lena auf ihn reagieren?

Eine Griaffe namens Per

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Dieses Kapitel könnte zwischenzeitlich ziemlich verwirrend sein, weil es zwischen Torstens Schwester Lena und Torstens kleinen Tochter Lena diese Namensgleichheit gibt. Ich habe so gut es geht versucht immer kenntlich zu machen um welche der beiden Lenas es gerade geht, falls sich doch einmal eine Verwechslung und Unklarheit eingeschlichen haben sollte, bitte ich das zu verzeihen.
 


 

Lena stand im Gehege des Streichelzoos lässig an einen Zaun gelehnt und sah ihren beiden Nichten zu, wie sie je ein Kaninchen auf dem Arm hatten und es mit wilder Begeisterung streichelten. Sie wirkten so unbekümmert und fröhlich. Manchmal waren ihre Streicheleinheiten zwar ein wenig zu enthusiastisch und dann sah man genau, wie sich das Kaninchen aus ihren Kinderhänden zu entwinden versuchte, doch soweit hatte weder Lisa noch die kleine Lena nachgegeben. Man konnte den beiden ansehen, wie viel Spaß ihnen der Nachmittag im Zoo machte und Lena freute sich über die Zeit mit Torstens Mädchen. Immerhin hatte sie sie lange nicht gesehen und gerade mit ihrem einzigen Patenkind hatte Lena viel Zeit verschenkt, die sie jetzt natürlich gern wieder aufholen wollte, obgleich sie wusste, dass man verlorene Zeit nicht aufholen konnte. Aber sie wollte, solange sie in Bremen war, die Zeit mit ihrer Familie genießen und wenn sie bei diesen Bemühungen auch noch Torsten und Petra einen freien Tag verschaffte, war das ihrer Ansicht nach umso besser.
 

„So Mädels, wir wollen dann auch mal weiter, die Giraffen warten schon auf uns.“
 

An jeder Hand eine kleine Frings machte sich Lena auf dem Weg zum Giraffengehege, der letzten Station des heutigen Tages, bevor sie mit den Mädchen „Prinzessin Lillifee“ schauen würde. Gemütlich schlenderte Lena an der Absperrung vorbei und suchte nach einem Platz, wo beide Kinder gut sehen konnten. Lisa war in dieser Beziehung schon groß genug um über das Gitter zu sehen, die kleine Lena jedoch noch nicht, so dass Lena sich schließlich entschloss ihr Patenkind ganz einfach auf den Arm zu nehmen, damit auch sie etwas sehen konnte.
 

„Schau mal Tante Lena, die Giraffen sind ja so groß. Und die haben ja so einen langen Hals. Und die sind ja fast richtig gelb und haben Punkte. Und das kleine da erst, ist das nicht niedlich?“
 

Lena wippte aufgeregt auf ihrem Arm hin- und her und wusste gar nicht, zu welcher der Giraffen sie zu erst schauen sollte. Diese Tiere gefielen ihr mit großem Abstand am besten.
 

„Bitte, bitte, darf ich eine als Haustier mit nach Hause nehmen? Bitte Tante Lena! Ich will mich auch immer um sie kümmern und sie darf sogar neben mir in meinem Bett schlafen.“
 

Lena konnte sich ein kleines Lachen nicht verkneifen, als ihr Patenkind sie bettelnd ansah und wirklich darauf hoffte, dass sie heute mit einer Giraffe nach Hause kommen würde. Sie konnte sich lebhaft vorstellen wie Torstens jüngste Tochter sogar versuchen würde sie zum Kuscheln mit in ihr kleines Bett zu nehmen. Manchmal war sie einfach nur goldig. Lena wollte ihre Kinderträume nicht zerstören und sagte deswegen nur:
 

„Mal sehen Kleines, vielleicht finden wir ja eine passende Giraffe für dich.“
 

Lena strahlte ihre Tante aus großen Augen an und umarmte sie so stürmisch, dass sie einen Schritt zurück machen musste um nicht eine unsanfte Bruchlandung hinzulegen. Die kleine Lena indes wünschte sich schon zum wiederholten Mal während der letzten Tage, seit denen ihre wieder bei ihnen war, dass Lena niemals wieder gehen sollte. Man konnte einfach so wunderbar mit ihr spielen, sie hatte immer Zeit für einen und sie konnte so wunderschöne Gute Nacht Geschichten erzählen wie niemand sonst. Lisa und Lena hatten ihre Tante bereits fest ins Herz geschlossen und wollten sie unter gar keinen umständen wieder hergeben.
 

Es war ein ziemlicher Akt Lena und Lisa von den Giraffen zum Ausgang zu bugsieren, denn keine der beiden wollte schon wieder weg, doch irgendwann hatte Lena es dann durch viel Überredungskunst geschafft. Im zooeigenen Shop erfüllte Lena dann ihren beiden Nichten noch jeweils einen Wunsch und kaufte Lisa ein kleines Kaninchenkuscheltier und Lena eine Giraffe. Zwar hatten beide Mädchen auf ein echtes Tier spekuliert und gerade Lena sah ihre Giraffe zuerst noch sehr skeptisch an, aber bald schon hatte sie das Stofftier fest in den Arm genommen und bestand darauf es den ganzen Weg vom Zoo zum Kino selbst zu tragen, damit ihm auch ja nichts geschehen konnte. Immer wieder drückte die Kleine es ganz fest, streichelte das Tier und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Es war ein Bild für die Götter, zumindest sah Lena das so und sie freute sich inständig, dass sie den Mädchen eine so schöne Erinnerung an ihren Ausflug hatte bescheren können. Lena selbst hatte sich im Shop einen kleinen Löwen ausgesucht, den man bequem ans Schlüsselbund hängen konnte und sie wusste schon genau, wem sie mit diesem Tier eine kleine Freude bereiten wollte.
 

„Sag mal Lena, hat deine Giraffe denn auch einen Namen?“
 

Interessiert beugte Lena sich zu ihrem Patenkind herunter, das fröhlich strahlend an der rechten Seite neben ihr herlief.
 

„Natürlich! Darf ich vorstellen, Lena, das ist mein Per, Per, darf ich vorstellen, meine herzallerliebste Tante Lena.“
 

Die Kleine bewegte die Pfote der Giraffe so, dass es aussah als wollte „Per“ Lena die Hand reichen und ein wenig zögerlich ergriff Lena sie dann auch, schüttelte sie freundlich und lächelte leicht. Im Innern tauchte jedoch augenblicklich das Bild des echten, ausgewachsenen Pers vor ihr auf, wie er sie am Flughafen tollpatschig angerempelt hatte oder wie sie stundenlang im Flughafencafé miteinander gesprochen hatte. Es war alles so leicht gewesen, so einfach und Lena ertappte sich dabei, wie sie an ein Wiedersehen mit dem langen Innenverteidiger dachte. Sein schüchternes Lächeln und seine süße Art sofort zu erröten, wenn ihm etwas peinlich war fielen Lena noch ein und sie versuchte die Gedanken sofort wieder zu verdrängen, immerhin war sie mit ihren Nichten unterwegs und da sollte sie nicht an einen Mann denken. Schon gar nicht an einen von Torstens Kollegen, auch wenn es noch so knuffig aussah und unter Umständen sogar leichte Ähnlichkeit mit einer Giraffe hatte. Zumindest von der Größe her.
 

„Sag mal, wie kommst du denn darauf deine Giraffe ausgerechnet Per zu nennen?“
 

Das interessierte Lena denn nun doch brennend und sie wusste nicht, ob ihr Patenkind der Giraffe zufällig den Namen „Per“ gegeben hatte, weil er ihr einfach gerade gefiel, oder ob sie dabei konkret an den langen Kollegen ihres Papas gedacht hatte.
 

„Das ist doch ganz klar: Mein Per sieht eben aus wie Papas Per. Sie sind beide groß und ich mag sie beide ganz, ganz doll, weil sie mit mir spielen und mich sogar auf die Schultern nehmen!“
 

Lenas Augen glänzten als sie von Per erzählte und sie fragte sich, warum ihrer Tante die Ähnlichkeit zwischen den beiden noch nicht aufgefallen war. Das lag doch wie selbstverständlich auf der Hand, dass man eine Giraffe Per nannte. Besonders die hier, schließlich war es ihr neu auserkorenes Lieblingskuscheltier.
 

Lena ließ das Thema auf sich beruhen, schließlich wollte sie nicht noch länger über den jungen Mann nachdenken, der sich so plötzlich einfach in ihre Gedanken geschummelt hatte. Dorthin, wo gerade kein Mann etwas zu suchen hatte. An ihrem Ziel angekommen lotste Lena ihre beiden Mädchen nun durch den großen Vorsaals des Kinos. Beide hielten sie fest an den Händen, da sie wohl ein wenig Angst hatten ihre Tante in der Menge zu verlieren, doch mit einem Mal riss Lena sich von ihrer Hand los und stürmte einfach so durch die Menge, so schnell sie ihre kurzen Beine tragen konnten und Lisa und Lena hatten Probleme dem kleinen Wirbelwind zu folgen.
 

„Lena, bleib stehen, wo willst du denn hin? Warte doch! Lena!“
 

Sie rief nach ihrer Nichte, da sie sie irgendwo zwischen den Menschen verloren hatte. Sie schien einfach wie vom Erdboden verschluckt. Verdammt, warum mussten auch ausgerechnet heute so viele Menschen ins Kino gehen und warum hatte Lena sich auch nur von ihr losgerissen. Sie hatte beiden Mädchen eingeschärft ihr nicht von der Seite zu weichen und auch wenn die Mädchen vielleicht nicht verstanden hatten, warum es sein musste, so hatten sie doch beide versprochen immer da zu bleiben, denn sie hatten den eindringlichen Ton ihrer Tante verstanden und begriffen, dass diese es todernst meinte.
 

Langsam stieg Panik in Lena auf. Das hier war ein absoluter Alptraum und sie hoffte inständig, dass er nicht noch schlimmer werden würde. Wäre sie doch bloß nicht nach Bremen gekommen! Was, wenn es jetzt doch so geschah, das, was sie hatte verhindern wollen. Verzweifelt sah Lena sich um und suchte den ganzen Vorsaal nach ihrer kleinen Nichte ab, bis sie plötzlich eine sanfte Stimme hinter sich hörte und eine Hand auf ihrer Schulter spürte.
 

„Hallo Lena, suchst du vielleicht jemanden?“
 

Erschrocken drehte Lena sich um und für einen Augenblick war es ihr, als wollte ihr Herz stehen bleiben. Vor ihr stand Per Mertesacker und lächelte sie ein wenig verlegen an. Er sah wirklich gut aus, er trug eine Jeans, die an den richtigen Stellen perfekt saß und ein schlichtes, schwarzes Hemd, das seinen gut trainierten Oberkörper unaufdringlich unterstrich. Aber wahrscheinlich hätte dieser Mann auch noch in einem Kartoffelsack gut ausgesehen, für Lena hätte es in diesem Moment keinen Unterschied gemacht. Auf dem Arm hatte er Lena, die sich an seine Schulter lehnte und ihre Giraffe ganz fest umklammert hielt. Sie hatte scheinbar erkannt, dass sie ihrer Tante einen ziemlichen Schrecken eingejagt hatte, dabei hatte sie Per doch nur ihre neue Giraffe zeigen wollen, nichts weiter.
 

„Tut mir Leid, dass ich einfach so weggelaufen bin, ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst, Tante Lena, aber ich habe Per gesehen und wollte ihm unbedingt meinen Per vorstellen. Bitte nicht böse sein, ich mache das nie, nie wieder.“
 

Jetzt fing Lena an zu weinen und klammerte sich noch fester mit ihren kleinen Händen an Pers Oberhemd, so dass es langsam erste Knitterflecken bekam. Und auch die Tränen des kleinen Mädchens blieben nicht ganz ohne Spuren. Per streichelte ihr leicht verunsichert über den Kopf und sah Lena beinahe flehentlich an. So gut er vielleicht sonst auch mit Kindern umgehen konnte, sobald so ein süßes, kleines Mädchen weinte, war er heillos überfordert.
 

„Na komm mal her, Kleines, du musst doch nicht weinen, ich bin dir gar nicht böse, ich hatte einfach nur Angst um dich.“
 

Sicher nahm Lena Per das weinende Mädchen aus den Armen und sofort kuschelte Lena sich an ihre Tante, die ihr behutsam den Rücken streichelte und immer wieder leichte Küsschen auf ihren Scheitel verteilte um sie zu beruhigen. Dabei flüsterte sie ihr irgendetwas ins Ohr und langsam versiegten sie Tränen, auch wenn Lena nicht aufhörte sich an ihrer Tante und ihrer Giraffe fest zu halten.
 

Per beobachtete die ganze Szenerie erstaunt und bemerkte beeindruckt, wie sicher Lena mit Torstens Kindern umging und wie gut sie die ganze Situation im Griff hatte, jetzt, wo Lena wieder da und ihr nichts geschehen war. Sie musste wirklich einmal eine gute Mutter werden und er ertappte sich bei dem Gedanken, selbst gerne so in ihren Armen zu liegen und von ihr nach einen schlechten Spiel getröstet zu werden. Sie würde sicherlich die richtigen Worte finden und alles würde wieder gut werden.
 

„Vielen Dank Per, dass du Lena wieder hergebracht hast. Es war wirklich ein Glück, dass du ausgerechnet zur richtigen Zeit am richtigen Ort warst. Danke. Aber jetzt müssen wir dann auch weiter, sonst verpassen wir den Anfang des Films.“
 

Entsetzt sah die kleine Lena vom Arm ihrer Tante auf und blickte dann zu Per, der, die Hände in den Taschen vergraben, leicht errötet dastand und nicht wusste, was er sagen sollte.
 

„Per, kommst du mit Lillifee gucken? Bitte, ich möchte, dass du und mein Per euch kennen lernt. Bitte, bitte.“
 

Die Kleine sah erst ihn und dann ihre Tante bettelnd an. Lena war es unangenehm, dass ihre Nichte Per so gerne mit dabei haben wollte, auch wenn ihr der Gedanke bei weitem nicht so sehr missfiel, wie er womöglich sollte. Trotzdem versuchte sie ihr Patenkind davon zu überzeugen, dass es nicht ging.
 

„Lena, das geht doch nicht, der Per war hier bestimmt nicht nur zum Spaß, der ist bestimmt verabredet und möchte einen anderen Film schauen, also bedank dich bei ihm und wir machen uns dann auf den Weg.“
 

Erst jetzt fiel Per auf, dass durch diese kleine Rettungsaktion ja gar keinen Vorwand mehr brauchte um Lena anzusprechen, das hatte sich nun einfach so ergeben. Nichts war leichter gewesen als das. Vielleicht war das Schicksal ja doch auf seiner Seite und es hatte ihm in Form eines kleinen Mädchens helfen wollen.
 

„Nein, eigentlich habe ich nichts Besseres vor. Ein Freund, mit dem ich hier verabredete war, hat mich versetzt und ich hatte mich schon auf einen einsamen Abend allein vorm Fernseher eingestellt, aber wenn es euch wirklich nicht stört, würde ich euch gern begleiten.“
 

Zweifelnd sah Lena zu Per, der jedoch nur ehrlich und gut gelaunt lächelte. Er schien ein bisschen seiner Selbstsicherheit wieder gewonnen zu haben, denn diesmal wich er ihrem Blick nicht aus, sondern entgegnete ihm. Dabei funkelten seine Augen und Lena konnte nirgendwo auch nur eine Spur Widerwillen entdecken. Anscheinend freute er sich wirklich darauf den Abend mit einer Frau und zwei Kindern zu verbringen.
 

„Hast du das gehört Tante Lena? Der Per hat gar nichts vor und will mit uns „Prinzessin Lillifee“ schauen.“
 

Die jüngste Tochter des Lutschers hüpfte aufgeregt auf dem Arm ihrer Tante hinter und freute sich schon riesig. Immer wieder warf sie Blicke zu ihrer großen Schwester Lisa, die neben Lena stand und sich genauso über Pers Anwesenheit zu freuen schien wie sie selbst. Beide Mädchen liebten den Innenverteidiger der Bremer abgöttisch, weil er immer einer derjenigen war, der sich Zeit für sie nahm und der mit ihnen spielte, wohingegen manche anderen Kollegen ihres Vaters sie meistens links liegen ließen. Die saßen nur rum, tranken irgendetwas ziemlich stinkendes und redeten. Schnarch langweilig, wenn man eines der Mädchen fragte.
 

„Bist du dir im Klaren darüber, dass du knappe zwei Stunden dir mit uns einen Kinderfilm ansehen musst? Außerdem weiß ich nicht, ob neben uns überhaupt noch Plätze frei sind.“
 

Lena suchte verzweifelt nach plausiblen Gründen, warum Per gerade nicht mit ihnen die nächsten Stunden im Kino verbringen konnte. Ihr war zwar bewusst, dass es die Mädchen unheimlich enttäuschen würde, doch das musste sie einfach in Kauf nehmen. Würde sie nämlich den Abend in Pers Nähe verbringen, so würde sie ihn wahrscheinlich besser kennen lernen und Lena kannte sich gut genug um zu wissen, dass sie gut aussehende, charakterlich ansprechende Fußballer nie einfach „nur“ kennen lernen würde. Das würde alles nur im Chaos enden und davon hatte sie bereits in Barcelona mehr als genug. Wahrscheinlich würde sie das Chaos aber gar nicht mehr erleben, weil Torsten sie vorher umgebracht hatte, denn nach seiner Reaktion allein schon wegen der Sache auf dem Parkplatz wollte sie lieber nicht genauer wissen, was er davon halten würde, wenn sie jetzt auch noch mit Per ins Kino ging. Seine Regeln hatten sich in all den Jahren bestimmt nicht geändert und bereits damals hatte er darauf bestanden, dass sie nichts mit den Jungs anfing, die in seinem Team Fußball spielten. Enge Freundschaften, gemeinsame Tanzabende und all dies waren genehmigt gewesen, aber niemals mehr. Zwar hatte Lena nicht immer so streng an die Vorgaben ihres Bruders gehalten, aber damals waren es auch noch viel einfachere Situationen gewesen. Jetzt ging es hier im Profispieler. Da sah die Welt ganz anders aus. Und außerdem war da ja noch das Risiko gesehen zu werden. Sicherlich würden die Paparazzi bei einem Per Mertesacker in Begleitung einer jungen Frau voll drauf halten und dann musste sie nur noch irgendjemand durch Zufall erkennen und es den sensationsgeilen Journalisten stecken, dann säße sie ganz tief in der Scheiße. Nein, darauf konnte sie dankend verzichten, doch Pers Gesichtsausdruck nach zu schließen, ließ er sich bei weitem nicht so schnell abwimmeln.
 

„Lena, ich bin mir vollkommen darüber im Klaren, dass du dir mit Lena und Lisa einen Kinderfilm ansiehst und ich habe da wirklich kein Problem mit, glaub’ mir. Wenn ich eins hätte, hätte ich sicher nicht gefragt ob ich mit kann. Und das mit den Karten werden wir ja gleich sehen.“
 

Zielstrebig ging Per auf einen der Schalter zu, sprach kurz mit dem Verkäufer, zog einen Schein aus dem Portemonnaie und bezahlte brav seine Karte. Einen Meter weiter hielt er noch einmal kurz an, kaufte einen großen Eimer Popcorn und noch ein paar andere Sachen und machte sich dann voll bepackt, aber unerkannt, wieder auf den Rückweg. Breit grinsend kam er wieder bei den dreien an.
 

„Der liebe Gott scheint es heute gut mit mir zu meinen, es war noch ein Platz genau neben euern Plätzen frei, wenn das mal kein Schicksal war.“
 

Fröhlich jubelnd klatschte Lisa in die Hände und nahm Per den großen Eimer Popcorn ab, damit er nicht alles allein tragen musste. Lena blieb ja nun nichts anderes übrig als leicht betreten mit dem Kopf zu nicken, während sie Lena hinunter ließ, damit sie sich zusammen auf den Weg zu ihren Plätzen machen konnten.
 

Der erwartete Streit um die Sitzplätze blieb jedoch aus, denn Lena und Lisa schienen sich abgesprochen zu haben und nahmen jeweils die Randplätze ein, so dass Per und Lena gemeinsam in der Mitte saßen. Neben Per hatte Lena mit ihrer Giraffe Per Platz genommen und Lisa hatte sich an Lenas Seite verzogen, beide immer noch fröhlich lächelnd, als könnten sie kein Wässerchen trüben.
 

„Mädels, wollt ihr nicht doch lieber in die Mitte?“
 

„Nein Tante Lena, so ist doch alles wunderbar. Du hast die Lakritz, die wir beide gerne essen, Per hat das Popcorn, das Lena, er und du gern nascht und ich nicht mag. Alles andere wäre doch unsinnig!“
 

Lisas Argumentation konnte Lena nur stumm nickend zustimmen und so fügte sie sich in das unausweichliche und machte es sich tief in ihren Sitz gekuschelt bequem. Die Werbung hatte bereits angefangen, doch irgendwie schaffte Lena es nicht, dass ihre Gedanken bei dem anstehenden Film blieben und nicht zu dem Mann wanderten, der neben ihr saß.
 

„Willst du Popcorn?“
 

Etwas überrascht und erschrocken sah Lena Per an, der ihr auffordernd den Popcorneimer hinhielt. Sie hatte seine erste Frage gar nicht mitbekommen, so tief war sie in ihren Gedanken verstrickt gewesen. Na das konnte ja noch ein höchst interessanter Abend werden.
 

„Nein, danke, ich habe es mir angewöhnt im Kino nicht schon vor dem eigentlichen Film mit Popcorn anzufangen, denn dann ist es meistens schneller leer, als ich gucken kann.“
 

Per lachte auf, zog dann aber den Eimer zurück und hielt ihn stattdessen der kleinen Lena hin, die mit ihren kleinen Kinderhänden beherzt zugriff und munter Popcorn knusperte, bis sie sich etwas weiter aufsetzte und dann per und Lena musterte.
 

„Ist was nicht in Ordnung, Kleines?“
 

Der besorgte Blick ihrer Tante ließ Lena lachen, denn sie hatte gerade einfach eine wundervolle Idee gehabt und so sagte sie entschlossen:
 

„Per, du musst den Arm um Lena legen, damit sie jemanden hat, mit dem sie kuscheln kann. Und der sie beschützt, falls sie im Dunkeln Angst bekommen sollte, das ist ganz, ganz wichtig, sagt mein Papa immer. Dann muss jemand da sein, der einen in den Arm nimmt und auf einen aufpasst. Lisa hat ihren Hasen, ich habe meinen Per, nur Tante Lena hat niemanden und das ist gemein. Bitte Per.“
 

Lenas kindlichen großen Augen und ihre zarte schlimme ließen ihre Forderung ganz harmlos klingen, doch innerlich verfluchte Lena ihren Bruder, wie er seinen Töchtern nur so etwas erzählen konnte. Per hingegen klatschte Torsten und seinen Erziehungsmethoden innerlich Beifall, denn wenn Lena sich von ihrer Nichte überreden ließ, dann würde dieser Kinobesuch noch viel, viel besser werden, als er bisher ohnehin schon war.
 

Und so war es auch Per, der die Initiative ergriff und Lena sanft in seinen Arm zog. Sie sollte immerhin noch etwas sehen und bequem sitzen. Ihren Kopf platzierte er perfekt auf seiner Schulter und sein Arm lag ebenso bequem um ihren Nacken und mit der Hand konnte er sie leicht am Arm streicheln, was er sich jedoch vermutlich eh nicht trauen würde.
 

„Ist es so in Ordnung oder ist es dir zu unbequem?“
 

Die einfühlsame Frage ließ Lena einen kleinen Klos im Hals bekommen und so nickte sie schlicht und ergreifend. Für sie war es bequem, sehr bequem sogar und sie fragte sich, warum sie trotz des Größenunterschiedes noch so perfekt zueinander passten. Das war doch nicht normal.
 

Der Film begann und nach der ersten halben Stunde war auch der lange Innenverteidiger im Dienste von Werder Bremen weiter in den Sessel gerutscht, so dass er seinen Kopf bald an Lenas anlehnte. Dabei atmete er immer wieder tief ihren süßen Duft aus Vanille und noch etwas anderem ein, was er nicht genau definieren konnte. Glücklich schloss er für einen Augenblick die Augen und versuchte sich einfach nur die Gesichtszüge der jungen Frau einzuprägen, die da an seine Schulter gelehnt saß. So schnell würde es sie wohl nicht wieder so ruhig und entspannt beobachten können, deswegen versuchte Per jedes Detail in sein Gedächtnis zu meißeln. Dabei fiel ihm eine filigrane Kette auf, die um Lenas Hals lag und an der die weiße Hälfte eines Yin-und-Yang hing. Der andere Teil fehlte und Per fragte sich im Stillen, wer wohl die schwarze Hälfte um den Hals trug.
 

To be continued
 

Nun ja, was sagt ihr zu der „Giraffe namens Per“? ;) Ich fand es ehrlich gesagt einfach nur niedlich, als ich es geschrieben habe…

Und was sagt ihr zu dem Beginn der Verabredung der beiden? Sie hat ja gleich schon Mal recht rasant begonnen… Lenas Panik hatte aber schon ihren Hintergrund…^^

Ich bin im Grunde genommen mit dem Anfang zufrieden, obwohl es schon recht schwer war die beiden Mädels in dieses „Date“ zu integrieren, ich hoffe trotzdem, dass es auch gefallen hat…

Kommentare mit Kritik, Lob, Spekulationen oder Theorien sind natürlich wie immer herzlich willkommen...

Sleeping Beauty

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Als der Film zu ende war warteten Per, Lena und die Kinder über eine halbe Stunde um sich zum einen nicht mehr durch die Menschenmassen drängen zu müssen und zum anderen doch nicht noch von irgendeinem SV Werder Fan erkannt zu werden. Grundsätzlich machte es Per zwar nichts aus auch in seiner Freizeit Autogramme zu schreiben, denn er freute sich, dass so viele mit seinem Verein und dadurch auch mit seinen Leistungen mitfieberten, aber heute Abend wäre es einfach nur störend gewesen.
 

Er hatte bereits gemerkt, dass Lena nicht unbedingt mit ihm gesehen werden wollte, auch wenn er sich nicht ganz genau vorstellen konnte, warum nicht. Klar, würde irgendjemand ein Foto von ihnen machen und es an eine Zeitung verkaufen, wahrscheinlich noch an die mit den vier großen Buchstaben, so wäre es natürlich erst einmal eine große Story, schließlich war er ein bekannter Fußballer und sie die kleine Schwester seine Vize-Kapitäns, aber trotzdem. Da musste einfach noch irgendetwas anderes dahinter stecken, denn nach den vergangenen anderthalb Stunden glaubte nun auch die unsicherste Seite in Per nicht daran, dass Lena ihn vielleicht doch nicht mögen könnte. Sie hatten sich zwar während des Films nicht viel unterhalten, doch allein ihre Position war so vertraut gewesen, dass sie keinerlei Worte mehr bedurft hatten.
 

„Seid ihr mit dem Auto hier oder soll ich euch nach Hause bringen?“
 

„Wir sind mit der Straßenbahn hierher gekommen, aber wir nehmen uns am besten ein Taxi zurück. So müde wie meine beiden Mäuse sind.“
 

Lächelns sah Lena zu Lisa, die an Pers Hand ging und kaum noch ihre Augen offen halten, und dann zu ihrem Patenkind, das mit Kopf auf ihrer Schulter scheinbar bereits seelenruhig schlief. Zumindest sagte sie keinen Ton, was für Lena äußerst ungewöhnlich war, da sie sonst das sprühende Leben verkörperte.
 

„Es kommt gar nicht in Frage, dass du dir im Dunkeln mit den beiden Mädchen ein Taxi nimmst, Lena. Wer weiß was da für zwielichtige Gestalten rumlungern. Ich bringe euch nach Hause und keine weiteren Widerworte.“
 

Bestimmt griff Per nach Lenas Hand und zog sie ohne weiter auf ihre Proteste zu achten mit sich auf den Parkplatz, wo er sein Auto geparkt hatte. Selbst wenn es nicht Lena und damit die Tochter des „Lutschers“ gewesen wäre, so hätte er doch auch jede andere Frau zuerst sicher nach Hause gebracht und sie nicht mit dem Taxi fahren lassen. Nicht in einer Großstadt und schon gar nicht um diese Zeit, auch wenn es erst kurz vor zehn war. Seine Eltern hatten viel Wert auf gute Manieren gelegt und für ihn war so etwas eine Selbstverständlichkeit. Etwas, weswegen man nicht zu diskutieren hatte, deswegen stellte er ausnahmsweise bei Lenas Einwänden die Ohren auf Durchzug, auch wenn er sonst jedem ihrer Worte genau lauschte.
 

Irgendwann gab Lena ihren Widerspruch auf und schnallte sowohl Lisa als auch Lena gut in Pers Wagen an, bevor sie sich selbst zu ihm auf den Beifahrersitz fallen ließ. Sofort drehte Per sie Sitzheizung an, damit Lena, die er draußen bereits leicht hatte zittern sehen in ihrem dünnen Jäckchen, auch ja nicht noch mehr froh. Angenehm überrascht von der Beobachtungsgabe ihres Fahrers ließ Lena sich noch tiefer in den bequemen sitz sinken und schon bald drifteten ihre Gedanken ab und landeten im Reich der Träume.
 

Weder Per noch Lena bemerkten den Mann, der sie von hinter einer Littfassäule genau beobachtete und ohne Blitz immer wieder fotografierte. Seine Kamera hatte während des kurzen Weges vom Kino bis zum Parkplatz kaum still gestanden und seine Augen waren dem paar jeden Zentimeter gefolgt, wobei sein Augenmerk ganz klar auf der jungen Frau gelegen hatte. Mit Argusaugen hatte er ihren Umgang mit dem kleinen Mädchen auf ihrem Arm beobachtet, das zu schlafen schien. Sie wirkten so vertraut miteinander und sahen sich verblüffend ähnlich. Vielleicht hatte er hier ja sogar noch mehr entdeckt, als er im Grunde genommen erwartet hatte. Der Mann hatte ganz genau beobachtet, wie der junge Mann nach Lenas Hand gegriffen hatte und wie sie sie ihm nicht wieder entzogen hatte. Hand in Hand waren sie bis zu einem Auto gegangen und dann zusammen mit den Kindern weggefahren. Interessant. Das kam ihm äußerst verdächtig vor. Diese Vertrautheit, dieser Mann, der ihm irgendwie doch verdammt bekannt vorkam. All das warf Fragen auf, die er unbedingt beantworten musste. Sie war immerhin sein Ziel und nach sehr langer Suche hatte er sie endlich gefunden. Es war wirklich nicht einfach gewesen ihrer Spur zu folgen, denn niemand in Barcelona wusste scheinbar, wo sie so überstürzt hin abgereist war oder zumindest hatte es ihm keiner sagen wollen. Doch alle Menschen waren käuflich, sie hatten nur ihren Preis und so hatte er von einer kleinen Stuardess schließlich den heißen Tipp bekommen nach Bremen zu fliegen. Dafür hatte er zwar einige bezahlen müssen, doch das war es ihm definitiv Wert gewesen. Und jetzt wusste er, wo sie war und wenn er ihr jetzt folgte, würde er vermutlich auch erfahren, wo sie derzeit wohnte und sie damit unter keinen Umständen mehr verlieren. Perfekt.
 

Per weckte Lena erst, als sie vor dem Tor der Frings angekommen waren und er den Wagen bereits geparkt hatte. Ohne weiter zu Fragen stieg er mit aus dem Auto aus, schnellte Lisa ab, nahm sie auf den Arm und trug sie zur Eingangstür, während Lena wiederum die kleine Lena trug. Er versuchte so vorsichtig wie möglich zu sein als er Lisa in ihr Bett legte, da er das Mädchen nicht wecken wollte. Nicht jetzt, wo sie doch so seelenruhig im Auto eingeschlafen war. Sie sahen beide, Lena und Lisa, so unheimlich niedlich aus, wenn sie schliefen und er ertappte sich dabei, wie er ihnen einfach nur zusah und damit eigentlich ganz zufrieden war, wäre da nicht noch Lena gewesen, die leise, aber geschäftig neben ihm die schlafende Lena in ihren Prinzessinnen Schlafanzug steckte, was gar nicht so einfach war.
 

„Kann ich dir irgendwie helfen?“
 

„Nein, ich glaube das mache ich besser alleine. Der Tag war wahrscheinlich einfach ein bisschen zu viel für die beiden. Zu aufregend.“
 

Ein wenig enttäuscht wandte Per sich zum Gehen um. Deutlicher hätte Lena es ihm nicht zeigen könne, dass seine Pflicht erfüllt war und er nun besser ging. Mit gesenkten Kopf und schlaff herab hängenden Schultern machte er sich auf den Weg in Richtung Tür, als Lenas leise, sanfte Stimme ihn noch einmal inne halten ließ.
 

„Wenn du willst kannst du uns schon mal eine Flasche Wein aufmachen, damit wir noch einen Augenblick zusammen sitzen und reden können. Natürlich nur, wenn du magst.“
 

Lenas Stimme war unsicher gewesen und sie wusste wirklich nicht, was sie in diesem Moment geritten hatte Per darum zu bitten noch zu bleiben, aber sie hatte es getan und jetzt hing es an ihm ob er bleiben oder lieber gehen wollte. Vielleicht war ihm die Zeit im Kino ja schon zu viel gewesen und er hatte sie nur aus reiner Höflichkeit und Pflichtgefühl Torsten gegenüber nach Hause gebracht.
 

„Ich bleibe gern noch.“
 

Per lächelte Lena genauso schüchtern an und machte sich dann auf den Weg nach unten um alles fertig zu machen. Sorgfältig sah er sich in Torstens Weinkeller um und überlegte genau, welcher Wein Lena wohl am besten schmecken könnte. Er schätzte sie als eine Freundin eines süßen Tropfens ein und nahm deshalb eine Flasche „Cuvée Rosso“ aus dem Jahre 2004 aus dem Regal. Im Wohnzimmer entkorkte er die Flasche und stellte schon einmal die Gläser hin. Einschenken wollte er den Wein noch nicht, da er erst einmal ein wenig atmen musste, auch wenn das normalerweise nur in einem Dekanter ordentlich ging. Per war beileibe kein Weinkenner, doch so ein bisschen wusste selbst er und dieses Wissen versuchte er nun einzusetzen. In Gedanken ließ er noch einmal den bisherigen Abend Revue passieren. Dabei fühlte er eine ganz besonders große Herde Schmetterlinge in seinem Bauch Loopings fliegen und ein bisschen schwindelig wurde ihm auch. Das war alles viel zu gut und viel zu schön um wahr zu sein, zumindest sah der Pessimist in ihm das so. Der Optimist jubelte und machte schon Pläne, was er seinem Kapitän als Dankeschön schenken sollte.
 

So in seine Gedanken vertieft, bemerkte Per gar nicht, wie Lena das Wohnzimmer betreten hatte. Erst als er spürte, wie sie sich neben ihn setzte und langsam Wein in die Gläser laufen ließ, kam er wieder zur Besinnung. Ein wenig überrumpelte musterte er Lena eindringlich, die sich während ihrer Zeit in der ersten Etage umgezogen haben musste. Verschwunden waren Jeans und Oberteil, dafür saß sie jetzt in einem überdimensional großen Werdertrikot neben ihn, das ihr fast bis an die Knie reichte, und lächelte ihn verhalten an.
 

„Stört es dich, dass ich mich ungezogen habe? Ich fand es einfach bequemer.“
 

Wieder streifte Pers Blick Lenas nackte Beine, die sie locker untergeschlagen hatte. Nein, es störte ihn ganz und gar nicht, er fand es eher unheimlich sexy wie sie so da saß, das einzige, was seiner Meinung nach hätte geändert werden müssen, war der Name und die Nummer auf dem Trikot. Denn die 22 und den Namen „Frings“ hätte er am liebsten durch „Mertesacker“ und die 29 ersetzt. Ja, dann wäre sie unheimlich perfekt gewesen, aber diese Vorstellung würde ihm wohl erst einmal nur in seinen Träumen begegnen und nicht in der Realität.
 

„Nein, selbstverständlich nicht. Du siehst gut aus.“
 

Zweifelnd hob Lena eine Augenbraue und brachte Per wieder dazu zu erröten. Sie fand es unheimlich süß und verkniff sich jeden weiteren bissigen Kommentar. Heute wollte sie ihm einfach einmal glauben, dafür war der Tag viel zu wunderschön gewesen, auch wenn sie sonst einem Mann skeptisch gegenübertrat, der sie in einem ausgewaschenen Trikot gut aussehend fand. Bei solchen war immer Achtung geboten. Bisher hatte sie diese Worte nur zwei anderen Männern geglaubt und einer von ihnen hatte ihr das Herz gebrochen, das sagte das wohl über ihre Menschenkenntnis aus.
 

Einen Augenblick herrschte Schweigen zwischen den beiden und Lena spielte gedankenverloren an ihrer Kette herum, bis Per die Stille brach, nach seinem Glas griff und ihr zuprostete. Nach dem ersten Schluck stellte er sein Glas jedoch gleich wieder ab und ergriff das Wort.
 

„Von wem hast du diese Kette geschenkt bekommen? Oder hast du sie dir selbst gekauft?“
 

Natürlich wollte er nicht all zu neugierig sein, doch diese Frage hatte ihn bereits im Kino beschäftigt und bevor sie sich noch weiter anschwiegen, fragte er lieber danach. Vielleicht war es ja ein Geschenk von Torsten und Lena verband schöne Erinnerungen damit. Oder sie hatte sie sich irgendwann einmal im Urlaub gekauft, die Kette konnte hundert Geschichten haben und wenn er dadurch die Stimmung etwas lockern konnte, tat er da gern.
 

„Nein, ich habe sie vor einigen Jahren von einem sehr guten Freund bekommen. Sozusagen als Andenken an unsere gemeinsame Zeit.“
 

Ohne weiter nachzudenken fuhr Lena mit den Fingern über ihren Teil des Yin-und-Yang Medaillons. Sie musste es nicht ansehen um den Anblick wieder vor Augen zu bekommen, sie hatte es schon so oft betrachtet, sie würde seinen Anblick nie vergessen. Und die Erinnerungen, die unweigerlich mit dem Anhänger verbunden waren. Auf der Rückseite konnte sie sogar die feinen Linien der Gravur spüren, die nach all der Zeit jedoch schon ein wenig angegriffen wirkte.
 

Lena stand regungslos am Fenster und sah gedankenverloren in das Schwarz der Nacht. Ein leichter, warmer Wind säuselte hin- und wieder durch die Luft und vertrieb für einen kurzen Moment die Hitze, die sich bereits Anfang Juni wie ein bleiernes Tuch über Mailand gelegt hatte. Über ihr leuchteten die Sterne und hätte sie sich die Mühe gemacht, hätte sie in dieser wolkenlosen Nacht problemlos den Großen Wagen entdecken können. Doch die faszinierende Schönheit der Sterne interessierte Lena in diesem Augenblick nicht im Geringsten. Ihre Gedanken galten einzig und allein dem Mann, der hinter ihr im Bett lag und wahrscheinlich immer noch seelenruhig schlief.
 

Wie schon so oft in den vergangenen Tagen machte Lena sich Gedanken darüber, wie es mit ihnen weitergehen sollte. Mit ihr und Ricardo. Und natürlich auch mit Carolin und all den anderen, die direkt oder auch nur indirekt von ihrer Affäre betroffen waren. Denn im Grunde genommen war es noch nicht mehr als eine Affäre, bis jetzt wusste nur Paolo von ihnen und vielleicht noch einer von Ricardos Vertrauten. Sonst niemand. Bisher war sie also nichts weiter als sein kleines Geheimnis. Ein Geheimnis, das sie hüten mussten, eines, das nicht an die Öffentlichkeit kommen durfte.
 

Seit sie nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht aus Istanbul zurückgekehrt waren und nun ihre Beziehung hier in Mailand heimlich aufrechterhielten, hatte sich vieles in Lenas Leben verändert. Eigentlich alles und das wusste sie auch. Und sie nahm es in Kauf. Nahm es in Kauf für den Mann, den sie liebte, für den Mann, der sie nur um einen einzigen Gefallen gebeten hatte, nämlich vier Wochen zu warten, damit er seiner Ehefrau persönlich von der Trennung berichten konnte. Rational gesehen wusste Lena, dass es nicht zu viel verlangt war so lange zu warten, doch ihr Herz wehrte sich gegen diese Geheimnistuerei, es verabscheute diese Heimlichkeiten, die Einschränkungen, die sie aus Sicherheitsgründen hinnehmen mussten. Sie wollte einfach nur ihre Liebe, ihr unendliches Glück zeigen, wollte jeden daran teilhaben lassen. Stattdessen waren ihnen nur heimliche, verstohlene Gesten der Zuneigung erlaubt und diese kurzen Nächte, in denen sie sich sahen.
 

Sie konnten nicht wie normale Pärchen auch Händchen haltend durch die Innenstadt spazieren, sie konnten nicht zusammen Essen oder ins Kino gehen. Sie durfte ihren Freund nicht vom Training abholen und ihn weder zu Spielen noch zu irgendwelchen Empfängen begleiten, zumindest nicht offiziell als Frau an seiner Seite und das versetzte Lena jedes Mal einen Stich ins Herz. Der Schmerz darüber verschwand zwar, sobald Ricardo ihr zu lächelte oder ihre Hand nahm um sie kurz zu drücken oder sie gar zum Tanzen auf die Tanzfläche zu führen, doch die Erinnerung an den Schmerz blieb und in der letzten Zeit hatten sich einige schmerzvollen Momente summiert, in denen Lena am liebsten laut geschrieen hätte, dass sie Ricardo liebte. Dass er der Mann war, der ihr Herz im Sturm erobert hatte und mit dem sie so unendlich glücklich war, zumindest, wenn niemand sonst um sie herum war.
 

Ja, Lena wollte ihre Liebe zu Ricardo nicht verstecken, nicht totschweigen, doch gerade für diese Liebe hielt sie sich zurück, schwieg und schluckte alles, was sie sagten. Manchmal schaffte sie es sogar lächelnd im Kreis der Sprechenden sich die Loblieder auf die Beziehung zwischen Carolin und Ricardo anzuhören, wohl wissend, dass sie nichts weiter als Lüge und leere Worte waren, doch meistens konnte sie diese Kraft nicht aufbringen. Dafür war sie dann doch zu schwach, zu emotional. Also hielt sie meistens den Kopf gesenkt und versuchte die Tränen zu unterdrücken, die jedes Mal in ihr aufwallten, wenn jemand von Ricardo und Carolin als glückliches Paar sprach oder gar ein gemeinsames Foto von ihnen zeigte. Lena merkte mit jedem Tag deutlicher, wie sehr ihr diese Lüge an die Substanz ging, wie sie immer weniger aß und immer schlechter schlief. In der Uni sogar nur noch unaufmerksam mitschrieb und all ihre Gedanken nur noch bei Ricardo weilten. Selbstverständlich wusste Lena nur zu gut, dass dieses Verhalten schlecht für sie war, doch sie sah einfach keinen Weg es zu ändern, alles in ihr sehnte sich danach die Menschen um sich herum endlich nicht belügen zu müssen, weil sie keine Zeit mehr hatte oder plötzlich nach einer SMS verschwinden musste. Sie wollte ihnen sagen was Sache war, doch noch konnte sie es einfach nicht. Versprochen war versprochen und sie hatte nicht vor Ricardos Vertrauen zu betrügen, nur weil sie nicht mal vier Wochen ein Geheimnis für sich behalten konnte.
 

Mittlerweile waren drei der vier Wochen vergangenen und Carolins Rückkehr kam immer näher und Lena hatte kein gutes Gefühl dabei. Etwas in ihr sträubte sich dagegen, auch wenn ihr eigentlich klar war, dass sie dann endlich das Versteckspiel würden beenden können. Die Lügen und Ausreden würden endlich ein Ende haben und ihr würde es wieder besser gehen. Alles würde wieder so werden wie früher, nur halt irgendwie- besser. Weil sie dann offen zeigen konnte, dass sie den Mittelfeldakteur des AC Milans von ganzen Herzen liebte. Das hatte Ricardo ihr fest versprochen. Einen Tag nach ihrer Ankunft wollte er ihr sagen, dass er sie verlassen wollte. Und Lena glaubte ihm, auch wenn es ihr unendlich schwer fiel die Kontrolle aus der Hand zu geben. Sie hatte es bisher geschafft und würde es wohl auch noch eine weitere Woche aushalten.
 

„Wieso stehst du hier am offenen Fenster, meu anjo, komm wieder ins Bett, sonst wirst du noch krank.“
 

„Ich brauchte einen Augenblick um in Ruhe nachzudenken.“
 

„Und das konntest du nicht im Bett?“
 

„Nein.“
 

Liebevoll umarmte Ricardo Lena von hinten und drückte sie sanft gegen seinen nackten Oberkörper. Lena konnte noch seine Bettwärme spüren und lehnte ihren Kopf erschöpft gegen ihn. Sie war es so Leid zu kämpfen, so Leid zu lügen und alles verstecken zu müssen, was ihr wichtig war, doch für Augenblicke wie diesen nahm sie all das gerne in Kauf.
 

Langsam fühlte sie etwas Kaltes auf ihre Haut gleiten und kurz darauf zog Ricardo für einen Moment seine Hände zurück und verharrte in ihrem Nacken. Erst jetzt erkannte Lena, dass er ihr eine Kette umgelegt hatte. Vorsichtig tastete sie danach, doch Ricardo drehte sie behutsam so, dass sie sich in der Scheibe des Fensters spiegeln konnte. Da erkannte Lena die weiße Hälfte mit dem schwarzen Punkt des Yin-und-Yang.
 

„Ich kann dir noch keinen Ring schenken um dir zu beweisen, dass ich es wirklich Ernst mit dir meine, deswegen schenke ich dir diesen Anhänger. Sie passen zusammen und sind nur vollkommen, wenn der eine bei dem anderen ist. Nur zusammen, nicht allein. Er soll dich überall an meine Liebe zu dir erinnern. Die andere Hälfte dazu trage ich und ich werde sie erst abnehmen, wenn ich dich nicht mehr lieben sollte.“
 

Gerührt wandte Lena sich von ihrem eigenen Spiegelbild ab und wandte sich Ricardo zu, der seinen Teil der Kette bereits um den Hals trug. Vorsichtig berührte sie seine warme Haut und drehte den Anhänger in Händen, bis ihr eine Gravur auf der Rückseite auffiel, die sie an ihrem eigenen Stück bisher noch nicht bemerkt hatte.
 

„Was steht da, Ricardo, ich kann es im Dunkeln nicht erkennen?“
 

„Auf meinem steht: „Da, wo dein Schatz ist“ und wenn wir es zusammen fügen geht es auf deinem Anhänger weiter mit: „da wird dein Herz auch sein“. Fügen wir es zusammen heißt es: Da, wo dein Schatz ist, da wird dein Herz auch sein.“
 

Lena stiegen Tränen der Rührung und der Liebe in die Augen und sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war absolut sprachlos, etwas, was zuvor nur selten jemand geschafft hatte, war Ricardo durch eine so romantische und gedankevolle Geste gelungen. Alle Zweifel und all die Wut über ihre Situation waren verflogen und jetzt wollte sie einfach nur den Moment mit Ricardo genießen und alle Probleme von sich fort drängen.
 

„Meu anjo, meu único.“
 

Seine Stimme klang so sanft, wenn er portugiesisch sprach und Lena musste nicht fragen, was er geflüstert hatte, der Wortlaut war nicht wichtig, viel wichtiger war, dass ihr Herz den Inhalt der Worte verstanden hatte und sie brauchten keine Antwort. Ihre Herzen verstanden sich auch so, sie schlugen im Eintakt, zumindest in diesem Augenblick.
 

Per holte sie schließlich mit seiner sanften, leisen Stimme und seinen bedachten Worten wieder aus der Welt der Erinnerungen zurück.
 

„Hast du ihn geliebt? Ich meine denjenigen, der dir diese Kette geschenkt hat. Damals, als Erinnerung. Habt ihr euch geliebt?“
 

Einen Augenblick saß Lena einfach nur regungslos da und sah Per in die Augen. Es schien als würde die Welt still stehen, als hätte sie einfach aufgehört sich zu drehen. Nichts passierte, bis Lena langsam und nur sehr zögerlich ihre Antwort aussprach:
 

„Lieben und geliebt zu werden, das sind zwei vollkommen unterschiedliche Dinge.“
 

Wieder herrschte Schweigen zwischen den beiden und Lena nahm einen weiteren Schluck aus ihrem Weinglas. Ihr war bewusst, dass sie Pers Frage nicht direkt beantwortet hatte, doch sie hielt ihn für klug genug eigene, richtige Schlüsse aus ihrer Antwort zu ziehen. Und genau das bewies Per dann auch mit seiner nächsten, noch persönlicheren Frage:
 

„Er hat dich verletzt, stimmt’s? Hat dir das Herz gebrochen, oder?“
 

Per wusste selbst nicht, warum er ihr all diese Fragen stellte, wo er doch merkte, dass ihr dieses Thema nicht behagte, doch irgendetwas in ihm trieb ihn weiter, wollte unbedingt mehr wissen, auch wenn er wahrscheinlich keine Antwort bekommen würde. So konnte er sich wenigstens nicht vorwerfen es nicht ernsthaft versucht zu haben. So hatte er wirklich versucht etwas über die junge Frau hinter dem Lächeln heraus zu bekommen.
 

Auch Lena überlegte einen Moment, ob sie Per die Wahrheit sagen sollte, die er im Grunde genommen doch eh schon ahnte. Sie wusste nicht, ob es noch einen Unterschied machte. Für ihn womöglich nur einen geringen, für sie aber einen riesengroßen. Es fiel ihr nie leicht über diese Dinge zu sprechen, sie waren einfach viel zu nah, viel zu emotional, aber bei Per hatte sie nicht dieses tonnenschwere Gewicht auf ihrem Herzen. Sie fühlte sich von den Erinnerungen nicht bedrängt, solange er neben ihr saß und sie nur ansah. Er übte keinerlei Druck aus, er zwang sie nicht dazu sich an etwas zu erinnern, was ihr zu Weh tat. Per war einfach nur da und sah sie aus diesen großen Augen heraus an. Und wenn sie schon nicht mit ihrem Bruder über all das reden konnte, so wollte sie es wenigstens mit seinem Kollegen versuchen, der ihr in den vergangenen Stunden schon eher ein Freund geworden war. Vielleicht wurde es ja mit der Zeit leichter manche Dinge zu verkraften, zu verarbeiten und sie dann wieder zu erzählen, wenn man es bereits einmal getan hatte. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht, Lena war es egal, in diesem Augenblick hatte sie sich dafür entschieden das Risiko einzugehen und sich Per ein Stück weit zu öffnen.
 

„Warst du jemals verliebt?“
 

Diese Frage traf Per absolut unvorbereitet und er wusste beim besten Willen nicht, was er antworten sollte, so perplex war er, doch sein verwirrter Gesichtsausdruck war Lena bereits antwort genug.
 

„Klar, was für eine Frage, natürlich warst du schon Mal verliebt, schrecklich, oder nicht?“
 

Ihre Stimme wurde immer sanfter und Per rückte etwas näher an sie heran um sie besser verstehen zu können.
 

„Es macht dich so verdammt verletzlich. Wenn du jemandem dein Herz öffnest, dann hat er ungehindert die Chance alles durcheinander zu bringen. Du baust all diese Mauern um dich herum, wahre Abwehrbastionen, damit nichts und niemand dich verletzen kann und dann kommt eine einzige dumme Person in dein Leben, eine Person, die sich nicht im Geringsten von all den anderen dummen Personen auf der Welt unterscheidet. Und du gibst ihnen ein Stück deines Herzens, auch wenn sie nicht darum gebeten haben.“
 

Wieder machte Lena eine Pause, versuchte tief durchzuatmen und ohne weiter darüber nachzudenken legte Per den Arm und sie und zog sie näher zu sich heran, damit sie seine Anwesenheit, seine Wärme spüren konnte.
 

„Dann tun diese Menschen irgendetwas verrücktes, wie zum Beispiel, dass sie dich küssen oder dich einfach nur lieb anlächeln und mit einem Schlag gehört dir dein eigenes Leben nicht mehr. Die Liebe nistet sich in deinem Herzen ein. Sie trifft dich ins Mark und frisst dich von innen auf bis nur noch ein Haufen Elend übrig bleibt. Ein kleiner Satz wie zum Beispiel „Vielleicht wäre es besser, wenn wir nur Freunde blieben“ wird zu einem Glassplitter der sich qualvoll langsam durch dein Herz bohrt.“
 

Lena hatte die Augen geschlossen und Per konnte erkennen, wie eine Träne unter ihren Augenlidern hervortrat. In diesem Moment verwünschte er sich, dass er diese Frage überhaupt gestellt hatte und doch war trotzdem irgendwie froh, dass er es getan hatte, denn jetzt zeigte Lena ihm etwas von sich. Sie öffnete ihm ein kleines Fenster in ihre Seele und wollte versuchen jeden Eindruck, den er bekam, aufzubewahren. Stockend und schwer atmend sprach sie weiter und Per ahnte, dass sie mit sich kämpfte um weitere Tränen zurück zu halten.
 

„Es tut weh. Nicht nur in deiner Vorstellung, nicht nur in deinem Kopf. Es ist ein allumfassender Seelenschmerz, so einer, bei dem du dich fühlst, als wenn dein Körper aufgeschlitzt und offen zurückgelassen wird.“
 

Lena schaffte es nicht ihre Tränen wieder unter Kontrolle zu bekommen und als Per sie noch weiter in seine Arme zog und sie festhielt und ihr liebevoll über den Rücken streichelte, da gab es für sie kein Halten mehr. Wie eine Ertrinkende klammerte sie sich an ihn und lauschte seinem Herzschlag. Dass sie dabei sein Hemd durchnässte, störte keinen von beiden, viel zu sehr waren sie auf die Situation konzentriert, die sie beide absolut unvorbereitet getroffen hatte. Zwar war Per nur ein Zuschauer, ein Zuhörer, ihres inneren Kampfes gewesen, doch auch er hatte mit ihr gelitten und jedes Wort tatsächlich gefühlt, das sie ausgesprochen hatte. Egal wer auch immer ihr das Herz gebrochen hatte, er hatte wirklich ganze Arbeit geleistet und wer auch immer es wieder flicken wollte, der würde viel Zeit, Geduld und Einfühlungsvermögen brauchen.
 

Mit der Zeit wurden Lenas Schluchzer leiser und ihre Tränen versiegten langsam und Per bemerkte, dass die kleine Schwester des „Lutschers“ an seiner Brust eingeschlafen war. Einfach so, ohne ein Wort. Vollkommen erschöpft von den Tränen und der Erinnerung. Sicher, so hatte Per sich ihren Abend doch nicht vorgestellt, aber wenn er so auf Lena hinunterblickte, auf die Tränenspuren, aber auch das mittlerweile friedlich schlummernde Profil seines Mädchens vom Flughafen, so hatte er doch ganz tief in sich dieses gute Gefühl, das dieser Abend etwas besonderes gewesen war. Denn man mochte vergessen, mit wem man gelacht hatte, aber man vergaß niemals, mit wem man geweint hatte und so würde auch Lena diesen Abend vermutlich nicht wieder vergessen.
 


 

To be continued
 

Ich weiß ehrlich gesagt selbst nicht so ganz, was ich zu diesem Kapitel schreiben soll. Es hat unheimlich viel gekostet, mir aber auch sehr viel gegeben. Allein schon einen passenden Titel zu finden war eine Herausforderung.

Wahrscheinlich muss jeder von euch selbst entscheiden, wie wichtig und auch wie schön er dieses Kapitel fand, da will ich euch nicht reinreden.

Ich würde einfach nur gerne wissen, was ihr zu diesem Kapitel denkt.

Langhaardrachen Torsten

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Gedankenverloren und schon fast im Halbschlaf streichelte Per sanft über Lenas Rücken, als er ein leises Klicken und dann eine sich öffnende Haustür vernahm. Leise Stimmen drangen bis ins Wohnzimmer hinein, doch Per konnte den genauen Wortlaut nicht verstehen, dafür waren sich einfach zu gedämpft. Im ersten Augenblick realisierte er gar nicht, dass diese Geräusche die Rückkehr von Petra und seinem Vize-Kapitän bedeuteten, aber als er dann seinen Kollegen und dessen Ehefrau um die Ecke schauen sah, wurde ihm schlagartig bewusst, dass er in Schwierigkeiten war. In großen Schwierigkeiten, Torstens Gesichtsausdruck nach zu urteilen, dessen Blick erst zu ihm und dann zu seiner schlafenden Schwester in seinen Armen glitt. Oh ja, jetzt war guter Rat teuer. Denn Per hatte niemals vorgehabt so lange zu bleiben, dass der „Lutscher“ ihn noch sehen würde, noch Gelegenheit hätte ihm den kopf höchstpersönlich abzureißen, er hätte schon längst gehen müssen, doch Lena, die sich Halt suchend an ihn geklammert hatte und vertrauensvoll in seinen Armen eingeschlafen war, hatte ihn nicht gelassen. Und er hatte ehrlich gesagt auch keinen Moment daran gedacht zu gehen, viel zu glücklich und unbeschwert fühlte er sich gerade.
 

Wütend blickte Torsten seinem Mannschaftskollegen in die Augen und er merkte, wie Per unter seinem strengen Blick zusammenzuckte und ein kleines bisschen kleiner wurde. Gut so, ein wenig Respekt und ein bisschen Angst schien der lange Innenverteidiger ja doch noch vor ihm zu haben. Doch sein Griff lockerte sich nicht um Lena, sondern streichelte sie behutsam weiter, was Torsten nur noch wütender machte. Er hatte nichts gegen Merte, im Gegenteil, er mochte ihn sogar, sie waren gute Freude und Torsten wünschte ihn alles Glück und allen Erfolg dieser Erde, aber so, wie dort gerade mit seiner kleinen, unheimlich verletzlichen und zerbrechlichen Schwester saß, konnte er seine Anwesenheit nicht ertragen. Das war einfach zu viel. Mertesacker war Lena für seinen Geschmack zu nah und hielt sie zu vertraulich, etwas, was sich kein Mann außer ihm selbst, Torsten, herausnehmen durfte. Und was machte sein Teamkollege überhaupt in seinem Wohnzimmer? Warum hielt er Lena in seinen Armen als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt? Irgendetwas lief nach Torstens Ansichten gerade richtig schief und im Augenblick versuchte er noch krampfhaft zu durchschauen was es war. Womöglich hatte Per ihr irgendwie weh getan, denn selbst von seiner Position im Türrahm aus konnte er Tränenspuren auf Lenas Gesicht entdecken und es schnitt ihm tief ins Herz zu wissen, dass seine Kleine geweint hatte und er schon wieder nicht da gewesen war um sie zu trösten.
 

Gerade wollte er zu einem langen, ziemlich aufbrausenden Redeschwall ansetzen, als er Petras Hand auf seiner Schulter spürte. Langsam drehte er sich zu ihr um und blickte der Frau, die er schon so lange liebte und mit der er schon jahrelang verheiratet war in die Augen.
 

„Nicht Torsten. Tu mir einen Gefallen und sieh nach den Mädchen.“
 

Er hatte das tiefe Bedürfnis seiner Frau zu widersprechen, mit ihr zu diskutieren, ihr zu sagen, dass es wichtiger war, dass er jetzt hier war und seinem Kollegen einmal ordentlich den Kopf wusch und ihm erklärte, wie er mit seiner kleinen Schwester umzugehen hatte, aber an Petras bestimmten Blick konnte Torsten erahnen, dass jeder Widerspruch zwecklos war und so verließ er das Wohnzimmer um nach seinen beiden Mäusen zu sehen, jedoch nicht ohne Per noch einmal einen ziemlich bösen Blick zu zuwerfen der soviel hieß wie „Wir sprechen uns noch, verlass dich drauf!“.
 

Schweigend sahen Petra und Per Torsten nach und lauschten seinen Schritten, wie er nicht unbedingt leise nur jede zweite Treppenstufe nahm. Sein wütendes Schnauben konnte sie zwar nicht hören, aber beide waren sich sicher, dass er es sich nicht verkneifen konnte. Dazu kannten sie ihn beide schon zu lange und zu gut. Wenn man einen Menschen jemals überhaupt zu gut kennen konnte. Erst als er in der Nähe der Kinderzimmer angekommen war, wurde er leiser und Petra atmete erleichtert auf. Sie hatte es sich schwieriger vorgestellt ihren Mann soweit zu beruhigen, dass er ging und Per nicht sofort den Kopf abriss. Sie konnte ja seine Überraschung verstehen, sie selbst war ja nicht minder verwundert gewesen, als da mit einem Mal der lange Innenverteidiger bei ihnen auf dem Sofa gesessen hatte, mit einer schlafenden Lena im Arm, aber sie hatte diesen Anblick augenscheinlich besser verkraftet als Torsten, der sofort wieder einen „Großen-Bruder-Komplex“ bekommen hatte. Tatsächlich war ihr Mann was Lena anging übervorsichtig und überbeschützerisch und so konnte Petra Lenas Wunsch nach Freiraum immer besser verstehen. Aber anscheinend hatte Torsten doch noch irgendwo ein Fünkchen Vernunft in seinem Hirn gehabt, dass er es nicht auf eine Szene direkt unter Lenas Augen ankommen ließ, denn so wie Petra ihre junge Schwägerin kannte, wäre sie es dann wiederum gewesen, die Torsten angeschrieen hätte, bevor sie sich wieder in ihr Schneckenhaus zurückgezogen hätte.
 

„N’abend Per.“
 

Petra lächelte freundlich und dem jungen Pattensener fiel ein Stein vom Herzen, dass er sich nun wohl doch erst einmal keine Strafpredigt würde anhören müssen, denn Petras Stimme war seiner Meinung nach viel zu ruhig und warm dafür. Trotzdem hatte Per das Bedürfnis sich für diese Unannehmlichkeiten, die er dem Paar durch seine Anwesenheit scheinbar bereitet hatte, zu entschuldigen.
 

„Hallo Petra, es tut mir Leid, dass ich euch hier Probleme bereitet habe, es ist wohl besser, wenn ich jetzt gehe bevor Torsten wieder runter kommt.“
 

Vorsichtig, um Lena nicht zu wecken, wollte Per sich aus ihrer Umarmung lösen, auch wenn er gleich darauf schon an den ersten Stellen eine unheimliche Kälte spürte, die nur vom Verlust ihres warmen Körpers kommen konnte.
 

„Ich bitte dich Per, du kannst doch nicht dafür, dass Torsten überreagiert, mach dir da mal keine Sorgen, morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.“
 

„Ich denke trotzdem, dass es besser ist, wenn ich jetzt gehe.“
 

Nachdenklich sah Petra von Lena zu Per und anschließend wieder zu Lena, die immer noch seelenruhig schlief. Die Weinkrämpfe hatten sie wohl zu sehr angestrengt, als dass sie jetzt schon wieder aufwachen würde.
 

„Und wer soll Lena dann hoch ins Bett bringen? Ich kann sie nicht tragen und Torsten wird noch eine Weile oben bei den Mädchen bleiben. Lenas und Lisas Anblick beruhigt ihn immer, egal worüber er sich aufgeregt hat. Ob ein schlechtes Spiel, eine Verletzung, ein verlogener Zeitungsartikel oder gar ein verlorener Titel. Es gibt keine bessere Medizin für ihn als seine beiden Mädchen. Mal abgesehen vielleicht von Lena.“
 

Etwas verlegen ob der doch recht privaten Enthüllungen über seinen Vize-Kapitän und Nationalmannschaftskollegen, rutschte Per ein wenig hin- und her. Das, was er gerade gehört hatte, konnte er einfach noch nicht ganz glauben. Nach außen hin galt Torsten Frings immer für alle als der harte Hund, der Mann, der den Mund aufmachte, wenn ihm etwas nicht passte und der schonungslos die Wahrheit sagte, auch wenn sie ihn und seine Kameraden nicht gerade in ein glänzendes Licht tauchte. Er motzte, aber er krempelte auch die Arme hoch und kämpfte, verbissen bis zum bitteren Ende. Der „Lutscher“ war der Kerl mit den vielen Tattoos, dem der Schmerz scheinbar nichts ausmachte und er war der stolze Hummer und Ferrari Fahrer. Ein ganzer Kerl eben, ohne Schwächen, ohne Sentimentalität. Er eckte an und polarisierte. Wahrscheinlich konnte man den Bremer Mittelfeldspieler nur hassen oder lieben, etwas dazwischen gab es vermutlich nicht. Und nun hatte Per, der es als sein Teamkollege und Freund im Grunde genommen hätte besser wissen müssen, eine neue Seite an ihm entdeckt: Die des liebend Familienvaters, der seine Mädchen abgöttisch liebte und seiner Frau zuliebe auch einmal etwas runterschluckte. Mit schlechtem Gewissen musste Merte innerlich zugeben, dass er, obgleich er Torsten doch bei weitem besser kannte, auf einige dieser gängigen Vorurteile, dieser allgemein bekannten Klischees hereingefallen war. Wo er doch eigentlich wusste, dass der private Torsten ganz sanfte Seiten hatte, die er nur nicht so in der Öffentlichkeit zeigte. Entweder nicht zeigen konnte oder wollte. Er hatte das Herz am rechten Fleck und kümmerte sich um die Kranken und Benachteiligten ohne es mit viel Medienrummel zu tun. Nein, der „Lutscher“ tat es, weil es ihm ein Herzensbedürfnis war und es interessierte ihn nicht, ob Kameras dabei waren oder nicht, eher im Gegenteil, er hatte es lieber, wenn er dabei seine Ruhe hatte. Dann fand er viele tröstende und liebe Worte, die ehrlich aus tiefsten Herzen kamen und nicht einfach nur so dahin gesagt waren. All das wusste Per und trotzdem hatte ihn Petras Enthüllung so aus der Fassung gebracht. Dafür schämte er sich.
 

Petra beobachtete Per, der immer noch ein wenig zu überrascht war um etwas zu sagen. Und so ergriff sie schließlich wieder das Wort, damit sie nicht noch länger schweigend dastanden und womöglich wirklich noch Gefahr liefen, dass Torsten sich zu ihnen gesellte.
 

„Per, würdest du Lena bitte hoch ins Gästezimmer bringen? Sie soll die Nacht nicht unbedingt auf dem Sofa verbringen.“
 

Etwas perplex nickte Per und griff dann geschickt unter Lenas Knie und drückte ihren Kopf noch näher an seine Brust. Sicher umfasste er ihren Körper und unwillkürlich strich dabei Lenas Hand federleicht über seinen Brustkorb, was in Per ein wohliges Schaudern auslöste. Das aufstehen erwies sich zwar als schwieriger als gedacht, weil Per erst seine langen Beine entwirren wusste, die mit der Zeit eingeschlafen waren, aber als er erstmal stand war der Rest für ihn ein Klacks, denn seiner Meinung nach glich Lena eher einem Fliegengewicht als einer ausgewachsenen Frau.
 

„Du weißt ja, wo es langgeht, Per.“
 

Damit verabschiedete Petra sich in Richtung Küche um noch irgendetwas wahrscheinlich Belangloses zu tun, weil sie vermutlich weder Per und Lena nach Oben begleiten, noch ihrem Mann Gesellschaft leisten wollte.
 

In der Tat wusste Per ziemlich genau wo es zum fringsschen Gästezimmer ging, denn er hatte selbst schon einige Male bewohnt, wenn sie mal zusammen zu lange feiern gewesen waren, und so machte er sich langsam und vorsichtig mit seiner kostbaren Last auf den Weg. Stufe für Stufe trug Per Lena die Treppen hoch, immer darauf bedacht sie unter gar keinen Umständen aufzuwecken. Immer wieder fühlte er ihre warmen Hände und ihren Atem durch den dünnen Stoff seines Hemdes auf seiner Brust und jedes Mal lief ihm ein weiterer Schauer über den Rücken. Das und ihr feiner, einzigartig verführerischer Geruch, der ihm bei jeder ihrer Bewegungen in die Nase stieg, machten ihn beinahe wahnsinnig.
 

Vorsichtig öffnete Per mit seinem linken Ellenbogen die Tür zum Gästezimmer und staunte nicht schlecht, als er all die Veränderungen bemerkte, die auf jeden Fall von Lena stammen mussten. Hatte das Gästezimmer der Frings zwar sonst einladend, aber auch etwas nichts sagend gewirkt, so strahlte dieser Raum jetzt nur so vor Leben. Es hatte sich zwar weder die Wandfarbe noch die Einrichtung verändert, aber trotzdem fühlte sich Per, als betrete er einen vollkommen anderen Raum, eine komplett andere Welt. Vielleicht war es aber auch bloß seine Einbildung, so ganz sicher war der lange Innenverteidiger sich da nicht. Hier und da hatte Lena ihre Klamotten verteilt und auf dem Schreibtisch, der überladen mit Büchern, Zeitschriften und Zetteln schien, surrte ein Laptop, auf dessen Bildschirmschoner der Wappen des FC Barcelona hin- und her sprang. Ein aufgeschlagener Koffer stand Per auf dem Weg zum Bett im Weg und unweigerlich warf er einen kurzen Blick hinein: Neben weiteren Büchern und Kleidern sah er dort Fotos aufblitzen. Ihm war völlig klar, dass er Lena jetzt einfach weiter ins Bett bringen sollte, den Koffer einfach ignorieren und über ihn drüber steigen, lang genug waren seine Beine ja, aber das war leichter gesagt als getan. Per wollte ihre Privatsphäre nicht verletzen, nie im Traum wäre ihm eingefallen ihr Zimmer zu durchsuchen, in ihren Sachen zu wühlen um mehr über Lena herauszufinden, mehr, als sie ihm heute Abend freiwillig erzählt hatte, doch da lag dieser Koffer ganz offen da und schien ihn verführen zu wollen. Nur ein kleiner, kurzer Blick, was würde es schon ändern, wahrscheinlich waren es eh nur Fotos von Freunden aus Barcelona oder Mailand, nichts Besonderes, nichts Schlimmes.
 

„Nein, Per Mertesacker, das tust du nicht!“
 

Seine innere Stimme brachte ihn wieder zur Raison und führte ihn vor Augen, wie er Lenas Vertrauen beinahe verletzt hätte. Er schämte sich dafür und machte nun einen großen Schritt über den Koffer ohne ihn auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen.
 

Behutsam ließ er Lena aus seinen Armen auf ihr Bett hinab gleiten und deckte sich sorgfältig mit ihrer Bettdecke zu. Sie sah so süß aus, wenn sie schlief, fand er. Da waren keine Sorgenfalten auf ihrer hübschen Stirn, sie wirkte einfach nur friedlich, vielleicht träumte sie ja sogar etwas schönes, wer konnte es schon ahnen. Einen Augenblick stand Per einfach nur da und sah auf die Gestalt herab, die er bis eben noch in seinen Armen gehalten hatte. Er vermisste ihre Wärme und ihre Nähe und hätte sie am liebsten noch stundenlang einfach nur angesehen, doch er wusste, dass es ihm nur noch mehr Ärger bringen würde, wenn er sich nicht langsam auf den Heimweg machen würde. Und so wollte er sich schon zum Gehen abwenden, als ihn ein Gedanke inne halten ließ. Per war sich vollkommen im Klaren darüber, dass er eine Dummheit beging, als er sich zu Lena hinunter beugte und sie ganz leicht küsste, doch nichts, noch nicht einmal ein wütender Torsten, hätten ihn im diesem Augenblick davon abhalten können.
 

„Schlaf gut, mein Engel.“
 

Flüsterte er ihr leise zu und drehte sich dann um. Per wusste, dass er nicht würde gehen können, wenn er sich jetzt noch mal zu ihr umdrehte und so stieg er fest entschlossen über den Koffer. Ungeschickt wie die junge Giraffe, die die kleine Lena jetzt vermutlich im Schlaf im Arm hielt, stieß er gegen den Rand des Koffers und verschob den Inhalt. Erschrocken sah er nach unten und bereits in diesem Augenblick bereute er es: Sein Tritt hatte alles, was die Fotos verdeckt hatte, beiseite geschoben und so hatte er nun freien Blick auf das, was er gar nicht hatte wissen wollen. Entsetzt starrte er die fröhlich lachenden Gesichter an und schüttelte nur vehement mit dem Kopf. Die Bilder zeigten eine glückliche Lena in der Umarmung eines anderen Mannes. Und nicht irgendeinen Mannes, nein, ein näherer Blick bestätigte Pers Befürchtungen, es schien wirklich Lionel Messi zu sein, der Lena da in seinem Armen hielt und sie freudig anlachte, den Schalk in den Augenwinkeln. Das konnte alles nicht wahr sein. Das durfte nicht wahr sein.
 

Eilig verließ Per das Haus der Frings und stieg in seinen Wagen. Er hatte noch nicht die Kraft nach Hause zu fahren, auch wenn es bereits spät war und sie morgen früh wieder zeitig Training hatten, im Moment brauchte er einfach nur Ablenkung. Er wollte verdrängen, was er da gesehen hatte, wollte den Verdacht vergessen, der unweigerlich in ihm hoch kam. Es gab also einen anderen Mann in Barcelona. Entweder nur einen guten Freund oder vielleicht auch einen heimlichen Verehrer? Auf jeden Fall Konkurrenz für ihn und ja irgendwie auch für Clemens. Per wollte im Grunde genommen nur weiter träumen, weiter hoffen dürfen, sich an dem Gedanken berauschen dürfen, wie er Lena im Arm gehalten hatte, wie er ihre Haut auf seiner gespürt hatte und wie er sie schließlich sogar geküsst hatte, doch das alles schien ihm in diesem Augenblick so weit weg. Es gab noch Konkurrenz, warum hatte er nicht daran gedacht! Eine Frau wie Lena blieb in einer Metropole wie Barcelona nicht allein. Aber warum musste es ausgerechnet Lionel Messi, der argentinische Ballkünstler sein? Warum hätte es nicht irgendein Spanier sein können, ein ganz normaler Mann, einen, gegen Per sich womöglich berechtigte Hoffnungen gemacht hätte, aber so. Was hatte er, Per Mertesacker, denn schon zu bieten, was Lionel Messi Lena nicht auf mit einem Wimpernschlag zu Füßen legen könnte?
 

Pers Selbstzweifel und seine Unsicherheit in Bezug auf Frauen brachen jetzt, wo er in seinem Auto saß und eigentlich konzentriert auf die Straße sehen sollte, durch. Er hatte panische Angst sein „Mädchen vom Flughafen“ bereits verloren zu haben, bevor er überhaupt die Chance bekommen hatte um sie zu kämpfen.
 

Es war nicht schwer die Wahrheit zu finden, schwer war es, wieder vor ihr davon zu laufen, wenn man sie erst einmal gefunden hatte. Aber in diesem Augenblick wusste Per, dass er nicht vor ihr davon laufen würde, nein, er wollte sich ihr Stellen. Er würde Lena garantiert nicht kampflos aufgeben, egal wie der Gegner hieß. Sie war jetzt hier, hatte ihm heute ein Teil ihrer Seele präsentiert und er war sich sicher, dass sie ihn mochte. Ja, er würde um sie kämpfen und er würde den kleinen Argentinier bestimmt nicht einfach so gewinnen lassen!
 

To be continued
 

Das Kapitel ist jetzt doch nicht ganz so lang geworden wie geplant, den „Tag danach“ bekommt ihr in einem extra Kapitel, ich musste für mich erst einmal dieses „Date“ abschließen… Es ist ja doch noch einiges passiert, sogar Dinge, die ich eigentlich nicht vorher geplant hatte…

Und was sagt ihr dazu? Ein ziemlich wütender Torsten, den man unter Umständen vielleicht sogar verstehen kann, weil er eben auch diese weiche Seite hat? Und Per, der seine Angebetete erst ganz brav ins Bett bringt und dann den Mut hat Lena zu küssen. Nur um dann doch seiner Neugier zu erliegen und etwas zu sehen, was er nicht sehen wollte. Dafür hat es ihn zu dem Kämpfer gemacht, den manche von euch schon lange in ihm gesehen haben oder auch nur in ihm sehen wollte.

Waschweiber

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 


 

Viel zu früh wachte Lena am nächsten Morgen auf. Die Sonne blinzelte noch nicht durch die Gardinen und im ganzen Haus war es noch ungewöhnlich ruhig. So blieb sie ganz ruhig liegen und versuchte sich an die Ereignisse des vergangenen Abends und ihren Traum zu erinnern, doch zuerst kamen nur vereinzelte Bruchstücke in ihr Gedächtnis, von denen sie nicht sicher sagen konnte, ob sie nun Traum oder Wirklichkeit waren. Sie erinnerte sich verschwommen an diese vertraute Wärme, dieses Gefühl von Sicherheit und daran, dass sie jemand geküsst hatte. Das konnte jedoch nur zu ihrem Traum gehört haben, dessen war Lena sich sicher, denn wer sollte ihr schon dieses Gefühl vermittelt und sie auch noch geküsst haben. Da kam keiner in Frage. Der einzige Mann, der gestern Abend bei ihr gewesen war, war Per Mertesacker gewesen, Torstens Kollege und ihre Begegnung vom Flughafen.
 

Einen Augenblick hielt Lena inne und schloss die Augen. Ein Teil der Ereignisse des vergangenen Abends spielte sich vor ihren Augen ab und nun wusste sie wieder, warum Per sie in den Arm genommen hatte: Sie hatte geweint. Viel und lange und absolut unkontrolliert. Und sie hatte ihm von ihrer gescheiterten Beziehung erzählt, zwar ohne Namen zu nennen, aber die Tatsache allein jagte ihr schon genug Angst ein. Wieso hatte sie sich einem fast Fremden anvertraut, aber wenn sie ihren eigenen Bruder gegenüber stand, brachte sie kein Wort heraus? Klar, Per hatte so einfühlsam mit ihr gesprochen und genau die richtigen Fragen gestellt, aber das konnte doch noch nicht alles sein. Andere waren auch einfühlsam und trotzdem warf sie sich ihnen nicht einfach so an den Hals. Sie hatte ihre Prinzipien und die waren ganz klar: Sprich niemals mit einem Fremden über private Dinge, du weißt nie, wo das enden könnte. Diesen Grundsatz hatte sie zwar eher aus Angst vor den neugierigen Journalisten aufgestellt, aber in diesem Fall hätte ihr die Befolgung des Grundsatzes auch nicht schlecht zu Gesichte gestanden, denn ihre Beichte würde hier vermutlich zwar nicht in einer Zeitung landen, dafür hatte sie der vergangene Abend in ein noch größeres Chaos gestürzt, denn sie hatte einem fast Fremden tiefe Einblicke in ihr Seelenleben gegeben und Lena hatte wirklich absolut keine Ahnung, wo das nun enden würde. Schließlich war Per ja immer noch ein Kollege ihres großen Bruder, was, wenn er Torsten nun davon erzählte? Ein Horrorszenario, zumindest für Lena. Warum tat sie sich aber auch so schwer ihren Bruder näher an sich heran zu lassen? Er hatte ihr doch nie einen Grund gegeben an sich zu zweifeln und eigentlich vertraute sie ihm auch grenzenlos, aber irgendwie war die Angst vor seinem Urteil, seinem negativen Urteil, zu groß, als dass Lena bereit war das Risiko jetzt schon einzugehen. Ihr war klar, dass sie nicht ewig würde schweigen können, doch für den Moment musste es noch gehen. Solange wenigstens, bis sie einen Plan hatte, wie sie Torsten sanft die Wahrheit beibringen konnte.
 

Antriebslos stieg Lena aus dem Bett und schlurfte ins Bad um sich einigermaßen frisch zu machen. Die Haare kämmen, ein wenig Wasser ins Gesicht spritzen, Zähne putzen und all diese Kleinigkeiten. Sie wollte ein wenig joggen gehen und auf dem Weg gleich ein kleines Päckchen zur Post bringen, weshalb es sich nicht lohnte jetzt schon zu duschen, also ließ sie es, egal wie gerne sie sich das heiße Wasser über den Körper laufen ließ. Man musste es ja nicht unnötig verschwenden.
 

In ihrem Zimmer zurück durchwühlte Lena ihren Koffer auf der Suche nach ihrem normalen Trainingsoutfit, mit dem sie bereits immer in Barcelona zusammen mit Lionel, Andres und Carles laufen gegangen war. Bequem und unauffällig war es gewesen, genau das richtige im vergleichsweise unerkannt mit drei Weltstars durch die katalanische Metropole zu laufen. Die Turnschuhe waren schnell gefunden, als Oberteil griff sie ohne weiter darüber nachzudenken eines heraus, doch die Hose bereitete ihr Sorgen. Früher war sie immer in ihrer normalen Trainingshose, mit der sie auch am Spielfeldrand gestanden hatte um ihre Jungs anzufeuern, trainieren gegangen, doch auf der prangte, wenn auch dezent, das FC Barcelona Emblem und Lena wusste nicht, in wie weit da vielleicht jemand drauf achten würde und wie tolerant manche Werder Fans waren, die ihr auf dem Weg begegnen könnten. In Barcelona war es tatsächlich immer so eine Sache gewesen, denn mit Barca-Kleidern ging man dort am besten nicht in der Revier von Espanyol und umgekehrt.
 

Da sie jedoch keine Alternative hatte, zog sie das gute, schwarze Stück über und ging leise mit ihrem Löwen-Anhänger in der Hand die Treppe runter in die Küche. Dort suchte sie einen großen, leeren Umschlag und legte ihn schon mal auf den Tisch, während sie sich ihren Kakao fertig machte, ohne den sie morgens nur ein halber Mensch war. Diesmal tat Lena extra viel rein, denn sie wollte gewappnet sein für ihren kleinen Lauf in der frischen Natur aber auch für ihren großen Marathon, der beginnen würde, sobald sie einen Stift in die Hand nahm um den Brief an Lionel zu schreiben. Für ihn hatte sie den kleinen Löwen gekauft, der ihm in der nächsten Zeit Mut und Kraft und Trost spenden sollte, wenn sie nicht da war, auch wenn Lena sich durchaus im Klaren war darüber, dass dieses Stofftier nicht würde ersetzen können, was fehlte. Nicht jetzt und auch nicht irgendwann, aber sie hoffte, dass Lionel die Geste verstehen würde, denn zu mehr war sie einfach noch nicht bereit.
 

Und so begann Lena mit zitternden Händen die ersten Worte zu Papier zu bringen. Es fiel ihr extrem schwer, sie hatte keine Ausdrücke für das, was sie fühlte, was sie ihm unbedingt sagen wollte. Was sie ihm erklären musste, damit er sie nicht hasste.
 

Mi torbellino, Mi Lionel,

Que tal? Espero que tu es bien.

Ich könnte dir jetzt natürlich schreiben, dass es mir hier gut geht und ich glücklich bin, aber das wäre eine Lüge. Und ich will dich nicht anlügen, das musst du mir glauben. Wollte ich nie. Habe ich aber. Und es tut mir Leid, aber ich konnte nicht anders, habe keinen anderen Ausweg mehr gesehen als die endgültige Flucht. Ich weiß, dadurch habe ich dich mit all den Sorgen und Problemen und Gerüchten allein gelassen, aber verzeih mir, ich konnte nicht mehr. Kann immer noch nicht glauben, was sie alles gesagt und geschrieben haben. Manchmal reden sie so schlecht, dass du glaubst was sie sagen. Jeder Tiefschlag trifft und lässt dich immer noch nicht kalt. Wie viele Träume liegen schon da draußen begraben?

Ich habe hier meine beiden kleinen Nichten um mich, die mich ablenken und mich auf andere Gedanken bringen. Für ein paar Stunden kann ich dann all das vergessen, was in der letzten Zeit passiert ist. Unter anderen Umständen wäre ich an deiner Seite, würde deine Hand halten, dir bei deinen Toren begeistert zujubeln, mit dir lachen und mit dir tanzen gehen so wie früher, aber so kann ich es einfach nicht mehr. Ich hoffe du verzeihst.

Als wir telefoniert haben, hast du mich gefragt, ob ich dich vergessen, aus meinem Leben endgültig gestrichen hätte und ich habe dir mit nein geantwortet. Und das habe ich auch ernsthaft so gemeint. Ich denke an dich und ich habe dich nicht vergessen. Werde ich nie. Will ich auch nicht. Und damit du mich nicht vergisst, schicke ich dir diesen kleinen Löwen hier, er soll dir Kraft und Mut und Glück bringen, wenn ich schon selbst nicht da bin. Ich-
 

Eine geschlagene Stunde später war Lena mit ihrem Brief fertig. Sie war nicht zufrieden mit den Worten, die sie gefunden hatte, sie kamen ihr so scheinheilig, so nichts sagend vor, doch sie hatte alles versucht und egal wie lange sie wohl noch überlegen konnte, es würde nichts ändern. Sie konnte noch so oft neu beginnen, noch so oft Worte durchstreichen, es würde einfach nichts ändern. Für manche Dinge gab es eben einfach keine passenden Worte. Wahrscheinlich, weil sie normalerweise besser ungesagt blieben.
 

Noch bevor sonst irgendwer aus dem Hause Frings aufwachte, hatte Lena sich bereits aus dem Haus geschlichen und war, mit dem Päckchen in der Hand, Laufen gegangen. Am ersten Briefkasten hatte sie es eingeworfen und Lena fühlte sich jetzt besser. Das Joggen half ihr dabei einen klaren Kopf zu bekommen, wie es denn nun weitergehen sollte oder überhaupt erstmal weiter gehen konnte. Sie hatte mehrere Möglichkeiten, doch keine erschien ihr besonders ansprechend.
 

Per erwachte an diesem Morgen mit einem Lächeln auf den Lippen. Er fühlte sich so frisch und erholt wie nie, seine gute Laune kannte keine Grenzen. Wie hätte es auch anders sein sollen, schließlich hatte er die ganze Nacht von Lena geträumt. Und nicht nur vor ihr, sondern auch von sich selbst, wie er mit ihr zusammen war, wie sie gemeinsam lachten und wie sie in seinen Armen einschlief, nur diesmal ohne Tränen.
 

In seinem Träumen waren sie gemeinsam an der Schlachte entlang spaziert und hatten Händchen gehalten und über alles Mögliche geredet, während sie sich immer wieder verliebte Blicke zugeworfen hatten. Zumindest stellte der lange Innenverteidiger sich Lenas verliebte Blicke so vor. Die Sonne hatte geschienen und es war einfach nur perfekt gewesen, so wie Träume nun einmal waren. Per war sich natürlich bewusst, wie albern dieser Traum an sich gewesen war und wie teenagerhaft er sich benahm, doch es war ihm ziemlich egal. Er war verliebt, verliebt bis über beide Ohren und er hatte kein Problem damit, wenn es sich in solchen Träumen niederschlug. Diese Träume taten niemandem weh und er musste ja auch keinem davon erzählen, denn sonst hätte er vermutlich ernsthaft um sein Leben fürchten müssen. Vermutlich sollte er sich immer noch fürchten, denn die Sache mit Torsten war noch nicht ausgestanden, doch Per war sich sicher, dass nichts, was der Lutscher tun oder sagen würde, ihn dazu bringen könnte den letzten Abend zu bereuen. Nein, jeder verdammte Augenblick war die Wut des Bremer Vize-Kapitäns wert, keine Frage. Besonders der Kuss würde ihn für die Bälle entschädigen, die ihm der Mittelfeldspieler unter Umständen noch „aus Versehen“ an den Kopf schießen würde. Oder auch jede unangenehme Gretsche vergessen machen, die einfach kommen musste, wenn Torsten bei ihm ähnlich reagierte wie bei Clemens, der dem Lutscher in letzter Zeit freiwillig aus dem Weg ging. Lena war ihm all das definitiv Wert.
 

Blieb nur die quälende Frage, ob es Lena wohl ähnlich ging oder ob sie bei ihrer vergangenen Begegnung an diesem Abend nichts gefühlt hatte. Ob er für sie nichts weiter war als nur ein Freund, ein Kollege ihres Bruders, der sie höflicherweise nach Hause gebracht hatte und mit dem sie dann noch ganz entspannt und ungezwungen etwas getrunken hatte. Mehr aber auch nicht, von ihrem kleinen Gefühlsausbruch einmal abgesehen. Per wusste, dass es ihn hart treffen würde, wenn es so wäre. Er war bereit um sie zu kämpfen, etwas in diese Beziehung zu investieren, sich mehr zu trauen als noch bei jeder anderen Frau zuvor, doch zuerst musste er irgendwie das nächste Training überleben ohne von Torsten den Hals umgedreht zu bekommen.
 

Erleichtert stellte Per, als er die Kabine betrat, fest, dass Torsten sich noch nicht unter den Anwesenden befand. Zwar herrschte bereits reger Trubel in den heiligen Hallen des Weserstadions, doch war vom „Lutscher“ nirgendwo etwas zu sehen. Dafür tollten aber bereits Diego und Markus wie die kleinen Kinder durch die Kabine und brachten alles um sie herum und in ihrer Nähe durcheinander. Wie immer eigentlich. Die beiden schienen tatsächlich zu viel überschüssige Energie zu haben, dass sie sich bereits vor dem Training so verausgabten. Da sich aber bereits alle daran gewöhnt hatten, störte es keinen mehr und sie nahmen die beiden Kinder ganz einfach wie sie waren. Ein Versuch sie zu ändern brachte wahrscheinlich eh nichts. Als Diego jedoch Per erblickte blieb er abrupt stehen und fing wie wild an zu grinsen.
 

„Hey Diego, was ist denn los? Warum grinst du auf einmal so?“
 

Es war Clemens, der den kleinen, quirligen Brasilianer darauf ansprach und sein Grinsen wurde noch ein bisschen breiter und schelmischer. Per schwante Böses und in diesem Augenblick hätte er wohl seinem besten Freund am liebsten den Mund zugehalten, denn er befürchtete, dass das Grinsen ihm gegolten hatte und es konnte einfach nichts Gutes heißen. Zumindest nicht für ihn.
 

„Ach Clemi, Schätzchen, ich freue mich nur so sehr Per so überaus pünktlich hier stehen zu sehen. Du etwa nicht?“
 

Dieses verdammte Grinsen war gar nicht mehr aus Diegos Gesicht wegzuwischen, obgleich keiner der Anwesenden verstand, was der Brasilianer mit seiner Aussage genau meinte. Merte zählte normalerweise immer zu denen, die lieber überpünktlich kamen, daher war seine Anwesenheit für sie kein so großes wunder, wie es augenscheinlich für Diego.
 

„Ähm, Diego, ich weiß ja nicht, ob du in letzter Zeit mal einen Ball vom Fringser vor den Kopf bekommen hast, aber an deiner Stelle würde ich mir Sorgen machen. Du redest nämlich sinnloses Zeug.“
 

„Tue ich das, Clemens? Vielleicht solltest du dir deinen besten Freund mal ein bisschen genauer ansehen und dann reden wir wieder miteinander, nicht wahr, Langer?“
 

Nun begriff auch Naldo, worauf sein Freund hinauswollte. Es war ja auch irgendwie schon ziemlich offensichtlich. Per schien sein Strahlen gar nicht unterdrücken zu können, so glücklich wirkte er, seine Augen leuchteten ja fast und kurz nachdem Diego diese Worte gesagt hatte, hatten sich auch seine Wangen wieder zart rosa gefärbt. Klar konnte es an der ungewollten Aufmerksamkeit liegen, aber das bezweifelte Naldo stark. Nein, sein Kollege war sichtlich verlegen, weil er bereits von Anfang an erkannt hatte, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde: Auf sein gestriges Date!
 

„Per, was meint dieser verrückt Brasilianer damit? Was ist los hier?“
 

Bei Clemens war der Groschen noch immer nicht gefallen, genauso wenig wie bei den anderen anwesenden Werder Spielern, die jetzt aber ausnahmslos interessiert der Konversation der drei lauschten. Vielleicht gab es ja neuen Klatsch und Tratsch, das wollten sie unter gar keinen Umständen verpassen, denn diese Männer waren tief in ihrem herzen kleine Waschweiber, die sich nur zu gern über das Privat- und besonders das Liebesleben ihrer Kollegen ausließen.
 

Auch Frank Baumann hatte von seinen Schuhen aufgesehen und Per intensiv gemustert. Scheinbar war er zum selben Schluss gekommen wie Naldo, nämlich dass Pers „Date“ ein voller Erfolg gewesen sein musste, so wie der ehemalige Hannoveraner aussah. Doch hatte Bremens Kapitän einen entscheidenden Vorteil: Er wusste im Gegensatz zu den anderen mit wem Per sich getroffen hatte und wer ihm dieses Lächelns ins Gesicht gezaubert hatte. Und er war froh, dass er heute Morgen noch nicht dem „Lutscher“ begegnet war, denn dessen Gesichtsausdruck musste logischerweise in die gegensätzliche Richtung gehen, so wie er ihn kannte. Und mit seinen Mundwinkeln auch seine Laune, die an solchen Tagen mit „Schlecht“ noch unzureichend beschrieben war. Irgendwie tat Tim Wiese ihm jetzt schon Leid, denn heute stand Elfmeterschießen auf dem Plan und wenn der Fringser schlechte Laune hatte, schoss er besonders hart und da war es definitiv besser aus dem Weg zu gehen, was Tim in diesem Fall aber eben nicht gestattet war. Ja, das Leben war kein Ponyhof.
 

Bevor Per jedoch auf Clemens Frage hatte antworten können, mischte sich Diego bereits wieder ein, dem das alles viel zu langsam ging.
 

„Das soll heißen, liebster Clemens, dass Per gestern Abend ein Date hatte und ich nicht erwartet hätte, dass er so früh wieder aus den Federn kommt, wenn du verstehst, was ich meine.“
 

Diego hob bedeutend die Augenbrauen und grinste schon wieder. Manchmal konnte es dieser Brasilianer nicht lassen und Per fühlte sich von Minute zu Minute unwohler. Er spürte wie seine Wangen mittlerweile fast feuerrot sein mussten und so machte er sich einfach daran sich umzuziehen und das Geschwätz um sich herum zu verdrängen, was ihm nicht gelang.
 

„Scheinbar habe ich mich getäuscht. Aber so wie der Lange aussieht, ist seine Verabredung zu seiner vollsten Zufriedenheit verlaufen. Gratulation Merte, du wirst ja noch ein richtiger Womanizer!“
 

Merte hatte nicht bemerkt, wie Diego sich an ihn heran „geschlichen“ hat um ihm nun ausgiebig auf die Schulter zu klopfen und weiterhin zu grinsen. Er schien sichtlich zufrieden mit sich und der Art und Weise, wie er diese Bombe hatte platzen lassen, denn jetzt sahen alle anderen Per ungläubig an und manche schüttelten sogar den Kopf.
 

„Wirklich, Merte? Labert Diego keinen Müll? Hattest du gestern tatsächlich ein Date? Wie ist es gelaufen? Wir wollen alle Details! Und glaube bloß nicht, dass du uns mit irgendeiner Ausrede abspeisen kannst. Wir wollen alle schlüpfrigen Informationen und zwar pronto, nicht wahr Jungs?“
 

Der vermutlich neugierigste Schwede auf Erden hatte das Wort ergriffen und bei seiner letzten Frage nickten eigentlich fast alle Spieler begeistert. Zusammen mit Diego war er der Anführer der Bremer Waschweiberfraktion und heute machte er mal wieder einen beeindruckend Job. So unheimlich penetrant.
 

Per war mittlerweile klar geworden, dass er aus dieser Sache nicht so leicht rauskommen würde, also ließ er nur resigniert den Kopf hängen und nickte schicksalsergeben. Je schneller er das hier hinter sich bringen würde, umso schneller konnte er in seine Tagträume von sich und Lena zurückkehren.
 

„Ja Markus, ich hatte gestern tatsächlich so etwas wie ein Date.“
 

„Was ist den bitte „so etwas“ wie ein Date? Entweder man hat eins oder man hat keins, Merte.“
 

So ein Kommentar konnte auch nur von einem der Sebastians kommen, obwohl Per gerade nicht mit Sicherheit sagen konnte ob es nun Prödel oder Boenisch gewesen war, der diese Weisheit kundgetan hatte. Irgendwie war es aber auch eh egal.
 

„Wenn es euch glücklich macht: Ja, ich hatte ein Date und ja, es hat mir sehr gut gefallen. Ich bin glücklich. Und bevor ihr fragt: Ja, ich habe sie nach ihrer Handynummer gefragt, nein, ich weiß nicht mit Sicherheit, ob wir uns wieder sehen oder ob es ihr gefallen hat, aber ich gehe mal davon aus. Und alles andere bleibt eurer Fantasie überlassen, denn ich werde dazu sonst nichts mehr sagen.“
 

Mit diesem Worten hatte Per unheimlich resolut gewirkt und auch fast alle hatten sich wieder ihren Trikot oder ihrem Schuhwerk zugewendet, nur Diego stand noch neben dem langen Innenverteidiger und sah ihn höchst unzufrieden an.
 

„Das soll doch wohl nicht alles sein, oder Per? Komm schon, wir verraten auch nichts weiter, Ehrenwort!“
 

Diego hatte seinen besten Dackelblick aufgesetzt und zupfte mit seiner Hand am Trikotstopf über seinem Herzen herum um einen ehrlichen Schwur anzudeuten, doch für Pers Geschmack stand zu viel Schalk in seinen Augen, als dass er dem brasilianischen Ballkünstler geglaubt hätte.
 

„Vergiss es, Kleiner, ich sage da nichts mehr zu. Wie heißt es doch so schön: Ein Gentleman genießt und schweigt und genauso werde ich es auch machen.“
 

Verständnislos runzelte Diego die Stirn. Sein Deutsch war zwar schon gut und er verstand bei weitem mehr, als er selbst sprechen konnte, aber das hatte er trotzdem nicht so ganz auf die Reihe bekommen. Oder auch bekommen wollen, je nach dem.
 

Per seufzte auf und versuchte es ein weiteres Mal.
 

„Gibt es bei euch in Brasilien nicht das Sprichwort: Don’t kiss and tell?“
 

Überrascht ob der englischen Worte sah Diego auf und nickte stumm. Doch, diese Wendung kannte er durchaus, aber er hatte sie noch nie angewandt. Dafür redete er einfach viel zu gern und quetschte auch die anderen viel zu gern aus, als dass er sich an diese antiquierte Regel halten würde.
 

„Sag mal, Per, hat deine kleine Traumfrau noch Schwestern?“
 

Diese unverschämte Frage kam wieder einmal von einem der Sebastians und schon wieder konnte Per nicht genau heraushören, welcher von beiden es gewesen war. Das brauchte er aber auch gar nicht, denn ein kurzer Blick in Frank Baumanns Gesicht verriet ihm, dass er jetzt wohl eher andere, größere Probleme hatte als einen seiner Mitverteidiger zu rügen. Nein, jetzt ging es scheinbar um sein Leben und als Per sich langsam umdrehte erkannte er das Problem auch sofort: Es trug bereits seine Trainingssachen, hatte lange, leicht gelockte Haare, trug ein Haarband und hatte einen mörderischen Gesichtsausdruck. Innerlich zuckte Per zusammen, doch äußerlich versuchte er cool zu bleiben, obgleich sich seine Beine eher wie Wackelpudding anfühlten.
 

„Klappe Boenisch!“
 

Torsten scharfe Stimme durchschnitt den Raum wie ein Peitschenknall und Per zuckte unwillkürlich zusammen. Er hatte erwartet, dass Torsten ihn anschreien würde, vor versammelter Mannschaft, wäre immerhin nicht das erste Mal, dass der „Lutscher“ in der Kabine laut werden würde, aber seine harsche Worte waren unmissverständlich an Sebastian Bönisch gerichtet und nicht an ihn, Per Mertesacker.
 

„Aber ich wollte doch nur-“
 

Sebastian Bönisch war so unklug oder auch unaufmerksam und erkannte die gefährliche Stimmung seines Vize-Kapitäns nicht, so dass er erst noch zum Widerspruch ansetzte, den Torsten aber nur mit noch kälteren Worten unterband.
 

„Es ist mir scheiß egal, was du wolltest, Bönisch, ihr sollt auf den Platz kommen und zwar sofort! Order von Thomas.“
 

Ohne irgendwelchen weiteren Worte machte sich das Team auf den Weg zum Trainingsplatz und Torsten ließ sich so weit zurückfallen, dass er in Ruhe neben Per herlaufen konnte. Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her und der Fringser merkte, wie sehr es an den Nerven des Jüngeren zerrte hier zu gehen und nichts sagen zu können. Normalerweise war Torsten Frings kein Mensch, der andere gerne ein wenig leiden und zappeln ließ, aber Per hatte sich sein Schweigen heute redlich verdient, immerhin hatte seine Aktion gestern Abend ihn auch mehr als genug Nerven gekostet, da konnte der jüngere jetzt ruhig ein bisschen Angst und Wasser schwitzen.
 

„Du bist dir im Klaren darüber, Per, dass du mit dieser Aktion nicht ungeschoren davon kommst, oder?“
 

Eine Weile sagte wieder keiner etwas und so langsam kam der Trainingsplatz in Sicht. Es blieb ihnen nicht mehr viel zeit und Per wusste immer noch nicht genau, was sein Vize jetzt eigentlich von ihm hören wollte. Von ihm erwartete.
 

„Torsten, das gestern war ein-“
 

„Hör mir zu Per und hör mir gut zu: Ich will nicht wissen, was das da gestern war oder warum du genau getan hast, was du eben getan hast, das interessiert mich nicht. Aber ich sage dir eins. Ich will nicht, dass Lena von diesen Waschweibern da vorne durch den Dreck gezogen wird. Haben wir uns verstanden?“
 

Überrascht sah Per den Fringser an. Mit solchen Worten hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Mit einem Donnerwetter, ja, aber nicht mit so etwas. Daher konnte Per nichts weiter als nur mechanisch zu nicken.
 

„Und noch was: Ich liebe meine kleine Schwester. Ich will sie glücklich sehen. Und brichst du ihr das Herz, breche ich dir das Genick!“
 

Per musste hart schlucken und starrte seinen Vize-Kapitän und langjährigen Freund fassungslos an. Das waren sehr deutliche Worte gewesen.
 

„Klar soweit?“
 

Diesmal ein leicht ängstliches Nicken von Per. Ja, die Botschaft war deutlich gewesen, keine Frage.
 

Zufrieden beschleunigte der „Lutscher“ seine Schritte. Petra konnte stolz auf ihn sein, er hatte Per nicht verletzt und ihn auch nicht eingeschüchtert oder gar den Umgang mit Lena verboten. Zumindest nicht so wirklich. Er hatte nur seine Erwartungen klar formuliert und dem langen Innenverteidiger die Konsequenzen seines Handelns ein wenig veranschaulicht. Mehr nicht. Gut, er hatte vermutlich ein wenig übertrieben und absichtlich einen auf bösen, bösen Drachen gemacht, aber das konnte ja nicht Schaden. Damit Per gar nicht erst auf falsche Gedanken kam, auch wenn Torsten das vom Pattensener eigentlich nicht erwartete. Trotzdem, Vorsicht war besser als Nachsicht. Vor allen Dingen im Bezug auf Lena.
 


 

To be continued
 

Wieder einmal ein längeres Kapitel, ich habe mich eben einfach mal wieder nicht kürzer fassen könne, aber ich nehme jetzt mal an, dass ihr mir das verzeiht… ;)
 

Lenas Gefühle am nächsten Morgen waren mir genauso wichtig wie Pers, deswegen habt ihr sie sozusagen im Quervergleich bekommen… Und im nächsten Kapitel taucht dann auch endlich der Empfänger des Briefes live auf, denn das Kapitel wird in Barcelona direkt spielen…
 

Was sagt ihr zum Auftauchen des „Drachens“? War euch das Furcht einflößend genug?

Und was meint ihr zu unserer herzallerliebsten „Waschweiberfraktion“ die Per da in die Mangel nimmt und all die Details wissen will?
 

Kommentare sind wie immer mehr als erwünscht…^^ Vielleicht könnt ihr euch ja jetzt dazu aufraffen, vertraut mir, es ist für den guten Zweck (nämlicher meiner Motivation ;))

Against all odds

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Inspiriert zu diesem Kapitel hat mich zum Teil das Lied „Against all odds“ von Phil Collins, wie der Titel wahrscheinlich schon verraten hat, und wenn ihr Lionels Stimmung so ein bisschen mitempfinden wollt, hört das Lied und achtet auf den Text, denn er drückt auch seine Gefühle mit aus.

http://www.youtube.com/watch?v=Us78PENn0m0&feature=related
 

Für das Spanisch im folgenden Teil übernehme ich keine Gewehr, ich habe einen elektronischen Übersetzer machen lassen, weil mein spanisch leider noch nicht ausreicht. Wer diese Sprache kann und Fehler entdeckt, einfach melden, dann ändere ich es.
 

Vielen Dank an: Sunny!
 

Lionel schloss die Augen und zog sich das Trikot über. Er öffnete sie wieder und sein Blick blieb bei seinen Händen hängen, die in seinem Schoß ruhten. Sie Lagen ganz ruhig da, obwohl er nervös und aufgeregt war. Mit der Zeit waren sie von der Sonne dunkler geworden. Nichts ging ohne Spuren am Menschen vorbei und mit einem Mal fragte er sich, was seine Hände wirklich verändert hatte. Was sie alles im Laufe der Zeit berührt hatten. Vielleicht wäre er ja Handwerker geworden, Tischler, und seine Hände hätten sich an das Gefühl von Holz gewöhnt. So aber kannten seine Hände die Beschaffenheit des Balls, das Gefühl der einzelnen Grashalme auf dem Platz, des kalten Aluminiums des Tors, des feuchten Trikotstoff und natürlich Lenas weiche Haut.
 

Doch jetzt war sie so verdammt weit weg von ihm. In Deutschland, genauer gesagt in Bremen. Sagte zumindest der Poststempel und der hatte ja keinen Grund ihn zu belügen. Führte ihm nur mal wieder deutlich vor Augen, dass an seiner Seite ein riesiges Loch klaffte. Dass Lena nicht da war. Nicht in seiner Nähe, nicht in seiner Reichweite, damit er sie umarmen konnte. Endlich wieder ihren unvergleichbar einzigartigen Geruch ganz tief einatmen konnte. Damit er ihre Stimme hören konnte, die ihm sagte, dass alles gut werden würde. Aber sie war nicht da, war nicht bei ihm, sondern irgendwo im Norden Deutschlands bei ihrem großen Bruder und seiner Familie. Wahrscheinlich gab es dort auch einige gut aussehende Männer, die Lena gewiss nicht einfach so in Ruhe lassen würde. Ja, Lionel gab es ehrlich zu, er war eifersüchtig, machte sich Sorgen und hatte Angst um seine Lena. Sein corazón. Sie hatte ein so großes, so weiches Herz, das sich so leicht brechen ließ. Nach außen hin versteckte sie es unter einem harten Panzer, hinter dicken Mauern, ließ keinen so leicht zu nah an sicher heran, aber wenn man einmal bis zu ihrem Herzen durchgedrungen war, erschien es so leicht sie zu verletzen. Sie war doch auch nur ein Mensch, der geliebt werden, der Nähe spüren wollte.
 

Das einzige, was sie gerade irgendwie einander nah brachte, war der Brief, den er immer noch in Händen hielt, obwohl das Spiel in wenigen Minuten bereits beginnen würde. Sie hatte ihm tatsächlich einen Brief geschrieben. Oder wohl doch eher ein kleines Päckchen, denn neben dem Brief hatte sich ein kleiner Löwe befunden. Ein süßer Schlüsselanhänger, der auf ihn aufpassen und ihm Kraft geben sollte, als wenn ein Stofftier Lenas Aufgabe jemals würde übernehmen können. Er brauchte sie an seiner Seite, in seiner unmittelbaren Nähe und er vermisste sie einfach so sehr. Ihr Lachen, ihre Späße, aber vor allen ihre Gespräche und die Stille, die genauso dazu gehörte, aber niemals peinlich war.
 

Mühsam erhob er sich von der Bank und verstaute den Brief. Lionel hatte ihn mit in die Kabine genommen um den anderen von Lenas Worten zu berichten, ihnen zu sagen, dass es ihr den Umständen entsprechend gut ging und dass sie sich keine Sorgen machen musste. Sinnloses Gewäsch, denn auch ihre Worte beruhigten sie alle nicht. Sie wollten nur ihr Maskottchen, ihre Psychologin und Freundin zurück. Zwar hatte Lena in ihrem Brief für jeden eine Zeile oder auch mehr reserviert, doch war es eben nicht dasselbe, als wenn sie ihr gegenüber saßen, mit ihr sprachen oder ihren Aufmunterungsreden in der Kabine lauschten. Es war nicht mehr so wie früher, sie war jetzt nicht hier um ihnen die Nervosität zu nehmen, ihnen aufmunternd zuzulächeln und Lionel merkte, wie diese kleinen Gesten vor allem Bojan fehlten. Wie ein geprügelter Hund saß der junge Spanier auf der Band und starrte auf seine Füße. Füße, die unter Umständen auf dem Feld den Unterschied ausmachen sollten. Eigentlich hatte er schon häufiger in der Primera Division und sogar der Champions League gespielt, doch da war er nie allein gewesen, da hatte Lena immer lächelnd an seiner Seite gestanden und ihm gut zugeredet. Er war mit seinen 19 Jahren einer der jüngsten Spieler im Profikader der Katalanen und er war Lenas „Baby“ gewesen.
 

Unwillig und immer noch in Gedanken versunken machte Leo sich auf den Weg durch die Katakomben, nahm seine Platz in der Schlange ein, lächelte dem kleinen Mädchen an seiner Hand kurz zu und trabte dann routiniert aufs Spielfeld. Stellte sich auf seine Position und wartete auf den Anstoß. Er hörte die Barca Fans schreien, doch hing sein Blick an den paar tausend Fans des Gegners, die in ihrem Bereich große Plakate und Spruchbänder aufgehängt hatten. Auf ihnen beschimpften sie nicht wie sonst nur den FC Barcelona im Allgemeinen, sondern Leo im Besonderen, auch wenn er sich an so etwas schon lange gewöhnt hatte. Wenn man eine Stütze des Teams, ein herausragender Spieler war, wurde man von den Gegnern und ihren Fans immer härter angegangen als jene, die sie nicht zu fürchten hatten. Als Profi musste man lernen solche Schläge einzustecken, doch die Beleidigungen, die sich gegen Lena richteten, ließen sein Blut kochen. Unbändige Wut stieg in dem kleinen Argentinier auf. Sie hatten diese verlogenen Bilder aus den Zeitungen vergrößert und aufgehängt und Lena dort als „puta“, „guarra“ und „hembra“ bezeichnet. Und auch andere Sätze konnte er auf den Fahnen erkennen: „¿Si compramos a su puta, también conseguimos Messi?“* fragte eines von ihnen und ein anderes „¿Lionel, cómo puede usted estar de pie ser sólo cada milliono para ella?“*. Es war zum verrückt werden. „¿Le hace orgulloso de saber que sus amigos ya la tenían en la cama?“* damit spielten sie natürlich auch auf die Gerüchte an, die scheinbar ganz Spanien zu kennen und ein Großteil sogar zu glauben schien. Dabei kannten sie Lena doch gar nicht wirklich, wussten nicht, was sie für ein wundervoller Mensch war, was für ein großes Herz sie hatte. Sie verurteilten sie auf Grunde der Lügen und Gerüchte, die die Zeitungen über sie in Umlauf gebracht hatten. Wie tief konnten gegnerische Fans nur sinken und warum tat keiner der Ordner etwas gegen diese Schmierereien.
 

Lionel biss die Zähne zusammen und ballte die Hände zur Faust. Innerlich musste er sich ermahnen ruhig zu bleiben und nicht auszurasten, denn genau das war ja ihr Ziel und sie sollten es nicht erreichen, nicht so. Das hatte er Lena versprechen müssen, als die ersten Sprüche gegen sie aufgetaucht waren. Es war ihm unheimlich schwer gefallen einfach nur dazustehen und nichts zu tun. Ihre Ehre nicht verteidigen zu können, nicht verteidigen zu dürfen. Sich all diese wiederwertigen, ekelhaften Dinge anhören zu müssen. Immer wieder hatten ihn seine Gegenspieler mit solchen Fragen und noch schlimmeren Beschimpfungen versucht aus der Reserve zu locken und wahrscheinlich hätten sie es auch ohne Lenas Ermahnungen geschafft, doch ihre Wort klangen immer noch in Lionels Ohr und er würde den Teufel tun und Lena enttäuschen. Nein, sie sollten nicht gewinnen.
 

Die neunzig Minuten waren schneller vergangen als er erwartet hatte und so trottete er wie seine Kollegen auch erleichtert vom Platz ohne noch einmal auf die Ränge zu schauen. Sie hatten gewonnen und es all diesen Schmierenfinken gezeigt. Wenn sie geglaubt hatten ihn damit provozieren, ihn nervlich ausschalten zu können, dann hatten sie sich gewaltig getäuscht. Eher das Gegenteil. Leo hatte aus Wut besser gespielt als die letzten Spiele zusammen und so war es nicht besonders verwunderlich gewesen, dass er an jedem der vier Tore beteiligt gewesen war, den Hattrick hatte er selbst geschossen und einmal hatte er zu guter letzt für seinen guten Freund Carles aufgelegt, der womöglich genauso wütend war wie er selbst.
 

Gedankenversunken saß Lionel Messi wieder in der Kabine des FC Barcelona im Camp Nou. Seine Atemzüge waren regelmäßig und tief, nicht mehr aufgeregt und atemlos wie noch vor einigen Minuten. Von draußen, von den Rängen, konnte er immer noch vereinzelt lautstarke Fangesänge vernehmen. Sie störten seine Ruhe, aber rissen ihn doch nicht aus seiner Starre. Er wusste nicht, ob seine Kollegen bereits gegangen waren oder nicht, aber das interessierte ihn auch herzlich wenig. Irgendwie schien ihm alles herzlich egal. Er saß einfach nur stumm da und versuchte nichts zu fühlen. Auch wenn er sich nicht ganz sicher war, wie man „nichts“ fühlen konnte, er versuchte dieses Ziel trotzdem zu erreichen, denn er ahnte, dass er der Flut der Emotionen sonst nicht gewachsen sein würde. Ob er sich freute, dass sie gewonnen hatten, es diesen Schweinen gezeigt hatten? Vielleicht schon, irgendwie, und doch konnte Leo sich nicht mehr genau daran erinnern wie es anfühlte tatsächlich glücklich zu sein. Sich zu freuen.
 

Oder doch, er konnte sich schon erinnern, es war ein Abend mit Lena gewesen, sie hatten gemeinsam gescherzt, gelacht und manchmal einfach nur geschwiegen. Sie hatten sogar miteinander getanzt, weil er darauf bestanden hatte. Zu irgendeinem Lied, Lionel wusste nicht mehr so ganz genau welches. So wie sie immer miteinander getanzt hatten, auch in der Tanzschule. Irgendwie hatten sie die Welt aussperren können. Sie waren in seiner Wohnung gewesen und irgendwann, sehr spät, was sie dann gegangen. Hatte ihn in den Arm genommen, vielleicht ein kleines bisschen länger als sonst immer, hatte ihm ein Küsschen auf die Wange gedrückt und ihn liebevoll angesehen. Seine Haut hatte dabei gekribbelt und in seinem Magen waren die Schmetterlinge auf und ab geflogen. Dann war sie in ein Taxi gestiegen und weg. Einfach so. Er hatte sich nichts dabei gedacht. Ein Abschied wie vieler, wie jeder zuvor. Erst am nächsten Morgen war ihm klar geworden, dass sie wirklich gegangen war. Nicht nach Hause, sondern einfach weg. In ein anderes Land. Deutschland, wie er jetzt wusste. Wahrscheinlich war sie mit dem Taxi nur noch kurz in ihre Wohnung gefahren, hatte die Koffer geholt und war dann direkt zum Flughafen. Ohne ein Wort des Abschieds hatte Lena ihn allein gelassen und doch konnte er ihr nicht böse sein, verstand sie sogar, aber das linderte den Schmerz nicht.
 

Seinen Kopf hatte er auf die Hände gestützt, während er seine Augen fast schon gewaltsam zusammenpresste. Die Dunkelheit, die ihn umgab, war wohltuend. Da gab es nichts was ihn an die vergangenen Wochen erinnerte. Außer die Schwärze, die ihn seitdem wie einen Schleier umgeben hatte. Vielleicht würde es ja alles besser werden, wenn er das Elend nur nicht mehr direkt vor Augen hatte. Ein törichter Versuch eines jungen Mannes mit einer Situation, mit einer Leere, fertig zu werden, die ihn beinahe den Verstand verlieren ließ. Das wusste er natürlich selbst, doch ihm fiel keine Alternative ein. Zumindest keine, die Wirkung zeigen würde. Außer die eine, die ihm verwehrt bleiben würde.
 

„Hey Leo, die Presse wartet auf dich, willst du nicht langsam mal rauskommen?“
 

Carles Puyol steckte seinen Kopf durch die Tür und sah den kleinen Argentinier erwartungsvoll an. Dieser schaute etwas verschreckt zur Tür, in der er seinen Kapitän stehen sehen konnte. Der hatte sich mittlerweile nicht nur fertig umgezogen, sondern war augenscheinlich sogar schon mit der obligatorischen Pressearbeit fertig, die für jeden Spieler des FC Barcelona anstand, wenn sie ein Liga-Spiel absolviert hatten. Auch er sah nicht so gut aus, wie vielleicht früher Mal. Vor diesem ganzen Theater. Die letzte Zeit hatte ihn geschlaucht, auch wenn man es ihm nicht so sehr ansah wie dem jungen Argentinier. Und jetzt war er also hier um ihn selbst vor die lauernde Meute der Fotografen und Reporter zu schleppen, die doch nichts anderes sagen und fragen würden als sonst auch. Und wenn er antworten würde, wären es dieselben platten Phrasen, die er ihnen schon so oft leise und zurückhaltend ins Mikrophon gehaucht hatte. Nichts Neues, nichts Weltbewegendes. The same procedure as everytime. Hier und da würde ein Blitz aufzucken um ein Bild von ihm für die kommende Ausgabe zu machen und wahrscheinlich würde dann die Frage kommen, die er fürchtete und die er nicht beantworten wollte: Wo war Lena heute? Warum war sie nicht wie sonst an seiner Seite?
 

Keinem anderen außer vielleicht dem Trainer würden sie diese Frage stellen, nur ihm. Das war ihr persönliches Folterwerkzeug für ihn, eine einfache Frage, die so viel Schmerz anrichten konnte. Verblüffend. Und er ließ diesen Schmerz zu, wenn auch nicht öffentlich. „Lass sie nicht sehen, dass sie dich getroffen haben, dass ihre Kränkungen Wirkung zeigen. Halt den Kopf hoch, mi torbellino. Sie müssen nicht sehen, dass du weinst“, hatte Lena einmal zu ihm gesagt, ihm über die Wange gestreichelt und ihm so den Rücken gestärkt. Ihm neue Kraft gegeben.
 

Aber er wollte nicht über sie reden. Nicht jetzt, nicht so. Nicht, wenn Reporter unbarmherzig jedes Wort auf die Goldwaage legen würden, ihm jedes Wort dreimal im Mund umdrehen würden. Ihm ihre Mikros ins Gesicht reckten und zusätzlich noch mit gezückten Stiften begierig jede Äußerung aufsogen. Wollte nicht in ihrer Abwesenheit über Lena sprechen. Vermutlich sogar über ihre Abwesenheit. Das widerstrebte ihm. Es kam ihm nicht richtig vor, nicht anständig. Es gehörte sich einfach nicht. Das war etwas, was ein Freund nicht tun sollte. Freund. Lionel schnaubte bei diesem Wort leicht auf. Es bliebt trotzdem so stehen: Freund.
 

Leo wollte die Fragen nach seinem Wohlbefinden, nach seiner Meinung zu den Geschehnissen, nicht hören. Wie er die Reaktion der gegnerischen Fans beurteilte. Was ging es die lauernde Meute der Presse an, wie es ihm verdammt noch mal ging und was er dachte, wo sie doch mit daran schuld waren, dass Lena letztendlich gegangen war. Zumindest glaubte Lionel das. Dass sie die Hoffnung verloren hatte, dass alles einmal wieder so werden würde wie früher. Gut. Fantastisch.
 

Sie hatten sie vertrieben, hatten eine Hetzjagd auf sie veranstaltet und ihren hübschen Kopf gefordert. Hatten sie beschämt und ihr so viel angetan. Ihnen beiden so viel angetan, was nur schwer zu verkraften war. Die letzten Wochen hatten Spuren hinterlassen, nicht nur äußerliche, nein, vor allen Dingen innerliche. Und jetzt wollten tatsächlich wissen, wie es ihm ging? Das war höhnisch. Sie wollte nichts anderes als sehen, dass sie gewonnen hatten, dass sie ihn tatsächlich am Boden hatten mit ihren gefälschten Bildern, ihren Worten voller Hass und Lüge, mit denen sie so viele gegen sie aufgepeitscht hatten. Die Medien wollten ihren Triumph feiern und aller Welt demonstrieren, dass es nicht gut ausging, wenn man sich ihnen verweigerte. Aber das würde er nicht zulassen, nicht so.
 

An Messis leicht verwirrten und definitiv abweisenden Gesichtsausdruck konnte Puyol erkennen, dass er einen ungünstigen Zeitpunkt erwischt hatte. Obwohl es wahrscheinlich auch keinen günstigeren gegeben hätte, so wie er seinen argentinischen Freund kannte. Wie so oft in letzter Zeit bewies er mal wieder sein miserables Timing, aber womöglich war die Sache noch zu retten, wenn er dem kleinen Wirbelwind der Katalanen jetzt ein freundschaftliches Ohr lieh, damit er über seine Sorgen würde sprechen können. Einfach mal Druck ablassen, so wie sie es früher auch immer in ihren Männerrunden getan hatten. Ganz zwanglos und ehrlich. Denn dass es ihm schlecht ging stand außer Frage, das wusste jeder in Barcelona und sogar ganz Spanien. Man konnte es ihm ansehen. Er litt, litt wie ein Tier und die einzige Person, die ihm würde helfen können, hatten sie aus dem Land vertrieben. Klasse!
 

„Leo, Kopf hoch. Wir gehen jetzt gemeinsam da raus und dann wird das schon. Lass dich von ihnen doch nicht unterkriegen.“
 

Lionel lachte bitter auf und sah seinen Freund und Mannschaftskapitän an. Wie oft hatten sie sich in der letzten Zeit, auch als Lena noch da gewesen war, diese Worte gegenseitig eingehaucht. Hatten daran glauben wollen, dass es wirklich wieder wurde, dass sich alles nur als eine Phase, ein ganz böser Alptraum herausstellen würde. Vergeblich!
 

„Ich soll mich nicht unterkriegen lassen, Carles?“
 

„Genau, das wollen sie doch nur. Lass sie nicht gewinnen. Kämpfe. Für Lena. Für euch.“
 

Ohne genau zu sagen, wer gemeint war, wussten es beide. Innerhalb ihrer Mannschaft war es ein offenes Geheimnis, es sprach nur keiner laut aus, solange es keine wirklichen Beweise gab. Überhaupt sprachen sie wenig innerhalb der Mannschaft, seit Lena nicht mehr da war. Das Klima hatte sich einfach verändert, die Lockerheit fehlte. Da war diese riesige Leere, die nur ihr heiß geliebtes Maskottchen füllen konnte. Für die meistens war Lena nämlich genau das: Maskottchen, Glücksbringer, Therapeutin und ganz nebenbei noch eine Freundin, auf die man sich verlassen konnte.
 

Nur für Lionel nicht. Für ihn war sie mehr, viel mehr als das. Seit sie sich damals vor vier Jahren kennen gelernt hatten, waren seine Gefühle für sie immer weiter gewachsen, hatten sich immer mehr entfaltet und scheinbar mit jeder Berührung, egal wie unbedacht und unbedeutend sie gewesen war, hatte sich ein weiterer Schmetterling zu den anderen in seinem Bauch hinzugesellt. Es war einfach so passiert, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen, absolut unvorbereitet hatte Lionel die Erkenntnis getroffen, dass er sich in seine beste Freundin verliebt hatte. Und zwar so richtig, mit all diesem kitschigem, romantischem Drum und Dran, das man sonst nur aus Disney- und Hollywoodfilmen kannte.

In Lena hatte er eine Schulter gefunden, an die er sich anlehnen konnte, einen Menschen mit dem bedingungslosen Glauben in ihn selbst. Ging es ihm schlecht, war sie zur Stelle mit den richtigen Worten und Taten und brachte ihn wieder dazu das Leben von seinen schönen Seiten zu betrachten. Lena war für ihn einfach DIE Frau. Die eine eben. Sein Vermögen, sein Ruhm und alles, was dazu gehörte, verblassten neben der Chance bei ihr zu sein, ihre Hand zu halten und einfach nur gemeinsam jede Minute genießen zu können.

Was hatte seine Großmutter ihm einmal über die große, einmalige Liebe gesagt? „Wenn du spürst wie dein Herz schlägt, denn so schlug es noch nie, dann weißt du, dass es Liebe ist. Und wenn du fühlst, dass du glücklich bist, so glücklich warst du noch nie, dann weißt du, dass es Liebe ist.“ Und ganz genau so fühlte Lionel sich, wenn er in Lenas Nähe war, wenn sie zusammen lachten, sich berührten oder eben einfach nur so nebeneinander saßen. Allein die Gedanken an sie ließen seinen Magen schmerzhaft krampfen, aber nur, weil sie eben gerade nicht da war und er wusste auch ganz genau, wessen Schuld es war.
 

„Ich werde kämpfen Carles, das bin ich ihr schuldig, etwas anderes hat sie nicht verdient, aber ich weiß einfach nicht, wie lange ich das alles hier noch durchstehen kann. Ohne sie. Dir und Andres und Bojan geht es doch nicht viel anders als mir, auch wenn ihr es teilweise besser verstecken könnt, jetzt von unserm Kleinen mal abgesehen.“
 

„Leo, du weißt, dass wir sie vermissen, aber wenn sie diesen Abstand jetzt braucht, dann-“
 

Sanft nickte Leo, er verstand was sein Kapitän sagen wollte, doch das linderte nicht den Schmerz in seiner Brust, der sich dort seit Lenas Abreise eingenistet hatte.
 

„Weißt du Carles, es gibt Momente im Leben, in denen du jemanden so sehr vermisst, dass du ihn aus deinen Träumen entführen möchtest, um ihn wirklich zu umarmen. Und genau so vermisse ich Lena gerade und wenn ich sie aus meinen Träumen holen könnte, glaub mir, ich würde es tun.“
 

* Wenn wir seine Hure kaufen, bekommen wir dann auch Messi?

* Lionel, wie kannst du damit leben nur einer von Millionen für sie zu sein?

* Macht es dich stolz zu wissen, dass deine Freunde bereits mit ihr im Bett waren?
 

To be continued
 

So, nun habt ihr auch mal einen kleinen Einblick in Lionels Seelenleben bekommen, denn schließlich weiß ich ja, dass manche ganz heiß darauf waren. Der arme Kerl muss wirklich ziemlich leiden, aber trotzdem hoffe ich, dass euch die Worte, die ich dafür gefunden habe, gefallen, mir selbst gingen sie nämlich ziemlich nahe, besonders Lionels letzter Satz.

Und gleichzeitig gab es auch einen kleinen Vorgeschmack auf das, was in Barcelona gerade so abgeht. Die Plakate sind gezielt so „niveaulos“ gewählt und vermutlich könnt ihr euch jetzt etwas besser zusammenreimen, was geschehen ist und warum Lena gegangen ist, oder?

Rumours

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Den Dialog in diesem Kapitel müsst ihr euch mal wieder spanisch denken, denn so gut kann ich diese Sprache nicht, als dass ich meine Gedanken so hätte ausdrücken können. Also, es ist deutsch, sollte aber eigentlich spanisch sein… ;)
 

Die unten stehenden Links verweisen auf die Kleider, die in diesem Kapitel eine Rolle spielen und sie sind nach der Reihenfolge ihres Auftauchens im Text sortiert. Das sind jeweils zwei Bilder von Prinzessin Madeleine von Schweden, die meiner Lena in dieser Story ebenfalls recht ähnlich sieht, daher erleichtert euch das vielleicht die Vorstellung der Situation ein bisschen.
 

https://www.spiegel.de/panorama/0,1518,grossbild-128557-152087,00.html

http://www.fem.com/fileadmin/content/1_Stars/2009-03/madeleine-schweden-AV.jpg
 

Mein ganzer Dank gilt von Herzen: Sunny, die sich als einzige die Mühe macht, mir ihre Meinung zu schreiben.
 

Vollkommen erschöpft vom Training schloss Timo die Tür auf, schmiss seine Sporttasche achtlos in die Ecke und ließ seine Schlüssel über die Kommode schlittern, bis sie mit einem dumpfen Geräusch am anderen Ende zu Boden fielen. Es war ja mal wieder klar gewesen. Ärgerlich bückte er sich nach den widerspenstigen Schlüsseln und schmiss sie diesmal aber in die für sie vorgesehene Schale, die mit einem beachtlichen Sammelsurium auf belanglosen Kleinigkeiten gefüllt war. Wofür er all den Kram brauchte oder wie er dort gar rein gekommen war, wusste der Torhüter der TSG Hoffenheim nicht. Hatte sich vermutlich alles irgendwie seit seiner Rückkehr in die Bundesliga angesammelt.
 

Kraftlos ließ Timo sich in seinen Bürostuhl sinken und schaltete den PC an. Monoton fing er an zu surren und einen Augenblick schloss Timo die Augen und träumte sich ganz weit weg, an den Sandstrand einer einsamen Insel oder etwas derartiges, auch wenn das Wetter in Deutschland ausnahmsweise Mal keinen Grund zur Klage lieferte. Irgendwie wollte der Ex-Stuttgarter seinem Leben für einen Moment entfliehen. Eigentlich hatte Timo auch gar keine Lust sich jetzt diversen Fan-Anfragen und dergleichen zu widmen, doch er wusste auch, dass er während seines Aufenthaltes bei der Nationalmannschaft nicht dazu kommen würde, also machte er es lieber gleich. Dafür wurde er immerhin bezahlt und die Fans hatten gewisse Erwartungen an ihn.
 

Bevor er sich jedoch der Pflicht ergab, öffnete er seinen Mail-Account und war etwas enttäuscht, als ihm nur eine neue Nachricht angezeigt wurde. Seine Adresse kannten zwar nicht sehr viele Menschen, doch trotzdem munterte diese Tatsache Timo nicht gerade auf. Ein voller Posteingang hätte seine Stimmung nach diesem Hammertraining vielleicht noch ein wenig kompensieren könne, aber so? Keine Chance. Lustlos klickte er die Nachricht an ohne weiter auf den Absender zu achten. Erst nachdem er die ersten Zeilen der Mail überflogen hatte und fast nur Bahnhof verstand, schaute er in die Kopfzeile nach dem Absender und dort stand dick und fett zu lesen: David Villa. Wenigstens einer seiner Kollegen, der sich regelmäßig meldete und für den er nicht einfach abgeschrieben und vergessen war. Doch mit dem Inhalt der Mail kam Timo trotzdem nicht ohne Wörterbuch und einen Online-Übersetzer weiter. Sein Spanisch war zwar nicht schlecht, doch David hatte scheinbar nach den normalen Begrüßungsformeln vergessen, dass er einem Nicht-Muttersprachler schrieb und war zum Teil sogar ins umgangssprachliche, Dialekt-lastige Spanisch gewechselt, welches für Timo immer noch ein Rätsel war.
 

Nach einer halben Stunde hatte Timo es dann aber auch endlich geschafft die Mail zu entschlüsseln ohne seinen ehemaligen Kollegen, den Halbspanier Mario Gomez, anzurufen, damit er für ihn den Übersetzer spielte. Als Timo jedoch gedankenverloren in seinem Spanisch-Wörterbuch blätterte, fiel sein Blick auf eine Landkarte Spaniens. Timo fand sowohl Madrid als auch seine alte Heimat Valencia schneller als erwartet und als sein Blick weiter über die Karte glitt, blieben seine Augen bei dem Schriftzug „Barcelona“ hängen. Es erinnerte ihn an etwas, was er unbedingt nachschauen wollte, aber er wusste es nicht so recht zuzuordnen.
 

Planlos drehte er sich auf seinem Stuhl herum und wartete auf die Erleuchtung, die jedoch ausblieb. Immer wieder drehte er sich im wahrsten Sinne des Wortes im Kreis und sah PC, Schrank, Fenster und Wand an sich vorbeifliegen, ohne dass ihm ein Licht aufging. Frustriert von seiner eigenen Vergesslichkeit wandte Time sich wieder Davids Mail zu und begann eine Antwort zu tippen, bis sein Blick wieder an einer Zeile hängen blieb: „Das Spiel gegen Barcelona wird-“ Plötzlich wusste Timo wieder, an was ihn Barcelona erinnerte, natürlich, wie hatte er das auch vergessen können: Er hatte sich doch im Internet über Lena schlau machen wollen!
 

Ohne die bereits geschriebenen Zeilen an David zu speichern machte Timo sich daran den Namen einer großen Suchmaschine in den Rechner einzugeben. In Rekordzeit hatte er Lenas Vor- und Nachnamen eingetippt und wartete nun ungeduldig auf die Suchergebnisse. Erstaunt registrierte er, dass es scheinbar kaum Ergebnisse auf deutsch gab und so erweiterte er die Suche und wurde nicht enttäuscht: Wie erwartet präsentierten ihn die spanischen Medien, die wie alle anderen Medien weltweit auch mit ihren alten Artikeln im Netzt vertreten waren, eine weit gefächerte Auswahl an Schlagzeilen, die zumindest dem Namen nach alle etwas mit einer Lena zu tun hatten. Da der Keeper aber keine Lust hatte alles mühsam durchzuackern, präzisierte er seine Suchanfrage noch etwas weiter, in dem er einfach das Wort „Barcelona“ hinzufügte um auch auf Nummer sicher zu gehen. Wirklich verringert hatte es die Anzahl der möglichen Ergebnisse zwar nicht besonders, aber Timo war ziemlich zuversichtlich, dass er nun brauchbare Informationen über Torstens kleine Schwester finden würde.
 

Auf gut Glück klickte er den vierten Eintrag an, der von einer großen spanischen Tageszeitung stammte. Seine erste Quelle sollte wenigstens ein bisschen seriös sein und nicht gleich eine der großen spanischen Boulevard-Zeitungen, denn was die manchmal für Lügen und Märchengeschichten schrieben, wusste Timo aus leidvoller Erfahrung nur zu genau. Gespannt wartete er auf den Seitenaufbau, der aus unerfindlichen Gründen extrem langsam voran ging. Doch dann tauchte endlich der gewünschte Artikel vor Timos Augen auf und er staunte nicht schlecht, denn bereits die Bilder verrieten ihm, dass es sich definitiv um Lena Frings handeln musste. Und dass diese Frau bei weitem mehr Leichen im Keller hatte, als sie ihn an ihrem ersten Zusammentreffen geschildert hatte, war ihm jetzt auch vollkommen klar. So viele Einträge und Artikel in der Presse bekam nur, wer irgendetwas Interessantes, Wichtiges oder Skandalöses getan hatte. Und in Lenas Fall tendierte er ganz stark zu letzterem, zumindest, soweit es um die Auffassung der Presse ging. Schließlich war sie ja bereits während seiner Zeit in Spanien häufig als „Vielleicht-Messi-Freundin“ in der Regenbogenpresse gewesen.
 

Von dem Artikel an sich verstand Timo nicht mal die hälfte, so gut waren seine Kenntnisse nun doch nicht, deswegen folgte er nur dem Link zur Fotogalerie und hielt beeindruckt einen Augenblick inne als er sah, um wie viele Fotos es sich handelte: Sie hatten locker über fünfhundert zusammengetragen und das bezeichneten sie nur als eine kleine Auswahl aus den vergangenen Monaten.
 

„Die spinnen doch total, wenn die alle innerhalb der letzten Zeit gemacht worden sind, dann kann ich verstehen, dass Lena da weg wollte, das muss ja eine wahre Hetzjagd auf sie gewesen sein.“
 

Nachdenklich sah Timo sich ein Foto nach dem anderen an, bisher noch keines skandalös oder verwerflich, was nicht weiter verwunderlich war, immerhin hatte er bisher nur offizielle Fotos zu Gesicht bekommen. Auch die Bildunterschriften hauten ihn vorläufig noch nicht vom Hocker, da er wusste, wie spekulativ und auch verletzend die spanische Presse sonst sein konnte. Die sollten wohl normal sein, doch nach dem zehnten Bild wurde es für Timo langsam interessanter, denn nun fingen die Paparazzi Bilder an, solche Aufnahmen, die ohne Einwilligung und oftmals auch ohne Wissen der betroffenen Personen aufgenommen worden waren.
 

Einige zeigten Lena in ihrem „Arbeitsoutfit“ beim Training der Barca-Jugend: Schwarze, gut sitzende Jogginghose mit Emblem und in irgendeinem Top oder T-Shirt, die langen blonden Haare locker in einen Pferdeschwanz gefriemelt. Entweder stand sie bei ihren Schützlingen und klopfte dem einen oder anderen auf die Schulter oder sie diskutierte mit den Trainern, die das Training leiteten. Immer schien sie in Bewegung zu sein und auf den meisten Fotos lächelte oder lachte sie sogar ganz befreit und scherzte mit ihren Jungs, die zum Teil mehr als nur einen Kopf größer waren als die junge Deutsche. Hin- und wieder sah man sie sogar mit dem Ball jonglieren oder mit Torwarthandschuhen im Tor stehen. Torstens kleine Schwester, so erschien es Timo zumindest, glich bei ihrer Arbeit einem wahren Energiebündel und man konnte ihr förmlich ansehen, wie gern sie mit den Jungs zusammenarbeitete, wie sie sich immer wieder engagierte. Allein schon durch diese Fotos bekam Timo eine noch höhere Meinung von ihr, denn seiner Ansicht nach war die Nachwuchsförderung extrem wichtig, aber auch sehr schwer, denn mit einem Haufen pubertierender Jungs arbeitete wahrscheinlich kein Mensch gerne. Und er konnte es niemanden verdenken, wenn er an sein eigenes pubertäres Verhalten dachte, mit dem er regelmäßig seine Eltern terrorisiert hatte.
 

Die folgenden Bilder zeigten Lena im Bikini am Strand, zusammen mit Lionel Messi, Carles Puyol, Andres Iniesta und Bojan, wenn Timo den Bildunterschriften Glauben schenken durfte. Und Lena sah wirklich gut aus, ihre lange Mähne flatterte nur so im Wind und sie wirkte einfach nur richtig glücklich und befreit. Man sah sie zusammen beim Beach Volleyball mit den Jungs und auch wie Carles und Andres sie gerade an Armen und Beine gepackt hatten um sie ins Wasser zu schmeißen. Auf anderen Bildern zerstrubbelte Lena Puyols Lockenpracht oder saß auf Iniestas Schultern, um sich mit Bojan zu kabbeln. Es waren Aufnahmen einer ausgelassen Gruppe, die sich nicht bewusst war, dass sie beobachtet und fotografiert wurden. Dass jeder Schritt genauestens dokumentiert wurde. Und wie detailliert diese Dokumentationen waren, konnte Timo auf der nächsten Aufnahme sehen, denn der Zoom machte es möglich, dass der Betrachter das Gefühl hatte Lionel Messi über die Schulter schauen zu können, wie er Lena den Rücken mit Sonnencreme einrieb. Strahlend schien der kleine Argentinier mit der weißen Creme Bilder zu kreieren, eine Sonne konnte Timo ausmachen und, einen Augenblick hielt er inne, ein Herz. Ein Herz, das Lionel Messi auf Lena Frings’ Haut gemalt hatte. Ja, solche Fotos waren Wasser auf den Mühlen derer, die den beiden eine heimliche Liebesbeziehung andichteten.
 

Und zu Timos Erstaunen folgten noch mehr solcher vermeintlichen Beweisbilder: Lena, wie sie Leo in einer Eisdiele ihren Löffel hinhielt, damit er ihr Eis probieren konnte, die beiden, wie sie Arm in Arm durch Barcelona schlenderten und dann gemeinsam in seiner oder ihrer Wohnung verschwanden. Beiden sah man an, dass sie glücklich und zufrieden mit sich und der Welt waren, selbst nach einem verlorenen Spiel konnte Messi scheinbar schon wieder lachen, zumindest tat er es, als er in sein Auto stieg, in dem Lena schon auf ihn wartete. All das schien schon irgendwie sehr verdächtig. So verhielten sich glückliche Paare und nicht „nur“ Freunde, wie sie immer wieder betonten.
 

Langsam blätterte Timo weiter und ihm stockte vor Faszination und Bewunderung der Atem, als er nun wieder offizielle Bilder sah: Lena, die ihr Gesicht gedreht hatte und nicht direkt in die Kamera blickte, in einem engen, weißen Kleid , die Haare locker zurück und diesen undefinierbar geheimnisvollen, weichen Blick in den Augen und dieses gewisse Lächeln auf ihren Lippen. Er wusste nicht, wem sie in diesem Augenblick angesehen hatte, aber er war sich sicher, dass es ein unheimlicher Glückspilz sein musste. Timo fand sie nämlich wunderschön auf diesem Bild, gerade eben auch, weil sie durch ihre Schlichtheit, ihre Einfachheit auffiel, eine Gabe, die die meisten Frauen in seiner Umgebung nicht zu besitzen schienen.
 

Dass aber auch Lena durchaus spektakulärer und sogar noch schöner aussehen konnte, bemerkte Timo, als er sich die offiziellen Bilder des Barca-Banketts anlässlich des Championsleaguetriumphes ansah: Eine strahlende Lena in einem fließenden rosa farbenen Kleid und langen, offenen Locken. Sie schien nur so vor Lebensfreude zu sprühen und wieder leuchteten ihre Augen und sie lachte so fröhlich, dass Timo sich unwillkürlich fragte, was diese junge Frau so verändert haben musste. Was aus ihr die traurige, überforderte Frau gemacht hatte, die er in Bremen kennen gelernt hatte. Irgendwie konnte der Torhüter der TSG Hoffenheim keinen Reim darauf machen. Das waren immerhin alles Bilder aus glücklichen Zeiten, manche unter Umständen etwas zu privat, als dass man sie gern in Zeitungen sah, aber sie waren nicht schlimm, nicht anstößig oder sonst irgendwas. Aber sie zeigten Lena immer wieder mit denselben Männern an ihrer Seite, meistens vertrauter und intimer, als es in einer ganz „normalen“ Freundschaft wohl hätte sein sollen und das war vermutlich einigen ein Dorn im Auge. Schließlich handelte es sich bei diesen Männern um die begehrtesten Junggesellen der Stadt, wenn nicht sogar des Landes und das eine Frau sie alle mit Beschlag belegte, war nicht akzeptabel, so vermutete es zumindest der ehemalige Stuttgarter.
 

Eigentlich hatte Timo bereits genug Fotos gesehen um sich denken zu können, was wohl Lenas Problem in Barcelona gewesen sein musste, doch die Neugier brachte ihn dazu weiter zu klicken und weiter zu schauen, wie sich Lenas Leben innerhalb der letzten Wochen und Monate vor seinen Augen entfaltete. Seine Faszination mit der Frau, die er im Hause seines Mitspielers vollkommen aufgelöst auf dem kalten Steinboden hatte sitzen sehen, hörte einfach noch nicht auf. Timo wollte alles erfahren und so suchte er weiter nach Bildern, die ihm etwas über die Person Lena Frings verraten würden. Man sah sie aus ihrer Praxis kommen, stilsicher aber leger und Jeans gekleidet, man sah sie aber auch aufreizend gekleidet zusammen mit den Jungs in der Disco feiern und wie sie mit ihnen über die Ramblas schlenderte, ihre Begleiter bepackt mit Taschen, die vermutlich von ihren Einkaufstrip stammten.
 

Irgendwie das Leben einer ganz normalen Frau, die gewissenhaft ihrer Arbeit nachging, hin- und wieder Bummeln war und in ihrer Freizeit gerne mal mit ihren Freunden ein bisschen feierte. Nichts Skandalöses, nichts Gravierendes. Und vor allen Dingen nichts, was man vor seinem großen Bruder verstecken musste. Alles ganz harmlos und im Bereich des Normalen. Nur hatte die Sache wahrscheinlich aus der Sicht ihres Bruders einen kleinen Harken: Diese Freunde, mit denen Lena so gern zusammen war, waren nicht irgendwelche Spanier, sondern die Elite des vermutlich derzeit besten Fußballclubs der Welt und somit ganz klar Torstens Konkurrenten. Nicht zu vergessen der Europameistertitel, den zwei von Lenas besten Freunden Torsten Frings sozusagen direkt unter der Nase „weggestohlen“ hatten.
 

Timo konnte schon verstehen, warum Lena daran zweifelte, ob ihr Bruder die Wahrheit mit Fassung tragen würde, schließlich war es schon eine überraschende Offenbahrung, dass sie mit all diesen Männern auf du und du war und in ihrem Schrank zu Hause eine Medaille des Championsleague-Gewinners hängen hatte. Etwas, was sich jeder Profifußballer wünschte, jedoch nur die Wenigsten in ihrem Leben erreichten und Lena hatte es als sozusagen als inoffizielle Teampsychologin geschafft. Ja, Timo hatte auch die Bilder des Finales gesehen, als das Team oder zumindest Teile des Teams Lena hatten hochleben lassen und wie sie ihre Medaille in Empfang genommen hatte. Die anschließenden Bier und Sektduschen, die sie freudig über sich hatte ergehen lassen und immer wieder diese Einzelaufnahmen von ihr und Lionel im Gespräch oder während einer innigen Umarmung. Sicher, Lena hatte auch Iniesta, Bojan und Puyol häufiger umarmt und mit ihnen gejubelt, doch die meisten Aufnahmen zeigten sie eindeutig an Lionels Seite. Es hätte Timo wahrscheinlich auch nicht besonders überrascht, wenn Torsten beim Anblick dieser Bilder Rauch aus den Ohren gekommen wäre. Er schien recht beschützerisch zu sein, wenn es um seine kleine Schwester ging. Doch andererseits wusste Timo auch genau, dass der „Lutscher“ ganz klar zwischen privatem und beruflichem trennte und genauso würde er es wahrscheinlich auch bei Lena machen. Also hatte sie doch eigentlich nichts weiter zu fürchten als einen kurzen, vermutlich zugegebenermaßen lauten Wutausbruch des Bremers und danach würde wieder alles gut werden. Warum sprach sie ihn dann nicht einfach darauf an, statt sich weiterhin mit diesen Lügen zu quälen?
 

Die Unwissenheit quälte Timo und so griff er kurz entschlossen zum Telefonhörer und rief seinen ehemaligen Kollegen David Villa an. Der musste einfach Bescheid wissen, was da in Spanien los war oder er würde ihm zumindest die Internetseiten übersetzen könne, damit auch er im Bilde war, wo nun genau das Problem der spanischen Presse mit Lena lag. Denn an der Sache war was faul und zwar gewaltig.
 

„Hola?“
 

„Hola David. Que tal?“
 

Der Mann am anderen Ende des Hörers brauchte einen Augenblick, bis er wusste, mit wem er sprach. Die Stimme des Torhüters hatte er einfach schon zu lange nicht mehr gehört, ihr Kontakt innerhalb der letzten Zeit hatte sich auf Mails beschränkt und so war der Stürmer Valencias etwas irritiert nun einen Antwortanruf auf seine Mail zu bekommen. Und dann auch noch so schnell, damit hatte er nicht gerechnet. Trotzdem freute er sich, hatte er sich doch mit dem Deutschen immer ganz gut verstanden.
 

„Muy bien, gracias. Y tu?“
 

„Tambien.“
 

Es herrschte Schweigen zwischen den beiden, da David nicht wusste, warum Timo angerufen hatte und Timo wiederum nicht wusste, wie er das Gespräch unauffällig auf Lena lenken sollte. Als die Stille zu lang wurde, entschied Timo sich gegen die unauffällig Variante und fragte David einfach grad heraus:
 

„David, kennst du eine Lena Frings aus Barcelona? Saß während unserer Spiele immer mit auf der Trainerbank und sie ist eine gute Freundin von Lionel Messi. Klingelt da was?“
 

Lautes Lachen war Davids Antwort und irgendwie wunderte sich der Spanier, was sein deutscher Freund jetzt auf einmal mit dieser Frau wollte. Und warum er augenscheinlich nicht wusste, was mit ihr los war.
 

„Si, naturalemente kenne ich sie. Wer in Spanien kennt sie nicht? Ihr spurloses Verschwinden ist derzeit eines der Top-Themen der Presse.“
 

Timo stutzte. Vom spurlosen Verschwinden hatte er noch nichts gelesen, aber das lag wahrscheinlich an seinen mangelnden Spanisch-Kenntnissen.
 

„Was ist denn bei euch los, dass sich alle für eine einfache Psychologin interessieren?“
 

„Einfach Psychologin? Ich bitte dich, diese Frau scheint ein wahrer Fußballermordender Vamp zu sein, wenn man der Presse glaubt. Es scheint keinen zu geben, auf den sie es nicht abgesehen hat, wobei sie lieber die besonders erfolgreichen nimmt. Aber einer reicht ihr wohl nicht, wie man munkelt. Sie soll da recht anspruchsvoll sein.“
 

Ungläubig schüttelte Timo den Kopf. Nein, das konnte nicht sein, die Lena, die er bei Torsten kennen gelernt hatte, war nicht so, die hatte es nicht auf Fußballer abgesehen, die war ganz normal gewesen. Schlagfertig zwar, aber nicht irgendwie unangenehm. Sie wirkte nicht wie eine Frau, die sorglos mit den Gefühlen mehrere Männer spielte nur zu ihrem Amüsement. Und so berechnend wie David sie beschrieb hatte sie auch nicht auf ihn gewirkt.
 

„Bist du dir sicher, dass wir von derselben Frau sprechen?“
 

„Klar, mittellange blonde Haare, strahlend blaue Augen, relativ klein und ein Gesicht wie ein unschuldiger Engel. Dabei hat sie den Teufel im Blut. Die Liste ihrer Liebhaber, Affären und Verflossenen liest sich wie eine Liste zur Wahl der besten Fußballer. Fast alles, was Rang und Namen hat, ist darauf vertreten. Und dabei ist sie immer nur auf ihren Vorteil bedacht.“
 

Unwillkürlich ballte Timo seine Hand zur Faust. Wut stieg in ihm auf. Es war unbestreitbar, dass sie von ein- und derselben Person sprachen, aber er war sich sicher, dass David sich irrte. Musste er einfach, eine andere Möglichkeit gab es nicht. Er hatte ein völlig falsches Bild von Lena und Timos Sprachlosigkeit fasste der Stürmer als Aufforderung auf weiter zu sprechen.
 

„Ein paar Beispiele gefällig? Gut, nehmen wir zu Beginn gleich zwei Dauerbrenner: Carles Puyol und Andres Iniesta. Der eine ist Kapitän, der andere das gefeierte Mittelfeldtalent. Sehr Prestigeträchtige Beute und sie haben dafür gesorgt, dass sie Lenas Position innerhalb der Mannschaft noch besser wurde. Dann wäre da auch noch Bojan-“
 

„David! Der ist erst 19!“
 

Wieder nur ein Lachen des Spaniers, der sich ein wenig über Timos Fassungslosigkeit amüsierte. David wusste, dass Timo schon nicht mehr in Spanien gewesen war, als dieser Sturm losgebrochen war und wahrscheinlich kannte er diese Frau sowieso nicht persönlich, daher befremdete ihn diese Anteilnahme doch ein wenig.
 

„Ich weiß. Scheinbar brauchte sie mal was jüngeres, es heißt sogar, sie hätten schon was miteinander gehabt, als er noch bei weitem jünger war.“
 

Wieder machte der Stürmer in Dienste Valencias eine bedeutungsvolle Pause und Timo spürte, wie ihm so langsam Übel wurde.
 

„Aber das wäre ja Verführung eines Minderjährigen.“
 

„Exakt und genau das haben ihr unter anderem die Medien auch vorgeworfen. Aber das war noch nicht alles, ich kann noch ziemlich lange weitermachen.“
 

„Das war’s noch nicht?“
 

Der Torhüter hielt sein Telefon fester umklammert und fragte sich, ob er tatsächlich noch mehr hören wollte, oder ob er David nicht doch eher bitten sollte zu schweigen. Das war alles so viel auf einmal und so langsam merkte Timo, wie sein Bild, das er sich von Lena gemacht hatte, langsam zu bröckeln begann. Ihr strahlendes Lächeln bekam ernsthafte Risse und Timo wusste nicht mehr, was er glauben sollte.
 

„Nein, das war’s noch nicht. Da hätten wir dann noch Pep Guardiola, den Trainer. Klassische Sache, bei ihm hat sie sich wohl hochgeschlafen. Die beiden haben vorher schon zusammengearbeitet heißt es und na ja, die alte Geschichte halt. Dann wäre da noch Sheva, mit dem-“
 

„Sprechen wir hier gerade von Shevchenko, dem Ukrainer? Wie ist sie denn an den gekommen, der spielt nämlich definitiv nicht bei Barca.“
 

„Genau von dem rede ich, aber wo sie ihn kennen gelernt hat, kann ich dir nicht sagen, aber auf jeden Fall sind sie zusammen in ziemlich intimen Posen gesichtet worden. Vielleicht sollte sie dem Verein einen Gefallen tun und der Deal war, dass er zu Barca wechselt, wenn Lena mit ihm schläft, wer weiß das schon?“
 

Resigniert ließ Timo den Kopf hängen. Er konnte seinem ehemaligen Kollegen das einfach nicht alles glauben, nicht ohne handfeste Beweise, doch als er einzeln diese Stichworte in die Suchmaschine eingab, kamen genug Artikel mit Fotos, die Davids Worte untermauerten. All diese schlimmen Dinge, die über sie geschrieben worden waren, schienen tatsächlich wahr zu sein. Das erschütterte Timo, denn nun glaubte er eher, dass Lena nur ihre schmutzige Vergangenheit vor Torsten geheim halten wollte als alles andere.
 

„Ach ja, und die beste Story habe ich mir für den Schluss aufgehoben: Lionel Messi und Lena. Dass es zwischen den beiden mehr als nur Freundschaft sein soll, weißt du ja bestimmt, aber nach all diesen Affären könnte man ja denken, dass er sich von ihr distanziert, oder nicht? Wäre ja eine ganz normale Reaktion, wer will denn auch eine, die schon einmal überall herumgereicht worden ist? Nein, denkste, dieser Dummkopf stellt sich weiterhin vor die Presse und verteidigt sie, als hinge sein Leben davon ab. Dabei hat er doch auch die Fotos gesehen. Und Bilder lügen nicht.“
 

Stille. Timo wusste nicht, was er sagen sollte. Vor sich sah er die Bilder, so viele Bilder, teilweise so eindeutig, aber waren sie das tatsächlich? Er wusste, dass es gute Fotomontagen gab, aber warum sollte jemand vollkommen grundlos solch eine Hetzjagd auf Lena veranstalten? Timo war unsicher, ob er überhaupt wissen wollte, wie und wann das ganze angefangen hatte, deswegen hielt er seinen Mund und fragte nicht. Zumindest nicht das.
 

„David, wie viel, glaubst du, ist davon wahr?“
 

Wieder herrschte einen Moment Schweigen und der Spanier ging in sich und überlegte, was er seinem deutschen Freund darauf antworten sollte. Immerhin wusste er selbst nur zu gut, wie schnell die Presse Gerüchte in die Welt setzte und er hatte Lena immer nur aus der Ferne gesehen, nie tatsächlich mit ihr gesprochen. Für ihn war sie die Frau von den Bildern und aus den zahlreichen Erzählungen seiner Barca-Kollegen bei der Nationalmannschaft. Eben jene Kollegen, mit denen sie angeblich Affären hatte. Hatten sie deshalb so von ihr geschwärmt? David wusste es nicht. Kannte aber durchaus die Meinung der betroffenen Fußballer zu diesen Geschichten.
 

„Soll ich ehrlich sein, Timo?“
 

„Natürlich, sonst hätte ich nicht gefragt.“
 

„Ich weiß nicht, was ich glauben soll, ich meine, ich kenne ja die Presse und weiß, zu was für Lügenmärchen sie im Stande sind, aber da sind noch all diese Bilder und die können nicht alle durch die Bank weg getürkt sein. Das geht nicht. Ich weiß aber auch, dass Barca und die angeblichen „Liebhaber“ alles dementiert haben, dass da was gewesen sein soll, der Verein schleppt sogar jede Zeitung vor den Kadi, die es wagt solche Geschichten über Lena abzudrucken. Sie machen richtig ernst. Und trotzdem stoppt es die Zeitungen nicht, sie beharren darauf, dass man die Wahrheit schreiben dürfen muss. Pressefreiheit und so. Solche Risiken würden sie bei rein erfundenen Geschichten niemals eingehen, sie sind ja nicht dumm. Und dann wäre da noch ihre überstürzte Nacht-und-Nebel Flucht aus Barcelona: Ich kenne Lena zwar nicht persönlich, aber ich weiß, dass es das falsche Zeichen war, nämlich eines von schuld. Die Jagd, die die Presse veranstaltet hat, war bestimmt nicht einfach zu ertragen, mich nervt ja schon ein relativ kleiner Medienrummel, aber trotzdem, wortlos zu flüchten war auch nicht richtig. Jetzt terrorisiert die Presse Lionel und die anderen, weil sie Lenas Aufenthaltsort nicht kennen. In Barcelona brennt derzeit echt die Luft und ich möchte mit keinem der Beteiligten tauschen, wirklich nicht.“
 

Das waren klare und deutliche Worte, die Timo jedoch nicht weiter brachten. Welcher Mensch war Lena nun? Der Vamp oder das nette Mädchen von nebenan? Oder gehörte etwa beides zu ihr? Timo war verwirrt und statt Antworten auf die alten Fragen hatten sich nur noch neue aufgetan. Vielleicht hätte er seine Recherche besser unterlassen sollen, doch jetzt war es zu spät und mit diesem neuen Wissen über Lena musste er nun die nächsten Tage bei der Nationalmannschaft mit Torsten Frings verbringen ohne ihn auf ihre bewegte Vergangenheit ansprechen zu können. Das würde hart für ihn werden, soviel stand für Timo schon mal fest. Der Neu-Hoffenheimer konnte ja noch nicht wissen, dass er Lena dort bereits wieder sehen und eine Gelegenheit zu einem ausgiebigen Gespräch haben würde. Die wusste es nämlich selbst noch nicht, dass ihr Bruder sie mit diesem Angebot überraschen wollte.
 

To be continued
 

So, jetzt wisst ihr über einen Teil der Ereignisse in Barcelona Bescheid. In Flashbacks werde ich mich vermutlich auch noch der ein oder anderen hier geschilderten Situation annehmen, besonders dem Championsleague-Triumph, zumindest wenn ihr es detaillierter und aus der Sicht der Beteiligten lesen wollt…^^ Ich überlasse euch da teilweise die Entscheidung, schreibt, was ihr euch wünscht…

Timo ist ja nun ziemlich geschockt, ihr auch? Wird er wohl an seinem alten Bild von Lena festhalten oder glaubt er den Worten seines ehemaligen Kollegen?

Traut ihr Lena überhaupt so etwas zu? Und war es das, was ihr auch von Anfang an erwartet habt? Oder zumindest nach dem letzten Kapitel?

Die Geschwister Frings

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Auch an diesem Morgen war Lena Frings wieder lange vor ihrem Bruder aufgestanden um in aller Ruhe ein oder zwei Stunden laufen gehen zu können. In Barcelona war sie immer zusammen mit ihren Jungs gelaufen, doch seit sie in Bremen war, hatte sie ihr Training ein wenig schleifen lassen, was sich ziehend in ihren Waden bemerkbar gemacht hatte, als sie vor wenigen tagen den Brief für Lionel zur Post gebracht hatte. Mittlerweile versuchte sie wieder regelmäßig jeden Tag ein bisschen mehr zu trainieren und Lena konnte schon wieder eine leichte Steigerung ausmachen.
 

Erschöpft von ihrer doch wahrscheinlich etwas zu langen Joggingrunde brauchte Lena eine ganze Weile, bis sie sich aus ihren Kleidern gepellt hatte und unter die Dusche springen konnte. Leise summte sie vor sich hin, ihre Laune war zwar nicht als besonders gut zu beschreiben, doch es tat ihr unheimlich gut den Brief endlich geschrieben und abgeschickt zu haben. Es hatte ihre Probleme zwar nicht gelöst, aber sie hoffte einfach, dass ihre Worte ihren Freunden in Spanien halfen mit der Situation besser umzugehen. Und das Wissen, ihnen vielleicht so ein wenig geholfen zu haben, ließ sie ein wenig freier atmen.
 

Das heiße Wasser auf ihren geschundenen Muskeln tat ihr unheimlich gut und am liebsten wäre sie einfach unter dem stetigen Wasserstrahl stehen geblieben, doch das Klappen der Haustür und ein unüberhörbares Stampfen kündigten Torstens Heimkehr vom alltäglichen Morgentraining an und da Petra arbeiten und die Mädchen in der Schule waren, würde es wohl an Lena hängen bleiben Torsten Gesellschaft zu leisten, solange er eine Kleinigkeit als zweites Frühstück naschte. Wahrscheinlich würde sie ihm auch daran erinnern müssen, dass er Profi-Sportler war und dass die Schokoladencornflakes seiner Töchter wohl eher nicht in den ausgewogenen Ernährungsplan der Werder-Ernährungsberater passten. Typisch Torsten eben. Diese Aufgabe störte Lena nicht im geringsten, sie verbrachte gerne viel Zeit mit ihm, aber jedes Mal, wenn sie mit ihm allein war und sie über Gott und die Welt redeten, meldete sich eine kleine Stimme in ihrem Inneren, die sie bereits als ihr Gewissen identifiziert hatte, und drängte sie dazu ihm endlich reinen Wein einzuschenken. Als wäre das so leicht.
 

Entschlossen drehte Lena den Wasserhahn zu und stieg aus der Dusche. Wenn sie jetzt nicht aufhörte, würde sie wohl irgendwann durch den Abfluss verschwinden und das wollte sie ihrem großen Bruder nun doch nicht zumuten. Geschickt griff sie nach dem großen Handtuch und wickelte es sich um ihren Körper. Sorgfältig rubbelte sie sich trocken und wickelte sich dann ein kleines Handtuch als Turban um ihren kopf, damit ihre Haare nicht alles voll tropften. Barfuss tapste sie mit möglichst großen Schritten über die kalten Fliesen und verließ im Handtuchlook das Badezimmer um sich in „ihrem“ Zimmer schnell etwas zum Anziehen zu suchen. Auf dem Flur stieß sie jedoch fast mit Torsten zusammen, der gerade aus dem Schlafzimmer gekommen war um seine Sachen wegzubringen.
 

„Guten Morgen, Kleines.“
 

„Morgen Bruderherz. Hast du schon gegessen oder willst du noch? Wenn noch nicht, dann könntest du noch einen Augenblick warten, bis ich mich fertig angezogen habe und wir frühstücken zusammen. Na, was hältst du davon?“
 

Blitzschnell hatte Lena sich zwei Schritte näher an Torsten heran gewagt und seine langen Haare kräftig durchstrubbelt. Sie hatte keine Ahnung, warum sie es getan hatte, sie war einfach nur einem inneren Impuls gefolgt und der Gesichtsausdruck ihres lieben Bruders war wirklich Gold wert. Er war total verwirrt, fing sich doch zu Lenas Enttäuschung relativ schnell wieder.
 

„Jetzt darf ich vor dem Essen erstmal ins Bad, besten Dank. Ich hatte meine Frisur heute bereits schon mal gerichtet, Schwesterherz. Aber das mit dem gemeinsam Frühstücken passt sich ganz gut, ich muss sowieso noch mit dir reden und dann können wir das gleich klären.“
 

Ohne auf eine Erwiderung seiner Schwester zu warten, schritt Torsten davon, diesmal selbst in Richtung Badezimmer, wahrscheinlich um von seiner Frisur zu retten, was eigentlich gar nicht mehr zu retten war, aber so wie Lena ihren Bruder kannte, würde er sich was für seine langen Zotteln einfallen lassen. Torstens leicht brummeliger Ton war nur scherzhaft, deswegen machte Lena sich keine Sorgen, doch seine Ankündigung noch etwas mit ihr besprechen zu wollen, löst in Lenas Magen ein unangenehmes Ziehen aus. Konnte es etwa sein, dass er aus irgendwelchen Quellen erfahren hatte, dass ihr Aufenthalt hier in Bremen doch nicht ganz so freiwillig war, wie sie es ihm zu Beginn gesagt hatte? Sie hatte ihn ja nicht direkt angelogen, sondern eher die Wahrheit der Situation ein wenig angepasst. Nichts Verwerfliches also. Oder wusste er gar, was gerade tatsächlich in Barcelona los war und wollte sie zu ihrer Beteiligung an den Geschehnissen befragen? Im Augenblick konnte Lena sich so ziemlich alles vorstellen, auch wenn sie eher der Ansicht war, dass Torsten niemals so ruhig mit ihr gesprochen hätte, wenn er tatsächlich die angeblich harten Fakten von Barcelona gewusst hätte. Aber man konnte sich ja nie sicher sein.
 

Schnell zog Lena sich an, denn sie wollte dieses Gespräch, egal wie unangenehm es für sie werden würde, nicht weiter herauszögern, so etwas änderte die Tatsachen ja doch nicht und so sie lief die Treppe hinab in die Küche nur um herauszufinden, dass Torsten wohl entweder noch im Bad mit seiner Frisur kämpfte oder irgendwo anders im Haus herum spazierte. Um abgelenkt zu sein und nicht zu lange über die möglichen gründe dieses Gesprächs nachdenken zu müssen, begann Lena verschiedene Obstsorten für einen Obstsalat zu schälen und in einer Schale zu vermengen. Das würde Torstens Zuckerhaushalt wieder etwas auffüllen, was sich vermutlich direkt in seiner Laune widerspiegeln würde, und trotzdem seinem strengen Ernährungsplan nicht all zu sehr durcheinander bringen.
 

Plötzlich umfassten zwei starke Hände sie von hinten und kreuzten sich über ihrem Bauch, so dass sie gegen eine starke, breite Brust gedrückt wurde, die ihr Halt gab. Ein schwerer Kopf ruhte auf ihrer rechten Schulter und beobachtete jede ihrer Bewegung. Lena konnte ein herbes Männerdeo riechen und Haare kitzelten sie ein wenig im Nacken. Es war fast so wie in Barcelona, wenn sie bei sich oder auch bei Lionel in der Küche stand und ihnen einen Salat machte. Wie oft hatte er ihr so über die Schulter gesehen und ihr leise irgendwelche Dinge ins Ohr geflüstert. Und wie oft waren Lionels Hände dann irgendwann vom bloßen halten ins Kitzeln übergegangen, natürlich nur, wenn sie mal gerade kein Messer in der Hand hielt, mit dem sie sich sonst wahrscheinlich vor Schreck und lachen in den Finger geschnitten hätte. Oh ja, sie hatte häufig mit Lionel in so einer oder ähnlichen Haltungen in der Küche gestanden. Warum, wusste Lena selbst nicht mehr so genau. Leo hatte immer nur behauptet es würde ihn beruhigen sie in der Küche werkeln zu sehen, dabei war Lena eigentlich eine absolute Niete in allem, was das Kochen betraf. Sie schaffte die Grundgerichte, doch wirklich kochen wollte sie das nicht nennen.
 

„Na, was macht mein Lenchen hier schönes für uns?“
 

„Einen frischen, vitaminreichen Obstsalat, aber ich muss mir noch schwer überlegen, ob du dir den überhaupt verdient hat, Torstilein.“
 

Lena wusste ganz genau, dass Torsten diese Verniedlichung seines Namen nicht ausstehen konnte, denn zum einen war er seiner Meinung nach nicht klein und schon gar nicht „niedlich“ und zum anderen hörte es sich einfach nur bescheuert an, doch trotzdem verwendete sie sie jetzt, immerhin hatte er sie auch „Lenchen“ genannt, auch wenn sie persönlich nichts gegen diesen Spitznamen hatte, solange ihn nur Torsten benutzte.
 

„Natürlich habe ich ihn mit verdient, was denkst denn du? Ich habe die ganze Zeit hart trainiert, musste ganz viel laufen, mich mit nervenden Kollegen rumärgern und sogar noch brav einige Autogramme geben, wenn ich mir diesen Salat nicht verdient habe, dann du auch nicht.“
 

Noch bevor Lena reagieren konnte, hatte Torsten ihr die volle Salatschüssel weggeschnappt und sich auch gleich schon mit den Fingern die ersten seiner Lieblingsfrüchte herausgepickt. Manche Dinge änderten sich einfach nie und das war auch gut so.
 

„Torsten, nimm deine Finger sofort da raus und stell die Schüssel sofort auf den Tisch! Man isst nicht mit den Fingern, das versuchst du deinen Mädchen doch auch immer beizubringen.“
 

„Nö, da musst du mich mit Petra verwechseln. Bei mir dürfen Lena und Lisa ihre Pommes auch mit den fingern essen, macht ja schließlich mehr Spaß so.“
 

Mit einem breiten Grinsen sah Torsten zu seiner kleinen Schwester, die beide Hände in die Hüften gestemmt hatte und ihn mit hochgezogenen Augenbrauen ansah. Wenn sie erst einmal solch eine Position eingenommen hatte, das wusste Torsten aus Erfahrung, dann war es besser ihrem Wunsch zu folgen und zu tun, was sie gehießen hatte, also stellte er die Schüssel auf dem Tisch und holte aus der Schublade zwei Löffel. Lena hatte währenddessen zwei Schälchen aus dem Eckschrank genommen und so setzten sich die beiden Frings-Geschwister gemeinsam nebeneinander an den Tisch und kellten sich etwas Obstsalat auf.
 

Unbekümmert fing Torsten an vom Training zu erzählen und wie es insgesamt mit der Mannschaft lief. Er sprach von lustigen Sprachmissverständnissen, die meistens auf Markus’ und Diegos Mist gewachsen waren, und einigen anderen Begebenheiten, die sowohl ihn selbst als auch die junge Frau zum Lachen brachten. Die Stimmung war locker und heiter, so entspannte hatten die Geschwister schon länger nicht mehr geplaudert. Jedes Mal jedoch, wenn Torsten den Namen „Per“ erwähnte, zuckte Lena leicht zusammen und dachte an den langen Innenverteidiger, der so unheimlich aufmerksam und lieb zu ihr gewesen war und bei dem sie sich das erste Mal seit langem richtig ausgeheult hatte. Ausgeheult über eine Sache, die eigentlich schon seit Jahren gegessen und überwunden sein sollte, die sie jedoch irgendwie immer noch beschäftigte. Und die sie vermutlich noch sehr, sehr lange beschäftigen würde, denn bisher hatte sie es noch nicht geschafft einen endgültigen, absoluten Schlussstrich zu ziehen. Dazu waren weder sie selbst noch Ricardo in der Lage gewesen, so sah es zumindest für Lena aus, wenn sie im Fernsehen die Spiele Milans verfolgte und er nach einem besonders schönen Tor immer noch seinen alten Torjubel ausführte. Einen, der nur ihr galt und immer nur ihr gegolten hatte. Ihr ganz persönliches Geheimnis eben, genauso wie die Kette, die sie in Interviews immer noch unter seinen Kleidern erahnen konnte. Irgendwie hatte sich alles verändert und war doch in einer verrückten Art und Weise gleich geblieben.
 

„Sag mal Torsten, du wolltest über etwas Bestimmtes mit mir sprechen. Dann schieß mal los.“
 

Die jüngere Frings wollte unbedingt Gewissheit und auch Torsten schien es nicht zu stören, dass Lena dieses Thema so direkt angeschnitten hatte. So musste er sich immerhin keine möglichst unauffällige Überleitung einfallen lassen, die sie sowieso sofort durchschaute.
 

„Du weißt doch bestimmt, dass jetzt die Länderspielphase losgeht, oder?“
 

Lena nickte nur um ihrem Bruder anzudeuten, dass sie ihn verstanden hatte, auch wenn sie ganz und gar nicht verstand, warum er ihr das erzählte und was das wohl mit seinem wichtigen Gesprächsthema zu tun hatte.
 

„Ja, und der Jogi hat mich wieder nominiert und da haben wir uns am Telefon ähm ein wenig länger unterhalten und nun ja, er hat dann halt so ganz am Rande erwähnt, dass sich der DFB in einer kleinen Personalnot befindet.“
 

„Und was hat das mit mir zu tun?“
 

Ihr schwante Böses, doch sie wollte Torsten noch eine Chance geben ihr zu sagen, dass es nicht so war, wie sie es gerade dachte, bevor sie aufspringen und ausrasten würde.
 

„Ach, weißt du Lena, ich habe da so nebenbei einfließen lassen, dass du ja Physiotherapeutin und gerade hier zu Besuch in Bremen bist und das war ganz zufällig genau der Posten, der derzeit aufgrund irgendwelcher Querelen unbesetzt ist und da meinte Jogi, ob du das nicht für das kommende Länderspiel übernehmen könntest.“
 

Schweigend und mit gerunzelter Stirn blickte Lena Torsten ins Gesicht, der seinen besten Hundeblick aufgesetzt hatte um sie zu erweichen. Er hatte Jogi bereits zugesagt, dass Lena den Job machen würde und es war ihm sogar recht lieb, denn so konnte er sie nicht nur im Augen behalten, sondern sie vielleicht sogar noch ein wenig zum Lachen bringen. Denn genau das war ja schließlich seine Mission und der Lutscher war sich sicher, dass man bei einer Truppe wie der Deutschen Nationalmannschaft einfach nicht traurig sein konnte. Das war ein Ding der Unmöglichkeit. Dem Gesichtsausdruck seiner Schwester zu folgen war die von dieser kleinen Reise jedoch nicht so begeistert.
 

„Das ist jetzt bitte nicht dein Ernst, Torsten. Sag mir bitte, dass es nur einer deiner typischen Scherze war.“
 

„Nein. Und ich habe Jogi bereits zugesagt. Unser Flieger geht in ungefähr fünf Stunden.“
 

Torsten hatte sich dieses kleine Detail bisher extra für später aufgehoben, doch irgendwann musste er es ihr ja sowieso sagen und so, wie er ihre Laune bis jetzt einschätzte, änderte diese Information auch nichts mehr.
 

„Nein.“
 

„Wie nein?“
 

„Ganz einfach: Nein. Ich steige in keinen Flieger und fliege mit dir sonst wo hin um mich um einen Haufen Fußballer zu kümmern. Keine Chance, Torsten.“
 

Lena hatte ihr Kinn stur vorgereckt und sah ihren Bruder entschlossen an. Sie würde sich nicht erweichen lassen, er würde sie nicht überreden können. Allein die Vorstellung jagte ihr schon Schauer über den Rücken. Nein, sie wollte nicht noch mehr Zeit in der Nähe fußballspielender Männer verbringen, das wäre reiner Selbstmord. Wie nannten die Japaner so etwas? Genau: Harakiri.
 

„Bitte Lena, ich habe doch bereits zugesagt, dass du es machst. Jetzt sei kein Frosch und tu deinem alten, großen Bruder diesen kleinen Gefallen. Und sieh es doch mal so: Du siehst Michael und Bernd wieder. Von den ganzen anderen ganz zu schweigen.“
 

Torstens letzte Aussage konnte man getrost als doppeldeutig bezeichnen, denn von den Herren Fritz und Wiese schwieg er wirklich lieber, denn ihre Anwesenheit würde Lena sicherlich nicht in Luftsprünge ausbrechen lassen.
 

„Torsten, nein, ich werde nicht mit dir nach, sag mal, wo spielt ihr überhaupt?“
 

„München, Kleines. Außerdem hättest du dort Zeit zum Shoppen, Sightseeing und all das. Bitte. Lass mich nicht vor meinen Kollegen als inkompetenter Depp dastehen. Außerdem freuen sich schon alle auf dich und wollen dich unbedingt kennen lernen.“
 

Alarmierte blickte Lena zu Torsten.
 

„Keine Panik. Mit Micha habe ich bisher nur darüber gesprochen, aber Miro hat wohl so viel von unserem netten Abendessen erzählt, dass jetzt alle anderen ganz gespannt sind dich kennen zu lernen. Und für mich wäre es eine wunderbare Gelegenheit mit meiner hübschen, intelligenten und überaus schlagfertigen kleinen Schwester, auf die ich so unheimlich Stolz bin, ein wenig anzugeben. Sag ja, bitte Kleines…“
 

Wieder versuchte er es mit dem mitleiderregendsten Blick, denn er nur aufsetzen konnte und irgendwie konnte Lena ihm diesen Wunsch nicht abschlagen. Aus seinem Blick sprach so viel liebe und Zuneigung und wenn sie bedachte, wie oft sie ihm während der letzten Jahre seine Wünsche schon hatte abschlagen müssen, war dies hier wirklich nur eine Kleinigkeit. Es würde sie nicht umbringen ein paar Tage mit ihm und seiner Mannschaft verbringen, bestimmt nicht.
 

„In Ordnung.“
 

„Wie?“
 

„Ich sagte: In Ordnung. Ich komme mit und versorge deine alten Knochen.“
 

Überschwänglich schmiss Torsten seinen Stuhl um und umarmte seine kleine Schwester, die auf diese Liebkosungen gar nicht vorbereitet war. Gemeinsam kippten sie nach hinten und landeten unsanft auf dem Boden. Unwillkürlich lachten beide laut los, denn sie mussten wahrlich einen Anblick für die Götter bilden.
 

„Weiß Petra eigentlich bescheid, dass wir hier gleich die Biege machen?“
 

„Na klar, das ist alles mit ihr abgesprochen.“
 

Empört knuffte Lena Torsten in den bauch, was ihm jedoch nur ein müdes Lächeln entlockte.
 

„Oh du Schuft, ich werde dich-“
 

„Nichts da wirst du. Du musst jetzt packen gehen, denn so, wie ich dich kenne, herrscht derzeit eher Unordnung als Ordnung bei dir und unser Flieger wartet nicht.“
 

Mühsam rappelten die beiden sich auf und Lena flitzte in ihr Zimmer um ihren Koffer zu packen, denn mit seiner Einschätzung hatte Torsten im Grunde genommen vollkommen ins Schwarze getroffen, bei ihr herrschte tatsächlich kreatives Chaos, wie sie so gern zu sagen pflegte. Man konnte zwar nicht behaupten, dass Lena sich auf die kommenden Tage in München freute, doch es hätte bei weitem schlimmer kommen können und so arrangierte sich Lena mit den Gedanken sich demnächst wieder einmal um einen Haufen verrückter Fußballer kümmern zu müssen. Es war ja immerhin nicht das erste Mal und irgendwie erinnerte es sie ein wenig an Zuhause, ein Gefühl, das sie nur zu gern konservieren würde.
 

„Dann mal los, Großer, auf geht’s zum Länderspiel!“
 

Mit diesem Worten verließen die Geschwister Frings Torstens Villa und machten sich auf in Richtung Flughafen.
 

To be continued
 

Ach ja, unsere lieben Geschwister Frings, sie sind irgendwie schon ein tolles Team, auch wenn sie sich nicht immer nur vertragen… Aber das wäre ehrlich gesagt auch unnormal für Geschwister…

Diesmal habe ich mich nur für relativ kleine Einblicke in die täglichen Aktivitäten in Barcelona entschieden, weil alles andere wieder einmal viel zu viel Platz eingenommen hätte, aber es kommt noch mehr, versprochen!

Und was sagt ihr zu Lenas Erkenntnissen über ihre Beziehung und Gefühle zu Ricardo? Er scheint ja über die Sache auch noch nicht hinweg zu sein… Hat euch das überrascht?

So und nun stelle ich die Frage nun auch noch einmal öffentlich: Gegen wen werden sie eurer Meinung spielen (die, die es schon wissen, nicht verraten… ;))?

So etwas ähnliches wie ein Vorstellungsgespräch

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Wie immer vielen, vielen Dank an meine ausgezeichnete Reviewerin, ich wüsste wirklich nicht, was ich ohne dich machen sollte: Sunny12.
 

Zum wiederholten Mal fragte Lena sich, warum Torsten und sie nicht mit den anderen Bremer Nationalspielern zusammen nach München geflogen waren. Normalerweise reisten Nationalspieler, die für den gleichen Verein spielten, auch zusammen zu den Länderspielorten, so war es zumindest in Barcelona und Mailand gewesen. Zwar kannte Lena das Prozedere der Deutschen nicht so genau, aber es kam ihr irgendwie seltsam vor. Nicht, dass sie besonders scharf darauf gewesen wäre mehr Zeit als irgendwie notwendig in der Gegenwart der Kollegen ihres Bruders zu verbringen, aber die Tatsache, dass bis jetzt nur sie selbst und Torsten in der Lobby des ziemlich vornehmen Münchner Hotels standen, irritierte die junge Frau ein wenig. Sie hatte damit gerechnet, dass wenigstens ein paar andere Spieler bereits anwesend sein würden, aber da hatte sie sich verschätzt. Nervös strich Lena sich erst eine Strähne aus dem Gesicht, die aus ihrer lockeren Hochsteckfrisur gerutscht war, nur um dann wieder ihren Rock gerade zu zupfen. Leicht tippte sie mit ihren Stillethos auf dem Fußboden herum und sah dann wieder zur Uhr, nur um festzustellen, dass kaum Zeit vergangen war, seit sie das letzte Mal einen blick riskiert hatte. Wieder begann das ganze Prozedere von vorne. Doch all das verringerte nicht das komische Gefühl, das hier irgendetwas nicht so war, wie es eigentlich sein sollte.
 

„Torsten, wo ist denn der Rest der Truppe? Kann es sein, dass du dich in der Adresse oder zumindest der Uhrzeit geirrt hast?“
 

Lenas vorsichtige Anfrage wurde nur mit einem Lachen quittiert. Torsten schien sich über die Verwirrung und Verunsicherung seiner kleinen Schwester köstlich zu amüsieren, zumindest hatte Lena diesen Eindruck und der gefiel ihr ganz und gar nicht.
 

„Keine Panik, Lenchen wir sind schon richtig hier und absolut pünktlich.“
 

Wieder grinste der Lutscher fröhlich, er liebte es seine kleine Schwerster ein wenig auf die Folter spannen zu können und er würde jeden Augenblick voll auskosten. Zumindest solange, wie sie ihm nicht den Kopf abreißen würde für das, was er ihr in Bremen noch verschwiegen hatte, denn eine kleine Aufgabe hatte sie hier vorher noch zu erledigen, auch wenn sich Torsten sicher war, dass Lena sie mit Bravour meistern würde.
 

„Und wieso sind deine Kollegen dann noch nicht hier?“
 

„Weil die erst in anderthalb Stunden hier eintreffen müssen.“
 

Misstrauisch wandte Lena ihre volle Aufmerksamkeit auf ihren Bruder, der unter ihrem Blick unwillkürlich ein wenig auf seinen Hacken hin- und her rutsche, ein sicheres Zeichen dafür, dass er nervös war und ihr vermutlich eine schlechte Nachricht zu überbringen hatte. Die Sache musste einfach einen Haken haben.
 

„Und wir sind schon hier, weil-?“
 

Fragend hob Lena ihre Augenbrauen und blickte Torsten fest in die Augen, der immer mehr hin- und herrutschte. Irgendwie schien er ihr die Frage nicht gern zu beantworten.
 

„Weil Jogi, Hansi und Oliver ihre neue Physiotherapeutin vor Beginn des kleinen Trainingslagers noch etwas näher kennen lernen wollten. Ein kleines Vorstellungsgespräch sozusagen, nur mit dem Vorteil, dass du die Stelle bereits sicher hast.“
 

Torsten versuchte die Sache nett zu verpacken um die unvermeidliche Wut seiner Schwester zu dämpfen, doch bereits an ihrem wütenden Gesichtsausdruck konnte er erkennen, dass sein letzter Satz ihr rein gar nichts bedeutet hatte. Sie glaubte seinen Beschönigungen nicht und wenn er ehrlich mit sich war, hatte er das auch gar nicht wirklich erwartet. Trotzdem konnte er seinen grenzenlosen Optimismus, dass Lena sich wunderbar mit dem Trainerteam verstehen würde, nicht dämpfen. Er hatte sie schließlich hier her gebracht, damit sie entspannte, sich erholte und vor allen Dingen Spaß hatte, da konnte er jetzt den kleinen, fringsschen Wutanfall, den Lena gerade innerlich vorzubereiten schien, gar nicht gebrauchen.
 

Noch bevor Lena Gelegenheit hatte ihrem Bruder wegen dieses kleinen Manövers die Leviten zu lesen, traten die Herren Löw, Flick und Bierhoff zu ihnen heran und begrüßten Torsten freundlich mit Handschlag, bevor sie sich Lena zuwandten. Joachim Löw war der erste der drei, der sprach und anfing die üblichen Begrüßungsfloskeln aufzusagen. Dann kam die Reihe an den Co-Trainer ihres Bruders.
 

„Sie müssen dann das Fräulein Lena Frings sein, Torstens kleine Schwester. Wir haben bisher nur das Beste von ihnen gehört, wahre Lobeshymnen auf sie und ihr Können.“
 

Im Grunde genommen kannte Lena Hansi Flick, den Co-Trainer der deutschen Nationalmannschaft, nicht weiter, doch allein mit seiner Begrüßung hatte er es sich erstmal bei ihr verscherzt und bis er sie eines besseren belehren würde, würde sich diese Einstellung auch gewiss nicht ändern. Ja, sie war Torsten Frings’ kleine Schwester, doch sie hatte sich nie über ihren großen, durchaus erfolgreichen Bruder definieren wollen und trotzdem hatten es alle anderen getan. Und sie taten es augenscheinlich immer noch. Deswegen hatte sie dieses gottverdammte Land verlassen und ihren Bruder, auf den sie unheimlich stolz war, vor all ihren Freunden verschwiegen, aber kaum war sie wieder in Deutschland, fing es wieder von vorne an. Dieselbe alte Leier, die Lena nie mehr hatte hören wollen. Scheinbar hatte sich während der acht Jahre ihrer Abwesenheit nichts verändert. Trotz allem versuchte sie freundlich zu bleiben und sich ihren inneren Widerwillen gegen seine Worte nicht anmerken zu lassen.
 

„Mein Bruder neigt zu Übertreibungen.“
 

Mehr antwortete sie nicht, aber Jogi Löw sah sie nur etwas irritiert von der Seite an. Er musterte die kleine Blondine, die auf den ersten Blick kaum Ähnlichkeit mit ihrem großen Bruder aufwies. Außerdem schien sie nicht besonders glücklich zu sein, dass sie jetzt hier stand und mit ihnen plauderte. Sie hatte diesen unwilligen Zug in der Augenpartie, den er bereits von Torsten kannte, wenn er mit gewissen Entscheidungen seinerseits nicht zufrieden war, sich einen Kommentar jedoch verkneifen musste. Auch Oliver Bierhoff schien dieser plötzliche Unwillen aufgefallen zu sein und im Gegensatz zu seinen Kollegen vermutete er auch zu wissen, weswegen Lena so distanziert und einsilbig reagierte. Er folgte seinem Instinkt und wählte die Worte, die ihm gerade einkamen.
 

„Ich bin mir sicher, dass Hansi nicht ihren Bruder meinte. Torsten hat zwar auch von ihrem Talent geschwärmt wie es stolze große Brüder eben so tun, doch überzeugt haben uns Bernd Schneiders Worte über sie und wie wunderbar sie sein Rückenhandicap im Griff haben, was uns diverse andere Spieler glaubhaft bezeugt haben. Diese kleine Wunderheilung hat größeren Eindruck bei den Männern hinterlassen, als sie es sich vielleicht vorstellen können. Sie sind nicht primär hier, weil sie die kleine Schwester unserer Nummer Acht sind, auch wenn manche das vermuten werden, Sie Lena, sind hier, weil sie anscheinend ganz genau wissen, wie man Fußballer behandeln muss. Eine zugegebenermaßen seltene Gabe, die wir unter gar keinen Umständen einfach ungenutzt verstreichen lassen können. Das einzige, was sie ihrem Bruder zu verdanken haben, ist die Gelegenheit, die er für sie geschaffen hat, mehr nicht. Wir wollen Lena Frings, die versierte Physiotherapeutin, und nicht nur Lena Frings, Torstens Frings’ kleine Schwester.“
 

In diesem Moment hätte Lena Oliver Bierhoff am liebsten umarmt, intuitiv hatte der ehemalige Spieler genau die richtigen Worte gefunden, um Lenas widersprüchlichen Gefühle zu beruhigen. Sie hatte hin- und her geschwankt zwischen Wut, Enttäuschung und diesem unbestimmten Drang diesem Flick und allen anderen die Sachen vor die Füße zu schmeißen. Egal, wie Torsten dann reagiert hätte, diese Worte waren der Funken an Lenas Zündschnur gewesen und nun stand sie fast vor der Explosion, bis Oliver Bierhoff sich eingemischt hatte. Sein sanfter, aber sicherer Ton gab ihr das Gefühl, dass er wirklich vollkommen hinter dem stand, was er gerade gesagt hatte und in ihr wirklich eine kompetente Fachkraft sah und nicht nur einen Fall für die Wohlfahrt, dem man sich verpflichtet fühlte, weil sie mit einem der führenden Spieler verwandt war. Woran er erkannt hatte, wie sehr diese unbedachte Aussage Lena getroffen hatte, wusste die junge Frau nicht, sie war sich ja noch nicht einmal sicher, warum es ihn überhaupt kümmerte, aber Lena war ihm trotzdem unheimlich dankbar für diese warmen Worte. Man konnte diesem Mann wahrscheinlich einiges vorwerfen, doch er konnte definitiv mit Menschen umgehen.
 

„Ich wollte sie wirklich nicht beleidigen oder irgendwie ihre fachliche Kompetenz in Zweifel ziehen.“
 

Hansi Flick schien seinen Fauxpas bemerkt zu haben und versuchte nun mit seinen Worten zu retten, was sein Kollege eigentlich schon gerettet hatte, doch trotzdem lächelte Lena ihm freundlich zu und nickte nur. Sie wollte ihrem Bruder und seinen Freunden keine Unannehmlichkeiten bereiten, wo sie sich schon so für sie verbürgt hatten und deswegen schluckte Lena alle bissigen Erwiderungen hinunter. Schließlich konnte der Co-Trainer im Grunde genommen wirklich nichts dafür, dass er sie gerade an einer empfindlichen Stelle getroffen hatte, es war ja keine Absicht gewesen.
 

„Ich habe es auch nicht als Beleidigung oder Zweifel aufgefasst. Ich bin es nur nicht mehr gewohnt, dass mich Menschen zu allererst als Torstens kleine Schwester bezeichnen. Früher kam das durchaus häufiger vor, aber seit ich im Ausland lebe, hat sich das gegeben.“
 

Damit hatte sie wahrscheinlich allen Anwesenden subtil darauf hingewiesen, dass sie sicherlich auch nicht vorhatte sich erneut daran zu gewöhnen und irgendwie konnte Oliver sie verstehen. Oder nein, nicht nur irgendwie, er konnte sie definitiv verstehen. Lena wirkte auf ihn wie eine entschlossene Frau, die ihren eigenen Weg ging und für alles, was sie wollte, selbst hart arbeitete und sich nicht gerne helfen oder gar bevormunden ließ. Sie mochte zwar klein sein und mit ihrem freundlichen Lächeln auf den Lippen harmlos wirken, doch er konnte sich sehr gut vorstellen, dass in ihrer Brust ein Kämpferherz schlug und sich ihre kleinen Hände schneller als gedacht zu einer festen Faust würden schließen können, sollte sie sich oder ihre Lieben bedroht fühlen. Oh ja, diese kleine Frau würde keine Probleme mit den Jungs haben und zur Not war da ja immer noch ihr großer Bruder, der die übereifrigen Kandidaten sicher mit grimmiger Freude zur Raison bringen würde. Aus dieser Richtung drohte ihnen also keine Gefahr und damit war Jogis größte Sorge widerlegt.
 

Unbehellicht von dem schlechten Start begannen die Unterhaltungen nun lockerer und unbeschwerter zu fließen und schon bald konnte Oliver Bierhoff feststellen, dass er sich in Lena nicht getäuscht hatte. Sie hatte scheinbar ein unbewusstes Gespür dafür, wie sie mit praktisch Fremden äußerst angenehme Gespräche zu führen hatte. Immer wieder konnte er sie lächeln, schmunzeln und einmal sogar lachen hören, was die ganze Atmosphäre auflockerte und ihnen das Warten auf die Ankunft der anderen Spieler versüßte. Schleichend war aus dem nervösen, von der Äußerung Flicks verletzten Mädchen wieder eine selbstbewusste, charmante Frau geworden, die keine Komplexe hatte in der Gegenwart vermeintlich wichtiger Menschen ganz ungezwungen zu sein.
 

Verblüffend schnell hatte Oliver herausgefunden, dass Lena nicht nur fließend italienisch sprach, sondern auch noch vier Jahre in Mailand verbracht hatte, der Stadt, in der auch er Ende der Neunziger für den AC Mailand auf Torjagd gegangen war. Begeistert wechselten sie ins italienische, unterhielten sich über Mailands Sehenswürdigkeiten, die kleinen Geheimtipps, die ewige Rivalität zwischen Inter und Milan und noch hundert andere Dinge, so dass ihnen gar nicht bewusst wurde, dass sie damit die anderen von ihrem Gespräch ausschlossen. Es kümmerte sie aber auch nicht wirklich, da sie sich gut alleine unterhielten und auf Einmischung der anderen gut verzichten konnten.
 

Die beiden waren so in ihre Erinnerungen an die Hauptstadt der Lombardei vertieft, dass sie sogar die Ankunft der ersten Münchener Nationalspieler nicht mitbekamen, die sich verwundert fragten, wer wohl die junge Blondine bei Oliver Bierhoff, ihrem Teammanager, sein könnte. Nur Miroslav Klose wusste natürlich, wer sich da so lebhaft unterhielt und war freudig überrascht, dass Lena ihren Bruder sogar bis zur Nationalmannschaft begleitet hatte.
 

„Wer ist denn die kleine Blonde da? Sie sieht nicht so aus, als würde sie zum Hotelpersonal gehören oder? Meinst du, sie ist eine neue Praktikantin, der wir zeigen sollen, wo es in der wirklichen Welt langgeht?“
 

Miro konnte sehen, wie sein blonder Kollege das Wort Praktikantin in Häkchen setzte und dreckig grinste. Es war nicht unbedingt dieses typische, spitzbübische Schweinsteiger-Grinsen, sondern hatte etwas an sich, was ihm sagte, dass er Lena wohl besser vor den möglichen Avancen der Nummer Sieben warnen sollte. Oder aber vor seinem leicht zweideutigem Humor. Er wusste ja, das der Bastian es nicht böse meinte, sonst amüsierten sie sich ja alle über Frauen, die bereit waren alles zu tun, nur um ein bisschen Ruhm und Aufmerksamkeit zu bekommen, doch hier handelte es sich nicht um irgendeine hirnlose Unbekannte, sondern um die Schwester seines ehemaligen Bremer Teamkollegens und deren Ehre wollte Miro natürlich in Schutz nehmen.
 

„Ich glaube kaum, dass du ihr zeigen musst, wo es langgeht, Schweini, das weiß sie schon ganz allein. Sie ist schließlich ein großes Mädchen.“
 

Überrascht sahen Bastian Schweinsteiger, Phillip Lahm und Lukas Podolski zu ihrem Vereinskollegen, dessen Augen immer noch auf Lenas Rücken gerichtet waren und keine ihrer Armbewegungen unbeobachtet ließen.
 

„Miro, kennst du die Kleine etwa schon?“
 

Interessiert sahen die drei Bayern zwischen dem Stürmer und der Blondine hin- und her. Sie waren jetzt wahrscheinlich schon eine viertel Stunde hier und bisher schien die schöne Unbekannte sich kein bisschen für sie zu interessieren, was besonders Bastian Schweinsteiger irritierte, denn ohne eingebildet klingen zu wollen, normalerweise beachteten ihn alle Frauen, ausnahmslos. Nur diese hier nicht. Die schien sich lieber weiter mit ihrem Teammanager zu unterhalten.
 

„Ja, aber wenn dir dein Leben und deine Gesundheit lieb sind, würde ich dir raten sofort damit aufzuhören sie „Kleine“ zu nennen und auch keine anrüchigen Witze über sie zu reißen, das könnte sonst Übel enden.“
 

Damit spielte Miro nicht nur auf Torstens ausgeprägten Beschützerinstinkt an, von dem er selbst durch Michael schon ziemlich viele Geschichten gehört hatte, sondern warnte seinen jungen Kollegen auch gleich einmal vor Lena selbst, denn er hatte sie nicht nur beim Essen der Nationalmannschaft erlebt, sondern erinnerte sich auch noch an andere Begebenheiten, von denen ihm Torsten oder Michael berichtet hatten und da hatte Lena sich immer wunderbar selbst verteidigen können, denn sie besaß einen messerscharfen Verstand und wahrscheinlich eine noch schlagkräftigere Zunge, als die meisten Jungspunde hier normalerweise von einer jungen Frau gewohnt waren.
 

„Wieso?“
 

Der junge Bayer nahm Befehle oder auch freundlich gemeinte Ratschläge, die ihm nicht schmeckten, ungern an. Er war der Meinung, dass er mittlerweile alt genug war um selbst zu entscheiden, was gut und was schlecht für ihn sein würde. Doch meistens ignorierte er sogar die Anweisungen, für die er keine ausreichende Begründung bekam. Aber Miro wollte er wenigstens eine Erklärungschance geben.
 

„Vertrau mir einfach, du wirst es bestimmt noch früh genug erfahren.“
 

Damit wandte sich der ehemalige Bremer von seinen Mitspielern ab und ging auf die gerade neu eingetroffenen Leverkusener, Berliner und Hamburger zu, wobei es sich eher nur um einen Berliner, nämlich Arne Friedrich, und zwei Hamburger, Piotr Trochowski und Marcel Jansen, dafür aber um eine handvoll Leverkusener handelte.
 

Auch jene rätselten über die junge Frau bei Oliver Bierhoff, doch bevor Bernd Schneider die Gelegenheit hatte sie aufzuklären, waren auch die beiden Magneten des Interesses auf den erhöhten Lärmpegel aufmerksam geworden und so beschlossen sie, sich erstmal auch unters Volk zu mischen. Zielsicher steuerte Lena auf Bernd zu und nahm ihn in den Arm, wobei er sich dabei zu ihr herunter beugen musste, damit es überhaupt möglich war.
 

„Bernd, hallo, schön dich so schnell wieder zu sehen. Wie geht es deinem Rücken? Alles entspannt?“
 

Mit besorgtem Gesichtsausdruck musterte Lena einen der ältesten Freunde ihres Bruders und versuchte zu erraten, wie es um seinen Rücken stand. Dass sie dabei die anderen Anwesenden komplett ausblendete, fiel ihr gar nicht weiter auf, so konzentriert war sie auf ihren „Patienten“, der sich scheinbar über ihre Besorgnis freute.
 

„Na ja, entspannt nicht, aber die Schmerzen halten sich derzeit in Grenzen. Du weißt doch, einen alten Bären wie mich haut nichts um, ich bin hart im Nehmen.“
 

Beide lachten und erst eine Hand auf ihrer Schulter ließ Lena herumfahren. Sie blickte in das schmunzelnde Gesicht Miroslav Kloses.
 

„Hey, bekomme ich keine Umarmung?“
 

Miro zog spielerisch eine Schnute, bis Lena sich für ihn auf Zehenspitzen stellte um ihn in eine leichte Umarmung zu ziehen. Das war immer das Problem mit diesen Fußballern: Sie waren so unnormal groß gewachsen und für eine kleine Frau wie sie, war das die Hölle. Lena hatte keine Lust ständig zu irgendjemanden aufzusehen und es war ihr fast schon peinlich, dass selbst ihre „kleinen“ Schützlinge ihr teilweise bereits auf den Kopf spuken konnten. Und dann sollte man zu ihnen als eine Autoritätsperson sprechen, während man sich für sie fast den Hals ausrenkte um ihnen in die Augen sehen zu können. Das widerstrebte ihr einfach, deswegen war sie auch heil froh, dass Lionel kein Riese war und sie sich mit ihm mehr oder weniger bequem auf Augenhöhe unterhalten konnte.
 

Noch bevor einer der anderen Herren mit Worten oder Gesten auf sich aufmerksam machen konnte, ertönte schon eine weiche Stimme in einer fremden Sprache.
 

„Hola Senora, qué tal?“
 

Fröhlich lächelnd drehte Lena sich um und sah in die dunklen Augen des Halbspaniers, mit dem sie sich bereits in Bremen recht gut verstanden hatte. Irgendwie freute es Lena, dass er sich noch an sie erinnerte, wo er doch eigentlich jeden Tag so viele Menschen traf und sie ihm nun wirklich nichts gegeben hatte, weswegen er sich unbedingt an sie erinnern musste.
 

„Muy bien, Senor Gomez. Y tú?“
 

Der Schalk blitzte in seinen Augen und man konnte sehen, dass er sich amüsierte und sichtlich Spaß an dieser bisher doch recht flachen Unterhaltung hatte.
 

„También, jetzt, wo wir uns wieder sehen.“
 

Zuerst wollte Lena dieses kleine Kompliment ignorieren, entschied sich dann jedoch dagegen, immerhin würde sie die nächsten Tage mit den Jungs verbringen und da war es besser ihnen gleich zu zeigen, dass sie ihr durchaus reichlich vorhandener Charme nicht weiter brachte. Sie war zwar bei weitem nicht immun dagegen, aber sie hatte genug Erfahrung, um damit umgehen zu können. Und wer sich nicht abschrecken ließ, der würde ihre scharfe Zunge zu spüren bekommen, aber nicht da, wo er vielleicht gern hätte.
 

„Jetzt wäre es wohl angebracht geschmeichelt in Ohnmacht zu fallen oder wahlweise dir auch hyperventilierend zu Füßen zu sinken, aber das hebe ich mir lieber für später auf, denn ich werde jetzt gebraucht.“
 

Selbstbewusst drehte sie dem Stuttgarter und den anderen den Rücken zu. Bis jetzt, so fand Lena, hatte sie sich erstaunlich gut gehalten, dafür, dass sie innerlich eher einem nervösen, ängstlichen Wrack geähnelt hatte. Sie hatte ein bisschen geplaudert und hoffentlich eindrücklich bewiesen, dass sie weder Ehrfurcht noch Angst vor ihnen verspürte, denn wie bei Tieren war es auch bei Fußballern: Sie durften nicht merken, dass man unsicher war oder gar Angst hatte.
 

Mit hoch erhobenem Kopf ging Lena auf den Trainerstab zu, der sie vermutlich jetzt den anderen Spielern vorstellen wollte, auch wenn noch nicht alle eingetroffen waren. Ein kurzer Blick über die Fußballer sagte ihr, das ausgerechnet die Bremer noch fehlten, was sie kurz ausatmen ließ. Das hieß, dass Per noch nicht da war und darüber war sie insgeheim dankbar, denn vor allen anderen wollte sie ihm nicht begegnen, nicht, nachdem er sich so rührend um sie gekümmert hatte. Sie wollte ihm in Ruhe für sein Einfühlungsvermögen danken und sich für ihren unpassenden Gefühlsausbruch entschuldigen.
 

„So, alle mal herhören, ich denke mal, dass ihr alle schon das neue Gesicht in unseren Reihen bemerkt habt. Und eben dieses neue Gesicht wird sich euch jetzt erstmal vorstellen, auch wenn manche von euch sie schon kennen.“
 

Überrascht sah Lena Jogi an, der sie mit seinen Worten eiskalt erwischt hatte. Sie war nicht darauf vorbereitet sich selbst vorzustellen, sie hatte erwartet, dass Jogi oder Oliver das übernehmen würden und nun stand sie selbst etwas verlegen lächelnd vor einer Horde Fußballer, die sie neugierig musterten.
 

„Ja, also, mein Name ist Lena Frings und ich werde euch während dieses kleinen Aufenthalts hier als Physiotherapeutin zur Verfügung stehen.“
 

Nervös strich Lena sich wieder eine Strähne aus dem Gesicht. Im Grunde genommen hatte sie keine Ahnung, was sie diesen Männern noch erzählen sollte. Was konnten sie schon noch über ihre Physiotherapeutin wissen wollen? Sie hatte doch keine Ahnung. Lena spürte, wie ihre Wangen sich rötenden und sie immer verlegener wurde. Noch bevor sie jedoch rot wie eine Tomate anlaufen konnte, gab sie sich einen imaginären Tritt in den Hintern. Sie musste sich einfach zusammenreißen.
 

„Ich habe in Mailand und Barcelona Psychologie studiert und nebenbei die Ausbildung zur Physiotherapeutin gemacht. Und- ach, bevor ihr zu viel darüber nachgrübelt: Nein, es ist kein Zufall, dass Torsten und ich den gleichen Namen haben und ja, wir sind verwandt. Er ist mein großer Bruder und wird euch sicherlich alle weiteren Fragen über mich beantworten, die ihr euch nicht traut mich persönlich zu fragen.“
 

Damit hatte Lena das freundliche Gelächter der Jungs auf ihrer Seite und sie entspannte sich merklich. Eigentlich waren die Jungs gar nicht so anders als ihr verrückter Haufen in Barcelona, nur eben weniger multikulturell.
 

„Hast du einen Freund?“
 

Die Frage war von einem der jüngeren Spieler gekommen, doch Lena konnte nicht ausmachen, von wem.
 

„Ich glaube nicht, dass das von beruflichem Interesse ist.“
 

Lena spürte leichtes Unbehangen in sich aufsteigen und wünschte sich jetzt am liebsten weit Weg von den vielen neugierigen Augen, die auf ihr ruhten. Doch der Fragende gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden und wandte sich nun an die Nummer Acht der deutschen A-Nationalmannschaft.
 

„Torsten, hat deine kleine Schwester einen festen Freund oder ist sie noch zu haben?“
 

Über die Dreistigkeit des Bastian Schweinsteigers, denn er war es, der die Fragen stellte, konnte Lena sich nur stumm wundern. Als sie jedoch den Gesichtsausdruck ihres Bruders betrachtete, wusste Lena, dass es besser war ihn nicht antworten zu lassen, denn sie war sich sicher, dass die Antwort nicht gerade freundlich ausfallen würde.
 

„Ich glaube kaum, dass Torsten dir diese Frage beantworten wird. Also lass es besser gut sein.“
 

Von Torsten, der neben Michael Ballack stand, kam nur ein zustimmendes Brummen, was jedoch nur sein Freund neben ihm vernehmen konnte.
 

„Warum denn nicht, Lutscher? Sie hat doch gesagt, dass wir dich alles fragen sollen, was wir sie nicht persönlich fragen wollen. Und nun frage ich eben dich.“
 

Penetrant wie er war, gab Bastian sich nicht mit Lenas zugegebenermaßen ausweichender Antwort zufrieden, sondern sah weiterhin Torsten Frings erwartungsvoll an. So, als würde er tatsächlich eine Antwort von dem „Oldie“ erwarten. Wahrscheinlich hatte der junge Mittelfeldakteur keine Ahnung, dass er gerade ein kleines Tänzchen auf einem Vulkan wagte, der kurz vor der Eruption stand.
 

To be continued
 

Tja, was sagt ihr zu Oliver Bierhoff, dem Retter in der Not, und unserem Schweinsteiger, der sich gerade ziemlich in die Scheiße reitet?

Dieses Kapitel ist vergleichsweise lang und irgendwie ziemlich nichts sagend, ich weiß, aber mir ist ehrlich gesagt nichts bessere eingefallen.

Vielleicht habt ihr aber trotzdem etwas gefunden, was für euch kommentierwürdig ist, ich würde mich definitiv freuen… Und es natürlich als Motivation für die kommenden Kapitel nehmen, die definitiv wieder besser werden sollen… Allein schon, weil dann die Bremer ankommen und es noch so ein paar andere Überraschungen gibt… ;)

Elevator

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Vielen lieben dank an: She und Sunny, ihr seid wunderbar… Ohne euch gäbe es diese Story nicht oder sie wäre nicht so, wie sie jetzt ist, tausend dank!
 

Alles im Bremer Co-Kapitän brodelte, immerhin ging es hier nicht um ein dahergelaufenes Möchtegern-Model, mit dem Schweinsteiger sich normalerweise so gerne schmückte, sondern um seine kleine Lena und nur der mahnende Blick eben jener und Michaels Hand auf seiner Schulter hielten ihn davon ab direkt körperlich auf Bastian loszugehen. Nichts hielt ihn jedoch davon ab dem Youngster gehörig seine Meinung zu sagen und ihm zu raten besser seine Finger bei sich zu behalten, wozu er gerade ansetzte, als ein anderer das Wort ergriff.
 

„Bastian, ich glaube die Antwort auf diese Frage wird dich in sportlicher Hinsicht nicht weiter bringen, deswegen lassen wir es besser auf sich beruhen. Und wenn sonst keine ernst zu nehmenden Fragen mehr an Fräulein Frings sind, würde ich vorschlagen, dass jetzt erst einmal jeder sein Zimmer bezieht. Den Rest des Nachmittages habt ihr dann zur freien Verfügung, aber bleibt bitte in der Hotelanlage. Vergnügt euch meinetwegen im Pool oder so, aber erregt nicht ganz so viel Aufsehen.“
 

Bei den letzten Worten blickte der Teammanager Oliver Bierhoff gezielt zu Bastian und Lukas, die dafür bekannt waren in einer unglaublichen Lautstärke innerhalb kürzester Zeit jede Menge durcheinander zu kreieren. Beide grinsten nur unschuldig vor sich hin und irgendwie war Oliver sich sicher, dass sie sich seine Mahnung nur bedingt zu Herzen nehmen würden. Wahrscheinlich nur den teil mit dem Pool, aber nicht dem mit dem wenig Aufsehen erregen. Aber sie waren eben noch jung und übermütig, da würde er bestimmt nicht all zu streng mit ihnen sein, nicht, wenn das auch die älteren der Mannschaft übernehmen konnten und in diesem Augenblick war Bierhoff sich sicher, dass Torsten Frings sich freiwillig melden würde, um sie im Falle eines Falles zu disziplinieren.
 

Mit viel Gemurmel und noch mehr durcheinander machten sich die Spieler der deutschen Nationalmannschaft zuerst auf den Weg zur Rezeption und danach zu den Aufzügen, die sie zu ihren Zimmern bringen sollten.
 

„Lena, welche Zimmernummer hast du?“
 

Eigentlich wusste Torsten bereits, welches Zimmer seine kleine Schwester die nächsten Tage bewohnen würde, aber er wollte sich trotzdem lieber noch einmal vergewissern. Nicht, dass er aus Versehen noch bei einem seiner Kollegen anklopfte, wenn er doch im Grunde genommen nur seine Schwester ärgern wollte.
 

„Ich habe die 118, ein Einzelzimmer, wie mir die Dame an der Rezeption gesagt hat. Alles andere hätte mich auch ehrlich gesagt überrascht.“
 

Ohne auf den Gesichtsausdruck ihres Bruders zu achten stieg Lena in den Fahrstuhl und wartete auf Torsten, der aus ihr unerfindlichen Gründen stehen geblieben war. Bestimmt setzte die kleine Blondine einen Fuß zwischen die Fahrstuhltüren, damit sie sich nicht schlossen, bevor Torsten seinen Hintern hineinbewegt hatte. Doch statt ihres Bruders stand mit einem Mal Michael lächeln neben ihr, den Koffer lässig neben sich abgestellt, während Torsten immer noch wie eine Salzsäule in der Empfangshalle stand.
 

„Kommst du endlich? Ich kann den Aufzug nicht ewig anhalten, andere wollen auch noch.“
 

Langsam riss der Lutscher sich aus seiner Starre und betrat zögerlich den Fahrstuhl, während Michael das erste und zweite Stockwerk anwählte. Ruckartig setzte sich das Gefährt in Bewegung und mit einem leisen „Pling“ öffneten sich die Türen in der ersten Etage bereits wieder.
 

„Torsten, ich muss hier aussteigen, das ist meine Etage.“
 

Immer noch rührte der Bremer sich nicht, sondern blickte nur wie hypnotisiert auf seine Schlüsselkarte. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm, doch nachdem er sie bei Joachim Löw und den anderen ohne Vorwarnung ins kalte Wasser geschubst hatte, interessierten Lena die Macken ihres Bruders im Augenblick herzlich wenig. Ohne weiter auf ihn zu achten versuchte Lena sich aus dem Fahrstuhl zu drängeln, was nicht unbedingt erfolgreich gelang. Erst als Torsten Lenas Koffer in die Kniekehlen bekam, schien er wieder in das Hier und Jetzt zurück zu kehren.
 

„Lena, du musst nicht hier aussteigen, dein Zimmer ist eine Etage weiter. Die Dame an der Rezeption muss einen Fehler gemacht haben. Du solltest die 223 haben und nicht die 118. Da liegt ein Missverständnis vor.“
 

Erstaunt sah Lena ihren Bruder an. Was faselte er da für einen Unsinn von wegen Fehler und Missverständnis? Es hatte sich doch keiner beschwert und da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Torsten hatte scheinbar nicht nur ihren Aufenthalt hier bewerkstelligt, sondern das ganze auch von langer Hand geplant, wenn er ihr sogar vorzeitig das Zimmer direkt neben ihm reserviert hatte.
 

„Torsten, du willst mir doch wohl nicht erzählen, dass du mir extra das Zimmer neben deiner geliebten 22 geben wolltest, oder? Nur, damit du mich besser überwachen kannst?“
 

Betreten schaute der Lutscher auf seine Füße, die ihm mit einem Mal brennend interessierten, denn in die Augen seiner kleinen Schwester wollte er jetzt lieber nicht blicken, denn sie konnte manchmal ziemlich mörderisch daherschauen. Eigentlich hätte Lena niemals herausfinden sollen, dass sie absichtlich das Zimmer neben Torsten bekommen hatte, es hatte wie ein Zufall ausschauen sollen, aber irgendwer hatte anscheinend geschlampt und nun stand Torsten wieder einmal als der böse, viel zu beschützerische große Bruder da, der seine Schwester nicht aus seiner Nähe entweichen lassen wollte. Was er im Grunde genommen ja auch nicht wollte, aber das musste er ja nicht so offensichtlich zeigen.
 

„Ich will dich nicht überwachen, Kleines, das weißt du doch, ich dachte nur einfach, dass es für alle besser wäre, wenn du das Zimmer neben mir bekommst. Du weißt doch, das ist alles nicht so einfach, du warst so lange weg und jetzt will ich dich eben nicht ehr hergeben.“
 

Torsten war unheimlich dankbar, dass sich niemand außer er selbst, Lena und natürlich Michael im Fahrstuhl beziehungsweise auf dem Flur befanden, denn sonst wären ihm diese Worte vermutlich bei weitem nicht so leicht von den Lippen gekommen wie jetzt, wo ihn nur noch sein langjähriger Freund und eben seine geliebte kleine Schwester zuhörten. Ja, er hatte Angst sie wieder zu verlieren, Angst, dass Lena wieder für so lange Zeit aus seinem Leben und dem seiner Kinder verschwinden würde. Das wäre grausam, er und auch Petra und die Kleinen hatten sich schon so an Lenas Anwesenheit im fringsschen Haushalt gewöhnt, er selbst konnte sich sein Zuhause ja schon nicht mehr ohne sie vorstellen. Lena durfte nicht schon wieder flüchten, davor hatte er Angst. Oder dass sie gar aus irgendwelchen Gründen wieder so traurig werden würde, wie vor einiger Zeit, als er sie vollkommen kraft- und hoffnungslos am Fenster hatte stehen sehen. Früher hatte er immer alles wieder gut machen können, sie war zu ihm unter die Bettdecke gekrochen, wenn es ihr nicht gut ging, sie Sorgen hatte oder gar traurig war und auch wenn diese Zeiten vielleicht vorbei waren, in denen sie zusammen in einem bett lagen und alle Probleme „wegkuschelten“, so wollte er sie jetzt doch wenigstens nur einen Raum weiter wissen, damit er für sie da sein konnte, wenn sie ihn brauchte. Torsten wollte Lena nicht noch einmal im Stich lassen!
 

All diese Gedanken schienen sich für Lena offensichtlich im Gesicht des Fringsers abzuspielen, denn statt ihn weiterhin empört und leicht wütend anzufunkeln, fiel sie ihm stürmisch um den Hals und ließ ihn für eine volle Minute nicht mehr gehen. Michael beobachtete das Geschwisterpaar leicht verwirrt, aber lächelnd, denn für ihn gehörten die beiden einfach zusammen.
 

„Ich habe dich lieb Torsten.“
 

Michael konnte das Gesicht seines Freundes zwar nicht sehen, doch er war sich ganz sicher, dass Torsten die Augen geschlossen hatte und Lenas Worte gierig in sich aufsog, so wie ein Verdurstender, dem man Wasser bot. Seine Umarmung hatte sich gefestigt, ganz vorsichtig strichen seine großen Hände über Lenas schmalen Rücken und irgendwie hatte Michael Ballack das Gefühl, dass der sonst so harte Hund Torsten Frings nur schwerlich die Tränen der Rührung und der Liebe zurückhalten konnte.
 

„Wirst du die Zimmer tauschen?“
 

Es waren nur geflüsterte Worte, doch jeder im Fahrstuhl hatte sie ganz genau verstanden. Langsam lösten sich die Geschwister voneinander und Torsten blickte seine kleine Schwester hoffnungsvoll an, die jetzt jedoch nur leicht verwegen grinste, ihm einen Kuss gab und fröhlich lächelte.
 

„Nein, ich bleibe, wo ich bin, Großer. Keine Diskussion.“
 

Ein letztes Mal winkte Lena ihnen zu, bevor sich die Aufzugtüren endlich schlossen und sie selbst sich auf den Weg zu ihrem Zimmer machte. Sie war gespannt, wer von der Nationalmannschaft wohl noch auf diesem Flur nächtigen würde oder ob diese Zimmer für den Trainerstab und die Betreuer reserviert waren. Ruhiger würde es wahrscheinlich alle mal werden, wenn der Trainerstab und die Betreuer ihre Nachbarn waren, doch irgendwie wünschte Lena sich keine Ruhe, sondern Ablenkung. Sie wollte nicht ständig nachdenken oder durch irgendetwas an ihre ziemlich verzwickte Situation erinnert werden, Lena wollte einfach ein paar tage Abstand gewinnen, diesmal nicht nur von Barcelona, sondern auch von Bremen und seinen Bewohnern, die manchmal sehr verwirrend sein konnten.
 

Ruhig zog sie die Schlüsselkarte durch den vorgesehen Schlitz und betrat zum ersten Mal ihr neues Reich für die nächsten paar Tage. Der Raum an sich war hell und komfortabel eingerichtet: Ein durchschnittlich großes Bett beherrschte den Raum, davor stand ein mittelgroßer Fernseher und daneben zwei jeweils bequem aussehende Hocker und ein kleiner Tisch. An der Seite bot ein großer Schrank genügen platz für ihre Kleidung und diverse andere Kleinigkeiten, auf die Lena nicht hatte verzichten können. Auch das Badezimmer gefiel der jungen Deutschen, es war nicht übermäßig groß, aber geräumig und besaß neben der obligatorischen Toilette und einer große Badewanne, die man zur Dusche umfunktionieren konnte, auch eine einladende Spiegelfront, vor der man sich sicherlich perfekt für ein date fertig machen konnte. Nicht, dass Lena dies vorhatte, aber trotzdem fiel es ihr auf. Dem Vergleich mit den anderen Hotels, die sie mit den Spielern des FC Barcelona bewohnt hatte, hielt das Münchener Hotel problemlos stand.
 

Auf dem Flur hörte Lena lautes Gepolter und Fluchen, doch um nicht all zu neugierig zu erscheinen verkniff sie es sich dir Tür zu öffnen und nach draußen zu schauen, wer diesen Lärm verursachte. Auch wenn sie nicht immer das beste Verhältnis zu ihren Eltern gehabt hatte, so hatten sie ihr doch Manieren beigebracht und in neun von zehn Situation hörte Lena auch auf ihre innere Stimme, die ihr leise „Anstand“ ins Ohr flüsterte. Sie würde sicherlich noch früh genug erfahren, wer mit ihr diesen Flur bewohnte und so machte sich Lena zuerst einmal ans Auspacken.
 

Irgendwann legte sich auch der Lärm draußen und die Wahl-Spanierin beschloss sich nun den Balkon anzusehen, dessen Tür sie bereits hinter einer dezenten Gardine hatte erahnen können. Eine leichte, warme Brise umhüllte Lena, als sie an die frische Lauft hinaus trat und den Blick schweifen lies. Viel zu sehen gab es nicht, immerhin war es ein Stadt-Hotel, aber immerhin gab es einen netten kleinen hoteleigenen Park, den sie unbedingt während ihres Aufenthaltes hier noch näher ins Visier nehmen wollte. Von ihren „Nachbarn“ schien es noch keinen auf den Balkon getrieben zu haben, denn soweit Lena sehen konnte, waren die Vorhänge noch fest zugezogen.
 

Einen Augenblick überlegte Lena einfach so wie sie war das Hotel zu erkunden, entschied sich aber doch dafür, sich erst einmal etwas lockereres, weniger förmliches anzuziehen. Immerhin war sie hier unter Sportlern, nicht auf einer Modemesse. Vor allen Dingen wollte sie aber aus diesen hochhackigen Biestern raus, die irgendein sadistischer Mann erfunden und „Schuhe“ genannt hatte, wobei Lena mit diesem Begriff nicht zufrieden war, für sie passten der Ausdruck „Folterwerkzeug“ besser. Aber da sie irgendwie schon immer eine kleine Frau im Kreise großer Männer gewesen war, hatte sie sich mit der Zeit daran gewöhnt hohe Absätze tragen zu müssen und dank Adrianas Hilfe sah sie dabei auch nicht mehr so aus, als könnte sie jeder Zeit das Gleichgewicht verlieren und Filmreif irgendwohin stürzen. Trotzdem würden sie und High Heels wohl nie besonders dicke Freunde werden, auch wenn es Lena jedes Mal äußerst positiv überraschte, was für eine grade Haltung und was für einen tollen Hintern sie hatte, wenn sie solche Schuhe spazieren führte.
 

Mit bequemeren, aber nicht weniger eleganten Ballerinas machte sie sich auf den Weg um das Hotel zu erkunden. Schnell hatte sie den Wellenessbereich und auch die Konferenzräume gefunden, wichtige orte, an denen sie in den kommenden Tagen wohl vorwiegen anzutreffen sein würde, so wie sie ihren Bruder verstanden hatte. Gut gelaunt schlenderte Lena nun in der Nähe des Poolbereichs entlang, wo sich, wie nicht anders zu erwarten war, fast alle jüngeren Nationalspieler aufhielten. Einige, unter ihnen auch Schweini und Poldi, tobten lautstark im Wasser herum ohne auch nur einen Gedanken an Oliver Bierhoff und seine Mahnung zu verschwenden. Andere hingegen hatten es sich auf den Liegen bequem gemacht und sonnten sich in der Münchner Septembersonne, die dies ausnahmsweise wunderbar zuließ. Eigentlich hatte Lena unbemerkt wieder verschwinden wollen, als sie auch schon ein lauter Schrei zusammenzucken ließ.
 

„Lena, da bist du ja, wir haben schon alle ganz sehnsüchtig auf dich gewartet!“
 

Ohne überhaupt einen Gedanken an die Förmlich- und Höflichkeit zu verschwenden duzte der junge Bayern-Spieler die kleine Schwester seines Kollegen erneut. Bereits in der Empfangshalle hatte er sich dieses Privileg herausgenommen und es sah auch nicht so aus, als würde Bastian sich demnächst noch auf seine guten Manieren besinnen und auf die Einladung zum „Du“ warten.
 

Bei Bastians Worten waren so gut wie alle Köpfe hochgeschossen und wieder einmal wurde sie neugierig von allen Anwesenden gemustert. Sie hatten sie zwar bereits vor etwas über einer Stunde gesehen, doch die Faszination des Neuen war noch nicht verschwunden und so fügte Lena sich ergeben ihrem Schicksal, als Bastian sie enthusiastisch herüber winkte.
 

„Schön, dass du da bist. Und damit du hinter deinem Bruder auch schön erzählen kannst, wer dich im Wasser unsittlich berührt hat, stelle ich sie dir alle mal der Reihe nach vor.“
 

Lena konnte einfach nicht anders als zu lächeln: Dieser Kerl war einfach zu komisch mit seiner ganzen Art und seinem spitzbübischen Grinsen.
 

„Ich habe nicht vor schwimmen zu gehen, Bastian.“
 

„Das werden wir noch sehen, das werden wir noch sehen. Aber nun erstmal ganz langsam. Wie du schon weißt bin ich der Bastian und das hier neben mir ist der Lukas, auch Poldi gennant.“
 

Skeptisch zog Lena die Augenbrauen hoch. Sie kannte diesen verrückten Haufen, immerhin lebte sie ja nicht auf den Mond. Und selbst wenn, Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger waren wahrscheinlich sogar dem Mann im Mond ein Begriff, so wie sie von den Medien propagiert wurden.
 

„Nun schau mal nicht so, sondern lerne. Das da im Wasser mit den Schwimmnudeln sind René, Stefan, Simon und Patrick, die Fraktion aus Chemiehausen, wobei da dann noch der Bernd fehlt, aber den kennst du ja schon. In der gegnerischen Ecke befinden sich Phillip, Piotr, Marcel und natürlich Clemens, aber den wirst du wahrscheinlich auch schon durch Torsten kennen. Im Augenblick fehlen noch Tim zum Quadrat und natürlich die Stuttgarter Fraktion, aber wie ich sehe ist die gerade im Anmarsch.“
 

Wieder gestikulierte Schweini wild herum und als Lena sich umdrehte erkannte sie Sedar und Mario mit einem dritten, ihr bisher offiziell noch unbekannten Mann im Schlepptau, alle bereits in Badeshorts und mit breitem Grinsen auf dem Gesicht. Einen Moment musste Lena nachdenken, bis sie dem jungen Mann jedoch auch den passenden Namen Thomas Hitzelsberger zuordnen konnte. Bevor die junge Frings die Neuankömmlinge jedoch ordentlich begrüßen konnte, fuhr Bastian mit seiner Begrüßungstour schon fort.
 

„Keine Zeit für Nettigkeiten, der Kader ist groß. Auf den Liegen hätten wir dann sogar noch Arne und Per im Angebot, wobei du unseren Merte sicherlich auch schon näher kennen gelernt hast.“
 

Bei diesen Worten, die von den Anwesenden nur Per und Lena persönlich wirklich zweideutig verstehen konnten, wurden sie beide leicht rot, was jedoch zum außerordentlichen Glück der beiden nicht weiter bemerkt wurde. Selbst Clemens achtete nicht auf die Gesichtsfarbe seines Teamkollegens, sondern beobachtete nur Lena, die unsicher lächelte. Was konnten sie auch dafür, wenn Schweini ausnahmsweise ein so gutes Gespür für Worte zeigte.
 

„Wenn du immer noch Probleme mit den Namen hast, werde ich sie dir heute Abend gerne noch mal erklären und mit dir üben, gar kein Problem, vielleicht so gegen zehn auf meinem Zimmer?“
 

Schweinsteiger grinste sie schelmisch an und jeder verstand wohl, dass er mit der jungen Psychologin sicherlich keine Namen lernen wollte, außer vielleicht seinen eigenen, wenn sie ihn voll Sehnsucht schrie.
 

„Dieses „Angebot“ ist ja wirklich nett gemeint, aber einen Teil des Teams habe ich schon beim letzten Essen der Nationalelf in Bremen kennen gelernt und den Rest kennt man aus der Zeitung und dem Fernsehen. Ich glaube nicht, dass wir da noch eine extra Trainingssitzung abhalten müssen.“
 

„Nett ist die kleine Schwester von scheiße!“
 

Gespielt beleidigt drehte sich der Bayernakteur von Lena weg und zog eine Schnute. Auch Lena konnte sich ein kleines Lächeln auf Grund der Erwiderung nicht verkneifen und tätschelte dem schmollenden Schweinsteiger leicht die entblößte Schulter. Das schien ihn ein wenig zu besänftigen, so dass er sich wieder zu Lena umdrehte und sie aus großen, treudoofen Augen bettelnd ansah.
 

„Meinst du wirklich, dass du das alles so schnell mitbekommen hast?“
 

„Ja, du weißt doch, im Gegensatz zu Männern lernen wir Frauen sehr schnell und sind sogar Multitasking fähig. Eindeutig die Gewinner der Evolution.“
 

Auch wenn sie von einem Haufen Männer umgeben war, konnte sie sich diese kleine Neckerei nicht verkneifen. Und was brachte das vermeintlich starke Geschlecht eher in Aufruhr, als so eine kleine Provokation und die Anspielung auf ihre Unfähigkeit mehrere Dinge gleichzeitig zu tun.
 

„Wir Männer haben immerhin das Feuer erfunden.“
 

Jetzt war es Clemens, der sie herausfordernd ansah. Problemlos hatte er sich aus dem Becken gehieft und stand nun tropfnass mit nichts weiter als einer Badeshorts vor Lena. Wasserperlen liefen langsam an seinem zugegebenermaßen wohlgeformten Körper hinunter und Lena musste sich stark zusammen reißen um ich nicht gerade heraus anzustarren. Irgendwie hatte es sie nicht gestört, als die anderen so vor ihr gestanden hatten, dabei waren sie ebenfalls gestandene Männer und sahen verdammt gut aus oben ohne, aber bei Clemens Fritz störte es sie gewaltig.
 

Clemens war sich ganz sicher, dass Lena auf dieses Argument keine Erwiderung hatte. Immerhin war das ein unbestrittenes Faktum, das nicht widerlegt oder gar ins lächerliche gezogen werden konnte. Doch da hatte kannte er Lena Frings schlecht.
 

„Ja, da magst du recht haben, Clemens, ihr Männer habt das Feuer erfunden, bravo.“
 

Lena hob die Hände und klatschte ein zwei Mal, doch an ihrem Gesichtsausdruck konnte man erkennen, dass sie noch nicht alles zu diesem Thema gesagt hatte, was sie sagen wollte und so fuhr sie nach einer kurzen Kunstpause fort:
 

„Aber wir Frauen wissen dafür, wie man mit ihm spielt.“
 

Ein wissendes Lächeln zierte Lenas Lippen und ihren Blick. Zwar mochte Clemens’ Aussehen sie zwischenzeitlich ein wenig verwirren, doch von einem Fußballer hatte sie sich bisher noch nie die Butter vom Brot nehmen lassen und ihr waren schon einige begegnet, die es versucht hatten. Und gerade jetzt würde sie nicht damit anfangen und nachgeben. Schon gar nicht bei einem Clemens Fritz, der mittlerweile selbst lachte und dabei ein gefährliches Glitzern in den Augen hatte.
 

Eines war klar, das letzte Wort war in dieser Beziehung noch nicht gesprochen.
 

To be continued
 

Nach langer Abwesenheit bin ich endlich wieder zurück mit einem neuen Kapitel, wie fandet ihr es?

Es war eigentlich nie geplant Torsten im Aufzug so emotional werden zu lassen, aber ich konnte irgendwie nicht anders… Er ist eben doch ein ganz, ganz lieber Kerl und tut das alles nur, damit es seiner kleinen Lena gut geht…

Was haltet ihr von Schweini und seinen „Angeboten“ und natürlich seiner großen Klappe?

Und von dem kleinen Wortgefecht zwischen Clemens und Lena? Stimmt es, was Lena über die Frauen und das Feuer gesagt hat? Und welche Erwiderungen denkt Clemens sich jetzt wohl aus? Das wird natürlich so weitergehen… Wenn Per nicht wieder mal seine Rüstung aus dem Schrank holt und der Prinzessin in Not zu Hilfe eilt… ;)

Herr Fritz ist eben kein Kuscheltier

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Die lange Wartezeit tut mir aufrichtig Leid, aber irgendwie bin ich nicht dazu gekommen ein neues Kapitel zu schreiben.
 

Trotzdem vielen Dank an meine treuen Reviewer Sunny und She.
 


 

Die jungen Fußballer konnten gar nicht mehr mit dem Lachen aufhören, so sehr amüsierte sie Lenas treffende Erwiderung. Ihnen war irgendwie schon klar gewesen, dass die kleine Schwester des Lutschers „anders“ sein würde, aber dass sie so war, damit hatte keiner von ihnen gerechnet. Zumindest keiner außer Per und Clemens, die in Bremen bereits einen kleinen Vorgeschmack von Lenas spitzer Zunge bekommen hatten.
 

„Meine Güte Lena, ich glaube wir beide werden noch sehr viel Spaß miteinander haben, wenn du Clemens weiterhin so charmant abservierst. Aus uns kann wirklich noch was werden.“
 

Besitzergreifend legte Bastian einen Arm um die junge Blondine und zog sie an seinen immer noch tropfenden Körper. Sein Grinsen war breit und ähnelte dem einer Katze, die gerade einen Vogel gefangen und verspeist hatte. Noch bevor er jedoch noch etwas sagen konnte, hatte Lena sich schon wieder aus seinen Armen befreit und sah ihn böse an.
 

„Iiii, Mensch Bastian, du machst mich ja ganz nass.“
 

Erst als Lena die Worte ausgesprochen hatte, bemerkte die Wahl-Spanierin, wie zweideutig man ihre Aussage auffassen konnte, wenn man ein bisschen fehlgeleitete Fantasie oder zu viel Testosteron im Blut hatte. Warum hatte sie auch nicht daran gedacht, dass man im Kreise einer Horde Fußballer mit seinen Worten vorsichtiger sein musste als unter „normalen“ Menschen. Ein kurzer Blick in die grinsenden Gesichter der Spieler sagte ihr nämlich, dass die es natürlich mal wieder genau so aufgefasst hatten, wie es nicht gemeint war.
 

Einen Moment lag ihr Blick auf Per, dem blonden, gebürtigen Hannoveraner, der sie nicht ansah, sondern seinen Kopf gesenkt hielt und auf seine Füße starrte, als gäbe es nichts Spannenderes auf der Welt. Nur seine Hände bewegten sich auf seinen Oberschenkeln auf und ab und verkrampften sich hin- und wieder, fast so, als müsste er sich körperlich zurückhalten etwas Bestimmtes zu tun oder zu sagen.
 

Lena war so damit beschäftigt Per zu beobachten und sich über sein seltsames Verhalten Gedanken zu machen, dass sie gar nicht mitbekam, wie Bastian sie erneut ansprach. Ein wenig verwirrt sah sie zu ihm hoch und verfluchte sich zum ersten Mal heute, dass sie auf ihre unbequemen High-Heels verzichtet hatte, die wenigstens ihren Größenunterschied ein wenig relativiert hätten, denn wenn es etwas gab, was Lena nicht ausstehen konnte, dann war es zu Menschen aufsehen zu müssen. Schweinsteiger schien jedoch von ihren Gedanken nichts zu ahnen und fragte so noch einmal laut und für alle vernehmbar:
 

„Na, wenn ich dich nun schon so nass gemacht habe, sollten wir dann nicht unserer Gesundheit zuliebe hoch auf mein Zimmer gehen und aus diesen nassen Kleidern steigen?“
 

Demonstrativ hob Schweini mehr oder weniger verführerisch die Augenbrauen und lächelte dabei, wobei man ihm ansah, dass er sich ein leichtes Lachen kaum verkneifen konnte. Lena wusste, dass er seinen Spaß hatte und auch wenn es auf ihre Kosten ging, störte es sie nicht so sehr, wie sie vielleicht erwartet hätte. Es war ihr lieber, dass die Jungs mit ihr scherzten und sie in ihrer Mitte herzlich aufnahmen, als wenn sie nur über sie reden würden und sie nur als kleine Schwester des Lutschers ansahen, die nicht wegen ihrer Leistung, sondern wegen ihrer Beziehung zum Mittelfeldspieler da war. Was ja irgendwie auch so war, aber daran wollte Lena in diesem Augenblick nicht denken. Außerdem gefiel ihr diese lockere Atmosphäre, die leicht anrüchigen Witze und die vielen kleinen Neckereien, das erinnerte sie an Zuhause, an Barcelona und die wunderbare Zeit, die sie zusammen mit „ihren“ Jungs dort gehabt hatte. Sie hatten gelacht, gescherzt und auch geflirtet was das Zeug hielt, jedoch selten wirklich ernsthaft.
 

Jetzt war sie aber nicht in Barcelona mit Andres, Carles, Lionel und Bojan, wie Lena sich streng ins Gedächtnis rief, sondern in München mit Bastian, Clemens und Per, die all ihre Aufmerksamkeit forderten. Bei diesen Jungs durfte man nicht einen Moment unaufmerksam sein, sonst würde es wahrscheinlich böse enden.
 

Noch bevor Lena diesen Gedanken jedoch zu ende hatte denken können, hatte Clemens ihre geistige Abwesenheit genutzt und sie mit Schwung auf den Arm genommen. Eine Hand hatte er unter ihre Beine geschoben, die andere hielt sie am Rücken fest. Reflexartig schlang die junge Frau ihre Arme um Clemens’ Hals um nicht den Halt zu verlieren oder gar zu fallen und klammerte sich mit fest geschlossenen Augen an den jungen Außenverteidiger, der sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Ihre warmen Hände fühlten sich wie erwartet gut an auf seiner nackten Haut und am liebsten hätte der Erfurter Lena wahrscheinlich gar nicht mehr losgelassen, doch nach der ersten Schrecksekunde begann Lena wie wild zu strampeln, als sie realisierte, an wen sie sich da so festgeklammert hatte.
 

Mit drei langen Schritten stand Clemens am Beckenrand, neugierig beäugt von dem Rest der Truppe, der gespannt darauf wartete, was nun gleich geschehen würde. Sie hatten Lenas spontane Klammerreaktion und auch ihre darauf folgende Gegenwehr gesehen und Clemens’ fröhliches Lächeln ließ nichts Gutes für die junge Frings erahnen.
 

„Ich warne dich, wenn du mich ins Wasser fallen lässt, dann-“
 

Noch bevor Lena ihre Drohung zu ende aussprechen konnte, hatte Clemens den letzten Schritt getan und war mit ihr auf dem Arm ins Becken gesprungen.
 

Prustend und pitschnass tauchte Lena wieder auf. Ihre Haare hingen ihr im Gesicht und die junge Frau brauchte einen Augenblick, bis sie wieder etwas sehen konnte, doch das, was sie sah, freute sie nicht: Alle Jungs hielten sich die Bäuche vor lachen und selbst Per, der mittlerweile aufgehört hatte seine Füße anzustarren, lächelte leicht verlegen, als er ihren blick bemerkte.
 

„Schön dass ihr eure Spaß habt und euch amüsiert.“
 

Mit aufgesetztem Schmollmund drehte Lena sich von ihnen weg, jedoch nicht um tatsächlich die beleidigte Leberwurst zu spielen, sondern weil sie sich ein lautes Lachen stark verkneifen musste. Sie wollte keinem, schon gar nicht Clemens, zeigen, dass sie diese Aktion im Grunde genommen ganz lustig fand. Gut, vielleicht nicht die nassen Schuhe, aber das würde alles wieder trocknen. Diese jugendliche Ausgelassenheit steckte an und machte irgendwie- fröhlich. Ja, fröhlich und ausgelassen, fast sorgenfrei, so fühlte Lena sich im Augenblick und das letzte Mal, dass sie sich so hatte fühlen dürfen, war schon sehr, sehr lange her. Wie oft hatten Lionel und Bojan sie gegen ihren willen in voller Montur baden geschickt? Wahrscheinlich hunderte Male in allen Hotelpools dieser Welt, von den vielen unfreiwilligen Badeeinheiten im Mittelmeer ganz zu schweigen. So waren Jungs einfach: Sie wurden sieben und danach wuchsen sie nur noch. Aber erwachsen werden würden sie wohl nie.
 

„Tut mir Leid, Lena, aber die Gelegenheit war einfach zu verführerisch. Außerdem darfst du mir gar nicht böse sein, denn du hast nur gesagt, dass ich dich nicht reinschmeißen soll.“
 

Überrascht drehte Lena sich um und sah Clemens ins Gesicht, der wieder näher an sie heran geschwommen war, nachdem er vorher zu seiner eigenen Sicherheit auf Abstand gegangen war, um ihrer Wut und wahrscheinlich einer weiteren Ohrfeige zu entgehen. Mit einer Entschuldigung von ihm hatte sie nicht gerechnet, auch wenn sie seine Worte ein wenig widersinnig fand. Immerhin stand sie ja jetzt doch im Wasser und davor hatte sie ihn gewarnt.
 

„Tja Clemens, ich bin aber im Wasser, also habe ich jedes Recht böse auf dich zu sein, denn ich habe dir gesagt, dass du-“
 

Schelmisch grinsend unterbrach der gebürtige Erfurter in Diensten Werder Bremens die junge Psychologin.
 

„Moment, du hast mir gesagt, dass ich dich nicht reinschmeißen soll und das habe ich nicht getan: Ich bin MIT dir rein gesprungen, aber ich habe dich nicht ins Wasser geworfen.“
 

Ein unnatürlich breites Grinsen zierte sein Gesicht und Lena war sich fast sicher, dass, wenn Clemens keine Ohren gehabt hätte, er sicherlich einmal im Kreis gegrinst hätte, so sehr freute er sich darüber, dass er sich bei Lena für ihre Bemerkung über das Feuer hatte revanchieren können.
 

„Ok, ich gebe mich geschlagen, ich bin nicht böse auf dich. Aber ich warne dich: Noch mal und du kommst nicht so glimpflich davon, denn diese Aktion war ganz schön fies.“
 

„Tja, Herr Fritz ist eben kein Kuscheltier…“
 

Wenn Lena sich nicht sicher gewesen wäre, dass Clemens nichts von ihrem zufälligen Treffen mit Per und Lenas neuesten Errungenschaft, ihrer Stoffgirraffe namens Per, wusste, dann hätte sie seinen Kommentar eindeutig darauf gemünzt. Aber irgendwie war die Blondine sich sehr sicher, dass Per niemanden etwas von ihrem Treffen und ihren Gesprächen erzählt hatte, noch nicht einmal seinem Freund Clemens. Die Freundschaft der beiden, von der sie erst durch Torsten etwas erfahren hatte, faszinierte sie immer noch, denn im Grunde genommen waren die beiden Männer, was sie so bisher erlebt hatte, komplett unterschiedlich. So wie Tag und Nacht. Ebbe und Flut. Clemens, der lockere Sunnyboy, dem die Frauen nur so zu Füßen lagen und der selbstsicher mit allem, was nicht bei drei auf den Bäumen war, flirtete und auf der anderen Seite der ruhig Per, der seine Zeit brauchte, bis er auftaute und der sehr viel nachzudenken schien. Sie waren sich wirklich nicht sehr ähnlich und trotzdem schienen sie sich blendend zu verstehen. Vielleicht gerade deswegen.
 

Es waren schließlich René Adlers Worte, die sie aus ihren Gedanken über die Freundschaft zwischen Per und Clemens wieder zurück in die Wirklichkeit rissen.
 

„Nein, ich glaube kuscheln ist das Letzte, was du mit einer Frau machen würdest, nicht wahr, Clemens?“
 

Das allgemeine Gelächter der Jungs ließ Lena darauf schließen, dass Clemens Ruf als Macho und Frauenheld augenscheinlich auch in der Nationalmannschaft hinreichend bekannt war. Eigentlich verwunderte sie das auch nicht weiter, immerhin waren Fußballer auch nur Männer und auch wenn sie es ungern zugaben: Männer tratschten genauso viel wie Frauen, wenn nicht sogar noch mehr. Klar, sie telefonierten vielleicht nicht stundenlang mit dem besten Freund, gingen vermutlich selten gemeinsam shoppen, aber auf ihre eigene Art und Weise lästerten und quatschten sie genauso gern wie das vermeintlich „schwächere“ Geschlecht. Da machten ihre diversen Eroberungen als Gesprächsthema sicherlich keine Ausnahme, wahrscheinlich interessierten sie sich gerade dafür. Zumindest hatten manche ihrer Jungs in Barcelona nicht davor zurückgeschreckt und sorglos darüber geplaudert, mit welcher Frau sie wann im Bett gewesen waren. Lena fand solch ein Verhalten geschmack- und niveaulos, es zeigte nur, wie wenig Respekt manche Männer vor den Frauen hatten, mit denen sie schliefen, für sie waren sie nichts Besonderes, nur ein Mittel zum Zweck. Durch solche Männer bekamen alle Fußballer einen denkbar schlechten Ruf, wenn es um richtige Beziehungen und echte Treue ging. Zum Glück hatten weder Andres, noch Carles und schon gar nicht Lionel jemals mit ihren Eroberungen angegeben. Sie waren Gentleman gewesen, hatten genossen und geschwiegen, etwas, wofür Lena ihnen überaus dankbar gewesen war.
 

Mühsam und schwerfällig bewegte Lena sich durchs Wasser und hievte sich in den nassen Klamotten wieder an Land. Leicht genervt zog sie ihre Ballerinas aus und goss das Wasser, das sich in ihnen gesammelt hatte, in den Abfluss am Beckenrand. Tropfnass vorne übergebeugt stand sie da und wartete, bis auch der letzte Tropfen aus ihren Schuhen geflossen war. Sie spürte die Augen der anderen auf sich, sagte jedoch nichts. Als sie sich erhob spürte sie einen warmen Körper ein klein wenig zu nahm hinter sich und drehte sich um. Wieder stieß sie beinah mit ihm zusammen und sowohl Per als auch Lena hatten ein Déjà-Vue Erlebnis, denn genau so hatte sich Lena auch auf dem Werder Parkplatz zu ihm umgedreht. Diesmal jedoch musste sie nicht nachfragen, ob es auch wirklich Per war, dieses sanfte Lächeln erkannte sie mittlerweile wahrscheinlich unter hunderten, so oft, wie es sich bereits heimlich in ihre Träume gestohlen hatte.
 

„Hier, ein Handtuch. Ich hoffe es macht dir nichts aus, dass es schon benutzt ist.“
 

Mit ausgestreckter Hand hielt er ihr sein Badetuch hin und lächelnd nahm Lena es entgegen um sich zumindest das Gesicht, die Arme und die Beine abzutrocknen.
 

„Du konntest ja nicht wissen, dass ich eins brauchen könnte.“
 

„Nein.“
 

Sowohl Lena als auch Per waren sich bewusst, wie seltsam und verkrampft dieses Gespräch war. Und vor allen Dingen wie sinnlos ihre Worte waren. Doch keiner der beiden war in diesem Augenblick fähig sinnvolle, interessante Worte aneinander zu reihen, dabei hatten sie sich doch am Flughafen und auch im fringsschen Wohnzimmer so prächtig unterhalten. Das alles schien jetzt wie weggeblasen und sie standen voreinander wie völlig verschüchterte Teenager, die sich nicht trauten ihren Schwarm anzusprechen. Letztendlich war es Per, der all seinen Mut zusammen nahm und Lena direkt ansprach.
 

„Komm, setz dich doch ein bisschen zu mir in die Sonne, dann trocknen deine Haare und die Klamotten schneller.“
 

Mit einem dankbaren Lächeln gesellte sich Lena zu Per auf die Liege, wo er ihr großzügig Platz machte, jedoch nicht so großzügig, als dass zu viel Raum zwischen ihnen gewesen wäre. Alle anderen beobachteten verwirrt und neugierig, was Per und Lena dort veranstalteten, immerhin waren am ganzen Poolbereich verteilt noch so viele Liegen frei, dass die junge Psychologin ohne weiteres drei andere Liegen hätte benutzen können. Besonders Arne, der die Liege neben Per belegt hatte und der vor Lenas Ankunft noch in ein reges Gespräch mit Per verwickelt gewesen war, beobachtete die beiden genau, wie sie so dasaßen, sich ansahen, gar anlächelten und einen Augenblick einfach gemeinsam schwiegen. Auf ihn wirkten sie fast wie ein frisch verliebtes Paar.
 

„Wie geht es denn Per?“
 

Verwirrt blickte Lena Per an, der nun schmunzeln musste. Er fand Lenas verwirrten Gesichtsausdruck süß, wie sie so dasaß, ihn ansah und absolut nicht wusste, wovon er redete.
 

„Na, ich meine Lenas Giraffe. Die hat sie doch Per genannt, oder verwechsele ich da gerade was?“
 

Unsicher fuhr Per sich durch die Haare, sie wie er es immer tat, wenn er nervös oder unsicher war und in dieser Situation war er beides. Klar, er hatte sich schon häufiger mit Frauen unterhalten, gar mit ihnen geflirtet, aber nicht so. Außerdem rumorte es noch so in seinem Bauch, das er gar nicht richtig wusste, wie er sich überhaupt auf die Frau, die neben ihm saß und deren Vanilla Kisses Geruch er wahrnehmen konnte, konzentrieren sollte. Dazu klebte noch ihr T-Shirt so perfekt an ihrem Körper, das man ihre feinen Kurven wahrnehmen konnte und langsam aber sicher wusste Per, dass er heute wohl kein vernünftiges Gespräch mit Lena würde führen können. Zumindest nicht, wenn sie ihm so nah war.

Auch Lena machte Pers körperliche Nähe mehr zu schaffen, als sie sich selbst gerne eingestanden hätte. Erst hatte sie sich von Clemens’ tropfnassen Oberkörper verwirren lassen, jetzt faszinierte sie Pers Alabasterkörper so sehr, dass sie nur schwer der Versuchung widerstehen konnte einfach mit den Fingerspitzen über seine Bauchmuskeln zu gleiten um zu sehen, ob sie sich auch tatsächlich so gut und weich anfühlten, wie sie aussahen.

„Nein, nein, du verwechselst da nichts. Lenas Per geht es gut, er hat einen Ehrenplatz in ihrem Bett und bekommt jeden Abend einen Gute-Nacht-Kuss, damit er auch ruhig schlafen und noch schöner träumen kann.“
 

„Auch von dir?“
 

Am liebsten hätte Per sich in diesem Augenblick auf die Zunge gebissen, doch es war bereits zu spät, die Frage war raus und er konnte nicht verhindern, dass sich seine Wangen leicht röteten. Es war ihm peinlich diese Frage gestellt zu haben, überhaupt von diesem Thema angefangen zu haben und am liebsten hätte er, wie die ganze Zeit zuvor, als Lena mit Bastian und Clemens gescherzt hatte, auf seine Füße gestarrt, doch etwas in ihm ließ es nicht zu, vermutlich seine Neugier auf ihre Antwort.
 

Mit einem Mal war Lenas Hals ganz trocken geworden und sie schaffte es nicht, Worte zu formen und auszusprechen. Die Blondine war beeindruckt und positiv überrascht gewesen, dass Per sich noch daran erinnert hatte, dass die kleine Lena eine Giraffe mit ihm Kino gehabt hatte, den meisten Männern wäre so etwas gar nicht erst aufgefallen, aber dass Per sich sogar noch an ihren Namen erinnerte, das war etwas ganz Besonderes. Es rührte Lena und so konnte sie nichts anderes tun als ihm in die Augen zu sehen und leicht zu nicken.
 

Der Bann zwischen den beiden wurde erst gebrochen, als Jogi Löw auf der Terrasse erschien und die Jungs zur Mannschaftsbesprechung in den Konferenzsaal rief.
 

„So Jungs, genug geplanscht, trocknet euch ab, zieht euch an, jetzt wird gearbeitet. Teambesprechung in einer halben Stunde.“
 

Überrascht registrierte Jogi, dass eine ziemlich nasse Lena Frings neben Per aus der Liege saß und ihn aufmerksam beobachtete. Eigentlich konnte er sich schon denken, was mit der jungen Frau geschehen war und auch wer aller Wahrscheinlichkeit nach dafür die Verantwortung trug, doch trotzdem hielt er es für seine Pflicht zu Fragen, ob alles in Ordnung war, was Lena nur mit einem freundlichen Lächeln bejahte.
 

„Gut, gut, wenn alles soweit in Ordnung ist, dann macht es dir hoffentlich nichts aus dich nach der Teambesprechung um Bernd und ein paar andere Jungs zu kümmern. Sein Rücken macht ihm noch Probleme und du hast das doch das letzte Mal so gut hinbekommen, dass er jetzt nur noch zu dir will, wenn das möglich ist.“
 

„Dafür bin ich doch hier. Ich muss mich vorher nur trocknen und umziehen und danach kann es losgehen.“
 

„Sehr gut.“
 

Ohne ein weiteres Wort machte Jogi sich wieder auf den Weg ins Hotel, die letzten Vorbereitungen für die Teambesprechung treffen. Die anderen Spieler krabbelten mehr oder weniger begeistert aus dem Pool und sammelten ihre weit verstreuten Sachen zusammen. Lena machte sich schon mal auf den Weg zu ihrem Zimmer um auch pünktlich fertig zu sein, wenn ihr Typ verlangt werden würde. Sicherlich würde Bernd kein Theater machen, wenn sie fünf Minuten später kam um sich seinem Rücken anzunehmen, aber sie hasste Unpünktlichkeit bei anderen Leuten und vermied es auch, selbst unpünktlich zu sein.
 

So bekam Lena natürlich nicht mehr mit, wie Schweini mit nur halb gedämpfter Stimme und einen schelmischen Grinsen zu Poldi sagte:
 

„Ich spüre da so eine Verspannung zwischen den Schulterblättern, vielleicht sollte ich nach der Besprechung auch mal bei Lena vorbei schauen, damit sie sich das ansieht, nicht, dass ich noch für das Spiel ausfalle.“
 

Das Zwinkern versicherte allen, die hinsahen und sich wirklich Gedanken um die Gesundheit des Mittelfeldakteurs machten, dass es ihm im Grunde genommen gut ging und er sich pudelwohl fühlte, dass er diese Scharade jedoch um Lena wieder zu sehen aufführte. Er hatte einen Narren an ihr gefressen, weil sie absolut unbeeindruckt von ihm schien und immer Konter zu geben wusste, was ihm imponierte. Er wollte mehr Zeit mit ihr verbringen und der Sache auf den Grund gehen, warum Lena ihm nicht wie erwartet zu Füßen lag. Außerdem konnte man Spaß mit ihr haben, deswegen suchte der Bayer nach einer Ausrede sich von ihr behandeln zu lassen. Und Schweini war nicht der einzige der jungen Männer, der in diesem Augenblick überlegte mit welchem Wehwehchen er die junge Physiotherapeutin aufsuchen sollte.
 

To be continued
 

Ja ja, der liebe Herr Fritz ist wirklich kein Kuscheltier, aber das heißt ja noch lange nicht, dass das, was er mit den Damen tut, unbedingt schlechter ist… ^^ Was sagt ihr zu seiner Begründung, warum Lena ihm nicht böse sein darf? Irgendwie süß, oder? Ich meine, dass er sich Gedanken darüber macht… Er ist eben nicht „nur“ ein kleiner Macho.

Und wie steht ihr zu Schweinis neuen Anmachsprüchen? Und Lenas dazugehöriger Fauxpas was ihre Wortwahl betrifft…

Na, wer denkt sich wohl noch gerade etwas aus, damit er Lenas Hände an seinem Körper spüren darf? Spekulationen sind wie immer mehr als nur willkommen… ;)

Kollegen

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Vielen lieben Dank an Sunny, du bist einfach unglaublich.
 


 

Glücklicherweise war der jungen Blondine auf ihrem Weg vom Pool bis zu ihrem Hotelzimmer keine Menschenseele begegnet und so hatte sie niemanden erklären müssen, warum sie eher aussah wie ein begossener Pudel und nicht wie ein tadelloses Mitglied des medizinischen Stabs der Nationalmannschaft. Nach ihrer Ankunft in ihrem vorläufigen Heim hatte es nicht lange gedauert, bis Lena sich aus ihren nassen Klamotten geschält und unter die Dusche gestellt hatte. In Rekordzeit war sie wieder angezogen und fertig für ihre kommenden Aufgaben, diesmal trug sie jedoch das sportliche Outfit des Deutschen Fußballbundes, eine bequeme schwarze Trainingshose und ein figurbetontes weißes T-Shirt mit dem offiziellen Logo des DFBs. Diese legere Kleidung gefiel der jungen Psychologin doch immer noch am besten, sie hatte nicht besonders viel übrig für kurze Kleider und hohe Schuhe, auf die so viele andere Frauen ihres Alters schworen. Sicher, hin- und wieder genoss auch Lena es sich sexy und ein wenig aufreizend anzuziehen, besonders natürlich, wenn sie mit ihren Jungs das Nachleben der Mittelmeermetropole unsicher machte, aber zur Arbeit trug sie lieber Sachen, in denen sie sich nicht so angreifbar und unsicher fühlte.
 

Mit federnden Schritten betrat die Psychologin den Wellenessbereich des Hotels, der für den Aufenthalt der deutschen Kicker zum medizinischen Zentrum umfunktioniert wurde. Hier hatte nicht nur der Mannschaftsarzt Dr. Müller-Wohlfahrt sein Lager aufgeschlagen, sondern auch die Physiotherapeuten, zu denen Lena selbst zählen würde, und natürlich die Fitnesstrainer, die vor allen Dingen den Kraftraum für sich und ihre Schützlinge beanspruchten. Mit ihr zusammen sollte sich noch ein älterer Herr um die körperlichen Wehwehchen und Bedürfnisse der Spieler kümmern. Die Wahl-Spanierin hatte ihn bisher noch nicht persönlich kennen gelernt, war sich aber sicher, dass sie ihn noch früh genug zu Gesicht bekommen würde. Immerhin würden sie nach der Besprechung einiges zu tun bekommen. Unerklärlicherweise hatte die junge Frings auch nach dem kleinen Zwischenfall am Pool mit Bastian und Clemens gute Laune und sie freute sich richtig auf die Aufgaben, die sie während ihrer zeit hier würde bewältigen müssen. Sie war zwar nicht die einzige Therapeutin hier, aber trotzdem würde es vermutlich mehr als genug zu tun geben und unter Umständen würde sie ja sogar eine Gelegenheit bekommen ihrer eigentlichen Profession nachzugehen. So eine Psychologin konnte man im Grunde genommen immer gebrauchen.
 

„Guten Tag junge Dame, Sie müssen bestimmt Lena Frings sein.“
 

Überrascht drehte Lena sich um, als sie eine Stimme hinter sich vernahm. Vor ihr standen unverkennbar Dr. Müller-Wohlfahrt und ein anderer Herr, den Lena nicht erkannte. Beide lächelten freundlich und gaben ihr die Hand.
 

„Ganz genau, ebenfalls einen guten Tag die Herren.“
 

Um Fehler mit den Namen zu vermeiden, sprach die Wahl-Spanierin keinen der beiden mit Namen an, sondern wartete darauf, dass sie sich vorstellen würden, was sie auch prompt taten.
 

„Wo bleiben nur unsere Manieren? Darf ich vorstellen, mein Name ist Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, ich bin der Teamarzt unserer Jungs und der werte Herr neben mir ist Klaus Eder, ihr Kollege.“
 

„Freut mich Sie kennen zu lernen, Herr Müller-Wohlfahrt, Herr Eder“
 

Erst nickte Lena dem älteren der beiden zu, dann ihrem Kollegen, mit dem sie wahrscheinlich die meiste Zeit zusammenarbeiten würde. Beide wirkten äußerst freundlich und zuvorkommenden, sie schienen ihr den Anfang leicht machen zu wollen und Lena war ihnen für diese Geste unheimlich dankbar.
 

„Die Freude ist ganz unsererseits, schließlich bekommen wir nicht oft so entzückende Unterstützung, aber sie können uns ruhig duzen, hier im Team sind wir nicht so förmlich. Also, ich bin der Klaus und das ist der Hans.“
 

Sie konnte nicht umhin bei dem Kompliment leicht zu erröten und verlegen zu lächeln, hier bei der Nationalmannschaft schien Charme ein eigenes Aufnahmekriterium zu sein, anders konnte Lena sich diese Ansammlung charmanter Männer nicht erklären, mit Ausnahme vielleicht von Hansi Flick, der ihr nicht ganz so zuvorkommend begegnet war. Doch wie hieß es so schön? Ausnahmen bestätigen die Regel!
 

„Ich nehme das Angebot gern an, aber nur, wenn ich auch nur die Lena bin.“
 

„Abgemacht!“
 

Lachend machten sich die drei daran die Vorbereitungen für den Ansturm der Spieler zu treffen, die sicherlich auf direktem Wege nach der Besprechung bei ihnen eintreffen würden. So war es immer, die Herren der Schöpfung genossen eine ausgewachsene Massage, bevor sie richtig hart Arbeiten mussten. Klaus erzählte Lena ebenfalls, welche Sorgenkinder sich im Augenblick im Kader befanden und bei welchen Spielern es besondere Schwachstellen gab, um die sie sich intensiver kümmern sollte. Irgendwie war es für Torsten kleine Schwester nicht besonders überraschend, dass Michaels Ballack zu diesen vermeintlichen Schwachstellen zählte, an das Theater vor dem Weltmeisterschaftseröffnungsspiel erinnerte sie sich schließlich noch sehr lebhaft. Die „Wade der Nation“ hatte damals ein ganzes Land in Atem gehalten.
 

„Wo arbeitest du eigentlich, wenn du nicht gerade deinem Bruder einen Gefallen tust um hier auszuhelfen? Hast du eine eigene Praxis in Bremen?“
 

Lena faltete gerade Laken, als Klaus seine Frage aussprach. Einen Moment überlegte Lena, ob sie lügen oder ihnen die Wahrheit sagen sollte. Früher wäre ihr diese Lüge leicht und ohne nachzudenken über die Lippen gekommen, aber jetzt hatte sie sich vorgenommen ihrer Umgebung offener und vor allen dingen ehrlicher gegenüber zu treten und welche Gefahr bestand schon, wenn sie zwei Mitarbeitern des Deutschen Fußballbunds offenbarte, womit sie ihr täglich Brot verdiente. Sie würden es bestimmt nicht einfach so ausplaudern.
 

„Eine Praxis habe ich schon, aber nicht in Bremen, sondern in Barcelona. Im Augenblick besuche ich Torsten nur. Urlaub sozusagen.“
 

„Eine schöne Stadt, ich war beruflich mit dem FC Bayern dort schon ein paar Mal und war sehr beeindruckt von dieser Metropole. Eine wirklich beeindruckende Stadt. Betreust du dort auch Sportler?“
 

Dr. Müller-Wohlfahrt erinnerte sich noch recht genau an seinen letzten Aufenthalt in der Mittelmeermetropole, damals hatten die Bayern gegen den FC Barcelona eine ziemliche Schlappe kassiert. Es war der Anfang des Endes von Jürgen Klinsmann gewesen. Ein nicht unbedingt rühmliches Kapitel der vergangenen Saison, aber das ließ sich nicht mehr ändern.
 

„Ja, man schließt Barca irgendwie sofort ins Herz, man kann gar nicht anders. Dort praktiziere ich aber nicht groß als Physiotherapeutin, sondern vorwiegend als Sportpsychologin.“
 

Überrascht drehten sich beide Männer zu der jungen Frau um, die immer noch seelenruhig Laken faltete und die erstaunten Blicke und Gesichtsausdrücke der Männer nicht weiter beachtete. Solch eine Reaktion hatte sie erwartet, deswegen sprach Lena auch nicht, sondern wartete auf die Frage, die unweigerlich kommen mussten. Klaus war der erste, der sich von seiner Überraschung erholt hatte und den Mund aufmachte um zu sprechen.
 

„Du bist keine Physiotherapeutin, sondern eigentlich Sportpsychologin?“
 

„Nein, ich bin schon beides, keine Panik, aber ich habe mich entschlossen in Barcelona nur nebenbei als Physiotherapeutin zu arbeiten. Sozusagen als kleiner Bonus. Ich habe dort eine beschauliche, kleine Praxis und betreue gleichzeitig noch den Nachwuchs des Barca-Internats als Psychologin und eben Physiotherapeutin, wenn sie mal eine weitere helfende Kraft brauchen.“
 

Einen Augenblick schwiegen alle drei, die Männer, weil sie die neuen Informationen erst einmal verkraften mussten, und Lenas, weil sie die Reaktion ihrer neuen Kollegen abwartete. Es war ihr schon irgendwie klar gewesen, dass es sie überraschen und wahrscheinlich sogar schocken würde, aber sie hatte keinen Gedanken daran verschwendet, dass es unter Umständen ihr bisher gutes Arbeitsklima drastisch verändern könnte. Immerhin war Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt auch der Arzt des FC Bayerns und der hatte mit Barcas Fußballern nun wirklich nicht die besten Erfahrungen gemacht.
 

„Na, das ist doch wunderbar, dann weißt du ja schon bestens, wie man mit unseren Spielkindern umzugehen hat und kannst ihnen dann gleich auch noch eine mentale Kur verpassen. Einige hätten so ein tiefer gehendes Gespräch mal wieder nötig. Es ist eine ziemliche psychische und körperliche Belastung Profifußballer zu sein, aber das muss ich dir wohl nicht noch sagen.“
 

Dr. Müller-Wohlfahrt lachte und lockerte so die unmerklich angespannte Situation wieder auf. Die Wahl-Spanierin war heilfroh, dass ihre Enthüllungen nichts verändert hatten und sie immer noch ein gleichwertiges Mitglied des Teams war.
 

Mit Gesprächen über Gott und die Welt vertrieben die drei sich die Zeit, bis sie was zu tun bekamen. Wie nicht anders erwartet war Bernd Schneider der erste, der den umgewandelten Wellenessbereich betrat und Lena in eine lockere Umarmung zog, bei der er leicht das Gesicht verzog. Ohne weitere Worte führte Lena ihn in ihren Behandlungsraum und begann seine geschundenen Wirbel zu entlassen und wieder in Position zu bringen. Manchmal musste Lena Bernd dafür ein bisschen wehtun, doch der Leverkusener Routinier versicherte ihr immer wieder, dass sich die Schmerzen in Grenzen hielten und sie unverändert weitermachen solle.
 

Während Lena sich so aufopfernd um Bernd kümmerte, betrat auch schon Bastian Schweinsteiger den medizinischen Bereich und hielt Ausschau nach der kleinen Schwester seines Mannschaftskollegen, mit der er unbedingt ein Gespräch unter vier Augen führen wollte. Es gab einiges zu klären und des Weiteren wollte er die Blondine fragen, ob sie nicht Lust hätte heute Abend etwas mit ihm und einem paar der anderen Jungs etwas zu unternehmen. Sie waren noch unentschlossen, was es sein würde, aber Schweini war sich sicher, dass er bei weitem mehr Spaß haben würde, wenn die jüngere Frings mit von der Partie war. Mit ihr konnte er sich wunderbar unterhalten, etwas, was normalerweise nicht unbedingt zu seinen Lieblingsaktivitäten zählte. Wenn er ihr dabei sogar noch seinen trainierten Alabasterkörper würde zeigen können, umso besser. Welche Frau würde ihm da noch die kalte Schulter zeigen können? Außerdem gefiel dem bayrischen Mittelfeldakteur die Vorstellung, wie Lena ihn mit angenehm duftendem Massageöl einrieb und sanft an den richtigen Stellen massierte.
 

„Klaus, wo ist denn unsere Neue? Du weißt schon, Torstens kleine Schwester Lena? Sie soll sich meine Schultern mal ansehen, ich weiß nicht, ob es schlimm ist, aber zwickt und ich möchte kein Risiko eingehen. Eine leichte Sache wäre für sie so zum einstieg bestimmt ganz gut.“
 

Der routinierte Physiotherapeut blickte in das Gesicht seines langjährigen Schützlings und versuchte zu ergründen, warum Bastian ausgerechnet nach Lena fragte, um seine zwickende Schulter begutachten zu lassen. Jeder Mensch, der den Bayer nicht näher kannte, hätte ihm vermutlich seine Worte geglaubt, dass er sich um Lenas Einstieg hier sorgte, Klaus Eder kannte den notorischen Spaßvogel jedoch besser und ihm erschien Schweinsteigers Gesicht definitiv viel zu unschuldig. Normalerweise grinste er immer, diesmal jedoch versuchte er absolut erst und überzeugend zu wirken, so als führe er etwas im Schilde, was seine junge Kollegin betraf.
 

„Lena ist gerade dabei sich um Bernds Rücken zu kümmern, Bastian.“
 

„Aha.“
 

Innerlich verfluchte sich der blonde Nationalspieler, dass er daran nicht gedacht hatte. Am Pool hatte Jogi doch extra noch davon gesprochen, dass Lena sich direkt nach der Besprechung um Bernds Rücken kümmern sollte, aber Bastian war so ungeduldig gewesen allein mit Lena sprechen zu können, dass er sich ohne weiter nachzudenken auf den Weg in den Wellenessbereich gemacht hatte. Und nun stand er hier wie der letzte Depp mit seiner vorgetäuschten Verletzung.
 

„Na, dann werde ich wohl warten, bis sie mit Bernd fertig ist. So lange kann es ja nicht dauern.“
 

Schweini wollte es sich bereits in einem der Sessel bequem machen, als Klaus zum Sprechen ansetzte.
 

„Nichts da, Bastian, deine Fürsorge für Lena in allen Ehren, aber wenn du Probleme mit deiner Schulter hast, dann sollte sich das sofort jemand ansehen. Wie du schon sagtest, wir wollen ja nichts riskieren. Also komm mit, ich bin ja zufällig auch noch Physiotherapeut, falls du das vergessen hast. Wir bekommen deine Schulter schon wieder hin.“
 

Verschmitzt lächelnd machte Klaus sich auf den Weg in sein Behandlungszimmer, ihm folgend ein bedröppelt dreinschauender Bastian Schweinsteiger. So hatte sich der Mittelfeldspieler die Behandlung nun wirklich nicht vorgestellt, statt Lenas kleinen, weichen Hände sollten ihn nun Klaus große, raue malträtieren und nach der Herkunft seiner angeblichen Beschwerden suchen. Und noch schlimmer war es, dass Klaus zu wissen schien, dass Basti eigentlich nicht wegen der Schulterschmerzen hier war, sondern allein um Lena zu sehen. Auch seine vorgeschobene Sorge um ihren Einstand hatten den alten Fuchs nicht weiter vom Gegenteil überzeugen können. Die Betonung des Wortes „Fürsorge“ ließ Schweini ahnen, dass seine grandiose Tarnung innerhalb weniger Minuten aufgeflogen war.
 

Missmutig trotte Bastian Klaus hinterher, so dass er nicht mitbekam, wie sich die Tür zu Lenas Behandlungszimmer öffnete und sich ein entspannt aussehender Bernd Schneider auf den Weg zurück zu seinem Zimmer machte. Ebenfalls blieb dem bayrischen Mittelfeldakteur verborgen, wie ein weiterer Spieler den Raum betrat und schnurstracks auf die Tür zuging, hinter der Lena sich ihr kleines Reich aufgebaut hatte. Hätte Bastian sich ein letztes Mal umgedreht, so hätte er gesehen, wie ein blonder Haarschopf in Lenas Behandlungsraum verschwand.
 

To be continued
 

Heute war es leider nicht ganz so lang, da es „nur“ ein Übergangskapitel war…Ich hoffe euch sind die Herren Müller-Wohlfahrt und Eder einigermaßen sympathisch, ich mochte sie eigentlich… So eine große Rolle werden sie zwar nicht spielen, aber na ja, auch so ein scheinbar belangloses Kapitel will gefüllt werden… Irgendwie musste ich Lena und diesen ominösen Mann ja in einem Raum bekommen… ;)

Wer könnte es wohl sein? Ratet doch mal… =)

Und was haltet ihr von Bastian, der nun doch mit männlichen Händen vorlieb nehmen muss? Hat er eurer Meinung nach diesen Dämpfer verdient oder hättet ihr es lieber gesehen, wenn er zu Lena gekommen wäre?

Verwirrung und Wut

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Es ist etwas ganz besonderes eine Leserin wie dich zu haben, Sunny.
 

Leise summend mit dem Rücken zur Tür bezog Lena die Liege für den nächsten Patienten neu mit einem großen, weißen Baumwolltuch. Normalerweise nutzte man solche Liegen, wie sie auch der Wellenessbereich des Hotels für seine Massagegäste zu bieten hatte, ohne besondere Unterlage, doch die junge Wahl-Spanierin hatte während der letzten Jahre in Barcelona die Erfahrung gemacht, dass eine weniger steril wirkende Unterlage auch die Patienten schneller dazu brachte sich zu entspannen. Und das war immerhin das Ziel der ganzen Aktion. Dasselbe wollte Lena nun auch mit den Spielern der deutschen Nationalmannschaft ausprobieren und ihr erster Testversuch mit Bernd Schneider hatte schon einmal wunderbar funktioniert, wobei Bernd auch ein vergleichsweise pflegeleichter Patient gewesen war, der von vorne herein schon von ihr ihren Methoden und ihrem können überzeugt gewesen war. Wie es bei den anderen Spielern aussah, konnte Lena nur vermuten und deshalb wollte sie ihr Bestes geben um ihnen zu zeigen, dass sie wirklich wegen ihrer Fähigkeiten und nicht wegen ihrer Verwandtschaft mit Torsten hier war, auch wenn die selbstverständlich ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt hatte.
 

Das leise Klacken einer ins Schloss fallenden Tür machte Lena darauf aufmerksam, dass sie nicht mehr allein in ihrem kleinen Therapieraum war, sondern Gesellschaft bekommen hatte. Vermutlich war es nur Klaus, der sich nur dieses oder jenes ausborgen wollte, doch als sie sich schwungvoll umdrehte und freundlich lächelte, bekam Lena einen Schrecken: Direkt an der Tür stand nicht Klaus Eder, sondern Timo Hildebrand!!!
 

Der ehemalige Torwart des VfB Stuttgarts lächelte die völlig überraschte Lena freundlich an. Perplex von seinem plötzlichen Auftauchen erwiderte die jüngere Frings den fröhlichen Gruß des Hoffenheimer Keepers. Der hatte geahnt, dass er sie mit seinem prompten Auftauchen verwirren und überraschen würde und genau das hatte Timo auch vorgehabt: Seit er gehört hatte, dass Lena Frings, Torsten kleine Schwester, sich als Physiotherapeutin um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Spieler kümmern würde, hatte er nach einer passenden Gelegenheit gesucht sie unter vier Augen in ein Gespräch verwickeln zu können. Seit seinen Recherchen und seinem Gespräch mit David schwirrten so viele unterschiedliche Gedanken und Spekulationen in seinem Kopf herum, dass er für seinen eigenen Seelenfrieden endlich Klarheit schaffen wollte. So konnte es einfach nicht weiter gehen, diese Achterbahnfahrt der Ungewissheit raubte ihm den letzten Nerv. Und wer konnte ihm besser helfen sein inneres Gleichgewicht wieder zu finden als diejenige, die dieses ganze Chaos überhaupt erst angerichtet hatte? Genau: Niemand!
 

„Hallo Timo. Was führt dich her?“
 

Angriff war die beste Verteidigung, nach dieser Philosophie gestaltete nicht nur Werder Bremen seine Spiele, sondern auch Lena ihre Gespräche, wenn sie annahm, dass sie unangenehm enden könnten. Unangenehm für sie und vielleicht sogar auch für ihren Gegenüber, der immer noch ganz entspannt lächelnd an den Türrahm gelehnt stand. Sein Gesicht war für Lena undurchschaubar, sie wusste nicht, weshalb er hier war: Wollte er mit ihr über die Zeit in Spanien sprechen oder wollte er ihren medizinischen Rat? Beides war immerhin möglich.
 

„Hola Lena, schön dich so schnell wieder zu sehen, auch wenn die Umstände hätten besser sein können.“
 

Langsam löste sich der Torhüter von dem Rahmen und ging ein paar Schritte auf die Wahl-Spanierin zu. Zu viel Distanz zwischen ihnen war nicht gut, schließlich würden sie sich in ein paar Minuten verdammt nah sein, da musste man jetzt nicht so förmlich tun. Sein Besuch hier hatte nämlich tatsächlich nicht nur den Zweck seine Neugier zu befriedigen und seine Verwirrung zu zerstreuen, sondern auch seinen körperlichen Beschwerden Linderung zu verschaffen.
 

„Wieso? Freust du dich nicht wieder bei der Nationalmannschaft zu sein? Ich hatte gedacht du bist gerne mit dabei, wenn deine Freunde den Adler ins Feld tragen.“
 

„’Türlich freue ich mich mein Land zu repräsentieren. Es gibt für einen Fußballer nichts Größeres. Ich meinte eher meine Anwesenheit hier in deinem kleinen Behandlungsraum. Du musst dir meinen Rücken und mein linkes Bein einmal ansehen. Ich war vorhin bereits bei MüWo und der meinte, dass wir es zuerst einmal mit leichter Drucktherapie versuchen sollten bevor er mir eine unangenehme Spritze in den Rücken jagt.“
 

Als Timo von der Aussicht auf eine schmerzhafte Spritze in seinen Rücken sprach, verzog er, wie um seinen Abscheu vor dieser Behandlungsmethode zu unterstreichen, angewidert das Gesicht. Er hatte wirklich keine Lust sich eine lange Nadel dort irgendwohin durch sein Fleisch jagen zu lassen, da war Lena sicherlich die erträglichere Variante, auch wenn die Dinge, die er sie fragen wollte, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein positives Echo hervorrufen würden. Das musste er dann eben in kauf nehmen.
 

„Verstehe schon, bevor wir zu den Chemiehammern greifen, versuchen wir es noch mal mit sanfter Gewalt. Keine Panik, Timo, ich werde mein Bestes geben dir diese schmerzhafte Prozedur irgendwie zu ersparen. Aber dafür musst du mir einen kleinen Gefallen tun.“
 

Überrascht und ziemlich verwundert blickte Timo Lena an, die sich seit Beginn ihres Gespräches merklich entspannt hatte und nun nur schwerlich ein lautes, fröhliches Lachen zurückhalten konnte. Timos Gesichtsausdruck war aber auch zum Schießen!
 

„Nun schau doch nicht so wie ein Huhn, wenn es donnert, ich will doch nur, dass du dich für mich nackig machst, Kleiner!“
 

Vollkommen gelähmt stand Timo da, öffnete den Mund nur um ihn wieder zu schließen. Vermutlich ähnelte er im Augenblick eher einem Fisch auf dem Trockenen, als einem Weltklassetorhüter, der für die deutsche Nationalmannschaft spielen wollte. Dabei war er doch sonst nicht auf den Mund gefallen! Jetzt fehlten ihm aber die Worte. Hatte David etwa mit seiner Einschätzung gar nicht so Unrecht? War sie wirklich dieser männermordende Vamp, von dem die spanischen Zeitungen so viel geschrieben hatten? War jede einzelne Geschichte, die er überflogen hatte, etwa doch wahr? Hatte Lena so auch die anderen Spieler in Barcelona zu verführen versucht? Mit Direktheit und einem freundlichen Lächeln? Und waren sie alle nacheinander darauf eingegangen?
 

Die Achterbahn in Timos Kopf hatte eine beängstigende Geschwindigkeit angenommen und schoss gerade in unvorstellbare Höhen nur um dann in einen schnellen, doppelten Looping zu wechseln. Seine Welt stand Kopf. Er wollte nicht glauben, was er da gerade gehört hatte. Der ehemalige Spanier konnte nicht glauben, dass er sich so sehr in einer Person hatte täuschen können.
 

Lena beobachtete belustigt wie Timos Mimik zwischen Entsetzen, Überraschung, Enttäuschung und aus für sie absolut unerklärlichen Gründen auch Wut und Verachtung wechselte. Die Psychologin hatte erwartet, dass er sie vielleicht im ersten Moment würde falsch verstehen, aber nicht, dass die Verwirrung so lange anhalten würde. Deswegen klärte sie den Spieler der TSG Hoffenheim lächelnd auf:
 

„Ganz ruhig, Timo, ich will dir nicht an die Wäsche. Zumindest nicht so, wie du es im Augenblick wahrscheinlich vermutest. Aber wenn ich mir deinen Rücken und dein Bein ansehen soll, dann musst du schon aus deinen Klamotten schlüpfen.“
 

Vollkommen perplex starrte Timo die Wahl-Spanierin an, so als wäre ihr gerade ein drittes Auge oder ein zweiter Mund gewachsen. Sein Blick war fest auf ihr Gesicht gerichtet und man hätte meinen können, er wollte Löcher in ihr Gesicht oder die Wand daneben hineinstarren. Nur langsam verarbeitete sein Gehirn die Information, dass all seine Sorgen und Zweifel wenigstens für den Moment unbegründet waren. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie verrückt und komisch das für Lena Frings aussehen musste, wie er so dastand und sie eisern anschwieg. Eine leichte Röte schlich sich auf sein Gesicht und ohne ein weiteres Wort oder einen weiteren Blick in ihr Gesicht begann der Torwart sich die Schuhe aufzuschnüren. Er hatte nicht vor sich vor Lena noch mehr zum Deppen zu machen als bisher schon, in dem er sich bei der Erklärung seines Verhaltens vor ihr auch noch um Kopf und Kragen redete. Wie hatte er diesen kleinen Witz nur missverstehen können? Hatte sein Unterbewusstsein sich etwa schon vor dem Gespräch entschlossen, eher der Presse zu glauben als seinem eigenen Instinkt?
 

Es war nicht zu übersehen, wie unangenehm Timo dieses Missverständnis war, schließlich versuchte er jeden weiteren Blickkontakt zu umgehen und so vermied auch Lena es noch ein weiteres Wort darüber zu verlieren. Sie wollte den ehemaligen Stuttgarter nicht noch mehr in Verlegenheit bringen als bisher schon, auch wenn es sie wirklich interessiert hätte, was er in diesem Augenblick von ihr gedacht hatte. Seine Mimik hatte Bände gesprochen, aber so gut Lena auch sonst darin war Menschen zu lesen, bei Timo hatte sie versagt. Die Überraschung über ihre Worte war verständlich gewesen, das Entsetzen auch, so eine vermeintliche „Anmache“ konnte einem schon mal in diesen Zustand versetzen, auch die Enttäuschung war irgendwie noch erklärlich, aber der Rest nicht. Sie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, warum er mit Wut und Verachtung auf ihren Spruch reagiert hatte. Das wären Emotionen gewesen, die sie sich nicht hatte erklären können. Sie kannten sich immerhin erst seit Torstens Nationalmannschaftsessen, seitdem waren sie einander nicht mehr begegnet, hatten keinen Kontakt gehabt. Ebenfalls wusste Timo nichts von ihrer Vergangenheit in Barcelona, oder zumindest hatte er bei ihrem letzten Treffen nichts Näheres darüber gewusst. Es war Lena ein Rätsel, warum er so reagierte, wie er reagiert hatte, doch sie war sich nicht sicher, ob die dieses Rätsel tatsächlich lösen wollte. Weil ihr die Antwort darauf sicherlich nicht gefallen würde.
 

Lena konnte trotz dieser Gedanken nicht umhin Timo beim Ausziehen zuzusehen. Es hatte irgendwie etwas Beruhigendes an sich, denn normalerweise war der, der weniger anhatte, immer in der schwächeren Position und im Augenblick war Lena dankbar, dass nicht ihr dieser Part zufiel. Schon viel zu häufig hatte sie sich in letzter Zeit in der schwächeren, verletzlicheren Position gefühlt und das gefiel der Wahl-Spanierin ganz und gar nicht.

Nachdem Timo seine Schuhe geöffnet und achtlos von den Füßen gestreift hatte, entledigte er sich nun seines T-Shirts. Ohne zu Zögern ergriff der ehemalige Stuttgarter den Saum seines Oberteil und streifte es sich mit einem Ruck vom Oberkörper. Ohne Probleme ließ sich das fein definierte Muskelspiel seiner Rückenmuskulatur wahrnehmen. Es war ein ständiger Wechsel zwischen entspannt und angespannt und Lena war sich sicher, dass, trotz der trainierten Härte, Timos Rücken unheimlich weich sein würde. Noch bevor die kleine Schwester des Lutschers den Blick von seiner Kehrseite abwenden konnte, hatte Timo sich auch schon seiner Trainingshose entledig und stand nun in nicht mehr als einer schwarzen, perfekt sitzenden Boxershorts vor ihr. Auch wenn Lena allein schon von Berufswegen regelmäßig halbnackte Männerkörper begutachtete und hin- und wieder auch anfasste, einen kurzen Augenblick erfasste sie eine schon längst verloren geglaubte Scheu.
 

„Gefällt dir, was du siehst?“
 

Timo hatte sich wieder zu ihr umgedreht und präsentierte sich nun von seiner Vorderseite. Unwillkürlich glitt Lenas Blick über seinen wohlgeformten Oberkörper und diesmal war sie es, die eine leichte Röte in ihren Wangen nicht unterdrücken konnte.
 

„Ja, schon nicht schlecht. Wollen wir dann?“
 

Gespielt empört stemmte der Torhüter seine Hände in die Hüften und blickte die Psychologin durchdringend an.
 

„Wir können anfangen, vielleicht änderst du dann nach näherem hinsehen und anfassen ja auch deine Meinung, dass mein Körper nur „nicht schlecht“ ist.“
 

Ohne ein weiteres Wort schwang Timo sich auf die vorbereitete Liege und machte es sich dort bequem, während Lena diverse Öle aus dem Regal nahm. Sie wusste noch nicht so ganz, welche Probleme Timo genau mit seinem Rücken und Bein hatte, deshalb wollte sie zuerst einmal sehen, wie gespannt seine Muskulatur insgesamt war. Manchmal konnten schon kleinere Verspannungen starke Schmerzen auslösen.
 

„Meine Hände könnten ein bisschen kalt sein, also nicht erschrecken.“
 

Ein gedämpfter Laut kam von Timo, der seinen Kopf tief im Kopfloch der Liege vergraben hatte. Scheinbar legte er im Moment nicht viel Wert auf Konversation und so machte Lena sich schweigend an die Arbeit. Beim ersten Hautkontakt zuckte der Spieler der TSG Hoffenheim kurz zusammen, entspannte sich dann aber sofort wieder. Eine gute halbe Stunde massierte Lena schweigend vor sich hin, drückte immer wieder an verschiedenen Stellen, beugte und streckte Timos Beine um zu sehen, ob eine Veränderung im Rücken auftrat. Weitestgehend war der Bewegungsablauf unauffällig, hin und wieder verweilte Lena etwas länger an einer Stelle, nie jedoch so lange, dass Timo über Schmerzen hätte klagen können. Durch das Massageöl glitten ihre Finger leicht über die weiche Haut des Keepers und er konnte spüren, wie er sich immer weiter entspannte. Diese Frau konnte mit ihren Händen tatsächlich Wunderdinge vollbringen.
 

Mit einem plötzlichen Ruck streckte Timo sich hoch und funkelte die vollkommen überraschte Lena wütend an, die sich auf diesen abrupten Stimmungswechsel absolut keinen Reim machen konnte. Bis eben hatte er noch ganz ruhig dagelegen, die junge Deutsche hatte sogar vermutet, dass er mittlerweile eingeschlafen war, aber scheinbar war es nur die Ruhe vor dem Sturm gewesen. Schon erklang Timos anklagende Stimme
 

„Hast du das bei den anderen auch so gemacht?“
 

Verwirrt starrte Lena den Hoffenheimer an. Sie hatte keine Ahnung, wovon der ehemalige Torwart des FC Valencia sprach, aber was auch immer es war, es schien ihn richtig wütend zu machen.
 

„Bei wem soll ich bitte schön was auch gemacht haben? Timo, du sprichst in Rätseln.“
 

Die Verwirrtheit der Wahl-Spanierin verwandelte sich langsam aber stetig in Wut um. Sie wusste wirklich nicht, wovon ihr Patient sprach, was er meinte und was ihn so urplötzlich ausrasten ließ. In seiner Rage hatte Timo sogar Lenas Handgelenk gepackt und drückte fester als eigentlich beabsichtigt zu.
 

„Na, wie hast du sie rumgekriegt? Jeden einzelnen. Ich will alles wissen. Bist du bei einer ähnlichen Behandlung wie meiner ganz zufällig mit deinen Händen in seine Hose gewandert? Nun los, sag schon, ich kann’s vertragen!“
 

„Verdammt Timo, von wem sprichst du? Mein einziger Patient heute war Bernd!“
 

Mit aller Kraft riss Lena sich von Timo der und betrachtete ihr Handgelenk: Man konnte die Spuren von Timos Griff noch deutlich erkennen. Sicherlich würde es blaue Flecke geben und die jüngere Schwester des Lutschers hatte keine Ahnung, wie sie ihrem großen Bruder diese „Verletzungen“ erklären sollte.
 

„Ich rede nicht von Bernd, aber mit dem hast du hier wahrscheinlich auch ein Nümmerchen geschoben, würde mich nicht wundern, so einen Verbrauch, wie du hast. Aber sag mal, war er dir überhaupt hochklassig genug?“
 

Am liebsten hätte Lena ausgeholt und diesem unverschämten Kerl, der da gerade aus Timos Mund sprach, eine gepfeffert. Genau so, wie sie Clemens schon eine gelangt hatte. Aber die Blondine hielt sich zurück. Sie wollte endlich wissen, wovon der sonst so sanfte und mitfühlende Torhüter sprach, was ihn so wütend machte. Sie hatte zwar schon einen Verdacht, eine Ahnung, doch wollte und musste sie die Worte aus Hildebrands Mund hören.
 

„Ich frage dich ein letztes Mal, Timo, wovon sprichst du?“
 

„Nun spiel hier mal nicht die unschuldige Jungfrau, denn das bist du nicht. Wie viele Fußballer hast du in Barcelona flachgelegt um an deinen Posten zu kommen? Wie viele, Lena, mh? An wen hast du dich rangemacht, weil er dir nutzen konnte? Selbst vor einem Kind hast du nicht halt gemacht!“
 

Timo hatte sich immer mehr in rage geredet und die letzten Worte schrie er Lena entgegen, die angstvoll zusammengezuckt war. Reflexartig ging sie zwei Schritte zurück um mehr Abstand zwischen sich und Timo zu bringen. Sein wutverzerrtes Gesicht, sein Geschrei und vor allen Dingen seine Wortwahl ließen sie erschauern. Natürlich hatte Lena geahnt, dass Timo Informationen eingeholt hatte, vermutlich sogar mit einem seiner ehemaligen Kollegen gesprochen hatte, die alle wahrscheinlich glaubten alles aus den Medien zu wissen, aber Lena hatte niemals auch nur einen Augenblick erwartet, dass Timo all diese Dinge über sie tatsächlich glauben würde. Dass er doch wirklich glauben würde, dass sie mit einem Minderjährigen geschlafen hatten, nur um in der Hierarchie weiter aufzusteigen.
 

„Ich glaube, wir haben uns nichts mehr zu sagen, Herr Hildebrand.“
 

Lena wollte gerade den ersten Schritt auf die Tür zumachen, als Timo sich ihr in den Weg stellte und sie grimmig anfunkelte. Für ihn schien das Gespräch noch lange nicht beendet zu sein. Ohne irgendwelche Rücksicht walten zu lassen, schüttelte er die junge Deutsche und hielt sie an ihren Schultern fest. Sein Griff ähnelte stark dem eines Schraubstocks und Lena wusste, dass sie keine Chance hatte sich aus seiner Umklammerung zu lösen.
 

„Oh nein, Fräulein, wir sind noch lange nicht fertig. Schämst du dich eigentlich gar nicht? Du hast einen Jungen verführt, verdammt noch mal! Gestandene Männer kann ich ja vielleicht noch verstehen, aber dass du deinen Wunsch nach einem jüngeren Liebhaber so rücksichtslos auslebst, das ist ja widerlich! Und das alles vor den Augen deines treudoofen Lionels, der gar nicht weiß, was seine Freundin so alles hinter seinem Rücken treibt.“
 

„Du hast doch keine Ahnung! Das ist nicht wahr!“
 

Auch Lena war lauter geworden und versuchte sich jetzt aus Timos Griff zu winden, der sie eisern festhielt. Er hatte nicht vor sie gehen zu lassen.
 

„Nein, habe ich nicht? Dann erklär es mir! Erzähl mir, wie die Wahrheit deiner Meinung nach aussieht!“
 

Der Druck auf Lenas Armen ließ nach, jedoch war sie sich sicher, dass er keine Skrupel hatte ihn wieder zu verstärken. Er wollte eine Antwort auf seine Fragen haben. Und diesmal gab es für Lena Frings keine Möglichkeit zur Flucht.
 

To be continued
 

Mit diesem Kapitel habe ich jetzt vermutlich alle richtig überrascht… ;)

Einige hatten bereits den Verdacht, dass Timo der ominöse Blondschopf sein könnte und nun habt ihr es sogar schriftlich…

Was sagt ihr zu seinem Verhalten? Timo ist ganz schön grob mit ihr. Dieser plötzliche Stimmungswandel war wirklich recht heftig… Was da noch alles kommen wird?

Wird Lena Timo wohl ihre Sicht auf die „Wahrheit“ schildern? Oder kommt doch noch ein edler Retter, der ihre laute Diskussion gehört hat (da käme dann ja wohl nur der Schweini in Frage)?

Where the truth lies

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Mein tief empfundner Dank und meine ganze Bewunderung gelten den Lesern und Leserinnen, die sich die Mühe gemacht haben einen Kommentar zum letzten Kapitel zu verfassen.
 

Lena versuchte sich zu beruhigen. Ihre Atmung ging schnell und abgehackt und schmerzhafte Seitenstiche machten sich bereits bemerkbar. Vor ihren Augen schwankte alles gefährlich und immer wieder tauchten schwarze Pünktchen auf. Wahrscheinlich wäre sie schon lange zusammengesunken, hätte der Torwart sie nicht festgehalten. Timos harten Worte hatten die kleine Schwester des Lutschers aufgewühlt, hatten sie wütend gemacht und die ständige Gegenwehr gegen seinen festen Griff hatte sie unheimlich ermüdet. Doch diese Ermüdung war nicht nur körperlich, sie war genauso sehr seelisch. Lena hatte einfach keine Kraft mehr übrig um sich zu wehren, um neue Lügen zu erfinden, um sich selbst und die Menschen, die sie liebte, zu schützen. Da war nur noch diese Leere in ihr.
 

Vorsichtig lockerte Timo seinen Griff und zog das Häufchen Elend, das Lena in diesem Moment war, in seine Arme. Widerstandslos lehnte sie sich gegen seine starke Brust, suchte nach Halt und schlang ihre Arme locker um seinen Nacken. Es schien ihr egal zu sein, wer in diesem Augenblick für sie da war um ihr zu helfen. Selbst wenn es der Mann war, der sie erst an den Rand der nervlichen Erschöpfung getrieben hatte. Nur durch die Verlagerung ihres Gewichtes bemerkte Timo, dass Lena sich nicht mehr eigenständig auf den Beinen halten konnte. Als wäre sie eine Feder nahm der Keeper der TSG Hoffenheim die junge Frau auf den Arm und trug sie die wenigen Schritte zur Liege, die bis vor wenigen Minuten noch sein eigener Liegeplatz gewesen war. Sanft setzte er Lena auf die Kante und ließ ihre Beine baumeln. Die Blondine hatte die Augen immer noch geschlossen, atmete mittlerweile aber wieder ruhiger. So langsam schien sie sich wieder zu beruhigen, was Timo für ein gutes Zeichen hielt.
 

Er war sich bewusst gewesen, dass seine Art Lena in die Enge zu treiben riskant sein würde. Sehr riskant sogar. Auch hatte er geahnt, dass er sie verschrecken, sie gar ängstigen und garantiert verletzen würde mit seinen Worten, aber wie schlimm es werden würde, dass hatte sich der ehemalige Torhüter des FC Valencia nicht ausgemalt. Wie denn auch, er hatte sich darauf verlassen, dass ihr starkes, souveränes Auftreten vor den Jungs der Realität entsprochen hatte und dass Lena seinen verbalen Überraschungsangriff genauso parieren würde wie die Schweinsteigers. Sie hätte ein Schutzschild haben sollen, das verhinderte, dass seine Anschuldigungen und Beleidigungen sie wirklich genau dorthin trafen, wo es wehtat. Irgendwie hatte der Blonde das Bild eine vollkommen überforderten, verzweifelten Lena, wie sie an der Flurwand ihres Bruders gelehnt saß und aus Verzweifelung weinte, komplett verdrängt. Er hatte die Realität verdrängt, so wie er sie schon ein Mal vor sich hatte sitzen sehen.
 

Timo hatte die gesamte halbe Stunde der Behandlung vor seinem wütenden Ausbruch hin- und her überlegt, ob es nicht doch besser wäre, sie einfach freundlich nach der Wahrheit, nach den Tatsachen der Barcelona Angelegenheit zu fragen. Ein unverfänglicher Smalltalk während der normalen Behandlung, bis sie ganz „zufällig“ auf das Thema Spanien und Barcelona gekommen wären. Aber diese Variante hatte er verworfen, zu sicher war er sich, dass sie ihm ausweichen würde. Vielleicht sogar belügen. Deshalb hatte er sie so fertig machen müssen, sie in die Ecke gedrängt und emotional angegriffen, damit sie ihm jetzt die ganze Wahrheit sagte ohne etwas zu beschönigen oder zu dramatisieren. Ihm war klar, dass er egoistisch gehandelt hatte und beim Anblick der leidenden Lena schämte er sich für seine Methode, doch jetzt gab es kein zurück mehr. Nicht für sie und schon gar nicht für ihn.
 

„Lena, was ist in Barcelona wirklich passiert? Was lief da zwischen dir und Bojan?“
 

Timos Stimme klang so weich und mitfühlend, dass Lena einfach aufsehen musste. Da saß nun nicht mehr das Monster neben ihr, das ihr eben noch so wehgetan hatte, da war wieder der Timo Hildebrand, der bereits in Torsten Flur neben ihr an der Wand gesessen hatte. In jeder anderen Situation hätte ihr dieser schnelle Persönlichkeitswechsel vermutlich Sorgen bereitet, jetzt jedoch war Lena nur froh, dass sie den alten Timo wieder hatte. Vor dem musste sie sich nicht fürchten, der würde sie nicht verletzen.
 

„Nicht, Timo, bitte nicht.“
 

Erschöpft lehnte Lena sich wieder an Timos nackten Oberkörper. Sie sog seinen ganz speziellen Duft ein, eine Mischung aus gut duftendem Aftershave, Schweiß, ihrem Massageöl und etwas ganz eigenem, was vermutlich nur Timo aus strömte.
 

„Ich kann nicht anders Lena, es tut mir wirklich Leid, aber ich muss wissen, was von dem wahr ist, was die Zeitungen geschrieben haben.“
 

„Also hast du tatsächlich Nachforschungen angestellt. Was änderte es dann jetzt noch, wenn du meine Sicht der Dinge kennst?“
 

Bedrückt blickte die junge Deutsche auf ihr Handgelenk, das sich mittlerweile schon ansatzweise verfärbte. Lena versuchte es zu bewegen, zu drehen und kreisen zu lassen, doch schon die kleinste Bewegung schmerzte. Timo war ihrem Blick gefolgt und sah erschrocken, wie doll er zugedrückt haben musste, wenn sich solche Muster bildeten.
 

„Es tut mir Leid, ich wollte nicht so fest zudrücken. Ich wollte dir überhaupt nicht wehtun, Lena, es tut mir Leid. Wirklich. Ich hatte nur keine Ahnung, wie ich dich sonst dazu bringen sollte ehrlich mit mir über die Geschehnisse zu sprechen, als durch diese Provokation. Ich hatte so viel über dich im Internet und in den dort abgespeicherten Zeitungen gelesen, so viele vermeintlich eindeutige Bilder gesehen und sogar mit einem Kollegen gesprochen, der mir ähnliches berichtet hat. Ich wusste einfach nicht weiter. Ich konnte das Bild, das die Zeitungen von dir kreiert haben, nicht mit dem in Einklang bringen, welches ich mir bei Torsten von dir gemacht habe. Also wollte ich unbedingt erfahren, was denn nun wahr ist. Es tut mir wirklich Leid, Lena, ich habe einen Fehler gemacht.“
 

Das schlechte Gewissen wegen seiner Taten stand Timo unübersehbar ins Gesicht geschrieben, er schaffte es noch nicht einmal Lena anzusehen, so sehr schämt der Torhüter sich und auch wenn manche Menschen behaupteten, dass der Zweck die Mittel heiligte, so war sich der ehemaliger Stuttgarter jetzt noch sicherer als zuvor, dass es eine dreiste Lüge war. Er hatte seine eigene Neugier befriedigen wollen und hatte dabei einen anderen Menschen verletzt. Das konnte nicht richtig sein, das konnte nicht gerechtfertigt werden.
 

Sanft fuhr Lena mit den Fingern über Timos Wange und mit leichtem Druck zwang sie ihm ihr in die Augen zu schauen. Die Gefühle, die sie in ihnen las, überzeugten Lena, dass es richtig war, was sie vorhatte zu tun.
 

„Ich nehme deine Entschuldigung an. Ich verzeihe dir.“
 

Dabei sah sie Timo fest in die Augen, damit er sah, dass sie es absolut Ernst meinte. Sätze wie „es ist nicht schlimm“ oder „ist schon vergessen“ ließ sie absichtlich weg, denn es war schlimm gewesen und sie hatte es auch noch nicht vergessen. Nur vergeben. Und das konnte sie ihm auch so sagen. Sie hegte keinen Groll gegen Timo, trug ihm sein Verhalten nicht nach, weil sie ihn verstand. Irgendwie zumindest.
 

„Wirklich?“
 

„Ja.“
 

Eine Weile saßen die beiden schweigend da, keiner sah den anderen an, jeder starrte auf die langsam vor sich hin baumelnden Beine und überlegte, was er wohl als nächstes sagen könnte. Timo wollte den Bogen nicht überspannen, doch eine klare Antwort auf seine Fragen hatte er immer noch nicht erhalten.
 

„Werde ich wohl noch irgendwann die Wahrheit über deine Vergangenheit in Barcelona herausfinden? Oder werde ich warten müssen, bis du Torsten alles beichtest und er es dann vielleicht irgendwann weiter erzählt?“
 

Nur ungern machte Lena sich Gedanken darüber, dass sie Torsten die Wahrheit würde sagen müssen. Irgendwann bestimmt, es stand noch kein Datum fest, aber die Zeit lief, der Sand in ihrer Sanduhr verrinnt immer schneller und Lena war sich sicher, dass der Moment der Offenbahrungen nicht mehr all zu weit entfernt war. Dann würde sich zeigen ob Torsten immer noch bereit war zu ihr zu stehen oder ob er sie für ihr Verhalten verurteilte.
 

„Es ist nicht schwer die Wahrheit zu finden, Timo, meistens ist es sogar verdammt leicht. Es ist nur schwer wieder vor ihr davon zu laufen, wenn man sie erst einmal gefunden hat. Also willst du wirklich wissen, was da in Barcelona zwischen mir und Bojan war?“
 

„Ja.“
 

„Nichts.“
 

Ungläubig schaute Timo Lena an. Die saß immer noch mit baumelnden Beinen da, den Blick auf ihre Schuhe gerichtet, die immer wieder leicht zusammenstießen. Es schien als sei sie in einer anderen Welt, einer Welt, die Timo nicht betreten konnte. Deswegen versuchte er Torstens kleine Schwester wieder in die seine zurück zu holen.
 

„Wie meinst du das? Zwischen dir und Bojan lief nichts? Da sagen die Bilder aber etwas ganz anderes.“
 

Ein mildes Lächeln schlich sich auf Lenas Züge und endlich sah sie wieder auf.
 

„Bojan und ich, wir waren nie ein Paar, noch haben wir je miteinander geschlafen. Das ist alles eine Erfindung der Presse.“
 

„Warum?“
 

Ein bisschen verwirrt über diese kurze, unpräzise Frage, überlegte Lena einen Augenblick, während sie mit ihrem Zeigefinger Kreise auf ihre Jogginghose zeichnete.
 

„Warum was? Warum die Presse solche Dinge erfindet oder warum Bojan und ich nie zusammen waren?“
 

„Beides.“
 

„Ich habe keine Ahnung, warum die Presse all diese schrecklichen Dinge schreibt. All diese Lügen in die Welt setzt. Fakt ist nur, dass sie geschrieben werden und damit meinen Ruf in den Schmutz ziehen. Immer und immer wieder. Obwohl ich mittlerweile Barcelona schon lange verlassen habe.“
 

Es war nicht zu übersehen, dass es Lena sehr belastete, dass es Menschen gab, die sie genug zu verabscheuen schienen um all diese Lügen zu erfinden und ihr damit zu schaden. Timo konnte sich noch nicht einmal ansatzweise vorstellen wie sehr es die junge Frau schmerzen musste. Nach außen hin gab sie sich stark, tat so, als würde es sie nicht treffen, als stünde sie über den Dingen, aber wenn man etwas hinter die Fassade sah, so erkannte man, wie verwundete sie tatsächlich war und wie hart sie jeder neue Schlag doch traf.
 

„Es stimmt also nicht, dass du und-“
 

„Nein, Bojan und ich sind nur Freunde. Wie sollten wir auch mehr sein? Verdammt, Timo, ich habe diesen Jungen sozusagen aufwachsen sehen! Bin bei seiner Familie ein- und ausgegangen, weil ich zufällig auch mit seinem Vater zusammen bei Barca gearbeitet habe. Bojan war vierzehn, wurde kur nach meiner Ankunft in Barcelona fünfzehn, da habe ich mich schon um ihn gekümmert. Damals war er doch noch grün hinter den Ohren, ein wirkliches Kind! Ich bin mit ihm auf den Abschlussball des Tanzkurses gegangen, weil er sich nicht getraut hat ein anderes Mädchen anzusprechen. Er hat mir von seiner ersten Freundin erzählt und ich habe versucht ihn über seinen ersten Liebeskummer hinwegzutrösten. Vor seinem ersten Ligaspiel habe ich seine Hand gehalten und vor seinem ersten Auftritt in der Championsleague habe ich ihm Mut zugesprochen.“
 

Lena brauchte einen Moment um sich zu sammeln und all die Erinnerungen, die sich gewaltvoll an die Oberfläche drängten, im Zaum zu halten. Sie wollte jetzt nicht anfangen zu weinen und sie wollte auch nicht an all das Vergangene denken. Es hatte keinen Sinn.
 

„Er ist unter meinen Augen erwachsen geworden, zu einem Mann gereift und mit der Zeit veränderte sich selbstverständlich auch unser Verhältnis zueinander. Wie wurden Freunde, hatten denselben Freundeskreis. Die Zeit hat einiges geändert, aber es hat nichts daran geändert, dass ich Bojan niemals als einen Mann sehen werde, der mein Herz erobern könnte. Sicher, er hat seinen Platz in meinem Herzen und den macht ihm auch keiner streitig, aber ich hatte nie amouröse Absichten.“
 

Fast unmerklich nickte Timo, seine Augen auf irgendeinen Punkt an der Wand gerichtet, damit er die junge Frau neben sich nicht ansehen musste. Das alles, was sie gesagt hatte, klang plausibel. Wahr. Der Verstand sagte einem Menschen vielleicht, was man lassen sollte, aber das Herz sagte einem, was man tun muss und für das Herz des ehemaligen Stuttgarter stand fest, dass er Lena glaubte. Er hatte seine Antwort auf die Fragen gefunden, auch wenn Lena ihm nur eine einzige beantwortet hatte. Timo hatte sich entschlossen der kleinen Schwester des Lutschers zu glauben und ginge es nach ihm konnte der Rest der Welt und vor allen Dingen die Medien zur Hölle gehen. Eine weitere Frage hatte er jedoch noch, deren Antwort er unbedingt finden musste.
 

„Warum hast du das Torsten nicht erzählt? Wieso sagst du ihm nicht die Wahrheit? Warum belügst du ihn?“
 

Ein bitteres Lachen entfloh Lenas Lippen. Sie konnte einfach nicht anders.
 

„Mir ist schon klar, was du damit sagen willst, Timo: Lügen haben kurze Beine. Die Wahrheit ist immer das Beste. Ehrlich währt am längsten. Und so weiter... All diese klugen Sprüche, die man von all diesen ach so klugen Leuten um die Ohren gehauen bekommt, wenn man sowieso schon am Boden ist und nicht mehr weiter kann. Ich weiß, habe ich mir selbst schon oft genug anhören müssen, also verschone mich bitte damit. Denn Tatsache ist: Lügen ist eine Notwendigkeit. Wir belügen uns sogar selbst, weil die Wahrheit-“
 

Wieder konnte Lena nicht weiter sprechen, zu schwer fiel es ihr Timo zu erklären, warum sie ihren Bruder, ihren Fels in der Brandung, belog. Er würde es vermutlich sowieso nicht verstehen, doch trotzdem beendete Lena ihren angefangen Satz, wütender und aufgebrachter, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte.
 

„- weil die Wahrheit weh tut, verdammt noch mal!“
 

Erneut steigen Tränen in Lenas Augen auf und wieder wurden sie mit aller Kraft nieder gekämpft. Erst, wenn sie diesen Raum aufrecht in Richtung ihres Zimmers verlassen hatte, würde sie es sich gestatten zu weinen. Noch musste sie ihre Gefühle unter Kontrolle behalten, nur ein kleines bisschen noch, redete sich die Blondine ein.
 

„Wie sehr wir auch versuchen etwas zu ignorieren oder es zu leugnen, irgendwann brechen die Lügen zusammen, Lena. Meinst du nicht, Torsten hat sich die Wahrheit verdient? Hat er es sich nicht verdient sie aus deinem Mund zu hören, bevor ein anderer es ihm so neben bei erzählt?“
 

Natürlich wusste die Wahl-Spanierin, wie groß die Gefahr war, dass jemand anders ihr zuvorkommen konnte um Torsten die Wahrheit zu sagen. Sie lebte jeden Tag mit der Gefahr morgens einmal aufzuwachen und in das maßlos enttäuschte Gesicht ihres geliebten Bruders zu sehen. Aber mit dieser Gefahr hatte sie mittlerweile zu leben gelernt. Eher, als mit gewissen anderen Dingen.
 

„Ob uns das nun gefällt oder nicht, Timo: Aber hier ist die Wahrheit über die Wahrheit: Sie tut weh. Also ... lügen wir."
 

Wieder hielt Lena inne. Dieses Gespräch hatte sie emotional geschafft, sie fühlte da nur noch diese Leere, dieses Loch, da, wo eigentlich ihr Herz sein sollte. Sie hatte keine Kraft mehr weiter mit Timo zu reden, weiterhin stark zu sein und die Tränen vor ihm zu verstecken. Sie wollte nur noch hier raus und so ließ Lena sich wortlos von der Liege rutschen und schritt langsam zur Tür. Timo schien noch nicht wirklich bemerkt zu haben, was um ihn herum geschah, zu sehr dachte er noch über Lenas Worte, ihre vermeintliche Erklärung für all die Lügen nach. Lenas letzte Worte rissen ihn jedoch aus seiner Starre.
 

„Jeder neue Tag bringt Lügen mit sich. Die schlimmsten aber sind jene, die wir uns selbst erzählen bevor wir einschlafen. Wir flüstern sie in die Dunkelheit und reden uns ein, dass wir glücklich sind. Dass alles wieder gut werden wird. Dass es besser ist, wenn wir schweigend alles ertragen, was uns aufgebürdet wird. Dass das alles irgendwann ein Ende haben wird. Ja, jede Nacht bevor wir einschlafen, belügen wir uns selbst. In der ach so verzweifelten Hoffnung, dass am nächsten Morgen alles wahr sein wird."
 

To be continued
 

Dieses Kapitel hat, ob ihr es glaubt oder nicht, sehr viel Kraft und auch Zeit gekostet und ich habe bei einigen Formulierungen ungewöhnlich lange hin- und her überlegt, ob ich sie wirklich so lassen soll. Allein schon die Überschrift war, wie ihr sicherlich bemerkt habt, ein Widerspruch in sich, da sowohl „Truth“ als auch „Lies“ darin vorkamen, genauso wie auch in diesem Kapitel… Die Wahrheit und die Lügen... Sie sind widersprüchlich und gehören doch ganz eng zusammen… zumindest sehe ich es so…

Es war schwer Lena und Timo zeitgleich von ihrer angreifbaren Seite zu zeigen… Sie sind unglaublich verletzlich und besonders Lena macht sich angreifbar, in dem sie so offen von ihrer Beziehung zu Bojan spricht… Behaltet es im Hinterkopf, es wird noch eine wichtige Rolle spielen.

Ich hoffe ihr verzeiht dem Timo Hildebrand seine Methode, es tut ihm wirklich Leid. Er ist nicht der Böse, er war einfach nur fehlgeleitet…

Was sagt ihr zu meinen Theorien über die Lügen und die Wahrheit? Vollkommener Schwachsinn oder seht ihr darin auch einen Fünkchen Realität?
 

Ich weiß, dieses Nachwort ist ungewöhnlich lang, aber ich hatte das Bedürfnis all diese Worte loswerden zu müssen… Jetzt mache ich aber auch Schluss und freue mich aufrichtig auf eure Meinung zu diesem Kapitel von „Happy ohne Ende?“

Wunden

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Danke für deinen Kommentar!
 

Eigentlich hatte Lena sich auf direktem Wege zu ihrem Hotelzimmer begeben wollen, zu aufgewühlt war sie noch nach der kleinen „Konversation“ mit Timo, als dass sie in aller Ruhe hätte weiter arbeiten können, doch nun fand sie sich überraschenderweise am Pool wieder, der still in der Münchener Abendsonne glänzte und leise vor sich hin plätscherte, wenn ein leichter Wind aufkam. Keiner der Jungs war da und Lena genoss diesen Augenblick der Ruhe.

Ihre Augen waren geschlossen und sie verließ sich ganz auf ihr Gehör, das ihr von den sanften Wellen des Wassers kündete. Langsam beruhigte sich ihr Herzschlag wieder, ihre feuchten Handflächen trockneten und auch die Tränen, die eben noch hatten an die Oberfläche drängen wollen, versiegten schleichend wieder in den Tiefen ihrer angeschlagenen Seele.
 

Sie musste sich innerlich sammeln, damit sie jetzt nicht vollkommen auseinander brach. Damit sie weiterhin stark sein konnte, für sich selbst und vor allen Dingen für ihren geliebten großen Bruder, der sich schon viel zu viele Vorwürfe machte. Ihretwegen. Sinnlose Vorwürfe, die bei weitem nicht der Realität entsprachen, für ihn jedoch wahr waren. So sah die Wahrheit des Torsten Frings nun einmal aus. Und da merkte Lena, dass sie sich wieder im Kreis zu drehen begann, wieder war sie bei der Frage nach der Wahrheit und den Lügen angekommen, als wäre es ein intensiver Wink mit dem Zaunpfahl. Eine Aufforderung endlich mit ihrem Bruder zu reden, damit es ihnen hinterher beiden besser ging. Falls es ihnen danach überhaupt besser gehen konnte. Sie wusste doch selbst zu genau, dass die Wahrheit nicht rein und niemals einfach war, genauso würde Torsten ihre Sicht der Wahrheit nicht so aufnehmen könne, wie Lena es sich vielleicht wünschte.
 

„Es ist doch alles beschissen!“
 

Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen spürte Lena eine siedendheiße Wut in sich hoch kochen, die sie nicht unterdrücken geschweige denn zähmen konnte und so trat sie mit alles Kraft gegen einen faustgroßen Stein, der in hohem Bogen und mit einem lauten „Platsch“ im Pool versank. Es tat gut all die Frustration raus zu lassen und den Gefühlen, die sich seit ihrem Gespräch mit Timo in sich aufgestaut hatten, freien Lauf zu lassen. Früher war sie nie einer der Menschen gewesen, die körperlich Dampf ablassen mussten, aber augenscheinlich hatte sie sich auch in diesem Bereich des Lebens verändert. Sogar, ohne es selbst so richtig zu registrieren.
 

„Hey, ganz ruhig. Der Stein kann auch nichts für deine schlechte Laune.“
 

Überrascht von der Stimme, wirbelte Lena herum und erkannte René Adler, der breit grinsend auf eine der Liegen gestützt, vor ihr stand. Er schien sich köstlich über die kleine Frustbewältigung der jungen Psychologin zu amüsieren, wohingegen Lena absolut keine Lust auf ein Gespräch mit einem weiteren Torwart der Nationalmannschaft hatte. Wahrscheinlich hatte man Lena ihre Begeisterung über Renés plötzliches Auftauchen ansehen können, denn der Leverkusener Torhüter hob nur abwehrend die Hände.
 

„Das war doch nur ein Scherz, ich wollte dich eigentlich nicht stören, aber du sahst eben einfach so verloren aus, als du da allein am Pool standest, da dachte ich mir-“
 

Betreten blickte René zu Boden und sprach nicht weiter. Das breite Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden und seine Füße schienen ihn mit einem Mal brennend zu interessieren, denn er wusste auf einmal ja selbst nicht mehr, warum er zu der jungen Blondine gegangen war, als er sie von drinnen dort hatte stehen sehen. Irgendwie hatten seine Füße ihn ganz von selbst hierher getragen. Einfach so, aus einem Impuls heraus. Der blonde Nationalkeeper hatte wirklich absolut keine Ahnung, was ihn dazu veranlasst hatte zu ihr zu gehen und sie dann auch noch mit so einem blöden Spruch zu nerven, wo er doch schon von weitem gesehen hatte, dass sie nicht gut drauf war. Erschwerend kam dann noch hinzu, dass er bereits am Nachmittag gemerkt hatte, wie sehr die kleine Schwester des Lutschers solche dummen Sprüche hasste. Ihre Retourkutschen bei Clemens und Bastian hätten ihn eigentlich vorwarnen sollen, aber trotzdem war er in das gleiche Fettnäpfchen getappt wie seine beiden Kollegen vor ihm. Und die beste Idee um mit ihr ins Gespräch zu kommen, war eben dieser lockere Spruch gewesen. Ehrlich gesagt war es auch Renés einzige Idee gewesen und mangels Alternativen hatte er sie dann auch so angesprochen. Denn irgendwie hatte René sie einfach nicht links liegen lassen können, sie tat ihm so leid, wie sie mit gesenktem Kopf dagestanden hatte. Als wäre gerade irgendetwas Schlimmes passiert, irgendetwas, was sie völlig aus der Bahn geworfen hatte. Vielleicht ja ein Streit mit Torsten, wer konnte das schon wissen?
 

„Ach verdammt, ich wollte einfach fragen, ob alles in Ordnung ist. Ob es dir gut geht.“
 

Wie ein kleiner Schuljunge stand René vor Lena, die sich ein leichtes Lächeln einfach nicht verkneifen konnte. Trotzdem fasste sie sich unwillkürlich an ihr Handgelenk, das schmerzhaft pochte und wahrscheinlich schon in den buntesten Farben leuchtete. Körperlich ging es ihr mit der schmerzenden Hand gerade nicht besonders prächtig, aber sie fand es irgendwie süß, dass René extra zu ihr an den Pool gekommen war, weil sie dort allein gestanden hatte. Das hieß, dass er sie beobachtet und sich Gedanken gemacht hatte, obwohl sie sich gerade erst vor wenigen Stunden kennen gelernt hatte. Das war so eine Tat, die auch von Lionel oder Andres hätte kommen können, wobei Lena den Gedanken an ihre beiden Freunde aus Barcelona sofort wieder zu verdrängen versuchte. Er gehörte hier nicht hin, außerdem war sie dem Bundesadler noch eine Antwort schuldig, die er sich redlich verdient hatte.
 

„Ja, mir geht es gut, ich brauchte einfach nur einen Augenblick Ruhe um wieder Ordnung in meine Gedanken zu bringen.“
 

„Ah, verstehe, dann sollte ich wohl jetzt besser gehen. Entschuldigung, dass ich gestört habe, es war wirklich nicht böse gemeint.“
 

Verlegen sah René von Lena zurück auf den Boden. Ihm war nun klar, dass er sie nicht einfach so hätte stören, hätte ansprechen sollen, aber irgendwie war es ihm wie die richtige Handlung erschienen. Da hatte ihn sein Gefühl wohl mächtig getäuscht.
 

„Bleib doch noch ein bisschen.“
 

„Aber ich dachte, du wolltest ein bisschen Ruhe haben um dich zu sammeln? Da störe ich doch bestimmt nur.“
 

René wollte diese überaus peinliche Begegnung nicht unbedingt noch länger hinziehen als nötig. Die kleine Schwester des Lutschers musste ihn ja jetzt schon für einen ungehobelten, manierenlosen Kerl halten, der einfach so die Ruhe eine Person durchbrach um sie dann mit schlechten Sprüchen zu belästigen. Nein, ein schlechteres Bild als jetzt schon sollte die neue Physiotherapeutin von ihm nun doch nicht bekommen, deswegen zog er es definitiv vor zu gehen.
 

„Nein, du störst doch nicht. Ehrlich gesagt bin ich dir ziemlich dankbar, dass du mich aus meinen Gedanken gerissen hast, sonst hätten garantiert noch der ein oder andere Stein daran glauben müssen.“
 

Unwillkürlich sah René auf und lächelte Lena an, die ebenfalls freundlich zurücklächelte, was dem Leverkusener den Mut zu einer Erwiderung gab.
 

„Ja, und dann hätten sich hinter die Gäste noch an den Steinen weg getan.“
 

„Genau, also war dein Auftauchen sozusagen eine Rettungsaktion für die Füße der Gäste.“
 

Das leichte Lächeln der beiden hatte sich in ein ausgewachsenes Grinsen verwandelt und lenkte Lena sogar für einen Moment von den Schmerzen in ihrem Handgelenk ab. Irgendwie drohte ihre Konversation ins Absurde abzurutschen, doch das war beiden total egal. Hauptsache sie hatten etwas zu lachen und schwiegen sich nicht an. Und vor allen Dingen brachte René Lena auf andere Gedanken, so dass sie nicht mehr über das Gespräch mit Timo nachdenken musste.
 

„Ja, für dir Gäste. Und für dich.“
 

„Wieso denn ausgerechnet für mich? Ich hätte mir beim Steinetreten schon nichts getan.“
 

Gespielt skeptisch musterte René die junge Frings und schüttelte dann den Kopf.
 

„Das habe ich auch nicht behauptet, aber im Augenblick sind die einzigen Gäste im Hotel wir, Spieler der deutschen Nationalmannschaft, und wer müsste sich unter anderem um unsere kaputten Füße kümmern?“
 

So langsam dämmerte es Lena, worauf der blonde Mann vor ihr hinaus wollte, aber sie wollte sich lieber noch einmal versichern, ob sie das auch richtig verstanden hatte.
 

„Ich?“
 

„Genau!“
 

Wieder lachten die beiden auf und Lena strich sich eine Haarsträhne, die ihr bei der Bewegung in die Stirn gefallen war, aus ihrem Gesicht, als René abrupt aufhörte zu lachen und sie nur noch verblüff anschaute.
 

„Ist was? Habe ich irgendetwas im Gesicht?“
 

Eigentlich hatte Lena die Frage scherzhaft gemeint, doch René verzog keine Miene, sondern blieb ernst. Seine klaren Augen sahen sie unumwunden an und schienen sie fast zu durchbohren. Er brauchte einen Moment, bis er ihr antwortete, seine Stimme vollkommen ohne den Scherz und die Leichtigkeit, die sie bis eben noch besessen hatte.
 

„Nein, nicht direkt.“
 

„Wo denn dann?“
 

Langsam war Lena genervt, dass René ihr nicht einfach sagen konnte, was ihm so plötzlich die Petersilie verhagelt hatte. Seine Antwort jedoch ließ in ihr eine Flutlichtanlage aufgehen.
 

„An deinem Handgelenk. Verdammt, was hast du gemacht, das sieht ja schlimm aus.“
 

Panisch überlegte Lena, was sie darauf erwidern sollte. Was sie überhaupt sagen konnte ohne sofort als miserable Lügnerin enttarnt zu werden. Diese Male waren ziemlich deutlich zu sehen und bei näherer Betrachtung konnte man sogar die Griffspuren erkennen, die Timos Fingernägel auf ihrer Haut hinterlassen hatten. Deshalb fielen die meisten möglichen Ausreden schon einmal aus. Trotzdem legte Lena keinen Wert darauf, dass ihre kleine Begegnung mit Timo allgemein bekannt wurde und sie konnte sich die Reaktion ihres Bruders sehr genau vorstellen, wenn er ihr Handgelenk sah und erfuhr, dass einer seiner Kollegen dafür verantwortlich war. Timo würde sicherlich keinen gnädigen Gott haben und das hatte er nicht verdient, immerhin tat es ihm aufrichtig Leid.
 

Als Lena immer noch keinen Ton von sich gegeben hatte um die ganze Situation zu erklären, trat René einen Schritt auf sie zu und hob ihr Handgelenk ganz vorsichtig an und drehte es, damit er es besser betrachten konnte. Blitzschnell zog die junge Blondine die Hand zurück und hielt sie hinter den Rücken, doch der Torhüter hatte bereits herausgefunden, was er hatte wissen wollen.
 

„Also doch.“
 

„Was, „also doch“?“
 

Lenas Ton war aggressiver, als sie eigentlich erwartet hatte, aber schon zum zweiten Mal an diesem Tag fühlte sie sich von einem Torwart der deutschen Nationalmannschaft in die Enge gedrängt, wie ein wehrloses Tier, das keine Chance hatte zu entkommen und dieses Gefühl behagte Lena ganz und gar nicht. Wenn sie mit dem Rücken zur Wand stand, wurde sie immer recht unangenehm und diese Situation war keine Ausnahme. René schien ihre auflodernde Wut jedoch völlig kalt zu lassen, ganz ruhig sprach er weiter.
 

„Ich war mir nicht ganz sicher, ob du diese blauen Flecke schon länger hast oder ob sie neu sind. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, ob ich sie nicht heute Nachmittag am Pool einfach übersehen habe, aber sie sind so frisch, sie können nicht länger her sein. Also, was ist passiert, Lena?“
 

Ihm war klar, dass er die junge Blondine noch nicht länger als ein paar Stunden kannte und bisher nur ein paar belanglose Worte mit ihr gewechselt hatte, aber trotzdem konnte er nicht zulassen, dass sie solch eine Verletzung verschweigen wollte. Diese Flecken erinnerten ihn stark an Handabdrücke, so als hätte jemand die junge Frau gegen ihren Willen festgehalten und so wie er es einschätzte, war es noch nicht lange her. Daher musste es einer seiner Kollegen gewesen sein. Vielleicht Torsten, der seine Schwester nach einem Streit hatte aufhalten wollen. Eigentlich traute René dem Lutscher ein solch brutales Verhalten nicht zu, gerade nicht, wenn es um seine Familie ging, aber wieso sollte ein Spieler der restlichen Mannschaft einen Grund haben die kleine Schwester des Fringsers notfalls mit Gewalt aufzuhalten? Die meisten kannten sie doch ebenfalls erst seit ein paar Stunden.
 

„Es geht dich nichts an, was passiert ist und nun lass mich bitte rein, es ist doch recht frisch hier draußen.“
 

Beiden war klar, dass die vorgeschobene Frische nur eine faule Ausrede von Lena war, der bei geschätzten zwanzig Grad garantiert nicht kalt sein konnte. Wenigstens, so fand René, behauptete sie nicht, dass nichts passiert wäre, denn das wäre eine noch schlechtere Lüge gewesen und wenn René eins nicht mochte, dann waren es diese wirklich total fadenscheinigen Ausreden, die selbst jeder Depp sofort durchschaute.
 

Eigentlich ging es René zwar wirklich nichts an, woher Lena diesen blauen Fleck bekommen hatte, doch trotzdem ließ er nicht locker. Bestimmt fasste René Lena bei der Schulter um sie am Gehen zu hindern. Normalerweise hätte er sie vermutlich an der Hand gepackt, aber das hielt er angesichts der Situation nicht für die beste Methode. Es überraschte den Leverkusener Keeper jedoch, dass Lena unter seiner Berührung zusammenzuckte und für einen Augenblick das Gesicht verzerrte, als hätte sie körperliche Schmerzen.
 

„Ist alles in Ordnung?“
 

Dieselbe Frage wie am Anfang, nur dass René ihr dieses mal nicht glauben würde, wenn sie „ja“ sagen würde. Trotzdem versuchte sie es.
 

„Ja, es geht mir gut. Es ginge mir sogar noch besser, wenn du mich endlich reingehen lassen würdest.“
 

Störrisch wie nur eine echte Frings sein konnte, versuchte Lena Renés Hand, die immer noch auf ihrer Schulter lag, aber keinen Druck mehr ausübte, abzuschütteln. Dabei verrutschte ihr Oberteil so, das es dem Leverkusener Bundesadler eine klare Sicht auf Lenas Schulter bescherte, auf der sich ebenfalls die Konturen einer Hand abzeichneten. Zwar nicht so deutlich wie am Handgelenk der jungen Blondine, aber trotzdem ohne Probleme erkennbar. Erschrocken und aufgebracht schnappte René nach Luft. Deswegen war Lena bei seiner Berührung so zusammen gezuckt, kein Wunder.
 

„Kommt gar nicht in Frage, erst erzählst du mir, was los ist.“
 

Mühsam versuchte René seine aufkeimende Wut unter Kontrolle zu halten. Es fiel ihm schwer, aber ihm war klar, dass er bei Lena gar nichts erreichen würde, wenn er jetzt die Nerven verlor und ausrastete. Immerhin konnte sie ja nichts dafür, sie war unschuldig. Ein Opfer der Gewalt. Und er verabscheute Gewalt im Allgemeinen, sie war so verflucht sinnlos, aber noch mehr verabscheute er Gewalt gegen Frauen, ausgeübt von Männern, gegen die sie keine Chance hatten sich zu wehren. Welcher der Männer, die er zu seinen Freunden und Kollegen zählte, hatte der jungen Blondine so arg zugesetzt? Und vor allen Dingen: Warum?
 

„Gar nichts ist los, René, und ich habe auch keine Ahnung, was du eigentlich genau von mir willst.“
 

„Was ich von dir will? Ich will wissen, wer dir diese Wunden verpasst hat, verdammt noch mal! War es Torsten? Habt ihr beide euch gestritten und er ist handgreiflich geworden?“
 

Vollkommen ungläubig starrte Lena René an, der langsam seine Hand von ihrer Schulter sinken ließ. So, wie die junge Frau ihn gerade ansah, schien seine Theorie mit dem Familienstreit nicht richtig zu sein.
 

„Glaubst du wirklich, dass Torsten jemals einem Menschen, den er liebt, wehtun könnte? Denkst du Torsten wäre dazu fähig, nur weil er manchmal etwas ruppiger und härter rüber kommt als alle anderen? Denn wenn es so ist, dann kennst du meinen Bruder ganz schlecht. Er würde sich eher ein Bein ausreißen, als mich zu verletzen. Also lass Torsten gefälligst aus dem Spiel!“
 

Der Angriff auf Torsten hatte Lena wütend gemacht, noch wütender, als sie vorher schon wegen Renés penetranten Fragen gewesen war. Es war eine Sache, wenn er sie bedrängt, aber eine ganz andere, wenn er ihrem Bruder eine solche Tat unterstellte. Sie wusste nicht, was der Blonde vor ihr sich einbildet, auf jeden Fall hatte er eigentlich einen saftigen Tritt in den Hintern verdient. Um jedoch nicht noch mehr Zeit in seiner Gegenwart zu verbringen, stürmte Lena einfach so drauf los in Richtung Foyer. Bloß weit weg von diesem penetranten Vogel! Anfänglich hatte sie gedacht er wäre so ein bisschen wie Andres und Lionel, doch mittlerweile war sie sich absolut sicher, dass René Adler nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihren Freunden hatte. Tief in ihrem Inneren war der jungen Psychologin zwar klar, dass auch ihre beiden Freunde in Barcelona nicht eher Ruhe gegeben hätten, bis sie eine ehrlich Antwort von ihr bekommen hätten, aber das verdrängte Lena in diesem Augenblick so gut es ging.
 

Mit schnellen Schritten durchquerte Lena das Foyer und drückte doller als gewollt auf den Fahrstuhlknopf. Als dieser dann nicht sofort kam wiederholte die junge Deutsche das Drücken immer wieder, bis auf einmal eine lachende Stimme hinter ihr sagte:
 

„Von dem vielen Gedrücke kommt er auch nicht schneller.“
 

Überrascht blickte Lena in das grinsende Gesicht von Mario Gomez und irgendwie kam ihr diese Situation verdammt bekannt vor. Mit einem ähnlichen Spruch und einem ebenso breiten grinsen hatte auch René ihr Gespräch am Pool begonnen, nachdem Lena etwas absolut sinnloses getan hatte. Erst der Stein, jetzt der Fahrstuhlknopf, heute war wohl irgendwie der Tag der sinnlosen Aktionen.
 

Da Lena aber auf ein ähnliches Gespräch wie das mit René verzichten konnte, entschied sie sich die Treppe zu nehmen und spurtete fast schon los, so dass sie Marios Worte nur noch mit halbem Ohr vernahm:
 

„Soll ich dich heute Abend abholen, Lena? Wir machen einen netten kleinen Mannschaftsabend und es wäre doch toll, wenn du mitkommen würdest.“
 

Mario versuchte es mit seinem charmantesten Lächeln und hoffte die junge Neu-Bremerin von der Idee überzeugen zu können. Nur um endlich in ihr Hotelzimmer zu kommen, rief Lena über ihre Schulter:
 

„Jaja.“
 

Dabei hatte sie im Grunde genommen gar keine Ahnung, auf was sie sich da gerade eingelassen hatten und zu was sie da gerade zugestimmt hatte. Sie wollte einfach nur noch auf ihr Zimmer um dort in Ruhe nachzudenken und sich eine plausible Erklärung für die blauen Flecke einfallen zu lassen. Alles andere tangierte sie im Augenblick nur peripher. Dass Mario zu seinem Wort stehen und sie wirklich abholen würde, glaubte Lena in diesem Moment zumindest nicht.
 

To be continued
 

Ja, die Torhüter der deutschen Nationalmannschaft haben es Lena wirklich angetan… Beide stellen ihr unangenehme Fragen, wollen die Wahrheit wissen… und im Grunde hat eigentlich keiner das Recht sie so in die enge zu treiben…

Aber ich hoffe trotzdem, dass ihr René nicht böse seid, er macht sich wirklich nur sorgen um sie… Finde ich persönlich irgendwie ganz niedlich, immerhin kennen sich die beiden erst ein paar Stunden, da ist so eine Fürsorge nicht selbstverständlich…

Und worauf hat Lena sich mit ihrer Zusage zu dem kleinen Nationalmannschaftsabend wohl eingelassen? Vor allen Dingen, wenn sie sich von Mario Gomez abholen lässt, das wird Schweini, Clemens und auch Per bestimmt ganz schön hart treffen… Von Torstens Reaktion ganz zu schweigen… ;)
 

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und hoffentlich auf wieder lesen, entweder beim nächsten Kapitel oder aber, was mich noch mehr freuen würde, beim nächsten Kommentar!

If a song could get me out

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

So liebe Leserinnen und Leser, an diesem Kapitel hier habe ich sehr lange geschrieben, was sich auch durchaus in seinen Ausmaßen wieder spiegelt und es soll sozusagen ein riesengroßes „Dankeschön“ an all meine fleißigen Kommentatoren und Kommentatorinnen sein, die sich nach jedem Kapitel hinsetzen und mir ihre Meinung, Spekulationen und ihre Eindrücke schildern. Ich weiß selbst, dass ich mit einem einzigen Kapitel bei weitem nicht das ausdrücken kann, was diese wundervollen Worte mir bedeuten, aber ich war der Meinung, dass es ein guter Versuch, ein erster Schritt sozusagen, sein könnte. Deswegen widme ich dieses Kapitel all jenen, die im Laufe der Story um Lena und ihre Freunde einen Kommentar abgegeben haben.
 

Bastians Lied:

http://www.youtube.com/watch?v=Gcbsy5SiCIo&feature=related
 

Pers Lied:

http://www.youtube.com/watch?v=FlvYoD1RXWA
 

Lenas Lied:

http://www.youtube.com/watch?v=GZv0AwvOq8E&feature=related
 

Leider konnte ich die Lieder nicht komplett verwenden, sondern nur Ausschnitte, aber ich hoffe es gefällt euch trotzdem. Normalerweise habe ich eine Abneigung gegen Kapiteln, in denen sehr viele Lieder einfach nur so hintereinander geschoben werden, aber in diesem Fall musste ich es selbst so handhaben, auch wenn ich hoffe, dass ihr nicht das Gefühl bekommt, dass ich diese Lieder dort nur eingebaut habe, weil ich sie mag, sondern weil sie wirklich einwandfrei passen.
 


 

Vollkommen erschöpft von ihrem „ersten“ Arbeitstag und den Diskussionen mit zwei der drei deutschen Torhüter ließ Lena sich auf ihr Doppelbett fallen und rollte sich zusammen wie eine Katze, um die Wärme ihres Körpers zu spüren. So, mit einem Kissen an die Brust gepresst und den Knie so weit es ging angezogen, konnte die jüngere Frings ihre hektische und problematische Umwelt ausblenden und sich einen kleinen Augenblick in sich selbst zurückziehen um neue Kraftreserven zu mobilisieren. Lena war sich natürlich bewusst, dass ihre Reserven, die sie eigentlich in Bremen wieder hatte auffüllen wollen, in der letzten Zeit eher noch ausgezehrter waren als zuvor Barcelona, jedoch ignorierte die Blondine diese Tatsache gekonnt und konzentrierte sich auf die akuten Probleme, die dringend eine Lösung erforderten und das waren definitiv die blauen Flecke, die Timo ihr zugefügt hatte.
 

Wie die Begegnung mit René eindeutig bewiesen hatte, konnte Lena nicht einfach so tun als wäre nichts passiert, als wären diese Flecke nichts weiter als ein kleiner Unfall, eine Unachtsamkeit ihrerseits. Sie fielen einfach auf und weckten die Neugier der Jungs, mit der die kleine Schwester des Lutschers im Augenblick aber weder umgehen wollte noch konnte. Also brauchte sie entweder ein plausibles „Versteck“ oder aber eine lupenreine Ausrede, die keiner der Spieler als Lüge durchschauen würde. Da ihre Erklärungsversuche jedoch bereits an René gescheitert waren, beschloss Lena in ihrem Koffer nach Kleidungsstücken zu suchen, die ihre Male verdecken würden. Ein langer, dicker Rollkragenpullover wäre da am Geschicktesten gewesen, doch die Psychologin war sich sicher, dass der bei über zwanzig Grad Außentemperatur eher noch mehr Fragen aufwerfen würde.
 

Nach zehnminütiger Suche und dreimaligen Durchwühlen ihres Koffers fand Lena schließlich doch ein Oberteil, das nicht nur ihre blauen Flecken am Handgelenk und auf den Schultern elegant verdecken würde, sondern auch noch den Temperaturen angemessen war. Zwar konnte sie sich nicht mehr daran erinnern dieses Kleidungsstück irgendwann einmal erworben zu haben, doch störte sie das in diesem Augenblick herzlich wenig. Vermutlich war es ein Geschenk von Adriana gewesen, die ihr damit eine Freude hatte machen wollen. Das ehemalige Model konnte einfach nicht verstehen, wie eine andere Frau der Mode so desinteressiert gegenüberstehen konnte wie Lena es während ihrer vier Jahre in Mailand, einer wahren Modemetropole, getan hatte.
 

Kritisch ließ Lena noch einmal den Blick über das gute Stück schweifen und nickte dann leicht ihrem Spiegelbild zu, das ihre Bewegung synchron nachahmte. Freiwillig hätte die junge Frau diese Wahl zwar nie getroffen, aber wie hieß es doch so schön: Not macht erfinderisch und dieses Oberteil schien sich ihren Nöten perfekt angepasst zu haben. Es war aus weinrot Seide, hatte nur einen relativ kleinen Halsausschnitt und lag am Busen und an der Taille vergleichsweise eng an, wohingegen aber die Oberseite der Oberarme und noch ein kleiner Teil der Unterarme von den fließend herunterhängenden „Ärmeln“ unbedeckt blieb. Der Clou des Oberteils war jedoch der knapp zehn Zentimeter breite Streifen auf Höhe der Handgelenke, an dem der restliche Stoff wieder zusammen geführt und gehalten wurde, so dass dieses Stoffband alle Hinweise auf ihre Auseinandersetzung mit Timo kunstvoll bedeckte.
 

Zufrieden legte die Wahl-Spanierin ihren Fund wieder an die Seite und ließ sich ein weiteres Mal auf ihr Bett fallen, das ihre Landung sanft abfederte. Um noch einen kurzen Augenblick zu entspannen, schloss Lena die Augen und ohne es zu merken war sie auch schon vor emotionaler Erschöpfung und Müdigkeit in einen sanften Schlaf gefallen. Ihr Körper holte sich die Erholung zurück, die Lena selbst ihm schon all zu lange vorenthalten hatte.
 

Und so wachte die junge Blondine auch erste wieder aus ihren süßen Träumen auf, als neben ihr das Zimmertelefon mit einen unerträglich schrillen Geräusch zu bimmeln begann. Mit einem leisen Knurren drehte Lena sich wieder um und versuchte das nervtötende Geräusch zu ignorieren, doch wer auch immer der Anrufer war, er ließ sich nicht so einfach abwimmeln und nach dem gefühlten dreihundertsten Klingel hob Torstens kleine Schwester den Hörer von der Gabel und meldete sich mit einen noch sehr verschlafen klingenden:
 

„Frings.“
 

Vom anderen Ende konnte man ein amüsiertes Lachen hören und Lena war sich fast sicher diese Stimme und das dazugehörige Lachen zu kennen, doch in ihrem verschlafenen Dämmerzustand arbeite ihr Gehirn noch nicht richtig auf Hochtouren um den Anrufer zweifelsfrei zu identifizieren.
 

„Schönen Tag auch, Dornröschen. Da sich bei dir im Zimmer nichts rippelt und du auch auf mein vehementes Klopfen nicht reagiert hast, dachte ich mir, dass du bestimmt eingeschlafen sein musst und gegen so etwas, habe ich mir mal gedacht, hilft am besten das schrille Klingeln eines Hoteltelefons um selbst den festesten Schlaf zu zerstören.“
 

Mittlerweile wusste Lena zwar wer am anderen Ende der Leitung war und sie konnte sich auch sein breites Grinsen bildlich vorstellen, doch hatte die junge Psychologin und Physiotherapeutin in Personalunion keinen blassen Schimmer, was dieser Mensch von ihr wollen könnte und warum er so erpicht darauf war ihren Schlaf zu stören.
 

„Bitte Mario, was willst du?“
 

„Was ich will? Jetzt sag nicht, du hast es vergessen!“
 

Einen Moment versuchte Lena sich daran zu erinnern was der Stürmer des VfB Stuttgarts wohl meinen konnte, doch bevor sie wirklich hätte anfangen können darüber nachzudenken, sprudelte es auch schon aus Mario heraus.
 

„Das kann doch nicht sein, Lena, ich habe dich zu unserem netten, kleinen Nationalmannschaftsabend eingeladen und du hast zugesagt. Ich sollte dich sogar abholen kommen!“
 

So langsam dämmerte es der jungen Frau, wann sie mit Mario gesprochen haben musste und warum sie nicht darauf geachtet hatte, worum er sie gebeten hatte: In diesem Augenblick hatte sie andere Dinge im Kopf gehabt und so wie Lena Mario bisher kennen gelernt hatte, würde er sie jetzt aus dieser Geschichte nicht mehr raus lassen. Mit einen leisen, aber für Mario durchaus vernehmlichen Seufzer antwortete Lena ihm.
 

„Ich erinnere mich, Mario.“
 

Das war zwar so etwas wie eine Lüge, schließlich erinnerte sie sich nur daran, dass der Halbspanier mit ihr gesprochen hatte, aber nicht mehr genau, was er gesagt hatte, aber das spielte ja nun auch keine große Rolle. Fakt war, dass sie mit ihm und seinen Kollegen einen „netten“ Abend verbringen würde, der ihr nun gar nicht ins Konzept passte. Sie hatte der ganzen Bande weites gehend aus dem Weg gehen wollen und nicht noch weiteren Kontakt zu ihnen pflegen, in dem sie gemeinsam etwas unternahmen. So war das nicht geplant gewesen, aber ihre eigene Unachtsamkeit hatte sie in diesen Schlamassel gebracht und Lena sah keinen ehrlichen Ausweg aus der Situation. Und Lügen stellten für sie ausnahmsweise einmal keine mögliche Option da. Also blieb nichts anderes übrig als in den sauren Apfel zu beißen und darauf zu hoffen, dass es an diesem Abend zu keinem Eklat kommen würde. Zur Sicherheit würde sie wahrscheinlich deshalb schon um manche Nationalspieler einen Bogen machen.
 

„Super, dann hole ich dich in ungefähr einer halben Stunde ab?“
 

Überrascht blickte Lena auf die Uhr und bemerkte erschrocken, dass es bereits Viertel vor Acht war und sie das Abendessen bereits verschlafen hatte. Wenn Mario jedoch in einer halben Stunde schon bei ihr sein wollte, würde sie sich sputen müssen, denn duschen, Haare waschen, anziehen, schminken, Haare machen und all die anderen typisch weiblichen Tätigkeiten im Bad vor einer „Verabredung“ brauchten so seine Zeit und in Windeseile hatte die junge Frau sich von Mario verabschiedet, den Hörer aufgeschmissen und war ins Bad geeilt um schnell unter die Dusche zu springen.
 

Die jüngere Frings war unheimlich froh, dass sie nach dem Duschen nicht erst noch mit nichts weiter als ihrer feinen Spitzenunterwäsche eine halbe Ewigkeit vor ihrem notdürftig zu einem Kleiderschrank umfunktionierten Koffer verbringen musste, um sich das passende Outfit rauszusuchen. So griff sie einfach nur nach ihrer durchsichtigen Strumpfhose, einem ihrer zahlreichen schwarzen Röcke und dem weinroten Oberteil, dass sie sich bereits wenige Stunden zuvor rausgelegt hatte. Ihre Haare hatte Lena nur an bestimmten Stellen ein wenig zurückgesteckt, so dass ihre langen, leicht gelockten blonden Haare locker über ihre Schultern fielen ohne ihr dabei aber ständig um Gesicht zu hängen. Binnen kürzester Zeit stand sie so vorm Spiegel, tuschte sorgfältig ihre Wimpern schwarz, legte Rouge auf, da sie sonst wahrscheinlich zu blass gewirkt hätte, und bestrich ihre Lippen mit leicht rosé-farbenen Lipgloss. Als Lena das Ergebnis im Spiegel betrachtete huschte ihr ein leichtes Lächeln über die Lippen. Im Grunde genommen hatte sie nichts anderes getan als das, was sie an den meisten Arbeitstagen in Barcelona auch tat, nur dass Lena bei abendlichen Ausflügen mit „ihren“ Jungs noch darauf achtete, dass sie Smoky Eyes hatte, da Lionel der Meinung war, dass das Blau ihrer Augen so besser zur Geltung kam als nur mit Kajal und Wimperntusche.
 

Ein Klopfen an ihrer Hotelzimmertür schreckte die Blondine aus ihren Überlegungen auf und ohne Schuhe tapste sie durch ihr Hotelzimmer um die Tür zu öffnen, hinter der vermutlich Mario auf sie warten würde.
 

„Hola Señora Frings. Können wir?“
 

Lässig an den Türrahmen gelehnt musterte Mario die kleine Schwester seines Mittelfeldkollegen, die nur noch schnell in ihre ebenfalls schwarzen Pumps schlüpfen musste und ihn dann erwartungsvoll ansah. Gentlemanlike hielt er ihr den Arm hin, den Lena auch ohne zu zögern ergriff.
 

„Ich bin ehrlich gesagt ziemlich überrascht, dass du schon fertig warst, als ich geklopft habe. Immerhin hast du dich noch ziemlich verschlafen angehört, als ich dich vor einer halben Stunde angerufen habe.“
 

„War ich ja auch, aber dann musste es halt insgesamt etwas schneller gehen.“
 

Schmunzelnd betrachtete der Stürmer die junge Psychologin, die nun am Fahrstuhl angekommen den kleinen Warte-Knopf gedrückt hatte. Lena, die Marios Blick und auch das Schmunzeln natürlich bemerkt hatte, sprach ihn direkt darauf an.
 

„Was ist denn an dieser Aussage so amüsant?“
 

„Och, eigentlich nichts, nur dass sie von einer Frau kommt und ich bisher noch nie eine Frau erlebt habe, die pünktlich aus dem Bad herauskommt. Normalerweise muss ich da immer endlos lange warten, weil hier etwas nicht sitzt oder da etwas zwickt oder das Make-up einen Rand hat. All diese typischen Frauengeschichten eben.“
 

„So so, die typischen Frauengeschichten eben, da muss ich dir leider sagen, dass du dann wohl immer nur die falschen Frauen kennen gelernt hast, denn nicht alle sind solche Püppchen wie deine anderen Bekanntschaften, denen vermutlich die Maske aus Make-up abfällt, wenn man ihnen ein bisschen doller auf den Hinterkopf haut.“
 

Mario konnte sich ein Grinsen einfach nicht verkneifen, als er sich vorstellte, wie Lena jeder seiner Ex-Freundinnen einen leichten Klaps auf den Hinterkopf gab. Wie die Orgelpfeifen standen sie in seiner Vorstellung dort aufgereiht und Lena ging fast schon schulmeisterhaft die Reihe ab, auch wenn sein gedankliches Bild von Lena nicht zum Verhalten der echten passte. Zu seiner Schande musste er jedoch zugeben, dass wahrscheinlich bei einer von zweien seiner Freundinnen diese so genannte Maske abgefallen wäre. Aber das konnte Lena ja nicht wissen.
 

Immer noch eingeharkt schlenderten die beiden in Richtung eines umgeräumten Konferenzsaals, der während des Aufenthaltes der Nationalmannschaft als eine Art des Gemeinschaftsraums und Vergnügungszentrum fungieren sollte. Während ihres kleinen Rundgangs am Nachmittag hatte Lena einen kurzen Blick hineinwerfen können und problemlos waren ihr der Kickertisch und die Beameranlange ins Auge gefallen, die vermutlich zur Erheiterung der Spieler nach einem harten Training dienen sollte. Schon von weitem konnten die beiden Stimmen und lautes Gelächter hören, was darauf schließen ließ, dass die Stimmung bereits richtig gut war.
 

Keiner der anwesenden Spieler hatte die Ankunft der beiden bemerkt, doch als Poldi sich zufällig zur Tür drehte und dort Mario und Lena stehen sah, gab es für den jungen Spaßvogel kein Halten mehr und schon brüllte er durch den ganzen Raum, so dass ihm die Aufmerksamkeit aller sicher war:
 

„Ei, ei, ei, was seh’ ich da, ein verliebtes Ehepaar, noch ein Kuss, dann-“
 

Bevor Lukas den Reim jedoch zu ende sprechen konnte, hatte ihn ein fester Gegenstand am Kopf getroffen, so dass er sich erstmal die Birne reiben musste, bevor er weiter über die beiden Neuankömmlinge spotten konnte. Diese hingegen nutzten die elegante Ablenkung Poldis, der immer noch nach dem schuldigen Werfer suchte, um sich zu den anderen Nationalspielern zu gesellen und so nicht weiter aufzufallen, was sich bei Lena als einziger Frau als durchaus schwierig zu erweisen schien. Ihr einziger Vorteil war ihre Größe, mit ihren etwas mehr als 160 Zentimetern konnte sie sich geschickt hinter allen Herren der Schöpfung verstecken, sogar hinter Phillip Lahm, der es nun gar nicht kannte als lebendes Versteck missbraucht zu werden.
 

Schon bald wandte Poldi sich wichtigeren Dingen zu und sowohl Lena als auch Mario konnten absolut ungestört mit diesem oder jenen plaudern. Ein paar hatten sich abgesetzt zum Kickern, aber im großen und ganzen vertrieben sich die meisten Spieler mit reden die Zeit, was für Männer an sich ja eigentlich eine eher ungewöhnliche Beschäftigung war. Heute Abend aber schienen alle äußerst gesprächig und immer wieder blieb Lena stehen und unterhielt sich ein Weilchen mit den Spielern, die sie kannte, was vor allen Dingen die Herren der „älteren“ Garde waren. Die kleine Schwester des Lutschers machte jedoch einen großen Bogen um die Torhüter der Nationalmannschaft, denn ein Gespräch mit Timo und René am Tag reichte ihr und auf ein bissiges Gespräch mit Tim wiese konnte sie selbstverständlich generell verzichten. Dafür hätte die junge Psychologin aber bestimmt nichts gegen ein nettes Gespräch mit einem anderen, bei weitem größeren und normalerweise auch stilleren Bremer gehabt, der sich jedoch bisher noch nicht hatte blicken lassen, genauso wenig wie Schweinsteiger und Fritz.
 

Die ersten Kollegen witzelten schon über gewisse Haar- und Make-up Probleme, als die beiden Herren mit Per im Schlepptau im Konferenzzimmer erschienen und sofort um Aufmerksamkeit baten. Wie eigentlich immer krähte Schweini in seinem unverbesserlichen bayrischen Dialekt gleich drauflos, so dass alle Nicht-Bayern darauf warteten, dass Clemens Schweinis Rede übersetzte, was der Blonde natürlich fröhlich tat.
 

„So, jetzt mal Lauscher auf und spitzt die Ohren: Wie steht ihr zu einer herrlich-lustigen Runde Singstar?“
 

Wie zu erwarten kam von Lukas enthusiastische, aber vor allen Dingen laute Zustimmung und von den jüngeren anerkennendes Gemurmel und die Frage, warum sie nicht selbst auf die Idee gekommen waren, von den älteren Herren jedoch war nur ein widerwilliges Brummen zu hören und man sah ihnen die Freude deutlich an.
 

„Wer fängt an?“
 

Clemens nahm nun den organisatorischen Teil in die Hand und blickte erwartungsvoll in die Runde, aus der nun das erste „Opfer“ ausgewählt werden würde. Ganz der Kapitän ließ Michael sich jedoch auf dieses Spiel nicht ein und machte seinen ganz eigenen Vorschlag.
 

„Ich würde sagen, wir lassen dem den Vortritt, der diese grandiose Idee hatte, also bitte Bastian, die Bühne gehört dir!“
 

Schweinsteiger ließ sich nicht lange bitten und nahm seine Position auf der provisorischen Bühne ein, das Mikro fest in der Hand und die Augen erwartungsvoll auf die Beamerleinwand gerichtet, auf der sich demnächst die ersten Zeilen seines Liedes abbilden würden. Um den bayrischen Mittelfeldspieler hatte sich einen Kreis gebildet, den er jedoch mit der linken Hand zu einer Reihe dirigierte, damit er auch genügend Platz zum „performen“ hatte, wie er es zu neudeutsch ausgedrückt hatte. Schon erklangen die ersten Töne seines Liedes und hier und da konnte man sehen, wie sich der ein oder andere ein Lachen kaum noch verkneifen konnte. Jeder, der die ersten takte erkannt und zugeordnet hatte, wusste, dass der Zufallsgenerator dieses Lied perfekt ausgewählt hatte, denn es passte wie Arsch auf Eimer und alle freuten sich schon auf eine garantiert lustige Performance von Bastian Schweinsteiger, der bereits mit den ersten Zeilen des Liedes sein Publikum in den Bann gezogen hatte.
 

I'm too sexy for my love

Too sexy for my love

Loves going to leave me
 

Auch Lena konnte sich ein amüsiertes Schmunzeln nicht verkneifen, als sie erkannte, dass Bastian Schweinsteiger, von vielen kleinen, pubertierenden Mädchen als DAS Sexsymbol angesehen, von der britischen Band Right Said Fred den Song „I’m too sexy“ intonieren musste. Dem Blonden auf der provisorischen Bühne schien der Song jedoch wirkliche Freude zu bereiten, denn voller Inbrunst sang er weiter.
 

I'm too sexy for my shirt

Too sexy for my shirt

So sexy it hurts
 

Mit einem Augenzwinkern in Lenas Richtung fuhr Bastian sich spielend provokativ über den Oberkörper und hob den Saum seines T-Shirts ein wenig an, so dass man einen Streifen helle Haut erkennen konnte. Mehr oder Minder gekonnt ließ der bayrische Mittelfeldakteur die Hüftenkreisen und näherte sich langsam der Ecke, in der Lena einen platz gefunden hatte, flankiert von Torsten und Michael, mit denen sie sich bis eben noch angeregt unterhalten hatte.
 

I'm a model

You know what I mean

And I do my lil' turn on the catwalk

Yeah on the catwalk

On the catwalk yeah

I'll do my lil' turn on the catwalk
 

Selbstsicher tanzte Schweini die junge Blondine an, hob viel versprechen die Augenbrauen und ignorierte dabei gekonnt den bitter-bösen Blick, den der Lutscher ihm zuwarf. Er wollte seinen Spaß haben und den Auftritt genießen und wenn er dabei Torsten auf die Füße trat, weil er sein Flirten nicht lassen konnte, dann war das halt so.
 

I'm too sexy for my car

Too sexy for my car

Too sexy by far
 

Mit aller Überzeugung in der Stimme trällerte Bastian die letzte Zeile und fuhr sich arrogant durch die Haare, was den ganzen Konferenzraum in lautes Gelächter ausbrechen ließ. Auch wenn der Blonde kaum einen Ton traf und seine Textsicherheit manchmal zu wünschen übrig ließ, so lieferte er doch eine einwandfreie Show ab, die jeden der Anwesenden vom Hocker riss vor Lachen. Außer vielleicht Torsten, der das Geplänkel zwischen seiner Schwester und der Nummer Sieben mürrisch beobachtete. Es war einzig und allein Lenas fröhliches, befreites Lachen, das ihn davon abhielt dem Jüngling mal die Meinung zu sagen, wie man sich in Anwesenheit einer Frau benahm.
 

I'm too sexy for my cat

Too sexy for my cat

poor pussy

poor pussy-cat
 

Nur unter höchster innerlicher Gewaltanwendung konnte Bastian sich ein Lachen verkneifen, als er die letzten Zeilen Lena direkt ins Gesicht hauchte. Er hatte zwar keinen Plan, ob das Lied wirklich so endete, doch ihm persönlich gefiel dieses Ende und so hatte er einfach beschlossen an dieser Stelle aufzuhören. Es war so herrlich zweideutig und an Lenas zu einem spöttischen Grinsen verzogenes Gesicht erkannte Schweinsteiger, dass sie seine versteckte Botschaft durchaus wahrgenommen und verstanden hatte. Nur ob sie darauf eingehen würde, war eine andere Frage.
 

Unter dem ohrenbetäubenden Beifall seiner Kollegen verbeugte Schweini sich mehrfach und hielt eine Oscarverdächtige Dankesrede, die alle anderen nur noch mehr zum Lachen brachte. Zur Krönung des ganzen schaffte Bastian es sogar sich noch zwei kleine Tränchen abzuringen, die die ganze Szenerie komplettierten.
 

Nachdem Bastian mit seiner grandiosen Performance den Bann gebrochen und die Hemmungen der Jungs hinweggefegt hatte, rissen sich der Jüngeren fast förmlich um das Mikrofon. Lukas, Mario, Arne und sogar der sonst eher ruhigere Phillip Lahm versuchten ihr Glück und erheiterten die lockere Runde. Meistens traf der Zufallsgenerator wunderbar passende Lieder und jeder der „Kandidaten“ gab sein bestes nicht nur ordentlich zu singen, sondern vor allen Dingen eine gute Show abzuliefern. Wie sehr sie sich dabei teilweise zum Deppen machten, war ihnen natürlich klar, doch sie ignorierten es geschickt, da sie ja im Grunde genommen im Kreise der Freunde waren.
 

Nach Phillip kam die Reihe an Per und der fast Zwei-Meter-Mann stellte sich etwas schüchtern in die Mitte der provisorischen Bühne. So ziemlich jeder in der Nationalmannschaft wusste, dass Merte solche Auftritte nicht lagen und sie ihm äußerst peinlich waren. Trotzdem zwangen sie ihn jedes Mal mitzumachen und jedes Mal wieder war es Clemens, der ihn erfolgreich in den Mittelpunkt ans Mikro schob. Diesmal war seine Gegenwehr jedoch heftiger als sonst gewesen, da der lange Innenverteidiger keine Lust hatte sich vor Lena zum Affen zu machen. Aber gegen Clemens schien kein Kraut gewachsen und so blieb Per nichts weiter übrig als zu hoffen, dass er nicht so einen Song bekam wie Bastian, sondern eher etwas ruhigeres. Und tatsächlich schien jemand da Oben ein Einsehen mit ihm zu haben, denn die ersten Töne der Melodie deuteten etwas ruhigeres an, Lenas leicht verklärtes Lächeln, als sie das Lied erkannte, ließen den gebürtigen Pattensener jedoch gleich wieder unruhig werden. Von seinen jüngeren Kollegen hatte keiner das Lied erkannt, nur die älteren grinsten wissend und als Per die ersten Zeilen des Liedes sah, musste er heftig schlucken. Dieses Lied sollte er in Lenas Anwesenheit überzeugend rüberbringen? Per zweifelte, ob er dazu in der Lage war, doch er wusste auch, dass es kein Zurück mehr gab und so nahm er all seinen Mut zusammen und begann zu singen.
 

She's like the wind through my tree

She rides the night next to me

She leads me through moonlight

Only to burn me with the sun

She's taken my heart

But she doesn't know what she's done
 

Je mehr Per sang, desto eher konnte er die Anwesenheit der anderen Spieler ausblenden. Noch nie zuvor hatte er so genau auf den Text dieses Evergreens aus „Dirty Dancing“ geachtet und so stellte er überrascht fest, wie gut es doch zu seiner Situation im Augenblick passte. Die Bedeutung und die Gefühle, die hinter diesem Lied standen, konnte Merte problemlos nachvollziehen und so hatte er auch keine Probleme sie in seiner Stimme rüber zu bringen. Überrasch wechselten die Nationalspieler irritierte Blicke, denn so gut hatte Per Mertesacker beim SingStar spielen noch nie abgeschnitten. Einigen von ihnen überkam sogar eine Gänsehaut und Lena hatte die Augen geschlossen um nur auf die von Pers Stimme fast schon liebkosten Worte zu achten, die sie selbst zwar schon hunderte Male gehört und mitgesungen hatte, jedoch noch niemals so intensiv wahrgenommen hatte.
 

Feel her breath on my face

Her body close to me

Can't look in her eyes

She's out of my league

Just a fool to believe

I have anything she needs

She's like the wind
 

Ergriffen von den Gedanken an seine eigenen Gefühle für Lena, die ihm ebenso hoffungslos erschienen, ließ Per sich treiben und gab dem Text ein Eigenleben, das die Anwesenden beeindruckte. All die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit und Trauer, von denen der Song sprachen, das alles fand sich in Pers Interpretation tausendfach stärker wieder und all bis auf Clemens und Torsten fragten sich in diesem Augenblick, welche Frau dem lieben, großen Mann wohl so absolut unerreichbar erschien, denn dass er hier seine eigenen Emotionen mit hineinbrachte, stellte keiner in Frage.
 

Auch als Per geendete hatte, applaudierten die Nationalspieler, doch es war ein anderer Applaus als der, den Bastian bekommen hatte. Nachdenklich schweiften immer wieder die Blicke zum langen Bremer Innenverteidiger, der mit gesenkten Kopf die „Bühne“ verließ und weder nach rechts noch nach links sah um sich eine Platz ganz weit weg in irgendeiner Ecke zu sichern. Selbst Clemens’ Hand schüttelte er wortlos ab und setzte sich in einen der bequemen Sessel um die restlichen Auftritte in Stille über sich ergehen zu lassen.
 

So langsam kamen nun auch die Herren vom alten Eisen an die Reihe und sowohl Michael als auch Bernd machten gar keine so schlechte Figur mit dem Mikrofon vor dem Mund, auch wenn sie weder so herrlich emotional wie Per waren noch so gnadenlos lustig wie Bastian. Als die Reihe dann eigentlich an Torsten gekommen war, lehnte dieser mit einem entschiedenen Kopfschütteln ab. Heute Abend hatte er keinen Bedarf in die Späße seiner Kollegen einzufallen, obwohl er sonst entgegen seinem Image ein begeisterter Fan dieser gemeinsamen Mannschaftsabende war. Seine Gedanken kreisten jedoch unablässig um seine kleine Schwester, die sich bereits den ganzen Abend äußerst merkwürdig verhielt. Ihr Auftauchen mit Mario konnte man sich vielleicht noch irgendwie erklären, beide sprachen gerne spanisch, kannten das Land und hatten sich vermutlich zufällig auf dem Weg hier hinunter getroffen und dann beschlossen gemeinsam weiter zu gehen, doch Torsten hatte wahrlich keinen blassen Schimmer, warum sein Lenchen Timo mied wie die Pest und warum René die Blondine die ganze Zeit wie ein Luchs beobachtete und keine ihrer Bewegungen zu verpassen schien. Alle in Lenas Umgebung verhielten sich irgendwie komisch, entweder beobachteten sie sie oder sie versuchten sie betont nicht zu beachten, was auch schon wieder auffällig war. Zumindest für den Lutscher. Und so brauchte der Mittelfeldmann des SV Werder Bremens seine ganze Konzentration zur Lösung des Rätsels, das Lena und die anderen Spieler ihm aufgaben und konnte nicht auch noch Energie auf so etwas wie singen verschwenden. Torsten hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass sie im Gegenzug zu seiner Absage einen Ersatz aus der Familie Frings fordern würden und so sah der Lutscher überrascht mit an, wie Clemens seine Schwester in die Mitte gezogen und ihr ein Mikrofon in die Hand gedrückt hatte.
 

Unsicher stand Lena so da, lächelte verhalten und vielleicht sogar etwas verzweifelt und wartete auf die ersten töne des Liedes, in der Hoffnung es zu kennen und vielleicht sogar einigermaßen sauber singen zu können. In Barcelona hatte sie dieses Spiel häufiger mit ihren Jungs gespielt und was daher relativ routiniert, aber das war eine ganz andere Runde gewesen als hier. Hier war die junge Psychologin unheimlich nervös und unsicher, was sie so gut es eben ging zu verbergen versuchte.
 

Als die ersten langsamen Töne des melancholischen Instrumentals erklangen, wusste Lena bereits um welches Lied es sich handeln musste und der Kloß in ihrem Hals war binnen weniger als einer Sekunde um ein tausendfaches gewachsen. Mit diesem Lied verband sie so viele gute wie auch schlechte Erinnerungen, die zum Teil mit den wichtigsten Menschen ihres Lebens zusammenhingen. Instinktiv griff Lena zu ihrem Delkotee. Unter dem Stoff fühlte sie die Oberfläche ihres Anhängers und mit einem Lächeln auf den Lippen fing sie an zu singen.
 

When I think back

On these times

And the dreams

We left behind

I'll be glad 'cause

I was blessed to get

To have you in my life
 

So wie Per bereits vor ihr, versuchte auch Lena all die Menschen um sich herum auszublenden. Mit geschlossenen Augen stand sie da und sang den Text, den sie schon seit langer Zeit auswendig kannte. Sie musste die Zeilen nicht sehen, die dort geschrieben standen, denn immer, wenn sie in der Vergangenheit die Sehnsucht übermannt hatte, hatte sie dieses Lied gehört und es war meistens besser geworden danach. Wenn manche Lieder eine Therapie darstellen konnten, dann war dieses hier eines der Lieder für die junge Wahl-Spanierin.
 

In my heart

There will always be a place

For you for all my life

I'll keep a part

Of you with me

And everywhere I am

There you'll be
 

Die letzten Worte waren fast nicht mehr als ein Flüstern, in der Stille des Raums jedoch klar und deutlich vernehmbar, da sich alle vollkommen auf die junge Frau vor sich konzentrierten. Mit Beginn des Refrains hatte Lena ihre Augen nur noch auf ihren Bruder gerichtet, so als gäbe es nur sie beide in diesem Raum und so als würde sie nur für ihn singen. Über ihre beider Beziehung zueinander.
 

Well you showed me

How it feels

To feel the sky

Within my reach
 

Bei diesem Worten konnte Torsten nicht anders als zu lächeln. Er hatte sie früher, als sie beide noch Kinder gewesen waren, immer wieder hochgehoben und durch die Luft gewirbelt. Unzählige Male hatten sie zusammen den Flieger gespielt und jedes Mal hatte Lena ihm zu gerufen, dass er ihr das Gefühl gäbe fliegen zu können. Wie unbeschwert und frei sie in diesem Augenblicken doch gewesen waren. Und Torsten erkannte, dass auch Lena an die Vergangenheit dachte, es spiegelte sich in ihren Augen wieder.
 

And I always

Will remember all

The strength you

Gave to me

Your love made me

Make it through

Oh, I owe so much to you

You were right there for me
 

Unwillkürlich machte Lena einen Schritt auf ihren Bruder zu, fuhr mit ihrer Hand jedoch über ihre Hälfte des Yin-und-Yang-Anhängers, den sie vor so langer Zeit einmal von Ricardo bekommen hatte. Dieses Lied traf auf beide Männer zu und es fiel Lena unendlich schwer den Blickkontakt mit ihren Bruder zu brechen. In seinen Augen, in seinem Blick, hatte die jüngere der beiden Frings-Geschwister offen lesen können wie in einem Buch. Torsten hatte sich ihr so auf seine Art und Weise offenbart und sich angreifbar gemacht.
 

Mit einem Mal empfand Lena den Raum als bedrückend eng und die Luft schien ihr zum Zerschneiden dick, so dass sie, ohne auf die Reaktion ihres immer noch vollkommen hypnotisierten „Publikums“ zu warten, den Raum verließ und durch eine offene Terrassentür ins Freie an den Pool lief. Dort ließ sie sich kraftlos auf eine der Liegen fallen und zog sich vorsichtig die Schuhe aus, die sie schon wieder an einer Stelle drückten.
 

Gedankenverloren starrte die Blondine in die Nacht, ließ sich vom sanften Nachtwind durch die Haare säuseln und lauschte dem leisen Plätschern des Poolwassers. Noch vor wenigen Stunden hatte sie ihre Wut nicht wenige Meter von dort entfernt, wo sie jetzt saß, loswerden wollen und war dadurch eher noch tiefer in einen Strudel aus Lügen und Ausweichmanövern geraten. Gerade als Lena sich fragte, was ihr wohl dieses Mal an dieser Stelle geschehen würde, spürte sie schon die warme, weiche Hand auf ihrer Schulter und sah überrascht auf.
 

To be continued
 

Nach ungefähr zwölf Word-Seiten bin ich nun auch endlich zum Ende gekommen, vermutlich hätte ich noch ewig so weiter schreiben können…

Ja ja, die meisten von euch hatten es vorausgesehen und so ist es ja dann auch eingetreten: Lena hatte keine Ahnung, worauf sie sich überhaupt eingelassen hatten! Doch Mario kann ziemlich überzeugend sein, wenn er nur will… =)

Über die lange Auswahl ihres Kleidungsstückes und über die ausartende Abhandlung über ihr Make-up sehr ihr hoffentlich wohlwollend hinweg, ich hatte einfach mal das Bedürfnis diese typisch weiblichen Dinge mit rein zu bringen. Sonst hätte ich ja auch nicht den lieben Herren Gomez von einer schulmeisterhaften Lena träumen lassen können und das war es mir alle Mal wert ;)

Schweini fand ich persönlich in diesem Kapitel einfach mal wieder total zum Schießen, ich weiß nicht wie ihr das seht, aber irgendwie ist mir dieser verrückte Spaßvogel mittlerweile ans Herz gewachsen, ich weiß auch nicht, warum… ;)

Für eure Meinung zu den von mir eigentlich recht verhassten Dauergesangseinlagen wäre ich euch wirklich sehr dankbar, ich habe zwar nicht unbedingt vor so etwas in der nächsten Zeit wieder zu schreiben, aber es wäre schon gut eure Ansichten dazu zu kennen. Also, wie fandet ihr es? Zu viel? Zu wenig „Handlung“ zwischen drin? Oder hat es euch gefallen (ist ja immerhin auch eine Möglichkeit ;) )?

Wer ist wohl der überraschende „Besuch“, den Lena da am Pool bekommt? Es kann ja nur einer der Herren aus dem Konferenzsaal sein und da gibt es viel Auswahl… Aber wer erscheint euch am Plausibelsten?

Mauern

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Danke für den kommentar, auch wenn es mal wieder der einzige war, habe ich mich trotzdem tierisch gefreut!
 

Durch das dezent um den Pool herum platzierte Licht konnte Lena im Dunklen problemlos die Augen ihre Bruders erkennen, die liebevoll auf sie herab blickten. Allein dieser Blick reichte um der Wahl-Spanierin zu sagen, dass Torsten die Bedeutung ihres Liedes verstanden hatte. Dass er erkannt hatte, dass sie ihm damit ein Geständnis hatte machen wollen. Eines der ganz besonderen Art, nämlich dass er ihr unheimlich viel Wert war und niemals seinen Platz in ihrem Herzen verlieren würde, egal wo auch immer sie sich gerade auf der Welt befand und wer auch immer später noch in ihr Leben treten würde. Es sollte ihm die aufgehäuften Schuldgefühle der vergangenen Jahre nehmen und der verdächtige Schimmer in Torstens Augen verriet ihr, dass die Botschaft unverändert angekommen war.
 

„Torsten.“
 

Das Wissen, das ihr Bruder da war, das er an ihrer Seite stand um ihr eine starke Schulter zum Anlehnen zu geben, ließ Lena für einen kurzen Moment den Atem stocken. Die gesamte Situation erschien ihr so unreal, immerhin hatte sie sein Verständnis, ja gar sein Mitgefühl gar nicht verdient. So lange hatte sie ihm Dinge verschwiegen, ihn teilweise belogen und vermutlich auch bitter enttäuscht, auch wenn er davon so direkt noch nichts wissen konnte, trotz alle dem war er da und wollte für sie da sein. Immer. Ohne Kompromisse. Wollte ihr der große Bruder sein, der er all die Jahre in ihrer Kindheit gewesen war. Auch nach all den Jahren war er immer noch ihr Retter, zu dem sie bei Gewitter gehen konnte, wenn die Angst überhand nahm. Vielleicht hatte sie sich auch gerade deswegen zu ihm geflüchtet, als der Sturm in Barcelona überhand nahm. Sie war dorthin gelaufen, wo sie sicher war, wo sie wusste, dass man sie lieben und beschützen würde. Nie hatte Torsten sich über ihre Ängste lustig gemacht und derartiges würde er auch jetzt nicht tun, dessen war Lena sich sicher.
 

Eine Welle der Dankbarkeit für solch einen Bruder durchflutete die jüngere Frings und in diesem Augeblick wurde ihr klar, dass sie Torsten etwas Wichtiges erzählen musste.
 

„Lena, geht es dir nicht gut? Du sahst eben so blass aus, als du den Raum verlassen hast. Außerdem verhältst du dich den ganzen Abend schon ein wenig seltsam. Von ein paar anderen aus dem Team ganz zu schweigen.“
 

Es überraschte die Psychologin nicht weiter, dass Torsten ihr verändertes Verhalten aufgefallen war, dieser Mann kannte sie immerhin schon seit ihrer Geburt und auch wenn sie sich einige Jahre nicht regelmäßig gesehen hatten, so verlernte ein großer Bruder wahrscheinlich doch nie die Stimmungen und Verhaltensweisen seiner kleinen Schwester zu lesen, zumindest nicht, wenn es so ein Bruder wie Torsten war. So einer, der immer aufmerksam über das Wohlbefinden seiner kleinen Schwester wachte und sie mehr als einmal aus brenzligen Situation errettet hatte. Und dass ihm Timos vorsichtig-scheuen und Renés besorgt-argwöhnische Blicke in ihre Richtung nicht entgangen waren, war nun wirklich kein Wunder, so auffällig wie sich die beiden Torhüter der deutschen Nationalmannschaft verhalten hatten.
 

„Willst du mir was sagen? Irgendetwas?“
 

Seine Hand ruhte immer noch auf ihrer Schulter und streichelte sie nur federleicht, fast so als wüsste der Ältere, dass er an dieser Stelle wegen der blauen Flecke nicht zu viel Druck ausüben durfte. Lenas Gedanken war in diesem Augenblick jedoch viel zu verwirrt um sich ernsthaft zu fragen, ob Torsten nicht vielleicht tatsächlich wusste, dass er an dieser Stelle nicht zu doll streicheln durfte. All diese Fragen hatten im Moment keinen Platz in ihrem Kopf, der beinahe zu zerspringen drohte vor lauter umherwirbelnden Gedanken und Bildern, die sich bei Torstens leichtem Körperkontakt einstellten. Ihm schien die Wirkung, die seine Berührungen auf Lena hatten, jedoch nicht weiter aufzufallen. Er strich stetig weiter über Lenas lädierte Schulter und er unterbrach dabei keinen einzigen Moment den Augenkontakt zwischen den beiden und beobachtete aufmerksam die Gesichtszüge seiner kleinen Schwester, als müsste er sie sich einprägen, weil er sie eine lange Zeit nicht würde sehen können. Als hätte er Angst sie lange Zeit nicht mehr wieder zu sehen.
 

„Ja.“
 

Von dieser Erwiderung überrascht verzog sich Torstens Mund sofort zu einem sanften Lächeln. Man konnte es vielleicht als ein Lächeln der Erleichterung bezeichnen. Solch ein liebevolles Lächeln zierte nicht oft das Gesicht des sonst so grummeligen Lutschers, doch wenn, dann verwandelte es ihn sofort in einen anderen Menschen. Einen Mann, den nicht viele andere kennen lernen durften, weil er immer sorgfältig hinter der kühlen Fassade versteckt war. Für Lena wurde Torsten durch dieses einfache Lächeln zum Teil sogar wieder in den Jungen verwandelt, der sie bei Gewitter zum Kuscheln zu sich ins Bett geholt hatte.
 

„Und was möchtest du mir sagen?“
 

Der Mittelfeldspieler im Dienste des SV Werder Bremens hatte sich immer zu Ruhe, Geduld und Besonnenheit ermahnt und vielleicht, so hoffte er es auf jeden Fall, war nun der Augenblick gekommen, in dem Lena sich ihm wieder so öffnen würde wie sie es früher getan hatte, als er noch ihr bester Freund gewesen war. Eine Position, von der er nicht wusste, wer sie jetzt besetzte und ob derjenige oder vielleicht auch diejenige wirklich gut für seinen kleinen Schatz sorgten. Unwissend darüber, wünschte er sich endlich zu erfahren, was seine Kleine in den letzten Jahren so sehr verändert hatte, dass nun fast schon ein anderer Mensch vor ihm saß. Ein Mensch, dem die Zeit fern der Heimat tief Wunden zugefügt hatte, die zwar nicht allgemein sichtbar, aber auf jeden Fall spürbar für diejenigen waren, die sie näher kannten.
 

Innerlich ungeduldig wartete er auf die Antwort seiner kleinen Schwester, die für einen Augenblick den Blickkontakt unterbrach um auf ihre im Schoß zusammen gefalteten Hände zu blicken. Es schien fast so, als würde sie mit sich selbst ringen, auf ihren Händen nach Worten suchen, mit denen sie Torsten alles erklären konnte. Erklärungen, die zumindest für den Mittelfeldspieler der Bremer nichts an seiner Liebe ändern würden. Sie würden ihm zwar helfen die Veränderungen besser zu verstehen, doch egal was es war, dessen war der Lutscher sich sicher, es würde niemals seine Liebe zu Lena in wanken bringen. Die jedoch wirkte immer noch unheimlich abwesend und abweisend. Starr lag ihr Blick auf ihren Händen, bis sich ihre Lippen zu einem leichten Lächeln verzogen, sie aufstand, ihren Bruder in den Arm nahm und ihn leise ins Ohr flüsterte:
 

„Ich habe dich lieb, Torsten.“
 

Vollkommen perplex stand Torsten immer noch da, als Lena ihn schon längst losgelassen und sich auf den Rückweg ins Hotel gemacht hatte. Die Umarmung hatte nicht lange gedauert, nur ein kurzer Körperkontakt, ein kleines Spüren der Wärme des anderen Körpers, mehr nicht. Ein Außenstehender hätte anhand dieser kurzen Berührung niemals den emotionalen Wert erkannt, den diese Umarmung für Lena Frings hatte.
 

Gerade als sie die Terrassentür öffnen wollte, erwachte der Lutscher aus seiner Erstarrung und drehte sich zu seiner kleinen Schwester um, die aus der Entfernung nur noch zerbrechlicher aus sah als so schon. Erst jetzt wurde dem Mittelfeldakteur so richtig bewusst, wie viel seine Schwester doch abgenommen hatte und wie sehr sie wahrscheinlich seinen Schutz und seine bedingungslose Liebe brauchte um wieder gesund zu werden. Gesund, das hieß für ihn, dass sie wieder zu dem glücklichen und fröhlichen Menschen wurde, der sie vor langer Zeit einmal gewesen war.
 

„Ist das alles? Ist das wirklich alles?“
 

Zögernd stand Lena einen Augenblick da, unschlüssig ob es besser war die Frage zu ignorieren und einfach zu gehen oder Torsten eine Antwort darauf zu geben.
 

„Nein, Torsten, eigentlich nicht. Eigentlich habe ich dir so viel zu erzählen, so viel zu beichten und dich um Vergebung zu bitten, aber ich kann es nicht. Ich kann es einfach nicht. Noch nicht.“
 

Für einen Augenblick wandten sich Lenas Augen auf das stetig plätschernde Wasser des Pools, das durch die Scheinwerfer unter Wasser eine unnatürlich klare Farbe angenommen hatte. Vielleicht würde auch sie irgendwann wieder so klar und durchschaubar werden für die Menschen in ihrer Umgebung, die sie liebte und für die sie ihr Leben geben würde, doch im Augenblick glich ihr Seelenleben und auch ihr alltägliches Leben wohl eher einem dreckigen, braunen, mit Algen bewachsenen Tümpel, von dem keiner genau wusste, wie tief er eigentlich war und von dem sich jeder mit Abscheu abwendete. Keiner länger stehen blieb, um ihn fasziniert zu betrachten und seine Schönheit zu preisen. Und Lena konnte dieses Abwenden sogar verstehen, denn niemand wühlte gerne im Dreck, außer vielleicht die gierige Boulevardpresse, die aus dem aufgewirbelten Dreck eine reißerische Story formen würde.

Die jedoch, die beharrlich darauf warteten, dass sie selbst den Dreck beseitigen würde, der sie umgab, damit ihre Lieben wieder bis auf den Grund ihrer Seele sehen können, das waren die wahren Freunde, die ein jeder Mensch brauchte. Sie ließen sich nicht verscheuchen, ließen sich nicht irritieren und glaubten nicht an den Schmutz, den andere noch in das Wasser warfen. Sie konnten trotz des Drecks immer noch das Gute, das Reine sehen. Sie vertrauten ihr immer noch bedingungslos und gaben nicht auf. Gaben sie nicht auf! Weil sie ganz genau wussten, dass dieses künstliche, faszinierend-reine Wasser des Pools nur Illusion war, geschaffen um sie alle zu täuschen, denn egal wie dreckig das Wasser des Tümpels auch sein mochte, es waren nur Dreck und Algen, nicht wie im Pool gefährliche Chemikalien, die einen jeden zu Grunde richten konnten, wenn man nicht aufpasste.
 

Lena brauchte diese Zeit, in der sie im Stillen über das Wasser philosophierte, zum Durchatmen, um ihrem geliebter Bruder wieder in die Augen sehen zu können, um nicht an der Enttäuschung, die sie in seinen Augen würde lesen können, zu ersticken. Sie wusste nicht mit letzter Sicherheit, ob Torsten einer dieser „guten“ Menschen war, der durch den Dreck blicken konnte. Sie wollte seine Reaktion nicht sehen, wenn er es nicht war und sie für alles, was sie getan hatte, verurteilte, selbst wenn er noch nicht genau wusste, was das überhaupt war. Als sie ihren Blick dann wieder auf ihn richtete, war sie erstaunt, dass Torstens Augen seinen weichen Schimmer immer noch nicht verloren hatten.
 

„Irgendwann werde ich sicher in der Lage sein dir alles zu erzählen, aber nicht jetzt. Nicht heute Abend, Torsten. Bitte.“
 

Lenas Stimme war leise und eindringlich und auch wenn der Lutscher als äußerst neugierig und meistens auch ziemlich unsensibel bekannt war, so hätte er niemals die Bitte seiner Schwester ignoriert und wäre tiefer in sie und ihre Vergangenheit gedrungen, als sie es freiwillig zugelassen hätte. Ja, er wollte wissen, wer oder was sie so verletzt hatte, um einen angemessen Weg zur Heilung ihrer Wunden zu finden, aber er wusste aus der Vergangenheit gut genug, dass hartnäckige Fragerei bei Lena eher kontraproduktiv war. Wenn wann sie ständig in die Enge trieb und mit augenscheinlich schmerzhaften Fragen quälte, zog sie sich nur noch tiefer in ihr Schneckenhaus zurück und baute sich noch dickere und höhere Abwehrmauern, die es dann erst wieder zu durchbrechen galt. So war es früher immer gewesen und so war es, wie Torsten vermutete, auch heute noch. Früher oder später war sie damals immer irgendwann zu ihm gekommen und hatte ihm alles erzählt und genauso musste er wohl auch jetzt darauf warten, dass sie irgendwann bereit war ihn in die Schatten ihrer Vergangenheit einzuweihen. Doch einen guten Ratschlag wollte er Lena an diesem Abend doch noch mit auf den Weg geben, bevor er sie ziehen ließ.
 

„Ich verstehe, Kleines, du bist noch nicht bereit mir Antworten auf meine zu Fragen zu geben und das muss ich akzeptieren. Aber eines will ich dir noch raten, weil ich dich kenne, Lena: Mauern, die wir um uns herum bauen grenzen uns nicht von anderen ab. Versteh doch, Lena, sie bieten uns auch keinen Schutz gegen Angriffe, weil die Angriffe, die uns wirklich treffen, die, die wirklich wehtun, immer von innerhalb der Mauern kommen. Mauern sperren uns ein. Sie verschaffen uns keinen Freiraum.“
 

Diese nachdenklichen Worte ihres Bruders begleiteten Lena bis in den Schlaf, den sie nur sehr zögernd, nach langem hin- und her wälzen, gefunden hatte. Zuerst hatte sie mit dem Gedanken gespielt noch einmal auf den Mannschaftsabend zurück zu kehren um sich mit Per oder Bernd zu unterhalten, doch dann war Lena bewusst geworden, dass unweigerlich Fragen über ihre plötzliches Verschwinden gestellt werden würden und darauf hatte sie an diesem Abend keine Lust mehr. Sollten die Herren der Schöpfung über sie doch denken, was sie wollten, die meisten taten es ohnehin schon, da spielte es eh keine große Rolle mehr, was sie tat oder nicht tat.
 

Diese gleichgültige Einstellung gegenüber den Meinungen anderer hatte sie schon während der letzten Wochen, die sie in Barcelona verbracht hatte, an den Tag gelegt, weil es mit der Zeit einfach zu belastend geworden war sich mit alle diesen schlimmen Aussagen direkt auseinander zu setzen. Lionel war es gewesen, der ihr das erste Mal geraten hatte mit dem Zeitung lesen aufzuhören und auch das Radio nur noch bedingt einzuschalten. Er hatte sie abschotten wollen, in Watte packen, damit sie all diesen Hass und all die Gemeinheiten, die über sie verbreitet wurden, nicht mehr registrierte. Aber die Welt war kein Ponnyhof und wie sehr ihr heiß geliebter Leo sie auch hatte beschützen wollen: Vor der harten Realität gab es keinen Schutz. Man konnte sich immer nur bedingt verstecken und aussperren konnte man die wirkliche Welt auch nicht, sie verschaffte sich schon gewaltsam eintritt in ihr Haus und in ihr Leben. Egal wie hoch die Mauern auch waren, es hatte immer einen Weg gegeben und vermutlich würde es auch weiterhin immer einen Weg geben.
 

Und so hatte Lena irgendwann begonnen nur noch auf die Meinung ihrer Vertrauten Wert zu legen und die Presse so gut es eben ging zu ignorieren. Sie hatte versucht die Blicke auszublenden, die ihr überall hin zu folgen schien. Das Geflüster hatte sie zu verdrängen versucht und ihre Ohren taub gestellt. Dass diese Taktik nicht zum gewünschten Ziel geführt hatte, hatte die Wahlspanierin bemerkt, als sie im Flugzeug nach Bremen gesessen hatte. Oder nein, Lena hatte von Anfang an gewusst, dass es noch nicht würde weiter gehen können, doch sie wollte es versucht haben. Hatte sehen wollen, wie stark sie war. Augenscheinlich nicht besonders stark, dachte sie zynisch. In gewissem Sinne hatte sie also tatsächlich kapituliert. Die Meinung anderer hatte sie aus einem Land vertrieben, in dem sie für ihre Verhältnisse lange Zeit ziemlich glücklich gewesen war. Die Presse hatte es geschafft sie von Menschen zu trennen, die ihr unheimlich viel bedeuteten. Ja, all das hatten die Boulewardreporter der Regenbogenpresse geschafft und das nur, in dem sie den Menschen Bilder gezeigt und ihnen gleichzeitig schon eine vorbereitete Interpretation vorgelegt hatten. Es war fast schon erstaunlich, ja gar faszinierend, wie leicht sich die Massen manipulieren und täuschen ließen, wenn es ihr nicht so sehr Weh tun würde.
 

To be continued
 

Ein etwas kürzeres Kapitel, das irgendwie ganz anders geworden ist, als ich es mir eigentlich vorgestellt hatte, aber manchmal spielen einem halt die eigenen Charaktere so einen Streich!

Torsten ist und bleibt einfach ein wunderbarer großer Bruder und auch wenn er nicht zu hören bekommt, was er eigentlich gerne hören will, bleibt er wunderbar. Zumindest für mich! Sicherlich werdet ihr mich jetzt steinigen wollen, weil ich diese grandiose Möglichkeit für Enthüllungen seitens Lena habe verstreichen lassen, aber ich konnte nicht anders: Ich habe tatsächlich versucht etwas anderes zu schreiben aber es hat sich einfach nicht gut angehört und auch nicht richtig angefühlt. Für solche Enthüllungen brauchen wir einen anderen Moment, der jedoch nicht mehr all zu weit entfernt ist.

Diese Philosophie über das Wasser (Tümpel vs. Pool) ist mir ganz spontan eingefallen und je länger ich darüber nachgedacht habe, desto tiefgründiger wurde sie irgendwie. Wie fandet ihr sie? Zu unlogisch, zu lang oder irgendwie einfach nicht passend?

Dieselbe Frage gilt natürlich auch zu Torstens Ansicht über die Mauern, die wir um uns herum errichten. Es kann mir vermutlich keiner von euch glaubhaft machen, dass er oder sie noch nie eine „Mauer“ um sich errichtet hat, einfach aus Angst vor Tiefschlägen. Meiner Meinung nach ist so etwas menschlich, darf aber nicht überhand nehmen. Wie denkt ihr darüber?

Sicherlich erscheint Lena gerade gegen Ende des Kapitels ein wenig bitter und zynisch, was normalerweise ein Charakterzug ist, den man nicht unbedingt in ihrer Psyche ansiedeln würde, doch seien wir mal ehrlich: Wer schafft es all diese schlimmen Dinge (ihr wisst noch nicht einmal die Hälfte, also denkt euch die Situation einfach noch ein bisschen schlimmer) zu ertragen, ohne wenigstens ein bisschen zynisch zu werden? Ich glaube, dass es keiner so schafft, deswegen habe ich meiner Lena einen kleinen Moment der Bitternis gestattet. Zum Teil eben auch einen Augenblick der Schwäche.

Im nächsten Kapitel hat sie sich aber wieder aufgerafft und kämpft weiter, versprochen. Wird sie wahrscheinlich auch müssen, denn Tim Wiese und Clemens Fritz haben beide noch eine Rechnung offen, die beglichen werden muss, und Lena (zusammen mit euch werten Lesern) wird endlich erfahren, gegen wen die deutsche Nationalmannschaft in der Allianzarena spielen wird.
 

Also, ich würde mich freuen, wenn ihr von euch hören lasst und auch das nächste Mal wieder mit dabei seid, wenn es um die Frage geht, ob Lena „Happy ohne ende“ wird?
 

Euer

Schumeriagirl

Ohrfeigen und labbriges Toast

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 


 

Als Lena am nächsten Morgen erwachte, waren die Bitterkeit und der Zynismus der vergangenen Nacht zwar nicht gänzlich verschwunden, doch fühlte sich die junge Frau nun eher wieder bereit sich den fragenden Blicken der Herren Nationalspieler zu stellen. Bisher hatte sie sich noch nie von harmlosen Blicken einschüchtern lassen und sie wollte jetzt hier in München nicht damit anfangen, nein, so viel Stolz war ihr doch noch geblieben. Außerdem half es ja auch nichts sich im Bett zu verstecken und zu hoffen, dass der Tag schnell umging, sie hatte ihrem Bruder versprochen als Physiotherapeutin auszuhelfen und genau das würde sie auch tun. Komme was wolle. Nun ja, fast, denn im Stillen war Lena sich jedoch relativ sicher, dass es nicht noch schlimmer kommen konnte, als es gestern für sie gewesen war. Ein aufreibender Besuch von Timo reichte ihr vollkommen. Und auch ihm würde es wohl vorerst genügen.
 

Der Speisesaal des Nobelhotels war komplett leergefegt, als die junge Wahl-Spanierin ihn frisch geduscht gegen neun Uhr betrat. Verwundert blickte sie sich suchend um, fand jedoch nur eine freundlich aussehende Hotelangestellte, die Tassen und Teller von einem der Tische abräumte. Mit einem komischen Gefühl im bauch näherte Lena sich ihr und sprach sie an.
 

„Entschuldigen Sie, können sie mir vielleicht sagen, wo ich die deutsche Nationalmannschaft finden kann? Eigentlich ist um neun immer das Frühstück angesetzt, aber augenscheinlich hat sich da etwas geändert. Ich wäre Ihnen sehr zu dank verbunden.“
 

Argwöhnisch musterte die Angestellte Lena, die wie bereits am Tag zuvor nur eine schwarze Trainingshose und ein weißes T-Shirt mit dem Emblem des DFB trug. Natürlich war sich die Physiotherapeutin bewusst, dass die junge Dame vor ihr scharf überlegen musste, ob sie ihr eine solche Auskunft geben durfte, wenn sie denn überhaupt wusste, wo die Jungs sich befanden, immerhin konnte eine falsches Wort zu einem verkleideten Fan sie ihren Job kosten und das wollte sie vermutlich lieber nicht riskieren.
 

Geduldig wartete Lena nun als, bis die junge Fachkraft vor ihr ein Urteil über ihre Absichten und ihre Position gefällt hatte. Zwar merkte sie so langsam ein leichtes Hungergefühl, doch das würde sie immer noch stillen können, wenn sie erst einmal wusste, wo sich die Bande Lausbuben denn nun aufhielt.
 

„Die Herren Fußballer befinden sich im Augenblick auf dem hoteleigenen Trainingsplatz. Ihre Einheit ist gestern Abend noch vorverlegt worden. Fragen Sie mich aber bitte jetzt nicht warum, das kann ich ihnen wirklich nicht sagen.“
 

„Das müssen Sie auch nicht. Aber vielen Dank für diese Auskunft, Sie haben mir sehr geholfen.“
 

Lena ließ ihr strahlendes Lächeln als Dank aufblitzen und schielte mit einem Auge auf das Namensschild der jungen Dame, die sie unbedingt bei ihrem Vorgesetzten lobend erwähnen wollte. Sie wirkte selbst in einer recht ungewöhnlichen Situation wie dieser, in der sie nicht genau wusste, ob sie einem Fan oder einem Mitglied des Trainerstabes gegenüberstand, äußerst höflich und souverän, auch wenn man ihr, wenn man wusste worauf man zu achten hatte, ansah, dass sie nervös und ein wenig unsicher war.
 

„Wenn Sie mit jetzt noch einen anderen gefallen tun könnten, wären Sie für mich heute der Held des Tages.“
 

Überrascht sah die Kellnerin die junge Blondine vor sich an. Sie hatte ja mit vielem gerechnet, aber nicht mit so etwas. Sie konnte sich nicht vorstellen, was diese überaus nette junge Dame noch von ihr wollen konnte, jetzt, wo sie all die nötigen Informationen hatte und eigentlich schon längst auf dem Weg zu den Fußballern der Nationalmannschaft sein sollte.
 

„Wie kann ich Ihnen denn noch behilflich sein?“
 

„Sie wären ein Schatz, wenn sie mir eine Tasse heißen Kakao zum Frühstück bringen würden.“
 

Etwas verwundert blickte die junge Hotelfachangestellte die junge Psychologin an. Sie hatte ja mit viel gerechnet, da sie die teils extravaganten Wünsche ihrer wichtigen Gäste kannte, aber mit einer heißen Tasse Kakao war es bisher noch bei keinem getan gewesen. Und so rutschte ihr auch eine angesichts der Situation unhöfliche und ihr nicht zustehende Frage heraus.
 

„Aber ich dachte Sie suchen die Herren Fußballer?“
 

„Das auch, das auch. Aber die werden noch ein paar Minuten ohne mich auskommen müssen, denn ohne Frühstück, oder wohl eher ohne meinen Kakao, bin ich morgens ungenießbar und das möchte ich den armen Jungs nun wirklich nicht zumuten.“
 

Mit einem vertrauten Zwinkern zur netten Kellnerin ließ Lena sich auf einen nahe gelegenen, freien Stuhl fallen, während das brünette Mädchen sich auf den Weg in die Küche machte, um ihr ihren Wunsch schnellstmöglich zu erfüllen. Dabei wunderte die sich über die Erklärung ihres doch noch recht jungen Gastes, sie sei sonst morgens ungenießbar. Wenn solch ein Verhalten für sie als ungenießbar galt, dann sollte sie wohl besser keinen Beruf im Hotelgewerbe wählen, denn dort traf man als Kellnerin oder auch als Zimmermädchen manchmal auf die richtig ungenießbaren Charaktere, ohne die Chance sich zu wehren oder ihnen die Meinung zu sagen. Gegen diese Gestalten war die junge Frau im Speisesaal, befand die Kellnerin, ein wahrer Engel, so freundlich und höflich wie sie ihre Fragen gestellt hatte, nicht in diesem Befehlston als gehöre ihr die Welt.
 

Der Rest des Frühstücks verlief absolut unspektakulär, so dass Lena zwischendrin immer wieder Zeit hatte ein paar Sätze mit der jungen Kellnerin zu wechseln, die, nachdem sie die meisten Überreste des Frühstücks beseitigt hatte, schon wieder für das Mittagessen eindecken musste. Mit einem kurzen Blick auf die Uhr verabschiedete Lena sich von ihr und machte sich auf den Weg zum Hoteleigenen Trainingsplatz, wo sie schon von weitem die Schreie der Mannschaft vernehmen konnte, die augenscheinlich gerade sechs gegen sechs spielten.
 

Einen Augenblick betrachtete Lena das bunte treiben, ließ ihre Augen mal zu diesem, mal zu jenem Grüppchen schweifen, das verbissen um jeden Ball kämpfte und verzweifelt versuchte ein Tor zu schießen. Solche Trainingseinheiten waren ihr vertraut und das Verhalten der Jungs auf dem Platz, besonders das von Schweini und Poldi, erinnerte sie an ihre Jugendmannschaft, die sie sonst in Barcelona immer beim Training betreut hatte. Jogis Pfiff beendete jedoch das bunte Treiben und die Spieler trabten langsam zu den Getränkeflaschen, bei denen zufällig auch Lena stand.
 

Clemens war der erste, der die junge Psychologin erblickte und sein Grinsen konnte nichts Gutes bedeuten. Als sich auch noch Torsten, Per, Schweini und Tim um Clemens und Lena versammelt hatten, fing der Außenverteidiger auf einmal an laut japsend zu hyperventilieren. Jeder der Anwesenden wusste, dass es wieder einer seiner typischen Scherze war, doch hatte, bis auf die Bremer, die Clemens kleine Auseinandersetzung mit Lena auf dem Parkplatz noch sehr gut im Gedächtnis hatten, keiner eine Ahnung, wen dieser Scherz nun wieder treffen würde, bis Clemens den Mund aufmachte.
 

„Lena, rette mich, ich brauche Mund zu Mund Beatmung.“
 

Wieder ließ Clemens ein leichtes Röcheln von sich geben und blickte Lena dabei schelmisch an. Ihm war vollkommen klar, dass er da ein gefährliches Spiel spielte, gerade wenn man bedachte, dass Torsten direkt neben ihm stand und er für seinen letzten „Anmachversuch“ in Bremen schon mit einigen blauen Flecken hatte zahlen müssen, aber diese Gelegenheit erschien dem gebürtigen Erfurter einfach zu gut um sie einfach so verstreichen zu lassen.
 

„Nein danke, Clemens, aber diesen Part überlasse ich gerne jemand anderem.“
 

„Deine Ablehnung bringt mich um!“
 

Wäre es eine reale Notsituation gewesen, hätten Clemens Worte vermutlich wirklich wörtlich gestimmt, doch so konnte Lena sich nur ein müdes und zum Teil auch ein wenig spöttisches Lächeln abringen. Im Geschäftsmäßigen Ton wandte sie sich an Clemens, der mittlerweile aufgehört hatte zu röcheln und jetzt wieder putzmunter vor ihr stand.
 

„Gut, wo willst du beerdigt werden?“
 

Clemens Fritz’ Augen funkelten gefährlich und er bereitet sich innerlich darauf vor gleich wieder von ihr geschlagen zu werden, als er einen Schritt auf sie zu machte und ihr entgegenhauchte:
 

„Ganz tief in dir!“
 

Im ersten Augenblick wusste Lena nicht so ganz, wie sie darauf reagieren sollte. Sie hatte einen ähnlich unverschämten Kommentar erwartet, immerhin führt sie gerade ein Gespräch mit dem Mann, der unerlaubt in ihre Umkleidekabine eingebrochen war, aber trotzdem fühlte sie sich eine Sekunde lang wie gelähmt. Clemens’ körperliche Nähe und sein heißer Atem auf ihrer Haut verlangsamten ihr Denken für einen Moment, so dass die von Clemens bereits erwartete Ohrfeige erst leicht verspätet kam. Auch die Härte war nichts im Vergleich zu den beiden, die er bereits zuvor einmal von ihr bekommen hatte. Ja, Clemens Fritz war sich ganz sicher, dass er Fortschritte gemacht hatte. Ihr Zögern, die Schwäche ihrer Abwehrreaktion und nicht zuletzt die feine Gänsehaut, die er auf ihren Armen ausmachen konnte, sagten ihm dies.
 

Womit der Blonde jedoch nicht gerechnet hatte, obwohl er es wohl besser hätte tun sollen, war die Reaktion des Lutschers, der Clemens wütend anfunkelte und bereits einen Schritt auf ihn zu gemacht hatte. Fasziniert beobachteten die anderen Fußballer das Drama, das sich da vor ihren Augen abspielte. Im Grunde genommen waren sie alle froh, dass der Trainerstab sich kurz zu einer taktischen Besprechung zurückgezogen hatte. Sie kannten die Wutausbrüche des Bremer Mittelfeldmannes nur zu gut, doch so wütend hatten sie ihn schon lange nicht mehr erlebt. Wenn nicht gleich irgendetwas geschah, würde Torsten vermutlich explodieren. Und keiner wollte in diesem Augenblick mit Clemens tauschen, dem erst jetzt so richtig bewusst wurde, was er da eigentlich angerichtet hatte. Nicht nur, dass er Torsten erzürnt hatte, nein, mit den Konsequenzen konnte er leben, aber er hatte, als er Lena erblickt hatte, total vergessen, dass auch Per mit ihm zusammen stand und durch seine unüberlegte Aktion hatte er vermutlich mal wieder die Gefühle seines besten Freundes mit Füßen getreten. Ein schöner Freund war er. Wirklich.
 

Bevor die Frings-Bombe jedoch hoch gehen konnte, war es ausgerechnet Lena, die ihrem Bruder beruhigend die Hand auf die Schulter legte und ihn sanft anlächelte, ein Lächeln, das immer nur für ihn reserviert gewesen war und das es aus unerfindlichen Gründen immer schaffte ihn runter zu holen von da oben.
 

„Torsten, ruhig bleiben. Mach dir keine Sorgen, ich kann mit so einen wie Clemens locker alleine fertig werden, das weißt du doch. Außerdem treffen mich seine Worte ungefähr so hart wie Wackelpudding.“
 

Lenas schelmisches Grinsen und die Wahl ihrer Worte sicherten ihr einmal mehr die Sympathien der anderen Spieler, die es nur all zu gern sahen, dass Clemens eine originelle Abfuhr bekam. Wenn sie dazu auch noch in der Lage war einen fringsschen Wutanfall problemlos zu verhindern, dann war sie für die meisten Herren eine Frau nach ihrem Geschmack.
 

Aber auch nur für die meisten, denn Tim Wiese war nach dem in Bremen verloren Wortduell immer noch nicht besonders gut auf die jüngere Frings zu sprechen. Zwar hatte er dank Clemens’ beherzten Einsatz die Wut des Fringsers ob des kleinen Wortgefecht nicht zu spüren bekommen, doch änderte das nichts an der Tatsache, dass diese Frau ihn in Bremen vorgeführt hatte mit ihren ach-so-tollen Sprüchen. Sie jetzt so locker flockig weiter Sprüche reißen zu hören, regte ihn eher noch mehr auf. Irgendwie schienen die meisten seiner Kollegen der Meinung zu sein eine ganz besonders begehrenswerte Frau vor sich zu haben, wobei da doch nur eine absolut durchschnittlicher Frau mit einer zu groß geratenen Klappe stand. Begehrenswert oder gar erotisch war an dieser Frau Tims Meinung nach nichts. Und genau das tat er auch kund.
 

„Sag mal Clemens, was willst du eigentlich von ihr? Sie ist in etwa so erotisch wie ein labbriges Toast, da bin ich Besseres von dir gewöhnt.“
 

Tim war sich bewusst, dass dieser Vergleich allein schon zum Schreien war und er sah auch, dass seine Kollegen sich ziemlich zusammen reißen mussten um nicht laut los zu lachen, aber im Augenblick interessierte ihn das nicht weiter. Im Augenblick ging es nur darum, dass er gegen Lena das letzte Wort behalten hatte, doch ihr süffisantes Lächeln ließ Tim Wiese wieder einmal böses ahnen.
 

„Ach Timmie, ich hab echt Mitleid mit dir, muss schon grausam sein, wenn alle Frauen einem weglaufen, weil du in der Beziehung einfach die bessere Frau bist!“
 

Lena schenkte Tim Wiese ein letztes, strahlendes Lächeln und ging dann mit betont schwingenden Hüften in Richtung Hotel. Sie war sicher, dass die Blicke aller anwesenden Fußballer auf ihrer Rückseite ruhten. Locker warf sie ihre blonden Haare nach hinten, sah noch einmal über ihre Schulter, warf ihm einen Luftkuss zu und zwinkerte spielerisch.

In diesem Moment konnte sie sich ziemlich sicher sein, dass Tims Kollegen sie nicht für so erotisch wie ein labbriges Toast halten würden, dafür kannte sie die männliche Spezies einfach zu gut. Dafür waren sie normalerweise zu berechenbar. Auch wenn Lena sonst nicht die Frau war, die intensiv flirtete und zur Schau stellte, was sie hatte, diesmal war es eine Ausnahme und sie konnte zeigen, was Paolos Frau ihr in Mailand beigebracht hatte. Manchmal hatte es schon seine Vorteile, wenn man mit einem ehemaligen Model unter einem Dach gewohnt hatte, da Lena ohne das harte „Training“ mit Adriana niemals solche einen stilvollen Abgang hinbekommen hätte. Geschweige denn so eine lockere und flapsige Erwiderung. Nein, zu Vor-Mailänderzeiten hätte sie vermutlich nur verschüchtert dagestanden, wäre errötet und hätte peinliche berührt auf ihre Schuhspitzen geschaut. Nicht so die Lena, die sie dank Adrianas Hilfe und dem Leben im Allgemeinen geworden war. Diese Lena wusste, dass man hin- und wieder die Waffen einsetzen musste, die Gott einem mit auf den Weg gegeben hatte. Denn wie hieß es doch so schön: Rache war Blutwurst.
 

Ganz so elegant und reibungslos schaffte Lena es aber nicht sich wieder ins Hotel zurück zu ziehen, wo sie auf die künftigen Patienten warten wollte. Denn Clemens, angestachelt von Lenas elegantem Abgang, schrie ihr aus vollem Halse nach.
 

„Darf ich noch auf eine Ohrfeige mit rein kommen?“
 

Einen kurzen Augenblick spielte die Wahl-Spanierin mit dem Gedanken dem frechen Außenverteidiger im Dienste des SV Werder den Mittelfinger zu zeigen, damit er endlich verstand, wohin er sich seine Anmachversuche stecken konnte, doch dann besann sie sich eines besseren und ging einfach stur weiter in Richtung Hotel, wo ihr auch schon Oliver Bierhoff lächeln entgegen kam.
 

„Hall Lena, schön, dass ich dich hier sehe. Alles klar für heute Abend?“
 

„Soweit so gut, aber warten wir erstmal das Training ab, ich weiß nämlich nicht, wie hart Jogi die Jungs noch ran nehmen will.“
 

Sie entgegnete das Lächeln der Team-Managers, bis ihr siedendheiß einfiel, dass sie ja noch gar nicht wusste, gegen wen ihr Bruder heute Abend antreten würde, geschweige denn, wo sie selbst das Spiel schauen würde, ob von der Betreuerbank aus oder von der reservierten Tribüne. Diese Fragen brannten Lena auf der Zunge und sie sah im Augenblick keinen besseren, der ihr Antwort geben konnte, als der ehemalige Nationalspieler vor ihr.
 

„Wo soll ich eigentlich heute Abend einsatzbereit sein? Tribüne oder Bank? Torsten hatte mir da noch nichts weiter gesagt. Genauso wenig wie zum Gegner.“
 

Überrascht sah Oliver die junge Aushilfsphysiotherapeutin an, verwundert darüber, dass Torsten ihr augenscheinlich wirklich nicht viel über ihren „Einsatz“ erzählt hatte. Vielleicht sollte er doch mal ein ernstes Wörtchen mit dem Mittelfeldmann reden, denn es war nicht die feine englische Art einen Menschen so ins offene Messer laufen zu lassen, wie er es getan hatte.
 

„Es wundert mich, dass Torsten dir nicht gesagt hat, dass du an sich vor allen Dingen hier im Hotel eingesetzt wirst, immerhin hat er darauf bestanden, dass du nicht direkt im Blickfeld der Kameras arbeiten sollst. Er meinte, es wäre dir wahrscheinlich unangenehm, gerade, weil es nur ein kurzer Aushilfsjob ist. Oder habe ich ihn da missverstanden?“
 

In Lenas Gehirn ratterten alle Rädchen um die Informationen zu verarbeiten, die Oliver ihr da gerade gegeben hatte. Selbstverständlich war es ihr mehr als Recht weit weg von den Scheinwerfern zu arbeiten, aber woher hatte Torsten das so genau gewusst? Das war eine Frage, deren Lösung ihr wohl einzig und allein ihr Bruder geben konnte, daher nickte Lena einfach nur und lächelte leicht um dem Teammanager zu verstehen zu geben, dass alles so richtig war und er fort fahren konnte.
 

„Das Spiel gegen die Spanier wirst du mit einigen anderen Sportfunktionären auf der Tribüne schauen.“
 

„Bitte was?!“
 

Die Wahl-Spanierin war sich sicher, dass sie sich verhört haben musste, denn in ihren Ohren hatte es so geklungen, als hätte Oliver Bierhoff ihr gerade eröffnet, dass die deutsche heute Abend gegen die spanische Nationalmannschaft spielte. Ein absurdes Szenario. Sie musste sich dringend mal wieder die Ohren waschen, damit solche Missverständnisse nicht noch häufiger vorkamen. Gegen die Spanier, nein, so etwas hätte Torsten ihr garantiert vorher gesagt, ganz bestimmt.
 

„Ist irgendetwas nicht in Ordnung Lena?“
 

„Doch, doch, alles klar, ich dachte nur für einen Moment, du hättest gesagt, dass unsere Jungs heute gegen die spanische Nationalmannschaft spielen würden. Das ist alles.“
 

Stirn runzelnd schaute der ehemalige Torjäger der Mailänder auf die junge Frau vor sich, die verzweifelt versuchte ein Lächeln zu Stande zu bringen, es aber nicht schaffte. So nett sie auch war, irgendwie verwirrte diese Reaktion Oliver und ihn beschlich das Gefühl, das eben nicht alles in Ordnung war mit ihr.
 

„Nun, das könnte vielleicht daran liegen, dass ich es wirklich gesagt habe. Heute Abend findet das Freundschaftsspiel Deutschland gegen Spanien statt. So eine Art späte Europameisterschaft-Revanche, wie die Medien es bezeichnen. Hat Torsten dir das wirklich nicht gesagt?“
 

„Nein. Nein, das hat er wohl vergessen zu sagen.“
 

Oder aber gezielt verschwiegen, bis sie hier in München war und keinen anderen Fluchtweg mehr hatte um sich aus der Affäre zu ziehen, das war eher die Theorie, die Lena unterstützte. Und warum das so war, lag ja wohl auch glasklar auf der Hand: Er hatte schon damals in Bremen einen Verdacht gehegt und richtig kombiniert, dass es etwas mit Spanien zu tun hatte. Ja, das musste Lena unumwunden zugeben, manchmal war ihr Bruder ein wirklich schlauer Fuchs. Dass seine Aktion jedoch jede Menge Chaos und Schmerz verursachen würde, konnte der Bremer Mittelfeldmann, der sich zu diesem Zeitpunkt noch über den Rasen des Trainingsplatzes quälte, nicht einmal im Ansatz ahnen.
 

To be continued
 

So, da wären wir auch mal wieder am Ende angekommen. Wie wahrscheinlich nicht anders erwartet, gab es keine großen Enthüllung über die Vergangenheit, sondern nur eine über den Gegner im kommenden Spiel.

Ich hoffe einfach mal, dass ihr euren Spaß mit Clemens und Tim hattet, denn ich hatte ihn definitiv beim Schreiben… ;) Diese beiden sorgen halt immer wieder für etwas mehr Witz und Lockerheit.

Ansonsten lässt sich nur noch sagen, dass der erste große Knall unmittelbar bevorsteht und ich sehr gerne Spekulationen annehme, wer mit wem aneinander gerät oder wer oder was auch immer der Auslöser dafür sein könnte. Und natürlich, wie sich das auf unsere werten Beteiligten auswirkt. Ihr wisst schon, schmeißt die Kristallkugel an und sagt mir, was ihr vermutet… ;)

Mit dem Rücken zur Wand und der Pistole auf der Brust

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Danke dir, dass du mich weiterhin unterstützt.
 

Entspannter als sie eigentlich wahrscheinlich sein sollte lehnte Lena sich in die Sitzpolster des Busses. Für einen einzigen Augenblick konnte sie die Augen schließen und sich ganz auf sich selbst konzentrieren. Neben ihr saß ihr Bruder mit Stöpseln in den Ohren vollkommen versunken in seinen eigenen Gedanken an das Spiel. Ausnahmsweise war in seinen Gedanken kein Platz für Sorgen um sie, das merkte sie ihm deutlich an und dafür war Lena unheimlich dankbar. Immerhin wollte sie nicht für ein schlechtes Spiel ihres großen Bruders verantwortlich sein.
 

Überhaupt konnte Lena sich nicht entscheiden, welcher Mannschaft sie an diesem Abend den Sieg mehr gönnte: Ihrem Bruder und seinen Kollegen, mit denen sie die letzten Tagen verbracht hatte und von denen sie schon so manch einen mehr ins Herz geschlossen hatte als für eine Frau wie sie gut war, oder aber den Spaniern, wo sie selbst ebenfalls die meisten Spieler kannte und drei davon sogar zu ihren besten Freunden zählte. Irgendwie steckte sie in einem Dilemma, zumindest in einem innerlichen, denn sie ging nicht davon aus, dass sich heute Abend auch nur irgendwer für die unerhebliche Meinung einer einfachen Physiotherapeutin interessieren würde, wenn man die Möglichkeit hatte die gesamte deutsche Fußballprominenz wie den Fußballkaiser selbst nach ihren Einschätzungen fragen zu können.
 

Trotzdem versuchte Lena im Moment herauszufinden, wem sie dem Sieg mehr wünschte: Wäre es ihr Bruder gewesen, hätte sie ihm dann nicht wenigstens mit ihrem Wissen um die Stärken und Schwächen „ihrer“ Spieler helfen müssen? Immerhin kannte sie Andres und Co in- und auswendig, hatte sie ihnen ja schon unzählige Male beim Training zugesehen und bei den Taktikbesprechungen neben ihnen gesessen. Sie wusste vermutlich mehr über „ihre“ Männer als die professionellen Scouts des DFBs. Also wäre es doch eigentlich ihre Pflicht als gute Schwester gewesen ihrem großen Bruder so gut es ging auf sie vorzubereiten, oder? Wenn schon nicht direkt, dann zumindest über Timo, der alles als seine eigene Erfahrung hätte ausgeben können. Vielleicht wäre den Jungs damit wirklich geholfen gewesen. Aber sie hatte es nicht getan, hatte darauf verzichtet. Eigentlich war ihr der Gedanke daran bis eben noch nicht einmal gekommen. War diese Entscheidung ein Indiz dafür, dass sie es eher Andres, Carles und Bojan gönnte den Münchener Rasen als Sieger zu verlassen? Irgendwie auch nicht, immerhin hatte sie sich nur dagegen entschieden das Vertrauen ihrer Freunde zu missbrauchen. Sie hatte dieses Wissen im Vertrauen erhalten und würde ihnen damit nicht die Pistole auf die Brust setzen. Egal welche Überlegung Lena anstrengte, sie drehte sich im Kreis und kam nicht voran, deshalb entschloss sie sich es einfach dem Zufall zu überlassen, ändern konnte sie an dem kommenden Ergebnis sowieso nicht.
 

Die junge Psychologin wurde aus ihren Gedanken gerissen, als der Bus anhielt und sich alle Spieler zum Aussteigen bereit machten. Mit einem Mal war wieder richtig Leben im Bus und auch Schweini und Poldi, die vorher noch ungewöhnlich ruhig auf ihren Plätzen gesessen hatten, fingen nun wieder an munter zu scherzen.
 

„Wunder dich nicht, Lena, das ist hier immer so. Die beiden müssen vor dem Spiel noch einmal richtig aufdrehen um auf dem Platz auch ordentlich zu funktionieren.“
 

Vollkommen unbemerkt hatte Per sich an Lena herangeschlichen, die nur noch wenige Schritte von der Bustür entfernt stand und darauf wartete, dass ihr großer Bruder endlich den Weg frei machte. Einen Augenblick lang hatte der große Innenverteidiger mit angesehen, wie Lena wartend vor ihm herumgetänzelt war und sich über die Scherze von Schweini und Poldi amüsiert hatte. Wie nicht anders zu erwarten, hatte er sich zu ihr herunter gebeugt um ihr die Erklärung für dieses Verhalten der beiden ins Ohr zu hauchen. Diese zwei halbgeflüsterten Sätze hatten in Lena jedoch eine Gänsehaut ausgelöst, denn Pers leichter Atem hatte sanft auf ihrer Nackenhaut geprickelt und sie an andere Gelegenheiten erinnert, in denen ein Mann ihr mit einer so bezaubernden Stimme etwas zugeflüstert hatte.
 

Zögernd lächelnd drehte die Blondine sich zu Per um und sah zu ihm auf. Manchmal verfluchte sie es wirklich so klein zu sein, auch wenn sie mit Lionel in Barcelona nie solche großen Probleme gehabt hatte. Er war ja selbst kaum größer als sie, genauso wie Andres und da hatte es einfach immer wunderbar gepasst. Nicht so bei ihr und Per, der sie um mehrere Köpfe überragte. Trotzdem machte es der jungen Psychologin nichts aus sich ein wenig den Kopf zu verrenken, um in das freundliche Gesicht des gebürtigen Pattensener zu blicken.
 

„Die einen toben sich mit Späßen aus, die anderen bereiten sich anders vor. Jeder nach seiner Facon.“
 

Gemeinsam verließen die beiden den Bus und gesellten sich zu den anderen Spielern, die nur darauf warteten endlich die Katakomben der Allianzarena betreten zu dürfen. Da Lena selbst jedoch auf der Tribüne Platz nehmen würde, verabschiedete sich jetzt schon einmal von Torsten.
 

„Großer, viel Glück. Du schaffst das.“
 

Eine kurze Umarmung und ein kurzes Zerwuscheln der fringsschen Lockenpracht waren alle „Zärtlichkeiten“, die die Geschwister in Anwesenheit der Mannschaft austauschten, aber es genügte auch vollkommen. Wenn es um Glückwünsche vor wichtigen Spielen ging, war Lena noch nie besonders einfallsreich gewesen. Auch in Barcelona hatte sie den Jungs selten viele Worte mit auf den weg gegeben, denn eigentlich wussten sie ja alle, dass sie voll hinter ihnen stand und ihnen die Daumen drückte. Genauso hatte die Psychologin es auch schon von klein auf mit ihrem Bruder getan: Er wusste, dass mit ihm fieberte, da bedurfte es keiner großen Reden um es noch einmal zu betonen.
 

Ganz anders sah es jedoch bei Per aus, der völlig überrascht war, als Lena sich ihm lächeln näherte um ihm alles Gute für das bevorstehende Spiel zu wünschen. Sicher, sie waren so etwas wie Freunde, aber dass die junge Psychologin extra noch einmal zu ihm und nicht zu Clemens gehen würde, das erstaunte den langen Innenverteidiger nun doch ein wenig. Und irgendwie auch nicht, denn diese Handlung zeigte, dass Lena eben doch die Frau war, die er in ihr sah und dass er sich nicht fürchterlich getäuscht hatte. Vielleicht, hoffte der Pattensener, hatte er doch eine kleine Chance gegen Clemens.
 

„Per, ich wollte dir alles Gute für das Spiel wünschen und lass dich nicht von den Spaniern verunsichern, du bist ein absolut wunderbarer Verteidiger und wirst der Welt heute Abend schon zeigen, aus welchem Holz du geschnitzt bist.“
 

Ein wenig zögerlich umarmte Lena den langen Verteidiger und legte dabei ihre linke Hand auf seine Hüfte und die rechte auf seine Brust, da sie schlicht und ergreifend zu klein war, um sorglos an seine Schulter zu kommen. So perplex wie er war, brauchte Per erst einen Augenblick um vollkommen zu begreifen, was da gerade mit ihm geschah. Automatisch umarmte er die kleine Frau vor ihm zurück und zog sie ein kleines bisschen näher an seine Brust. Diese leichte Berührung hatte die Schmetterlinge ins einem Bauch toben lassen und Per wünschte sich, dass dieser Moment, in dem er Lena so halten konnte, niemals aufhören würde, doch leider erfüllte sich Pers Wunsch nicht und schon nach viel zu kurzer Zeit fühlte Merte wie Lena sich sanft, aber bestimmt aus seiner Umarmung befreite.
 

Er warf ihr einen unsicheren Blick zu, zweifelnd, ob sie böse auf ihn war, weil er sie ein wenig näher zu sich gezogen hatte und weil er sie nicht sofort wieder freigegeben hatte. Doch zu seiner Beruhigung lächelte sie ihn immer noch genauso freundlich an wie zuvor, als sie ihm viel Glück gewünscht hatte.
 

Den meisten anderen Spielern winkte sie nur locker zu, warf ein formloses „viel Glück“ in die Runde, bevor sie sich auf den Weg zu den Tribünen machte. Dabei konnte die jüngere Frings jedoch nicht sehen, wie sich sowohl Bastians als auch Clemens’ Mundwinkel verdächtig tief nach unten bewegten und fast schon einen Schmollmund formten. Zwar hätten sie es in dieser Situation niemals laut zugegeben, doch im Stillen hatten auch diese beiden auf persönliche Glückwünsche gehofft, so wie Per und Torsten sie bekommen hatten.
 

Zusammen mit Oliver Bierhoff ließ Lena sich von einem Angestellten der Allianzarena in die für den Deutschen Fußballbund reservierten VIP Logen bringen, wo bereits die gesamte Prominenz versammelt schien. Klassische Musik lief im Hintergrund und immer wieder schlängelten sich dezent gekleidete Kellner und Kellnerin durch die Schar der Gäste. Überall sah man kleine Männergrüppchen mit Champagnergläsern in den Händen und zumeist einer jungen, gut aussehenden Frau an ihrer Seite, die im normalen Leben sicherlich einige für die Tochter der Herren gehalten hätten. Eigentlich hätte ein solcher Anblick die Psychologin aus Barcelona nicht weiter überraschen dürfen, immerhin saß sie selbst hin- und wieder bei Barca-Spielen auf der Tribüne neben all den Spielerfrauen und Sportfunktionären, für die das Spiel manchmal tatsächlich nur dazu diente gesehen zu werden und neue Geschäftskontakte zu knüpfen. Und genau deshalb zog Lena es vor, wenn sie schon nicht mit auf der Trainerbank Platz nehmen konnte, sich zu den einheimische Fans in eine der Kurven zu gesellen, wo es zwar weniger komfortabel und auch ein wenig rauer zuging, dafür aber das Spiel völlig im Mittelpunkt des Interesses stand.
 

Hier fühlte sich die Blondine immer so ein wenig wie auf dem Präsentierteller, von allen begafft und absolut ohne Schutz vor den zumeist bissigen Kommentaren der anderen Spielerfrauen, die zumindest in Barcelona immer eine Gefahr in ihr gesehen hatten, eine Konkurrentin, die viel zu viel mit den Männern zu tun hatte, die auf dem Rasen um die Sieg kämpften. Ein bisschen konnte sie die Frauen sogar verstehen, es musste ihnen ja schon irgendwie komisch vorkommen, wenn sie als einzige Frau überall mit hin durfte und überall mehr als nur erwünscht war. Selbstverständlich hatten nicht alle in ihr eine Bedrohung gesehen, mit einigen Spielerfrauen und –freundinnen kam Lena sogar ausgesprochen gut klar, man konnte fast behaupten sie wären Freundinnen, aber die meisten konnten einfach nur unheimlich verletzend sein, wenn sie es darauf anlegten. Aber das hatten vermutlich alle Menschen gemein.
 

„Lena, ich möchte dir unbedingt jemanden vorstellen und ich denke, ihr beide werdet euch sehr gut verstehen.“
 

Erstaunt blickte Lena den Manager der Nationalmannschaft an. Eigentlich hatte sie damit gerechnet sich still und unauffällig auf ihren Platz zurückziehen zu können um so dem ganzen Trubel und vor allen Dingen den vielen Menschen aus dem Weg zu gehen, aber scheinbar hatte Oliver Bierhoff es darauf angelegt ihre Pläne, von denen er selbstverständlich nichts wissen konnte, zu durchkreuzen und sie an diesem Abend allen möglichen Menschen vorzustellen. Natürlich meinte er es nicht böse, das wusste Lena schon, er wollte ihr halt helfen, wollte ihr die Wartezeit bis zum Anpfiff so angenehm und kurzweilig wie möglich gestalten, doch im Grunde genommen machte er damit für die junge Psychologin alles nur noch schlimmer. Regelmäßig musste Lena sich umschauen, ob ihr auch ja niemand Bekanntes über den Weg lief oder gar die Presse von ihrer Anwesenheit Wind bekam.
 

Immer wieder hielten sie auf ihrem Weg zu der Person, die Lena unbedingt kennen lernen sollte, bei anderen an, wechselten höfliche Worte, Oliver stellte sie vor und immer wieder beantwortete sie die selben Fragen über sich selbst und vor allen Dingen auch über Torsten. Schon nach dem „Gespräch“ mit einem der hohen deutschen Funktionäre hatte Lena keine Lust mehr auf den ganzen Haufen. Hier schien sie einfach nichts anderes zu sein als seine kleine Schwester. Ähnliches war sie zwar aus Barcelona auch gewöhnt, wo man sie immer wieder mehr oder weniger dezent auf ihre Beziehung zu Lionel, Bojan und Andres ansprach, aber da wurde sie wenigstens nach etwas gefragt, was ihre eigene Entscheidung war und nicht etwas, für das sie nichts, aber auch gar nichts konnte.
 

Oliver Bierhoff, der aus ihrem Gespräch bei ihrer ersten Begegnung ganz genau wusste, wie sehr sie es hasste nicht mehr zu sein als ein Anhängsel ihres großen, berühmten Bruders, zog jedes Mal weiter, wenn sie das Gespräch all zu lange nur um dieses eine Thema drehte. Außerdem wollte er endlich Lenas Gesicht sehen, wenn er ihr einen ganz besonderen Mann vorstellte und ihr somit vielleicht zu einem äußerst angesehenen Traumjob verhalf. Eigentlich nutzte er selten seine Position beim Deutschen Fußballbund um anderen einen Vorteil zu verschaffen, doch der Manager hatte seit seiner ersten Begegnung mit Lena einfach das Gefühl, das sie diese Fürsprache zwar nicht benötigte, aber dafür aber durchaus verdient hatte. Von ihrem Bruder ließ sich die Blondine, so schätzte Bierhoff sie ein, sicherlich nicht helfen, dazu hatte sie viel zu viel Stolz. Er aber würde es zu mindest versuchen und deshalb lenkte er Lenas Schritte leicht in Richtung des VIP-Tribünenbereichs, in dem die spanischen Funktionäre Platz nehmen würden.
 

Leicht berührte Oliver Bierhoff einen Mann im eleganten Anzug an der Schulter, der sich nur einen Augenblick später umdrehte und überrascht auf die beiden Neuankömmlinge starrte, die ihm aus dem angeregten Gespräch gerissen hatten. Dass der Teammanager der deutschen Nationalmannschaft ein paar Worte mit ihm wechseln wollen würde, damit hatte er gerechnet, irgendwie riss sich jeder darum ein wenig mit ihm zu plaudern und ihm diesem oder jenen Spieler ans Herz zu legen, aber die junge Frau an seiner Seite warf ihm vollkommen aus der Bahn. Sie sollte nicht hier sein, sie sollte noch nicht einmal in der Nähe sein, wenn es nach ihm ginge und trotzdem stand sie jetzt vor ihm, ebenso überrascht wie er.
 

„Señor Guardiola, ich freue mich, dass sie es einrichten konnten extra hier her nach München zu reisen um sich dieses Freundschaftsspiel anzusehen. Sie haben in Barcelona sicherlich sehr viel zu tun, aber so eine Gelegenheit sollte man sich meiner Meinung nach einfach nicht entgehen lassen, denn unter Umständen findet man gerade an solchen Abenden ohne wirklich intensiv danach zu suchen die nötige Verstärkung, die einem vieles einfacher macht. Oh, Verzeihung, ich war unhöflich, darf ich ihnen Lena Frings vorstellen, sie kümmert sich im Augenblick als Physiotherapeutin um die Jungs meiner Mannschaft.“
 

Mit einem unverbindlichen Lächeln beobachtete Bierhoff, wie sich der Trainer des FC Barcelonas und Lena schweigend musterten. Ihre Blicke schienen nur so einander zu haften und erstaunlicherweise lächelte der sonst immer recht reservierte Fußballlehrer der Katalanen.
 

„Hola Señora Frings, es freut mich außerordentlich sie kennen zu lernen.“
 

Galant ergriff Josep die Hand der jungen Frau und hauchte ihr einen scheuen Kuss auf den Handrücken. Nicht umsonst sagte man ihm zumindest in der Presse nach, dass er ein äußerst höflicher und teils sogar charmanter Mann sein konnte, wenn er es darauf anlegte. Manche trieben es sogar soweit und behaupteten, er wäre ein Mann, der Frauen mit einer Leichtigkeit um den Finger wickeln konnte. Zwar war er verheiratet und hatte eine ein Jahr alte Tochter, aber von solchen Kleinigkeiten ließ sich die spanische Boulevardpresse nicht irritieren. Da rätselten sie schon eher, warum er bei Spielen und Pressekonferenz eher grimmig daherkam und nicht seinen scheinbar angeborenen Charme ausspielte.
 

Wenn sich der Spanier auch nur irgendwie unwohl fühlte so zu tun, als würde er die junge Psychologin nicht kennen, so verbarg er es ausgezeichnet. Lena hingegen konnte nur mühsam das Lächeln ihres Chefs erwidern. Es war eher ein Automatismus, den sie sich irgendwann im laufe ihrer Zeit in Barcelona angeeignet hatte. Denn wenn man ständig damit rechnen musste von Paparazzi abgelichtet zu werden, achtete man automatisch darauf, dass man seine Gefühle nicht allzu offen zur Schau trug. Ein nichts sagendes Lächeln war da regelmäßig an der Tagesordnung gewesen und nun halfen ihr diese Erfahrungen nicht in Joseps Gegenwart die Contenance zu verlieren.
 

„Encantada.“
 

Mehr brachte die junge Deutsche nicht zu Stande bevor, sie sich ohne ein weiteres Wort umdrehte und die beiden Männer stehen ließ. Ihr war klar, dass ihr Verhalten nicht höflich war, dass sie in jeder anderen Situation, mit jedem anderen Gesprächspartner, Oliver Bierhoff durch ihren plötzlichen Abgang ziemlich blamiert hätte, aber jetzt, in diesem Augenblick und in dieser Situation, war es ihr vollkommen egal, was der Teammanager der Deutschen von ihr dachte. Sie wusste nur eins: Wenn sie nicht schnell einen sicheren, unbeobachteten Platz finden würde, an dem sie sich verkriechen konnte, würde es heute Abend noch eine unheimliche Katastrophe geben. Und Katastrophen hatte Lena während der letzten Tage definitiv mehr als genug gehabt.
 

Ein paar Minuten hatte Pep Guardiola sich noch mit Olivier Bierhoff unterhalten, der sichtlich verwirrt über das Verhalten seiner hübschen Begleiterin war. Immer wieder entschuldigte der Deutsche sich bei ihm und der Katalane musste sich schwer zurück halten um ihm nicht zu erklären, dass Lenas Reaktion absolut verständlich war, sobald man die äußeren Umstände kannte. Sie hatten beide nicht damit gerechnet den jeweils anderen hier zu treffen, glaubte er die junge Deutsche doch in Bremen und sie ihm vermutlich daheim in Barcelona. Manchmal hatte das Schicksal jedoch anderes mit ihnen vor und Pep wollte diese günstige Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Er hatte die junge Blondine nun schon lange nicht mehr gesehen oder gar gesprochen und so, wie er sie einschätzte, gab es einiges zu besprechen.
 

Und so machte er sich während des Spiels auf die Suche nach der jungen Frau, die er nun schon seit ihrer Ankunft in Barcelona kannte und mit der er bereits schon ebenso lange zusammengearbeitet hatte. So konnte er sicher sein, dass sie in Ruhe würden reden können, ohne dass sie jemand störte oder gar belauschte, alle würden sie viel zu sehr auf die Geschehnisse auf dem Rasen konzentrieren als auf die beiden.
 

Überraschenderweise fand Pep Lena relativ schnell, sie saß nicht auf ihrem Tribünenplatz, sondern stand, mit den Armen auf das Edelstahlgeländer gestützt, im Schatten und verfolgte aufmerksam das Spiel. Zwar konnte man von ihrer Position aus nicht ganz so gut sehen, wie man es von dem reservierten Sitzplatz hätte tun können, doch der jungen Frau war der Platz abseits des Rampenlichts vermutlich bei weitem lieber.
 

Noch bevor er eine Hand auf ihre Schulter legen konnte, um auf sich aufmerksam zu machen, hatte Lena sich schon umgedreht und lächelte ihn matt an. Sie wirkte nicht mehr so erschrocken wie noch vorhin, als man hatte denken können ihr wäre ein Geist begegnet. Es war fast so, als hätte nur darauf gewartet, dass er käme um mit ihr zu sprechen. Und vielleicht hatte sie es sogar gewusst, bei Lena konnte man nie wissen.
 

„Lena.“
 

„Pep.“
 

Für einen Außenstehenden mochte es komisch aussehen, wie sie dort schweigend zusammen standen, die Arme auf dem Geländer abgestützt, den Blick wieder auf das Spielfeld gerichtet, wo gerade die deutsche Mannschaft einen erneuten Konter einzuleiten versuchte.
 

„Welchen der Jungs würdest du mir empfehlen?“
 

Mit dieser Frage hatte Lena nicht gerechnet, sie hatte erwartet, dass ihr Chef und Freund ihr eine Strafpredigt halten würde, was sie hier, im Epizentrum des Medieninteresses zu suchen hatte, aber kein Wort des Vorwurfs war bisher über seine Lippen gekommen. Noch nicht einmal ein vorwurfvoller Blick. Guardiola war einfach ruhig und lächelte versonnen, während er beobachtete, wie Carles Bastian Schweinsteiger den Ball abnahm um selbst einen Gegenangriff einzuleiten.
 

„Per würde in unser System passen. In unsere Mannschaft.“
 

„Warum nicht einer der anderen. Ich weiß doch, dass du nicht besonders gut auf Victor zu sprechen bist. Wieso rätst du mir nicht ihn durch Tim Wiese zu ersetzen? Der Junge ist gut, talentiert und er schüchtert seine Gegner ein.“
 

Es war Intern kein großes Geheimnis, dass Lena zwar mit allen Spielern ganz gut klar kam, mit dem Torhüter Victor Valdés, der schon seit Jahrzehnten für Barca spielte, jedoch so ihre Probleme hatte. Während ihrer Zeit in Barcelona waren die beiden in schöner Regelmäßigkeit wegen irgendwelcher Kleinigkeiten aneinander geraten und beide waren so stur gewesen, dass es oft recht lange gedauert hatte, bis wieder alles in Ordnung war. Immer wieder hatte vor allen Dingen Carles zwischen dem Keeper und der Psychologin vermittelt, zählten schließlich sowohl Lena als auch Victor zu den besten Freunden des katalanischen Kapitäns.
 

„Glaub mir Pep, du willst keinen weiteren Exzentriker im Team, es ist gut so, wie es ist. Tim passt nicht nach Barcelona.“
 

Um ihre Aussage zu unterstreichen schüttelte Lena den Kopf. Für sie war es unvorstellbar Tim im Trikot der Blau-Grana auflaufen zu sehen. Sie zweifelte zwar nicht an seinen ausgezeichneten Fähigkeiten als Torhüter, der zwar hin- und wieder mal richtig schlimme Patzer fabrizierte, ansonsten aber auch problemlos die „Unhaltbaren“ hielt, aber tief in ihr drin wusste Lena, dass Tim Wiese nicht der Mann war, den sie im Camp Nou sehen wollte. Zumindest nicht als Mitglied der Heimmannschaft.
 

„Und Per schon? Warum ausgerechnet Mertesacker?“
 

Gerade in diesem Augenblick schaffte der lange Innenverteidiger es Andres Iniesta elegant vom Ball zu trennen ohne ihn zu foulen. So unsicher und unkoordiniert er manchmal vielleicht auch im alltäglichen Leben wirken mochte, so wusste er auf dem Fußballfeld seine Größe sicher und vor allen Dingen vorteilhaft anzuwenden, jedoch ohne dabei grob zu werden. Es gab nicht viele Verteidiger, die in der Lage waren einen technisch so versierten Spieler wie Andres „sauber“ vom Ball zu trennen. Und dann auch noch schnell genug einen eigenen Gegenangriff einzuleiten, bevor Iniesta sich die Kugel zurückholen konnte. Per aber schickte seinen Freund und Kollegen Clemens Fritz, der über die Außenbahn versuchte die Spanier auszukontern.
 

„Da hast du deine Antwort. Er ist ein ausgezeichneter Verteidiger und er würde vom menschlichen sehr gut zu Andres und Lionel passen.“
 

Darauf wusste der Katalane nichts Gegensätzliches zu erwidern, immerhin kannte Lena diese beiden Männer sehr gut und wenn sie der Meinung war, dass Per Mertesacker sich mit den beiden Ausnahmetalenten der Katalanen gut verstehen würde, so konnte er davon ausgehen, dass es der Realität entsprach. Damit war er aber immer noch nicht bei dem eigentlichen Thema angelangt, das ihn beschäftigte und weswegen er sich auf die Suche nach der jungen Deutschen gemacht hatte.
 

„Und wie sieht es mit Torsten Frings aus?“
 

Seine Frage war nicht besonders subtil, aber Pep hatte auch keine Lust mehr länger um den heißen Brei herum zu reden. Man würde ihn schon bald vermissen und es war besser für sie beide, wenn sie nicht zusammen gesehen wurden. Schon lange nicht, wenn sie so nah beieinander standen und fast flüsterten.
 

„Lass es Pep, bitte. Ich habe heute Abend keine Lust auf deine Spielchen.“
 

Genervt wandte sich Lena ihrem Chef zu, der versuchte so unschuldig wie möglich zu schauen. Natürlich hatte er Lena absichtlich auf Torsten angesprochen und gehofft, dass sie ohne weiteres nachfragen anfangen würde zu erzählen, wie es ihr in der letzten zeit ergangen war, aber dem war anscheinend nicht so.
 

„Was für Spielchen meinst du denn.“
 

„Wenn du mit mir über meinen Bruder sprechen möchtest, dann frag mich einfach, was du wissen willst und vielleicht erzähle ich es dir dann, aber lass diese kleinen Andeutungen.“
 

Eigentlich hätte Pep nicht überrascht sein dürfen von ihren klaren Worten, doch trotzdem war er es. Lena mochte zwar selbst gern die Wahrheit von anderen hören und Spielchen verabscheuen, sie selbst aber umgab sich gern in einem Dunst aus Geheimnissen, von denen sie immer nur bestimmten Menschen gewisse Teile enthüllte. Es gab wahrscheinlich keinen Menschen, der wirklich von sich behaupten konnte, dass er all ihre Geheimnisse kannte. Und das war vermutlich auch besser.
 

„Ich will wissen, ob du deinem Bruder mittlerweile reinen Wein eingeschenkt hast, so, wie du es versprochen hast. Denn wenn nicht, ist es an der Zeit, dass ich ihm einen Besuch abstatte. Er wird die Wahrheit erfahren, entweder von dir, mir oder der Presse, noch kannst du dir aussuchen, was dir lieber ist.“
 

Entsetzt schaute Lena den Trainer des FC Barcelonas an. Sie hatte mit vielen gerechnet, aber nicht damit. Nicht, dass ausgerechnet Josep ihr die Pistole auf die Brust setzte, während sie mit dem Rücken zur Wand stand. Das sah ihm nicht ähnlich, das passte nicht zu ihm, aber an seinem entschlossenen Gesichtsausdruck konnte sie erkennen, dass er seine Worte bitter ernst meinte. Seine nächsten Worte bestätigten Lenas Befürchtungen da nur noch.
 

„Es wird nicht allzu schwer sein den lieben Herrn Bierhoff um ein Gespräch unter vier Augen mit Torsten zu bitten. Wenn ich mich beeile, kann ich ihn sogar noch in der Halbzeit erwischen und danach fragen, ob er mich wohl morgen zu deinem Bruder lassen könnte.“
 

Unwillkürlich umklammerte Lena das Geländer fester bei den Worten Guardiolas. Sie zweifelte keinen Moment, dass er seinen Worten sogar heute Abend noch Taten folgen lassen würde. Pep war kein Typ der leeren Drohung, wenn er drohte, dann folgten meist die Konsequenzen stehenden Fußes.
 

„Nun Lena, es liegt an dir: Entweder, du erzählst Torsten bis morgen Abend die Wahrheit oder ich übernehme das für dich. Du hast die Wahl.“
 

Eigentlich wollte die Psychologin fragen, wo denn ihre Wahlmöglichkeit lag, wenn in beiden Szenarien Torsten am Ende doch alles erfahren würde, aber sie verkniff sich ihre Frage, schließlich verstand sie nur zu gut, wie Pep das gemeint hatte. Es bestand nun einmal definitiv ein Unterschied darin, ob man einen Sachverhalt selbst darstellte, oder ob es Dritte taten oder gar die Boulevardpresse. Und so wandte Lena sich schweren Herzens an ihren Trainer, sah ihn einen Augenblick lang in die Augen und flüsterte dann:
 

„Ich werde es ihm sagen, Pep, ich verspreche es dir, aber bitte lass mich selbst den Moment wählen. Setz mir keine Frist.“
 

„Wenn ich dir keine Frist setze, wird es niemand tun und dann wirst du immer und immer wieder ausreden finden um es ihm weiter zu verschweigen. Das muss aufhören Lena und zwar sofort. Wie oft hattest du bisher Gelegenheit ihm die Wahrheit zu sagen? Wie viele ideale Momente hast du verstreichen lassen?“
 

Dass Lena nicht antwortete, war für den Katalanen allein schon Antwort genug. Keine Antwort war auch eine Antwort und in diesem Fall lautete sie: Definitiv viel zu oft. Und auch wenn Pep in diesem Moment hart und herzlos erscheinen mochte, so tat er das alles nur um Lena zu helfen. Ihm war klar, dass die Frau Angst davor hatte ihrem Bruder die Wahrheit zu sagen, ihm von ihrer bewegten Vergangenheit zu erzählen und er konnte die Angst nachvollziehen, doch es war einfach nötig, dass Torsten davon erfuhr. Dass er alles erfuhr. Es musste einfach sein. Und genau aus diesen Gründen würde er Lena diesmal keine Gelegenheit zur Flucht geben.
 

Dass es letztendlich am nächsten Morgen alles anders kommen sollte als von ihnen allen gedacht, konnte Josep Guardiola an diesem Abend während des Freundschaftsspiels der Spanier gegen die Deutschen noch nicht ahnen. Er hatte Lena zwar die Pistole auf die Brust gesetzt, aber abdrücken würde ein anderer. Jemand, von dem es niemand erwartet hätte.
 

To be continued
 

Nein, in diesem Kapitel gab es noch nicht den großen Knall, dafür aber das definitive Versprechen, dass es im kommenden Kapitel endlich soweit sein wird. Lena hat jetzt immerhin keine Chance mehr: Entweder kommt es so oder so, doch auf jeden Fall kommt es.

Was sagt ihr zu Lenas mutigen „Verabschiedung“ von Per? Da hat sie sich ja mal richtig vorgewagt um Per zu zeigen, dass sie ihn mag. Und seine Reaktion? War das alles eher zu viel oder realistisch? Und natürlich auch Basti und Clemens, die eifersüchtig sind und auch gern ein Küsschen bekommen hätten… Das Leben ist halt kein Ponnyhof…

Wer ist wohl derjenige, der den Auslöser der Pistole drückt? Und wie macht er das wohl?

Katerstimmung

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Im Folgenden werdet ihr euch leider wieder einige Dialoge und Wortwechsel Spanisch denken müssen, da meine eigenen Spanisch-Kenntnisse bei weitem nicht ausreichen um der Situation gerecht zu werden.
 

Müde und erschöpft vom vergangenen Abend und der allzu kurzen Nacht, verspürte Lena nicht die geringste Lust dem Klingeln ihres Weckers nachzukommen und die Füße aus dem Bett zu bewegen. Viel zu warm und kuschelig hatte die junge Psychologin sich in ihrer Decke eingerollt und noch nicht einmal die hartnäckigsten Sonnenstrahlen schafften es durch die dicken Vorhänge zu drängen und darüber war Lena überaus dankbar. Es war definitiv spät geworden gestern, oder wahrscheinlich sollte sie besser sagen heute, denn als sie es endlich geschafft hatte sich von den anderen abzusetzen und auf ihr Zimmer zu gehen, hatte die Sonne schon schüchtern ihre ersten Strahlen ausgesandt, was eigentlich alles über die Uhrzeit sagte.
 

Es hatte Lena überrascht wie fitt und überaus aktiv die Jungs nach so einem hartem Spiel noch gewesen waren und dass Jogi ihnen erlaubt hatte ausgiebig zu feiern statt direkt nach dem Spiel mit der Regeneration anzufangen, wie es normalerweise üblich war. Das konnte natürlich daran gelegen haben, dass selbst eine deutsche Nationalmannschaft den amtierenden Europameister Spanien nicht jeden Tag mit drei zu zwei besiegte. Auch wenn man es nicht direkt als Revanche bezeichnen konnte, so war dieser Sieg jenen, die vor über einem Jahr in Wien noch als traurige Verlierer auf dem Rasen gestanden hatten, sicherlich doch wie Honig runter gegangen. Er konnte zwar den verlorenen Titel nicht ersetzen, konnte die Tränen, die an diesem Abend geflossen waren, nicht ungeweint machen, dafür war es aber bestimmt gut zu wissen, dass sie durchaus in der Lage waren die Spanier zu schlagen. Und das nicht nur durch Zufall, Glück und vielleicht Fehler der gegnerischen Mannschaft, sondern aus dem eigenen Leistungsvermögen heraus. Etwas, was viele Kritiker ihnen im Vorfeld nicht unbedingt zugetraut hatten.
 

Streckenweise hatte die deutsche Nationalmannschaft gestern Abend in der Allianzarena sogar richtigen Zuckerfußball vom Feinsten gespielt, die Pässe hatten gesessen und man hatte sehen können, dass es den Jungs auf dem Platz Spaß machte Fußball zu spielen. Die Zuschauer hatten sich schnell mitreißen lassen und schon bald herrschte eine unglaublich ausgelassene Stimmung im Stadion und man konnte merken, dass die Fans sich sichtlich über die tollen Spielzüge ihrer Mannschaft freuten. Die deutschen Spieler hatten ihren Spaß und die Fans auch, was wollte man mehr an einem solchen Abend? Leider hatten die Spanier auch ihren Spaß am Spiel gehabt und nach dem doch etwas überraschenden Führungstreffer der Deutschen durch Klose waren sie nicht, wie vielleicht von einigen erhofft, in eine Starre gefallen, sondern hatten eher noch konzentrierter, noch willensstärker gespielt, so dass der Ausgleich und der nur kurze Zeit folgende Führungstreffer nicht besonders verwunderlich gewesen waren.
 

Lena war bewusst, dass sie sich eigentlich hätte ärgern müssen, immerhin lag das Team ihres Bruders zu diesem Zeitpunkt hinten, doch hatte sie es einfach nicht über sich gebracht ausgerechnet Andres und Bojan böse zu sein, die immerhin für den Rückstand der deutschen Mannschaft verantwortlich waren. Andres hatte den Ausgleich einfach so fabelhaft herausgespielt und dann Tim Wiese geschickt ausgekontert, so dass man nur mit der Zunge schnalzen konnte. Auch wenn Iniesta mittlerweile auch International die Anerkennung bekam, die er auf Grund seiner Leistungen verdiente, so waren es doch solche seltenen Aktionen, die Andres erst diesen Ruf eingebracht hatten. Sonst galt er nur als unermüdlicher Bälleverteiler aus dem Mittelfeld, nicht als Knipser. In diesem Spiel hatte er jedoch eindrucksvoll gezeigt, dass er beides konnte: Nach seinem schönen Tor war auch er es gewesen, der Bojan mit einem gezielten Pass steil vors Tor geschickt hatte. Normalerweise wäre eine solche Aktion absolut hoffnungslos gewesen, bedachte man, dass Bojan relativ klein war für Kopfbälle und die deutschen Innenverteidiger Mertesacker und Metzelder hießen. Trotz all dieser Hindernisse hatte der Kleine es trotzdem geschafft die Kugel an Wiese vorbei ins Tor zu schießen und so hatten ihre beiden Helden aus Barcelona es im Nu geschafft das Spiel zu Gunsten der Spanier zu drehen.
 

Mit dem Rückstand im Nacken war die doch etwas ernüchterte deutsche Mannschaft in die Kabine gegangen um sich von Jogi und Hansi wieder aufbauen zu lassen. Im Grunde genommen hatte es gar nicht so viele Kritikpunkte gegeben, sie hatten bei den Gegentoren ganz einfach die individuelle Klasse der Spanier unterschätzt, mehr nicht. Es hatte keine eklatant offensichtlichen Abwehrfehler gegeben und dass Bojan irgendwie ein Kopfballduell hatte gewinnen könne, tja, das konnten sich weder Jogi noch Hansi so richtig erklären. Der einzige, der eine ungefähre Ahnung hatte, wie der junge Spanier es geschafft haben könnte, war Philipp Lahm, der ja wegen seiner geringen Körpergröße selbst viele Tricks anwenden musste um mal ein Kopfballduell gegen größere Verteidiger zu gewinnen.
 

In der zweiten Halbzeit hatten die Jungs viele gute Chancen, jedoch führte keine zum heiß ersehnten Ausgleichstreffer, was die Fans auf den Rängen langsam aber sicher ebenfalls nervös werden ließ. Die Spanier hatten sichtlich das Tempo raus genommen und ließen die Deutschen laufen, ein verhängnisvoller Fehler, wenn man Lena fragte. Denn plötzlich nutzten die Jungs ihren Raum besser spielten schneller und bevor Iker Cassilas auch nur reagieren konnte, hatte Per Mertesacker einen schönen Kopfball an ihm vorbei ins Tor geköpft. Hatte der Torhüter beim ersten Tor noch keine Schuld getroffen, so war er bei diesem hier definitiv mitschuldig, zusammen mit den Verteidigern, die es zugelassen hatten, dass ein Riese wie Per Mertesacker im Sechzehner frei und ungehindert zum Kopfball aufs Tor kam.
 

Die letzten Minuten wurde es noch einmal spannend und beide Teams kämpften wieder verbissener um den Ball, gingen ehrgeiziger in die Zweikämpfe und versuchten einfach alles um für ihre Mannschaft eine Torchance herauszuholen. Hätte man nur die letzten zehn Minuten gesehen, so wäre man vermutlich zu dem Ergebnis gekommen, dass dieses Unentschieden beiden Teams gegenüber nur fair war, denn keine schaffte es die andere soweit auszuspielen, als dass ein weiteres Tor gerechtfertigt gewesen wäre. Der Fußballgott jedoch schien anderer Meinung gewesen zu sein, zusammen mit ihrem großen Bruder Torsten, der kurz vor Abpfiff seine letzten Kräfte mobilisierte und es mit einem gewagten Schlenzer schaffte den Ball im Tor zu versenken. Es war so einer wie beim Weltmeisterschaftsvorrundenspiel gegen Costa Rica, hart, präzise und ziemlich unhaltbar! Nur wenige Minuten später pfiff der Schiedsrichter ab und schon bald konnte man nur noch feiernde Nationalspieler erkennen, die sich jubelnd bei den Fans bedankten, während die Spanier geknickt in der Kabine verschwanden.
 

In diesem Augenblick fühlte Lena sich so zerrissen wie schon lange nicht mehr: Sollte sie sich freuen, dass ihr Bruder gewonnen und sogar noch das entscheidende Tor geschossen hatte oder sollte sie enttäuscht und traurig sein, weil es für Andres, Carles und Bojan nicht gereicht hatte, obgleich sie doch mit so viel Feuer und Leidenschaft gespielt hatten? Die Entscheidung darüber hatte ihr schließlich Pep abgenommen, der ihr leise zugewispert hatte, dass sie sich für ihr Team freuen sollte und dass die Barca-Jungs diese Niederlage sicher verkraften würden. Immerhin waren sie dafür ja letztes Jahr Europameister geworden, wie er mit einem süffisanten Lächeln anfügte und von diesem Moment an konnte Lena sich ein fröhliches Grinsen nicht mehr verkneifen.
 

Ähnlich breit grinsende Gesichter, wenn nicht sogar noch fröhlichere, begrüßten sie, als sie sich zu den Jungs gesellte, um mit ihnen im Bus zurück zum Hotel zu fahren. Ausnahmsweise machte es der Blondine nichts aus von allen in den Arm genommen zu werden, sollten die Jungs diesen Abend genießen. Nicht einmal vor René, Tim oder Timo machte sie halt, an diesem Abend hatte sich jeder eine Umarmung und die obligatorischen Glückwünsche verdient. Selbstverständlich fiel es ihr trotzdem auf, dass ihre Umarmung mit Per und die darauf folgenden Glückwünsche etwas länger dauerten als die aller anderen, aber auch das störte die Psychologin recht wenig. Sollte der Rest doch denken, was er wollte, falls es überhaupt noch wem aufgefallen war, viel zu sehr schienen die Spieler damit beschäftigt zu sein Alkohol aufzutreiben. Eine Aufgabe, die sie in Rekordzeit gemeistert hatten und so begannen sie schon auf der Rückfahrt kräftig ins Glas zu schauen, was in der Hotelbar exzessiv fortgesetzt wurde.
 

Normalerweise trank Lena keinen Alkohol oder zumindest nur äußerst selten zu besonderen Anlässen, aber da die Mannschaft bei ihren schwachen Protesten lautstark entschieden hatte, dass dieser Sieg ein ganz besonderer Anlass sei, verweigerte auch Lena kein Glas mehr. Immer wieder hatte sich an diesem Abend ein männlicher Arm um ihre Schulter gelegt und ein sichtlich angetrunkener Nationalspieler hatte ihr die ein oder andere schlüpfrige Frage gestellt, die sie in den meisten Fällen irgendwie hatte ausweichend beantworten können. Die Antworten, die sie jedoch gegeben hatte, waren bis zum nächsten morgen, so hoffte sie inständig, bereits wieder vergessen.
 

Besonders anhänglich und neugierig waren natürlich Basti und Clemens gewesen, die teils abwechselnd, manchmal aber auch gleichzeitig ihre Aufmerksamkeit gefordert hatten. So, wie sie gelallt hatten, war Lena sich relativ sicher, dass sie an diesem Morgen mit ziemlichen Kopfschmerzen aufwachen würden, falls sie die Nacht überhaupt zur Ruhe gekommen waren, manche Menschen umarmten die Kloschüssel auch gleich die ganze Nach über. Und wenn die kleine Schwester des Lutschers ehrlich mit sich war, dann musste sie gestehen, dass sie es den beiden Spaßvögeln gar nicht anders gönnte, vielleicht lernte sie ja daraus, denn wie hieß es einem Sprichwort zufolge so schön: Aus Schaden wird man klug und wenn ihr Schädel auch nur im Ansatzweise so weh tat, wie er müsste nach den Mengen Alkohol, würden Clemens und Basti am Frühstück äußerst weise sein.
 

Nur Per hatte sich am Abend mit dem Alkohol zurückgehalten. Lena selbst hatte zwar auch nicht übermäßig viel getrunken, aber doch so viel, dass sie sich ein kleines bisschen leichter gefühlt hatte als sonst und bei weitem nicht mehr so viel nachgrübelte. Sie hatte sich herrlich gelöst gefühlt, was auch für ihre Zunge gegolten hatte. Per jedoch hatte sich nicht über ihre neue Offenheit beschwert, zumindest nicht, dass die Psychologin sich darin erinnern konnte. Mit ihm hatte Lena sich selbst morgens um halb vier noch normal unterhalten können, während die anderen zu diesem Zeitpunkt schon bald keine zusammenhängenden Sätze mehr äußern konnten. Der gebürtige Pattensener war es schließlich auch gewesen, der einen Kollegen nach dem anderen nach oben in die Zimmer verfrachtet hatte. Mit Ausnahme von ein paar der älteren Spielern natürlich, die sich schon früher ins Bett verabschiedet hatten, damit die „Jugend“ wie sie scherzhaft gesagt hatten, ihren Erfolg alleine und ungestört würde feiern können. Zu ihnen hatte erstaunlicherweise auch Torsten gehört, der Michael und Bernd zwar etwas missmutig und deutlich langsamer gefolgt war, aber er war mit ihnen verschwunden, ein großer Vertrauensbeweis, immerhin war Lena noch geblieben, vollkommen in ein Gespräch mit Per vertieft.
 

Nur widerwillig stand Lena auf, immer noch vertief in die Erinnerungen an der vergangenen Abend, der sie sehr an ihre Zeit in Barcelona erinnert hatte, wo sie bei solchen Gelegenheiten zwar ebenfalls lange geblieben war, aber auch den ganzen Abend damit verbracht hatte sich mit einem der nüchternen Jungs, meistens Andres und Lionel, zu unterhalten. Nur dass diesmal nicht Andres oder Lionel an ihrer Seite gewesen waren, sondern Per und eine leise, kleine Stimme in ihrem Kopf flüsterte der jungen Frau zu, dass es ihr nichts ausmachte, im Gegenteil, dass es ihr sogar irgendwie gefallen hatte so viel Zeit mit dem Innenverteidiger zu verbringen. Etwas, was sie natürlich niemals laut zugegeben hätte.
 

Eine kurze Dusche zum Wachwerden folgte und binnen einer halben Stunde fühlte Lena sich bereit den Jungs unten bei Frühstück zu begegnen. Da Torstens kleine Schwester nur vergleichsweise wenig Alkohol zu sich genommen hatte, spürte sie weder Übelkeit noch Kopfschmerzen, die meistens mit einem ordentlichen Kater Hand in Hand gingen. Bis auf ein paar Stunden Schlaf fehlte der jungen Frau nichts und so machte sie sich lächelnd auf den Weg in den Speisesaal. Sie war wirklich gespannt, wer alles auf ein üppiges Frühstück verzichtete und lieber mit einem Tee vorlieb nahm, weil sich der Magen immer noch nicht wieder beruhigt hatte.
 

Als Lena den Speisesaal der deutschen Nationalmannschaft betrat, war es ungewöhnlich ruhig, wenn man bedachte, dass ein Großteil der Mannschaft bereits überm Essen brütete. Wobei brüten definitiv die richtige Bezeichnung war: Die meisten Spieler saßen zusammengesunken an ihren Tischen, fast so als hätten sie Mühe wach zu bleiben, und stocherten lustlos in ihrem mageren Essen herum. Augenscheinlich konnten die Jungs heute Morgen auch noch keine lauten Geräusche vertragen ohne schmerzhaft zusammen zu zucken, deshalb hielten wohl alle kollektiv den Mund und schwiegen, nur hier und da konnte man leises Geflüster vernehmen. Selbst die sonst so fröhlichen und munteren Poldi und Schweini saßen stumm nebeneinander, wobei Lukas bei weitem fitter aussah als sein Freund, was wahrscheinlich daran lag, dass der Pole gestern nicht gegen seine Prinzipien verstoßen hatte und sich von allen alkoholischen Getränken ferngehalten hatte. Trotzdem wirkte er müde und erschöpf und Lena konnte zwar nur vermuten, warum, aber die Blicke, die Poldi Schweini zuwarf, sprachen eigentlich Bände: Sein Freund musste ihm heute Nacht ziemlich auf Trab gehalten haben.
 

Der einzige, der relativ zufrieden mit sich und der Welt aussah, war Sedar Tasci, der genüsslich an seiner Tasse nippte. Soweit Lena es aus der Distanz erkennen konnte, musste der Stuttgarter sich einen richtig schönen, heißen Kakao gemacht haben, der nun seine Laune sichtlich steigerte. Wie hieß es ja auch: Schokolade macht glücklich und in diesem Fall musste es definitiv zu stimmen, so, wie Sedar guckte. Das verhaltene Kichern um sich herum schien er jedoch nicht weiter wahrzunehmen, so träumerisch schaute er durch die Gegend. Als sein Blick auf Lena fiel, lächelte er leicht und die junge Psychologin lächelte freundlich zurück, etwas anderes konnte sie auch gar nicht, denn gerade mit dem augenscheinlich letzten Schluck aus dem Becher hatte der Verteidiger sich einen herrlichen Kakao-Schoko-Bart gezaubert, der nun unübersehbar über seiner Oberlippe saß.
 

Ohne weiter zu zögern und über den süßen Bart des Stuttgarters nachzudenken, machte Lena sich auf den Weg zum Büffet, wo sie auch schon Torsten, Michael und Per sah, die alle drei relativ wach und fit wirkten, ganz im Gegensatz zu ihren Kollegen, die ziemlich in den Seilen zu hängen schienen. Hungrig ließ die junge Frau ihren blick über die vielen Köstlichkeiten schweifen, etwas, was Torsten natürlich sofort zum Schmunzeln brachte.
 

„Ich wünsche dir auch einen wunderschönen guten Morgen, Schwesterherz. Aber wie ich sehe, kann ich mit dem Frühstücksbüffet nicht konkurrieren, weil es ja so viel interessanter und wichtiger ist als ich.“
 

Mit einem beleidigten Schnauben drehte sich der Lutscher ein wenig von seiner Schwester weg, die ebenso amüsiert lächelte. Selbstverständlich war es ihr klar, dass er nur scherzte. Eine ähnliche Reaktion hatte sie von Torsten nicht erwartet, immer musste es sie damit necken, dass sie, wenn sie einen Abend Alkohol getrunken hatte, am nächsten Morgen mit einem Bärenhunger aufwachte. Ihr Bruder hielt sie in dieser Beziehung für unnormal, beneidete sie aber trotzdem um diese Fähigkeit, wo er selbst doch nach übermäßigem Alkoholgenuss zumeist den nächsten Tag nur leichte Kost hinunterbrachte. Da er am vergangenen Abend jedoch nur wenig getrunken hatte und früh ins Bett gegangen war, hatte er heute einen voll beladenen Teller mit allerlei Köstlichkeiten, denen auch Lena nicht abgeneigt war. Und so stibitzte sie sich blitzschnell eine Weintraube vom Teller ihres Bruders, der sie darauf entrüstet anblickte.
 

„Tja Bruderherz, das kommt davon, wenn du mir den Rücken zudrehst, dein Essen aber nicht mitnimmst. Du weißt doch, dass dieser Versuchung einfach nicht widerstehen kann.“
 

Fröhlich brachen die Geschwister in Gelächter aus, was jedoch sofort wieder verstummte, als sie die teils bösen, teils gequälten Blicke der anderen Spieler auf sich fühlten. Sie hatten die morgendliche Stille nicht durchbrechen wollen, aber eigentlich geschah es ihnen ganz Recht, eine Ansicht, die auch Michael vertrat und laut äußerte. Selbstverständlich aber nicht zu laut, damit sie nicht schon wieder von allen Seiten böse Blicke ernteten.
 

„Ich mache dir gleich mal eine Versuchung Lenchen, such dir gefälligst dein eigenes Essen aus, ich brauche meins selbst.“
 

„Ja, du bist ja auch noch ein kleiner Junge im Wachstum, der ganz, ganz viele Nährstoffe braucht.“
 

Der spöttische Ton in Lenas Stimme war unüberhörbar und um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, ging Lena zwei Schritte auf ihren großen Bruder zu, legte eine Hand auf seinen Rücken und rieb ihm mit der anderen ein paar Mal über den Bauch, mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen. Leise flüsterte sie ihm etwas ins Ohr, was es jedoch war, das konnte keiner mehr fragen, denn auf einmal erklang eine laute, wutentbrannte Stimme im Speisesaal der deutschen Nationalmannschaft.
 

„Putá! Und ich dachte wirklich er hätte gelogen, hätte sich das alles nur ausgedacht. Du bist nicht besser als alle anderen immer behauptet haben.“
 

Erschrocken ob der wutentbrannten spanischen Flüche, ließ Lena ihren Bruder sofort los. Sie hatte an der Stimme erkannt, wer sie da anschrie, doch einen Augenblick an wollte sie es nicht glauben. Auch wenn sie ihn mit eigenen Augen auf sie zu stürmen sah, so riss es sie doch nicht aus ihrer Starre. Seine Worte ergaben einfach keinen Sinn und seine Wut auch nicht. Um den vollkommen aufgebrachten jungen Mann zu beruhigen, machte Lena ein paar Schritte auf ihn zu und versuchte ihn leicht am Arm zu berühren, als er angewidert einen Schritt zurück wich.
 

„Fass mich gefälligst nicht an!“
 

„Bojan, was ist denn los? Ist irgendetwas passiert?“
 

Besorgt musterte Lena den jungen Katalanen, der auch vor ihrem zweiten Annäherungsversuch zurückzuckte, als hätte sie Gift an ihren Händen. So hatte Bojan noch nie auf sie reagiert, egal wie wütend, verletzt oder traurig er gewesen war, immer war Lena diejenige gewesen, die ihn hatte umarmen und trösten dürfen. Daran erinnerte im Augenblick aber wenig, so, wie er ihr gegenüberstand. Sein Gesicht war rot vor Wut und man merkte deutlich, dass er sich zurückhalten musste um nicht noch lauter durch den Saal zu schreien. Aber diese Zurückhaltung wäre gar nicht nötig gewesen, schon mit seinem Auftauchen und den ersten wütenden Worten hatte ihm der ganze Saal zugehört. Immerhin gehörte es nicht zum alltäglichen Geschäft der Fußballer, dass der Youngstar des gestern geschlagenen Gegners in ihrem Speisesaal auftauchte und die kleine Schwester eines Kollegen anschrie.
 

„Erst tust du mit deinen Händen sonst was bei ihm und dann willst du mich damit anfassen, du hembra?“
 

Mit einem Nicken deutete Bojan auf Torsten, der mittlerweile sichtlich verwirrt neben seiner kleinen Schwester stand und kein Wort von der Unterhaltung verstand. Den Gesten und der Lautstärke der Worte nach zu urteilen, waren es aber sicherlich keine Nettigkeiten, die der kleine spanische Nationalspieler seiner Schwester da an den Kopf warf. Er wusste nicht, woher dieser Bojan Krkic und Lena sich kannten oder welche Probleme die beiden hatten, aber selbst ein Blinder hätte merken können, dass Lena vom Auftauchen des jungen Mannes nicht begeistert war. Von seinen Worten ganz zu schweigen.
 

Anfangs hatte Lena noch geglaubt, sie hätte sich verhört, als Bojan sie als Hure bezeichnet hatte, nun aber, wo er es schon zum zweiten Mal sagte, konnte sie nicht mehr so tun, als hätte sie es überhört oder als wäre es niemals gesagt worden. Irgendetwas lief hier gewaltig falsch und die junge Psychologin hatte keinen blassen Schimmer, was es war: So kannte sie den jungen Katalanen nicht, so war er ihr vollkommen fremd, so als wäre er binnen kürzester Zeit, seit ihrer Abreise aus Barcelona, ein anderer Mensch geworden.
 

„Bojan, ich frage dich noch einmal: Was ist los?“
 

Man konnte an ihrer Stimme erkennen, dass Lena so langsam aber sicher die Geduld verlor und auch seine Beleidigungen ihre Wirkung zeigten. Ihre Nerven waren wie Drahtseile gespannt und hätte man Lena in diesem Moment vor eine weiße Wand gestellt, so wäre der Unterschied nicht besonders groß gewesen, so blass war die jüngere Frings mittlerweile ob der Worte des Katalanen. Immer wieder musste sie schlucken um die aufkeimenden Tränen zu unterdrücken, die sich unaufhaltsam einen Weg an die Oberfläche zu bahnen versuchten. Doch Lena wollte nicht weinen, wollte nicht vor all den Menschen so verdammt schwach werden und sie wollte vor allen Dingen Bojan nicht zeigen, wie sehr er sie getroffen hatte. Es viel ihr nur schwer, so unvorstellbar schwer. Trotzdem versuchte sie sich zu beherrschen, denn was auch immer gerade mit ihrem Schützling los war, es sollte besser nicht mitten im Speisesaal der deutschen Nationalmannschaft geklärt werden.
 

„Du fragst mich was los ist? Das solltest du doch wohl am besten wissen. Ist es dir eigentlich vollkommen egal, wie sich die anderen dabei fühlen? Wie Lionel sich fühlen muss, wenn du ihn so benutzt? Oder denkst du dir einfach: Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß?“
 

So langsam dämmerte es Lena, worauf Bojan hinauswollte und dass er ihre und Torstens Berührung vorhin komplett falsch verstanden haben musste. Trotzdem war es ein weiterer Grund für sie zu zusehen, dass sie den Spieler des FC Barcelona aus dem Raum bekam, immerhin sprachen drei andere außer ihnen noch Spanisch und diese drei hatten mittlerweile vermutlich schon mehr als genug gehört, um sich eine passende Geschichte zusammen zu reimen, die sie hinter her Torsten würden erzählen können, sobald sie sich mit Bojan zurück gezogen hatte, doch darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht mehr nehmen. Im Augenblick war es wichtiger den jungen Mann vor zu beruhigen statt zu überlegen, wie sie diesen ganzen Schlamassel dem Mann neben ihr erklärte.
 

„Bojan, vielleicht sollten wir besser an einen anderen Ort gehen und dort in Ruhe miteinander reden.“
 

Der Katalane schnaubte nur verächtlich und wurde wieder ein wenig lauter.
 

„Warum sollten wir den Raum verlassen? Es ist doch immerhin kein Geheimnis, dass du für alle die Beine breit machst, die halbwegs anständigen gegen einen Ball treten können. Na, lass mich raten, wie viele du hier schon vernascht hast. Drei, vier oder waren es doch mehr. Na, wie nah bin ich an der Wahrheit?“
 

Bei diesen Worten zuckten Metzelder, Gomez und auch Hildebrand zusammen als hätte ein Peitschenknall den Speisesaal erschüttert. Durch die enorme Lautstärke hatten sie dem „Gespräch“ der beiden weites gehend folgen können und immer nur entsetzt mit dem Kopf geschüttelt, aber diesmal brachte es das Fass definitiv zum Überlaufen: Vorher waren sie davon ausgegangen, dass die Schimpfworte nur falsche Übersetzungen waren, doch jetzt gab es keinen Zweifel daran, dass sie trotz des katalanischen Dialekts alles richtig verstanden hatten. Und so sahen sich Mario und Christoph ungläubig und irritiert an, während Timo nur den Kopf auf seine Hände sinken ließ und hörbar ausatmete. Er wusste, wie dieses Gespräch enden würde: Genau so wie seins mit Lena, denn Bojan warf ihr fast dieselben Dinge vor, die auch Timo ihr um die Ohren gehauen hatte, nur mit dem Unterschied, dass der junge Katalane seine Worte bitter ernst meinte und es nicht nur sagte um sie zu provozieren. Und das war das Schlimme daran: Er war mit Lena befreundet, kannte sie, kannte die Wahrheit und verletzte sie trotzdem so abgrundtief. Am liebsten wäre Timo aufgesprungen und hätte dem jungen Mann mit seinem gebrochenen Spanisch zu Recht gewiesen, doch er war sich sicher, dass es Lena nicht helfen, sondern eher behindern würde.
 

„Nun hör mir doch zu Bojan, das eben war nicht so, wie du es wahrscheinlich denkst, ich habe Torsten nur-“
 

„Lügnerin! Ich weiß ganz genau, was ich eben gesehen habe und was du getan hast. Ich weiß alles, Lena, absolut alles. Du kannst dich bei einem deiner Lover bedanken, der so gnädig war mir die Augen zu öffnen, was für ein mieses Miststück du überhaupt bist. Dein Anblick macht mich krank! Wenn ich auch nur daran denke, dass ich dir früher mal vertraut habe, dass ich tatsächlich geglaubt habe, dass die Presse nur Lügenmärchen verbreitet und du ein armes Opfer bist. Ich kann nicht glauben, wie dumm ich gewesen bin. Und ich alter Idiot habe dich sogar-“
 

Hier brach der Katalane ab, unfähig weiter zu sprechen, das Gesicht vor Ekel und Abscheu verzogen. Er blickte auf Lena herab und in seinen Augen funkelten die Wut, der Hass und der blanke Abscheu um die Wette. Auch wenn dieser Mensch vor ihr nichts mehr mit dem sanftmütigen, ruhigen und etwas verspielten Bojan Krkic zu tun hatte, den Lena das letzte Mal in Barcelona gesehen hatte, so versuchte sie doch ein letztes Mal die Situation zu retten und ihm zu erklären, was er zu sehen geglaubt hatte.
 

„Bitte Bojan, warte, ich kann es dir erklären, bitte glaub mir doch ich-“
 

Um ihren Worten mehr Gewicht zu verlieren, versuchte Lena den Spanier in den Arm zu nehmen, so wie sie es früher immer getan hatte, doch noch bevor sie ihn richtig berühren konnte, hatte Bojan mit der rechten Hand ausgeholt und ihr mit dem Handrücken ins Gesicht geschlagen. Von der Wucht des Aufpralls überrascht taumelte Lena und fiel unsanft auf die kalten Fliesen.
 

Für einen kurzen Augenblick herrschte absolute Stille im gesamten Saal und man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Keiner wagte es etwas zu sagen, selbst Bojan schien nach seiner kühnen Tat vollkommen verstummt. Alle Augen waren auf Lena gerichtet, die immer noch auf den kalten Fliesen lag, sich mittlerweile aber wieder bewegte. Die Spieler, die an den Tischen nahe des Büffets saßen, konnten sehen, wie langsam Blut auf die Fliesen tropfte und sie brauchten unnatürlich lange um zu begreifen, dass es Lenas Blut war, dass dort rot auf den weißen Fliesen schimmerte.
 

Mühsam richtete sie sich wieder auf, fuhr sich mit dem Handrücken über die blutende Nase und stand dann auf. Normalerweise hätte sie damit gerechnet, dass irgendeiner der Anwesenden ihr aufhelfen würde, doch die schienen alle noch so sehr geschockt, dass keiner auch nur auf die Idee gekommen war ihr wieder auf die Beine zu helfen. Noch nicht einmal Torsten oder Per. Ja, gerade die beiden, die fast neben ihr gestanden hatten, als es geschehen war, standen wie zu Salzsäulen erstarrt da. Nur ihre Augen zeigten, dass sie eben nicht total erstarrt waren, denn mit ihnen verfolgten sie jede Lenas Bewegungen.
 

Mittlerweile stand Lena wieder aufrecht, auch wenn sie eher das Gefühl hatte, dass sie plötzlich nur noch Wackelpudding in den Beinen hatte, so unsicher und wacklig fühlte sie sich. Aber nicht nur ihre Beine versagten ihr fast den Dienst, auch ihr Kopf fühlte sich so an, als würde er gleich in tausend kleine Teile zerspringen und ihre Nase tat saumäßig weh und machte immer noch keine Anstalten aufzuhören zu bluten. Ein paar Mal musste Lena die aufkommenden Tränen wegblinzeln, die jedoch nicht nur Ausdruck des körperlichen, sondern auch des seelischen Schmerzes waren. Diese Blöße wollte sie sich vor Bojan nicht geben, er sollte nicht auch noch sehen, dass seine Worte sie so hart getroffen hatten.
 

Mit so viel Würde und Kraft, wie sie noch mobilisieren konnte, trat Lena einen Schritt auf den immer noch völlig regungslosen Bojan zu und sagte so laut, wie sie konnte:
 

„Ich hoffe dir geht es jetzt besser und du bist glücklich, Bojan. Ich dachte wirklich, wir wären Freunde und könnten einander bedingungslos vertrauen, aber scheinbar habe ich mich geirrt, du glaubst lieber anderen statt mir. Ich hätte niemals geglaubt, dass ich mich so in einem Menschen täuschen könnte.“
 

Ohne noch ein weiteres Wort zu sagen ging Lena an Bojan vorbei und verließ den Speisesaal. Sie wollte nur noch raus, weg von dem ganzen Chaos, weg von den Menschen und vor allen Dingen weg von dem Schmerz, der flutwellenartig über sie hereinzubrechen drohte. Lena war nicht ausgerastet, nein, nicht einmal annähern so laut geworden wie Bojan oder irgendetwas. Sie war beherrscht, enttäuscht und zutiefst verletzt. Aus ihren Worten schwang eine Ehrlichkeit mit, die vom Grunde ihres Herzens kam. Und eine Bitterkeit, die zeigte, wie vernarbt und verwundet es war. Und wie wenig Kraft noch übrig war um zu kämpfen.
 

Nachdem Lena im Stillen das Weite gesucht hatte, kam wieder Leben die Spieler der Nationalmannschaft. Während Per jedoch immer noch vollkommen unter Schock stand, war Torsten schon wieder soweit bei klarem Verstand, dass er das, was da gerade vor seinen Augen geschehen war, einordnen konnte. Der spanische Möchtegern-Held hatte seine Schwester nicht nur beleidigt, er hatte sie sogar noch so hart geschlagen, dass unter Umständen ihre Nase gebrochen war, so wie es ausgesehen hatten und dafür wäre Torsten ihm am liebsten an die Gurgel gegangen. Oder noch lieber hätte er dem Milchbubi vor sich geschlagen bis er nicht mehr winseln könnte, doch dann besann sich der Lutscher darauf, dass Lena ihn in diesem Augenblick wahrscheinlich mehr brauchte als alle anderen zusammen und so verließ er im Stechschritt den Raum um hinter Lena herzueilen. Trotzdem warf er noch einen eindeutigen Blick hinüber zu Per, der den langen Innenverteidiger wieder zum Leben erweckte. Es war glasklar, was dieser Blick sagte: „Wenn du meine Schwester wirklich so sehr magst, dann sieh zu, dass dieser Kerl vor dir eine ordentliche Tracht Prügel bezieht.“
 

Normalerweise verabscheute Per Gewalt, doch zu sehen, wie Lena mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen wurde, das war auch für den sonst so sanftmütigen Per Mertesacker zu viel, so dass Torsten ihn nicht weiter bitten musste und Per mit einem schnellen Schritt bei Bojan war und ihm mit der Faust direkt aufs Jochbein schlug, so dass auch der Katalane ins Taumeln geriet. Pers Meinung nach war ein blaues Auge das mindeste, was der Schönling vor ihm für seine Taten bekommen sollte, auch wenn er selbst merkte, wie seine Knöchel schmerzten, das war es definitiv Wert gewesen.
 

Verwunderlicherweise für Per, wehrte sich Bojan nicht, sondern nahm den Schlag, den er hatte kommen sehen müssen, gelassen hin. Sein Gesicht verzerrte sich zwar, doch seine Augen blieben seltsam leer. Fast apathisch stand er da und starrte auf die Erde, wo man die Blutstropfen sehen konnte, die Lena hinterlassen hatte.
 

To be continued
 

Nun, wahrscheinlich ist das Kapitel bei weitem nicht so geworden, wie ihr es euch vorgestellt habt, aber geknallt hat es alle Mal und wenn es nur der Schlag war, mit dem Bojan Lena getroffen hat.

Für wie schlimm haltet ihr den eigentlich kleinen, unschuldigen Bojan? Sicherlich hat keiner mit ihm als Auslöser gerechnet, oder? Was hat ihn wohl dazu getrieben so zu reagieren und so die Beherrschung zu verlieren, dass ihm sogar die Hand ausrutscht. Falls es denn ein Ausrutscher war.

Und wie ist Pers „Gegenattacke“ bei euch angekommen? Eher nutz- und sinnlos oder vollkommen gerechtfertigt? Immerhin hat er von Torsten sozusagen den „Auftrag“ bekommen sich irgendwie um Bojan zu kümmern und dass der TeddyPer dann so handgreiflich wird, damit haben bestimmt nur die wenigsten gerechnet, oder?

Und wer ist der mysteriöse „er“ der ihm all das erzählt hat? Ist er der gleiche wie der „Lover“ auf den der Katalane anspielt? Ich weiß, ich stelle euch immer wieder neue Fragen und gehe mit den Antworten sehr sparsam um, aber im kommenden Kapitel sieht das alles mal wieder ganz anders aus…

Wie ihr euch sicherlich vorstellen könnt, wird Torsten im nächsten Kapitel endlich mit Lena reden und er wird sie trösten, während sie sich jede Menge Scheiß von der Seele redet. Leider musste ich es erst soweit kommen lassen, damit sie wirklich bereit ist sich ihrem Bruder zu öffnen, ich hoffe ihr versteht das. Manchmal muss man erst ganz unten sein, damit man bereit ist die Hilfe anderer anzunehmen.

Vergangenheit ist...

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Auch wenn es hier scheinbar nur eine interessierte Leserin gibt, die mir auch regelmäßig gibt, geht es trotzdem weiter. Das hier ist für dich, als kleines Dankeschön für fortwährende Kommentare.
 

Und hier auch mal ein kleiner Trailer, den ich für diese Geschichte gebastelt habe:
 

http://db.tt/syBHBTVD
 

Mit schnellen Schritten flüchtete Lena in die weitläufige Parkanlage des Hotels, weit weg vom Speisesaal der deutschen Nationalmannschaft, von den erlittenen Demütigungen und Verletzungen und vor allen Dingen weit weg von neugierigen Beobachtern. Die junge Deutsche wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden, damit niemand ihre Tränen sehen konnte, die ihr mittlerweile unaufhaltsam über die Wangen kullerten, teils aus körperlichem, teils aus seelischem Schmerz.
 

Ohne sich weiter umzusehen ließ Lena sich unter einem Baum auf die Erde fallen und lehnte sich an den dicken, verlässlichen Stamm, der ihr nicht nur Blickschutz vor allen gab, die vielleicht zufällig an dieser Stelle vorbei kommen würden, sondern ihr auch den Halt gab um nicht vollkommen entkräftet in das von der Septembersonne beschienene Gras zu sinken.
 

Ganz genau konnte sie spüren, wie sich die harte Rinde in ihren Rücken bohrte, doch es kümmerte sie nicht. Es hatte keine Bedeutung. Wie ein kleines Kind hatte Lena die Knie fast bis an ihr Kinn herangezogen und die Arme herumgeschlagen. Immer wieder wiegte sie sich vor und zurück, so dass sie jedes Mal aufs Neue den kurzen Schmerz der Berührung mit dem Baumstamm fühlte. Mit diesem Schmerz und dem, der ihre Nase und ihren Kopf fest umklammert hielt, konnte sie umgehen, ihn konnte sie wenigstens versuchen wegzuatmen. Oder aber ihn ganz zu zulassen, damit sie dann vielleicht keinen anderen Schmerz mehr würde spüren können als den körperlichen, den, der problemlos zu heilen war, sobald sie sich dazu entschließen würde. Diese Art des Schmerzes war leicht und einfach, sie war verständlich und tat nicht einmal annähernd so weh wie die Gewissheit, dass sie gerade eben vielleicht einen langjährigen Freund verloren hatten. Ihn verloren hatte, weil er lieber Gerüchten und Lügen geglaubt hatte, als ihr eine Chance zu geben sich zu erklären.
 

Dabei konnte sie es Bojan noch nicht einmal verübeln, dass er wütend, verwirrt und aufgebracht gewesen war, sie wäre es ja wahrscheinlich selbst gewesen, wenn man die Vorgeschichte bedachte und die Rollen vertauschen würde. Dieser Druck, diese vielen Geschichten, ihre Flucht aus Barcelona, was sollte er denn da auch denken? Immerhin war er noch ein halbes Kind, zumindest in ihren Augen, da sie ihn schon seit mehreren Jahren kannte, da durfte man noch emotional reagieren, durfte verwirrt und durcheinander sein, da musste man sich noch nicht völlig unter Kontrolle haben. Doch trotzdem hätte Lena niemals damit gerechnet, dass der Katalane einmal die Hand gegen sie erheben würde und dass es einen Menschen zu geben schien, dem Bojan mehr glauben schenken würde als ihr selbst.
 

Leises Schluchzen drang an Torstens Ohren, der sich verzweifelt suchend nach seiner kleinen Schwester umsah. Er hatte geahnt, dass sie in den Garten laufen und sich irgendwo verkriechen würde, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass der kleine Park des Münchener Hotels wirklich so verdammt weitläufig war, dass der Bremer Mittelfeldmann mittlerweile nun schon seit fast zwanzig Minuten erfolglos suchte. Diese leisen, definitiv menschlichen Geräusche, das wusste der Lutscher, würden ihn nun aber zu seiner Schwester führen und noch ehe er den Gedanken zu ende geführt hatte, erblickte er sie auch schon zusammengerollt an einem Baum gelehnt. Den Kopf hatte sie auf ihren Knien abgestützt, während ihre Arme ihre Beine umklammert hielten.
 

Es war ein Anblick des Elends und in diesem Augenblick wünschte sich Torsten wieder in ihre gemeinsame Kindheit zurück, wo alles noch so viel einfacher gewesen war: Jedes Mal, wenn Lena sich damals tief verletzt und traurig von allen hatte abschotten wollen, hatte er sie gesucht, auf den Arm genommen und zu sich ins Zimmer getragen, wo er sie für lange Zeit einfach nur schweigend festgehalten und ihr beruhigend über den Rücken gestreichelt hatte. Irgendwann hatte sie dann meistens ganz von selbst angefangen zu reden, hatte sich ihm anvertraut und zusammen hatten sie dann nach einer Lösung ihres Problems gesucht. Auf dieselbe Art schaffte er es heute noch seine jüngste Tochter zu beruhigen, wenn sie nach einem Streit mit ihrer Schwester oder im Kindergarten aufgebracht oder traurig war.
 

Bei kleinen Lenas seiner Familie wirkte diese Methode Wunder, doch jetzt wusste der Mittelfeldakteur nicht so genau, ob seine kleine Schwester wirklich von ihm im Arm gehalten werden wollte oder ob sie eher alle männlichen Wesen verfluchte. Er kannte Lena gut genug um zu wissen, dass sie in manchen Situationen negativ auf zu viel Nähe reagierte, dann fühlte sie sich zu sehr bedrängt, zu eingeengt und das war schon früher der Zeitpunkt gewesen, an dem sie sich von ihm gelöst hatte. Dann war sie immer wie ein Feldherr durch sein Zimmer marschiert um ihm zu erzählen, was passiert war. Bei solchen Gelegenheiten konnte sie nicht stillsitzen, ertrug keine Nähe, weil sie dann frei und unabhängig berichten musste, warum sie so traurig war und die sanften, gut gemeinten Streicheleinheiten eines anderen hatten ihr bisher genau dann immer die Kehle zugeschnürt.
 

Trotz der Ungewissheit ertrug Torsten den Anblick seiner weinenden kleinen Schwester nicht länger und ließ sich neben ihr ins Gras fallen. Vorsichtig, ganz bedacht, legte er einen Arm um Lena und zog sie an seine starke Brust. Ohne Widerstand zu leisten ließ Lena sich zu ihm heranziehen, weinte nur wortlos weiter und krallte sich fast schon in den Stoff seines T-Shirts. Er war ihr Rettungsanker, ihres Eisscholle, die sie vom tosenden Sturm trennte und sie wollte nicht loslassen, wollte sich nicht vollkommen ihren Gefühlen ergeben.
 

Wie lange die beiden schweigen dagesessen haben mussten, wusste keiner von den beiden, doch irgendwann versiegten Lenas Tränen und die junge Psychologin wusste, dass sie sich für den Moment erstmal „leergeweint“ hatte, auch wenn einem Menschen wahrscheinlich niemals die Tränen ausgingen.
 

Aus roten, geschwollenen Augen und mit blutverschmiertem Gesicht sah Lena zu Torsten hoch, der sie nur noch ein wenig fester in seine sichere Umarmung zog.
 

„Keine Angst Kleines, alles wird wieder gut. Was es auch ist, es wird wieder gut.“
 

Liebevoll strich der Lutscher ihr die letzte, einsame Träne von der Wange. Normalerweise hätte allein diese kleine Geste Lena schon wieder zum Weinen gebracht, doch im Augenblick fühlte sie sich einfach nur leer, ausgezerrt und ausgelaugt, so wie zu wenig Butter auf zu viel Brot verteilt.
 

„Du hast ja keine Ahnung, Torsten, nichts wird wieder gut. Gar nichts.“
 

Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre der jungen Frau vermutlich aufgefallen, wie ungerecht ihr Vorwurf war, doch gerade in diesem Moment interessiert es Lena überhaupt nicht. Sie wollte nur einfach nicht hören, wie ihr jemand einzureden versuchte, dass alles wieder gut werden würde, wenn sie doch die Wahrheit kannte. Die Wahrheit, dass es eben nicht wieder alles gut werden würde.
 

„Lena, ich kann dir helfen, wenn du mir nur sagst, wie. Ich würde alles für dich tun, das weißt du doch.“
 

Ja, dachte Lena, sie wusste, dass ihr Bruder alles für sie tun würde, dass er sich alles und jedem entgegenstellen würde, der es wagte ihr weh zu tun. Aber es gab nun einmal Kämpfe im Leben, die konnte der große Bruder nicht für einen austragen. Manchen Auseinandersetzungen musste man sich selbst stellen, auch wenn man es nicht wollte, weil man Angst vor dem Ausgang hatte.
 

„Du kannst mir nicht helfen, Torsten, diesmal nicht.“
 

Traurig blickte die junge Frau in das Gesicht ihres großen Bruders, der ihre Worte entweder noch nicht begriffen hatte oder vielleicht auch einfach nicht begreifen wollte. Manchmal stellten sich Menschen in solchen Situationen besonders dumm an und vielleicht zählte der Werderaner ja auch dazu, auch wenn Lena eine solche Reaktion nicht von ihm erwartete. Nein, Torsten stellte sich eher einem Problem, er lief nicht davor weg oder verschloss die Augen vor der Realität wie ein kleines Kind in der Hoffnung, dass die Probleme nicht mehr da sein würden, wenn sie die Augen wieder aufmachte. Nein, ihr Bruder war nicht wie sie. Definitiv nicht!
 

Torsten sah Lena an, sah, wie sie mit sich kämpfte, wie sie haderte und streichelte sanft über ihre Hand. Es war eine einfache Geste, doch sie sagte so viel mehr aus, all das, was der Lutscher nicht wirklich in Worte fassen konnte.
 

„Schwesterherz, du musst nur zulassen, dass wir dir nahe kommen. Dass ich dir nahe kommen kann, damit ich dir helfen, dich verstehen kann. Damit ich für dich da sein kann.“
 

Einen Augenblick schloss Lena die Augen und zögerte. Einen Menschen an sich heran lassen, ihm vertrauen, aus seinem Mund klang das alles so furchtbar einfach, doch das war es nicht. Bei weitem nicht. Nicht für sie. Nicht nach dem, was sie erlebt hatte.
 

„Nähe. Das sind zwei kurze Silben für: Hier hast du mein Herz und meine Seele. Bitte mach sie zu Hackfleisch. Viel Spaß dabei.“
 

Sarkasmus stand ihr nicht, nicht in solch ernsten Situationen. Und Zynismus schon gar nicht, das wusste Torsten. Trotzdem ließ er sie gewähren, hielt sie einfach weiter schweigend im Arm und zeigte ihr so, dass zumindest schon einmal körperliche Nähe weder ihr Herz, noch ihre Seele umbrachte. Eher im Gegenteil, sie sollte merken, wie gut Nähe tun konnte, wie wichtig sie war.
 

„Nähe ist aber auch ein Synonym für Vertrauen, Geborgenheit und – Liebe, Lena. Lass den Schmerz zu und verarbeite ihn. Ich bin mir sicher, es ist leichter zu denken als zu fühlen, leichter Fehler zu machen als das Richtige zu tun. Aber wenn du deine Ruhe finden willst, musst du anfangen die alten Geister ans Licht zu zerren und deinen Gefühlen freien Lauf lassen. Es ist sicherlich leichter zu bleiben, was man geworden ist, als zu werden, was man im Grunde ist. Das alles mag einfacher sein, aber es ist nicht das, was sie von dir erwartet hätten. Also sei ein der Menschen, den ich schon immer geliebt habe, und versuch das Beste aus deiner Situation zu machen. Fang mit der Wahrheit an und sieh, wie alles sich entwickelt.“
 

Sie hatte niemals gedacht, dass ihr sonst immer so rau wirkender Bruder so einfühlsam mit Worten sein konnte. Normalerweise war er ein Mann der Gesten und Taten, nie jedoch einer, der viel redete. Jemand, der ungern Worte wie Geborgenheit und Liebe in den Mund nahm, weil er sie seinen Gegenüber viel lieber spüren ließ. Doch heute schien er über seinen Schatten zu springen, über sich selbst hinaus zu wachsen, da er wusste, dass er sie nur so würde überzeugen können.
 

„Wenn du die Wahrheit wüsstest, wenn du mein Leben kennen würdest, dann würdest du nicht so reden. Dann wüsstest du, dass es eben nicht wieder gut wird!“
 

„Dann sag mir die Wahrheit doch einfach! Erzähl mir etwas aus deinem Leben. Schrei mich an, schlag mich oder mach meinetwegen sonst was, aber hör endlich auf alles in dich hinein zu fressen! Du musst das alles nicht allein schaffen, du musst nicht allein mit all dem fertig werden, Lena!“
 

Jetzt war Torsten etwas lauter geworden, enttäuscht von den Vorwürfen seiner Schwester, die nicht nur seine eigenen Schuldgefühle näherten, sondern ihn auch wütend machten. Wie sollte er seiner Kleinen denn helfen, wenn sie weiterhin eisern über alles schwieg, was ihr Probleme bereitete? Zwar hatte er keine genaue Ahnung, was der junge Spanier ihr vorhin alles an den Kopf geworfen hatte, doch er war klug genug zu erkennen, dass es nicht besonders schmeichelhaft gewesen war.
 

"Die Wahrheit tut weh, Torsten. Und seien wir doch mal ehrlich: Im Grunde genommen will niemand die Wahrheit hören, ganz besonders nicht wenn sie einem nahe geht.“
 

Ähnliche Worte hatte sie vor nicht mal achtundvierzig Stunden auch schon an Timo gerichtet, als er sie nach der Wahrheit gefragt hatte, doch damals hatte sie nicht die Absicht gehabt ihm wirklich etwas Weltbewegendes zu erzählen. Nicht so aber jetzt. Torsten wollte die Wahrheit und er hatte sie verdient, hatte sie mehr verdient als alle anderen. Und wenn er wirklich bereit dafür war, dann sollte er sie auch bekommen.
 

„Doch, Lena, ich will endlich die Wahrheit wissen. Egal, was es ist, ich komme damit klar, versprochen. Ich werde dir nichts vorwerfen, dir nicht böse sein und es wird sich nichts zwischen uns ändern, Kleines.“
 

„Bitte Torsten, versprich nichts, was du vielleicht nicht halten kannst.“
 

Eigentlich hatte der Lutscher ihr widersprechen wollen, ihr sagen wollen, dass er dieses Versprechen auf jeden fall würde halten können, doch ihr strenger, ernster Blick hielten ihn von jedem weiteren Wort ab. Und wie er es erwartet hatte, rückte Lena ein Stück von ihm, umschlang wieder ihre Beine mit ihren Armen und hatte den blick stur irgendwo in die undefinierbare Ferne gerichtet. Sie würde ihn nicht ansehen, während sie sprach, würde ihn vermutlich keines Blickes würdigen, sie würde so tun, als spräche sie zur Luft, weil ihr anders die Worte niemals über die Lippen kommen würden. Dieses Verhalten kannte Torsten von ihr, das war er gewohnt, das war „normal“. Erst, wenn sie ihn wieder ansehen würde, war eine Reaktion von ihm erwartet.
 

„Als ich nach Mailand gegangen bin damals, vor acht Jahren, da habe ich alle mit meiner Entscheidung überrascht. Die meisten haben vermutlich eh nicht daran geglaubt, dass ich es dort schaffen würde. Dass ich vier Jahre dort verbringen würde ohne allzu häufig nach Hause zu kommen. Und wahrscheinlich hätten sie alle Recht gehabt, wenn, ja wenn ich nicht diesen einen wunderbaren Menschen in Mailand kennen gelernt hätte.“
 

Einen Augenblick hielt Lena inne und dachte an ihr erstes Zusammentreffen mit Paolo zurück: Er hatte nach einem Teilzeitkindermädchen für seinen Sohn Christian gesucht und sie hatte das Geld fürs Studium gebraucht, eine perfekte Kombination. Und schneller als gedacht war sie nicht nur Kindermädchen, sondern fester Bestandteil der Maldinischen Familie. Sie wohnte bei ihnen und wurde von Cesare, Paolos ebenso berühmten Vater, und seiner Ehefrau genauso behandelt wie alle anderen Familienmitglieder auch. Und dann hatte sie Paolos Kollegen kennen gelernt. Wenn man so wollte vielleicht der Anfang vom Ende.
 

„Paolo war gut zu mir, das erste Mal hatte ich eine wirkliche Familie, Torsten. Eine Familie, in der ich mich geliebt und umsorgt fühlte. Auch wenn ich eigentlich kein richtiger Teil der Familie war, so hat mich doch niemand so behandelt. Es muss schon viel aussagen, wenn man sich bei eigentlich vollkommen fremden Menschen eher Zuhause fühlt als bei den eigenen Eltern, oder nicht?“
 

Die Frage war nur rhetorisch gewesen und Lena erwartete auch gar keine Antwort von Torsten, sie wusste ja immerhin, dass es so war, aber sie konnte trotzdem eine Bewegung an ihrer Seite wahrnehmen, auch wenn sie sich nicht umdrehte um zu schauen, was genau ihr Bruder getan hatte.
 

„Das spielt aber eigentlich auch keine Rolle. Oder vielleicht schon, ich weiß es nicht so genau. Auf jeden Fall stellte Paolo mir seine Kollegen vor: Sheva, Andrea und natürlich auch Ricardo, damals noch ein ganz kleines Licht am Fußballerhimmel.“
 

Von Torsten kam nur ein unterdrückter Schreckenslaut, denn erst mit der Aufzählung der Namen hatte er begriffen, dass seine Schwester nicht von irgendeinem netten Italiener sprach, sondern von der Vereinslegende des AC Milan. Und diese netten Kollegen waren alles weltbekannte Fußballer, eine Sorte Menschen, vor denen Torsten Lena immer gewarnt hatte. Gerade, weil er selbst einer war und wusste, wie es im Geschäft so lief.
 

„Ja ja, Torsten, ich weiß schon: Das sind genau die Menschen, vor denen du mich immer gewarnt hast und von denen ich mich lieber fernhalten sollte, wenn ich wirklich glücklich werden wollte. Vielleicht hätte ich mich tatsächlich dran halten sollen, dann säßen wir vermutlich jetzt nicht hier, aber es ist müßig darüber nachzudenken. Man lernt halt nicht, dass Feuer heiß ist ohne es mal anzufassen.“
 

Und sich dementsprechend die Finger zu verbrennen, dachte Torsten bitter, denn er wusste die Pause, die Lena gelassen hatte, sinnvoll zu füllen.
 

„Weißt du, ich habe mich in Mailand verliebt. Und ich meine so richtig verliebt, nicht nur eine blöde kleine Schwärmerei, die schnell wieder vorbei ist, sondern das, was man wirklich „Liebe“ nennt. Aber das ist nicht das Schlimmste daran, nein, das Schlimmste ist, dass er mich zurück geliebt hat!“
 

Der Mittelfeldmann verstand nicht, warum seine Schwester so einen traurigen Ton angeschlagen hatte, wenn ihre scheinbar erste große Liebe erwidert worden war. Auch wenn sie vielleicht nicht gehalten hatte, so würden doch zumindest die vielen glücklichen, fröhlichen Augenblicke überwiegen, zumindest war es so bei ihm und seiner ersten „großen“ Liebe, die nicht gehalten hatte.
 

„Er war verheiratet, Torsten. Verheiratet! Ich habe eine Ehe aufs Spiel gesetzt, weil ich meine Gefühle nicht unter Kontrolle hatte. Papa würde jetzt bestimmt sagen, dass es eine Sünde war und ich könnte ihm noch nicht mal widersprechen. Weil es wirklich falsch war, was ich getan habe, was wir beide getan haben. Aber ob du es glaubst oder nicht: Ich bin bis zu diesem Augenblick damals niemals so glücklich gewesen. Nie. Und deshalb weigere ich mich es zu bereuen. Ich kann nicht bereuen einer Frau ihren Ehemann gestohlen zu haben. Du musst mich jetzt wahrscheinlich für absolut unmoralisch halten, aber ich kann es nicht ändern. Du wolltest die Wahrheit.“
 

Ein bitteres, zynisches Lachen erklang aus Lenas Kehle und Torsten konnte sehen, wie sie sich leicht über die Wange wischte, vermutlich um die erneut auskommenden Tränen vor ihm zu verstecken. Die Traurigkeit, die schon vorher in ihrer Stimme mitgeschwungen hatte, war nun nicht mehr zu überhören und für einen Augenblick wunderte Torsten sich wirklich zu was für einem Menschen seine kleine Schwester in der Großstadt geworden war. Was hatte sie so skrupellos gemacht eine Ehe zu zerstören? Sollte das etwas tatsächlich auch eine Form der Liebe gewesen sein?
 

„Hör auf mich so anzusehen, Torsten. Es war meine freie Entscheidung und ich wusste die ganze Zeit, was ich da tue und dass das, was ich da tue, vollkommen falsch ist. Aber ich werde mich nicht weiter verteidigen, ich werde mich nicht erklären, zumindest nicht weiter, als ich es bisher schon getan habe. Wir haben uns geliebt und sind gescheitert.“
 

Eigentlich hatte Torsten sich nicht einmischen wollen, ihren Redefluss nicht unterbrechen wollen, doch diese Zwischenbemerkung konnte er sich nicht verkneifen, viel zu sehr schockierte ihn das gerade Gehörte.
 

„Er ist bei seiner Frau geblieben, oder? Er hat sie nicht für dich verlassen, wie du es dir erhofft hattest? Er hat dich ausgenutzt für ein bisschen Abwechslung, etwas Spaß, aber nicht mehr. Und als du es nicht mehr ausgehalten hast die beiden dann doch weiterhin miteinander glücklich zu sehen, bist du gegangen. Du bist gegangen, weil du ihr gemeinsames Glück nicht zerstören konntest.“
 

„Ja und nein. Ja, Ricardo hat seine Frau nicht für mich verlassen, so wie ich es erhofft habe und ja, ich habe Mailand und meine Ersatzfamilie damals verlassen, weil ich es nicht mehr ertragen konnte die beiden zusammen zu sehen, aber ich habe nie versucht ihr Glück zu zerstören, als sie wieder endgültig zusammen waren. Nie. Und für Ricardo war ich nie nur ein bisschen Spaß, naiv genug um zu glauben, dass er seinen Ruf für mich aufs Spiel setzt. Du darfst ihn nicht für einen schlechten Menschen halten, denn das ist er nicht.“
 

Torsten hatte eher erwartet, dass sie ihm bestätigen würde, dass er ihr Hoffnungen gemacht hatte, nur um sie dann bitter zu enttäuschen und auszulachen. Aber jetzt saß sie da und verteidigte ihn, verteidigte den Mann, der ihr damals augenscheinlich das Herz gebrochen haben musste. Sie verteidigte ihn, statt sich.
 

„Aber das ist alles lange her. Vergangenheit.“
 

„Vergangenheit ist, wenn es nicht mehr weh tut, Lena.“
 

To be continued
 

Seid ehrlich: Wie hat euch Torstens Reaktion bisher gefallen? Was denkt ihr zu seinen Worten? Sowohl zu seiner Ansicht über die Vergangenheit, über die Nähe und die Entwicklung von Menschen als auch seine Schlüsse, als er erfahren hat, dass Lena eine Affäre mit einem verheirateten Mann hatte. War er zu hart, zu kalt oder einfach nur zu überrascht um selbst etwas feinfühliger und weniger verletzend zu sein?

Lena war stellenweise ziemlich unfair, nicht? Aber seid ein wenig nachsichtig mit ihr, im Augenblick ist sie viel zu verwirrt um zu bemerken, dass sie ihren Bruder vielleicht verletzt haben könnte mit ihren Worten.

Nun, was haltet ihr von Lenas Theorien über die Wahrheit (die kanntet ihr ja schon, auch wenn im nächsten Kapitel da noch ein bisschen was zukommt), die Nähe zu anderen Menschen und das Feuer, von dem man erst weiß, das es heiß ist, wenn man es mal angefasst hat?

... wenn es nicht mehr weh tut

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Nur das Beste in der Adventszeit wünsche ich meiner treuen Kommentatorin Sunny.
 


 

Bedächtig nickte die junge Frau mit dem Kopf, zwar etwas zögerlich, doch man konnte merken, dass sie den Worten ihres Bruders zustimmte.
 

„Ja, da magst du Recht haben, Torsten. Trotzdem sollte ich weiter erzählen, wenn wir nicht noch heute Abend hier sitzen wollen.“
 

Der Bremer Abräumer wusste, dass Lena versuchte witzig zu sein, dass sie versuchte die Situation etwas aufzulockern, doch im Augenblick hatte er dafür keinen Sinn. Sie lachte ja selbst nicht, lächelte noch nicht einmal. Jetzt sah Lena nur starr gerade aus, so als würde sie sich erst wieder sammeln müssen, bevor sie weiter erzählen konnte, was vermutlich auch genau der Fall war.
 

„Durch Zufall entschied ich mich dann eben in Barcelona mein Glück zu versuchen und Paolo besorgte mir einen sehr gut bezahlten Nebenjob beim FC Barcelona um mir die restlichen Semester meines Studiums zu finanzieren. Und so wurde ich Physiotherapeutin und Seelsorgerin der Jugendmannschaften Barcelonas.

Die erste Zeit war es schwer, ich war allein, vermisste so viele Freunde aus Mailänder Tagen und vor allen Dingen vermisste ich Ricardo. Ich wollte nicht an ihn denken und doch kam ich nicht drum herum, denn jeden Tag, wenn ich die kleinen auf dem Fußballplatz trainieren sah, kamen die Erinnerungen wieder hoch. Immer wieder, bis mich irgendwann ein junger, aufgeweckter Mann aus meiner Lethargie riss. Wobei Mann vielleicht zu viel gesagt ist, Lionel war damals ja selbst noch nicht besonders alt.“
 

Ein versonnenes Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht sobald sie an Lionel und ihre erste Begegnung auf dem Fußballplatz des FC Barcelonas dachte: Fröhlich und absolut unbekümmert hatte er sie aus ihren trüben, traurigen Gedanken gerissen und sie zu neuem Leben erweckt. Er hatte trotz ihrer rauen Abfuhren, die sie ihm anfangs mehrmals täglich gegeben hatte, nicht einen Moment gezögert und immer wieder versucht sie zum Lachen zu bringen und irgendwann hatte er es dann auch geschafft: Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Nach und nach hatte er ihr seine Kollegen vorgestellt und in Windeseile hatten Andres und Carles aus ihrem Duo ein Quartett gemacht.
 

„Er stellte mir neue, umwerfende Menschen vor und ich glaubte sogar für einen kurzen Zeitraum mich wieder verliebt zu haben, zwar wieder einmal in einen Fußballer, aber damals störte mich das noch wenig. Es war ein belebendes Gefühl, nicht so stark wie bei Ricardo, aber doch nicht schlecht, auch wenn wir beide recht schnell feststellten, dass wir nicht füreinander gemacht sind, so blieben wir doch die besten Freunde und ich möchte ihn jetzt bei weitem nicht mehr missen.“
 

Unwillkürlich musste Torsten sich fragen, ab wann ihre Erzählung nun dramatisch und schwierig werden würde. Ja, sie hatte mit einem verheirateten Mann eine Affäre gehabt, gut, dass konnte er ihr noch verzeihen, auch wenn es ihm schwer fiel so etwas von seinem kleinem Mädchen zu hören. Immerhin hatte sie ihre Jugend als Entschuldigung, da tat man manchmal verrückte Dinge, deren Konsequenzen einem noch nicht so bewusst waren.
 

„All die Jahre lief es mehr oder weniger blendend für mich: Ein super Abschluss, die eigene Praxis mit einem gehobenen, ausgewählten Patientenstamm, da fast die komplette Barca-Mannschaft bei mir in Behandlung ist und unheimlich wundervolle Freunde, denen ich blind vertrauen konnte.“
 

Lena machte eine kleine Pause und dachte über ihre vergangenen Jahre in Barcelona nach, die alles in allem doch wirklich gut gewesen waren. Sie konnte sich nicht beschweren, wollte sie auch gar nicht, immerhin gab es genügend Menschen, denen es bei weitem schlechter ging als ihr. Leute, die weniger Glück hatten als sie es in Barcelona hatte erleben dürfen. Bis auf das vorläufige Ende, das war, egal wo sie sich befunden hatte, ob im Deutschland, Italien oder Spanien, überall gleich gewesen: Katastrophal für sie und alle, die ihr nahe standen.
 

„Und was war mit der Liebe? Außer diesen einen Fußballer, bei dem du erkannt hast, dass ihr eher Freunde als ein Paar seid? Gab es dort jemanden, den du geliebt hast? Ich meine, so richtig?“
 

„So richtig? So, wie ich Ricardo damals geliebt habe? Nein, so eine Beziehung hatte ich während der vier Jahre in Barcelona nicht. Aber ich habe eben auch nicht wie eine Nonne gelebt.“
 

Torsten wusste nicht so genau, was er aus diesem Satz machen sollte: Hatte sie ab- und an Mal eine Beziehung geführt, die dann gescheitert war, oder war sie von einem Bett ins nächste gehüpft ohne jemals wirklich tiefer gehenden Gefühlen eine Chance zu geben? Aus Angst schon wieder nur enttäuscht und verletzt zu werden? Ihre Worte ließen Interpretationsspielraum und der Bremer Mittelfeldspieler wollte nicht selbst raten müssen, was es hieß, denn das würde vermutlich böse enden. Doch das musste er auch nicht, denn Lena sprach bereits weiter.
 

„Vor knapp zwei Jahren habe ich in einer kleinen Szene-Bar etwas außerhalb von Barcelona einen netten jungen Mann kennen gelernt.“
 

Ein leichtes Lächeln legte sich auf Lenas Lippen, als sie an ihre erste Begegnung mit ihm zurück dachte. Damals war alles noch so leicht und unkompliziert gewesen und das hatte man auch an ihrem ersten Gespräch bemerkt.
 

Ein wenig gelangweilt saß Lena an der Bar und drehte ihr Glas zwischen den Fingern hin- und her. Keiner der Jungs hatte heute Abend Zeit gehabt sich mit ihr zu treffen und so war sie allein in eine dieser Bars gegangen, die einem versprachen für eine gewisse Zeit die Welt um sich herum zu vergessen. Bisher hatte Lena damit jedoch nur mäßigen Erfolg.
 

„Ich denke dieser Stuhl trägt meinen Namen.“
 

Überrascht schreckte Lena aus ihren Gedanken auf und sah in das spitzbübisch grinsende Gesicht eines jungen Mannes, der sich seines Erfolges bereits sicher war. Ihr gefiel sein freches Grinsen und auch der Körper war nicht zu verachten, aber heute Abend hatte sie sich eigentlich vorgenommen alleine nach Hause zu gehen. Vergessen hin, vergessen her.
 

„Und welcher wäre das?“
 

Erstaunt musterte er sie. Bisher war es noch nicht vorgekommen, dass eine Frau ihn nicht erkannt hatte. Er war immerhin ein Star. Aber heute Abend wollte er eine Ausnahme machen und so blieb er bei ihr stehen und drehte sich nicht beleidigt um. Trotzdem verriet er ihr ihren Namen nicht, genauso wenig wie sie den ihren. So war es spannender.
 

„Nun schöne Unbekannte, darf ich dir dann einen Drink spendieren? Vielleicht noch mal dasselbe, was du jetzt hast?“
 

„Ja, gerne, noch einmal Sex on the Beach, bitte.“
 

Sein Grinsen wurde nur noch breiter. Dieses Getränke hatte ihm schon so viele Frauen in sein Bett gebracht, dass er dem Erfinder eigentlich einmal eine Flasche des besten Champagner zukommen lassen musste. Mit einem arroganten, aber unheimlich sexy Lächeln legte er einen Arm um Lena und flüsterte ihr leise zu.
 

„Schätzchen, für Sex on the Beach müssen wir nicht an die Bar gehen, da kenne ich einen viel besseren Platz, wo du viel besseren Sex on the Beach bekommst als hier.“
 

Lena verstand seine Zweideutigkeiten und hatte ehrlich gesagt auch schon mit so etwas in der Art gerechnet, da dieses Prachtexemplar vor ihr nicht der erste Mann war, der sie so oder so ähnlich anmachte. Deswegen hatte sie ihre Antwort auch sofort parat und schnurrte leise in sein Ohr.
 

„Macht mir dein Sex on the Beach denn auch so ein schönes Kribbeln im Bauch und lässt er mich auch denken ich könnte fliegen?“
 

Er strahlte sie an und war sich mittlerweile sicher, dass er das richtige Vögelchen gefunden hatte, dass er vielleicht auch länger als eine Nacht behalten konnte, denn mit einer so schlagfertigen Frau würde es bestimmt nicht langweilig werden.
 

„Oh ja, Schätzchen, du denkst ganz bestimmt das du fliegen kannst, wenn ich dir meine besondere Mischung gezeigt habe und für das Kribbeln im Bauch sorge ich höchst persönlich.“
 

„Na dann mal los.“
 

Lena hakte sich bei ihm unter und gemeinsam verließen sie das Lokal. Sonst war es definitiv nicht ihr Stil einfach mit wildfremden Männern mit zu gehen, doch dieser hier gab ihr dieses unerklärliche Gefühl von Sicherheit, so dass sie keinen Augenblick bedenken hatte, dass er etwas tun könnte, was sie nicht wollte. Nein, so ein Mann war er nicht, das spürte sie, den hinter seiner selbstsicheren und teils sogar ein wenig überheblichen Fassade schimmerte ein eigentlich eher ruhigerer und bedächtiger Charakter durch und seine leichte Nervosität sagte Lena, dass er auch nicht der Typ Mann war, der häufiger fremde Frauen aus Bars mit zu sich nahm. Wahrscheinlich war für sie beide dies ein erstes Mal.
 

„Wir haben etwas getrunken, geflirtet und dann die Nacht zusammen verbracht. Alles ganz locker, ohne Verpflichtungen mit dem einzigen Ziel wieder zu fühlen. Nicht nur allgemein wieder etwas zu fühlen, sondern sich endlich wieder einmal wie ein begehrenswerter Mensch zu fühlen, wie ein Mensch, der unter Umständen vielleicht einmal geliebt werden könnte. Genau dieses Gefühl haben wir uns in dieser Nacht gegenseitig gegeben, weil wir es brauchten. Mehr als alles andere. Und da fragst du dich bestimmt, warum es nicht auch irgendwie anders ging, warum ich mich ausgerechnet in so etwas stürzen musste, nicht? Schlicht und ergreifen: Es war sicher, wir wussten beide, worauf wir uns einlassen, wir wussten, dass wir keine Erwartungen stellen und uns vermutlich niemals wieder sehen würden.“
 

„Warum erzählst du mir das dann, wenn du diesen Mann nie wieder gesehen hast?“
 

„Tja, das ist ja immer wieder das furchtbar amüsante an meinem Leben: Ich kann die Finger nicht von Fußballern lassen.“
 

Erneut verzogen sich Lenas Mundwinkel zu einem bitteren Lächeln und ein Schnauben entfleuchte ihrem Mund.
 

„Nach unserer heißen Nacht in seinem Hotel bin ich am nächsten Morgen wieder gegangen, fest in dem Glauben ihn nie wieder zu sehen. So wie das halt mit One Night Stands eigentlich sein sollte. Abends im Stadion, als ich Lionel noch einmal kurz sprechen wollte, lief ich durch die Katakomben und auf einmal stand ich ihm wieder gegenüber: Diesmal nicht in legrer Jeans und lässigem Hemd, sondern im Trikot des Gegners. Es war eine absurde Situation, keiner von uns beiden wusste etwas zu sagen. Und trotzdem haben wir uns ohne Absprache noch am selben Abend wieder in derselben Bar getroffen und sind wieder miteinander im Bett gelandet. Und das ganze jedes Mal, wenn seine Mannschaft bei uns oder wir bei ihnen waren. Manchmal, selten aber nur, sogar noch zwischen drin, weil entweder er oder ich eine schlechte Woche hatte.“
 

„Und das haben deine Freunde so hingenommen? Oder hast du es ihnen verschwiegen? Darin scheinst du ja ganz viel Übung zu haben.“
 

Wieder war Torsten vollkommen klar, dass dieser Kommentar unangebracht und unfair war, doch er konnte sich einfach nicht zurückhalten bei dem, was Lena ihm da erzählte. Die Worte, die da aus ihrem Mund kamen, die Geschichte, die sie erzählte, das war nicht seine kleine Schwester Lena, das war nicht der Mensch, den er zu glauben kannte. Und doch stand sie da und meinte jedes einzelne Wort bitter ernst.
 

„Ich habe ihnen von unserer ersten Nacht erzählt, habe ihnen gesagt, dass es ein Gegner ist und habe ihnen den Namen genannt – später. Sehr viel später, um ehrlich zu sein. Sie wussten, dass wir uns hin- und wieder trafen, aber sowohl Leo, als auch Andres und Carles wussten immer, dass ich niemals vorhatte eine Beziehung mit ihm einzugehen. Einfach, weil dafür sie Gefühle fehlten. Nenn es verwerflich, beurteile es, wie du es willst, zwischen uns beiden war nichts weiter als reine Anziehungskraft, etwas, was einem im Bett ungemein weiterhilft, aber keine Basis für eine Beziehung ist. Und dessen waren wir uns beide bewusst.“
 

„Und warum hast du diese unkonventionelle Beziehung dann beendet, hm? Wenn es doch alles so toll war.“
 

Mit versteinertem Gesichtsausdruck drehte Lena sich zu ihrem Bruder um, dessen Hände mittlerweile zu Fäusten geballt waren. Sie hatte geahnt, dass er die Wahrheit nicht gut aufnehmen würde, dass er nur schwerlich würde begreifen können, dass all das Teil ihres Lebens war. Weil er trotz ihrer Erzählungen immer noch nicht begriff, wie tief die Verletzungen und wie empfindlich die Narben waren, die sie damals davon getragen hatte. Er, dem vielleicht noch niemals so das Herz gebrochen worden war, konnte wahrscheinlich nicht nachvollziehen, wie sehr man litt und dass es teilweise sogar Wunden gab, die nicht verheilten. Das alles verstand ihr Bruder nicht und deswegen, da war Lena sich sicher, würde er auch die Wahrheit nur schwer ertragen können. Und dabei stand der schwerste Part noch aus.
 

„Ich habe es Anfang Mai beendet, als ich gemerkt habe, dass für ihn die Sache nicht mehr so unverbindlich und unemotional war wie noch am Anfang. Auch wenn es für dich im Moment nicht so klingen mag: Ich habe niemals einen Menschen absichtlich verletzen wollen. Ich weiß, wie weh es tut, wenn einem das Herz gebrochen wird und deshalb habe ich es beendet, bevor noch mehr Schaden entsteht, als vielleicht so schon.“
 

Fast so als wäre es gestern gewesen erinnerte sich Lena an die Nacht in seiner Wohnung, in seinem Schlafzimmer, als sie die Entscheidung getroffen hatte das ganze zu beenden. Es war sein Blick gewesen, dieser ganz besondere Blick mit dem leicht verträumtem Lächeln, der ihr verraten hatte, dass der Boden unter ihren Füßen langsam aber stetig zu heiß wurde. Sie hatte in seinen Augen und auch in seinen Gesten lesen können, dass er mehr wollte. Dass er sich etwas Festes mit ihr vorstellen konnte, obgleich die Situation dazu sicherlich nicht prädestiniert war. Sein Lächeln hatte ihr gezeigt, dass er für sie unter Umständen nicht nur den Fußball, sondern auch seine Familie zurückstellen würde und das war ihr Hinweis gewesen zu gehen. Sie wusste ja selbst, wie schwer es war all diese Gefühle in Worte zu fassen und sie wollte nicht, dass er es tat, nur um dann von ihr zurückgewiesen zu werden. So konnte er wenigstens glauben, dass sie nichts von seinen Träumen von der gemeinsamen Zukunft gewusst hatte. Damit ersparte er sich eine schmerzende „Blamage“ und konnte das Gesicht wahren. Vermutlich war das nur ein kleiner, unbewusster Trost, aber als sie so dalag und über alles nachdachte, erschien es ihr richtig. Das richtige tun. Das falsche tun. Manchmal kam es auf das gleiche Ergebnis raus.
 

Und nach dem Spiel, als er vermutlich ihren Trost, ihren Zuspruch gebraucht hätte, hatte sie ihm gebeichtet, dass sie sich nicht mehr wieder sehen würden, nicht so, wie bisher. Dass das, was sie beide hatten, was auch immer es gewesen sein mochte, vorbei war. Es war ein schmerzhaftes Gespräch gewesen, in dem er ihr mehr als einmal vorgeworfen hatte ihn nun durch Lionel, Andres oder einen anderen der führenden Barca-Spieler ersetzt zu haben. Sie hatte es schweigend hingenommen, weil sie seine Gefühle, seine Wut und alles verstehen konnte, weil sie sich bewusst war, dass der Zeitpunkt für dieses Gespräch mies gewesen war. Zwar gab es für ein solches Gespräch niemals einen „richtigen“ Augenblick, doch hätte Lena ihn einfach nicht fast direkt nach der unheimlichen Blamage mit ihrem Entschluss überraschen dürfen. Nach diesem Tag war er bereits am Boden, da mussten ihre Worte ihn wie ein letzter Schlag in die Magengrube getroffen habe, etwas, was sie jedoch erst später, viel später und vor allen Dingen viel zu spät, bemerkt hatte. Während des Gesprächs hatte sie nur hin- und wieder den Kopf geschüttelt und versucht ihn zu beruhigen, ihm alles zu erklären – vergeblich! Am Ende hatte er sie gebeten zu bleiben, wenigstens eine Nacht noch und sie hatte ihm diesen Wunsch erfüllt und war am nächsten Morgen noch vor er wach wurde, verschwunden. Nur ein kleiner Brief als Erklärung. Sie wusste bis heute nicht genau, wie er darauf reagiert hatte, doch nach Bojans Auftritt konnte sie es sich zusammenreimen.
 

„Und was ist dann passiert?“
 

Irgendwie war Torsten sich sicher, dass die Geschichte noch nicht zu ende war, denn auch wenn er sie nicht immer verstand, so war das, was sie getan hatte, doch nicht allzu ungewöhnlich oder unmoralisch. Viele Menschen hatte lockere Affären und beendeten sie- das tat dem Betreffenden zwar weh und war nicht gut zu heißen, aber irgendwie konnte er sich damit arrangieren. Für Lena würde er es zumindest versuchen, immerhin war sie seine kleine Schwester und er selbst war ebenfalls nicht unfehlbar. Torsten selbst hatte nicht immer die moralisch einwandfreien Entscheidungen getroffen, also würde er nicht hier sitzen und mit dem Finger auf sie zeigen, weil sie sich nicht an das gehalten hatte, was andere vor vielen, vielen Jahren als „moralisch korrekt“ festgelegt hatten. Trotzdem konnte diese Affäre nicht der einzige Grund sein, warum sie Spanien verlassen hatte und nach Bremen geflüchtet war. Da musste noch mehr hinter der Sache stecken und der Mittelfeldakteur war entschlossen so lange nachzufragen, bis er eine plausible Antwort auf seine Frage hatte.
 

„Und ab hier kommen wir dann auch zu der Stelle, an der alles den Bach runter gegangen ist und mein geordnetes Leben sich in das pure Chaos verwandelt hat.“
 

Ein wenig zweifelnd hob Torsten die Augenbraue: Für ihn hörte sich das alles jetzt schon verdammt katastrophal und chaotisch an, wie sollte es dann noch viel schlimmer werden? Er erkannte sein kleines Mädchen ja kaum noch wieder, wie viel mehr hatten sie die vergangenen Ereignisse in ihrem Leben noch entfremdet? Der Mittelfeldspieler war sich natürlich vollkommen darüber im Klaren, dass während der vergangenen Jahre auch in seinem Leben viele einschneidende Momente stattgefunden hatten, von denen Lena vielleicht nur bruchstückhaft wusste, doch dieses Unwissen war schlicht und ergreifend nichts im Vergleich zu dem, was er hier und heute in München unter einem Baum erfuhr!
 

„Irgendwann, ungefähr kurz nach unserem Gespräch, fing dann die Presse vermehrt an auf mich zu achten. Klar, vorher war ich auch schon regelmäßig auf den Fotos der Jungs mit drauf, wurde in den Artikeln am Rande erwähnt und ich will nicht wissen, wie oft man mich damals schon als Lionels Verlobte gesehen hat, weil wir beide ja nun angeblich schon so lange ein Paar seien, aber ab Anfang Mai wurde es langsam auffällig.“
 

Lena seufze und dachte an die Anfänge der Hetzjagd zurück, die jetzt im Rückblick wirklich noch harmlos erschienen, wenn man wusste, was danach gekommen war. Welche Schmähungen sie noch zu ertragen hatte und welche Vorwürfe ihr von allen Seiten entgegenschallten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie es aber noch nicht gewusst und hatte deshalb äußerst nervös und verunsichert auf die gesteigerte Medienpräsenz in ihrer Nähe reagiert, was man ihr natürlich sofort als Angst bei ihren unmoralischen Aktivitäten beobachtet zu werden ausgelegt hatte.
 

„Jeden Morgen, wenn ich mich auf den Weg zu den Trainingsplätzen oder zu meiner Praxis machte, wurde ich von Fotografen umringt, so dass ich kaum einen Schritt gehen konnte. Jedes Mal, wenn ich eine dieser Boulevardzeitschriften aufschlug, sah ich mich selbst, wie ich Dinge tat, die ich niemals getan hatte. Zumindest nicht so. Jede noch so freundschaftliche Umarmung wurde mir sofort als Anmachversuch angehängt und sobald ich mit einem anderen Mann außer Lionel unterwegs war hieß es sofort, dass ich ihn betrügen würde. Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen mit wie vielen Spielern ich angeblich schlafen würde. Mit manchen sogar gleichzeitig!“
 

Krampfhaft versuchte Lena so zu klingen als würde es eben nicht noch immer Weh tun, als würde es sie nicht noch immer treffen. Sie wollte Torsten glauben machen, dass sie es verwunden hatte, dass die sensationsgeilen Journalisten ihren guten Ruf durch den Dreck gezogen hatten, doch ihr war klar, dass sie kläglich gescheitert war, das zeigte ihr sein Blick.
 

„Aber das Zeitung lesen aufzugeben hat nichts daran geändert, dass es weh tat. Verdammt weh. Nur, weil du es vielleicht nicht mehr jeden morgen in Farbe vor dir siehst, heißt es noch lange nicht, dass es die anderen Leute ebenfalls nicht sehen. Nein, nur, weil ich versucht habe diese Lügen aus meinem Leben zu verbannen heißt es noch lange nicht, dass alle anderen es auch tun. Weißt du, wie es ist, wenn die Leute auf der Straße mit dem Finger auf dich zeigen und sich nicht mal mehr die Mühe machen hinter vorgehaltener Hand zu flüstern? Weißt du, wie man sich fühlt, wenn sie einem „Hure“, „Schlampe“ und „Kinderschänderin“ hinterher zischen, so dass es auch jeder hören kann, der es vielleicht noch nicht gewusst hat? Weißt du, wie das ist?“
 

Wieder drohten die Tränen die junge Frau zu überwältigen und sie musste mehrmals tief Luft holen um überhaupt weiter sprechen zu können. Die Erinnerungen an die Gefühle kamen einfach wieder zu nah an die Oberfläche, als dass Lena sie hätte ignorieren können und so sprach sie mit leiser, unsicherer Stimme weiter.
 

„Nein, du kannst nicht wissen, wie das ist. Wie man sich fühlt, wenn einem solch schreckliche Vorwürfe gemacht werden. Wie auch. Ich glaube, dass weiß niemand, der nicht selbst in dieser Situation war.“
 

Traurig schüttelte die Psychologin den Kopf. Ihr fehlten die Worte sich weiter zu erklären, ihrem Bruder zu erzählen, was ihr die Kehle zuschnürte und was sie dazu gebracht hatte vor ihren Problemen in Barcelona davon zu laufen wie ein kleines Kind.
 

„Ich bin damit klar gekommen, dass sie mir vorgeworfen haben meinen Platz im Team nur bekommen zu haben, weil ich dafür mit Pep ins Bett gestiegen bin. Es stand auf allen Plakaten im Stadion und die gegnerischen Fans brüllten es von den Rängen, aber ich habe es ignoriert, habe meine Wut kontrolliert und die anderen dasselbe versprechen lassen. Alles andere hätte doch eh nichts gebracht, außer die Leute in ihrer Meinung bestärkt. Ich konnte damit umgehen von allen angestarrt und von den meisten wie eine Aussätzige behandelt zu werden, wirklich, ich konnte damit umgehen, weil ich Freunde hatte, die mich kannten und die wussten, dass kein Wort aus der Presse wahr ist. Oder zumindest nicht so, wie es dort schwarz auf weiß stand. Sie kannten meine Version der Dinge und haben mir bedingungslos den Rücken gestärkt. Ich habe es hingenommen, dass sie mich als eine kalte, berechnende Hure hinstellten, die für jeden die Beine breit macht, der nur Ruhm oder Geld genug hat. Es tat weh, aber ich habe es geschluckt, weil Lionel, Andres und all die anderen aus meinem Team und meinem Freundeskreis hinter mir standen und die Wahrheit kannten. Sie wussten, dass die Reporter Lügen über mich verbreiteten um ihre Auflage zu erhöhen und dass der Spuk über kurz oder lang ein Ende haben würde, spätestens, wenn Barca mit seinen zahlreichen Klagen durchkäme. All das wussten sie und ich wusste es natürlich auch, aber weißt du Torsten, es gibt Dinge, die kann man nicht einfach so schweigend hinnehmen, bloß hoffend, dass der Rest der Welt irgendwann zur Besinnung kommt und selbst anfängt zu denken.“
 

Mühsam versuchte Lena ihre Stimme Festigkeit zu geben für das, was sie ihrem geliebten großen Bruder gleich enthüllen würde, doch sie wusste, dass alle Festigkeit dieser Welt sie nicht vorm Zusammenbrechen bewahren würden, sobald sie dieses Gespräch erst einmal zu ende geführt hatte.
 

„Torsten, ich bin in Barcelona wegen Verführung Minderjähriger angeklagt. Verstehst du, was das bedeutet? Man wirft mir vor, ich hätte mit Bojan noch vor Vollendung seines 18. Lebensjahres eine intime Beziehung gehabt. Sie sagen, ich hätte ihn gezwungen mit mir zu schlafen und als Druckmittel seinen Traum vom Platz im Profi-Kader benutzt.“
 

„Und? Hast du?“
 

Völlig geschockt sah Lena ihren Bruder der an, der entsetzt und vermutlich sogar geekelt das Gesicht verzogen hatte und der scheinbar nicht wirklich begriffen hatte, was er ihr mit dieser Frage ebenfalls unterstellte. Dass er sich in die lange Reihe derer eingereiht hatte, die sie für eine Kinderschänderin hielten, die hinter Gitter gehörte. Eine Gefahr für die Kinder, mit denen sie jeden Tag arbeitete und die ihr eigentlich alle fast blind vertrauten. Hielt Torsten sie etwas wirklich für so skrupellos und kaltherzig, dass sie den Traum eines Jungens dazu verwenden würde um sich Sex zu erpressen? Und glaubte er wirklich, dass sie zu so einer abscheulichen Tat in der Lage war? Mit einem Mal stieg kalte Wut in Lena auf und ohne zu wissen, woher sie die Kraft nahm, schrie sie so laut sie nur konnte:
 

„Nein. Nein, verdammt noch mal. Ich bin nie, niemals einem meiner Jungen zu nahe getreten.“
 

Sie war aufgesprungen und funkelte ihren Bruder wütend an, auch wenn die Tränen der Enttäuschung und des Schmerzes nun ohne Unterlass flossen. Ja, Lena hatte erwartet, dass Torsten enttäuscht sein würde, dass er sie nicht verstehen würde, aber dass er tatsächlich glauben würde, dass sie einem wehrlosen Kind so etwas antun könnte, das nahm ihr fast die Luft zum Atmen.
 

Auch Torsten, der seinen riesengroßen Fehler bemerkt hatte, war mittlerweile aufgestanden und näherte sich der völlig aufgelösten Lena Schritt für Schritt. Er war vorsichtig, denn in Momenten wie diesen waren Menschen, ganz besonders Frauen, am unberechenbarsten und er wollte kein unnötiges Risiko eingehen und Lena weiter aufregen, deswegen verhielt er sich so lange leise, bis er nah genug an ihr dran war, um sie in eine feste Umarmung zu ziehen, gegen die sie sich wie erwartet heftig wehrte. Trotzdem ließ der Mittelfeldspieler nicht los und hielt sie einfach fest, während er leise mit beruhigenden Worten auf sie einredete.
 

Eigentlich hatte Torsten seine Schwester keinen Augenblick für einen solchen Menschen gehalten, immer, wenn er sie zusammen mit Lena und Lisa gesehen hatte, war ihm das Herz aufgegangen und er wusste, dass sein Vaterherz ihn nicht so trügen würde. Nein, seine kleine Schwester liebte Kinder über alles und würde sicherlich eher durchs Feuer gehen als ihnen irgendwie zu schaden und so, wie er sie kannte, galt das nicht nur für seine Mädchen, sondern für alle.
 

Plötzlich wusste Torsten, was ihr wahrscheinlich genauso sehr zugesetzt haben musste: Die Eltern ihrer Kinder, die sie im Internat des FC Barcelona betreute, hatten sicherlich Protest gegen ihre fortdauernde Anstellung bei solch schweren Vorwürfen erhoben. Bestimmt wollten keine Mutter und kein Vater jemanden, der unter einem solchen Verdacht stand, weiter in der unmittelbaren Nähe seiner Kinder haben. Und das hieße, dass seine kleine Schwester durch diese grausamen, infamen Verleugnungen noch etwas viel Bedeutenderes verloren hatte als ihren guten Ruf: Nämlich das Vertrauen der Eltern, dass ihre Jungen bei ihr gut aufgehoben waren und dass die Jungen mit wirklich all ihren Problemen zu ihr kommen konnten. Und auch wenn die Jungen innerhalb des Internats bestimmt die wahre Geschichte kannten und wussten, das zwischen Lena und Bojan nie etwas gewesen war, so würden sie wahrscheinlich doch zurückhaltender reagieren, sobald sie in der Nähe wäre und vermutlich machte ihr genau das sehr zu schaffen.
 

Aber trotzdem verstand der Nationalspieler nicht, wie jemand überhaupt auf so eine Behauptung kommen konnte. Sicherlich hatten beide die Gerüchte sofort dementiert und trotz allem hatten die Zeitungen vermutlich weiter gewettert, so dass sich die Staatsanwaltschaft schließlich genötigt sah einzugreifen. So musste es gewesen sein, ganz bestimmt, etwas anderes wollte dem Lutscher nicht in den Sinn. Also musste es jemanden geben, der Profit aus dem Leid und Elend seiner Schwester zog. Oder aber zumindest jemanden, der sie so sehr hasste, dass er ihr nur das Schlechteste wünschte und so aus dem Hintergrund heraus die Fäden zog, die langsam aber stetig alles zu vernichten schienen, was seiner kleinen Schwester jemals wichtig gewesen war.
 

Doch der Wahrheit entsprach all dies nicht. Das was nicht die Wahrheit. Niemals würde sie einem anderen Menschen so etwas antun und egal, was die Szene mit Bojan vorhin im Speisesaal ausgesagt haben sollte, es war bestimmt nicht die Reaktion eines jungen Mannes, dem von einer Frau eine solch widerwärtige Gewalt angetan worden war. Eher die eines gekränkten, verwirrten und zurückgewiesen Jungens, der nicht verstand, was gerade um ihn herum geschah.
 

Und genauso wenig verstand Torsten in diesem Augenblick, was in seiner kleinen Schwester vorging. Wie sollte er auch, kannte er doch wieder nur einen Teil der Wahrheit, einen Teil der Gefühle und Ängste, die sie des Nachts schreiend und schweißgebadet aufwachen ließen. Es gab immer noch Dinge, von denen Lena ihm nichts erzählte hatte, Dinge, die sie lieber für sich behielt, denn bei aller Liebe zur Wahrheit und bei all dem Positiven, was ihre Enthüllungen für ihre Beziehung zu Torsten gebracht haben mochten, so gab es eben doch noch immer Gespenster, die besser nicht ans Licht gezerrt werden sollten. Schon gar nicht ans Licht der Wahrheit, das einen ganz eigenen Schein auf die Ereignisse werfen konnte.
 

Und so dachte Lena, in der sicheren Umarmung ihres Bruders, an die unendlichen Tücken der Wahrheit und warum man vielleicht am Ende besser dastand, wenn man frei die Wahrheit gesagt hatte. Oder zumindest einen Teil von ihr.
 

’Manchmal sagen wir die Wahrheit, weil wir dem anderen nicht mehr geben können als die Wahrheit. Manchmal sagen wir die Wahrheit, weil wir sie laut sagen müssen, damit wir sie selber hören und akzeptieren. Und manchmal sagen wir die Wahrheit, weil wir einfach nicht anders können. Es gibt Situationen, in denen die Wahrheit der einzige Ausweg ist, wenn man seine Lieben nicht noch mehr verletzen will. So wie jetzt. Wahrscheinlich ist es manchmal aber auch so, dass wir die Wahrheit sagen, weil wir dem anderen wenigstens das schuldig sind. Aber manchmal, ganz selten nur, sind wir niemandem anders die Wahrheit schuldig, als uns selbst.’
 

To be continued
 

So, jetzt weiß Torsten ungefähr, was seine Schwester während der letzten Jahre so getrieben hat. Muss ich ihn nach seinen teils doch recht anklagenden, harten Worten vor euch verstecken oder versteht ihr ihn zumindest so ein bisschen? Seine Theorien am Ende dürften zumindest einem Teil von euch bekannt vorkommen, oder?

Macht es ihn wohl nun glücklicher, dass er die Wahrheit kennt? Wahrscheinlich eher nicht. Aber darum werde ich mich noch kümmern, viel interessanter ist, ob euch alle dieses Kapitel etwas glücklicher oder zumindest schlauer als zuvor gemacht hat?

So Leute, die „One-Million-Dollar“ Frage ist natürlich: Wie lautet der Name des Mannes, mit dem Lena eine Affäre hatte? Konntet ihr denn ihre Beweggründe (endlich wieder zu fühlen) verstehen, warum sie damals mit ihm zusammen in sein Hotelzimmer gegangen ist? Ich habe lange drüber nachgedacht, ob ich es noch etwas detaillierte ausführen sollte, bin dann aber doch zu dem Schluss gekommen, dass es so wage formuliert eher die „Realität“ trifft. Besonders, wenn man ihre erste Begegnung so vor Augen hat, die ja nun doch nicht ganz so konventionell war. Besonders mit diesem plumpen Anmachspruch. Aber er hat sich ja später gebessert, auch wenn ihm diese „Besserung“ letztlich noch mehr Schmerz gebracht hat. Oder wie seht ihr das? Hätte Lena die Beziehung weiter laufen lassen sollen, solange, bis er was gesagt hätte, nur um ihn dann zurück zu weisen? Oder hat sie seinen Blick vielleicht auch völlig falsch interpretiert? Wie seht ihr das?

Und, wenn ich schon mal dabei bin, nach Verflossenen zu fragen: Bei wem aus dem Team hat sie wohl mal geglaubt verliebt zu sein?

Ist die Reaktion von Lionel und den anderen verständlich? Glaubt man ihnen, dass sie es hingenommen haben, weil sie wussten, dass für Lena keine Gefühle dabei waren? Oder denkt ihr, dass da noch mehr dahinter steckte?? ;)

Und natürlich will ich auch wieder wissen, was ihr von Lenas Sicht auf die Wahrheit haltet, die sich ja mittlerweile doch noch ein kleines bisschen komplexer darstellt als bisher in den vorigen Kapiteln.

Pequeno

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Danke... Du weißt, dass du gemeint bist.
 

Nur widerwillig löst Lena sich aus Torstens sicherer Umarmung. Am liebsten hätte sie sich noch viel, viel länger an der starken Schulter ihres Bruders angelehnt und die Augen vor der harten Realität verschlossen, doch sie wusste nur all zu gut, dass es keinen Sinn machte so zu tun, als würde die Welt auch nur für einen kleinen Moment anhalten. Sie tat es eben nicht, würde es wahrscheinlich auf niemals tun und während sie, Lena, egoistisch den Kopf in den Sand steckte, weil es ihr zur Zeit einfach irgendwie alles viel zu viel und bei weitem zu schmerzlich wurde, gab es ganz in ihrer Nähe Menschen, die sie im Augenblick wirklich dringend brauchten. Menschen, die ihren Zuspruch und ihre Vergebung jetzt mehr benötigten denn je. Und es gab einen Menschen ganz speziell, dem sie eine Standpauke halten musste, bei dem ihm Hören und Sehen vergehen würde, so viel stand schon einmal fest. Aber um all diese Menschen zu erreichen, würde sie erst einmal ihrem Bruder klar machen müssen, dass er sie nach all diesen Enthüllungen und Geständnissen gehen ließ. Allein. In die Höhle des Löwen. Natürlich hätte sie ihm auch sagen können, dass sie einen Augenblick Ruhe zum nachdenken brauchte, doch sie wollte ihn nicht schon wieder anlügen. Nicht, wegen einer solchen Geschichte. Sie hatte gerade erst mit der Wahrheit angefangen, da wollte sie jetzt nicht mit sinnlosen Lügen weitermachen.
 

„Torsten, ich muss jetzt gehen.“
 

„Wo willst du hin? Willst du eine Kopfschmerztablette nehmen und dich einen Moment hinlegen? Ich weiß doch, dass du immer tierische Kopfschmerzen bekommst, wenn du dich aufregst und weinst, Lenchen.“
 

Fürsorglich strich der „Lutscher“ seiner kleinen Schwester über den Rücken und zog sie dann doch wieder in seine Umarmung. Auch er wollte so gerne die Welt anhalten oder viel lieber noch die Zeit zurück drehen, um all den Schmerz ungeschehen zu machen, der seinem kleinen Mädchen wieder fahren war. Der Schmerz, der sie zu einem anderen Menschen gemacht, der sie geprägt und ihre Verhalten unumkehrbar verändert hatte. Aber auch dem Mittelfeldspieler blieb nichts anderes übrig als den Augenblick zu nutzen und seiner kleinen Schwester jetzt die Liebe zu geben und zu zeigen, die sie damals vermutlich vermisst hatte. Lena wehrte sich nicht gegen die Umarmung, sie spürte, dass es das war, was er jetzt brauchte und sie wollte ihm so gut es ihr eben möglich war helfen mit der neuen Situation, mit all den Erkenntnissen klar zu kommen. Und wenn es ihm half ihr über den Rücken zu streicheln und ihr beruhigende Worte zu zuflüstern, dann ließ sie gern auch das geschehen und ein Teil von ihr genoss die sanfte Zärtlichkeit sogar, denn mit Torstens liebevoller art verband sie größtenteils nur gute Erinnerungen, die ihr jetzt neue Kraft gaben.
 

„Bevor ich mich ausruhen kann, muss ich das Gespräch mit Bojan noch beenden.“
 

Es widerstrebte der Blondine den einseitigen Wortwechsel zwischen Bojan und ihr als „Streit“ zu bezeichnen, auch wenn es das definitiv gewesen war, zumindest von seiner Seite aus. Von ihrer war es nicht mehr als ein entsetztes Zuhören gewesen, das ein unschönes Ende genommen hatte. Ein Ende, das sie so nicht stehen lassen konnte, dafür lag ihr viel zu viel an dem kleinen Katalanen, der mittlerweile sicherlich bitterlich bereute, was er ihr alles an den Kopf geworfen hatte. Von der Ohrfeige ganz zu schweigen.
 

„Ich glaube, dieses Gespräch IST beendet. Dieser Junge hat dich geschlagen Lena, ich werde dich nicht einfach wieder zu ihm lassen, so dass er erneut auf den Gefühlen herumtrampelt und dich vielleicht noch schlimmer verletzt!“
 

„Versteh’ doch, Torsten: Bojan wird mir nichts tun, er wollte mir eigentlich auch gar nichts tun, dass weiß ich ganz genau. Du kennst doch das Sprichwort: Wenn ein Freund dich kränkt, dann bedenke, es tut ihm nicht gut, sonst täte er dir nicht weh. Menschen lassen ihren Schmerz nun einmal andere fühlen um nicht mit ihm allein zu sein, das ist nicht richtig, aber das ist so und dafür werde ich ihn nicht verurteilen. Wir werden miteinander reden und danach ist wieder alles gut.“
 

Sie bezweifelte zwar selbst, dass ein paar Worte ausreichen würden um alles wieder „gut“ zu machen, doch für den Augenblick wollte sie lieber daran glauben, dass ein klärendes Gespräch alles wieder in Ordnung bringen würde. Und vielleicht hatte sie ja ausnahmsweise mal Glück?
 

„Bitte Torsten, lass mich gehen.“
 

Dem Bremer war klar, dass seine kleine Schwester mit oder ohne seine Erlaubnis gehen würde und dass er froh sein konnte, dass sie ihm von ihrem Vorhaben erzählt hatte. Ihren Sturkopf hatte sie in den meisten Fällen durchgesetzt und es sah nicht so aus, als wollte sie heute nachgeben. Trotzdem hatte er ein ungutes Gefühl, wenn er daran dachte, dass Lena allein zum Hotel der spanischen Nationalmannschaft wollte um ein klärendes Gespräch mit Bojan zu führen. Dort konnte wer weiß was geschehen und seitdem Lena ihm ihre Vergangenheit geschildert hatte, würde es ihn auch nicht mehr verwundern. Scheinbar musste er sich bei seiner kleinen Schwester auf Überraschungen jeder Art einstellen.
 

„Du machst doch eh, was du willst, also geh. Aber eine Bitte habe ich: Ruf mich an, wenn etwas ist, ja? Egal was, ruf an und ich bin da.“
 

In Torstens Augen konnte Lena so viel liebe und Zuneigung sehen, dass es ihr fast selbst die Tränen in die Augen trieb. Sie wusste nicht, womit sie so eine bedingungslose Liebe verdient hatte nach all den Dingen, die sie ihm gerade gebeichtet hatte, aber in diesem Augenblick schwor Lena Frings sich, dass sie dafür sorgen würde, dass ihrer Familie nichts geschehen würde. Egal zu welchem Preis.
 

„Bevor du gehst, solltest du dir was anderes anziehen und dir dein Gesicht ordentlich waschen, alles ist blutverschmiert. Und ein kleiner Besuch bei Doktor Müller-Wohlfahrt könnte auch nicht schaden, damit er sich deine Nase mal ansieht. Und jetzt ab, damit ich es mir nicht doch noch anders überlege, Lenchen.“
 

Gutmütig gab Torsten seiner Schwester einen Klaps auf den Hintern und schaute ihr nach, als sie langsam in Richtung Hotel verschwand. Er selbst blieb genau dort stehen, wo er stand und dachte mit durch den Garten schweifenden Augen nach. Er dachte über das Leben im Allgemeinen und das seiner Schwester im Besonderen nach und philosophierte aus welchen Gründen alles so gekommen war, wie es jetzt nun war. Zu einer Antwort kam er nicht, aber der Abräumer wusste genau, dass er jetzt noch nicht wieder in der Lage war die Räume des Hotels zu betreten, wo seine Kollegen ihn vermutlich mit Fragen bombardieren würden. Eine Antwort würden sie zwar nicht bekommen, aber im Augenblick hatte der „Lutscher“ überhaupt kein Interesse an den Fragen, deswegen schritt er gemächlich durch die Gartenanlage und sinnierte weiter über dies und das.
 

Lena jedoch schaffte es unbemerkt auf ihr Zimmer zu schleichen, sich umziehen und zu waschen und kurz bei Doktor Müller-Wohlfahrt vorbei zu schauen, der zwar gewiss schon von dem Vorfall gehört hatte, jedoch nicht weiter danach fragte. Mit dem Versprechen, dass sie nach ihrem „wichtigen“ Gespräch sofort wieder zu ihm kommen würde, damit er ihre Nase eingängig untersuche konnte, entließ er sie und eiligen Schrittes machte Lena sich auf den Weg zum Hotel der spanischen Nationalmannschaft, das nur wenige Blöcke von dem der Deutschen entfernt lag.
 

Unsicher betrat Lena die elegante Vorhalle des Hotels und sah sich suchend nach der Rezeption um. Ihre Idee, diese Sache sofort aus der Welt zu schaffen, kam ihr immer dümmer vor je länger sie in diesem Foyer stand. Sie hatte keine Ahnung, wie sie es anstellen würde Bojans Zimmernummer unauffällig zu erfragen, denn sicherlich gab es hohe Sicherheitsvorkehrungen und man würde eine unbekannte Passantin bestimmt nicht bis zu einem der Spieler vorlassen. Der Zufall kam ihr jedoch zur Hilfe, denn als sie die junge Dame an der Rezeption gerade nach Bojans Zimmernummer gefragt hatte und die schon eine abwehrende Haltung eingenommen hatte, fiel ihr offizieller DFB-Ausweis aus der Tasche und mit einem schnellen Blick auf das kleine Stück Papier, wurde ihr problemlos Auskunft gegeben, auch wenn Lena der irritierte Seitenblick der jungen Dame nicht verborgen geblieben war.
 

Der Gang, zu dem sie die Beschreibung der Rezeptionistin geführt hatte, war länger als gedacht und so machte Lena sich daran einzeln auf die Zimmernummern zu schauen und wie es das Schicksal so wollte, hatte Bojan ein Zimmer fast am Ende des Ganges. Jeden Augenblick hatte Lena damit gerechnet, dass sie ein spanischer Spieler entdecken könnte, doch alles war ruhig auf dem Flur. Fast schon unnatürlich, denn bei den deutschen Spielern hatte es diese gespenstige Ruhe höchsten um drei oder vier Uhr morgens gegeben, wenn überhaupt. Aber so unterschieden sich die Teams halt.
 

Zaghaft klopfte Lena an die Tür mit der Nummer 319, hinter der angeblich Bojan Quartier bezogen haben sollte. Natürlich hatte die junge Deutsche keine Ahnung, ob Bojan im Moment wirklich auf seinem Zimmer war, geschweige denn, ob er ein Einzel- oder Doppelzimmer bewohnte, doch sie hoffte auf letzteres oder aber die Abwesenheit des Zimmergenossen, denn das kommende Gespräch wollte die Psychologin lieber unter vier Augen führen.
 

Von der anderen Seite der Tür kamen leise, schleppende Schlurfgeräusche und nur einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet und Lena erstarrte. Dort vor ihr stand nicht der fröhliche, lebenslustige Bojan, der zusammen mit Lionel immer für einen Streich zu haben war, sondern ein Bojan mit roten, verquollenen Augen, zerstrubbelten Haar und leerem Blick. Er gab ein absolut bemitleidenswertes Bild ab und am liebsten hätte Lena ihn sofort in den Arm genommen und getröstet, dass alles wieder gut werden würde, doch die Erfahrung als Psychologin und als Bojans Vertraute hielt sie zurück. So leicht konnte sie es dem jungen Katalanen leider nicht machen, auch wenn sein Aussehen allein schon Beweis genug war, dass er die vergangenen Geschehnisse aus dem Speisesaal bereute und am liebsten wieder ungeschehen machen würde.
 

Da sie ihn nicht einfach umarmen und trösten konnte, entschied sich Lena für das zweitbeste, was sie machen konnte: Sanft, aber bestimmt, schob sie den immer noch vollkommen perplexen Bojan in sein Zimmer und ließ ihn auf das ungemachte Bett plumpsen, in dem er vermutlich bis eben noch gelegen und geweint hatte, so wie die nassen Tränenspuren auf dem Kissen zeigten. So besorgt um Bojans Wohl, bemerkte Lena nicht, das die Zimmertür nicht ganz zu war, sondern einen kleinen Spalt aufstand. Zeit es zu bemerken hatte die junge Frau jedoch nicht, denn nachdem er nun auf dem Bett saß und Lena neben sich spüren konnte, kehrte wieder leben in den jungen Katalanen und er sah die Deutsche aus tränenverschmierten Augen heraus an und flüsterte leise, was mehr zu sich selbst als zu ihr:
 

„Was machst du hier?“
 

„Wonach sieht es denn aus, Pequeño?“
 

„Es sieht so aus, als wolltest du mit mir reden. Was aber absolut absurd ist nachdem, was ich getan und was ich gesagt habe.“
 

Lena konnte sehen, wie Bojan bei der Erinnerung daran noch ein kleines bisschen mehr zusammensackte und versuchte ein Stück von ihr abzurücken. Das wollte die junge Frau aber unter gar keinen Umständen zulassen und deswegen griff sie kurz entschlossen nach seiner Hand und drückte sie leicht. Ungläubig sah Bojan sie aus seinen großen, dunklen Augen an.
 

„Und was ist, wenn es doch so wäre? So absurd du es vielleicht finden magst. Wärst du dann bereit mit mir zu reden?“
 

„Si, naturalemente. Ich- ich, Lena, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll mich zu entschuldigen.“
 

Es war einfach unmöglich bei diesem unsicheren, nervösen Gestammel und diesem trotzdem zugleich so unglaublich hoffnungsvollen Blick hart zu bleiben und so legte Lena ihren Arm locker um Bojans Schultern, um ihm zu zeigen, dass er ganz normal mit ihr sprechen konnte.
 

„Wie wäre es, wenn du mit einer einfachen Entschuldigung anfangen würdest, hm?“
 

Verdutzt schaute Bojan zu Lena, sein Gesichtsausdruck ähnelte vermutlich dem eines Huhnes, wenn es donnerte und Lena hatte Mühe sich ihr Lachen zu verkneifen.
 

„Perdona, Lena. Wirklich. Ich hätte all diese Dinge niemals zu dir sagen dürfen und ich hätte dich auch niemals schlagen dürfen, aber ich war so wütend in diesem Augenblick, als ich dich da in inniger Umarmung mit diesem fremden Mann gesehen habe. So unbeschreiblich wütend, da sind mir ein paar Sicherungen durchgebrannt.“
 

Einen kurzen Moment stutzte Lena und versuchte sich die Szene vor Bojans Auftauchen wieder ins Gedächtnis zu rufen. Sie hatte am Büffet gestanden, zusammen mit Per, Clemens und natürlich ihrem Bruder, aber von welchem fremden Mann und von welcher Umarmung sprach Bojan da? Ihr Zögern schien auch dem jungen Katalanen aufgefallen zu sein, der sie jetzt, so wie er hoffte, unauffällig von der Seite her ansah. Und da fiel es Lena wie Schuppen von den Augen, jetzt wusste sie wieder, welche Szene Bojan gesehen und so fürchterlich missverstanden haben musste.
 

„Ach Bojan, wenn du mir nur eine Chance gegeben hättest mich zu erklären, dann wäre es nie soweit gekommen.“
 

„Nicht?“
 

Man hörte dem Spieler an, dass er seine Zweifel hatte. Er konnte sich einfach keine Erklärung vorstellen, die in diesem Augenblick seine Wut gemindert und seine Enttäuschung über den schändlichen Verrat der jungen Frau gedämpft hätte.
 

„Nein. Aber wahrscheinlich lag es wieder an meiner Geheimniskrämerei, dass du das alles so missverstanden hast. Weißt du, ich habe Lionel doch den Brief geschrieben, in dem ich euch mitgeteilt habe, dass ich in Deutschland bei meinem großen Bruder bin, oder?“
 

Bedächtig nickte Bojan, immerhin erinnerte er sich noch sehr gut an die wenigen Zeilen, die allein an ihn gerichtet gewesen waren. Nur einen kurzen Blick hatte er auf sie werfen dürfen, bis Lionel den Brief wieder wie einen Schatz verpackt und in die Tasche gesteckt hatte.
 

„Der Mann, den ich heute am Büffet umarmt habe, war mein großer Bruder. Er hat mich hierher mitgenommen. Seinetwegen bin ich überhaupt hier in München.“
 

„Das stimmt nicht, ich habe den Spieler erkannt, den du umarmt hast und das war Torsten Frings!“
 

Aufgewühlt darüber, dass Lena ihn mit einer so leicht durchschaubaren, platten Lüge abspeisen wollte, war Bojan aufgestanden und stand nun vor der Blondine, die ihn beruhigen wieder an ihre Seite zog. Widerwillig leistete er Folge, weil er doch wissen wollte, welche Erklärung sie nun aus dem Hut zaubern würde, auch wenn das sonst gar nicht ihre Art war.
 

„Naturalemente, Bojan. Leuchtet es nicht ein, dass Lena Frings die kleine Schwester von Torsten Frings ist?“
 

Ungläubig starrte der Katalane die Deutsche an. Was sie sagte, ergab Sinn. Damals, als sie sich kennen gelernt hatten, hatte er sie immer nur mit ihrem Vornamen angesprochen, weil ihr alles andere komisch vorgekommen wäre, hatte sie gesagt, und das hatte sich in den vergangenen Jahren niemals geändert. Wieso auch? Er kannte Lena seit er in die Pubertät gekommen war, sie war seine Vertraute und Freundin, diese Menschen sprach man nicht mit Nachnamen an. Aber man hätte ihn doch wissen sollen, flüsterte da eine leise Stimme in seinem Hinterkopf und Bojan erkannte, dass er sich nie gefragt hatte, wie seine Lena wohl mit Nachnahmen hieß.
 

„Doch, irgendwie schon.“
 

„Nicht nur irgendwie, sondern definitiv. Aber das konntest du vermutlich nicht wissen, weil du mich nie nach meinem Nachnamen gefragt hast. Und selbst wenn, dann wäre er dir in diesem Augenblick sicherlich nicht eingefallen, so dass du eins und eins hättest zusammenzählen können um auf zwei zu kommen.“
 

Betreten nickte Bojan. Er konnte das, was sie gesagt hatte, nicht bestreiten, in seiner Wut hätte ihn auch dieses Wissen nicht besänftigt, viel zu aufgepeitscht war er gewesen von den Worten seines Mitspielers. Mittlerweile schämte er sich dafür, dass er sich von seinen Gefühlen und Eindrücken hatte leiten lassen und nicht zuerst ausgiebig mit Andres oder Carles darüber gesprochen hatte. Sie hätten ihm das Ganze bestimmt erklären können, bevor er Lena so verletzt hätte, aber nachdem sie seine Geschichte bestätigt hatten, hatte er einfach nur noch rot gesehen und kein Interesse mehr an Erklärungen gezeigt.
 

„Es tut mir wirklich, aufrichtig Leid, Lena. Ich habe eher den infamen Lügen der anderen über dich geglaubt als dir vertraut. Ich weiß nicht, wie ich das wieder gut machen soll. Ich weiß es wirklich nicht.“
 

Verzweifelt stützte Bojan den Kopf in die Hände, zum einen, weil er Lena den Anblick seines Gesichts ersparen wollte und zum anderen, damit sie seine Tränen der Verzweiflung nicht sehen konnte. Er wollte stark wirken, schließlich war er kein kleiner Junge mehr, auch wenn er im Augenblick nichts lieber getan hätte als an ihrer Schulter zu weinen und sie um Vergebung anzubetteln.
 

„Ich glaube nicht, dass es so einfach ist das alles wieder „gut“ zu machen, Bojan. Auch wenn ich dir wirklich verzeihen und dich verstehen will, du hast mich mit deinen Worten tiefer verletzt als du es mit deiner Ohrfeige jemals gekonnt hättest. Meine Nase kommt schon wieder in Ordnung, sie wird für ein paar Tage wehtun und es wird einen blauen Fleck geben, aber dann ist auch gut. Aber du kannst dir nicht vorstellen, wie weh das tut, wenn jemand, den du eigentlich für deinen Freund gehalten hast, dir auf einmal all die Vorwürfe ins Gesicht schreit, mit der auch die Presse meinen Ruf und vor allen Dingen mein Leben torpediert. Ich habe gelernt, dass die Menschen vergessen werden, was du zu ihnen gesagt hast. Sie werden vergessen, was du ihnen angetan hast, aber sie werden niemals vergessen, was du sie hast fühlen lassen. Und damit meine ich nicht den körperlichen Schmerz, sondern den seelischen.“
 

Lena fand es mit einem mal unheimlich schwer ihre Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen. Es fiel ihr schwer Bojan zu sagen, was für Wunden seine abscheuerfüllten Sätze gerissen hatten und mit welchen Erinnerungen sie sich urplötzlich wieder konfrontiert sah, trotzdem versuchte sie ihr Bestes.
 

„Ich hätte mich niemals dazu hinreißen lassen dürfen mit ihm über dich zu diskutieren, aber ich habe es einfach nicht ertragen, wie er solche abwertenden Dinge über dich zu den anderen sagen konnte. Es war widerlich. Und wie sie alle gelacht haben. Abscheulich. Ich bin halt nicht wie Leo, ich kann nicht einfach so tun, als würde ich all das nicht hören. Ich kann es nicht!“
 

Es schwang wieder Wut in Bojans Worten mit und mittlerweile hatte er seinen Kopf von den Händen genommen und sah Lena an. Oder eher in ihre Richtung, denn sein Blick ging eigentlich starr an ihr vorbei gegen die Wand. So als könnte er sie nicht ansehen während er erzählte, was ihn so unheimlich wütend gemacht hatte, dass er die Kontrolle verloren hatte. Und ein deutlich raus zuhörender Vorwurf an Lionel, der genau das tat, worum Lena ihn gebeten hatte: Schweigend das Gerede zu erdulden und sich mit niemanden in die Worte geben.
 

„Er hat gesagt, er hätte eine Affäre mit dir. Nicht nur eine Nacht, sondern mehrere Jahre! Er hat erzählt, wie ihr euch nach den Spielen getroffen habt um miteinander zu schlafen und er hat darüber spekuliert, mit wie vielen anderen du wohl noch-“
 

Bojan brach ab und ballte seine Hände zur Faust, so dass die Knöchel weiß hervortraten. Am liebsten wäre er jetzt nach unten gestürmt und hätte ihm für diese widerlichen Worte bezahlen lassen, doch es war bei weitem wichtiger mit Lena zu reden, als seiner Wut erneut freien Lauf zu lassen.
 

„Und weißt du, was das schlimmste war? Ich habe ihm nicht geglaubt, habe ihm gesagt, dass du so etwas niemals tun würdest, weil du nicht wie die anderen bist. Weil du was Besonderes bist. Und dann habe ich Andres und Carles aufgefordert mir zu zustimmen, weil sie das ja auch wissen mussten, aber sie haben es nicht getan. Sie haben mir gesagt, dass er Recht hat. Dass ihr wirklich-“
 

Wieder konnte der Katalane nicht weiter sprechen. Tränen glitzerten in seinen Augen und diesmal vermochte Lena den Impuls ihn zu umarmen nicht zurück zu halten. Sanft zog sie ihn in die Arme und hielt ihn nur fest, während er leise schluchzte.
 

„Und dann bin ich zu dir, habe dich dort in inniger Umarmung mit einem anderen Mann gesehen und da habe ich all diese schrecklichen Sachen gesagt, von denen ich jetzt natürlich weiß, dass sie alle gelogen sind. Es tut mir so Leid, Lena, so unendlich Leid. Aber ich dachte wirklich, dass Andres und Carles mich nicht belügen würden. Dass sie die Wahrheit wüssten. Aber wahrscheinlich sind sie auch auf seine Lügenmärchen reingefallen.“
 

Jetzt war der Zeitpunkt, an dem sie Bojan reinen Wein einschenken musste, doch Lena wollte nicht. Sie wollte ihrem kleinen Mann nicht seine Illusionen rauben. Noch glaubte er, dass Menschen entweder schwarz oder weiß waren und diesem Glauben würde er vermutlich mit ihren Worten endgültig verlieren. Eine Schande. Scheinbar hatte man den heutigen Tag zum „Tag der Wahrheit“ auserkoren und sie irgendwie dazu verdonnert den Menschen, die ihr nahe standen, eine unangenehme Wahrheit über sich zu beichten. Und da hatte sie weiß Gott genügend Auswahl, auch wenn sie es sich nicht gern eingestand.
 

„Nein, das sind sie nicht, Pequeño, denn das, was er gesagt hat, ist wahr. Oder zumindest ein Teil davon.“
 

Lena hatte die Augen geschlossen, damit sie Bojans Gesichtsausdruck nicht sehen musste, und kniff die Lippen zusammen, weil sie sich auf eine wütende Tirade gefasst machte, doch der Katalane brachte nur ein einziges Wort heraus:
 

„Nein.“
 

„Doch. Ich habe vor längerer Zeit eine lockere Affäre mit ihm angefangen. Wir haben uns in einer Bar kennen gelernt und uns gut verstanden. Zu dem Zeitpunkt wussten wir nur noch nicht, wer der jeweils andere war. Nachdem wir es dann wussten, hat es uns trotzdem nicht davon abgehalten uns hin- und wieder miteinander zu treffen. Wir haben zusammen gekocht, gelacht, uns filme angesehen und ja, wir haben auch miteinander geschlafen. Unsere Treffen waren immer ein paar Stunden Urlaub von der Realität, Urlaub vom Vernünftigsein und Regelnbefolgen. Sobald wir zusammen waren, ging es darum, dass wir einander gezeigt haben, wie man wieder fühlt.“
 

Einen Augenblick schwieg Lena um zu testen, wie gut Bojan bisher die Nachricht aufgenommen hatte, doch von dem jungen Mann kam kein Sterbenswörtchen.
 

„Jemand, der nicht weiß, wie es ist, wenn einem das Herz so gebrochen wird, dass man glaubt nie wieder überhaupt etwas fühlen zu können, kann dieses Handeln wahrscheinlich nicht nachvollziehen. Und ich kann es dir auch nicht erklären, ich hoffe einfach, dass du mir glaubst wenn ich dir sage, dass es einfach nötig war. Nötig für mich. Wenn nicht mit ihm, dann vermutlich mit einem anderen. Für mich hat es zum Heilungsprozess dazu gehört. Es ist nicht leicht nach so einer Enttäuschung und nach diesem Schmerz wieder eine normale Beziehung zu führen, wieder Vertrauen zu fassen, sich rückhaltlos fallen zu lassen und weil ich dafür noch nicht bereit war, habe ich mir etwas andere, etwas Ähnliches zum „Üben“ gesucht. Um mich wieder ran zu tasten mit einem Mann, der ebenfalls keine Erwartungen an das, was wir hatten, gestellt hat. Welche wirklichen Gründe er für unsere Affäre hatte, kann ich dir nicht sagen, aber ich denke mal, dass sie ähnlich aussehen werden, auch wenn er das niemals laut sagen würde.“
 

Lena konnte sehen, wie es hinter Bojans Stirn arbeitete, wie er wirklich versuchte ihre Worte zu verstehen, sie nachzufühlen und zu begreifen, wieso sie sich für diesen Schritt entschieden hatte, doch Lena war klar, dass es nicht so leicht sein würde für ihn.
 

„Wieso hast du nie davon erzählt? Warum musste ich es so erfahren?“
 

„Keine Ahnung. Als es angefangen hat, habe ich es Lionel, Andres und Carles erzählt. Sie wussten bescheid und haben es akzeptiert. Es blieb ihnen irgendwie auch nichts anderes übrig, aber na ja. Es ist mein Leben und das haben sie eingesehen. Und Menschen machen nun mal Fehler oder treffen fragwürdige Entscheidungen. Ich kann dir sagen, dass sie mir alle davon abgeraten habe, aber so wie du musste ich auch meine eigenen Fehler machen. Man lernt halt nicht, dass Feuer heiß ist ohne es mal anzufassen.“
 

Ein schweigendes Nicken war Bojans einzige Antwort. Was hätte er auch sagen sollen? Lenas Worte hatten ihm deutlich gemacht, dass, was auch immer Lena getan hätte, er kein Recht hatte sich in ihr Leben einzumischen. Es war wie gesagt ihr Leben und es waren ihre Entscheidungen und wer war er um sie dafür zu verdammen? Sie hatte ihre Gründe und wenn Lionel in der Lage war sie zu verstehen und ihr trotzdem noch ins Gesicht zu sehen, dann würde er es auch können.
 

„Pequeño, bitte sieh mich nicht so an.“
 

„Aber wie schaue ich dich denn an?“
 

„So, als hätte ich gerade den Weihnachtsmann getötet. Und das stimmt nicht. Du hast mich auf ein Podest gestellt, auf dem ich niemals stehen wollte. Weil ich dort nicht hingehöre. Ich gehöre weder in einen Rahmen noch auf ein Podest. Ich habe nämlich ziemliche Höhenangst und weiß genau, dass der Fall tief und schmerzhaft wird. Für dich wie für mich. Also lassen wir es lieber, ja? Ich bin auch nur eine Frau, die Bedürfnisse hat und Fehler macht, so wie jeder andere Mensch auch. Und falls es dich interessiert: Das ist es, was Lionel davor bewahrt hat auszurasten. Er kennt meine Fehler und ich kenne die seinen, wir stehen uns auf Augenhöhe gegenüber und keiner muss zu dem anderen hoch schauen. Das hilft, glaub mir.“
 

Aus dem Gefühl heraus nahm Lena Bojan in den Arm und wiegte ihn langsam hin- und her, während sie ihm über den Rücken streichelte. Sie ließ ihn weinen und schluchzen, weil sie wusste, wie schwer diese Lektion für ihn sein musste. Wie er sich in diesem Augenblick fühlen musste. Doch es gab nichts, was sie noch für ihn tun konnte, also blieb sie still und war einfach nur für ihn da und gab ihm Nähe und Wärme, auch wenn es nicht das war, was er sich wünschte, so war es doch besser als nichts.
 

Nur langsam beruhigte der Katalane sich und seine Atemzüge wurden regelmäßige. Mit einem Lächeln erkannte Lena, dass das Weinen ihn so erschöpft hatte, dass er eingeschlafen war. Vorsichtig legte sie seinen Oberkörper zurück und hievte auch seine Beine nach oben. Sie zog ihm die Schuhe aus und deckte ihn liebevoll mit der Hotelbettdecke zu, damit er nicht fror. Es waren auch diese kleinen Gesten, die sie selbst wieder mehr zur Ruhe kommen ließen und schließlich beugte sie sich ganz leicht zu ihm hinunter, gab ihm einen Kuss auf die Stirn und sagte leise:
 

„Die Liebe kommt zu denen, die immer noch hoffen, obwohl sie enttäuscht wurden, zu denen, die immer noch glauben, obwohl sie verraten wurde, zu denen, die Liebe brauchen und zu denen, die immer noch lieben. Sie wird also auch zu dir kommen, Pequeño, auch wenn ich dir heute habe wehtun müssen.“
 

Leise wollte Lena aufstehen und sich auf den Weg machen, als sie eine Gestalt im Türrahmen sah und erstarrte. Ganz lässig lehnte er an der Wand und beobachtete jede ihrer Bewegungen und sie hatte keinen Zweifel daran, dass er zumindest ihre letzten Worte gehört hatte.
 

„Wie lange stehst du schon da?“
 

„Lange genug um alles gehört zu haben.“
 

To be continued
 

Torsten ist ein liebevoller, fürsorglicher Bruder, der seine kleine Schwester wirklich über alles liebt. Sonst hätte sie vermutlich nicht gegen seine eigene Überzeugung gehen lassen. Und vielleicht hat er ja auch ihre Philosophie über die Freunde verstanden… Wer weiß?

Ein klärendes Gespräch zwischen Bojan und Lena musste einfach sein, ich konnte die beiden nicht so im Streit auseinander gehen lassen, denn seien wir mal ehrlich: Es passt weder zu Bojan noch zu Lena, auch wenn sie ihm eingesteht, wie sehr er sie getroffen hat. Allein schon mit seinen Worten und ich bin tatsächlich der Meinung, dass man das gesagte und getane im Laufe der Jahre vergisst, aber niemals die Gefühle, die diese Menschen ausgelöst haben. Und so ist es auch bei Lena und Bojan, sie haben beide ein großes Herz und Charakter genug sich für ihre Fehler entschuldigen zu können und diese Stärke wollte ich in diesem Kapitel demonstrieren. Der Katalane gleicht eher einem Häufchen Elend, so wie er vor Lena an der Tür steht und irgendwie ist er auch ein wenig langsam bei Lenas Ausführungen zu ihrem Bruder Torsten, aber nach dem emotionalen Stress sollte man nachsichtig mit ihm sein, finde ich. Dasselbe gilt für seine mehr oder weniger deutlichen Vorwürfe an Lionel, der ja eigentlich nur tut, was Lena von ihm verlangt, deswegen bin ich der Meinung, dass diese Wut ungerecht ist, aber niemand hat je behauptet, dass es im Laben fair zugeht… Und wenn man verliebt ist, sieht an manche Dinge vielleicht doch etwas anders. Man möchte nicht hören, dass diejenige, in die man verliebt ist, gar nicht auf diesem Podest stehen will, dass sie genauso menschlich ist wie alle anderen auch. Bojan lernt diese Lektion langsam und es tut weh, aber hinterher wird es hoffentlich besser, wenn er begriffen hat, dass man einem Menschen nur schadet, wenn man ihn so erhöht.

An das, was Lena zu Bojan über die Liebe gesagt hat, glaube ich ganz fest, weil es einem Hoffnung gibt. Vielleicht seht ihr es ja ein bisschen so wie ich.

Und im nächsten Kapitel werden dann Identitäten enthüllt, auf die ihr sicherlich alle schon sehr lange wartet und über die recht viel spekuliert wurde…

I'm a bomb

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Widmen möchte ich dieses Kapitel gerne Sunny.
 

Müde seufze Lena, denn genau diese Antwort hatte sie befürchtet, als sie in seine dunklen Augen gesehen hatte. Im Allgemeinen fiel es der jungen Deutschen nicht schwer, die Gedanken „ihrer“ Fußballer zu erahnen, doch bei Xavier hatte sie schon immer ihre Schwierigkeiten gehabt. Wenn der Katalane wollte, war er so undurchschaubar wie eine Mauer aus Beton, manchmal aber konnte Lena auch in ihm lesen wie in einem offenen Buch, es hing ganz davon ab, worum es ging. Wahrscheinlich war auch das ein Grund, warum die beiden sich zwar sehr gut verstanden, ihre Beziehung oder was auch immer es gewesen sein sollte schon nach kurzer Zeit aufgegeben hatten. Die Entscheidung, besser Freunde und Kollegen als ein Liebespaar zu sein, hatte keiner von beiden jemals bereut, auch wenn Xavi nach seiner Genesung weniger Zeit mit der Psychologin verbrachte als sonst. Vielleicht, um nicht doch noch rückfällig zu werden.
 

„Und was denkst du?“
 

Ohne zu zögern trat Xavi einen Schritt näher an die junge Frau heran. Sie standen sich nun ganz nah gegenüber und man hörte nichts weiter als die Geräusche von Bojans regelmäßigen Atemzügen.
 

„Ich denke, dass du das richtige getan hast. Es war Zeit Bojan klar zu sagen, wo er steht. Und wo er niemals hinkommen wird. Ich weiß, dass du lieber über glühende Kohlen gegangen wärst als ihm das so ins Gesicht zu sagen, aber manchmal lässt es sich nun mal nicht ändern, dass das richtige zu tun einem selbst und auch anderen weh tun kann. Das wissen wir beide, Lena.“
 

Vorsichtig zog der Mittelfeldspieler Lena in seine Umarmung, die sie prompt erwiderte. Xavi strahlte Wärme und Geborgenheit aus, die sie nur zu gern in sich aufsog, nachdem sie in ihrer Umarmung mit Bojan eben nur hatte geben müssen. Es tat gut den regelmäßigen Herzschlag eines anderen Menschen zu hören, der nicht im Geringsten aufgeregt oder aufgewühlt war. Es beruhigte Lena und gab ihr die nötige Klarheit ihre nächste Entscheidung zu treffen.
 

„Ich muss ihn sehen, Xavi. Ich muss mit ihm sprechen und das ein für alle Mal klären.“
 

„Ich habe geahnt, dass du das sagen würdest.“
 

Unwillig gab Xavier die Psychologin frei, hielt sie jedoch noch an den Händen fest und sah ihr einen Moment ins Gesicht. Lena versuchte so entschlossen und sicher wie möglich auszusehen und Xavis Seufzen zeigte der Deutschen, dass sie Erfolg gehabt haben musste.
 

„Du lässt dich also nicht davon abbringen.“
 

„Nein.“
 

Resigniert fasste Xavi Lena an der Hand und zog sie aus dem Hotelzimmer hinaus, das er sich mit Bojan teilte. Wenn sie sich einmal für etwas entschlossen hatte, dann war sie nur schwerlich von ihrem Vorhaben abzubringen und das wusste der katalanische Routinier im Dienste des FC Barcelona nur zu gut.
 

„Dann komm mit, ich bringe dich zu unserem Gemeinschaftsraum hier im Hotel. Aber ich warne dich: Der Grossteil der Mannschaft wird da sein, das heißt, dass du um einen ziemlich großen Auftritt nicht drum herum kommst.“
 

Lena lächelte leicht über Xavis letzten, verzweifelten Versuch sie davon abzuhalten den Mann, der sie indirekt dazu gezwungen hatte Bojan reinen Wein einzuschenken, zu konfrontieren und ihm gehörig die Meinung zu geigen.
 

„Du meinst wohl eher, dass ich um Carles’ und Andres’ Fragen nicht drum herum kommen werde, oder?“
 

Problemlos hatte Lena erkannt, worauf Xavi eigentlich anspielte und wovor er sie wirklich hatte warnen wollen und so sah der Mittelfeldakteur ein wenig beschämt zu Boden. Er war sowohl mit Andres als auch mit Carles schon seit vielen Jahren recht gut befreundet und nun hatte er Lena doch tatsächlich vor ihnen warnen wollen, als ginge von den beiden irgendeine Gefahr aus. Doch leugnen konnte er seine indirekte Warnung nun auch nicht mehr, deswegen gab er zähneknirschend zu:
 

„Ja, so kann man es auch sagen. Die beiden vermissen dich wie Pest, Lena. Von Lionel ganz zu schweigen.“
 

Jetzt war es an Lena betroffen auf ihre Füße zu starren. Natürlich wusste sie, dass es ihrem geliebten Torbellino nicht gut ging und er sie vermisste, aber es bestand ein Unterschied darin es nur zu wissen oder es von anderen zu hören, die es direkt miterlebt hatten. Trotz des plötzlichen Unwohlseins interessierte die Blondine aber noch eine ganz andere Frage.
 

„Und du? Hast du mich auch vermisst, Xavi?“
 

Erwartungsvoll blickte Lena den Spanier an und wartete auf eine Antwort. Xavi ließ sich Zeit, betrat den Fahrstuhl und suchte konzentriert nach dem Knopf, den es zu drücken galt. Es war fast so, als versuchte er Lenas Frage auszublenden, in der Hoffnung, dass wenn er sie nur lang genug ignorierte, sie verschwinden würde, doch Lenas leises Räuspern zerstörte die Hoffnungen des Katalanen. Da er nicht um die Frage herumkam, schaute er der kleinen Schwester des „Lutschers“ in die Augen und flüsterte leise:
 

„Ja, ich habe dich auch vermisst, Pequeña. Sehr sogar.“
 

Mit einem klirrenden „Pling“ öffnete sich die Fahrstuhltür und alles, was Lena jetzt noch zu tun hatte, war geradeaus zu gehen, die Tür zu öffnen und nach ihm Ausschau zu halten. Leichter gesagt als getan, denn so langsam erinnerte sie ihre Beine eher an einen Haufen Wackelpudding als an relativ stabile Gebilde aus Knochen und Fleisch. Trotzdem machte sie den ersten Schritt aus dem Fahrstuhl heraus, dicht gefolgt von Xavi, der sie mittlerweile zweifelnd musterte.
 

„Du schaffst das nicht, Lena. Lass es lieber.“
 

„Nein, Xavi, ich werde es ganz bestimmt nicht lassen. Und es wäre nett von dir, wenn du mir sagen könntest, was genau vor der Mannschaft rumposaunt worden ist. Aus Bojan war da nicht viel raus zu bekommen, weil er Angst hatte es selbst noch mal auszusprechen.“
 

Xavi nickte nur, er konnte verstehen, dass Bojan sich geweigert hatte wörtlich zu wiederholen, was über die junge Psychologin gesagt worden war. Es war nicht schön gewesen, nicht nett so über eine Frau zu sprechen. Schon gar nicht über eine, die es seiner Meinung nach nicht verdient hatte so herablassend behandelt zu werden.
 

„Ich habe nicht alles mitbekommen, was gesagt worden ist, keine Ahnung, wie sie überhaupt auf dieses Thema gekommen sind, aber es reicht, wenn du weißt, dass darüber gerätselt wurde, mit wie vielen anderen Kerle du noch so deinen Spaß hattest. Und nun ja, dann kam wohl noch eine Bemerkung über dich und-“
 

„Lionel, schon klar. Es hätte mich gewundert, wenn er ihn nicht mit durch den Dreck gezogen hätte.“
 

Lenas Stimme klang bitter, doch die unterschwellige Wut war ebenfalls nicht zu überhören. Zwar hatte auch Xavi ihr nur eine verharmloste Kurzfassung der Ereignisse gegeben, da er augenscheinlich der Meinung war, dass man sie in Watte packen musste, doch dieser grobe Überblick über seine Worte reichten der jungen Deutschen, um ihre Wut und Enttäuschung über das Verhalten ihres ehemaligen Liebhabers neu zu erwecken. Es war vor allen Dingen Lionels Name, der sie wieder daran erinnert hatte, dass er mit seinen Worten nicht nur sie angegriffen hatte, sondern auch einen der Menschen, der ihr sehr viel bedeutete.
 

Ohne ein weiteres Wort an Xavi zu richten schritt Lena voraus und stieß die Tür auf, die sie vom Rest der spanischen Nationalmannschaft trennte. Jetzt war sie wütend genug um sich nicht um die erschrockenen und neugierigen Blicke der Männer zu kümmern, die sicherlich vollkommen überrascht von ihrem kleinen „Besuch“ sein würden. Sie konnte Carles und Andres ausblenden und sich nur auf ihn konzentrieren. Es war ihr egal, dass alle anderen wahrscheinlich gespannt mithören würden, denn nach dem, was schon alles über sie in der Zeitung gestanden hatte, würde die Wahrheit aussehen wie eine harmlose Schlafgeschichte.
 

Es war der kühle Luftzug, der die lässig plaudernden Spieler der spanischen Nationalmannschaft auf die kleine Blondine im Türrahm aufmerksam machte. Erstaunt schauten sie auf und fragten sich, wer die junge Frau wohl sein könnte und was sie von ihnen wollte. Immerhin schaffte es nicht jeder so einfach bis zu den Spielern vorzukommen. Sie kannten sich zwar alle nicht besonders gut mit den Sicherheitsvorkehrungen aus, die für ihre Anwesenheit hier in München getroffen worden waren, doch solch ein Erscheinen schien den Jungs ohne eine explizite Genehmigung unmöglich. Also musste sie aus einem ganz speziellen Grund hier sein, auch wenn die meisten Spieler vor ihrem angestrengten Gesichtsausdruck zurückschreckten.
 

Nur Andres, Gerrard und Carles erkannten Lena auf Anhieb und blickten fassungslos von ihr zu Xavi, der mittlerweile dicht hinter ihr stand, als müsste er ihr Rückendeckung geben. Sie verstanden nicht, warum Lena hier bei ihnen war. Pep hatte ihnen zwar noch den Abend nach der Niederlage erzählt, dass er die junge Psychologin im Stadion getroffen hatte, doch weder Andres noch Carles waren davon ausgegangen, dass Lena sie wirklich besuchen kommen würde. Und so, wie alle drei Barca-Spieler ihren Gesichtsausdruck deuteten, war dies auch kein freundschaftlicher Besuch, weil sie ihre Freunde vermisst hatte. Nein, die Jungs waren eher der Meinung, dass Lena einer Bombe kurz vor der Explosion ähnelte und sie konnten sich beim besten Willen nicht vorstellen, was Xavi damit zu tun haben konnte. Der Rest der Mannschaft starrte sie einfach nur vollkommen ahnungslos an, denn die meistens kannten ihr Bild zwar aus den vielen Zeitungsberichten, hatten sie jedoch zumeist vor einer halben Ewigkeit das letzte Mal wirklich zu Gesicht bekommen.
 

Als Lena einen weiteren Schritt in den Raum hinein machte und nun besser zu erkennen war, macht es auch bei Sergio Ramos „klick“ und er rammte seinem besten Freund, der mit dem Rücken zur Tür saß und von der veränderten Stimmung im Raum noch nicht gemerkt hatte, den Ellenbogen in die Magengegend. Empört wandte er sich dem Übeltäter zu, doch Sergio deutete nur zur Tür und murmelte halblaut:
 

„Wenn ich du wäre, würde ich mir ganz schnell ein Loch suchen.“
 

Verwirrt und überrascht drehte der Spanier sich in die Richtung, in die sein Freund gedeutet hatte. Immer noch rieb er sich die schmerzende Magengegend, erstarrte jedoch mitten in der Bewegung, als er die junge Frau erkannte, die mittlerweile ungefähr in der Mitte des Zimmer stand und sich suchend umsah. Als hätte sie seinen Blick auch sich gespürt, drehte sie sich in seine Richtung, erkannte ihr Ziel und machte ein paar schnelle Schritte auf den Nationalspieler zu. Der war aufgesprungen und einen Schritt zurückgewichen, als er Lenas Gesichtsausdruck erkannt hatte. Er wusste, dass sie wütend war und das nicht auf irgendwen, sondern auf ihn. Bevor er auch nur irgendetwas hätte sagen können, fauchte sie auch schon los.
 

„Iker Casillas Fernández!“
 

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so totenstill war es im Raum. Keiner der anderen Männer sagte auch nur ein Wort, alle Blicke hingen wie gebannt an Iker und der unbekannten Frau, die scheinbar eine scheiß Wut auf ihren Kapitän hatte.
 

„Hola Lena.“
 

Ikers Stimme konnte man die Unsicherheit anhören und sobald er ihren Namen genannt hatte, begriffen auch die anderen Spieler der spanischen Nationalmannschaft, wer da wie ein Racheengel persönlich in den Raum auf ihren Kapitän gestürzt war. Zumindest diejenigen, die in Spanien spielten und das Drama um die junge Psychologin durch die Medien live mitverfolgt hatten. Pepe Reina, Cesc Fabregas und Fernando Torres jedoch waren immer noch genauso verwirrt wie zu Beginn. Und keiner der anderen machte sich die Mühe sie aufzuklären, da keiner der Jungs auch nur einen Fetzen des Gesprächs verpassen wollte.
 

„Hola Iker, lange nicht mehr gesehen, nicht?“
 

Lenas Augen sprühten nur so und ihr Lächeln verdeutlichte nur noch ihre unterdrückte Wut. Der Sarkasmus in ihren Worten war beißend und Iker musste schwer schlucken, damit er überhaupt ein Wort heraus brachte. So hatte er sie noch nie erlebt und er wusste schon jetzt, bevor ihr Gespräch überhaupt angefangen hatte, dass er sie am liebsten niemals wieder so erleben wollte.
 

„Si, das letzte Mal im Mai, wenn ich mich recht erinnere.“
 

Sobald er es ausgesprochen hatte, wusste Iker, dass es eine schlechte Idee gewesen war ihr letztes Treffen zu erwähnen. Damals, nachdem er mit Real 6:2 gegen Barcelona verloren hatte, hatte sie ihm erklärt, dass sie ihre Affäre beenden mussten und er hatte ihr viele verletzende Dinge an den Kopf geworfen. Doch da war sie nicht mal halb so wütend gewesen wie heute und er fragte sich, was ihre Wut heraufbeschworen haben konnte.
 

„Ich sehe, dein Gedächtnis ist also nicht ganz so schlecht, wie ich befürchtet habe. Dann frage ich mich nur, warum du das, was damals passiert ist, dann so verdreht erzählst, hm?“
 

„Ich habe gar nichts erzählt Lena, das musst du mir glauben.“
 

Iker wusste wirklich nicht, worauf die Deutsche hinaus wollte. Und das war ziemlich verwirrend. Er hatte niemanden außer Sergio von ihrer Beziehung erzählt. Sergio war auch der einzige, der wusste, wie sehr ihn das Ende dieser „Affäre“ mitgenommen hatte, weil er wusste, dass Iker mehr in Lena gesehen hatte als eine unkomplizierte Bettgeschichte. Bei ihm hatte der Madrilene sich jedes Mal nach einem Treffen mit Lena ausgekotzt, er war es gewesen, der dem Keeper neuen Mut zugesprochen hatte, dass das ganze vielleicht doch gut ausgehen würde, trotz der vielen Schwierigkeiten und Unterschiede zwischen ihnen. Der Verteidiger war aber auch da gewesen, als Iker sich sinnlos betrunken hatte, nur um den Glanz ihrer blauen Augen und ihr fröhliches Lachen zu vergessen, um zu vergessen, wie glücklich sie an Lionels Seite gewirkt hatte. Sergio hatte all den Schmerz zu Gesicht bekommen und hatte verstanden, warum die Leistungen des Torhüters in den folgenden Wochen in den Keller gesunken waren. Und er hatte die Wahl-Spanierin für das, was sie seinem besten Freund angetan hatte, verabscheut.
 

„Jetzt hör mir mal ganz genau zu, San Iker-“
 

Lenas Betonung seines Spitznamens ließ jeden Spieler im Raum zweifelsfrei begreifen, dass sie weit davon entfernt war den Kapitän der Spanier für einen Heiligen zu halten. So, wie sie sich hier verhielt, stand sie wohl eher dem Teufel gegenüber.
 

„Es ist mir ehrlich gesagt scheiß egal, was du über mich denkst und was du meinst über meinen Lebenswandel sagen zu müssen. Das ist deine Sache und Meinungen sind nun mal wie Arschlöcher: Jeder hat eins. Aber es ist mir verdammt noch mal nicht egal, wenn du andere da mit rein ziehst. Das ist eine Sache zwischen uns beiden, mehr nicht. Oder hättest du es gerne, dass deine dreckige Wäsche vor deinen Freunden ausgebreitet wird, hm? Das kannst du haben, du weißt doch bestimmt noch, dass ich das ein oder andere schmutzige Geheimnis von dir kenne und ich bin mir sicher, dass deine Freunde gespannt wären zu hören, was hinter der Maske des Heiligen Ikers steckt, nicht?“
 

Ihre Augen waren hart, als sie auf Ikers trafen und er hatte keinen Zweifel daran, dass sie ihre Drohung oder ihr Versprechen, wie auch immer man es nennen wollte, wahr machen würde. Trotzdem wusste er immer noch nicht so ganz genau, was Lena nun so wütend gemacht hatte, aber er zweifelte, ob nachfragen der richtige Weg war um an eine Antwort zu kommen. Deshalb ließ er Lena weiter reden und versuchte zu entschlüsseln, was sie ihm eigentlich ganz genau vorwarf.
 

„Es ist wirklich das Letzte, dass du Bojan da mit rein ziehst. Er hat dir doch nichts getan! Wenn du ein Problem mit mir hast, dann sag es mir ins Gesicht statt feige Bojan in diese Sache zu verwickeln.“
 

Jetzt war Iker komplett verwirrt. Während des gesamten Aufenthalts bei der Nationalmannschaft hatte er mit dem jungen Katalanen vielleicht fünf Mal am Tag kurz geredet. Belanglosigkeiten, Taktikbesprechungen, nichts, was Lenas Reaktion auch nur im Geringsten rechtfertigte. Und weil er nicht glaubte, dass er ohne ihre Hilfe aus den Vorwürfen schlau werden würde, nahm Iker seinen Mut zusammen und fragte nach.
 

„Lena, jetzt halt mal für einen Moment die Luft an und erklär mir, was ich bitte schön getan haben soll! Seit wir hier sind habe ich nämlich mit deinem Bojan keine hundert Sätze geredet und ich bin mir ganz sicher, dass ich kein Wort über uns verloren habe. Zumindest nicht in seiner Gegenwart.“
 

Nun war es an Lena, verwirrt drein zu schauen. Wenn das stimmte, was Iker da behauptete, dann ergab Bojans Auftritt im Speisesaal der Nationalmannschaft keinen Sinn. Genauso wenig wie seine Niedergeschlagenheit und die Tränen. Und hatte Xavi ihr nicht auch gerade noch im Groben erzählt, was Iker zu Bojan gesagt hatte?
 

„Du lügst.“
 

„Ich lüge nicht, Lena, ich habe kein einziges Wort über uns zu einem der Freunde gesagt. Kein einziges.“
 

Lena musste schlucken. Er sah sie so offen und ehrlich an, so als hätte er nichts vor ihr zu verstecken, so als wäre er nur traurig und gekränkt, dass sie ihm wirklich zutrauen würde sie anzulügen.
 

„Wenn das stimmt, dann erklär mir bitte, warum Bojan völlig aufgelöst in meinem Hotel auftaucht, mich anschreit, ich sei eine Hure und hätte schon alle Spieler einmal durch und mir dann beinahe die Nase bricht? Woher bitte soll er gewisse Details über unsere Beziehung gewusst haben, wenn nicht von dir, hm? Ich habe nie auch nur ein Wort davon gesagt und die Dinge, die Bojan wusste, habe ich noch nicht einmal Andre, Carles oder Lionel erzählt. Ich glaube kaum, dass er sich da zufällig das Richtige ausgedacht hat!“
 

„Nein, das glaube ich auch nicht. Aber ich habe ihm nichts gesagt. Wirklich nicht. Schon gar nicht so was. Ich würde niemals so schlecht von dir sprechen und ich würde dich niemals als du-weißt-schon bezeichnen.“
 

Der Ausdruck des Schmerzes, der kurz über Ikers Gesicht glitt als er daran dachte, dass Bojan seiner Lena nicht nur körperlich, sondern wahrscheinlich auch seelisch so sehr weh getan haben musste, überzeugte die Psychologin, dass der Torhüter nicht bloß verdammt gut schauspielerte, sondern wirklich nichts in dieser Richtung gesagt hatte. Das hieße dann aber auch, dass sie den falschen angeschrieen hatte und dass Bojan mit seinem „er“ einen anderen gemeint als Lena gedacht hatte. Aber welcher Spieler würde vor Bojan solche Lügen verbreiten und behaupten, er hätte über mehrere Jahre eine Affäre mit ihr gehabt, wo doch der einzige Mann, der dies mit Fug und Recht behaupten konnte, es scheinbar nicht gewesen war. Und aus welchen Gründen hatten Andres und Carles diese Geschichte bestätigt, wo sie doch ganz genau wussten, dass Iker der einzige Fußballer war, mit dem sie über einen so langen Zeitraum intim gewesen war. Oder waren ihre beiden Freunde etwa auch der Täuschung erlegen und hatten geglaubt, sie würden Bojan die Affäre mit Iker bestätigen und nichts anderes? Das alles ergab keinen Sinn. Lena war verwirrt und schaute sich Hilfe suchend nach ihren Felsen in der Brandung um, die ihr einmal mehr den halt geben sollten, die sie hier gerade zu verlieren drohte.
 

Entweder hatte Iker doch gelogen und Bojan all diese schrecklichen Sachen erzählt oder es handelte sich um eine Verkettung von Missverständnissen, die auf die boshaften Lügen eines anderen Spielers zurückzuführen waren. Aber warum?
 

To be continued
 

Der Lauscher war nicht der geheimnisvoll „er“, sondern Xavi, der Mann, in den Lena sich für einen kurzen Zeitraum „verliebt“ hatte. Oder es zumindest geglaubt hatte. Positiv oder negativ Überrascht?

Und wie gefiel euch die wütend-enttäuschte Lena? Überzeugend oder eher doch nur ein kleiner Sturm im Wasserglas? Ich fand es äußerst schwierig sie so richtig aus der Haut fahren zu lassen. Trotzdem habe ich mein bisher Bestes gegeben und werde es hoffentlich im kommenden Kapitel zu steigern wissen, wenn sich die Situation endlich vollkommen auflöst.

Ach ja, nun wisst ihr, dass Lena und Iker diese lockere Affäre miteinander hatten. Und dass es ihn wirklich fertig gemacht hat zu sehen, wie er sie verliert. Wie sie seiner Meinung nach mit einem anderen Mann glücklich ist. Keine leichte Situation, für beide nicht, finde ich.

Aber hat Iker diese Dinge nun gesagt oder nicht? Ist seine Verwirrung ehrlich oder doch nur gespielt. Kurz: Lügt er oder lügt er nicht?

Und wenn nicht, wer soll es eurer Meinung sonst gewesen sein? Und natürlich auch warum. Für solche Taten braucht man schon irgendeinen Grund, das geschieht bestimmt nicht aus Langeweile…

Der Richter und sein Henker

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Wieder ein ganz, ganz liebes Dankeschön an die einzige Menschenseele, die mir hier ihre Meinung sagt.
 

Für jeden Außenstehenden hätte Lenas kurzer, suchender Blick nichts weiter bedeutet, sie hätten es schlicht als eine menschliche Bewegung abgetan und dann weiter über das gerade gehörte nachgedacht. Nicht jedoch Andres Iniesta. Andres, der Lena schon seit ihren Anfängen in Barcelona kannte und der nach Lionel dort ihr engster Vertrauter und Freund war. Er hatte in ihren Augen heillose Verwirrung gesehen und die unbändige Hoffnung, dass er sie vielleicht retten könnte aus dem Meer der Unsicherheit, denn das sie verunsichert war, merkte man an ihrer Haltung, die jetzt nicht mehr stolz und aufrecht war, mit vorgerecktem Kinn und glühenden Augen. Mit jedem von Ikers Worten war sie ein kleines bisschen mehr nachdenklich in sich zusammen gesunken, zögernd, weil sie absolut nicht wusste, ob die dem Madrilenen Glauben schenken konnte oder nicht. Und was es für sie bedeuten würde, wenn er tatsächlich die Wahrheit sagte und ein anderer, ein Spieler ohne jeden ersichtlichen Grund und ohne den geringsten Beweis, eine solch infame Lüge über sie verbreitete. In dieser verwirrenden Situation suchte ihr Blick nach ihrem Fels in der Brandung, nach Andres, der dies für sie sein musste, weil Lionel nicht da sein konnte um diesen Job zu übernehmen.
 

Ohne zu zögern trat Andres hinter Lena und legte ihr sanft die Hand auf die Schulter. Nur einen kurzen Augenblick lang, eine flüchtige Sekunde, trafen sich ihre Blicke und es bedurfte keine Worte zwischen den beiden, um Lenas stumme Frage zu beantworten. Ja, er war da, er stand fest an ihrer Seite, was auch immer geschehen würde. Andres’ körperliche Anwesenheit so nah neben ihr, gab Lena die Kraft wieder zu sprechen und die alles entscheidende Frage zu stellen.
 

„Wer war es dann?“
 

Stille herrschte im gesamten Gemeinschaftsraum des Hotels und die Augen der Spieler wanderten von der jungen Psychologin zu Andres, dessen Hand immer noch vertraut auf ihrer Schulter ruhte, und dann zu Iker, der wie ein geprügelter Hund dastand und die Hand auf der Schulter seiner ehemaligen Geliebten zu ignorieren versuchte. Keiner der Nationalspieler konnte in diesem Drama den Bösen identifizieren, einen Lügner ausmachen, der für diesen ganzen Schmerz und die ganze Wut verantwortlich sein sollte, doch glaubten sie auch nicht daran, dass die junge Deutsche sich das alles bloß ausgedacht hatte um Aufmerksamkeit zu erregen. Nein, dafür waren ihre Nase und ihr Jochbein viel zu verfärbt, als dass man auf eine eigene Inszenierung hätte setzen können.
 

Plötzlich durchbrach eine dunkle, selenruhige Stimme die Stille.
 

„Ich war es. Ich habe Bojan all diese kleinen Details über dein aktives Privatleben erzählt und ihm auch verraten, wo du dich im Augenblick aufhältst. Und warum du ausgerechnet dort bist.“
 

Alle Augenpaare im Raum richteten sich auf Sergio Ramos, der bis zu seinem kleinen Geständnis noch neben dem stehenden Iker Casillas gesessen hatte, nun aber selbst neben seinem Freund stand. Seine Lippen waren zu einem spöttischen Grinsen verzogen, in das er all seine Verachtung legte, die er für die Blondine vor sich. Er schämte sich kein bisschen für das, was er augenscheinlich angerichtet hatte, auch wenn er grundsätzlich ein scharfer Gegner von Gewalt gegen Frauen war, so konnte er sich in diesem Fall den bissigen Gedanken, dass Bojan ruhig hätte etwas fester zu schlagen können, damit die Nase ganz gebrochen wäre, nicht verkneifen. Diese Frau hatte es seiner Meinung einfach nicht anders verdient.
 

Die teils entsetzten, teils mörderisch aussehenden Blicke entgingen dem Verteidiger im Dienste von Real nicht im Geringsten, doch eigentlich interessierte ihn nur die Reaktion seines besten Freundes auf diese Enthüllungen. Schließlich hatte er der Hexe, die Iker rücksichtslos das Herz gebrochen hatte, auf äußerst subtile Weise einen Denkzettel verpasst und dafür sollte der Torhüter ihm eigentlich dankbar sein, auch wenn er es vielleicht nicht ganz so offen zeigen konnte. Mit dieser vermutlich fehlenden offenen Zustimmung hatte Sergio kein Problem, seinetwegen sollten ihn doch alle für ein Arschloch halten, solange diese Aktion Iker half um endgültig loszulassen und über das Vergangene hinwegzukommen, hatten sich seine kleinen Lügen gegenüber dem kleinen, naiven Bojan gelohnt.
 

Doch Iker reagierte vollkommen anders, als Sergio erwartet hatte. Der Keeper drehte sich mit vor Überraschung aufgerissenen Augen zu seinem besten Freund um, griff nach seiner Schulter, schüttelte ihn ein paar Mal kräftig und starrte ihn dann völlig fassungslos an.
 

„Was hat Lena dir getan Sergio? Was?“
 

Auf einmal verstand Sergio Ramos die Welt nicht mehr. Sicher, er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Freund offen für ihn und seine dubiose Handlung Partei ergreifen würde, sollte sie jemals ans Tageslicht kommen, aber der Verteidiger hatte auf die stille Zustimmung und Billigung der Aktion gesetzt. Vielleicht sogar auf ein heimliches Wort der Dankbarkeit, dass er all dies auf sich genommen hatte, nur um ein wirklich guter Freund für ihn zu sein. Jetzt jedoch war eine ungezügelte Wut in Ikers Stimme, die Sergio bezweifeln ließ, dass sein Kapitän ihm jemals dafür danken würde.
 

„Was sie mir getan hat, Iker? Um mich geht es bei dieser Sache nicht, es geht einzig und allein um dich.“
 

„Um mich?“
 

Entsetzen mischte sich in die Stimme des Kapitäns der „Königlichen“, weil er fürchtete wirklich indirekt irgendwie an Lenas Misere Schuld zu sein. Immerhin war Sergio sein bester Freund und nach eigenem Dafürhalten hatte er es nur für ihn getan. Er konnte sich zwar beim besten Willen nicht vorstellen, dass er seinem besten Freund jemals aufgefordert hatte ihm einen solchen „Freundschaftsdienst“ zu erweisen, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass Lena nun hier vor ihm stand, mit geschwollenem Gesicht und den verletzenden Worten Bojans ins Herz gebrannt. Wäre sie nicht so unbeugsam und stark gewesen und hätte sie ihn nicht vorher noch wütend für diese Verfehlung angegriffen, hätte Iker sie vielleicht sogar als ein Häufchen Elend gesehen, das nicht verstehen konnte, wieso ihr all diese Dinge wieder fuhren. Das verstand Iker jedoch selbst genauso wenig.
 

„Ja, um dich. Ich wollte dir mit dieser Aktion helfen.“
 

„Helfen? Mir? Damit?!“
 

„Si.“
 

Wieder stand ein sprachloser Torhüter einem mittlerweile fast schon trotzig schauenden Verteidiger gegenüber. Beide hatten sich keinen Zentimeter bewegt und doch hatten einige Spieler das Gefühl, dass sie besser in der Nähe der beiden Streithähne waren um notfalls schnell eingreifen zu können, sollte der Streit tatsächlich derart eskalieren, wie es im Augenblick den Anschein machte. Denn Iker wirkte mörderisch, so hatten die meisten Spanier ihren Kapitän noch nie erlebt und sie hatten einen Heidenrespekt vor ihm, so dass sie sich wunderten, warum bisher weder Sergio noch Lena und Andres auch nur einen Schritt zurückgewichen waren. Erster vermutlich, weil er mittlerweile ähnlich wütend und gekränkt war und die letzteren, weil sie wahrscheinlich noch viel zu sehr unter Schock standen von den erschreckenden Enthüllungen.
 

„Sag mal bist du jetzt vollkommen verrückt geworden?! Du belügst deinen Teamkollegen, Sergio, und hintergehst mich, in dem du ganz private Dinge weiter erzählst und behauptest dann noch, du hättest es für mich getan? Ich dachte, du wärst mein Freund, mein bester Freund. Sogar der beste Freund, den ein Mann sich wünschen kann, habe ich immer gedacht. Aber da muss ich mich wohl geirrt haben, denn wahre Freunde würden einem niemals das antun, was du mir hier gerade angetan hast.“
 

Man konnte beiden Kontrahenten ansehen, dass diese Worte einen wunden Punkt getroffen hatten. Iker stand die Enttäuschung über Sergios Verrat deutlich ins Gesicht geschrieben und Sergio kämpfte sichtbar mit sich um die anderen nicht sehen zu lassen, wie schwer ihn Ikers Worte und Vorwürfe getroffen hatten. Denn jetzt durfte er nicht die Nerven verlieren, er musste seinen besten Freund zurück gewinnen und das funktionierte vermutlich am besten, wenn er ihm das alles erklärte, denn wenn Iker erst einmal verstanden hatte, war alles wieder gut. Deswegen versuchte er Iker mit ruhigen, besonnen Worten die Beweggründe seiner Tat auseinander zu setzen, doch egal wie fest der Andalusier seine Stimme klingen lassen wollte, jeder im Raum vernahm das unsichere Zittern und die Angst, die in ihr mitschwang.
 

„Ich habe dir nichts angetan Iker, so darfst du das nicht sehen. Ich wollte dir helfen, ich dachte es täte dir vielleicht gut zu wissen, dass Lena nicht ungeschoren mit dem davon kommt, was sie dir angetan hat. Dass sie büßen muss. Und da habe ich mir überlegt, dass der Verlust ihrer Freunde sie annähernd so fühlen lässt, wie du dich damals gefühlt hast. Hätte ich auch nur geahnt, wie ich ihre Freundschaft zu diesem kleinen Argentinier hätte zerstören können, ich hätte es versucht, weil ich mir ganz sicher bin, dass ihr das das Rückrad gebrochen hätte, aber all meine Versuche waren bisher erfolglos, deshalb habe ich es mit Bojan versucht. Und es hat doch auch funktioniert.“
 

Lena konnte nicht anders, sie schnappte geräuschvoll nach Luft als sie hörte, dass Sergio ihre Freundschaft mit Lionel ebenfalls hatte zerstören wollen. Halt suchend griff sie nach Andres’ Hand, die nun nicht mehr auf ihrer Schulter ruhte, sondern fest mit der ihren verbunden war. Sie musste jetzt seine Wärme spüren, musste fühlen können, dass er noch da war. Dass Sergio es nicht geschafft hatte sie auseinander zu bringen und es ihm hoffentlich auch niemals gelingen würde. Nur wenige Momente nach Sergios Äußerung spürte Lena auch schon eine andere Hand auf ihrer Schulter und ohne sich umdrehen zu müssen wusste die Psychologin, dass nun auch Carles bei ihr war, um ihr den Rücken zu stärken. Sein Atem ging ruhig, doch Lena bemerkte, wie sich seine Finger als Ventil seiner Wut in ihre Schulter gruben. Zum Glück hatte er nicht auf dieselbe Stelle gefasst, die Timo schon mit seinen Händen „verschönert“ hatte, sonst hätte sie vermutlich lauthals geschrieen vor Schmerz, denn eines hatte sie während der letzten Tag mit absoluter Sicherheit erkannt: Fußballer waren sehr kräftige Wesen, die häufig katastrophal unterschätzten, wie schmerzhaft ihre Berührungen sein konnten.
 

Iker, der aus den Augenwinkeln beobachtet hatte, wie die Barca-Spieler alle nach und nach näher an Lena herangekommen waren, wahrscheinlich teilweise um ihr Halt zu geben, teilweise um sie zu beschützen, sah seinen langjährigen Freund eindringlich an und sagte dann ganz leise, so dass man ihn nur mit Müh und Not verstehen konnte:
 

„Wenn du wirklich dachtest, du würdest mir helfen, in dem du ihr so sehr weh tust, dann hast du dich wirklich getäuscht Sergio. Ich hasse es, wirklich, ich hasse es sehen zu müssen, wie sie leidet. Und ich hasse mich dafür indirekt der Grund zu sein, warum sie leidet. Ich hasse es zu wissen, dass sie Schmerzen hat und vielleicht sogar weint. Das alles verletzt mich genauso sehr wie sie, weil ich sie einmal geliebt habe.“
 

’Und wahrscheinlich sogar immer noch liebe’, dachte der Madrilene sich, doch ihm war klar, dass er diese Worte besser für sich behielt, denn wahrscheinlich war es für Lena schon überraschend genug zu erfahren, dass sie damals nicht nur eine Affäre für ihn gewesen war, sondern er mit der Zeit tiefer gehende Gefühle für die kleine Blondine vor ihm entwickelt hatte. Liebe, ja, auch wenn er es sich zuerst nicht hatte eingestehen wollen, er hatte sich in die Psychologin verliebt und gerade, nachdem er es sich selbst eingestanden hatte, war sie auch schon von ihm gegangen, hatte beendet, was seiner Meinung nach noch nicht einmal wirklich angefangen hatte. Und genau das hatte ihn so fertig gemacht, dass er sich bei Sergio hatte ausheulen müssen. Er war ja schließlich auch nur ein Mensch mit Gefühlen wie jeder andere auch. Kein Heiliger Iker, nur ein Iker aus Fleisch und Blut der genauso Liebeskummer haben konnte wie jeder andere auf der Welt.
 

„Gibt es dir denn wirklich keine innere Befriedigung zu sehen, wie ihr Leben langsam aber sicher den Bach runter geht seit sie dich verlassen hat?“
 

Iker wusste nicht, warum sein Freund ihm schon wieder diese Frage stellte, wo er doch eben schon lang und breit erklärt hatte, dass es ihn nicht freute, wenn Lena unglücklich war. Verstand Sergio denn nicht, dass man den Menschen, den man liebt, nicht leiden sehen wollte, egal ob man mit ihm zusammen war oder nicht? Das änderte doch nichts an den Gefühlen, wenn sie wirklich und wahrhaftig waren. Ja, er war todunglücklich über die Trennung gewesen und er hatte ihr im Affekt viele schlimme Dinge an den Kopf geworfen, aber so wie er ihr vorher nur das Beste gewünscht hatte, so wollte er es immer noch für sie und mittlerweile war der Torhüter der Madrilenen sogar soweit ihr Glück für weitere Beziehung zu wünschen, auch wenn es ihm sehr, sehr schwer fiel. Wieso aber fragte Sergio nun noch einmal danach, ob es ihm nicht Genugtuung verschaffen würde zu sehen, wie sehr sie seit ihrer Trennung litt.
 

In Lena hatten Sergios Worte jedoch sofort etwas anderes ausgelöst. Mit bangem Blick hatte sie versucht zu erkennen, ob Carles und Andres dasselbe dachten wie sie, doch in ihre Minen spiegelte sich keinerlei erkennen wieder. Sie hatten die Tragweite von Sergios Worten noch nicht erfasst, sie hatte es noch nicht wie ein Schlag in den Magen getroffen. Ein Schlag in die Magengrube durchgeführt von einer gewaltigen Abrissbirne. Derselben Abrissbirne, die auch schon ihr Leben in Barcelona zerstört hatte.
 

„Warum? Was habe ich dir getan Sergio? Du musst mich ja bis aufs Blut hassen, um so etwas zu tun.“
 

„Du hast rücksichtslos mit den Gefühlen meines besten Freundes gespielt, hast ihn abserviert und ihn ohne zu zögern durch einen anderen ersetzt. Ach was sage ich da: Du hast ihn durch ich weiß nicht wie viele Kerle ersetzt. Und nicht nur das, wahrscheinlich hattest du in der ganzen Zeit immer wieder andere Männer nebenbei. Du solltest dich schämen!“
 

Entrüstung und Wut spiegelten sich in Sergios Zügen und keiner zweifelte daran, dass der Andalusier jedes einzelne Wort todernst gemeint hatte. Er war fest davon überzeugt, dass Lena seinen besten Freund absichtlich verletzt hatte und sie genau die femme fatale war, für die sie einige der anderen Spieler auch gehalten hatten. Zumindest bis zu ihrem Auftauchen hier, als sie eher wie eine Furie auf Iker gestürzt hatte, der mit dieser ganzen Sache so direkt eigentlich gar nichts zu tun hatte, auch wenn er aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen der Auslöser dieses Streits gewesen war.
 

Im Augenblick neigten die Spieler der spanischen Nationalmannschaft eher dazu Lena zu unterstützen und ihr Recht zu geben, denn im Grunde genommen ging Sergio die Beziehung zwischen Iker und Lena gar nichts an. Er hatte sich da in etwas eingemischt, was ihn nicht betraf und damit hatte er ziemlich großen Schaden angerichtet. Dass er ein vollkommen unschuldiges Teammitglied durch absichtliche Lügen für seinen Zweck missbraucht hatte, machte die Sache nur noch schlimmer. Und jetzt versuchte er ihr auch noch eine Lehrstunde über Moral zu erteilen. Ja, wie hieß die Weisheit so schön? Wer im Glashaus saß, sollte besser im Keller duschen. Und etwas Ähnliches warf ihm auch die kleine Schwester des „Lutschers“ um die Ohren.
 

„Und selbst wenn es so gewesen wäre, was gibt dir das Recht über mich zu urteilen? Wer hat dich zu meinem Richter und Ankläger erhoben? Der einzige hier im Raum, der mir mein Verhalten hätte vorwerfen können, ist Iker und niemand sonst. Und weißt du, warum er es nicht getan hat, hm?“
 

„Ja, weil er viel zu verliebt in dich ist, als dass er die Wahrheit klar sehen könnte. Er will einfach nicht wahr haben, dass du nicht die Frau bist, für die er dich immer gehalten hat. Er will in dir nicht die Hure sehen, die du bist.“
 

„Nein!“
 

Gleich mehrstimmig erklang die Verteidigung Lenas gegen Sergios Worte, doch Lena ließ sich von den mit Abscheu ausgespuckten Worten nicht beeindrucken und machte einen kleinen Schritt auf Sergio und Iker zu. Trotz ihrer Bewegung ließen weder Andres noch Carles die junge Deutsche los.
 

„Das, was du mir vorwirfst zu sein und getan zu haben, war ich nie und habe ich auch niemals getan. Ich bin keine Hure und weder habe absichtlich mit Ikers Gefühlen gespielt noch ihn nach dem Ende unserer Affäre durch einen anderen Mann ausgetauscht.“
 

Es war Lena noch nie in den Sinn gekommen, dass Iker tatsächlich das Gefühl gehabt haben könnte, dass sie ihn nur ausgenutzt hatte. Ausgenutzt und fallen gelassen, als sich ihr eine bessere Möglichkeit bot. Ja, er hatte ihr damals vorgeworfen ihn durch Lionel zu ersetzen, aber sie hatte ihm doch deutlich gemacht, dass es zwischen ihr und dem Argentinier noch nie so gewesen war, oder etwa doch nicht? Leichte Zweifel regten sich in ihr und mit einem kurzen Blick auf Iker wollte sie sich vergewissern, dass er sich nicht benutzt gefühlt hatte. Sergio bemerkte ihren Blick jedoch und lachte nur höhnisch.
 

„Wirklich nicht? Und was war das dann mit Lionel? Und jetzt hier mit Andres? Und all den anderen, hm? Ein Blinder mit dem Krückstock sieht doch, dass zwischen euch beiden mehr ist als nur Freundschaft.“
 

„Das stimmt nicht. Zwischen Andres und mir und auch zwischen Lionel und mir war niemals mehr als eine innige Freundschaft, die nun schon seit über vier Jahren Bestand hat. Nicht mehr, aber sicherlich auch nicht weniger. Ich kann dir nicht sagen, ob da nicht vielleicht irgendwann mal mehr sein könnte, keine Ahnung, ich kann nicht hellsehen, aber ich kann dir verraten, dass ich seit Iker keinen anderen Mann mehr hatte.“
 

Die erstaunten und ungläubigen Blicke der anderen Spieler ignorierte sie gekonnt, wichtig waren nur Andres und Carles, die wie gehabt hinter ihr standen und ihr den Rücken stärkten. Mehr brauchte sie nicht zu wissen, wohl aber musste Sergio mehr wissen um verstehen zu können, auch wenn es der Psychologin widerstrebte ein Teil ihres Seelenlebens hier so öffentlich auszubreiten. Aber da die Jungs jetzt schon so viel von diesem Drama gehört hatten, sollten sie nun auch wissen, wie es für die Hauptfiguren ausging.
 

„Hast du dich überhaupt mal gefragt, warum ich unsere Affäre beendet habe? Oder warum ich sie überhaupt erst angefangen habe?“
 

„Du wolltest an sein Geld und an seinen Ruhm, wie alle anderen auch. Und dann hast du gemerkt, wie deine Chancen beim argentinischen Messias stehen und hast Iker fallen lassen. Ende der Geschichte.“
 

„Du machst es dir aber gerade fürchterlich einfach, Sergio. Ich habe mir nämlich von Iker nie etwas schenken lassen, ich wollte nichts und ich brauchte nichts, denn ich bin schon ein großes Mädchen und ob du es glaubst oder nicht, ich kann für mich allein sorgen. Und erklär mir bitte, wieso wir beide auf Geheimhaltung bedacht gewesen sein sollten, wenn ich doch nur seinen Ruhm wollte. Nicht ein Foto gibt es in der Presse von uns beiden, niemand hat uns je miteinander in Verbindung gebracht, obwohl ich doch in den vergangenen Monaten mit sehr vielen Männern in Verbindung gebracht worden bin. Kommt dir das nicht etwas seltsam vor? Der einzige Mann, mit dem ich wirklich etwas hatte, wird bei dieser Hetzkampagne gegen mich total abgeschirmt und mit keinem Wort erwähnt. Überaus interessanter Zufall, oder?“
 

Sergio schwieg eisern, doch Andres drückte leicht ihre Hand um zu verstehen zu geben, dass er ihre Theorie verstanden und durchaus für möglich hielt, auch wenn es ihn mehr als nur erschütterte.
 

„Es ist absurd mir vorzuwerfen, ich hätte Iker nur ausnutzen wollen, wenn wir doch beide zu beginn genau das bekommen haben, was wir wollten.“
 

„Und was wäre das gewesen? Einen Hengst fürs Bett?“
 

Lena zuckte zusammen, als hätte sie ein Peitschenschlag mitten ins Gesicht getroffen. Angewidert verzog sie das Gesicht und blickte Sergio nur kopfschüttelnd an.
 

„Nein, so würde ich es nicht sagen, aber bei dir besteht ein Satz sowieso nur aus Subjekt, Prädikat, Objekt und Beleidigung, da sollte es mich nicht wundern. Aber eine Frage hätte ich da doch: Gibt’s das nicht auch noch etwas niveauvoller?“
 

Lenas bissige Bemerkung brachten ihr nur ein wütendes Schnauben von Sergio ein, der die Hände zu Fäusten geballt hatte und sich anstrengen musste um nicht handgreiflich zu werden. Damit hatte Lena aber auch schon erreicht, was sie hatte erreichen wollen: Mit dieser Bemerkung fühlte sie sich wieder selbstsicherer, bereit nun ihre Geschichte zu erzählen, bei der sie diese neu gewonnene Sicherheit sicherlich dringen brauchen würde.
 

To be continued
 

Iker muss in diesem Kapitel sehr viele schlimme Dinge hinnehmen, denn seiner Meinung nach hat Sergio sein Vertrauen wirklich schändlich verraten und ihm das zu verzeihen, sollte er es jemals schaffen, wird ein hartes Stück arbeit werden. Besonders erschreckt ist er aber über Sergios Ansicht, dass es ihm eigentlich gut tun sollte, Lena so am Boden zu sehen. Ihr Leid zu sehen, nach dem Grundsatz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Was sagt ihr dazu? Kann man Sergios Ansichten unter Umständen sogar verstehen oder war es durch und durch „böse“?
 

Selbstverständlich wird dann im zweiten Teil des Kapitels nicht nur Lenas Geschichte erzählt, sondern auch, wie Sergio Bojan überhaupt so hatte hinters Licht führen können, immerhin haben Andres und Carles auf die Nachfrage mit „ja“ geantwortet und da muss der Andalusier sich ja ganz geschickt angestellt haben… Oder Bojan selten dämlich, je nachdem… Ihr werdet sehen. Und natürlich ist trotz dieser recht leicht erscheinenden Lösung nichts so, wie es erscheint… ;)
 

Habt ihr denn erkannt, was Lena in diesem Kapitel erfahren hat und was sie dazu bringt sich näher an Andres zu schmiegen? Dies ist eine der „Enthüllungen“ gewesen, die ich euch für dieses Kapitel versprochen hatte. Fehlt nur noch der Grund. Die Frage nach dem „Warum“. Vorschläge und Ideen immer an mich… ^^
 

Auch wenn Lena gerade in einer gefühlsmäßigen Achterbahn steckt, konnte ich es mir doch nicht verkneifen wieder einmal einen Teil ihrer Schlagfertigkeit und Selbstsicherheit zur Schau zu stellen. Zwar stehen ihr diesmal weder Clemens, noch Tim, noch Schweini gegenüber, aber bei so einem Kerl wie Sergio passt das eigentlich auch ganz gut, finde ich. Sie braucht es halt einfach. Und was sagt ihr zu ihrem Spruch?

A look through my eyes

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

So, nun ist es soweit, das fünfzigste Kapitel ist fertig und es ist das aller, aller längste in der bisherigen Geschichte von „Happy ohne ende“ und wird dies vermutlich auch erstmal auf unbestimmte Zeit bleiben, denn an diesem Kapitel habe ich echt sehr lange geschrieben, weil ich sicher gehen wollte fast alle bis jetzt offenen Fragen zum Barcelona-Abschnitt mit diesem Kapitel endgültig geklärt zu haben. Nur die Sache mit Bojan und den Zimmergenossen Lenas muss noch bis zum nächsten Kapitel warten, aber ansonsten müssten eigentlich alle Fragen geklärt worden sein… Sollten doch noch welche Auftauchen: Bitte melden, auch mir kann mal was entgehen… ;)
 

Vielen, vielen Dank an Sunny, ich kann es nicht oft genug sagen.
 

„Stell dir einfach mal vor, du wärst ein Sprinter, der noch ganz am Anfang seiner Karriere steht. Voller Hoffnung auf Erfolg und felsenfest davon überzeugt, dass das nächste Rennen nur gut ausgehen kann für dich. Und in diesem Rennen geht es um die Goldmedaille für dich, um die sportliche Unsterblichkeit.“
 

Lena war sich sicher, dass jeder hier im Raum die Situation verstehen würde, die sie gerade heraufbeschworen hatte. Alle waren sie Sportler, alle kannten sie den Druck und die Erwartungen, die vor einem wichtigen Spiel oder in diesem Fall einem wichtigen Rennen, auf dem Betreffend lasteten. Sie wussten aber auch, dass der eigene Ehrgeiz und der Traum das zu erreichen, was man sich schon so lange so verzweifelt wünscht, noch viel stärker auf der eigenen Seele lasteten. Sie konnten sich alle in den Sprinter hineinversetzen. Alle, bis auf Sergio.
 

„Was hat ein scheiß Sprinter mit dir und Iker zu tun?“
 

Die blonde Psychologin konnte einen leisen Seufzer nicht unterdrücken. Es kam ihr so unwirklich vor hier vor einem Großteil der spanischen Nationalmannschaft zu stehen und ihnen mithilfe eines Vergleiches zu erklären, warum sie letztendlich genau die Entscheidungen getroffen hatte, die sie nun mal eben gefällt hatte. Trotz der Störung von Sergio versuchte Lena sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen, schmiegt sich aber noch etwas näher an Andres, der ihr halt geben sollte, während sie ihre Geschichte vortrug.
 

„Das erkläre ich dir gleich noch. Versuch einfach, dich in diesen Sprinter hinein zu versetzen, mehr verlange ich gar nicht von dir, Sergio.“
 

Brummig nickte der Verteidiger und auch alle anderen im Raum versuchten sich in diesen jungen Sprinter hinein zu versetzen, auch wenn sie den Sinn dieser Aktion nicht erahnen konnten.
 

„Und nun stehst du so rum, bist eigentlich noch gar nicht bereit mit den anderen um die Wette zu laufen, aber auf einmal musst du losrennen. Lossprinten. Einfach so, ohne Vorbereitung, ohne alles. Aber du bist schnell, du bist gut und du hast Chancen das zu erreichen, was du dir so sehr wünschst.“
 

Einen Augenblick schaute Lena zu Boden. In den Köpfen der Jungs ging es im Augenblick noch um eine Medaille, einen dämlichen Pokal, in ihrem Kopf jedoch tauchten andere Bilder auf. Bilder, die sie eigentlich schon seit Ewigkeiten endgültig zu verdrängen versuchte. Erfolglos.
 

„Dann aber siehst du einen deiner Mitstreiter fast neben dir. Du kannst in seinen Augen erkennen, dass er nicht mehr weiter kann, dass seine Kräfte nachlassen um weiter zu kämpfen. Aber du siehst auch den unbändigen Willen den Preis zu gewinnen. Schließlich ist es alles, was ihr euch beide ersehnt.“
 

Wieder machte Lena eine kleine Pause, in der die Spieler versuchen konnten nachzuempfinden, was zu diesem Zeitpunkt wohl in beiden Sprintern vorgegangen sein konnte. Sicherlich, so konnte Lena es sich zumindest blendend vorstellen, erinnerten sich einige an der Finale der Europameisterschaft, in dem die Spanier letztendlich gegen die ausgelaugten Deutschen als Sieger hatten vom Platz gehen dürfen. Die Gesichter ihrer geschlagenen Kontrahenten hatten sie jedoch bestimmt nicht vergessen. Sie wussten, wie der andere Sprinter schaute, so viel war gewiss.
 

Was Lena ihnen aber nun zu sagen hatte, hatte nichts mehr gemein mit den traurigen, geschlagenen Deutschen, die sich als faire Verlierer gezeigt hatten, nein, Lenas Stimme war bitter, fast noch so, als konnte sie gar nicht so recht glauben, was da geschehen war. Was sie als nächstes würde sagen müssen.
 

„Tja, und dann nimmt die Sehnsucht überhand und du merkst, wie dich jemand berührt, dich stößt, du verlierst die Kontrolle über deinen Körper, stolperst noch ein paar Schritte und fällst dann.“
 

Unwillkürlich hatten ein paar der Fußballer die Augen geschlossen, so als wären sie es gerade, die auf der Tartanbahn aufschlagen würden- auf hinterhältige Weise all ihrer glorreichen Chancen beraubt. Vielleicht hätte die junge Deutsche gar nichts mehr sagen müssen, doch sie hielt es für besser die Gefühle des Sprinters in Worte zu fassen und sie nicht der Fantasie ihrer Zuhörer zu überlassen.
 

„Der Aufschlag kommt unerwartet, er ist so hart, dass du dein Bewusstsein verlierst. Für eine kurze Zeit herrscht nichts anderes in dir als die Leere. Und die Dunkelheit. Aber so kann es nicht für immer bleiben, du wachst auf und merkst mit einem Mal, dass du ein Krüppel bist.“
 

Man konnte die Bitterkeit in Lenas Stimme hören und Iker war sich fast sicher, dass sie sie auch selbst in ihrem mund würde schmecken können. Eine Bitterkeit, die ihr einmal vor langer, langer Zeit den Appetit verdorben hatte und die auch manchmal immer noch zum Vorschein kam. Die Bitterkeit darüber ein vermeintlicher Krüppel zu sein.
 

„Die Ärzte sagen dir, dass es nicht so bleiben muss, dass du irgendwann wieder laufen können wirst, wenn du es nur stark genug willst und lange genug übst. Deine Freunde sollen dir dabei helfen, mit dir trainieren, damit du irgendwann wieder fitt genug bist um erneut um die Medaillen zu kämpfen. Und genau das ist eines deiner Probleme: Du erträgst die Blicke der Leute in der Heimat nicht, du erträgst es nicht zu sehen, wie genau der Konkurrent, der dich gefoult hat, damit durchkommt und vor deinen Augen stolz mit der Medaille herumläuft. Schlicht und ergreifen: Du erträgst das alles um dich herum nicht mehr und so verlässt du alles und jeden um Abstand zu gewinnen.“
 

Scheiße, die Erinnerungen taten mehr weh, als sie gedacht hatte. So hatte sie es eigentlich nicht geplant, aber was war seit ihrer Ankunft in Deutschland auch schon nach Plan verlaufen? Unauffällig versuchte Lena sich über die Augen zu wischen, sie wollte nicht, dass man sie wegen bloßen Erinnerungen weinen sah. Es war ja immerhin endgültig vorbei und eigentlich schon seit Jahren verheilt- nur mit dem kleinen Unterschied, dass sich über diese Wunde nur eine dünne, pergamentartige Haut gebildet hatte. Eine, die schneller einriss als alles andere und die noch langsamer wieder zusammenwuchs. Wenn überhaupt.
 

Überrascht sah Lena zur Seite, als sie spürte, wie Andres kurz ihre Hand drückte. Sein Blick war klar, doch kein Lächeln zierte sein sonst oft fröhliches Gesicht. Er hatte verstanden, weil er die Geschichte schon kannte. Oder zumindest einen kleinen Teil von ihr. Und den Rest konnte er sich denken, der Katalane war ja nicht dumm
 

„Dort, an diesem anderen Ort, baust du dir ein neues Leben auf. Ohne die, die gesehen haben, wie du gestürzt bist. Als Krüppel mit deiner Behinderung. Die Menschen dort kennen dich nicht anders, sie akzeptieren es. Und sie üben mit dir. Und du schöpfst neue Hoffnung, versuchst endlich wieder zu laufen, zu kämpfen.“
 

In jedem einzelnen Gesicht konnte Lena die Anstrengung erkennen ihren Worten zu folgen, all die Bilder zu sehen, die sie für sie heraufbeschwor. Die Spanier versuchten es redlich und Lena war wirklich froh, dass Sergio sich seit dem Beginn ihrer Erzählung nicht ein Mal eingemischt hatte. So machte er ihr es leichter zu erzählen und damit schneller zum springend Punkt zu kommen, der Antwort auf all die Fragen würde geben können. Doch vorher musste sie noch andere Schritte gehen, sonst war es zu schnell, deswegen holte die Psychologin auch tief Lauft und fuhr fort:
 

„Und es klappt, Schritt für Schritt kannst du wieder gehen. Und naiv wie du bist, versuchst du es mit einem Wettlauf, so aus Spaß. Und du scheiterst, bevor es überhaupt angefangen hat, weil die Kraft noch nicht reicht. Ihr einigt euch darauf, es nicht wieder zu versuchen.“
 

Vorsichtig glitt Lenas Blick zu Xavi, der sie aufmerksam musterte. Nichts an seiner Miene ließ erkennen, ob er verstanden hatte, was sie zu sagen versucht hatte oder nicht. Letztendlich war es auch nicht so wichtig, denn die Geschichte war noch nicht zu ende und so besann Lena sich wieder auf das Wesentliche: Die Gefühle des Sprinters.
 

„Eigentlich willst du es mit keinem mehr versuchen. Du hast aufgegeben und abgeschlossen mit deinem Leben als Sprinter. Du bist zufrieden wieder ohne fremde Hilfe gehen zu können, das reicht dir vollkommen aus. Weil du Angst hast. Panische Angst. Angst, wieder zu fallen. Wieder so verdammt hart zu fallen, denn du weißt, dass du dieses Mal nicht wieder aufstehen wirst. Dafür fehlt dir einfach die Kraft und das weißt du. Deswegen verzichtest du lieber. Aus purer Angst.“
 

Gegen Ende des Satzes war Lenas Stimme bloß noch ein Flüstern, kaum vernehmbar für diejenigen, die weiter von der Deutschen entfernt standen. Doch diejenigen, die nah genug an ihr dran waren, um ihr ins Gesicht zu sehen, erkannten, wie sehr sie in der Rolle des ängstlichen, verzweifelten Sprinters aufging. Ihre Gesichtszüge hatten haargenau die Form angenommen, die sie sich auch bei ihrem tief enttäuschten Sprinter vorgestellt hatten. Trotzdem sprach Lena weiter, ein klitzekleines Lächeln umspielte ihr Gesicht, so als würde sie nun zu einem erfreulicheren Abschnitt der Geschichte kommen.
 

„Und dann tritt ein neuer Trainingspartner in dein Leben. Er ist nicht anders als alle anderen. Eigentlich. Aber aus irgendwelchen dir unbekannten Gründen ist er auch behindert. Du weißt nicht wie, du weißt nicht wodurch. Es interessierte dich aber auch herzlich wenig, weil du dich endlich mal verstanden gefühlt hast. Und er hilft dir deine Angst zu überwinden.“
 

Wieder herrschte einen kurzen Augenblick stille, bevor Lena sich selbst korrigiert, so als ob sie eben zu sehr in Gedanken gewesen wäre, um ihren Fehler zu bemerken.
 

„Ihr helft euch gegenseitig, ohne irgendwelche Versprechen zu machen, denn ihr wisst beide, dass ihr diese Versprechen unter Umständen nicht werdet halten können. Also lieber ganz ohne Versprechen, dann tut es auch nicht so weh, wenn man hinterher wieder fällt.“
 

Keiner der Jungs musste ein Genie sein um diese Taktik wieder zu erkennen, die zwar in der Theorie schön und gut war, in der Praxis jedoch meistens in irgendeiner Art und Weise fehlschlug. Das hatten die meisten Spieler im Raum sogar schon einmal am eigenen Leib erfahren, so dass sie umso gespannter waren, wie es „ihrem“ Sprinter mit seinem neuen Trainingspartner ergehen würde.
 

„Du merkst, wie du mit der Zeit besser wirst und wie deine Angst vor einem erneuten Rennen um die Medaillen abnimmt. Du freust dich über diese Fortschritte, siehst aber auch, dass deinen lieb gewonnenen Trainingspartner etwas bedrückt. Dass DU ihn behinderst und ihm Schmerzen zufügst. Was würdest du tun?“
 

Lena sah Sergio erwartungsvoll an. Sie hatte ihre Geschichte erzählt, jetzt war es an ihm ihr Antworten zu geben.
 

„Wenn er mir wirklich so ein guter Freund geworden wäre, dann würde ich aufhören mit ihm zu trainieren. Ich könnte nicht zusehen, wie er leidet und ihn dabei noch mehr quälen.“
 

Wissend nickte Lena, eine andere Antwort hatte sie von dem Andalusier nicht erwartet, doch trotzdem befreite ihn das nicht von einer weiteren Nachfrage.
 

„Auch, wenn du ganz genau wüsstest, dass es dich unter Umständen zurück werfen könnte?“
 

„Auch dann. Ich lasse meine Freunde nicht im Stich, ich verteidige sie und selbst wenn es mir persönlich weh tut, würde ich ihnen doch nie absichtlich Schmerzen zu fügen.“
 

Ohne zu zögern waren die Worte aus Sergios Mund gesprudelt und sein Blick war währenddessen zu Iker gewandert, der jedoch weiterhin unverändert nur stumm dastand und Lena gebannt zuhörte, so als wäre sie Shearazade aus tausendundeiner Nacht. Das hielt die Blondine aber nicht davon ab weiter auf den Andalusier einzugehen und so flüsterte mit unterdrückter Stimme:
 

„Auch, wenn du wüsstest, dass es ihn verletzen würde?“
 

„Auch dann. Ich würde es zu seinem Wohl tun. Irgendwann würde er mich sicherlich verstehen.“
 

Sergios Blick in Ikers Richtung wurde eindringlicher, er wollte, dass sein bester Freund ihn verstand, dass er verstand, dass all dies nur zu seinem Wohl geschehen war, auch wenn er es jetzt vielleicht noch nicht sehen konnte. Er wollte Ikers Vergebung, um jeden Preis. Deswegen spielte er auch Lenas kleines Spiel mit und beantwortete geduldig jede einzelne Frage, egal wie oft sie sich nun schon wiederholt hatte.
 

Ein kleines, verhaltenes Lächeln zierte mittlerweile wieder die Züge der Psychologin und mit einer Stimme, die sie sonst nur für ihre Patienten reserviert hatte, murmelte sie:
 

„Ja, so handelt wirklich nur jemand, der seinen Trainingspartner tatsächlich gern hat und ihm nicht wehtun will. Er nimmt den kurzen Schmerz in Kauf, um ihn vor langem Schmerz und schwerer Enttäuschung zu schützen. Alles andere wäre auch selbstsüchtig und egoistisch, nicht?“
 

„Si!“
 

Wieder schien die Antwort Lena zu befriedigen, zumindest sah Sergio das Lächeln ein kleines bisschen größer werden und so langsam fragte sich der Verteidiger, was die junge Frau mit ihrer Erzählung eigentlich bezweckte. Doch bevor er überhaupt einen weiteren Gedanken daran verschwenden konnte, erklang auch schon wieder die fragende Stimme der Deutschen.
 

„Und würdest du nach diesem Verlust sofort wieder anfangen zu trainieren? Ehrgeizig deine Ziele verfolgen? Oder würdest du dir die Zeit nehmen das alles zu verarbeiten?“
 

„Ich könnte nicht gleich wieder laufen, das brächte ich nicht über mich.“
 

„Genau.“
 

„Und was hat dieser ganze Scheiß nun mit dir und Iker zu tun?“
 

Sergio konnte einfach nicht mehr an sich halten, dieses Psychogelaber von einem Sprinter und seinem Sturz ging ihm furchtbar auf die Nerven und er sah absolut keine Verbindung zwischen ihren verachtenswerten Taten und diesem armen Kerl, der so übel gefoult worden war. Lenas Antwort jedoch schockierte den Verteidiger:
 

„Du hast gerade die letzten Jahre meines Lebens durchlebt. Und verstanden. Ich war dieser Sprinter. Ich habe um meine erste große Liebe gekämpft und bin durch ein übles Foul ziemlich hart gefallen. Auf den Boden der Realität. Ich war ein emotionaler Krüppel und habe die Stadt verlassen, in der ich so viele schöne, aber auch diese schlimmern Momente erlebt habe, weil ich die Blicke meiner Freunde einfach nicht mehr ertragen habe. Und natürlich den Anblick meiner Konkurrentin mit dem Mann meines Herzens an ihrer Seite.“
 

Hatte die kleine Schwester des „Lutschers“ eben bereits gedacht, dass diese Gedanken wehtäten, so übertraf die direkte Nennung der Tatsachen den eben empfundenen Schmerz noch bei weitem. Keiner konnte sich auch nur annähernd vorstellen, welche Qualen sie damals in Mailand durchlitten und wie schlecht sie sich gefühlt hatte, denn keiner von ihnen war dabei gewesen. Und selbst wenn, dann hätten auch sie nur die starke, freundliche Fassade zu sehen bekommen, die sie allen anderen dort auch gezeigt hatte. Vor keinem hatte sie Schwäche zeigen wollen, selbst bei Paolo hatte sie sich geschämt, auch wenn er ihr immer wieder versichert hatte, dass es nichts mit Schwäche zu tun hatte, wenn man wegen Liebeskummer weinte. Doch auch seine Worte hatten sie nicht trösten können, genauso wenig wie Lionels, der als sie als einziger neben Paolo und nun auch Torsten über ihre verlorene Liebe hatte weinen sehen. Und natürlich Per. Per durfte sie nicht vergessen, auch vor ihm hatte sie sich geöffnet und es bisher nicht bereut, auch wenn sie nicht mehr genau wusste, warum sie den langen Innenverteidiger nicht genauso wie die anderen belogen hatte. Wahrscheinlich war sein Lächeln schuld gewesen, ja, ganz bestimmt, Pers Lächeln hatte sie von einer weiteren Lüge abgehalten. Und somit irgendwie auch ihr Gewissen ein kleines bisschen reiner gelassen. Ein kleiner Fleck weniger auf einem bereits ziemlich fleckigen Gewissen.
 

„In der neuen Stadt habe ich neues Glück in der Liebe gesucht, es aber nicht gefunden. Mein erster zaghafter Versuch ist gescheitert, so wie der des Sprinters. Und dann kam Iker in mein Leben. Er war dieser Trainingspartner. Durch das, was wir beide miteinander erlebt und geteilt haben, habe ich gelernt wieder Lieben zu können. Mich nicht weiterhin vor der Liebe, der großen Liebe, zu fürchten.“
 

Jetzt war es an dem Madrilenen überrascht auszusehen, denn so langsam verstand er nicht nur, was diese Geschichte mit dem Sprinter auf sich hatte, sondern auch, warum Lena sich überhaupt erst auf eine Affäre mit ihm eingelassen hatte, wo doch beiden klar gewesen war, dass da zumindest anfänglich keinen großen Gefühle und Liebesschwüre zu erwarten gewesen waren. Sie hatte vergessen und neu lernen wollen und dieses Unterfangen hatten sie ohne sein direktes Wissen gemeinsam begonnen. Und dann war das alles irgendwie fürchterlich schief gegangen, weil er sich nicht an die Abmachung gehalten hatte- und Lena es gemerkt hatte. Schöne Scheiße!
 

„Und dann hast du gemerkt, dass ich mehr von dir wollte, als du bereit warst zu geben. Und du wolltest mich mit der Trennung vor dem Schmerz bewahren, der später unweigerlich schlimmer geworden wäre.“
 

„Ja. Es war keine leichte Entscheidung, das musst du mir glauben, aber es war die einzig richtige, die ich für mich und für dich treffen konnte.“
 

Es schwang eine Aufrichtigkeit in ihrer Stimme mit, die Iker nicht an ihren Worten zweifeln ließ. Sie hatte ihm damals wehgetan, ihn verlassen, weil sie geahnt hatte, dass es mit der Zeit nur noch schlimmer werden würde. Denn sobald selbst nur schwach vorhandene Gefühle Zeit hatten sich zu etwas Größerem zu entwickeln, taten sie es häufig auch. Zumindest bei ihm- nur bei ihr nicht. Und das tat weh. Tierisch weh und deshalb konnte der Torhüter nicht anders als seine nächsten Worte resigniert und verletzt klingen zu lassen.
 

„Ich war keine Medaille für dich, oder? Du wärst nicht wieder gegen andere angetreten, wenn es nur mich als Preis gegeben hätte, oder?“
 

In Lena tobte der altbekannte Kampf, ob es besser war, dem Torwart die Wahrheit zu sagen und ihn dadurch nur noch mehr zu verletzen oder aber durch eine Lüge sein Ego zu schonen und ihm ein kleines bisschen Schmerz zu ersparen. Wieder war es eine dieser Situationen, in denen eine Lüge weniger schmerzen würde als die brutale Wahrheit, doch Lena fand nicht das Herz um Iker direkt ins Gesicht zu lügen, wo er doch die Antwort auf seine Frage selbst schon kannte und jede ihrer Lügen sofort erkannt hätte. Eine Lüge hätte ihm vielleicht höchstens geholfen sein Gesicht vor den anderen Nationalspielern zu wahren, aber mittlerweile war es die Psychologin so Leid zu lügen nur um das Gesicht wahren zu können, so dass sie sich für eine ehrliche Antwort entschied.
 

„Nein, wäre ich nicht. Das hat aber nichts mit dir zu tun, sondern eher mit meiner Angst. Ich hatte damals einfach noch nicht den Mut um wieder anzutreten.“
 

„Hast du ihn denn jetzt wieder?“
 

„Wenn ich das wüsste, Iker. Wenn ich das wüsste.“
 

Lena hasste es normalerweise, wenn sie auf Fragen keine Antworten hatte, aber an diesem durch und durch unnormalen Tag war es nicht so schlimm auf Ikers Frage keine Antwort zu wissen. Es war irgendwie auf eine groteske Art und Weise sogar beruhigend gerade auf diese Frage keine Antwort zu wissen, denn hätte sie mit „ja“ oder „nein“ geantwortet, so hätte sie sich auch die Frage stellen müssen, warum sie es seitdem nicht mehr versucht hatte und dieser Frage wollte sie sich lieber nicht stellen. Nicht jetzt, zumindest. Ein anderes Mal würde sie sich darüber Gedanken machen, Gedanken machen müssen, aber nicht heute, nicht nach all diesen anstrengenden Gesprächen und den schmerzhaften Wahrheiten.
 

Trotzdem ließ Iker keine Ruhe.
 

„Ich weiß, wie du es herausfinden kannst: Du musst es ausprobieren. Du musst dich der Herausforderung stellen und sehen, wie du damit zu Recht kommst, denn wenn ich mir etwas aus unserer Beziehung erhoffe, dann, dass ich dich geheilt habe. Und wenn schon nicht geheilt, dann wenigstens soweit wieder zusammengeflickt, dass du wieder antreten kannst. Jeder verdient eine zweite Chance.“
 

Er wirkte so überzeugt und Lena konnte beim besten Willen nicht verstehen, wie ein Mann, dessen Herz sie scheinbar in über tausend Stücke gebrochen hatte, noch so liebevoll und zuversichtlich mit ihr und über sie sprechen konnte als wäre sie ein durch und durch guter Mensch und nicht diese wirklich verkorkste Frau, die eigentlich tief in ihrem Inneren war. Aber vielleicht lag es auch einfach daran, dass man die Menschen, die man liebte, niemals so sah, wie sie wirklich waren, diese Meinung hatte zumindest einer ihrer Professoren vertreten und unter Umständen war da sogar was Wahres dran.
 

Iker war während seiner Rede und des kurzen Schweigens im Raum jedoch noch eine andere Idee gekommen, warum Lena seit diesen Ereignissen nicht mehr wirklich um ihre Liebe gekämpft haben mochte und diese Theorie erschreckte den Kapitän der spanischen Nationalmannschaft so sehr, dass er unbedingt eine Antwort auf seine Frage brauchte, auch wenn er sie nur ganz leise aussprechen konnte, aus Angst, allein durch die laute Aussprache würde sie sich bewahrheiten.
 

„Oder würdest du nur wieder antreten, wenn du die Chance hättest, den Mann von damals endlich für dich zu gewinnen? Deine große, erste Liebe?“
 

Gespannte Stille erfüllte den Raum und zum wiederholten Male waren alle Blicke auf Lena gerichtet, die nervös auf ihrer Unterlippe kaute und überlegte, wie sie Iker am besten erklärte, was gerade in ihr vorging.
 

„Ich weiß es nicht, Iker. Aber ich bin auch bei meinem Bruder um das herauszufinden. Ich will mein Leben wieder in Ordnung bringen, damit es endlich wieder tatsächlich mein Leben ist und nicht das einer Fremden, die ich morgens im Spiegel nicht mal mehr erkenne.“
 

„Dann war das hier der erste wichtige Schritt in dein neues Leben, Lena.“
 

Es fiel Iker unglaublich schwer dies zu sagen, denn ein neues Leben für Lena hieße für ihn auch endgültig Abschied nehmen von der Vergangenheit. Einer Vergangenheit, die er gern in eine Zukunft umgewandelt hätte, hätte man ihm nur eine kleine Chance gelassen. Kein Kampf war zu schwer, wenn man nur einen Fünkchen Hoffnung besaß.
 

„Nein, den ersten wichtigen Schritt bin ich bereits gegangen, bevor ich hierher kam, aber dies hier könnte der dritte wichtige Schritt sein, wenn du mir verzeihen könntest.“
 

Überraschung zeichnete sich auf den Gesicht des Madrilenen ab, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihn nach all diesen Erklärungen noch um Vergebung bitten würde. Er hatte ja verstanden, dass sie ihn nur vor sich selbst hatte beschützen wollen und daraus wollte er ihr keinen Strick drehen. Trotzdem kam ihn die Floskel „Vergeben und Vergessen“ nicht über die Lippen, deshalb versuchte er Lena seine Gefühle zu erklären.
 

„Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass es nicht mehr weh tut. Aber ich weiß, dass man Gefühle nicht erzwingen kann. Und es auch niemals versuchen sollte. Wenn man Liebe nicht bedingungslos geben und nehmen kann, dann ist es keine Liebe, sondern ein Handel. Das Leben ist nun einmal nicht fair, das wissen wir beide und deswegen gibt es nichts zu verzeihen, wenn man versteht. Und ich verstehe jetzt, warum du damals gegangen bist. Und auch, warum du mir diese eine Nacht zum Abschied geschenkt hast. Danke.“
 

Schweigen. Fassungslos schaute Sergio seinen besten Freund an, der eben der Frau, die ihm im übertragenen Sinne das Herz aus der Brust gerissen hatte, für ihre Taten gedankt hatte. So langsam zweifelte der Andalusier an der geistigen Gesundheit seines Freundes, denn dieses Verhalten war nicht normal. Sein Verhalten konnte man erklären, auch wenn man es nicht wirklich verstehen musste, aber wie sollte man eine solche Großherzigkeit und so viel Verständnis gegenüber einem Menschen erklären, der einem so viel Schmerz zugefügt hatte?
 

Alle anderen Spieler schienen ebenfalls überrascht und beeindruckt von der Aussprache zwischen Iker und Lena, die soeben vor ihren Augen stattgefunden hatte. Ihnen allen war klar, dass vor ihnen keine Heiligen standen, sondern ganz normale Menschen, die beileibe nicht perfekt waren und das auch nie von sich behauptet hatten. Die verzerrten Bilder, die die Zeitungen von einem männermordenden Vamp namens Lena gezeichnet hatten, verschwammen vor den Augen der Fußballer und ersetzt wurden sie durch das Bild einer junge Frau, die bereit war sich zu öffnen, aber auch zu verteidigen, je nachdem, was gefragt war. Sie war kein Unschuldslamm, das hatte ihre verquere Beziehung mit Iker bewiesen, aber sie war auch kein schlechter Mensch. Und genau deswegen stellte Andres auch die alles entscheidende Frage:
 

„Aber warum hast du Lena das angetan, Sergio? Ist dir eigentlich klar, dass sie indirekt deinetwegen vor Gericht steht?“
 

Vor Überraschung weit aufgerissene Augen zierten die Gesichter der meisten spanischen Spieler, bis auf Andres, Carles, Xavi und Lena hatte bisher noch niemand die Puzzelteile zusammengesetzt, so dass sie das rechte Bild ergaben.
 

„Damit habe ich nichts zu tun, Andres. Wirklich nicht.“
 

„Bist du etwa nicht zur Presse gelaufen und hast sie angeschwärzt? Hast sie von der Journaille durch den Dreck ziehen lassen? Du hast gesagt, dass Iker sich doch freuen soll, dass ihr Leben seit der Trennung den Bach runter geht. Nach all dem, was wir von dir gehört haben, sollen wir dir jetzt glauben, dass du nicht hinter dieser Pressehetzjagd steckst?“
 

„Nein. Und wenn ich damals schon gewusst hätte, wie die Sache wirklich ist, dann hätte ich es doch niemals soweit kommen lassen.“
 

In Sergios Augen spiegelte sich so etwas Ähnliches wie Reue wieder, doch Lena war sich nicht ganz sicher, ob sie es sich nicht vielleicht doch einbildete, weil es genau das war, was sie sehen wollte: Ehrliche Reue von dem Mann, der ihr Leben während der letzten Monate auf den Kopf gestellt hatte. Die Blondine konnte sich einfach nicht mit dem Gedanken abfinden, dass es Menschen geben konnte, die für ihre schlechten Taten keine Reue empfanden. Das war unmenschlich und doch verrieten Sergios Worte, dass er seine Menschlichkeit noch nicht verloren hatte.
 

„Es tut mir Leid, Lena, dass ich dir all diese schrecklichen Dinge angetan habe. Dass du meinetwegen hast Spanien verlassen müssen. Jetzt weiß ich, dass du es nicht verdient hast.“
 

Es fiel dem Andalusier sichtlich schwer dieses Eingeständnis zu machen, doch ihm war vollkommen bewusst, dass er nicht nur alles verlieren würde, wenn er sich nicht reumütig zeigte, nein, eine kleine Stimme in seinem Kopf sagte ihm auch, dass eine Entschuldigung das einzig Richtige war, was er noch tun konnte. Trotzdem konnte er die Anklage, er sei Schuld an der Hetzjagd gegen die Psychologin des FC Barcelona, nicht auf sich sitzen lassen.
 

„Aber du musst mir glauben, dass ich nie auch nur ein Wort über dich zur Presse gesagt habe.“
 

„Dann bist du also völlig unschuldig an all den Artikeln, die Lenas Liebesleben auseinander genommen haben, ja?“
 

Zum ersten Mal an diesem Tag erhob Carles Puyol, der Abwehrspieler und Kapitän des FC Barcelona, das Wort und überrascht wandten sich alle Augen auf den Lockenkopf, der bisher nur ruhig an Lenas Seite gestanden und zugehört hatte. Auch Sergio wirkte ein wenig verunsichert, ließ jedoch seine Antwort so fest wie möglich klingen:
 

„Nein, ich behaupte nicht, dass ich unschuldig bin, denn das bin ich nicht, aber ich habe die Sache nicht angefangen und auch nie mit dem Journalisten gesprochen, der den aller ersten Artikel geschrieben hat.“
 

„Aber du weißt wer es war. Und warum, oder Sergio?“
 

Die ruhige, klare Stimme des Katalanen stand vollkommen im Gegensatz zu der mittlerweile wieder angeheizten Stimmung, doch das schien keiner der Jungs zu bemerken, viel zu gespannt warteten sie auf Sergios Erwiderung. Immerhin hatten alle Spanier bis auf die wenigen Legionäre die Berichterstattung über Lenas angebliche Affären mit mehr oder weniger Interesse verfolgt und waren nun natürlich gespannt, wer hinter diesen gezielten Attacken steckte.
 

„Ja. Ja, ich weiß, wer es war.“
 

„Dann raus mit der Sprache! Welches Schwein hat ihr das angetan.“
 

Andres’ aufgebrachte Stimme durchschnitt den Raum und diesmal war es an Lena, leicht die Hand des Mittelfeldspielers zu drücken, damit er ruhig blieb und sich zurückhielt. Schließlich wollten sie alle die Antwort des andalusischen Verteidigers hören.
 

„Eva.“
 

Ungläubig schnaubte Iker und meinte dann nur leicht verwirrt:
 

„Eva? Aber wieso?“
 

„Weil sie dich geliebt hat, Iker. Aus ganzem Herzen. Wir sind uns wenige Tage nach deiner Trennung von Lena zufällig begegnet und da hat sie mich gefragt, wie es dir ginge und ob du glücklich wärst mit deiner geheimnisvollen Frau, gegen die sie nicht hatte ankommen können.“
 

Es schien Sergio wirklich berührt zu haben diese Eva so traurig gesehen zu haben, doch das erklärte noch lange nicht, was das eine mit dem anderen zu tun haben sollte. Nun war es jedoch an Sergio die gesamte Geschichte zu erzählen und keiner wagte auch nur ein bisschen lauter zu atmen.
 

„Sie wirkte so unheimlich traurig, aber auch so aufrichtig besorgt um dich, da habe ich ihr erzählt, dass ihr beide nicht mehr zusammen seid. Ich habe ihr erzählt, wie sehr du leidest und wie abscheulich Lena sich verhalten hat. Und sie kam dann auf die Idee, Lena für deinen Schmerz bezahlen zu lassen. Sie meinte, dass sie dich ganz genau kennen würde und dass du von dieser Idee ganz begeistert sein würdest.“
 

Das Gesicht des „Königlichen“ verzog sich zu einem humorlosen Lächeln, das treffend ausdrückte, was er mittlerweile von dieser Interpretation hielt.
 

„Ich war zuerst skeptisch, aber einen Tag später trafen wir uns erneut und sie hatte den Plan perfekt ausgearbeitet: Die Presse würde die ganze Arbeit übernehmen und der Welt zeigen, wie Lena wirklich ist. Sie sagte, damit könnte man viele andere Männer vor einem ähnlichen Schicksal bewahren und deshalb stimmte ich zu. Ich hatte dich am Boden gesehen, das wollte ich verhindern, wenn es sich denn verhindern ließ. Also habe ich Eva freie Hand gelassen und sie hat alles weitere geregelt.“
 

Was genau „alles weitere“ umfasste musste Sergio nicht weiter ausführen, denn selbst die im Ausland spielenden Fußballer konnten sich so ungefähr denken, in welche Richtung diese Eva alles manipuliert haben musste. Ein richtiges Biest.
 

„Kam dir nie der Gedanke, dass irgendwann auch Schluss sein musste?“
 

„Doch, natürlich. Mehrmals sogar, aber jedes Mal hatte Eva eine perfekte Begründung, warum wir weiter machen mussten und irgendwann war es dann zu spät, um es aufzuhalten. Wir hatten keine Kontrolle mehr.“
 

Der Abwehrmann stand mit hängenden Schultern da und versuchte niemandem ins Gesicht zu schauen. Er hatte immerhin gemerkt in welche Richtung die Berichterstattung umschlug und hatte nichts getan um es zu verhindern, bis es zu spät gewesen war. Aber diese Schuld traf nicht nur ihn, sondern auch seine „Komplizin“ und Sergio hatte keine Ahnung, wie es ihr mit dem Gedanken ging Lena nicht nur vor Gericht, sondern sogar außer Landes getrieben zu haben. Wahrscheinlich viel besser als ihm im Augenblick, weil sie die Wahrheit nicht kannte, im Gegensatz zu ihm. Es war leicht selbstgerecht zu sein, wenn man fest davon überzeugt war richtig zu handeln, hatte man seine Fehler aber einmal erst vor Augen geführt bekommen, erwies sich die Sache als schwieriger.
 

„Wenn ihr von einer Eva sprecht, dann meint ihr doch hoffentlich nicht Eva Maria Perez Soler, oder?“
 

Das Gesicht des Mittelfeldzauberers des FC Barcelona war ein kleines bisschen blasser geworden, als er seine Frage ausgesprochen hatte, doch es war nichts im Vergleich zu der Blässe, die er nach der Antwort erreichen sollte.
 

„Doch, genau die meinen wir. Woher kennst du sie?“
 

„Sie war meine Jugendliebe. Wir waren relativ lange zusammen, trennten uns aber kurz nachdem-“
 

Jetzt schluckte Iniesta schwer, so als wollte er seinen Gedanken nicht zu ende führen und schon gar nicht für alle hörbar aussprechen. Trotzdem gab er sich einen Ruck und beendete den Satz.
 

„-Lena nach Barcelona kam. Eva mochte sie noch nie, sie hat mir immer wieder vorgeworfen, ich würde sie hinter ihrem Rücken mit Lena betrügen. Diese Eifersucht wurde immer schlimmer und hat mich irgendwann so wahnsinnig gemacht, dass ich einen Schlussstrich gezogen habe. Es ging nicht mehr anders.“
 

Für Andres waren die Erinnerungen an das Ende seiner ersten großen Liebe ebenso unangenehm wie sie für alle anderen gewesen waren, die bisher über ihre Erlebnisse gesprochen, doch das hinderte die anderen nicht, näher nachzufragen. Und diesmal war es ausgerechnet Iker, der in Andres’ Wunde herumstocherte um Licht ins Dunkel zu bringen. Dabei hätte doch mittlerweile, fand Andres, jeder Depp auf die Zusammenhänge kommen müssen. Trotzdem beantwortete er Ikers Frage geduldig.
 

„Und Eva hat Lena die Schuld gegeben, oder?“
 

„Genau. Es war eine hässliche Szene, als sie Lena damals mit ihrem angeblichen Wissen konfrontiert hat. Seitdem sehen wir uns nur noch sporadisch, aber ich weiß, dass sie Lena immer noch hasst.“
 

Ein lautes Klatschen erfüllte den Raum und die Fußballer konnten gerade noch sehen, wie Sergio seine Hand wieder von seinem Gesicht nahm. Vermutlich hatte er sich selbst geschlagen, weil er gemerkt hatte, wie sehr ihn dieses Biest namens Eva manipuliert hatte. Und wie freudig er ihren Manipulationen gefolgt war!
 

„Also hatte das alles gar nichts mit ihren Gefühlen zu Iker zu tun? Hat sie die Situation nur ausgenutzt um endlich ihre Rache an Lena nehmen zu können?“
 

„Nein, das glaube ich nicht. Durch ihre Beziehung mit Iker hatte sie ihren alten Status als Spielerfrau wieder, das war ihr immer das wichtigste: Einen reichen und berühmten Mann an ihrer Seite zu haben. Solange war es gut und ihr Hass auf mich war irgendwo versteckt, als Iker ihr aber von der anderen Frau erzählt hatte und sie vermutlich herausgefunden hatte, dass ausgerechnet ich die andere war, kochten die alten Gefühle wieder hoch, diesmal aber noch gemischt mit der Abfuhr, die sie deswegen von Iker erhalten hatte.“
 

Lenas Erklärung klang plausibel, doch das machte die Angelegenheit nicht einfacher und genau zu diesem Schluss kam auch Carles mit seiner unerschütterlichen Ruhe.
 

„Eine gefährliche Mischung.“
 

Und auch Sergio begriff immer mehr, welche anderen Gedanken noch hinter Evas Plan gesteckt hatten, es waren nicht nur „simple“ Rachegedanken einer eifersüchtigen Frau gewesen, sondern noch viel mehr.
 

„Sie wollte dich aus dem Land haben, damit du ihr nicht noch einmal die Tour vermasselst.“
 

Einen Augenblick herrschte Totenstille im Gemeinschaftsraum der spanischen Nationalmannschaft. Alle Anwesenden standen noch viel zu sehr unter Schock, als dass sie alles, was sie während der letzten Stunden gehört hatten, schon richtig hätten verarbeiten können. Es war einfach viel zu viel gewesen, doch unter Strich zählte aus dieser ganzen Konversation und nur eins und Andres war derjenige, der es als erster auf den Punkt brachte:
 

„Und letztendlich hat sie ihr Ziel ja erreicht: Du hast Barcelona und Spanien verlassen. Damit hat Eva freie Bahn.“
 

Die Verbitterung in seinen Worten konnten alle fast schon schmecken und auch wenn einige der Mannschaft den ruhigen, in sich gekehrten Katalanen nicht ganz so gut kannten wie andere, so ahnten sie doch alle, dass er sich selbst für das Debakel mitverantwortlich machte.
 

Und da Lena ihren langjährigen Freund besser kannte als viele andere und wusste, wie sehr er sich mit diesen neuen Erkenntnissen quälen würde, nahm sie ihn sanft in den Arm und flüsterte leise:
 

„Ja, ich habe Barcelona verlassen, aber nicht endgültig. Ich komme wieder. Ich weiß zwar noch nicht wann, aber ich werde wieder kommen, das verspreche ich dir, Andres.“
 

To be continued
 

Ähm, ja, das hier ist normalerweise die Stelle, an der ich euch zig Fragen stelle und auf ganz, ganz viele Besonderheiten aufmerksam mache, aber irgendwie habe ich gerade keine Ahnung, wo ich da anfangen soll… Wahrscheinlich am Besten am Anfang, aber da ich das nicht hinkriege, müsst ihr mit meinen Gedankensprüngen leben… ;) Könnt in euren Kommentaren ja eure eigene Ordnung aufbauen.

Für Lena war diese lange Erzählung über den Sprinter sehr, sehr anstrengend und ohne Andres und Carles an ihrer Seite hätte sie das alles niemals überstanden, aber hat es ihr nun wirklich geholfen sich das alles Mal von der Seele zu reden? Was denkt ihr? Oder hat sie sich mit diesen Offenbarungen nur noch verletzlicher gemacht?

Und seid ihr am Anfang überhaupt mit diesem Gleichnis klar gekommen? Eigentlich sollte es relativ schnell durchschaubar gewesen sein, aber vielleicht war es da ja auch nur für mich, weil ich die ganze Zeit wusste, um wen es hier geht... Und wie lief es mit dem Einfühlen in den armen Sprinter? Ging es oder war es zu absurd?

Was sagt ihr zu Iker? Dafür, dass viele in ihm den Teufel in Persona sehen wollten, hat er aber doch irgendwie ein Herz aus Gold. Finde ich zumindest, denn auch wenn es ihm weh tut Lena gehen zu lassen und sogar mit der Tatsache leben zu müssen, dass er für sie niemals DER Mann war, so versteht er sie jetzt besser und reagiert wie ein wirklich toller Mensch. Und seine Aussage, dass Liebe ohne das Geben und Nehmen ein Handel ist, halte ich für sehr weise (Ja, ich weiß, ich habe es geschrieben, also sollte ich auch so darüber denken, aber trotzdem… ^^)

Tja, und zu Sergio passt die rolle des abgrundtief bösen Bösewicht auch nicht mehr. Nicht, nach seiner Entschuldigung und nach den Enthüllung, dass er eher gutgläubig in die ganze Sache hinein manipuliert worden ist. Das macht seine anderen Verfehlungen zwar auch nicht besser, aber es tut gut zu wissen, dass kein Mensch ALLEIN absichtlich so grausam sein kann.

Was uns wiederum zu Eva Perez Soler führt, einer Frau, die aus gekränktem Stolz und Eifersucht rücksichtslos ziemlich viel kaputt gemacht hat. Es gab eine unter euch, die schon vor längerem die Vermutung geäußert hat, dass diese ganze Geschichte nicht ohne eine Frau auskommt, die im Hintergrund die Fäden zieht et voilà, hier ist sie. Und außer den bereits angeführten Gründen hält euch ausnahmsweise nichts davon ab aus ganzem Herzen über sie zu fluchen.

Nettes Biest

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Gedankenverloren lief Lena durch die Hotelanlage der deutschen Nationalmannschaft. Sie konnte jetzt noch nicht wieder rein gehen, ertrug nicht schon wieder feste Wände und Mauern um sich herum, wo doch vor kurzer Zeit erst ein Großteil ihrer eigenen, inneren Wände gewaltsam eingerissen worden war. Von einem Mann, mit dem sie noch nie mehr als drei Sätze gesprochen hatte aus Gründen, die sie im Nachhinein zwar verstehen, aber trotzdem nicht einfach so verzeihen konnte.
 

Ja, Gesellschaft war das Letzte, was die junge Psychologin jetzt wollte und auch wenn sie ganz genau wusste, dass es besser war über das, was gerade eben geschehen war, zu reden, so hatte sie ihrer Ansicht nach für einen Tag mehr als genug geredet. Die Geständnisse gegenüber Torsten, dann Bojan und schließlich noch Iker- das waren genug verletzte Menschen für nicht einmal 24 Stunden.
 

Die Mittagszeit war schon lange verstrichen und Lena konnte sich gut vorstellen, dass Torsten mittlerweile fast krank vor Sorge war, weil er sich ausmalte, was ihr im Quartier der Spanier alles hätte passieren können, aber sie konnte sich einfach nicht dazu bringen sich darum zu kümmern. Nicht jetzt, nicht, wo sie doch selbst noch so viele Dinge für sich zu durchdenken hatte. Zum Beispiel Sergios Erklärung, wie er Bojan überhaupt erst in diese Falle hatte locken können und aus welchen Gründen Andres und Carles diesen Trick nicht durchschaut hatten.
 

"Wieso hat Bojan geglaubt, dass ich eine Affäre mit dir hatte? Ausgerechnet mir dir! Und wieso habt ihr es bestätigt? Andres? Carles?“
 

Eine Weile herrschte ratloses Schweigen, bis Sergio sie mit einem schiefen Lächeln ansah und leise anfing zu erklären.
 

„Sie haben schlicht und ergreifend geglaubt, dass der Kleine von dir und Iker spricht und nicht von dir und mir. Ein klassisches Missverständnis.“
 

Sergio machte eine Handbewegung die andeuten sollte, dass er mit der ganzen Sache eigentlich gar nichts zu tun hatte, doch sein Gesichtsausdruck sprach Bände, so dass Carles nur etwas säuerlich festenstellte:
 

„Aber sicher für dich nicht ganz so ungelegen.“
 

„Nein, deswegen habe ich diesem kleinen „Missverständnis“ auch ein wenig auf die Sprünge geholfen.“
 

Das klang schon eher nach dem Sergio Ramos, den Lena während der letzten Stunden kennen gelernt hatte. Das klang nach dem Sergio, der noch geglaubt hatte, dass sie eine ziemlich kaltherzige Schlampe war, die es nicht besser verdient hatte.
 

„Aber wie? Wie hast du dieses „Missverständnis“ geplant? Wie kann man die „Missverständnisse“ anderer Leute überhaupt planen?“
 

Man merkte Andres an, dass es ihm ganz und gar nicht gefiel an der Nase herum geführt worden zu sein. Und noch schlimmer war für ihn womöglich die Tatsache, dass es nur durch seine „Dummheit“ soweit gekommen war, dass Bojan so ausgerastet war. Der stille Katalane ging hart mit sich ins Gericht und Lena konnte sehen, wie er sich die Schuld gab für etwas, was er wahrscheinlich gar nicht hätte verhindern können. Erst Eva, jetzt das, behutsam griff Lena nach seiner Hand und drückte sie leicht.
 

„Oh, das war überraschend einfach. Wobei ich zugeben muss, dass mir der Zufall zu Hilfe gekommen ist. In Form von Pep Guardiola.“
 

Überraschte Blicke richteten sich auf den Andalusier, der all die Aufregung gar nicht verstehen konnte. Lena war die erste, die diese Überraschung über diese Enthüllungen in Worte fassen konnte:
 

„Was hat Pep mit der ganzen Sache zu tun?“
 

„Oh, eine ganze Menge. Gestern Abend nach dem Spiel hörte ich zufällig, wie er sich mit jemandem unterhielt und erwähnte, dass du ebenfalls in München bist- um genau zu sein, dass du im Hotel der Deutschen bist und für sie arbeitest. Frag mich nicht, mit wem er gesprochen hat, mir war’s egal, ich hatte, was ich brauchte.“
 

Selbstverständlich interessierte es Carles, Andres und Lena brennend, mit wem Pep am Telefon über sie und ihren Aufenthaltsort gesprochen haben mochte, doch sie waren sich sicher, dass Sergio es nicht wissen konnte. Das hinderte sie aber nicht daran diese Information im Hinterkopf zu behalten, damit sie Pep bei ihrem nächsten Treffen danach würden fragen können.
 

„Der Rest war spielend leicht. Nach unserer frühen Strafeinheit bin ich einfach neben dem Kleinen langgegangen und habe ganz zufällig natürlich ein Gespräch mit ihm angefangen. Über das gestrige Spiel und so. Was man halt unter Kollegen so bespricht.“
 

„Sehr subtil, das muss man dir lassen.“
 

Die leise Anerkennung, die in Lenas Stimme mitschwang, irritierte nicht nur den Verteidiger der „Königlichen“, sondern alle anderen gleichermaßen, weswegen Sergio schnell fortfuhr:
 

„Genau, und ganz zufällig habe ich dann deinen Namen fallen lassen und natürlich ist dein kleines Schoßhündchen sofort darauf angesprungen. Er wollte wissen woher ich wüsste, dass du hier bist und was ich überhaupt mit dir zu schaffen hätte.“
 

Wieder trat dieses kleine, selbstzufriedene Funkeln in Sergios Augen und jeder der Anwesenden wusste, dass er mit der Aktion mehr als nur zufrieden war. Was er dann auch deutlich machte.
 

„Eine bessere Steilvorlage hätte er mir gar nicht liefern können, glaubt mir. Also erzählte ich ihm, dass ich gestern Abend bei dir gewesen sei, um den Frust über das verlorene Spiel los zu werden. Du kannst dir seine Reaktion sicherlich vorstellen… Er hat mich angeschrieen ich wäre ein Lügner und wollte sich gar nicht mehr beruhigen, bis ich ihm so ein paar pikante Details aus unserer heißen Affäre berichtet habe.“
 

„Details, die du von Iker hattest und von denen du wusstest, dass nur meine allernächsten Freunde die Wahrheit wissen konnten.“
 

Das Verstehen setzte bei Lena langsam ein, doch der Rest schien immer noch genauso ahnungslos wie zuvor, weshalb Sergio mit gedämpfter Stimme weiter erzählte.
 

„Naturalemente. So langsam fing er an mir zu glauben. Woher sollte ich auch all diese intimen Details haben, wenn nicht direkt von dir? Und sobald ich merkte, dass er mir aus der Hand frisst, habe ich ihm erzählt, dass unsere kleine Affäre keine Zukunft haben wird, weil ich dich dort mit einem anderen Spieler sozusagen in flagranti erwischt habe.“
 

Sergios Lächeln und die immer noch anhaltende Freude über Bojans Reaktion störten Lena und die anderen gewaltig, doch wollte keiner irgendetwas tun um den Redefluss des Verteidigers zu unterbrechen. Sie waren alle viel zu gespannt auf den Fortgang der Ereignisse und wie Sergio es nun geschafft hatte die beiden engen Freunde der Deutschen so zu täuschen, dass sie dem Andalusier in die Karten spielten.
 

„Glaub mir, sein Gesichtsausdruck war unbezahlbar. Es hat mich einiges an Willenskraft gekostet nicht laut loszulachen. Wäre die Situation eine andere gewesen, hätte ich fast gedacht man hätte ihm sein Lieblingskuscheltier weggenommen, was an sich ja gar nicht so falsch ist, oder?“
 

„Du erwartest doch nicht wirklich eine Antwort auf diese Frage, oder Sergio?“
 

„Nein, nicht wirklich. Aber weiter im Text. Ich berichtete ihm also haargenau, was passiert ist und was vorher mit uns war. Und wie sehr es mich schmerzt einsehen zu müssen, dass du doch nicht die Frau bist, für die ich dich immer gehalten habe.“
 

Lena ahnte, was Sergio mit seinen Worten hatte bezwecken wollen, ließ es sich aber lieber noch einmal bestätigen.
 

„Du hast ihm in diesem Moment aus der Seele gesprochen.“
 

„Selbstverständlich, das war auch meine Absicht, obwohl ich sagen muss, dass er seine Wut über ein paar meiner Ausdrücke nicht besonders gut im Griff hatte, aber sei’s drum, ich hatte ihn da, wo ich ihn haben wollte- am Rande seines ganz persönlichen Abgrunds. Leider war mir klar, dass ich ihm den letzten Stoß nicht selbst verpassen konnte, das wäre zu unglaubwürdig und viel zu leicht gewesen. Es musste jemand anderes sein, jemand-“
 

„-dem Bojan bedingungslos glauben und vertrauen würde.“
 

Leise pfiff Sergio durch die Zähne und wieder stahl sich ein lachen auf seine Lippen, das Lena einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen ließ.
 

„Du hast eine schnelle Auffassungsgabe, Lena. Ja, ich musste Andres und Carles irgendwie dazu bekommen meine Geschichte zu bestätigen, was sich auf den ersten Blick als unheimlich schwer erwies. Schwerer zumindest, als Bojan wütend zu machen und zu überzeugen, dass du eine Hure bist. Aber auch da kam mir der Zufall zur Hilfe.“
 

So, wie Sergio es klingen ließ, war es viel weniger Zufall als viel mehr präzises Timing, was Lena dem Andalusier durchaus zutraute, so genau, wie er bisher immer zu Werke gegangen war.
 

„Noch vor Trainingsbeginn hatte ich Iker gebeten Bojan ein paar aufmunternde Worte mit auf den Weg zu geben, da er nach dem Spiel so geknickt aussah, und wie der Zufall es nun wollte, kam gerade Iker an unserem kleinen Versteck vorbei, als ich mit meiner Show fertig war.“
 

„Du hast mich benutzt?“
 

Der empörte Aufschrei des spanischen Nationaltorhüters beeindruckte keinen der Zuhörer und so ging Sergio nicht weiter auf den Einwurf seines besten Freundes ein, auch wenn es ihm unangenehm war seine Frage zu bejahen.
 

„Si. Während du mit Bojan über das Spiel und seine Leistungen geplaudert hast, habe ich-“
 

Diesmal fiel Andres dem jungen Mann ins Wort.
 

„-hast du uns gesagt, dass Iker Bojan alles über seine Affäre mit Lena erzählt, weil er der Meinung wäre, dass er ein Recht darauf hätte es zu erfahren.“
 

„Den Rest kann ich mir schon selbst zusammen reimen. Als Andres und Carles dann Iker und Bojan in ein Gespräch vertieft sahen, bei dem Bojan am Boden zerstört ausgesehen hat, habt ihr beiden eins und eins zusammen gezählt, so wie Sergio es euch bereits angekündigt hatte.“
 

Auf Lenas Worte hin nickten die beiden Spieler im Dienste des FC Barcelona nur betroffen, während Carles leiser anfügte:
 

„Wir haben uns keine Gedanken gemacht, dass Sergio davon wusste, immerhin ist er Ikers bester Freund. Wir waren ihm eher dankbar, dass er uns vorgewarnt hatte und wir uns überlegen konnten, wie wir Bojan am Besten begegnen.“
 

„Und als er uns dann gefragt hatte, ob es stimmt, was er erzählt hätte, haben wir einfach angenommen, dass dieser „er“ eben Iker wäre und haben es bejaht.“
 

Andres sah Lena hilflos an, so als wollte er sie für diesen Fehler um Verzeihung bitten, Dabei gab es doch gar nichts zu verzeihen. Sie waren hereingelegt und manipuliert worden. Und das scheinbar von einem Meister seines Fachs. Und genau so fasste Lena das Ergebnis dann auch noch zusammen.
 

„Und daraufhin hat Bojan sich daran erinnert, dass Sergio ihm sogar gesagt hatte, wo ich mich derzeit aufhalte und er hat sich auf dem Weg dorthin gemacht. Und das Ergebnis sehen wir hier.“
 

Wäre die Situation nicht so verdammt ernst gewesen, hätte Lena vielleicht sogar darüber lachen können, wie schnell so Missverständnisse entstehen konnten. Nur dass die Situation ernst war und diese „Missverständnisse“ eben alles andere als zufällig, sondern geplant waren. Trotzdem konnte Lena nicht anders als von Sergios Subtilität und Einfallsreichtum fasziniert zu sein, denn gerade diese Manipulation anderer Menschen war ein interessantes Gebiet der psychologischen Forschung und sie war schon immer eine Frau gewesen, die Geheimnisse hatte enthüllen wollen. Und normalerweise war sie sehr gut darin anderer Leute Geheimnisse aufzudecken, vermutlich, weil sie selbst so viel Übung im Geheimnishüten hatte und wusste, zu welchen Maßnahmen verzweifelte Menschen greifen würden, wenn sie ein Geheimnis um jeden Preis bewahren wollten. Bisher hatte sie in dieser Rubrik nur zwei Mal in ihrem Leben versagt und beide Male hatte es eine Katastrophe ohne gleichen heraufbeschworen. Das war wirklich motivierend.
 

Ohne auf die Uhr zu sehen wusste Lena, dass es Zeit war ins Hotel zurück zu kehren und sich den neugierigen Blicken und Fragen der Jungs zu stellen, die garantiert dort auf sie warten würden. Zu Lenas Überraschung waren sowohl der Speisesaal als auch der provisorische Gemeinschaftsraum leer, was die Blondine mehr als nur verwunderte. Auch im medizinischen Bereich waren nur Klaus und Hans-Wilhelm zu sehen, die beide zwar neugierig schauten, jedoch zu Lenas Freude kein Wort über den morgendlichen Zwischenfall verloren.
 

Im gesamten Hotel schien kein einziger Spieler der deutschen Nationalmannschaft zu finden zu sein und so entschloss Lena sich die Suche für den Moment aufzugeben und sich auf ihr Zimmer zu begeben. Sicherlich hatte Joachim Löw ein letztes Training vor der Abreise angesetzt und deshalb war keiner der Jungs anwesend- ein Glück für Lena. Erschöpft ließ sich die Blondine auf ihr Bett fallen und in Windeseile war die kleine Schwester des „Lutschers“ auch schon eingeschlafen. Die anstrengenden Stunden des Vormittags hatten halt doch ihre Spuren hinterlassen.
 

Erst lautes Gepolter auf dem Flur weckte Lena auf und ein kurzer Blick auf den Wecker, den sie auf ihrem Nachttischchen positioniert hatte, sagte ihr, dass es mittlerweile Zeit fürs Abendessen war, was ihr Magen mit einem lauten Knurrgeräusch nur bestätigte. Den ganzen Tag, oder zumindest seit ihren missglückten Frühstücksversuch, hatte sie nichts mehr gegessen und das machte sich jetzt bemerkbar.
 

Verschlafen schlurfte Lena zur Tür und streckte den Kopf heraus um zu sehen, wer da so einen Lärm veranstaltet hatte und nicht ohne ein kleines bisschen Schadenfreude konnte Lena beobachten, wie Tim Wiese auf allen vieren über den Hotelflur krabbelte, um seine Sachen einzusammeln, die ihm augenscheinlich aus dem geplatzt am Boden liegenden Koffer gefallen waren. Doch die junge Wahl-Spanierin war nicht die einzige, die das Schauspiel amüsiert beobachtete, an der gegenüberliegenden Wand lehnte der andere Tim und musste sich ein ebenfalls ein Grinsen verkneifen, als er Lenas schadenfrohes Lächeln sah. Aus seiner Sicht war es mehr als verständlich, dass sich Torstens kleine Schwester über das Missgeschick ihres Keepers amüsierte, immerhin wäre es anders herum nicht anders gewesen.
 

Durch das laute Gefluche des Bremer Torhüters aufgescheucht worden, steckten auch die Bewohner der Nebenzimmer neugierig ihre Köpfe aus der Tür und so erkannte Lena, dass sie die ganze Zeit nicht nur gegenüber der beiden Tims gewohnt hatte, sondern auch neben Per und Clemens, sowie Timo und Christoph, die jetzt alle grinsend dabei zusahen, wie Tim seine in alle Himmelsrichtung verstreuten Kleider wieder aufhob und in einen derangiert aussehenden Koffer stopfte, der bestimmt ein zweites Mal unter der Last zusammenbrechen würde.
 

Einen Augenblick überlegte Lena, ob sie noch weiter dort stehen bleiben und dem lustigen Treiben der Bremer Nummer Eins zuschauen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Sie und Tim Wiese waren zwar definitiv nicht die besten Freunde und ihre kleinen Duelle hatten es in sich, aber trotzdem wollte Lena nicht länger tatenlos dabei zusehen, wie Tim auf der Erde herumkroch, während alle anderen nur leise kicherten. Vielleicht hatte der Solarium gebräunte Torwart es verdient, vielleicht auch nicht, das war jetzt nicht von Belang.
 

Gerade heute hatte sie deutlich vor Augen geführt bekommen, wie wichtig der Rückhalt von Freunden und auch von Fremden sein konnte. Deswegen fasste sie sich ein Herz, suchte schnell in ihrem Zimmer nach einer großen Plastiktüte und kniete sich dann ebenfalls auf den Boden um Tims verstreute Sachen einzusammeln. Denn von der Entfernung zwischen den einzelnen Teilen zu urteilen, war dies nicht nur ein kaputt gegangener Koffer, sondern auch ein paar tatkräftige Fußballerfüße, die vermutlich „aus Versehen“ mit Tims Sachen Fußball gespielt hatten. Wie die Kleinkinder, war alles, was Lena dazu dachte.
 

Ihre Hilfsaktion überraschte alle Anwesenden und erst jetzt bekam der gegeelte Keeper mit, wie viele Zuschauer er eigentlich hatte. Doch statt unter der künstlichen Bräune rot zu werden, weil es ihm peinlich war so von seinen Kollegen gesehen zu werden, ging Tim Wiese sofort in den Verteidigungsmodus über.
 

„Sag mal, habt ihr sie noch alle hier blöd herumzustehen und zu glotzten statt mir zu helfen?“
 

Diese wütende Frage ging vor allen Dingen an seine Teamkollegen, die nur mit den Achseln zucken konnten. Sie wollten ganz bestimmt nicht diejenigen sein, die ihrem leicht reizbaren Torhüter offenbarten, dass er Ziel eines typischen Schweini und Poldi Streich geworden war, denn diese beiden hatten seinen Koffer irgendwie so präpariert, dass er unweigerlich kaputt gehen musste. Und damit sämtliche Kleider und vor allen Dingen Pflegeprodukte des Torhüters offen herum fliegen würde- ein Streich, über den man sich noch sehr lange Zeit kaputt lachen würde, wenn man bedachte, was Tim Wiese normalerweise alles mit sich herum schleppte, nämliche einige Pflegeprodukte, die man eher bei Frauen als bei Männern sah, was Wasser auf den Mühlen der „Frau Wiese“ Verfechtern war.
 

„Und was machst du hier?“
 

Die Frage war definitiv an Lena gerichtet, die gerade eine von Tims Boxershorts in der Hand hielt und sie kritisch musterte.
 

„Falls du es noch nicht mitbekommen hast: Ich helfe dir deine Klamotten wieder einzusammeln.“
 

„Doch, ich bin ja nicht dumm.“
 

Die zweifelnde Blicke, die Tim von allen Seiten zugeworfen bekam, machten ihn nur noch wütender. Nichts desto trotz fuhr er ungerührt fort:
 

„Ich wollte eher wissen, wieso du mir hilfst, während der Rest meiner Freunde es nicht tut.“
 

Mit einer abwertenden Geste deutete Tim auf alle anderen, die immer noch an die eine- oder andere Wand gelehnt dastanden und das Spektakel neugierig beäugten. Auch sie waren gespannt auf Lenas Antwort, denn sie waren sich wirklich nicht sicher, warum die kleine Schwester des „Lutschers“ ausgerechnet Tim half. Jeder wusste doch, dass die beiden schon im Bremen immer wieder aneinander geraten waren und dabei nicht nur Freundlichkeiten ausgetauscht hatten. Doch das war für Lena im Augenblick zweitrangig, auch wenn sie sich eine kleine Spitze in Tims Richtung nicht verkneifen konnte.
 

„Ob du es nun glaubst oder nicht, Tim, hin- und wieder kann auch ich ein nettes Biest sein.“
 

Lenas süffisantes Lächeln unterstrich die Aussage und sie erntete viel Gelächter von den anderen, Tim jedoch nickte nur verstehend und sammelte zusammen mit Lena die restlichen Klamotten ein. Immer noch lächeln übergab die Psychologin ihre Tüte an den Torhüter, der so aussah, als wollte er dringend etwas loswerden, wüsste aber noch nicht genau, wie er es anstellen sollte.
 

Leise, damit niemand sonst ihn hören konnte, flüsterte er Lena zu:
 

„Das ändern aber nichts an den Tatsachen, ist das klar? Ich mag dich immer noch nicht und wir sind keine Freunde, verstanden?“
 

Diesmal musste Lena ein Grinsen unterdrücken, denn sie war sich ziemlich sicher, dass sich am heutigen Tage so einiges geändert hatte- auch ihre Beziehung zum Werderaner Keeper. Aber das musste sie ihm ja nicht sofort auf die Nase binden, schließlich genoss sie ihre kleinen Wortduelle mit ihm.
 

„Wie sollte ich auch was anderes denken, Tim? Ich bin und bleibe schließlich in deinen Augen immer noch ein Biest, ein nettes zwar, aber trotzdem noch ein Biest.“
 

Unter den wachsamen Augen der Nationalspieler ging Lena wieder zurück in ihr Hotelzimmer und begann zu packen, damit sie am Ende des Tages, nach dem Abendessen versteht sich, zusammen mit Torsten und den anderen Bremer in den Flieger Richtung „Heimat“ steigen konnten, was sie auch ohne zu zögern und ohne einen Blick zurück zu werfen tat. Ihre Zeit in München war abgelaufen, jetzt musste sie lernen mit all den Veränderungen, die diese Zeit bei der Nationalmannschaft mit sich gebracht hatte, zu leben, damit sie sobald wie möglich nach Barcelona zurückkehren konnte. Immerhin hatte sie es versprochen. Und sie war bereit alles zu tun, um dieses Versprechen einhalten zu können.
 

To be continued
 

So leicht war es also Bojan dazu zu bringen Lena aufzusuchen. Und aus den genannten Gründen haben Andres und Carles ihm sogar noch zugestimmt. Das alles letztendlich nur, weil sich keiner von ihnen die Mühe gemacht hat die Dinge mal beim Namen zu nennen. Sonst wäre dieses ganze Drama niemals in gang gekommen, hätten die Beteiligten ihr Hirn eingeschaltet und einfach planlos irgendetwas angenommen, nur weil es sich für sie logisch anhörte. Klassische Missverständnisse. Aber war es für euch denn nachvollziehbar, wie Sergio das alles nun hat einfädeln können?

Andres fühlt sich furchtbar schuldig, erst wegen der Sache mit Eva und nun hat er sich auch noch von Sergio reinlegen lassen und Lena damit unbewusst „Schaden“ zugefügt. Das ist wirklich kein guter Tag für den Katalanen und er wird sich bestimmt nicht nur bei Lena dafür entschuldigen, sondern auch bei Lionel, denn wenn der von diesen Geschehnissen erfährt, dann Gnade Bojan Gott, denn Lionel wird ihm garantiert die Leviten lesen, ob manipuliert oder nicht. Wäre das denn in eurem Interesse?

Ja, Lena hat ein großes Herz, in dem auch sonst so fiese Torhüter ihren Platz finden, steinigt mich dafür bitte nicht, aber ich konnte ehrlich nicht anders als diese beiden ausnahmsweise mal „etwas“ zivilisierter miteinander umgehen zu lassen. Schließlich ist Lena ja ein „nettes“ Biest und auch wenn Tim ihr wenigstens so ein kleines bisschen dankbar sein sollte, so wird er es ihr in nächster Zeit garantiert nicht zeigen. Wahrscheinlich eher das Gegenteil, macht euch also auf neue Duelle Wiese vs. Frings gefasst.

Die Zeit in München ist nun endgültig vorbei, wir machen uns wieder auf ins schöne Bremen und werden sehen, was das Leben dort für Überraschungen für Lena bereithält. Und wenn es vielleicht schon nicht das Leben ist, dann sind es zumindest die Männer, die immer wieder für frischen Wind sorgen werden.

You've got mail

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Ich habe heute von -Namichan- ganz, ganz viele tolle Kommentare bekommen, das letzte mit der Bitte, es möge doch recht schnell weitergehen. Und was soll ich sagen, dein Wunsch ist mir Befehl, Namichan.
 

Unruhig taperte Per durch seine Wohnung, vom Schlafzimmer in die Küche, dann ins Bad und schließlich ins Wohnzimmer, ohne einer Entscheidung auch nur irgendwie ein Stückchen näher zu kommen. Immer wieder glitt sein Blick aus dem Fester, die Sonne schien ungewöhnlich warm für Spätherbst und am Himmel waren meilenweit keine Wolken zu sehen, die Regen hätten mit sich bringen können. Eigentlich perfektes Wetter für einen Spaziergang unter Verliebten oder solchen, die es noch werden wollten. Eigentlich. Wenn man nicht von Natur aus eher feige war und sich deswegen nicht traute die Frau, mit der man den Tag am liebsten zusammen genießen wollte, zu fragen.
 

Mittlerweile war Per nun schon seit ein paar Tagen wieder in Bremen und seit er sich am Flughafen von Lena verabschiedet hatte, hatte er nichts mehr von ihr gehört. Zumindest nicht direkt. Torsten war so freundlich gewesen in seiner Anwesenheit regelmäßig zufällig irgendetwas über seine Schwester zu erzählen, doch das brachte ihn nicht weiter. Trotzdem hörte er aufmerksam zu, wenn sich sein Kapitän und dessen Vize unterhielten, immerhin hatte Frank Baumann ihm damals auch mehr oder minder verdeckt den Tipp gegeben, wo er Lena am besten unauffällig wieder sehen konnte. Und irgendwie hatte der Abwehrspieler gehofft, dass sein Mannschaftsführer ihm noch einmal den Stoß in die richtige Richtung gegeben würde, aber bisher war selbst der leiseste Tick ausgeblieben. Und das machte Per nervös. Er wusste nicht, wann Lena ihren Bruder wieder einmal vom Training abholen würde, damit sie sich wieder sehen konnten, und das nächste kleine Zusammentreffen bei Torsten lag noch in weiter Ferne, was hieß, dass er die Initiative ergreifen musste, wenn er sie bald wieder sehen wollte. Und das wollte der lange Innenverteidiger natürlich, er wusste halt nur noch nicht so ganz, wie er es anstellen sollte, ohne sich dabei bis auf die Knochen zu blamieren und sie dadurch komplett zu verschrecken. Er war halt einfach kein Charmeur, kein Clemens, der die Frauen allein mit einem Lächeln und einem Augenzwinkern zu allem überreden konnte. Er war nun einmal anders als sein bester Freund und er konnte nur hoffen, dass er Lenas Verhalten bisher nicht vollkommen falsch gedeutet hatte und sie ihn wenigstens ein Bisschen mochte. Oder eben auch ein bisschen mehr, wenn es nach ihm ginge.
 

’Mertesacker, jetzt reiß dich doch mal zusammen und schick diese blöde SMS ab. Was kann denn schon groß passieren?’
 

Normalerweise hätte Per schon längst Clemens angerufen und ihn um Rat gebeten, vielleicht hätte der Außenverteidiger ihm sogar diktiert, was er am besten schreiben sollte, damit die Frau seiner Träume auch tatsächlich antwortete, aber in diesem speziellen Fall konnte Per wohl schlecht bei seinem Freund nachfragen. Oder ihn bitten die SMS für ihn abzuschicken, weil er mal wieder nicht in der Alge war selbst auf den Sendeknopf zu drücken. Ja, Per wusste selbst, dass er sich wie ein pubertierender Teenager benahm, der seine allererste Flamme um ein Date bitten wollte, aber er konnte es nicht ändern. Jedes Mal, wenn es um Frauen im Allgemeinen oder um Lena im Speziellen ging, verlor er all die Selbstsicherheit, die auf dem Fußballfeld und vor den Kameras der Reporter ausstrahlte und verwandelte sich in den schlimmsten Hasenfuß, den man sich vorstellen konnte. Nicht gerade die Eigenschaft, die Frauen normalerweise an Männern anziehend fanden, dessen war Per sich sicher und aus diesem Gründe suchte er auch sonst immer Rat bei Clemens. Der konnte zwar seine Unsicherheit in Bezug auf die Frauenwelt nicht verstehen, half aber immer gerne mit seinen „professionellen“ Ratschlägen, die Per die meiste Zeit dann doch besser ignorierte, weil er schlicht und ergreifend zu schüchtern für die Fritz’schen Methoden war.
 

Aber Fritz’sche Methoden hin- oder her, sein bester Freund konnte ihm in dieser Situation auch nicht wirklich weiter helfen, deshalb musste er sich selbst Gedanken machen und vor allen Dingen auch den Mut aufbringen zu seinen Gedanken zu stehen. Denn auch wenn er jetzt noch für den ersten Schritt zu schüchtern war, so was er in Gedanken eigentlich schon viele Schritte weiter. Und da, wo er mittlerweile angekommen war, gefiel es ihm eigentlich ganz gut. Nur, dass er es erstmal in der Realität auch nur ansatzweise soweit bringen musste, ohne von Lena abgewiesen oder von Torsten gelyncht zu werden, auch wenn der Bremer Verteidiger seit dem Spanien-Spiel verhalten-optimistischen war, dass der „Lutscher“ ihn nicht schon bei der bloßen Vermutung einer Beziehung zwischen Lena und ihm kastrieren würde.
 

Mit dem Handy in der Hand und den Augen fest auf den kleinen Bildschirm gerichtet, tigerte Per weiter durch sein Wohnzimmer ohne darauf zu achten, wo er hinlief und so kam es, wie es natürlich kommen musste: Der 1,98m Mann stieß sich seinen Kopf an der frei herunterhängenden Lampe, die dadurch wild ins Schwingen geriet. Um einem weiteren Zusammenstoß auszuweichen, machte Per einen Hechtsprung zur Seite, bei dem er mit seinem Fuß genau das Tischbein seines Wohnzimmertisches traf.
 

„Verdammte Scheiße noch mal.“
 

Wütend und laut fluchend hüpfte Per auf einem Bein auf sein Sofa zu und rieb sich mit der freien Hand den schmerzend Fuß. Vorsichtig zog er den Socken aus, konnte aber nichts weiter erkennen, außer die Stelle, an der er und der Tisch miteinander kollidiert waren und die mittlerweile rötlich schimmerte. Zaghaft versuchte der Abwehrrecke aufzutreten und mit zusammengebissenen Zähnen schaffte er es auch bis ins Badezimmer, wo er seine Stirn nach der Beule absuchte, die sein Zusammentreffen mit der Lampe hinterlassen haben musste oder noch hinterlassen würde. Im Spiegel konnte er auch schon eine rote Stelle an seiner linken Stirn ausmachen, aus der sich bestimmt eine hässliche Beule entwickeln würde.
 

„Ach, das ist doch alles Scheiße heute. Wär’ ich man besser im Bett geblieben, damit hätte ich mir echt einiges erspart.“
 

Pers wütende Worte verhallten im Badezimmer und nur ganz zufällig glitt der Blick des Innenverteidigers über die Uhr, die ihm sagte, dass er in weniger als einer viertel Stunde am Weserstadion sein musste, wenn er nicht zu spät zum Training erschienen wollte.
 

Gehetzt humpelte Per durch seine Wohnung, griff nach seiner Trainingstasche und pfefferte sein Handy, das er bis eben noch in der Hand gehalten hatte, in eine der Seitentaschen, bevor er so schnell es ihm mit seinem Fuß möglich war die Stufen seiner Wohnung zu seinem VW Golf hinunter hechtete. Dabei bemerkte der Blondschopf jedoch nicht, dass das Handy durch den unsanften Aufprall in der Tasche auf „OK“ gegangen war und somit die SMS an Lena abgesendet hatte, über der er den gesamten Nachmittag gesessen hatte.
 

Derweil spielte Lena im Hause Frings mit ihren beiden kleinen Nichten im Sandkasten, als Petra ihr ihr kleines Mobiltelefon brachte, dass sie vermutlich auf dem Küchentisch hatte liegen lassen.
 

„Hier Lena, es hat die ganze Zeit vibriert, deswegen dachte ich mir, dass es was wichtiges sein könnte.“
 

Die Wahl-Spanierin lächelte ihre Schwägerin dankbar an und schaute neugierig auf den Absender der SMS. Die Nummer stand nicht in ihrem Telefonbuch, was Lena schon einmal stutzig werden ließ. Nur ihre engsten Freunde und Mitarbeiter hatten ihre private Handynummer, alles andere lief über die Nummer der Praxis und die einzigen, die ihr bisher, seit sie in Bremen war, geschrieben hatten, waren Paolo und ihre Jungs aus Barcelona gewesen. Niemand sonst. Diese neue Nummer bereitete der Psychologin Kopf zerbrechen, doch sie beschloss, die Vorsicht in diesem Fall über Bord zu werfen und zu lesen, was der Unbekannte von ihr wollte. Womöglich war ja alles gar nicht so, wie sie es in diesem Augenblick befürchtete.
 

Freudig überrascht war sie natürlich, als sie erkannte, dass Per sich von irgendwem ihre Nummer besorgt hatte und sie nun fragte, ob sie nicht noch Lust hätte nach dem Training mit ihr ein bisschen spazieren und vielleicht ein Eis essen zu gehen.
 

Zwar hatte sie für den späten Nachmittag etwas anderes geplant gehabt, aber das ließ sich wunderbar verschieben und die Blondine freute sich auf die Aussicht, ein Stündchen mit Per an der Weserpromenade entlang zu spazieren. Der lange Verteidiger war einfach ein wunderbarer Zuhörer und aus unerfindlichen Gründen hatte Lena ihm vom ersten Moment an, damals, als sie sich am Flughafen das erste Mal getroffen hatte, vertraut. Sonst hätte sie ihm auch niemals von der Geschichte ihres Medaillons und einigen anderen Dingen erzählte. Bei dem jüngeren Kollegen ihres Bruders fühlte sie sich einfach wohl, fast so wie bei Lionel, und nach all dem Chaos und den verwirrenden Gedanken, mit denen sie sich in der letzten Zeit herum geschlagen hatte, wollte sie diese Zeit mit Per einfach nur genießen. Ohne weiter darüber nachzudenken oder sie gar zu analysieren. Deswegen tippte sie schnell und ohne zu Zögern die Antwort in ihr Handy.
 

„Hey Per, schön von dir zu hören. Würde gerne mit dir noch ein wenig spazieren und vielleicht sogar ein Eis essen gehen. Haben uns in den letzten Tagen ja leider nicht mehr getroffen. Aber woher wusstest du, dass Stracciatella meine Lieblingssorte ist ;)? Lena“
 

Zufrieden steckte Lena ihr Handy in ihre Hosentasche und wandte sich dann wieder Lisa und Lena zu, die sie neugierig beobachtet hatten.
 

„Was ist ihr beiden, wollen wir weiter spielen oder wollt ihr mich weiter anstarren?“
 

Liebevoll fuhr Lena durch Lisas Haare, die das jedoch nicht wirklich ablenken konnte, auch wenn es Lena war, die als erste wieder das Wort ergriff.
 

„Weiter spielen natürlich-“
 

„-aber erst, wenn du uns gesagt hast, ob du Per gerade geschrieben hast.“
 

Überrascht schaute Lena von einem Mädchen zum anderen. Sie wäre nie im Leben darauf gekommen, dass ihre Nichten erkennen könnten, wer ihr geschrieben hatte. Normalerweise war sie nicht so leicht zu lesen und Torsten Töchter konnten ihren Gesichtsausdruck, wenn sie von Per eine SMS bekam, nicht kennen, da dies die erste gewesen war, die er ihr überhaupt geschrieben hatte. Und ihr normales Lächeln, wenn sie sich über eine Nachricht von Lionel oder den anderen freute, kannten sie auch nicht.
 

„Was hat mich verraten, meine beiden?“
 

„Also ist die SMS tatsächlich von Per?“
 

Lenas großen, ungläubigen Kinderaugen, die den ihren so ähnlich waren, brachten die Ältere zu lachen und die kleine Schwester des „Lutschers“ konnte einfach nicht anders als die jüngste Tochter ihres Bruder in den Arm zu nehmen und sie einmal an sich zu drücken, bevor sie etwas leiser antwortete:
 

„Ja, sie ist von Per. Er hat mich gefragt, ob ich nach dem Training noch ein bisschen mit ihm spazieren gehen und ein Eis essen würde.“
 

Bei diesen Worten hatten Lenas Wangen einen leichten rot Ton angenommen und sie vermied es einen der beiden anzusehen. Erst Lenas freudiger Ausruf brachte sie dazu wieder auf ihre Nichten zu achten.
 

„Super! Können wir da mit?“
 

Wieder versuchte Lena ihre Tante mit ihren großen Kulleraugen zu einem „Ja“ zu erweichen, denn sie wollte ihrem Per unbedingt den echten Per vorstellen, noch mal offiziell sozusagen. Und wenn das klappen sollte, musste ihre Tante sie mitnehmen. Außerdem war ein Eis jeden langweiligen Spaziergang wert.
 

Noch bevor Lena irgendetwas sagen konnte, trat auch schon Petra auf die drei zu und schüttelte streng mit dem Kopf.
 

„Nein Lena, ihr könnte da nicht mit. Per hat Lena eingeladen und nicht die ganze Familie, die beiden möchten bestimmt auch mal einen Moment allein sein.“
 

Lisa, die bisher ihrer Mutter nur still zugehört hatte, nickte leicht mit dem Kopf. Bestimmt hatte sie Recht, auch wenn Lisa zu gern mit ihrer Tante und Per ein Eis gegessen hätte, so gönnte sie den beiden auch die Zeit allein. Nur Lena wollte noch nicht aufgeben und versuchte es noch mal.
 

„Aber Mama, als wir zusammen im Kino waren, haben wir die beiden doch auch nicht gestört. Wir sind auch ganz lieb und hören auf Tante Lena.“
 

Alles Bitten und Betteln von Klein-Lenas Seite half nichts, Petra Frings blieb hart und ließ sich nicht von den traurigen Kinderaugen erweichen, die Lena eigentlich schon fast soweit hatten, dass sie ihre beiden Mäuschen mitgenommen hätte. Dabei konnte sich die Ehefrau des Bremer Mittelfeldakteurs ein leicht verschmitztes Grinsen nicht verkneifen. Sie hatte schon damals, als sie die beiden auf dem Wohnzimmersofa zusammen „erwischt“ hatten, das Gefühl gehabt, dass der „Lange“ ihre Schwägerin sehr mochte und wenn man nach Torstens Erzählungen von den paar Tagen bei der Nationalmannschaft ging, dann war das nicht nur was Kurzes, Unbeständiges.
 

Nicht, dass sie den Verteidiger als so einen eingeschätzt hätte, nein, für solche lockeren Geschichten war bei den Bremern eher Clemens zuständig und dem hatte Lena ja nun schon mehrmals deutlich gemacht, dass sie nicht interessiert war. Was vermutlich auch besser war für alle Beteiligten, denn auch wenn Petra ihre Schwägerin von Herzen gern hatte, so war sie doch nicht so blind zu sagen, dass Lena ein einfacher Mensch sei. Eher im Gegenteil, wer mit ihr zusammen sein wollte, musste vermutlich mit allen Wassern gewachsen und bereit sein, viel auf sich zu nehmen. Vor allen Dingen ihren emotionalen Ballast, den sie mit sich rumschleppte und dafür war der Außenverteidiger der Bremer einfach noch nicht reif genug. Ganz im Gegensatz zu Per, der zwar auf dem Papier einige Jahre jünger war als Clemens, ihn von der Reife aber schon längst überholt hatte.
 

„Lena, hast du etwa ganz vergessen, dass du mit Papa nach dem Training Sandkuchen backen wolltest? Wenn du ihn jetzt für Per versetzen würdest, wäre er bestimmt ganz arg traurig.“
 

Unsicher biss sich die Kleine auf die Unterlippe. Selbstverständlich wollte sie so viel Zeit wie möglich mit ihrer Tante verbringen und mit ihr und Per Eis essen zu gehen war eine tolle Idee, aber Lena wollte ihren Papa auch nicht traurig machen, deswegen nickte sie dann nur ganz leicht und flüsterte:
 

„Ich will nicht, dass Papa traurig ist.“
 

„Das dachte ich, deshalb sollten Lisa und du ihm jetzt auch schon mal zur Begrüßung einen Sandkuchen backen, damit er sich auch freuen kann, wenn er nach Hause kommt, ja? Und ich helfe euch, damit Lena schon mal duschen und sich fertig machen kann.“
 

Bestimmt zog Petra Lena hoch und schob sie in Richtung Haus, jedoch nicht ohne ihr verschwörerisch zu zuzwinkern, was erneut eine verräterische Röte auf Lenas Wangen erscheinen ließ. Die Wahl-Spanierin war ihrer Schwägerin wirklich dankbar, dass sie ihren gemeinsamen Nachmittag gerettet hatte, aber dieses lächeln und diese Andeutungen, die Petra dabei hatte fallen lassen, gefielen ihr nicht. So, wie die Ältere reagiert hatte, hätte man meinen können, die Kinder hätten sich zu einer Verabredung mit einladen wollen, dabei war es doch nur ein kleines Spaziergang unter Freunden, um sich mal wieder so richtig unterhalten zu können. Mehr nicht. Das redete Lena sich zumindest ein.
 

Und deswegen versuchte sie sich auch nicht allzu viele Gedanken darüber zu machen, was sie am besten anzog oder welche Frisur ihr Gesicht am besten zur Geltung kommen ließ. Es war ja nur ein spontanes Treffen unter Freunden, so etwas hatten sie in Barcelona alle Nase lang gemacht. Wie häufig war Lionel unangemeldet bei ihr aufgetaucht, mit einem Film in der Hand und diesem Lächeln auf den Lippen, bei dem man einfach nicht „nein“ sagen konnte? Sicherlich unzählige Male, also musste sie das jetzt nicht dramatisieren. Ob nun Per oder Leo war im Grunde genommen ja egal, es waren beides gute Freunde, mit denen sie gerne Zeit verbrachte, auch wenn sie den letzteren halt schon ein paar Jahre länger kannte und sie eine gemeinsame Vergangenheit hatten.
 

Aus diesen Gründen zog Lena schließlich auch eine schlichte, aber durchaus elegante dunkelblaue Jeans an, die ihre kurzen Beine etwas länger erscheinen ließ und um den Hintern herum ebenso vorteilhaft saß. Ein fuchsiafarbenes T-Shirt komplettierte ihr Outfit und nach einem letzten blick in den Spiegel war Lena sich auch sicher, dass sie nicht total overdressed aussah für einen ganz normalen Spaziergang an der Weser. Ihre langen Haare hatte sie offen gelassen und statt der hohen Schuhe, die zwar in Gegenwart eines Riesen wie Per sicherlich angebracht gewesen wären, trug sie bequeme Turnschuhe, in denen sie auf jedem Untergrund problemlos laufen konnte. Immerhin wollten sie ja spazieren gehen und keine Modenschau besuchen.
 

So machte sich die kleine Schwester des „Lutschers“ auf dem Weg zum Trainingsgelände, um ihrem Bruder zum einen Auto und Schlüssel zu bringen und zu anderen um eben Per zu sehen, der ihr geschrieben hatte, dass es praktischer wäre, sie würden gleich vom Stadion aus losgehen. Zwar war Lena bewusst, dass sie, wenn Torsten mit dem Auto heim fuhr, keine Möglichkeit mehr hatte selbstständig nach Hause zu kommen, doch sie verließ sich darauf, dass Per der Gentleman sein würde, der er bisher bei jeder ihrer Begegnungen gewesen war, und sie sicher wieder nach Hause bringen würde.
 

Lena verschwendete jedoch während der gesamten Fahrt keinen Gedanken daran, dass noch andere Herren der Schöpfung ebenfalls am Weserstadion sein würden und dass sie so einige unliebsame Gesichter schneller wieder sehen würde, als gehofft. Und dass derjenige, mit dem sie sich verabredet hatte und auf den sie sich so freute, vielleicht noch gar nichts von seinem Glück wusste, weil er sein Handy zusammen mit den anderen Sachen im Spind in der Kabine hatte liegen lassen und überhaupt nicht wusste, dass sich die SMS selbst verschickt hatte.
 

To be continued
 

So manche haben sich mehr Action und vielleicht sogar ein paar Annäherungen zwischen Lena und Per gewünscht und jetzt sehe ich zu, dass ich eure Wünsche erfülle.

Ich wollte unbedingt Torstens beide Mädchen in dieses Kapitel einbauen und wenn ich das mal so sagen darf, finde ich, dass es mir eigentlich ganz gut gelungen ist. Besonders Lena ist süß, wie sie mit zu Per will, damit ihre Giraffe und der „echte“ Per sich auch mal offiziell kennen lernen. Findet ihr sie nicht auch knuffig?

Und natürlich die „große“ Lena, die sich nicht eingestehen will, dass dieses Treffen zwischen ihr und Per vielleicht doch ein kleines Bisschen mehr sein könnte als nur ein Treffen zwischen zwei ganz normalen Freunden? Jaja, Unwissenheit ist ein Segen, ich wusste es ja schon immer.

Was haltet ihr eigentlich vom Hasenfuß Per, der kaum den Mut aufbringt die SMS abzuschicken? Und die sich dann selbst auf den Weg macht und noch für einige Überraschungen am Stadion sorgen wird? Schließlich hat Per ja kein Einzeltraining und wer aus der Mannschaft alles für „Probleme“ sorgen kann, könnt ihr euch sicherlich denken, oder?

Hoffentlich versteht Lena das nicht falsch, wenn Per sie fragt, was sie da macht. Das könnte derbe nach hinten gehen und dann wäre es das schon wieder mit der schönen TeddyPer und Lena Romanze… Aber lasst euch überraschen, es wird auf jeden Fall mal wieder ganz lustig und welche Kandidaten für den Humor sorgen werden, könnt ihr euch bestimmt auch vorstellen, oder?

Bist du DIE Lena Frings?

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Vielen lieben Dank an diejenigen, die sich die Mühe gemacht haben zu kommentieren, ihr seid einfach wundervoll: kleinenachtelfe und Sunny. Immer weiter so, ihr Lieben.
 

Ein kleines bisschen nervös steuerte Lena Torstens Wagen in eine der vielen Parklücken auf den extra für die Spieler und Funktionäre abgesperrten Parkplatz und stieg dann, nachdem sie einen letzten, kurzen Blick in den kleinen Autospiegel geworfen hatte um zu überprüfen, ob ihre Haare auch nicht allzu zerzaust aussahen, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen aus. Natürlich wusste sie, dass es vollkommen unlogisch war sich so auf ein Treffen mit einem Freund zu freuen, aber das tat ihrem freudig auf- und ab hüpfenden Magen keinen Abbruch. In den kommenden Stunden mit Per wollte sie ihre ganzen Probleme und Sorgen vergessen und nur den Augenblick genießen, der sich ihr bot, so wie sie es mit Lionel häufig am Strand des Mittelmeers getan hatte. Bis es irgendwann nicht mehr genug gewesen war, nicht mehr gereicht hatte, alle Probleme nur für einen Moment zu verdrängen, sie aber nicht zu lösen.
 

Gemütlich schlenderte Lena über den Parkplatz in Richtung Mixed-Zone, aus der sowohl Torsten als auch Per demnächst kommen sollten, wenn Thomas Schaf das Training nicht endlos in die Länge gezogen hatte und die Jungs gerade erst Duschen gegangen waren. Dann würde sie hier wohl noch einen Moment länger stehen und auf die Herren der Schöpfung warten. Nicht, dass sie irgendetwas anderes mit ihrer Zeit anzufangen gewusst hätte, nein, seit sie in Bremen war, hatte Lena ungewohnt viel Zeit, in der sie manchmal auch einfach nichts mit sich anzufangen wusste. Zumindest nichts Produktives. Sicher, sie spielte mit Lena und Lisa, half Petra bei allerlei Kleinigkeiten und telefonierte regelmäßig mit ihren Freunden aus Barcelona und Mailand, genauso wie mit einigen Patienten, aber alles in allem hatte sie hier sehr viel Freizeit. Und da machte es ihr auch nichts aus mal ein paar Minuten auf Per und Torsten zu warten.
 

Zu Lenas großen Überraschung öffnete sich jedoch just in dem Augenblick, in dem sie sich gerade auf eine längere Wartezeit eingestellt hatte, die Tür der Mixed-Zone und zwei Spieler verließen den vor den Augen der Öffentlichkeit geschützten Bereich. Auf den ersten Blick hätten die beiden für Lena nicht verschiedener sein können: Der eine groß und dunkel, der andere kleiner und heller, wobei die Bezeichnung „klein“ nicht so richtig passen wollte, denn beim zweiten Hinsehen erkannte Lena, dass dieser „kleine“ Mann sie immer noch um einige Zentimeter überragte und nur neben dem dunkelhäutigen Riesen so winzig wirkte.
 

„Können wir dir irgendwie helfen?“
 

Der Große sprach Lena direkt an und zeigte ihr dabei sein breitestes Lächeln, das die Wahl-Spanierin einfach erwidern musste.
 

„Wenn mit einer von euch sagen kann, wie lange Torsten und Per noch brauchen, dann ja.“
 

Überrascht schauten sich die beiden an. Sie hatten mit Foto- oder Autogrammwünschen gerechnet oder damit einfach nur in ein Gespräch verwickelt zu werden, immerhin geschah ihnen so etwas häufiger, aber dass sie bloß Auskunft über den Verbleib ihrer beiden deutsche Teamkollegen geben sollten, irritierte sie schon etwas. Besonders den kleineren, der Lena skeptisch musterte. Der blieb dieser Blick natürlich nicht verborgen und in Erinnerung an Tim Wieses Worte bei ihrer ersten Begegnung gar nicht weit von hier, beeilte sie sich zu sagen:
 

„Keine Panik, ich weiß dass Torsten verheiratet und viel zu alt für mich ist. Ihr braucht mir also keinen Vortrag zu halten.“
 

Jetzt war es an den beiden Herren überrascht drein zu schauen, denn keiner von ihnen hatte auch nur eine Sekunde daran gedacht der jungen Blondinen irgendetwas über ihren Vizekapitän zu erzählen. Zumindest nichts was in die Richtung verheiratet und zu alt ging, auch wenn sie ihr beide innerlich zustimmten.
 

„Hätten wir auch nicht im Traum dran gedacht. Aber bevor wir dir sagen, wo die beiden bleiben, solltest du uns erstmal sagen, wer du bist.“
 

Das schelmische Grinsen des kleineren blitze auf und Lena bekam immer mehr das Gefühl, dass sie die beiden eigentlich kennen sollte. Oder wahrscheinlich sogar tatsächlich kannte, aber im Augenblick wollten ihr die Namen einfach nicht einfallen, weshalb sie sich entschloss auf die ganz typische Variante vorzugehen.
 

„Lena. Und ihr?“
 

„Naldo. Und das ist Diego.“
 

Der Innenverteidiger hatte vergeblich darauf gewartet, dass sein Freund die Musterung der jungen Frau abbrechen und sich selbst vorstellen würde, so dass er es letztendlich für ihn getan hatte. Diese Unachtsamkeit bezahlte Diego mit einen Stoßen in die Rippengegend, die ihn deutlich zusammenzucken ließ.
 

Lena indes wollte sich am liebsten mit der Hand vor den Kopf schlagen, dass sie die Zaubermaus des Bremer Mittelfeldes und Pers Kollegen aus der Innenverteidigung nicht sofort erkannt hatte. So etwas Dummes konnte natürlich auch nur ihr passieren, doch wie es schien nahm ihr keiner der beiden ihren Fauxpas übel. Im Gegenteil, Diegos Augen, die sie bis eben noch gemustert hatten, leuchteten jetzt förmlich auf und das schelmische Grinsen, dass die Psychologin vorhin bereits in Ansätzen zu sehen bekommen hatte, erschien jetzt vollends auf dem Gesicht des jungen Mittelfeldspielers.
 

„Bist du etwa DIE Lena?“
 

Sofort war ihr klar, welche Lena Diego da meinte und deswegen nickte sie nur. Jetzt schien auf Naldo zu verstehen, warum sein Freund die junge Frau so eingehend gemustert hatte: Vor ihnen stand tatsächlich die kleine Schwester des „Lutschers“, die nicht nur Clemens zwei Ohrfeigen verpasst hatte, sondern auch Tim in mehreren Wortduellen hatte alt aussehen lassen.
 

„Wow, so hatte ich mir dich nicht vorgestellt.“
 

Lena konnte nicht anders als ebenfalls zu grinsen. Der Satz des kleinen Brasilianers drückte all die Überraschung aus, die man auch in seinem Gesicht erahnen konnte. Da hatte sie einen Herrn der Schöpfung heute auf jeden Fall schon mal überrascht, auch wenn es bisher noch nicht der gewesen war, den sie eigentlich hatte positiv überraschen wollen.
 

„So? Wie sollte ich denn deiner Meinung nach sein?“
 

Gespannt auf die Antwort, sprang Lena von dem Geländer, auf dem sie bis eben noch gesessen hatte und schaute dem Mittelfeldakteur direkt in die Augen, der sichtlich um Worte verlegen war. Oder aber nur nicht wusste, wie er es am besten auf Deutsch sagen sollte, das wusste die Blondine nicht mit letzter Sicherheit.
 

„Na ja, nicht so klein. Und eben ein bisschen mehr wie-“
 

„Jetzt sag mir nicht, dass ich ein bisschen mehr wie Torsten aussehen sollte.“
 

Mit aller Kraft versuchte Lena das in ihr aufsteigende Lachen zu unterdrücken, als sie bemerkte, wie sich Diegos Lippen zu einem unsicheren Lächeln verzogen, das soviel hieß wie „Schuldig im Sinne der Anklage“.
 

„Dachte ich mir’s doch!“
 

Naldo hob abwehrend die Hände um zu signalisieren, dass er damit nichts zu tun haben wollte. Immerhin kannte er das Temperament seines Vize-Kapitäns aus eigener Erfahrung und nach dem, was Clemens, Frank und Tim bisher von der jüngeren Frings bereichtet hatten, wollte er mit ihrer spitzen Zunge nicht näher in Berührung kommen, auch wenn die junge Frau ihm bisher recht sympathisch erschienen war.
 

„Ich mache dir ein Angebot: Du sagst mir, wann mein Bruder und Per vermutlich fertig sein werden und ich vergesse, dass du gedacht hast ich sehe aus wie Torsten nur mit Brüsten.“
 

Fröhlich zwinkerte Lena Diego zu, der sofort verstand, dass die junge Psychologin das alles nicht ganz so ernst nahm und deshalb setzte der Mann mit der Nummer zehn auch sofort an um Lenas Satz zu vervollständigen.
 

„Und ohne-“
 

Wollte Diego noch ergänzen, doch da hatte Naldo seinem kleinen Kollegen bereits den Mund zugehalten und nickte Lena freundlich zu.
 

„Per wird wohl noch ein bisschen brauchen, der ist heute zu spät gekommen und durfte deswegen Extrarunden laufen. Wahrscheinlich werden Clemens und Torsten auf ihn warten, bis er fertig ist.“
 

Diego befreite sich aus dem Griff seines Freundes und fügte strahlend noch hinzu.
 

„Ach Quatsch Naldo, Fritz muss bestimmt nicht warten. Eher anders herum, Per und Torsten müssen auf ihn warten, solange, wie er immer für seine Haare braucht.“
 

Das zauberte Lena ein Lachen ins Gesicht, denn seit ihrem Aufenthalt in München wusste auch die kleine Schwester des „Lutschers“ wie viel Zeit Clemens in den richtigen Halt seiner Haare investierte. Und wie fuchsteufelswild er werden konnte, wenn jemand es wagte ihm durch die Haare zu wuscheln, so wie Per es sich hin- und wieder getraut hatte.
 

„Es geht uns ja eigentlich nichts an, aber was willst du eigentlich von Per? Ich meine Torsten ist ja klar, aber was hast du mit dem Langen zu schaffen?“
 

„Ich bin mit ihm verabredet.“
 

Erst als die Worte raus waren, bemerkte Lena, wie missverständlich sie sich für Naldo und Diego anhören mussten und sofort schoss ihr das Blut in den Kopf, dass ihre Wangen rot färbte. Diegos Grinsen wurde daraufhin nur noch breiter und die Wahl-Spanierin sah förmlich, wie es bei ihm zu arbeiten begann und schob deshalb schnell hinterher:
 

„Hör auf zu grinsen, so habe ich das gar nicht gemeint. Ich wollte sagen, dass wir uns hier treffen um ein bisschen spazieren zu gehen.“
 

Anstatt Diegos Grinsen zu verkleinern, verbreiterten Lenas Worte es eher und die junge Psychologin sah ein, dass sie sich hier eher um Kopf und Kragen reden würde, als dass der kleine Brasilianer wirklich verstand, was sie meinte. Obwohl er es wahrscheinlich ganz genau verstanden hatte, es aber vorzog so zu tun, als hätte er sie missverstanden.
 

„Ich geb’s auf. Denk meinetwegen, was du willst. Aber behalt’s für dich.“
 

Markus Rosenberg, Sebastian Boenisch und Mesut Özil traten gerade ins Freie als Lena diesen Satz äußerte und der schwedische Stürmer konnte sich einen Kommentar natürlich nicht verkneifen.
 

„Endlich mal jemand, der unserem Diego sagt was Sache ist, das lobe ich mir!“
 

Selbstbewusst ging Markus ein paar Schritte auf Lena zu und stellte sich auf deutsch mit niedlichem schwedischen Akzent vor.
 

„Markus. Schön mal eine Frau kennen zu lernen, die weiß, was gut für sie ist.“
 

„Bitte?“
 

Lena verstand nicht so ganz, was der Schwede ihr damit sagen wollte. Er hatte die Anfänge ihres Gesprächs mit Diego und Naldo nicht gehört und konnte deshalb gar nicht wissen, weswegen sie seinem Kollegen den Mund verboten hatte. Trotzdem schien es ihm zu gefallen und das irritierte die Blondine.
 

„Na, du hast unsere kleine Zaubermaus zum Schweigen gebracht, dafür würden die einige sehr dankbar sein, nicht wahr, Diego?“
 

Herz aller liebst lächelnd schaute Markus seinen Mitspieler an, der jedoch nicht anders konnte als dem Schweden darauf die passende Antwort zu geben.
 

„Pah, ich wüsste nicht, wer das sein sollte. In der Mannschaft reden nämlich alle sehr, sehr gern mit mir.“
 

„Oh ja, ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie gern Per sich mit dir nach seinem Date unterhalten hat. Du konntest ihn ja fast nicht bremsen, so viel wollte er dir erzählen.“
 

Jetzt war es an Lena interessiert aufzuhorchen, denn Per in Zusammenhang mit einem Date konnte entweder bedeuten, dass der ehemalige Hannoveraner sich neben ihr noch mit anderen Frauen traf, was natürlich absolut in Ordnung war, weil sie ja kein Paar, sondern nur ganz normale Freunde waren, oder aber, dass sie ihren Kinobesuch mit Per meinten, der ihm fälschlicher Weise als „Date“ ausgelegt worden war.
 

„Jetzt tu aber nicht so, als hättest du nicht auch wissen wollen, was Merte da so getrieben hat, nachdem er mit so einem breiten Strahlen auf dem Gesicht in die Kabine gekommen ist und den ganzen Tag penetrant gute Laune hatte.“
 

„Ich habe ja auch gar nicht behauptet, dass es mich nicht interessiert hat, ich habe nur gesagt, dass Per glücklich gewesen wäre, wenn so eine Frau wie- Moment mal, du hast mir ja noch gar nicht deinen Namen gesagt.“
 

Dem frühren Ajax Amsterdam Spieler schien wirklich erst jetzt aufzufallen, dass er die junge Frau bisher noch gar nicht nach ihrem Namen gefragt hatte und das brachte wiederum Diego zum Feixen, schließlich wusste er, welche Überraschung sein Mit-Waschweib gleich erleben würde.
 

„Lena Frings.“
 

Wie nicht anders erwartet schaute Markus Rosenberg vollkommen verdattert aus der Wäsche. Damit hatte er nun nicht gerechnet, er hatte sie für einen normalen Fan gehalten, der es irgendwie geschafft hatte sie Sicherheitsschranken zu passieren, obwohl heute kein öffentliches Training gewesen war.
 

„Moment mal. Bist du DIE Lena Frings?“
 

So langsam begriff der Schwede, wen er da vor sich hatte und wieso ihn die Schlagfertigkeit der kleinen Frau nicht überraschen sollte. Er hatte Frank, Clemens und Tim immerhin sehr gut zugehört und einiges über diese angeblich so faszinierende Frau erfahren, die dem Womanizer Clemens Fritz eine schallende Abfuhr erteilt hatte, über die selbst nach Wochen immer noch geredet wurde. Wahrscheinlich auch, weil sie sich während der gemeinsamen zeit in München immer noch nicht hatte erweichen lassen, so wie Clemens sich das eigentlich vorgestellt hatte.
 

„Ich weiß zwar nicht, was heute alle mit „die“ Lena Frings haben, aber-“
 

„Bist du Torstens Schwester?“
 

„Ja.“
 

Für einen kurzen Augenblick herrschte Schweigen und Lena konnte die neugierigen Blicke der anderen beiden Fußballer, die sich bisher eher im Hintergrund gehalten hatten, auf sich spüren. Und mittlerweile standen dort nicht nur Mesut und Sebastian Boenisch, sondern auch Tim Wiese und Clemens Fritz, die Lena ebenso neugierig musterten wie der Rest der Truppe.
 

Und dieses Gefühl behagte der Psychologin ganz und gar nicht, denn Tims süffisantes Grinsen ließ alle Alarmglocken in ihr schrillen. Lena wusste nicht so genau, was sie zu erwarten hatte, geschweige denn, was nun kommen würde, aber sie ahnte, dass es nicht gut werden würde. Zumindest nicht für sie, sonst würde ihr allerliebster Sparringspartner aus der Werderaner Mannschaft nicht so wissend und viel sagend grinsen. Fast schon so, als würde er sich diebisch auf das freuen, was gleich geschehen würde, nur wusste Lena nicht, ob er sich auf Markus’ nächsten Sätze oder ihre Reaktion freute. Das wurde aber auch ganz schnell nebensächlich, denn auf das, was Markus als nächstes von sich gab, war Lena definitiv nicht vorbereitet.
 

„Wo warst du mein Leben lang?“
 

Theatralisch fasste der schwedische Stürmer sich ans Herz und versuchte wie einer dieser Hundewelpen auszusehen, den man unbedingt kuscheln und mit nach Hause nehmen wollte, doch die kleine Schwester des „Lutschers“ hatte diesen Blick schon zu oft gesehen, als dass er noch Wirkung gehabt hätte, deswegen konterte sie im Brustton der Überzeugung:
 

„Auf der Suche nach einem Versteck vor dir.“
 

Damit hatte sie das Gelächter der anderen wieder einmal auf ihrer Seite und sowohl Tim als auch Clemens gab es innerlich eine gewisse Befriedigung, dass nicht nur sie eine Kostprobe von Lenas spitzer Zunge erhalten hatten. Und dabei nicht unbedingt erfolgreich zurückgeschlagen hatten. Markus jedoch schien sich von diesem kleinen Rückschlag nicht beirren zu lassen und fuhr süffisant grinsend fort.
 

„Das Glaube ich dir nicht. Frauen wie du suchen Männer wie mich.“
 

„Bist du dir da sicher?“
 

Lena hatte zweifelnd die Augen gehoben und die Arme vor ihrer Brust verschränkt. Man sah ihr an, dass sie gewaltig an Markus’ Behauptung zweifelte und ihm am liebsten noch den ein- oder anderen Satz dazu gesagt hätte, sich aber lieber zurückhielt.
 

Das war dem Schweden nur recht, denn jetzt hatte er endlich Gelegenheit das Thema anzusprechen, was ihm schon seit er Lena gesehen hatte, auf der Zunge brannte.
 

„Wenn es um Frauen geht, liege ich selten daneben. Das bringt ja nicht viel.“
 

Sie brauchte einen Moment, bis sie den doppeldeutigen Witz verstanden hatte. Ihr fiel unkontrollierter Weise die Kinnlade herunter. Nie im Leben hatte Lena erwartet, dass es in der Bremer Mannschaft mehr als nur einen Charmeur und Verführer gab, der sich selbst für Gottes Geschenk an die Frauen hielt, aber augenscheinlich hatte sie sich da getäuscht, denn dieses Prachtexemplar von einem Mann vor ihr legte genau diese Einstellung an den Tag.
 

„Du bist so einer?“
 

Rief sie lauter als beabsichtigt, wobei ihre Frage eigentlich absolut sinnlos war, schließlich ahnte Lena bereits durch sein Verhalten ihr gegenüber, dass er die Frauen reihenweise beglücken konnte, wenn er nur wollte. Und das eben nicht, in dem er nur daneben lag, sondern ganz woanders.
 

Ihr laute Frage sicherte ihr in diesem Moment auch die Aufmerksamkeit der letzten Werder Spieler, die gerade aus der Mixed-Zone kamen, unter ihnen auch Per und Torsten, die beide verdutzt aus der Wäsche schauten, als sie Lena inmitten der anderen Werderaner sahen.
 

„Genau so einer bin ich, Schätzchen.“
 

Am liebsten hätte Lena in diesem Augenblick die Hände über den Kopf zusammen geschlagen. Hatte sie irgendwo an ihrem Körper ein Schild stehen auf dem stand „Mach mich ruhig an“? So ein Schild, dass scheinbar nur eine ganz bestimmte Gruppe Mann lesen konnte, solche wie Clemens und natürlich Markus, der immer noch nicht aufgehört hatte sie dreckig anzugrinsen.
 

To be continued
 

Ich weiß, viele von euch hatten jetzt auf eine neue Charmeoffensive von Clemens oder neue Wortduelle zwischen Lena und Tim gehofft, aber ich musste unsere beiden heiß geliebten Waschweiber doch auch mal wieder einbringen. Die sind schon so lange vernachlässigt worden, da musste mal was gegen getan werden.

Wobei Diego sich noch eher zu benehmen weiß (dank Naldo, der ihm rechzeitig den Mund zuhält) als Markus, der als einer der wenigen Lena was die scharfe Zunge angeht Paroli bieten kann. Aber wie fandet ihr seine Sprüche? Macht er Tim Konkurrenz? Oder ist er auf seine ganz eigene Art ein interessanter Charakter? Und was ist mit Diego, der Lena mit seinem spitzbübischen Grinsen in Verlegenheit bringt, weil er ihre Worte so interpretiert, wie es nun eigentlich gar nicht sein sollte?

Natürlich freut sich Lena auf ihre „Verabredung“ mit Per, aber Diegos Worte über das Date des Langen, das ihn so glücklich gemacht hat, lässt sie schon ein wenig nachdenklich werden. Nicht, dass sie eifersüchtig ist, oder so, nein… ;)

Es geht doch nichts über ein Stracciatella-eis (auch kein Schwedenhäppchen)

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Vielen Dank für die Reviews, für euch beide geht es hier auch schon weiter =).
 

„Ja ja Markus, wir wissen doch alle, was für ein Schwedenhäppchen du bist, also musst du nicht weiter ins Detail gehen.“
 

Bestimmt war der „Lutscher“ an Lenas Seite getreten und umarmte seine kleine Schwester, die seine Umarmung etwas überrascht erwiderte. Irgendwie hatte sie Torstens und Pers Auftauchen gar nicht bemerkt, so sehr war sie in das „Gespräch“ mit dem schwedischen Stürmer vertieft gewesen. Im Grunde genommen war sie Torsten sogar dankbar, dass er sie aus dieser Situation gerettet hatte, auch wenn ihr auf Markus’ Spruch definitiv eine passende Erwiderung eingefallen wäre, aber so hatte sie jetzt die Gelegenheit Per zu begrüßen und dann endlich von hier zu verschwinden, denn so gern sie ihren großen Bruder und seine Kollegen auch hatte – noch mehr dumme Sprüche würde sie heute nicht mehr ertragen können. Schon gar nicht von Tim oder Clemens, die immer noch feixend dastanden und sie und Markus beobachteten.
 

„Eigentlich mag ich die Bezeichnung „Schwedenhäppchen“ ja nicht, aber wenn deine Schwester mich dann zum Vernaschen mit nach Hause nehmen würde, dann-“
 

„Überleg’s dir gut, ob du diesen Satz wirklich beenden möchtest.“
 

Torstens Stimme, die eben noch eher scherzhaft geklungen hatte, als er mit seinem Teamkollegen gesprochen hatte, hatte mittlerweile eher einen leicht drohenden Ton angenommen und jeder der Anwesenden ahnte, dass die Spaßgrenze beim „Lutscher“ erreicht worden war. Und was das hieß, wusste vor allen Dingen Tim aus schmerzvoller Erfahrung, weshalb er Markus mit Blicken zu verstehen zu geben versuchte, dass er ausnahmsweise besser den Mund halten sollte, wenn er nicht jede Menge Ärger am Hals haben wollte. Eigentlich war Tim Wiese ja nicht unbedingt für sein untrügliches Gespür für brenzlichen Situationen bekannt, aber nachdem er während des Wochenendes bei der Nationalmannschaft nicht nur neue Seiten an Lena, sondern auch an seinem Kapitän kennen gelernt hatte, wollte er seinen Mannschaftskameraden doch lieber vor dem manchmal unberechenbaren Temperament des Mittelfeldspielers bewahren.
 

„Ach Torsten, lass ihn doch reden, ich steh sowieso eher auf Stracciatella Eis statt auf Schwedenhäppchen, nicht wahr, Per?“
 

Lächelnd zwinkerte die Blondine dem langen Innenverteidiger zu und hoffte, dass er ihre Anspielung auf seine SMS verstehen und ebenfalls lächeln würde, doch Pers Reaktion fiel ganz anders aus, als Lena es erwartet hatte: Mühsam versuchte Per seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten, doch es gelang ihm nicht sein Entsetzen und seine Panik zu verbergen, die ihn aufgrund von Lenas Worten überfiel.
 

Verwirrt schauten die Bremer Fußballer von Lena zu Per und wieder zu Lena zurück, die mittlerweile auch ein wenig von ihrer Lockerheit eingebüsst hatte und den geborenen Pattensener nun fragend anschaute. Der jedoch versuchte Lenas fragendem Blick auszuweichen und starrte auf seine Schuhspitzen, während er fieberhaft überlegte, wie Lena diesen Kommentar gemeint haben konnte. Es musste bloßer Zufall gewesen sein, ganz bestimmt, denn sie konnte ja eigentlich nichts von der SMS wissen, die er vor dem Training geschrieben, aber nicht abgeschickt hatte und in der er sie zu einem Spaziergang und ihrem Lieblingseis einlud.
 

„Ähm ja, also, ich mein’, wenn du das so sagst, dann wird das wohl stimmen.“
 

Am liebsten hätte Per sich in diesem Moment selbst in den Hintern getreten, weil er hier vor Lena und der versammelten Mannschaft so rumstammelte und eigentlich keine Ahnung hatte, was er sagen sollte. Lena musste ja glauben, er sei ein minderbemittelter Balltreter, der nichts anderes auf die Reihe bekam außer Fußball spielen. Schon gar kein anregendes Gespräch.
 

Zu seiner Überraschung blickte er aber in ein lächelndes Gesicht, als er von seinen Schuhen auf und in Lenas amüsiert blitzende Augen sah. Irgendetwas schien die Wahl-Spanierin zu erheitern und Per wollte lieber nicht so genau wissen, was es war.
 

„Na, wenn das dann geklärt ist, würde ich sagen, dass wir uns auf den Weg machen sollten, damit mir niemand mein Eis vor der Nase wegisst.“
 

Immer noch lächelnd und mit blitzenden Augen ging Lena auf Per zu, fasste ihn bei der Hand und zog ihn von den anderen Fußballern weg, die ihrem Kollegen und der kleinen Schwester ihres Vize-Kapitäns überrascht und etwas belustigt nachsahen. Es war aber auch ein Bild für die Götter zu sehen, wie der fast zwei Meter große Verteidiger von einer kleinen Blondine beinahe schon hinter sich hergeschleift wurde und ihr tollpatschig nachstolperte.
 

Das recht ungleiche Paar war erst ein paar Meter entfernt, als sich die junge Psychologin noch einmal umdrehte, kurz in ihre Hosentasche griff und ihrem Bruder etwas zurief:
 

„Hier Torsten, fahr schon mal vor, Per bringt mich nachher bestimmt nach Hause.“
 

Fröhlich lächelnd warf Lena einem ziemlich perplexen Torsten Frings die Schlüssel zu, die er im letzten Augenblick noch auffangen konnte. Dann drehte sie sich wieder um und zog einen immer noch reichlich verwirrten Per Mertesacker hinter sich her, was die anderen Spieler köstlich amüsierte.
 

Schweigsam liefen die beiden nebeneinander her und jeder hing irgendwie seinen eigenen Gedanken nach, bis sie schließlich aus der Sichtweite der Jungs waren und sich Lena ein Herz fasste die Frage zu stellen, die sie schon die ganze Zeit beschäftigte.
 

„Sag mal Per, warum schickst du mir eigentlich eine SMS, in der du mich zum Eis essen einlädst und mir extra sagst, ich solle dich vom Trainingsgelände abholen, wenn du dann vor deinen Kollegen so tust, als wäre nichts, hm? Wenn es dir peinlich ist mit mir gesehen zu werden, dann hättest du nicht schreiben dürfen, dass ich dich abholen soll, aber dann so zu tun, als wären wir nicht verabredet und als wärst du total überrascht mich zusehen, das ist ja wohl unterste Schublade echt.“
 

Mit jedem Satz hatte Lena sich weiter in Rage geredet und jetzt brach die Wut, die sie empfunden hatte, als Per sie vor der Mixed Zone die ganze Zeit ignoriert und so getan hatte, als wollte er nichts mit ihr zu tun haben, aus ihr hervor. Die Psychologin hatte sie vor der versammelten Mannschaft zurückgehalten, hatte Per nicht blamieren, sondern auf eine plausible Erklärung von ihm warten wollen, doch nachdem er statt ihr alles zu erklären, sie lieber eine halbe Ewigkeit nur angeschwiegen hatte, war ihr der Kragen geplatzt. Sie wunderte sich wirklich, wo der andere, der liebe und nette Per hin war, mit dem sie sich so vertraut hatte unterhalten können und auf den sie sich irgendwie schon so gefreut hatte. Alle Freude, die sie empfunden hatte, als sie Pers SMS mit der Einladung gelesen hatte, war verflogen und eigentlich wollte sie schon gar kein Eis mehr essen gehen, sondern nur noch nach Hause und mit Lionel telefonieren, der garantiert ein Mittel gegen ihre aufkeimende schlechte Laune finden würde. So wie immer.
 

„Wie kommst du darauf, dass es mir peinlich sein könnte, mir dir gesehen zu werde? Im Gegenteil, ich sollte wohl eher froh sein, dass du dich mit so einem Tollpatsch wie mir überhaupt abgibst. Ich meine, du bist hübsch, intelligent, lustig und man kann wunderbar mit dir reden und du bist einfach-“
 

Mitten im Satz verstummte Per, als ihm bewusst wurde, was er da eigentlich alles gerade erzählt hatte. Und das nur, weil er sich über ihre hirnverbrannte Idee, es könnte ihm peinlich sein mit ihr gesehen zu werden, aufgeregt hatte. Sicher, er hatte jedes einzelne Wort todernst gemeint, aber deswegen hatte er ihr diese Dinge trotzdem nicht so sagen wollen. Nicht mitten in einem Streit, wenn sie wütend war und schon gar nicht jetzt. Später, viel später.
 

Lena jedoch sah den blonden Verteidiger nur überrascht an. Sie hatte mit vielem gerechnet, mit Entschuldigungen, mit Zickerein oder mit tausend anderen Dingen, aber nicht damit, dass Per ihr so süße Sachen sagen würde. Ohne es wirklich beeinflussen zu können, verrauchte Lenas Wut und sie lächelte den Bremer Abwehrspieler zaghaft an, der das Lächeln ebenso zaghaft erwiderte.
 

„Was wolltest du eben noch sagen? Du hast mitten im Satz aufgehört.“
 

Selbstverständlich war der Psychologin klar, dass Per diesen Satz niemals zu ende aussprechen würde, zumindest nicht so, wie er es eben im Eifer des Gefechts getan hätte, aber trotzdem wollte sie wenigstens versuchen zu erfahren, wie der Satz weitergegangen wäre, denn wenn es etwas gab, was Lena hasste, dann waren es unvollendete Sätze, deren Ende viel zu viele Möglichkeiten hatte. Wollte Per ihr sagen, dass sie die empfindlichste Zicke auf Gottes Erde war oder wollte er ihr vielleicht doch eher mitteilen, dass sie einfach eine gute Freundin war? Den Satz „du bist einfach“ konnte man auf unendlich viele Arten zu ende bringen und Lena wollte wissen, welches Ende Per gemeint hatte.
 

„Nichts, ist nicht so wichtig.“
 

„Aha.“
 

Mühsam versuchte Lena ihre Enttäuschung zu verbergen und trabte weiter neben Per her, der ebenfalls mit den Gedanken ganz weit weg zu sein schien. Zumindest war sein Blick nicht auf den Weg vor ihm gerichtet, was ihn dann einige Male ins Stolpern und Lena gegen ihren Willen zum Lachen brachte.
 

„Sag mal, wie kann man auf dem Fußballfeld mit diesen langen Beinen so selbstsicher und elegant wirken und im alltäglichen Leben so tapsig wie ein unbeholfener Welpe?“
 

Irgendwie wusste Per nicht so recht, ob er sich darüber freuen sollte, dass sie seine Bewegungen auf dem Fußballfeld elegant fand, oder ob er sich für seine Tollpatschigkeit im richtigen Leben entschuldigen sollte. Eigentlich fand er für beides keine Worte, weshalb er weiterhin schwieg. Lena jedoch, die dieses Schweigen als ein beleidigtes Schweigen auffasste und nicht als ein aufgrund fehlender Worte, bekam sofort ein schlechtes Gewissen und entschuldigte sich bei Per.
 

„Das war jetzt wirklich nicht böse gemeint, Per. Ich finde es halt bei euch Fußballern einfach nur süß, wie anders ihr doch seid, wenn ihr auf dem Feld steht und mit eurem heiß geliebten Ball spielen könnt.“
 

Der lange Verteidiger kam einfach nicht umhin Lena in die Augen zu schauen und selbst über ihr verunsichertes Lächeln zu lächeln. Das war wieder einer dieser Augenblicke, in denen er die Blondine einfach nur wunderschön fand und sie am liebsten küssen wollte, doch er hielt sich zurück. Das hier war weder der richtige Ort, noch der richtige Zeitpunkt für einen Kuss und Per wollte, dass alles perfekt war, wenn sie sich dann schon küssten. So Hollywood-mäßig, Disney-perfekt halt, wie man es in all den kitschigen Liebesfilmen sah, die eigentlich niemals Realität werden würden. Aber trotzdem wollte Per diesen einen magischen Moment mit Lena erleben, damit sie merkte, was er für sie empfand, ohne dass er viel sagen musste. Denn ließ man ihn reden, versaute er es ganz bestimmt wieder.

Und vor allen Dingen wollte er, dass sie den Kuss auch wirklich wollte und es nicht nur eine Ablenkung oder Trost für sie war. Es sollte mehr sein, auch wenn Per sich das nicht so gern eingestand, schließlich schätzte er seine Chancen bei der Konkurrenz als nicht gerade atemberaubend ein, aber als sie ihn als „süß“ bezeichnet hatte, hatte sein Magen einen richtigen Hüpfer gemacht und sein Herz hatte hoffnungsvoll ein paar Takte schneller geschlagen. Dass sie nicht von ihm speziell, sondern von den Fußballern gesprochen hatte, ignorierte Per gekonnt, denn von solchen kleinlichen Wortklaubereien wollte er sich nicht den Tag vermiesen lassen. Schließlich war er hier, mit ihr, ging mit ihr spazieren und würde ihr gleich ein Eis ausgeben, ganz so, wie er es in seiner SMS geplant hatte.
 

Und genau dieser Gedanke ließ ihn stutzen, hatte ihm denn nicht Lena in ihrer kleinen Wutrede vorgeworfen, dass er ihr eine SMS geschrieben hatte, in der er sie um ein Treffen mit Eis essen gebeten hatte? Der Sache musste er auf den Grund gehen, auch wenn er es nicht gerne tat und lieber weiter mit ihr darüber reden würde, wie süß er doch war, diese Angelegenheit durfte einfach nicht zwischen ihnen stehen.
 

„Sag mal Lena, was meintest du eigentlich vorhin damit, dass ich dir eine SMS geschrieben haben soll?“
 

„Was soll ich damit schon gemeint haben? Ich war halt sauer, dass du mir erst eine Nachricht schickst und dann so tust, als wäre nichts gewesen.“
 

Im ersten Augenblick befürchtete Per, dass Lena wieder sauer werden würde, doch ihre Stimme hatte einen vollkommen normalen ton, so als hätte sie sich damit abgefunden, wie es gelaufen war und sah nun schon wieder nach vorne.
 

„Aber ich habe dir doch gar keine Nachricht geschickt.“
 

„Und was ist das dann bitte hier?“
 

Ein wenig ruppig holte Lena ihr Handy hervor, tippte auf ein paar Tasten und hielt ihm dann das Handy unter die Nase. Zögerlich nahm Per es selbst in die Hand und las sich die SMS erst drei Mal durch, bevor er ihr wortlos das Handy zurückgab, welches sie ebenso wortlos wieder in ihrer Tasche verschwinden ließ. Einen Moment herrschte schweigen zwischen den beiden, bis Lena fast schon schnippisch fragte:
 

„Und, war die SMS nun von dir oder nicht?“
 

Unwohl presste Per die Lippen zusammen und überlegte, was er der Wahl-Spanierin auf diese Frage am besten antworten sollte. Er war verständlicherweise nicht besonders scharf darauf ihr zu erzählen, dass er sich eigentlich gar nicht getraut hatte diese Nachricht abzuschicken und er auch keine Ahnung hatte, wie sie trotzdem ihren Empfänger erreicht hatte. Das würde garantiert keinen so guten Eindruck machen und Per wollte die Stimmung nicht schon wieder durch eine dumme, unüberlegte Aussage zerstören, auch wenn es nichts als die Wahrheit gewesen wäre.
 

„Na ja, irgendwie schon und doch auch wieder nicht.“
 

Fragend hob Lena die Augenbrauen und deutete damit an, dass sie rein gar nichts verstanden hatte. Warum mussten manche Männer in gewissen Fällen aber auch immer so kryptische Antworten geben, die theoretisch alles oder nichts bedeuten konnten.
 

Unter Lenas erwartungsvollen Blick brach Per schließlich innerlich zusammen und entschied sich dafür ihr einfach die Wahrheit zu sagen – wenn sie ihn danach für einen Vollhorst hielt, konnte er es nicht ändern, wahrscheinlich hatte er es dann auch nicht anders verdient.
 

„Ich habe die SMS vorm Training geschrieben, mich aber nicht getraut sie abzuschicken und als ich dann gesehen habe, wie spät es schon ist und dass ich zu spät zum Training kommen werde, habe ich mein Handy nur noch achtlos in meine Sporttasche geschmissen und es seitdem auch nicht mehr in der Hand gehabt. Vermutlich hat bin ich beim Tragen oder so an die falschen Tasten gekommen, dass sich die Nachricht von selbst verschickt hat. Es war also echt keine Absicht, dass ich vorhin so zurückhaltend war, ich war wirklich total überrascht dich zu sehen, damit hatte ich gar nicht gerechnet, schließlich haben wir uns seit München ja nicht mehr gesehen und da war das letzte Mal ja auch etwas… na ja.“
 

Hilflos zuckte der lange Innenverteidiger mit den Schultern und brachte gerade noch ein etwas schiefes Lächeln zu stande.
 

„Weißt du Per, ich habe mich richtig gefreut, als ich deine SMS gelesen habe. Ich kenn’ hier in Bremen ja außer meinem Bruder und seiner Familie keinen weiter und da ist es manchmal schon etwas langweilig, auch wenn die beiden Mädels mich immer ziemlich gut beschäftigen, es ist halt doch irgendwie was anderes. Da hat man manchmal viel zu viel Zeit zum Nachdenken, wenn du verstehst, was ich meine. Und mit dir ein Eis essen zu gehen, darauf hab’ ich mich halt irgendwie doch schon gefreut, immerhin hatte ich bisher immer das Gefühl, das wir uns gut verstehen und man super mit dir reden kann. Und dann, na ja, dann bin ich am Trainingsgelände angekommen und –“
 

„Und ich Hornochse hatte von tuten und blasen keine Ahnung und hab’ dir das Gefühl gegeben, als wärst du nicht erwünscht.“
 

„Irgendwie schon.“
 

Beide schauten sich verlegen an und versuchten zaghaft zu lächeln, auch wenn keiner von beiden das Gesagte so ganz genau einzuordnen vermochte. Lena war einfach nur froh, dass sich Pers seltsames Verhalten so leicht aufgeklärt hatte und sie fand es irgendwie ja auch total niedlich, dass er sich nicht getraut hatte die Nachricht einfach abzuschicken und Per schwebte schon fast über den kleinen Fußweg, nachdem er gehört hatte, dass Lena sich tatsächlich so richtig über seine Einladung gefreut hatte und nicht einfach nur so gekommen war. Und nicht nur das, sie hatte ja auch noch gesagt, dass sie sich gut verstehen würden und sie sich super mit ihm unterhalten konnte, das war wahrscheinlich bei weitem mehr, als sie über Clemens sagen würde.
 

Der Gedanke an seinen Kollegen versetzte dem Bremer Abwehrrecken einen kleinen Stich, doch er entschloss sich nicht weiter darüber nachzudenken, was Clemens jetzt wohl an seiner Stelle tun würde.
 

„Woran denkst du gerade? Daran, dass du deine knapp bemessene Freizeit auch besser verbringen könntest als mit der kleinen Schwester deines Kollegen?“
 

Verwundert blieb Per stehen und blickte Lena an, die ihm ein verschmitztes Lächeln schenkte, dass ihm schon sagte, dass sie all das nicht ganz so ernst nahm. Trotzdem wollte er jetzt nicht von Clemens anfangen, schließlich wusste er nicht so ganz genau, wie die junge Psychologin darauf reagieren würde, deshalb schüttelte er nur etwas abwesend den Kopf.
 

„Nein, ganz bestimmt nicht. Aber eigentlich hab ich glaub ich rein gar nichts gedacht. Weißt du, es gibt nämlich auch Menschen, die manchmal einfach nur genießen und nicht über alles stundenlang grübeln, so wie du.“
 

Das war nur eine ganz kleine, halbe Notlüge, denn er hatte ja wirklich nicht eine Sekunde daran gedacht, dass er seine Zeit irgendwie anders besser verbringen würde und er hatte Lenas Anwesenheit an seiner Seite wirklich einfach nur genossen und dabei vielleicht ein klitzekleines Bisschen über seinen besten Freund nachgedacht, aber das konnte man ja noch nicht gleich grübeln nennen.
 

Lenas lachende Stimme riss Per aber bereits wieder aus seinen Gedanken, denn mit einem Zwinkern meinte sie fröhlich:
 

„Ja, ich kenn auch ein paar solche Leute, die nicht nachdenken. Die nennt man Männer.“
 

To be continued
 

Ja, ich weiß auch nicht so genau, warum ich ausgerechnet heute und mit diesem Kapitel meine romantische Ader ausleben musste. Ich konnte einfach nicht anders als sich Per und Lena auf ihre so ganz typische, etwas verkrampfte und definitiv umständliche Art näher kommen zu lassen. Aber ich fand’s süß und niedlich, deswegen hoffe ich einfach mal, dass es euch genauso gut gefallen hat wie mir, dass diese beiden endlich mal so ein bisschen in die Pötte kommen.

Wobei ich Per ehrlich gesagt ja richtig niedlich finde, wie er Lena klar zu machen versucht, dass es ihm ganz und gar nicht peinlich ist mit ihr gesehen zu werden und wie dann plappert und plappert und erst so spät gemerkt, dass das, was er da die ganze Zeit erzählt, in diesem Sinne gar nicht für Lenas Ohren bestimmt ist. Und dann seine Gedanken über den perfekten Kuss, seine Aufgeregtheit als sie ihn angeblich „süß“ nennte und seine Schüchternheit und all diese anderen Situation… Man merkt schon, dass ich den Kerl in diesem Kapitel richtig gern hab…^^ Mehr sogar noch als sonst eh schon.

Und Lena konnte in diesem Kapitel auch endlich mal wieder ihre zwei Seiten zeigen: Erst ihre spitze Zunge, als sie die Anspielung auf Per macht und dann zum Schluss der Spruch über die Männer, das steht ja eigentlich total im Kontrast zu den schüchternen, aber durchaus ernst gemeinten Worten zur Mitte des Gespräches mit Per. Aber so facettenreich liebe ich meine Lena, ihr hoffentlich auch, oder?

Dabei fand ich Torsten und Markus auch mal wieder gar nicht so schlecht, sein Spruch mit dem Schwedenhäppchen und dann Markus freche Antwort haben euch hoffentlich erstmal so richtig zum Lachen gebracht… ;)

Seifenblase

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Ich möchte mich ganz herzlich bei meinen wunderbaren Reviewern bedanken, ohne euch gäbe es „Happy ohne ende?“ nicht so, wie ihr es heute hier lesen könnt: Kleine Nachtelfe und Sunny.
 

Immer noch lachend lief die Wahl-Spanierin vor Per weg, der sich das natürlich nicht zweimal sagen ließ und sofort hinter ihr her jagte. Als wären sie kleine Kinder, tobten die beiden über den kleinen Trampelpfad, der das Weserstadion mit der Weserpromenade verband und auf dem sie von allen neugierigen Blicken geschützt waren. Wie nicht anders zu erwarten war, hatte der Abwehrspieler in Bremer Diensten die Blondine ohne große Anstrengung in Rekordgeschwindigkeit eingeholt und umfing sie mit beiden Armen, damit sie stehen blieb.
 

Am liebsten hätte Per sich einfach mit Lena im Arm nach hinten fallen lassen, damit die junge Frau ihm so noch näher war, doch das lies er lieber sein, schließlich war der Weg hart und dreckig und nicht gerade die typische Spielwiese für Verliebte. Oder zumindest für einen Verliebten und sein Opfer, denn genau das war Lena in gewissem Sinne ja: Ein Opfer seiner Gefühle, nur wusste sie noch nichts davon.
 

„Mit Leuten wie dir kann man gar nicht Fangen spielen, du hast viel zu lange Beine, da habe ich ja von Anfang an verloren. So macht das keinen Spaß.“
 

Lena hatte ihren Kopf soweit gedreht, dass sie problemlos zu Per hoch schauen konnte und versuchte ihn nun durch ihr Schmollen zu erweichen. Wozu wusste die junge Psychologin selbst nicht so genau, aber das war ihr auch herzlich egal. Sie hatte schon lange nicht mehr so befreit gelacht und gedankenlos Spaß gehabt, das wollte sie sich jetzt nicht verderben.
 

„Meinst du wirklich das liegt an den Beinen und nicht daran, dass ich ein trainierter Profi-Fußballer bin und du nur eine süße, kleine Psychologie-Maus?“
 

Empört versuchte Lena Per einen sanften Rippenstoß zu verpassen, der jedoch eher irgendwo in der Nierengegend endete, da die kleine Schwester des „Lutschers“ einfach nicht höher kam ohne sich irgendwie aus der Umarmung zu lösen, die sie aber als ganz angenehm empfand.
 

„Ja, das meine ich. Wären deine Beine genauso lang wie meine, dann hättest du keine Chance gegen mich gehabt.“
 

„Soso, da kann wohl wer nicht verlieren. Wahrscheinlich ist das ausgleichende Gerechtigkeit für deinen abfälligen Kommentar über uns Männer. Du weißt doch: Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort.“
 

Per hatte wirklich absolut keine Ahnung, woher auf ein Mal seine Lockerheit und sein neckender Tonfall kam, aber es schien der Blondine zu gefallen, denn sie hatte sich bisher noch nicht aus seiner Umarmung gelöst und aus ihrem verunglückten Schmollen war mittlerweile schon wieder ein Grinsen geworden.
 

„Und Große erst in neun Monaten, ich weiß, du Scherzkeks.“
 

Ein wenig enttäuscht bemerkte Per, wie Lena sich aus seiner Umarmung befreite und ihn erwartungsvoll ansah. Wahrscheinlich wartete sie darauf, dass Per Anstalten machte weiter zu gehen, doch er rührte sich keinen Zentimeter. Wäre es nach dem Innenverteidiger gegangen, hätten sie wohl noch stundelang so nahe beieinander gestanden und miteinander gescherzt, aber die junge Psychologin schien andere Pläne zu haben, denn sie hatte sich schon wieder in Bewegung gesetzt und winkte Per belustigt zu, der immer noch Gedanken versunken an der selben Stelle stand.
 

„Wär’ das ein richtiges Spiel und ich der Gegner, dann hätte Tim jetzt echt ein Problem.“
 

„Wär’ das ein richtiges Spiel, hättest du dich gar nicht erst aus meiner Manndeckung befreien können. Da bist du nur raus gekommen, weil ich dich gelassen habe. Aber da das hier kein Spiel ist, können wir auch langsam machen. Ich weiß gar nicht, warum du so hetzt.“
 

Irgendwo in seinem Inneren befürchtete Per, dass Lena es eilig hatte von ihm weg zu kommen, aber eigentlich sprach ja alles, was sie sagte und alles, was sie tat, gegen diese Vermutung und ihre fröhliche Antwort zerstreute seine Bedenken auch sofort:
 

„Du hast mir Stracciatella Eis versprochen, Per, da darfst du dich nicht wundern, wenn ich so ein Tempo an den Tag lege. Ich liebe dieses Eis einfach. Außerdem können wir auf dem Rückweg noch mehr als genug trödeln. Außer du hast nachher noch was vor?“
 

Die Begeisterung, mit der sie eben noch von ihrem Stracciatella Eis geschwärmt hatte, war verschwunden und stattdessen hatte sich eine für Per vollkommen neue Unsicherheit in ihre Stimme geschlichen. Seiner Meinung nach schien sie schon fast daran zu zweifeln, ob er später noch Zeit für sie haben könnte – wie sie darauf kam, wusste der Verteidiger jedoch nicht. Er konnte sich zumindest nicht daran erinnern ihr mit irgendeinem Satz oder irgendeiner Geste das Gefühl gegeben zu haben, nur begrenzt Zeit für sie zu haben. Und genau das wollte er ihr auch gerne verständlich machen.
 

„Meinetwegen könnten wir den ganzen Tag zusammen verbringen, ich habe Zeit.“
 

Sofort hellte sich Lenas Miene wieder auf und so gingen sie vergnügt plaudernd bis zu einem der zahlreichen Eis-Cafés, an dem Lena endlich ihr Stracciatella Eis bekam und auch Per sich mit seinem Schokoladen Eis den Bauch voll schlug. Einen winzigen Augenblick lang hatte er überlegt, ob es wirklich so klug war Schokolade zu nehmen, immerhin setzte Lenas bloße Nähe schon so viele Endorphine in ihm frei, dass er vor Glück fast fliegen konnte, da wäre eine zusätzliche Ausschüttung durch die Schokolade bestimmt nicht unbedingt sinnvoll – schließlich wollte er ja nicht vor Glück davon fliegen. Trotzdem konnte Per nicht anders und bestellte seine Lieblingssorte, wahrscheinlich auch, weil Lena ihn nebenbei schon wieder so abgelenkt hatte, dass er keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen konnte.
 

Gemeinsam schlenderten das ungleiche Paar an der Weser entlang, bis sie endlich ein geschütztes Stück Wiese gefunden hatten, auf dem sie sich bedenkenlos niederlassen konnten. Hier waren sie vor allzu neugierigen Spaziergängern und Radfahrern einigermaßen geschützt, so dass sich sowohl Lena als auch Per richtig entspannen konnten. Keiner von beiden war besonders scharf darauf ein Foto von ihnen beim gemeinsamen Eisschlecken zusammen mit einer haarsträubenden Schlagzeile am nächsten Tag in der größten deutschen Klatschzeitung zu sehen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
 

Ein Weilchen saßen die beiden einfach nur schweigend nebeneinander und schleckten ihr Eis, bis Per schließlich all seinen Mut zusammen nahm und vorsichtig seinen freien linken Arm um Lena legte, die dem leichten Zug, der von Per ausging, ohne weiter darüber nachzudenken nachgab und noch ein Stückchen näher an den geborenen Pattensener heranrutschte und ihre Kopf gegen seine Schulter sinken ließ.
 

Immer noch hatte keine von beiden auch nur ein Wort gesprochen, keiner wollte die friedliche Stimmung zerstören, die sich wie eine Seifenblase um sie herum gebildet hatte. Sie genossen einfach nur die Stille und die Nähe des anderen ganz ohne das Bedürfnis unbedingt etwas sagen zu müssen. Manchmal wurde reden halt doch überbewertet und eigentlich war der Innenverteidiger ganz froh darüber, dass er nicht sprechen musste, hatte er immerhin eine größere Chance alles richtig zu machen.
 

Trotzdem konnte er nicht ganz still bleiben. Schon seit dem Augenblick, als er Lena auf dem kleinen Trampelpfad in den Armen gehalten hatte, hatte er an dieses eine, ganz spezielle Lied denken müssen und auch jetzt ging es ihm nicht aus dem Sinn, so dass er einfach leise anfing es vor sich hin zu summen. Zu singen traute er sich dann doch nicht, einerseits wäre der Text zu auffällig gewesen, andererseits wollte er Lena nicht gleich mit seinen Gesangskünsten verschrecken. Das hatte er schon einmal riskieren müssen, ein zweites Mal tat nun wirklich nicht Not.
 

„Was summst du da für ein Lied?“
 

Per Blick wanderte zu der Frau, die da so vertraut gegen ihn gelehnt saß und die Augen immer noch geschlossen hielt, so als wollte sie gar nicht aufhören zu träumen, denn das sie träumte stand außer Frage, das verriet das leichte Lächeln, das ihre Züge umspielte – und genau das war wieder eine dieser Seiten an der jungen Wahl-Spanierin, die Per so sehr faszinierte: Trotz ihres bestimmt nicht ganz leichten Lebens hatte sie nie aufgehört zu träumen und sich über Kleinigkeiten zu freuen. Welcher anderen Frau in ihrem Alter konnte ein einfaches Stracciatella Eis sonst noch so ein glückliches Lächeln aufs Gesicht zaubern?
 

„Nichts Besonderes.“
 

„Bitte Per, es hört sich schön an, als wäre es ein Lied, das man summt, wenn man glücklich ist.“
 

Im Stillen musste Per Lena zustimmen, denn es war definitiv ein Lied für glückliche Zeiten. Um nicht zu sagen für den einen, perfekten Moment, aber das konnte er ihr ja schlecht auf die Nase binden, deswegen antwortete er ausweichend:
 

„Ich hab’s bei der Europameisterschaft nach dem Halbfinale gegen die Türkei das erste Mal gehört, irgendwelche Fans haben es gespielt und ich fand es gerade irgendwie passend.“
 

Am liebsten hätte Lena näher nachgefragt um welches Lied es sich nun handelte, es interessierte sie, was für ein Lied Per in dieser Situation passend fand, doch als sie die Augen aufschlug und in Pers Gesicht sah, verkniff sie sich alle weiteren Fragen. Es war nicht wirklich wichtig. Der Verteidiger lächelte sie so niedlich und strich ihr vorsichtig eine Haarsträhne aus dem Gesicht, als Lena einfach nicht anders konnte als nach seiner Hand zu greifen und sie für einen kurzen Augenblick einfach nur zu halten. Sie hatte keine Ahnung, warum sie das getan hatte, wusste eigentlich noch nicht mal, warum sie hier so saß, wie sie saß: In Pers Arm, an seine Schulter gekuschelt, ja fast schon Händchen haltend. Sie hatte keinen Plan, wie es überhaupt dazu gekommen, von wem die Initiative ausgegangen war, aber sie hatte das Gefühl, dass es richtig so war und das war das einzige, was zählte. Darüber nachdenken konnte sie später noch, jetzt hieß es einfach nur genießen, solange wie es dauerte, denn dass es nicht ewig so bleiben würde, dessen war sich Lena gewiss. Es blieb nie so, wenn sie gerade mal glücklich war.
 

Und als hätte sie es geahnt, fing Per plötzlich an zu reden und zerstörte damit unabsichtlich ihre friedliche Seifenblase.
 

„Sag mal, was war das eigentlich in München zwischen Bojan und dir?“
 

Per wusste selbst wie selten dämlich es war diese einmalige Stimmung zwischen ihm und Lena zu zerstören, besonders mit so einer Frage, von der er wusste, dass sie Lena bestimmt traurig oder zumindest melancholisch stimmen würde, aber er konnte das alles, was sie hier hatten, einfach nicht in vollen Zügen genießen, wenn in seinem Hinterkopf da immer noch all diese anderen Sachen herumspukten.

Die anderen Fragen eben, wie sie zu Bojan stand, der unzweifelhaft in sie verliebt war, in wiefern Lionel, von dem er ja eigentlich gar nichts gewusst hätte, wenn er nicht diese Foto in ihrem Koffer gesehen hätte, ins Bild passte und ob sie immer noch ihrer ersten Liebe hinterher trauerte. Dem Mann, der ihr den Anhänger geschenkt hatte, der immer noch unverändert um ihren Hals baumelte und den sie während der letzten Stunde, die sie zusammen verbracht hatten, immer wieder gedankenverloren berührt hatte. Was das alles anging, brauchte er Klarheit, sonst würde er vermutlich wahnsinnig werden. Denn auch wenn Per sich schon jetzt rettungslos Hals über Kopf in die junge Frau neben ihn verliebt hatte, so wollte er doch sicher sein, dass Lena nicht in festen Händen war. Sollte es sein, wollte er ein Gentleman sein und das Handtuch werfen, auch wenn es ihm tierisch wehtun würde, aber er hatte sich schon vor langer Zeit vorgenommen niemals aus Egoismus eine andere Beziehung zu zerstören. So ein Mensch war er einfach nicht und so ein Mann wollte er auch niemals sein. Deswegen musste er jetzt stark sein und die Fragen stellen, auch die er eigentlich gar keine Antwort hören wollte.
 

„Weißt du Per, ich könnte die jetzt sagen, dass das alles kompliziert ist und es würde der Realität noch schmeicheln, aber ich bin mir sicher, dass du dich damit nicht zufrieden geben wirst, oder?“
 

„Nein, irgendwie nicht. Ich werde dich nicht zwingen mit mir darüber zu reden, aber bisher hatte ich immer das Gefühl, dass du die Ansicht vertrittst, dass reden hilft. Sonst wärst du vermutlich nicht Psychologin geworden, oder?“
 

Am liebsten hätte Lena leise aufgelacht, denn bisher hatte man sie noch nicht oft dazu gebracht ihre eigene Medizin schlucken zu müssen, aber innerhalb der letzten paar Wochen waren sowohl Torsten als auch Per ziemlich gut darin gewesen ihr ihre eigenen Ratschläge um die Ohren zu hauen. Die einzigen, die dieses „Talent“ bisher besessen hatten, waren Paolo und Lionel gewesen, aber selbst diese beiden waren nicht so perfekt darin gewesen wie die beiden Bremer.
 

„Ich vertrete diese Position bei allen Menschen außer mir selbst. Ich bin halt irgendwie nicht der Typ, der lang und breit über seine Probleme und Gefühle spricht. Ich mache das mit mir selbst aus und dann ist gut. Aber seit ich nach Bremen gekommen bin, scheint mir keiner zu glauben, dass es wirklich „gut“ so ist.“
 

Es war wirklich so, dass in Barcelona fast niemand daran gezweifelt hatte, dass es ihr trotz der schlimmen Vorwürfe im Grunde genommen gut ging – schließlich hatte sie ja alles, was eine Frau ihren Alters sich wünschen konnte: Ein abgeschlossenes Studium, eine eigene, renommierte Praxis, weltberühmte Patienten, loyale Freunde und sogar den ein oder anderen Verehrer. Worüber sollte sie sich also beklagen? Wieso sollte sie unglücklich sein? Nur ihre besten Freunde hatten bemerkt, wie sehr ihr diese Gerüchte und Vorwürfe zusetzten, wie sie darunter litt, dass jeder ihrer Schritte, jede ihrer Begegnungen und Berührungen haargenau dokumentiert und dann der Öffentlichkeit zum Fraß vorgeworfen wurde. Sie hatten es gesehen und ihr so gut sie eben konnten zu helfen versucht, bis sie selbst die Notbremse gezogen hatte und aus Barcelona verschwunden war.
 

Und nun war sie hier, in Bremen bei ihrer Familie, weit weg von den neugierigen Paparazzi, die ihr das Leben schier unmöglich gemacht hatten, und trotzdem schienen die Menschen, die genauer hinsahen und die sich wirklich für sie interessierten, sehen zu können, dass es ihr eben nicht gut ging. Ja, sie hatte auch schon mal besser geschauspielert, musste Lena einsehen und genau das bestätigte ihr Per auch noch einmal.
 

„Dass dir keiner glaubt, liegt wahrscheinlich an deinem traurigen Lächeln, das sich jedes Mal in dein Gesicht schleicht, wenn du glaubst, dass keiner von uns hinsieht. Dann wirkst du mit einem Mal so klein und hilflos, dass ich am liebsten zu dir laufen und dich in den Arm nehmen würde, um dich zu trösten. Aber ich weiß ja noch nicht einmal weswegen.“
 

Die Macht- und Hilflosigkeit der Situation schien den langen Innenverteidiger von Werder Bremen tatsächlich zu frustrieren, das merkte Lena sofort und es tat ihr leid, dass sie ihm mit ihrem Verhalten und vor allen Dingen mit ihrem Schweigen in so eine Situation gebracht hatte, immerhin wusste sie ja selbst nur zu gut wie es war, wenn man einem Menschen helfen, ihn trösten wollte, aber im Grunde genommen gar nicht wusste, weshalb. Mit Lionel war es ihr schon unzählige Male so gegangen, manchmal, da wirkte ihr kleiner Torbellino so niedergeschlagen und traurig, doch jeder versuch mit ihm zu reden schlug fehl, auch wenn sie sonst immer über alles sprachen, es gab etwas, was er partout nicht mit ihr teilen konnte oder wollte. Etwas, wogegen sie ihm nicht helfen konnte und das ließ sie sich genauso macht- und hilflos fühlen wie Per.
 

„Ich vermisse meine Freunde, Per. Ich vermisse die Menschen, die ich während der letzten vier Jahre fast jeden Tag gesehen habe, mit denen ich so viele verrückte Dinge erlebt und mit denen ich so viel gelacht habe. Manchmal möchte ich einfach wieder zurück in mein altes Leben, wieder stundenlang mit ihnen über irgendwelche Kleinigkeiten reden und dann glücklich in Leos Armen einschlafen mit dem sicheren Gefühl, dass jemand da sein wird, wenn ich aufwache. Jemand, der ich mich so mag, wie ich bin und für den es wirklich eine Rolle spielt, wie es mir geht. So banal es für dich auch klingen mag: Ich vermisse meine Freunde, deswegen wirke ich manchmal so abwesend und traurig. Sie fehlen mir einfach.“
 

Wenn Per gekonnt hätte, dann hätte er Lena in diesem Augenblick vermutlich angeschrieen – und sie unglaublich fest in den Arm genommen und gedrückt, damit sie sich nicht mehr so einsam fühlte. Doch er schrie nicht, hatte irgendwie gar nicht die Kraft dazu, nach dem, was Lena ihm da gerade offenbart hatte. Nicht einen Moment hatte er geglaubt, dass das Heimweh nach Barcelona so stark sein konnte. Es hatte sie ja schließlich keiner dazu gezwungen Torsten in Bremen zu besuchen, es war ihre eigene Entscheidung gewesen und wenn es doch so schlimm war ohne ihre Freunde, dann konnte sie sich doch jederzeit wieder in den Flieger setzen und zu ihnen zurückkehren – wo war da das Problem?
 

„Aber warum erklärst du das Torsten denn nicht und fliegst wieder heim? Ich bin mir sicher, dass er es verstehen würde. Er will doch nur, dass du glücklich bist.“
 

Es kostete den Verteidiger viel Überwindung diese wenigen Worte aneinander zu reihen, denn selbstverständlich wollte er nicht, dass Lena ihre Sachen packte und ging. Aber wenn es ihr dann besser ging, wenn sie dann wieder lachen konnte, dann war es vermutlich besser so. Denn wenn Per eins nicht wollte, dann war es Lena unglücklich zu sehen, das ertrug er nicht.
 

„Ach Per, ich habe dir doch gesagt, dass es kompliziert ist. Ich kann nicht einfach in den Flieger steigen und so tun, als wäre nichts passiert.“
 

„Aber wieso nicht? Liegt es an Bojan? Macht er dich dafür verantwortlich, dass ich ihn geschlagen habe? Denn wenn das so ist, dann rede ich mit ihm und klär’s.“
 

Für einen Moment hatte Per Angst, dass er dafür verantwortlich war, dass Lena nicht wieder zurück nach Hause konnte, doch ihre Hand, die erst ganz sanft über seine streichelte und dann kurz zudrückte um ihn zu beruhigen, zerstreute diesen Gedanken, zusammen mit ihrer wehmütig klingenden Antwort.
 

„Gott nein, Bojan würde mich lieber heute als morgen im Flugzeug nach Barcelona sitzen sehen, an ihm scheitert es ganz gewiss nicht.“
 

„Aber woran dann?“, murmelte Per leise.
 

Alles Unverständnis für die gesamte Situation steckte in dieser Frage und Lena konnte die Verwirrung des langen Innenverteidigers nur zu gut nachvollziehen, würde sie nicht kopfüber in diesem Schlamassel stecken, hätte sie wahrscheinlich auch kein Wort von dem verstanden, was sie da eben von sich gegen hatte.
 

„An mir. An der ganzen Situation. An allem irgendwie. Und es ist ja auch nicht so, dass ich hier in Bremen nur total unglücklich wäre, so ist das nicht. Weißt du, es gab hier auch schon Momente, in denen war ich unheimlich glücklich, da konnte ich all meine Probleme und Sorgen vergessen und einfach nur genießen.“
 

„Wirklich?“
 

Pers Augen leuchteten wie die eines kleinen Kindes vor dem Weihnachtsbaum und die Wahl-Spanierin konnte einfach nicht anders als zu lächeln. Das war eben eine der Eigenschaften, die sie sofort an Per lieb gewonnen hatte: Mit einem einzigen Blick in seine leuchtenden Augen konnte er sie zum Lächeln bringen, egal wie ihr vorher zumute gewesen war.
 

„Hmhm.“
 

„Und was waren das für Momente?“
 

Beinahe hätte die junge Psychologin losgelacht, denn Per war vor Neugierde noch etwas näher an sie heran gerutscht und schaute sie nun erwartungsvoll an, vielleicht ja sogar in der Hoffnung, dass sie auch mit ihm wenigstens für einen kleinen Augenblick glücklich gewesen war. Doch für den Moment wollte Lena den Kollegen ihres Bruders ein kleines bisschen zappeln lassen und fing erst langsam an:
 

„Wenn ich zum Beispiel mit Lena und Lisa zusammen spiele, vergesse ich ganz oft den Rest der Welt um mich und fühle mich einfach wieder wie ein Kind. Das ist befreiend. Oder wenn ich mich mit Torsten kabbele, so wie wir es früher, vor seinem Auszug, gemacht haben, dann bin ich auch absolut sorgenfrei. In diesen Augenblicken kann mir niemand etwas anhaben, weil ich ja weiß, dass Torsten da ist und die bösen Monster von mir fern hält, auch wenn er manchmal selbst einem Drachen ähnelt.“
 

An dieser Stelle konnten sich Lena und Per das Lachen nicht verkneifen, denn bereits allzu oft hatten sie sich Torsten als Feuerspuckenden Langhaardrachen vorgestellt, der den Weg zu ihrem Turmzimmer bewachte – nur damals war das für Per definitiv nichts Positives gewesen, so wie Lena es gerade dargestellt hatte.
 

Das Lachen der beiden verebbte und Per wollte seinen Blick schon traurig abwenden, als Lena stockend weitererzählte.
 

„Oder aber, wenn wir beide uns unterhalten, miteinander herumalbern oder so vertraut nebeneinander sitzen und auch einfach mal gemeinsam schweigen und die Nähe des Anderen fühlen können – dann bin ich glücklich.“
 

Und in diesem Augenblick konnte Per einfach nicht mehr anders, er musste Lena einfach küssen. Denn wenn dieser Moment nicht mehr als perfekt war, dann war es keiner.
 

To be continued
 

Eigentlich sollte dieses Kapitel vollkommen anders verlaufen, es sollte so locker und leicht bleiben wie noch zu Beginn, Lena und Per sollten scherzen und einfach ein paar schöne Stunden miteinander verbringen, aber irgendwie sind sie dann doch wieder in die melancholische Stimmung abgedriftet.

Und trotzdem finde ich es gar nicht mal so schlimm, immerhin bekommt Per so endlich Antworten auf seine Fragen, er bekommt einen Einblick in Lenas Seelenleben und kann sie jetzt vielleicht besser verstehen – und natürlich bietet es ihm die „perfekte“ Gelegenheit sie zu küssen. Hattet ihr damit am Anfang des Kapitels gerechnet? Vielleicht ja irgendwie schon, denn es hat sich ja so ein bisschen angekündigt, die Berührungen, das im-Arm-halten und diese vielen, vielen Endorphine, die bestimmt nicht nur durch das Schoko-Eis gekommen sind.

Jetzt stellt sich nur noch die Frage, ob Lena den Moment auch für so perfekt hält und den Kuss erwidert. Oder wie sie überhaupt darauf reagiert, dass Per sie so fast schon überfallmäßig küsst, ist ja schließlich sonst nicht sein Stil.

Der folgende Link ist für alle, die gerne wissen möchten, welches Lied Per so passend fand und da so leise vor sich her gesummt hat: http://www.youtube.com/watch?v=rSQpnS1pJSs. Dieses Lied lief übrigens fast in Dauerschleife, während ich dieses Kapitel geschrieben habe und es diente auch die Inspiration für das gesamte Kapitel und besonders natürlich für den letzten Satz. Vielleicht seht ihr es ja genauso wie ich.

Festhalten und Loslassen

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Dieses Mal möchte ich mich bei Sunny, für ihren Kommentar bedanken. Ich hoffe, du freust dich über die kurzen Abstände zwischen den Kapiteln - ich will dich ja nicht zu lange warten lassen.
 

Im ersten Augenblick fühlte sich Lena überrumpelt, so als hätte sie ein Zug in voller Fahrt erwischt, ohne dass sie überhaupt gewusst hatte, dass sie auf den Gleisen stand. Sie hatte das Hupen, das Licht und die anderen Warnsignale nicht registriert und jetzt hatte es sie eiskalt vollkommen überraschend erwischt. Zu der Verwirrung und Verunsicherung mischte sich jedoch auch das unglaublich schöne Gefühl von Pers weichen Lippen, die sie zu nichts drängten, sondern eher vorsichtig-fragend auf ihren lagen, so als wäre er sich nicht ganz sicher, wie weit er gehen durfte und wann er besser aufhören sollte. Dabei war sich Lena selbst nicht wirklich sicher, wie weit der Innenverteidiger gehen durfte, wie weit sie in lassen würde oder ob er sie überhaupt hätte küssen dürfen – und dann auch noch so.
 

Das letzte Mal, dass ein Mann die Wahl-Spanierin so geküsst hatte, mit so viel Zärtlichkeit und Gefühl, so als würde sein Leben und sein Glück an ihren Lippen hängen, lag schon ziemlich lange Zeit zurück. Wenn sie dieses Gefühl überhaupt schon mal so erlebt hatte. So intensiv. Mit Iker war es nie so gewesen, bei ihm war es zuerst voller Leidenschaft und Hunger gewesen, beide hatten sie gewusst, dass der andere wieder etwas fühlen wollte und später hatte sich an ihren Küssen zwar etwas geändert, aber es war nie so gewesen wie jetzt mit Per. Auch während ihrer kurzen Beziehung mit Xavi hatte sie sich nie so gefühlt wie jetzt gerade in Pers Armen. So sicher und geborgen.
 

Unweigerlich glitten Lenas Gedanken zu Ricardo. Sie wollte nicht an ihn denken, nicht jetzt, wo Per sie gerade küsste. Wo seine starken Arme sie hielten und sie sehen konnte, wie der Blonde in den Kuss hineinlächelte, weil er glücklich zu sein schien. In solchen Momenten sollte man nicht an einen anderen Mann denken, das hatte der Abwehrmann nicht verdient, das wusste Lena, aber sie konnte einfach nicht anders. Mit einem Mal war Ricardo da, in ihrem Kopf, in ihren Gedanken. Bei ihm hatte sie sich immer geliebt und beschützt gefühlt, mit jedem seiner Küsse hatte er ihr gezeigt, wie viel sie ihm bedeutete und ein ähnliches Gefühl beschlich sie auch jetzt. Mit Per. Einem Mann, der ihre ganzen Probleme nicht gebrauchen konnte. Der eine Frau wie sie nicht gebrauchen konnte.
 

Vorsichtig löste Lena sich aus der Umarmung des Innenverteidigers und beendete den Kuss, den sie vorher weder richtig erwidert, noch abgelehnt hatte. Irgendwie war ihr noch nicht einmal der Gedanke daran gekommen das eine oder das andere zu tun, so verwirrt und überrascht war sie gewesen – und so tief hatte sie ihn ihrem Wirbel aus Gedanken und Bildern vergangener Zeiten festgesteckt. Jetzt war es jedoch Per, der sie verwirrt und unsicher anschaute, so als fürchtete er eine Schelte für sein Verhalten. Doch die Psychologin hatte ihren Blick abgewandt und schaute nun auf das unruhige Wasser der Weser, das in leichten Wellen auf das Ufer traf.
 

„Lena, ich-“, versuchte Per leise zu erklären, weil er das Schweigen, das sich über sie gelegt hatte nicht mehr aushielt. Er wollte, dass sie ihn wieder ansah, aber andererseits fürchtete er ihren Blick, fürchtete sich davor, was er in ihren Augen lesen würde. Hatte er mit diesem Kuss, der ihm eben noch perfekt erschienen war, letztendlich alles, was sie hatten, kaputt gemacht?
 

„Shhh, Per. Nicht.“
 

Langsam hatte Lena sich kopfschüttelnd zu ihm umgedreht und Per ihren Zeigefinger auf die Lippen gelegt, damit er nicht weiter sprechen konnte. Sie wollte jetzt keine Entschuldigung von ihm hören. Er sollte eigentlich noch nicht einmal das Bedürfnis haben müssen, sich bei ihr zu entschuldigen. Der Kuss war wunderschön gewesen und sie wollte das Gefühl, das sie dabei gespürt hatte, nicht durch eine Entschuldigung vertreiben. Egal wie chaotisch es in ihrem Kopf gerade zuging.
 

„Aber ich muss dir doch-“
 

„Du musst gar nichts Per. Du musst dich nicht entschuldigen und du musst dich auch nicht erklären.“
 

Langsam ließ Lena ihre Hand von seinen Lippen gleiten und griff nach seiner Hand. Vielleicht würde sie ihn ja so am Sprechen und Analysieren hindern können, denn davon wollte die kleine Schwester des „Lutschers“ im Augenblick einfach nicht hören. Dafür war sie noch nicht bereit. Im Gegenteil, sie wollte spüren, dass Per immer noch da war, immer noch an ihrer Seite saß und sie nicht nur träumte diesen Kuss und dieses Gefühl erlebt zu haben, wie sie es damals bei Ricardo so oft getan hatte. Denn das hatte Weh getan und meist weinend zurückgelassen. Lena brauchte die Sicherheit, dass das hier real war. Und sie brauchte seine Hand, damit er sie festhalten würde, wenn die Panik überhand gewinnen und sie zum Weglaufen zwingen würde. Denn genau das würden sie früher oder später, so wie sie es bei ihr immer taten.
 

„Liegt es an mir? Oder an ihm?“
 

Pers Fragen durchbrachen die Stille, die Lena so sorgsam um sie herum aufgebaut hatte. Er hatte sich nicht rechtfertigen, sich nicht entschuldigen dürfen, aber die Fragen stellen, die ihm auf der Seele brannten, das würde er doch wohl noch dürfen. Nur ob er eine Antwort bekam, eine, die er auch verstand, das war eine andere Frage. Schließlich war er aus ihrem Worten vor dem Kuss auch nicht wirklich schlau geworden.
 

„Was meinst du Per?“
 

„Hast du den Kuss nicht erwidert, weil du mich nicht küssen wolltest oder hast du es getan, weil du mir keine Hoffnungen machen wolltest, da dein Herz doch immer noch an dem anderen hängt? Der, der dir so Weh getan hat und den du trotzdem nicht vergessen kannst.“
 

Man konnte aus Pers Stimme eine Spur von Bitterkeit erkennen, die Lena dazu brachte ihm vorsichtig über den Arm zu streicheln. Doch statt ihre Berührung zu genießen, wie der lange Innenverteidiger es vielleicht vorher noch getan hätte, zuckte er zusammen und entzog sich ihrer Hand, so dass Lena ihren Arm wieder ins Gras zurück sinken ließ. Nur wenige Millimeter von Pers entfernt, doch der Abwehrmann machte keine Anstalten nach ihr zu greifen.
 

„Es ging nur um dich. Ich habe nicht aufgehört, mich nicht gewehrt, weil du es gewesen bist, Per. Und ich habe ihn nicht erwidert, weil du es gewesen bist.“
 

Lenas Augen waren stur auf den Rasen und die einzelnen Grashalme gerichtet, viel zu sehr fürchtete sie sich davor Per anzusehen und den Schmerz in seinen Augen zu erkennen, den sie bis jetzt anhand seines Verhaltens nur vermuten konnte.
 

„Aber das ergibt keinen Sinn“, murmelte Per leise, jedoch nicht leise genug, so dass die Psychologin und Wahl-Spanierin deutlich verstehen konnte, was der Mann aus Pattensen da vor sich her flüsterte. Sie verstand seine Verwirrung, verstand, dass er sie, ihre Worte, ihr Verhalten, nicht verstehen konnte, weil sie es ja manchmal selbst nicht fertig brachte, aber sie verstand auch, dass sie es ihm dringend erklären musste, wenn sie nicht wollte, dass er jetzt so ging.
 

„Doch. Ich mag dich Per, wirklich. Und dieser Kuss, der war unbeschreiblich. Aber eben weil ich dich mag, wäre es nicht fair gewesen den Kuss zu erwidern.“
 

„Aber warum? Du bist allein, hast keinen Freund, den du hiermit betrügen würdest und du hast gesagt, dass du mich magst – was brauchst du noch, damit dir das hier richtig erscheint?“
 

Jetzt waren nicht mehr nur Bitterkeit, sondern auch Wut und Verzweiflung aus Pers Stimme herauszuhören, aber Lena wusste, dass sich seine Wut weniger gegen sie, als vielmehr gegen diese verfahrene Situation richtete. Er fühlte sich einfach hilflos, wusste nicht, was er noch tun sollte, damit er sie und ihr Handeln verstand und das konnte die Wahl-Spanierin sehr gut nachvollziehen.
 

Von einen Augenblick auf den anderen änderte sich Pers Gesichtsausdruck, so als hätte irgendwer einen Schalter umgelegt oder ihm etwas ins Ohr geflüstert, der Verwirrung machten Verachtung und noch mehr Wut platz und diesmal sah Lena in seinen Augen, dass definitiv ihr diese Gefühle galten und nicht der Situation. Die folgende Frage des Abwehrmannes kam atemlos und überraschte die kleine Schwester des „Lutschers“.
 

„Oder hast du etwa doch einen? Bist du etwa doch mit Lionel zusammen?“
 

„Woher weißt du von mir und Lionel?“
 

Bevor Lena überhaupt richtig über ihre Gegenfrage nachgedacht hatte, hatten die Worte ihre Lippen verlassen und entsetzt schlug sie sich die Hände vor den Mund. Das deutete Per jedoch vollkommen falsch und schnaubte nur noch:
 

„Also doch, oder? Was bin ich auch für ein jämmerlicher Idiot. Da gehe ich hin, küsse die Frau, die ich mag und vergesse dabei, dass sie ja mit dem besten Fußballer dieses Planeten zusammen ist und sich da garantiert nicht mit ein popeligen Abwehrspieler von Werder Bremen einlassen wird. Meine Güte, wie dumm muss man sein?“
 

Entsetzt über Pers verächtliche Worte, griff Lena ganz automatisch nach der Hand des Bremer Abwehrspielers, um ihm vom Gehen abzuhalten.
 

„Nein! Lionel und ich sind nur Freunde, mehr nicht.“
 

Noch immer hielt die Wahl-Spanierin die Hand des Bremers und sie hatte nicht vor ihn loszulassen, bevor dieses Missverständnis nicht aufgeklärt war. So konnte sie ihn einfach nicht gehen lassen. Egal wie verunsichert und verwirrt sie in ihrem Inneren auch war, diese Sache mit Per hatte oberste Priorität, erst wenn er verstanden hatte, warum sie den Kuss fast schon apathisch über sich hatte ergehen lassen, wo sie sich doch eigentlich unglaublich gut dabei gefühlt hatte, erst dann würde sie sich mit ihrem eigenen Chaos in ihrem Kopf beschäftigen. Aber bis dahin würde es noch ein schwieriger Weg werden, was Pers nächsten Worte nur bestätigten.
 

„Ach wirklich? Das sah auf dem Foto in deinem Koffer aber ganz anders aus.“
 

„Woher kennst du das Foto?“
 

„Ich hab’ dich ins Bett gebracht, schon vergessen? Dabei war ich in deinem Zimmer und da habe ich es halt gesehen.“
 

Per verschwieg ihr absichtlich, dass er es eigentlich nur gesehen hatte, weil er aus Versehen gegen den Koffer gelaufen war, von dem er wusste, dass sich darin Fotos von Lena befanden. Das musste sie seiner Meinung nach nicht wissen. Wäre die Blondine weniger aufgeregt gewesen, hätte sie sich aber vielleicht sogar daran erinnert, dass sie all ihre Erinnerungsstücke aus Barcelona gut vor neugierigen Blick geschützt in ihrem Koffer verwahrt waren und man sie eben nicht zufällig sehen konnte. Sonst hätte Torsten ja schon vor Wochen darauf aufmerksam werden müssen. Und Petra erst. Aber daran dachte die Psychologin in diesem Moment nicht, dafür war sie viel zu sehr damit beschäftigt den aufgebrachten Innenverteidiger im Dienste Werder Bremens zu beruhigen.
 

„Per, das ist nicht so, wie es für dich vielleicht aussehen mag-“, versuchte Lena zaghaft zu erklären, weil sie sich mit einem Mal nicht mehr sicher war, ob Per ihr überhaupt noch zuhören würde, doch mit einem Mal änderte sich sein Gesichtsausdruck wieder und er flüsterte leise, fast kaum hörbar:
 

„Moment mal, ist er etwa derjenige, der dir das Herz gebrochen hat?“
 

Einen kurzen Augenblick musste Lena ihre Gedanken sortieren und überlegen, von wem Per da gerade sprach, schließlich brachte sie mit Lionel keinen Herzschmerz in Verbindung, bis ihr langsam ein Licht aufging, auf was der lange Recke neben ihr anspielte und sie den Abwehrmann entsetzt ansah.
 

„Oh Gott nein, Lionel würde niemals etwas tun, das mich verletzen könnte. So ist er nicht.“
 

„Aber wer ist es dann? Und was hat er so unvorstellbar Schlimmes getan, dass du immer noch nicht damit abschließen und dein Leben so wie du es willst weiterleben kannst? Denn dieser Mann muss ja wohl dafür verantwortlich sein, dass du den Kuss einfach so abgebrochen hast.“
 

Beschämt schaute Lena wieder auf das Gras, das sie während der letzten halben Stunde immer wieder intensiv beobachtete hatte, nämlich immer dann, wenn sie nicht in der Lage gewesen war Per eine klare, verständliche Antwort zu geben. Und jetzt tat sie es wieder, fast schon unbewusst.
 

„Lena, sieh mich bitte an und sag mir, warum dich die Trennung so aus der Bahn geworfen hat. Ich will dir doch nur helfen. Ich will uns beiden helfen, denn du bedeutest mir was. Und es tut mir wirklich Weh zusehen, wie du immer noch an diesem Schatten hängst. Was hat dieser Mann gemacht, dass du ihm selbst nach all den Jahren immer noch hinterher läufst? Dass du ihn einfach nicht aufgeben kannst? Was?“
 

„Per, das ist alles kompliziert und-“
 

Aufgebracht fuhr Per Lena ins Wort, er hatte ihre verqueren Ausreden nun schon zu lange gehört, als dass er sie stillschweigend ein weiteres Mal hätte ertragen können. Letztendlich sagte sie doch eh nichts mit ihren Worten, erklärte nie etwas, sondern redete sich nur raus. Augenscheinlich hatte diese junge Frau für alles eine Ausrede, alles bei ihr schien immer kompliziert, nichts war einfach, dabei machte Lena sich, zumindest aus Pers Sicht, das Leben nur selbst schwer, weil sie die einfachsten Dinge schlichtweg nicht begreifen wollte.
 

„Verdammt Lena, das Leben ist nun mal kompliziert! Nichts ist einfach. Oder glaubst du etwas, du bist die einzige, die Probleme hat und sich Sorgen machen muss, hm? Glaubst du wirklich, dass noch niemand außer dir Liebeskummer hatte und damit zu Recht kommen musste? Dann irrst du dich und zwar gewaltig! Ich bin auch schon verlassen worden und es tat saumäßig Weh, so, dass ich geglaubt habe mich nie wieder verlieben zu können, aber irgendwann kommt man darüber hinweg. Wirklich. Weil man es muss. Weil sich die Welt nun einmal nicht aufhört zu drehen, nur weil es sich ein einziger Mensch wünscht. Das Leben geht weiter. Und das scheinst du noch nicht begriffen zu haben, denn dein Leben dreht sich immer noch nur um diesen einen Mann, der dich nicht wollte.“
 

An Lenas Zucken merkte Per, dass es einen wunden Punkt getroffen haben musste, einen, der ihr unangenehm war und ihr weh tat, doch darauf konnte der geborene Pattensener keine Rücksicht mehr nehmen. Der Zug war schon längst abgefahren. Wenn er danach gegangen wäre, hätte er vermutlich die ganze Zeit so verhalten müssen, als liefe er auf rohen Eiern und das hatte er satt. Irgendwer musste der Blondine mal die Wahrheit sagen und wenn es sonst keiner tat, würde er es tun. Für Lena, aber auch für sich selbst. Denn nur so würde er eine reelle Chance auf eine wirkliche Beziehung mit ihr haben und das wollte der blonde Innenverteidiger mehr als alles andere. Ohne diese harten Worte würde sie wohl nie aufwachen und begreifen, dass sie dabei war ihr ganzes Leben wegzuwerfen, nur weil sie einmal derbe auf die Schnauze gefallen war und genau diese Vorstellung konnte Per nicht ertragen. Deswegen ging er jetzt auch das Risiko ein, ihr schmerzhafte Dinge an den Kopf zu knallen, ihr weh zu tun und sie vielleicht sogar für sich zu verlieren, wenn es ihr nur half zu begreifen und loszulassen. Wenn es ihr bewusst machte, dass sie etwas in ihrem Leben ändern musste, um endlich wieder glücklich zu werden.
 

„Vergiss ihn, hark ihn ab. Vier Jahre sind eine verdammt lange Zeit um einer alten Liebe hinterher zu trauern, meist du etwa, dass er noch an dich denkt? Nein, er hat sich mittlerweile bestimmt das Leben aufgebaut, dass er sich immer gewünscht hat und das ohne dich. Sieh es doch bitte endlich ein. Sieh es ein und schau nach vorne.“
 

„Ich schaue nach vorne, wirklich Per, aber-“
 

Traurig schüttelte Per den Kopf. Er konnte nicht begreifen, wie ein Mensch nur in der Lage sein konnte sich selbst so eine Illusion so überzeugend vorzumachen. Und das über einen so langen Zeitraum. Vermutlich würde Lena nie begreifen, was er ihr zu erklären versucht, würde nie wirklich verstehen, dass ihr Verhalten eben nicht so war, wie sie es sich einzureden versuchte. Doch so schnell würde der 1,98-Meter-Mann nicht aufgeben. Er würde es weiter versuchen, auch wenn es schmerzte. Und zwar nicht nur ihr, sondern ihnen beiden.
 

„Nein Lena, kein aber. Und du schaust auch nicht nach vorne. Du tust alles, aber nicht nach vorne schauen. Denn dann hättest du irgendwann schon deine Kette abgenommen und sie zu den anderen Erinnerungsstücken gelegt, die du an diese Zeit hast. Aber das kannst du nicht, weil es für dich bedeuten würde, dass du mit ihm abgeschlossen hast. Dass du mit eurer Liebe abgeschlossen hast. Und bevor du das nicht getan hast, brauchen wir uns nicht mehr unterhalten. Nicht über dich. Nicht über mich. Und auch nicht über ein Uns, das es vielleicht geben könnte.“
 

Diese harten Worte taten nicht nur der Blondine weh, die zusammengezuckt war, als hätte man ihr einen Peitschenhieb verpasst, sondern auch dem blonden Verteidiger, der sie geäußert hatte. Er hatte nicht so endgültig klingen wollen, eigentlich hatte er der kleinen Frau neben sich zeigen wollen, wie sehr er sich eine echte Chance mit ihr wünschte, wenn sie denn nur bereit wäre die Vergangenheit endgültig und unwiderruflich ruhen zu lassen, doch selbst in seinen Ohren klangen die Worte so, als hätte er resigniert. Aufgegeben. Dabei gab er nie auf, wenn ihm etwas wirklich wichtig war. Oder eben jemand, wie in diesem Fall.
 

„Bitte Per, das alles ist noch so-“
 

„Frisch? Ja, das glaube ich dir sogar, aber nur, weil du die alten Wunden nicht ruhen lässt. Du lässt sie nie endgültig verheilen.“
 

Frustration sprach aus Pers Augen, als Lena ihn ansah und sie konnte ihn ja irgendwie sogar verstehen. Und deshalb wollte sie ihm ja unbedingt das Gegenteil beweisen, wollte ihm zeigen, dass es eben nicht so war, wie er es ihr vorgeworfen hatte. Sie war doch keine Masochistin, die nicht ohne die Schmerzen konnte, so war es nicht. Wirklich nicht. Und das versuchte Lena dem Abwehrrecken auch klar zu machen:
 

„Das stimmt nicht, ich will ja, dass sie ganz verheilen, aber irgendwie werden sie immer wieder aufgerissen und dann tut es wieder weh. Fast so weh, als wäre gar keine Zeit vergangen, als wäre es nicht vier Jahre, sondern vier Tage her.“
 

Mühsam versuchte Lena die Tränen zu unterdrücken, die sich ihren Weg zu bahnen versuchten. Eben war sie noch glücklich und befreit gewesen und dann kam Per auf diese verrückte Idee sie zu küssen und jetzt saß sie hier neben ihm im Gras und fürchtete den Kampf gegen die Tränen zu verlieren. Weil er unbedingt in ihrer Vergangenheit hatte herumstochern müssen. Es waren Gespräche wie diese, die die alten Wunden immer wieder aufbrechen ließen, doch auch wenn sie es vielleicht gern getan hätte, so konnte sie Per keinen Vorwurf machen, dass er endlich klare Verhältnisse schaffen wollte. Dass er Antworten wollte auf Fragen, die er noch nie laut gestellt hatte, die aber schon die ganze Zeit zwischen ihnen standen. Und Lena wusste, dass sie ihm ehrlich erklären musste, wie und warum ihre Vergangenheit in Mailand sie emotional so verkrüppelt hatte.
 

„Ich habe Angst Per. Schlicht und ergreifend. Ich hab schon einmal geliebt und bin fürchterlich enttäuscht worden. Am Ende stand ich allein da, ganz allein. Und ich kann das nicht noch mal.“
 

Zärtlich strich Per Lena über die Wange und nahm sie einfach schweigend in den Arm. Er wusste, dass sie dieses Eingeständnis ihrer Angst viel gekostet hatte und das es sicherlich nicht einfach gewesen war diese wenigen Worte aneinander zu reihen, die genau das ausdrückten, was sie gerade tief in sich drin fühlte. Und doch hatte sie es getan, weil sie ihm bewiesen wollte, dass sie sich eine Chance verdient hatten. Hoffte er zumindest, dass es das hieß. Sicher war er sich da nicht, wie auch, bei Lena konnte man sich ja nie sicher sein. Und genau deswegen versicherte er ihr auch nicht, dass er sie niemals allein lassen oder verletzen würde, sondern stellte ihr eine Frage, die ihr zu denken geben sollte:
 

„Wenn wir uns darauf einlassen zu lieben, Lena, dann müssen wir uns auch auf Abschiede einlassen. So ist das im Leben nun einmal. Wollten wir etwa nicht lieben und geliebt werden, nur um keine Abschiede zu erleben? Nur um niemals wieder den Schmerz zu fühlen, den ein gebrochenes Herz anrichten kann?“
 

To be continued
 

Als ich dieses Kapitel angefangen habe, wusste ich nicht, wo es mich hinführen wird. Ich hatte keine Ahnung, wie das mit Per und Lena weitergehen sollte, was sie sagen, wie sie reagieren sollten. Ich wusste es schlicht und ergreifend nicht und deshalb habe ich mich sehr lange Zeit auch nicht an dieses Kapitel herangetraut. Ich konnte mich einfach nicht dazu überwinden mich hinzusetzen und etwas zu schreiben, weil ich einfach nicht wusste, was daraus werden sollte. Vielleicht hätte ich ja etwas geschrieben, was mir an dem Tag gefällt, aber gar nicht zu den Personen und der Handlung passt? Möglicherweise hätte ich Per und Lena Dinge tun lassen, die ich hinterher sehr bereut hätte. Deswegen kam dieses Kapitel erst nach längerer Wartezeit, obwohl ich frei und eigentlich alle Zeit der Welt zum Schreiben hatte. Ob ich das, was ich hier geschrieben habe, nicht vielleicht auch später verfluchen werde, weiß ich nicht, aber dieses Kapitel hat alle verschiedenen Stimmungen der letzten Tage überstanden und ist nicht gelöscht worden, daher hoffe ich einfach auf das Beste. Und natürlich auf eure Meinung.
 

Gerade das Ende ging mir sehr leicht von der Hand, während der Anfang überaus schwer und stockend zu schreiben war. Aber der wütende Per war leicht, weil es wirklich an der Zeit war Lena all diese Dinge zu sagen und sie daran zu erinnern, dass sie noch ein Leben in der Gegenwart hat und eben nicht nur eins in der Vergangenheit. Über ihre ganzen Probleme hat sie irgendwann im Lauf der Geschichte scheinbar vergessen, dass sie eben nicht der einzige Mensch mit Problemen und Sorgen ist und dass Per sie daran erinnert, auch auf die Gefahr hin sie dadurch endgültig zu verlieren, zeigt meiner Ansicht nach, wie viel sie ihm doch bedeutet.
 

Jetzt ist es an ihr sich zu entscheiden, ob sie bereits ist mit der Vergangenheit abzuschließen und den ersten Schritt in ein neues Leben zu wagen oder ob sie Per und alles, was die beiden möglicherweise und unter Umständen haben könnten, wegwirft. Wie steht ihr zu dieser Frage?

Wenn ich Angst hab', ich verlier', was ich lieb'

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Ich möchte an dieser Stelle wie immer „Danke“ sagen. Mir ist bewusst, dass ich mich wiederhole und wahrscheinlich einige diesen Teil einfach wegscrollen, aber es ist mir ein Herzensbedürfnis euch alle wissen zu lassen, wie groß euer Anteil an dieser Geschichte doch ist. Und das gilt natürlich besonders für jene, die mir immer lieb ein Review dalassen, auf das ich mich freuen kann: Sunny und Sanakito.
 


 

Wie eine Ertrinkende klammerte sich die Blondine plötzlich an den großen Innenverteidiger, der zwar etwas perplex auf die Nähe reagierte, ihr trotzdem sanft über den Rücken streichelte, so wie er es bereits vor seiner Frage getan hatte. Eben war ihre Umarmung noch von Distanz geprägt gewesen, sie war von ihm ausgegangen um die Psychologin zu trösten, doch jetzt erschien es Per, als wollte sie sich an ihm festhalten, um nicht endgültig in etwas zu versinken, was er vermutlich den Strudel der bittersüßen Erinnerungen genannt hätte.
 

Lena wusste natürlich, dass Per trotz ihrer Umarmung und ihrer körperlichen Nähe auf eine Antwort wartete, eine Antwort auf seine Frage, die eigentlich gar keine mehr benötigte. Natürlich wollte sie wieder lieben und geliebt werden, aber das Risiko wieder so zu enden, wie nach ihrer Beziehung zu Ricardo, war ihr meistens einfach zu hoch gewesen. Sie war nun mal kein Fan von Russischen Roulette, weder im Leben noch in der Liebe. Ein Mal hatte gereicht und der Schmerz hatte sie damals beinahe umgebracht. Ohne sich wirklich dagegen wehren zu können, katapultierten Pers Worte über den Herzschmerz und das Abschiednehmen Lena in das Reich der Erinnerungen und lange verdrängte Bilder tauchten vor dem inneren Auge der jungen Frau auf.
 

Reglos saß Lena im Sessel gegenüber des großen Panoramafensters. Es war ihr Lieblingssessel, hatte gerade die richtige Größe, war bequemen und mit dem Hocker zusammen der ideale Platz zum Zusammenrollen. Tat die Blondine jedoch nicht. Sie saß einfach nur da und starrte aus dem Fenster. Ein zufälliger Beobachter hätte wahrscheinlich gesagt, dass die junge Frau aus dem Fenster in die ruhige Landschaft sah, doch wer genauer hinsah, konnte die getrockneten Tränen auf ihrer Wange erkennen, die davon zeugten, dass sie nichts von dem sah, was genau vor ihr lag. Sie war in ihre eigenen Gedanken vertieft, spazierte wahrscheinlich durch ihre eigene kleine Welt und beachtete die Tränen, die immer wieder unkontrolliert über ihre Wange kullerten, gar nicht weiter, so als spielten sie keine Rolle.
 

Erst das leise Klicken des Türschlosses und die Geräusche der vorsichtig aufgeschobenen Haustür brachten sie in die Realität zurück. Schnell wischte sich die junge Frau über Wangen und Augen um die Tränenspuren zu verwischen, auch wenn sie sich von vorne herein bewusst war, dass sie es nicht würde verbergen können. Nicht vor ihm und seinem Blick, der scheinbar alles sah. Alles sehen konnte, weil sie für ihn ein offenes Buch war. Doch diese Geschichte würde heute hier ein Ende finden, Lena wusste nur noch nicht, wie genau. Egal, wie sie ausgehen würde, das klassische Happy End und die Phrase „Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende“ würde es garantiert nicht geben. Sie war nun mal keine Prinzessin, er kein Ritter in scheinender Rüstung, der mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen auf seinem weißen Ross angeritten kam – und sie lebten nun einmal auch nicht in Hollywood, sondern in Mailand. Und da schrieb das Leben die Geschichten und kein romantischer Drehbuchautor.
 

Das leise Tapsen kam immer näher und Lena musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer da gerade im Türrahmen lehnte und sie anschaute. Vermutlich mit diesem für ihn so typischen Blick, der womöglich Butter zum Schmelzen gebracht hätte, wenn er es nur darauf angelegt hätte. Der Blick aus seinen sanften braunen Augen, der sie überhaupt irgendwie erst zu dieser Dummheit verleitet hatte. Denn genau das war es doch gewesen: Eine Dummheit. Sich mit einem verheirateten Mann einzulassen brachte nur Schmerz – und Probleme natürlich. Selbstverständlich konnte es mal gut ausgehen, aber letztendlich gab es doch am Ende immer jemanden, der weinte. Und dieses Mal hatte es anscheinend sie getroffen.
 

Lena wollte Ricardo jetzt nicht sehen, wo ihre Gedanken sich noch auf einer scheinbar nicht enden wollenden Achterbahnfahrt befangen und ihre Gefühle ihr die Luft zum Atmen nahmen. Nein, die Psychologin wollte ihn jetzt wirklich nicht sehen, nicht mit ihm sprechen und wenn es nur möglich gewesen wäre, hätte sie auch mit aller Macht versucht nicht an ihn zu denken, doch das war unmöglich. Er war überall. Gerade hier. Und das tat Weh, deshalb wollte sie lieber weiter in die Ferne schauen und ihren Tränen freien Lauf lassen, sollten sie sich irgendwann dafür entscheiden, dass der Zeitpunkt gekommen war, sich richtig auszuheulen und den Mann zu verfluchen, der ihr all das angetan hatte. Bis dahin wollte sie einfach nur in der Stille hier sitzen und warten.
 

„Hier bist du also“, störte Ricardo die Stille im Raum und damit die Gedanken der jungen Blondine Gedanken. Ob er gehofft hatte, dass Lena irgendeine Reaktion zeigen würde, sich zu ihm umdrehen oder ihn gar ansehen würde, wusste der Mittelfeldspieler selbst nicht so genau. Er hatte einfach nur gehofft, dass sie überhaupt auf seine Anwesenheit reagieren würde, ob sie ihn nun anschreien, beschimpfen oder sich weinend in seine Arme werfen würde, wäre ihm egal gewesen, aber so ertrug er das alles einfach nicht. Er wusste natürlich selbst, wie bescheuert sich dieser Satz anhöre musste, doch er konnte diese Stille, dieses Schweigen nicht länger ertragen, wo sie sich gerade jetzt so viel zu sagen hätten.
 

„Ja, hier bin ich.“
 

Monoton hallte Lenas Stimme durch das geflieste Wohnzimmer des kleinen Hauses, dass das Paar nun schon seit mehreren Wochen in jeder freien Minute bewohnte. Es lag etwas außerhalb der Millionenmetropole Mailand und bot Schutz vor den neugierigen Augen anderer Menschen, die sich gern in Dinge einmischten, die sie absolut nichts angingen. Manche hätten es vielleicht als Liebesnest bezeichnet, doch für Lena war es mit der Zeit viel mehr geworden als ein Ort, an dem sie ungestört Zeit mit dem Mann, dem ihr Herz gehörte, verbringen konnte – jedes Mal, wenn sie mit Ricardo hier gewesen war und sie zusammen gelebt und sich geliebt hatten, war es für sie der Blick in die Zukunft gewesen. Eine Zukunft, die sie um jeden Preis hatte erleben wollen. Und die vor weniger als zwei Stunden in tausend Scherben zerbrochen war, so wie ihr Herz.
 

„Ich habe dich gesucht.“
 

Langsam näherte sich der Mittelfeldspieler dem Sessel, in dem Lena nun schon seit einer Stunde fast bewegungslos saß und aus dem Fenster schaute. Bisher hatte sie sich immer noch nicht zu ihm umgedreht und so langsam machte sich Ricardo Sorgen, was ihn erwarten würde, wenn er in ihr Gesicht sehen würde. Ihre Stimme verriet ja nichts von ihrem Gefühlen, war kontrolliert und monoton, deswegen war er darauf angewiesen in ihre Augen zu sehen, die ihn niemals belügen könnten.
 

„Na dann hast du mich ja jetzt gefunden“ meinte Lena nur leise. Gleichgültig. So als wäre es ihr wirklich vollkommen egal, dass er jetzt hier war, dass er schon fast hinter ihr stand. Keine Regung verriet, was in der kleinen Schwester des „Lutschers“ wirklich vorging und das trieb den Brasilianer schier in den Wahnsinn.
 

„Lena, bitte.“
 

„Was Lena bitte? Du musst dich schon etwas klarer ausdrücken, damit ich dich verstehen kann Ricardo. Also: Was bitte?“
 

Jetzt hatte sie sich doch zu ihm umgedreht und er konnte die Tränenspuren auf ihren Wangen sehen, die mehr schlecht als recht verwischt worden waren. Vorsichtig kniete er sich neben ihren Sessel und fuhr unbewusst mit seiner Hand über ihre Wange, so als müsste er die Zeugnisse ihrer Tränen nicht nur sehen, sondern auch spüren und ebenso zaghaft, wie er Lena berührte hatte, murmelte er auch nur:
 

„Ich weiß, dass du Caroline getroffen hast.“
 

Auch der Name seiner Frau löste die Starre nicht, in der Lena sich zu befinden schien. Sie saß immer noch ganz ruhig da, ertrug seine weiche, warme Hand auf ihrer Haut und wie er dabei über seine Frau sprach. Es hätte ja auch nichts an der Situation geändert, wenn sie aufgesprungen und ihn angeschrieen hätte, deswegen blieb die junge Frau einfach nur sitzen und blickte wieder weiter aus dem Fenster, wo der leichte Wind die Baumkronen zu wiegen begann. Hätte Ricardo nicht gesehen, wie sich ihre Lippen bewegten, hätte er ihre Worte wahrscheinlich noch nicht einmal wahrgenommen, so leise waren sie gesprochen worden, mehr zu sich selbst als für Ricardo.
 

„Und? Ob du es glaubst oder nicht, ich habe deine Frau während der letzten Jahre schon häufiger gesehen.“
 

Die Bitterkeit aus ihrer Stimme fernzuhalten, die sie beim Gedanken an Caroline überfiel, war schwer, schließlich hatte sie die junge Brasilianerin meist an der Seite ihres liebenswerten Mannes gesehen – strahlend schön und lebensfroh wie niemand sonst. Ein absolutes Traumpaar für alle, die nicht mehr über die Beziehung des Paares wussten. Die nicht wussten, dass Ricardos Herz eigentlich einer anderen Frau gehörte – oder diese Frau das zumindest einmal gedacht hatte. Und es waren ehrlich gesagt die meisten, die von all dem nichts wussten und es noch nicht einmal ahnten. Diese Gedanken trieben Lena wieder die Tränen in die Augen und so wunderte es sie auch nicht weiter, dass Ricardo nach ihrer Hand griff. Er hatte schon immer gespürt, wie es ihr ging und welche Gedanken sie traurig stimmten.
 

„Das weiß ich doch, aber ihr habt vorher noch nie, na ja, ihr habt halt vorher nicht-“
 

„Sag doch einfach, wie es ist, Ricardo, hier ist keiner, der dir zuhört außer mir. Und für mich musst du es nicht in Watte packen.“
 

Ein wenig ärgerlich entzog Lena ihm ihre Hand und stand auf, um zum Fenster zu gehen. Nicht, weil sie irgendetwas Interessantes gesehen hatte, sondern weil sie Abstand zum Brasilianer gewinnen wollte, der immer noch unschlüssig neben dem Sessel hockte und ihr nachsah. Die Psychologin wusste nicht, warum Ricardo noch hier stand und solche Probleme hatte die Dinge beim Namen zu nennen, er wusste doch schließlich, dass sie es schon wusste, also gab es in dieser Hinsicht doch gar keine Probleme mehr. Sie hatte ihn bis jetzt nicht wie eine Furie angefallen und würde es auch später nicht tun, wenn sie es erst aus seinen Mund gehört hatte, wozu also diese Zögerlichkeit, so als wollte er ihre Gefühle nicht verletzen. Dafür war es eh schon zu spät. Möglicherweise war es aber auch für ihn schwer sich an die Situation zu gewöhnen, doch wenn sie Caroline Glauben schenken durfte, hatte er schon Zeit genug gehabt. Zeit und Gelegenheit, sich in aller Ruhe mit dem Gedanken auseinander zu setzen, ganz unbedrängt und ohne lästige, fragende Blicke. Ganz im Gegensatz zu ihr.
 

„Lena, ich hätte es nie in Watte gepackt, wie du es sagst, aber ich wollte auch nie, dass-“
 

„- dass ich es so erfahre? Dann hättest du deiner Frau entweder einen Maulkorb anlegen oder es mir einfach vorher sagen müssen. Und das ist das einzige Detail an dieser ganzen, beschissenen Situation, das einfach zu lösen gewesen wäre.“
 

Am liebsten hätte Lena das Haus verlassen, wäre irgendwo hingegangen, wo sie ihre Ruhe gehabt hätte, doch sie war sich sicher, dass Ricardo ihr folgen würde – weil er mit ihr reden wollte. Vermutlich auch, weil er die Sache klären wollte – als gäbe es da noch irgendetwas zu klären. Trotzdem hörte Lena nicht auf zu reden, drehte sich sogar zu ihm um und sah ihm das erste Mal, seit Ricardo den Raum betreten hatte, direkt in die Augen.
 

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie es sich für mich angefühlt hat, von der Frau meines Geliebten zu hören, dass sie ein Kind bekommt und er so unsagbar glücklich darüber ist. Dass ihr sogar überlegt euer Eheversprechen zu erneuern.“
 

Ricardo wusste, dass er nicht erleichtert darüber sein sollte, Lenas Schmerz endlich in ihrem Gesicht und ihren Worten erkennen zu können, doch er war es. War es wirklich. Nicht, weil er sich an ihrem Leid und Schmerz erfreuen konnte oder wollte, sondern weil sie ihm damit endlich zeigte, dass ihr das alles nicht so egal war, wie sie bis gerade eben noch getan hatte. Oder es zumindest versucht hatte. Sicher, ihre Tränen waren eine Sprache gewesen, die von ihrer Traurigkeit gesprochen hatte, doch alles andere, ihre Stimme, ihre Haltung, so nüchtern, so kühl und abweisend, hatten von anderen Dingen gesprochen.
 

„Ich kann verstehen, dass du wütend bist Lena, wirklich, aber-“
 

„Wütend? Du hast keinen blassen Schimmer wie ich mich im Augenblick fühle, Ricardo, sonst würdest du mich nicht als wütend bezeichnen. Jetzt vielleicht, ja, aber eben noch nicht. Bis eben war ich einfach nur enttäuscht, traurig und verletzt. Ich wollte allein sein, um damit klar zu kommen. Darüber nachdenken, was das jetzt alles bedeutet und wie es weiter gehen soll.“
 

Ricardo wusste nicht, ob es ihm Hoffnung machen sollte, dass Lena darüber nachdachte, wie es mit ihnen weitergehen sollte. Denn wenn sie an ein „wie“ dachte, so hoffte Ricardo, dass sich die Frage nach dem „ob“ überhaupt gar nicht erst stellen würde, so wie er es gefürchtet hatte, als er den Raum vor einer halben Stunde betreten hatte. Oder sie diese Frage für sich zumindest schon beantwortet hatte. Denn eines war für ihn ganz klar: Was auch immer kommen würde, er wollte Lena nicht einfach so los lassen. Nicht, wenn sie bereit sein würde, ihnen noch eine Chance zu geben. Es war egoistisch und es war mies gegenüber seiner Frau und ihrem ungeborenen Kind, aber der Brasilianer konnte sich ein glückliches und erfülltes Leben ohne Lena an seiner Seite einfach nicht mehr vorstellen. Und dafür würde er kämpfen, betteln und flehen, egal wie egoistisch es auch klingen mochte. Dass er dafür vielleicht sogar das Lebensglück beider Frauen aufs Spiel setzte, daran dachte der Mittelfeldspieler in diesem Moment nicht.
 

„Es tut mir Leid“ hauchte der Mann vom Zuckerhut leise und Lena spürte, wie eine Abwehrbastion nach der anderen ins Straucheln geriet, je näher er an sie herankam. Sie wusste nicht, wie sie sich und ihr Herz schützen sollte, deshalb versuchte sie es erst gar nicht und fragte gleich leise, aber deutlich vernehmbar:
 

„Warum, Ricardo? Warum hast du mir nicht einfach die Wahrheit gesagt, hm? Ich wäre nicht wütend geworden, hätte nichts Böses gesagt, aber so… Wieso, Ricardo?“
 

„Ich wusste nicht, wie du es aufnehmen würdest. Ich hatte Angst vor deiner Reaktion. Ich war mir nicht sicher, ob du mich anschreien oder gleich wieder gehen würdest. Ob du mir überhaupt eine Chance lassen würdest dir alles zu erklären. Was deine Gefühle angeht bist du einfach so unberechenbar. Ich konnte mir einfach nicht sicher sein, dass du ruhig bleibst und mich bis zu ende sprechen lässt.“
 

Wäre die Situation eine andere gewesen, hätte die Blondine vielleicht laut los gelacht, da sie aber keine andere war, blieb Lena still und sah Ricardo einfach nur an, bevor sie nur kopfschüttelnd und mit einem kraftlosen Lächeln, das ihre Augen nicht ganz erreichte, sagte:
 

„Dann sag mir: Wo lernt man, so cool zu bleiben, wenn man Angst hat man verliert was man liebt? Wenn ich Angst hab’ ich verlier’ was ich lieb’?!“
 

To be continued
 

Das war der erste, kürze Ausflug in Lenas Mailänder Vergangenheit, ich weiß, ihr hattet wahrscheinlich damit gerechnet, dass es bei Per und Lena direkt weitergehen wird, aber zuerst möchte ich das Rätsel um Ricardos und Lenas Beziehung lüften. Für Per und für euch. Und ich kann mir vorstellen, dass euch das fast genauso brennend interessiert wie das Ende des „Dates“.

Einige von euch haben es schon vermutet, mit diesem Kapitel habe ich es bestätigt: Ja, den beiden ist in gewissem Sinne eine Schwangerschaft in die Quere gekommen, aber das ist noch nicht alles. Denn Ricardo will ja um ihre Beziehung kämpfen, fragt sich nur, wie Lena darauf reagiert (ihre doch recht apathische Haltung vom Anfang hat sie ja nun mittlerweile abgelegt, auch wenn ich diesen Schock und das Starren selbst für sehr nachvollziehbar gehalten habe) und ob es tatsächlich schon in diesem Augenblick alles in die Brüche gegangen ist. Vielleicht kann er ja jetzt noch alles kitten, auch wenn es wohl wirklich ein herber Schlag für Lena war, dass er ihr diese wichtige Information verschwiegen hat. Und was haltet ihr von seiner Begründung dafür? Und natürlich Lenas Antwort?

Hat Caroline vielleicht von der Affäre ihres Mannes Wind bekommen und Lena deswegen die Sache mit der Schwangerschaft so freudig erzählt? Möglich wäre es ja, denn so rächt man sich doch am besten an der Geliebten des Mannes, wenn man es schon nicht so offen zeigen will. Und dass sie Erfolg damit hatte, weil Lena nun leidet, steht auch außer Frage.
 

Ich hoffe es interessiert euch, wie es mit ihnen weitergeht und ihr hinterlasst mir ein paar liebe Worte,

Schumeriagirl

Ich bereue nichts

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Wieder einmal vielen Dank an Sunny, die mir treu zur Seite steht und jedes kapitel liest und kommentiert.
 

Auf diese Reaktion, auf solche Worte von Lena war Ricardo nicht vorbereitet gewesen. Sie hatte ihn mit ihrem emotionalen Ausbruch vollkommen überrascht. Damit hatte er einfach nicht gerechnet. Lena war normalerweise nicht der Typ für solche Worte, für diese Bitterkeit. Und trotzdem verstand er sie. Ihm ging es ja irgendwie genauso. Diese ganze verrückte Situation war ihm über den Kopf gewachsen und jetzt stand er vor dem Abgrund und wusste nicht mehr, wo der Weg ihn hinführen würde. Zurück konnte er nicht mehr, denn es würde nie wieder so sein wie früher.

Und das wollte er ja eigentlich auch nicht, weil er vor dem verlorenen Finale, vor seiner Beziehung mit Lena unglücklich gewesen war. Gefangen in einem Käfig, aus dem er nicht allein hatte ausbrechen können. Aus Angst. Vielleicht auch aus Rücksicht auf Caroline, der scheinbar gar nicht aufgefallen war, wie sehr er sein Leben verabscheut hatte. In den letzten Wochen mit Lena hatte er die neue Freiheit spüren können und jetzt wollte er nicht wieder zurück. Vorher hatte er nur davon träumen können, wie es mit seiner ersten großen Liebe sein würde, jetzt wusste er es und es hatte seine Träume noch bei weitem übertroffen. Mit diesem Wissen konnte er einfach nicht wieder nach Hause gehen und so tun, als wäre nichts gewesen. Zumindest nicht ohne die Aussicht wieder kommen zu können, wenn ihn die Gitterstäbe seines goldenen Gefängnisses mal wieder zu sehr einengen würden. Es spielte keine Rolle ob Caroline etwas von seiner Affäre mit Lena wusste oder nicht, es würde einfach für ihn niemals mehr das Gleiche sein. Er liebte sie einfach nicht mehr. Nicht so, wie er Lena liebte. Aber es war wahrscheinlich unfair Caroline an seiner Liebe zu Lena zu messen.
 

„Ich erwarte nicht von dir, dass du ruhig bleibst. Aber ich hoffe auf eine Chance dir alles erklären zu können“, flüsterte Ricardo fast unhörbar. Er wusste, dass er sie verletzt hatte, als er ihr nicht sofort die Wahrheit gesagt hatte, aber er konnte die Zeit nicht zurückdrehen. Sonst hätte er es schon längst getan. Das hätte ihnen so viel Schmerz und Tränen erspart. Er hätte sie zu jener Nacht zurückgedreht, als sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten. Es war mittlerweile schon Jahre her, aber er erinnerte sich immer noch an jede einzelne Sekunde, auch wenn er angetrunken gewesen war und gar nicht so richtig realisiert hatte, was genau er da eigentlich gerade tat. Und welche Konsequenzen es irgendwann mit sich bringen würde. Es war einfach nur wunderschön gewesen, das war alles, was ihn in diesem Augenblick interessiert hatte.
 

Lenas Stimme riss ihn aus seinen Erinnerungen zurück in die Wirklichkeit, die nichts mit seinen Träumen gemein hatte.
 

„Was willst du mir noch groß erklären, Ricardo? Ich denke, es ist alles erklärt. Du wirst Vater. Du bekommst ein Kind mit deiner Frau zusammen. Gratulation. Das ist doch das, was du immer wolltest: Eine Familie.“
 

Ricardo wusste nicht, wie er Lenas Tonfall deuten sollte. Sie versuchte ihn nicht zu nah an sich heran zu lassen, soviel war klar. Und er konnte es ihr noch nicht einmal verübeln, wahrscheinlich würde er sie auch nicht an sich heranlassen, hätte sie ihm eröffnet, dass sie von einem anderen Mann schwanger war. Aber das hier war eine andere Situation, sie hatte schließlich von Anfang an gewusst, dass es noch eine andere Frau in seinem Leben gab. Seine Ehefrau. Die Frau, der er Liebe und Treue geschworen hatte und die er seit mehreren Wochen betrog – mit seiner ersten großen Liebe. Wahrscheinlich seiner einzigen, auch wenn er es damals nicht bemerkt hatte. Oder auch nicht bemerken wollte.
 

„Ja, ich wollte immer eine Familie, aber nicht mit ihr, sondern mit dir. Und ich schwöre dir, dass ich seit Istanbul nicht mehr mit Caroline geschlafen habe. Seitdem bist du die einzige Frau für mich. Lena, hör mir zu: Ich will dich nicht verlieren. Ich liebe dich.“
 

Nichts, was Ricardo sonst hätte sagen können, traf Lena so wie seine letzten Worte. Er liebte sie – immer noch. Und er hatte sie nicht betrogen, hatte sie und Caroline nicht gegeneinander ausgespielt, um seinen Spaß zu haben. Ricardo war ihr in den letzten Wochen treu gewesen, das Baby stammte also noch aus einer Zeit, wo keiner von ihnen auch nur im Traum daran geglaubt hatte, dass sie beide mal eine gemeinsame Zukunft würde verbinden können. Das machte es Lena ein kleines bisschen leichter ums Herz. Und er wollte sie nicht verlieren. Aber Menschen waren nichts, was man einfach so besitzen konnte. Trotzdem konnte die Blondine nicht anders, als ihn in den Arm zu nehmen und leise zu flüstern:
 

„Ich dich auch. Ich dich doch auch.“
 

Vorsichtig löste sie sich von ihm, hielt aber immer noch seine Hand in der ihren und sagte mit etwas kräftigerer Stimme:
 

„Und gerade deswegen weiß ich, dass du das Richtige tun wirst.“
 

„Das Richtige tun, das Falsche tun. Manchmal ist es alles eins“, murmelte Ricardo nur. Er hatte keine Ahnung, was Lenas Ansichten nach das „Richtige“ war. Himmel, er wusste ja noch nicht einmal, was seiner eigenen Ansicht nach das „Richtige“ war. Er wusste nur, dass die Umarmung gut getan hatte. Es hatte ihm gut getan Lenas Nähe zu spüren und zu wissen, dass sie ihn für das, was er ihr angetan hatte, nicht hasste. Und wenn etwas so gut tat, sein Herz freudig schneller schlagen ließ, konnte es doch unmöglich falsch sein.
 

„Ich kenne dich, du würdest niemals den einzig Unschuldigen in dieser Situation verletzen können. Und das ist dein Kind, Ricardo. Dein Baby. Du würdest es dir nie verzeihen. Und mir auch nicht.“
 

Beide schwiegen, weil sie wussten, dass es auf Lenas Worte nichts gab, was man hätte erwidern können, denn sie hatte ja Recht: Ein kleines Baby konnte nichts dafür, dass Caroline und Ricardo sich auseinander gelebt hatten. Dass Lena und der Brasilianer sich ineinander verliebt hatten und eigentlich für eine gemeinsame Zukunft kämpfen wollten. Es war nicht verantwortlich für die Fehler der Eltern und würde doch einen hohen Preis zahlen müssen – so oder so.
 

„Ich liebe das kleine Würmchen jetzt schon, aber ich kann nicht einfach zu Caroline zurückgehen und so tun, als wäre nichts passiert. Als wäre das mit uns nie passiert. Ich brauche dich, Lena, ohne dich schaffe ich’s nicht. Bleib bei mir.“
 

Da waren sie, die drei magischen Worte, vor denen sie sich schon die ganze Zeit gefürchtet hatte. Nicht „ich liebe dich“, damit kam sie klar, aber nicht mit diesen drei leise geflehten Worten. Denn sie gaben ihr die Zügel in die Hand. Mit einem Mal war es nicht mehr seine Entscheidung, ob ihre Beziehung weitergehen oder ob er bei Frau und Kind bleiben würde, sondern ihre. Oder vielleicht auch nicht. Er hatte sie nur gebeten bei ihm zu bleiben, nichts davon bedeutete, dass er Caroline und das Baby verlassen würde, wenn sie blieb. Das wusste er vermutlich selbst noch nicht.
 

„Ich werde immer bei dir sein, dass weißt du doch. Denn wo mein Schatz ist-“
 

„-da wird mein Herz auch sein.“
 

Ohne weiter darüber zu sprechen, griffen die beiden nach ihren Ketten und hielten die chinesischen Zeichen aneinander, so dass sie einen Kreis ergaben. Sie gehörten einfach zusammen. Der eine war nicht vollständig ohne den anderen, auch wenn jeder von ihnen ein Stück des anderen in sich trug. Nur zusammen waren sie perfekt.
 

„Vor diesem Tag habe ich mich die ganze Zeit gefürchtet.“
 

Ohne auf ihren zaghaften Widerstand zu achten zog Ricardo sie in seine Arme. Er wollte sie nicht loslassen, denn dann hätte er ihr in die Augen sehen und müssen und das konnte er nicht. Nicht, wenn sie wirklich das sagen würde, was er glaubte.
 

„Ich hatte insgeheim immer Angst vor dem Tag, an dem ich dich gehen lassen müsste.“
 

Sie vergrub eine Hand in seinem Haar und die andere in seinem Pullover. Die Distanz, die vor wenigen Minuten noch zwischen ihnen geherrscht hatte, war verschwunden. Wie zwei Ertrinkende klammerten sie sich aneinander, nicht bereit den anderen loszulassen.
 

„Aber du musst mich nicht gehen lassen, weil ich gar nicht gehen will“, flüsterte Ricardo leise. Es schien, als würde ihre gesamte Unterhaltung im Flüsterton ablaufen, weil sich keiner von ihnen traute die Worte laut auszusprechen. Als würde es einen Unterschied machen, ob sie nun geflüstert waren oder nicht. Machte es nicht, ehrlich nicht, aber auch Lena behielt den leisen Ton bei.
 

„Doch. Es ist besser so. Für dich und für mich.“
 

„Wie kann es besser sein, wenn wir uns doch lieben?“
 

Eigentlich hatte er die Frage gar nicht so stellen wollen, aber manchmal brachte ihn Lena mit ihrer Art einfach auf die Palme. Sie tat so, als wüsste sie, was das Beste für ihn war. Für sie beide. Dabei war das, was sie für das Beste hielt, genau das, was ihn schweißgebadet nach einem Alptraum aufwachen ließ. Wie konnte eine Trennung das Beste für sein, wenn sie doch beide ganz genau wussten, dass sie nicht ohne den anderen konnten? Dass sie so nicht wirklich glücklich sein würden?
 

„Ricardo, du hast bald eine Familie um die du dich kümmern musst. Du kannst dein Herz nicht auf ewig zwischen ihnen und mir aufteilen. Du musst noch viele Jahre ganz und heil sein, damit du dein Baby aufwachsen sehen kannst.“
 

„Bitte nicht Lena.“
 

Es tat ihm Weh, sie von seinem Kind sprechen zu hören. Von einem Kind, das sie zusammen hätten bekommen sollen. Als glückliches Paar, dessen Liebe alles überstanden hatte. Ein Baby, das ihr gemeinsames Leben perfekt gemacht hätte. Einfach, weil es von ihnen beiden gewesen wäre. Hätte, wäre, wenn, scheiße! Jetzt stand er hier und hielt die Frau, die er liebte und deren Tränen ihm auf die Schulter tropften, in den Armen. Er wollte nicht auch noch anfangen zu weinen, wollte sich zusammenreißen, aber Lenas Nähe und ihre nächsten Worte ließen auch ihn den Kampf mit den Tränen verlieren.
 

„Ich wusste von Anfang an, worauf ich mich mit dir einlassen würde. Ich wusste, dass es gebrochene Herzen geben würde – ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass es meins sein würde. Gott, war ich überheblich. Aber so ist es nun mal. Manchmal ist das Leben einfach nicht fair.“
 

Die Resignation in ihrer Stimme missfiel Ricardo. Sie klang bereits so endgültig, so als gäbe es nicht mehr viel zu sagen, wo er doch eigentlich noch nicht einmal angefangen hatte.
 

„Lena-“
 

„Nein Ricardo, mach es mir bitte nicht noch schwieriger, als es ohnehin schon ist.“
 

Sie löst sich aus seinen Armen und versuchte Abstand zu gewinnen. Das, was sie ihm jetzt sagen würde, konnte sie ihm nicht sagen, wenn er sie im Arm hielt. Das brachte sie nicht über sich. Außerdem wollte sie in seine Augen blicken, wenn sie mit ihm sprach. So wie sie ein offenes Buch für ihn war, fast so war er es bei ihr.
 

„Ich habe in den letzten Stunden viel nachgedacht. Mich hier im Haus umgesehen und mich an die letzten Wochen erinnert.“
 

Gedankenversunken strich Lena über die Lehne ihres Lieblingssessels, in dem Ricardo und sie sich schon geliebt hatten. Es gab wahrscheinlich kein Zimmer in diesem Haus, keinen Gegenstand, der nicht davon hätte berichten können. Und es wären schöne Geschichten gewesen, zumindest hatte Lena viele gute Erinnerungen an dieses Haus, in dem sie für eine Weile heile Welt hatte spielen dürfen. Mit dem Ehemann einer anderen Frau. Einer Frau, die jetzt vermutlich zu Hause saß und sich fragte, wo ihr Mann wohl bliebe.
 

„Bereust du es? Bereust du, dass du mich damals nicht abgewiesen hast? Dass du in den letzten Wochen meinetwegen hast lügen müssen?“, fragte Ricardo fast schon mit so etwas wie Angst in der Stimme. Er wollte jetzt nicht hören, dass sie die Zeit nicht genauso sehr genossen hatte wie er selbst. Der Brasilianer wollte nicht, dass Lena mit einem bitteren Geschmack an die vergangenen Wochen dachte, dafür war er selbst viel zu glücklich mit ihr gewesen.
 

„Nein, ich bereue nichts. Nicht einen Schritt, nicht einen Augenblick davon. Auch wenn es für uns nicht reicht, es war doch nicht umsonst. Wie auch? Mit dir hatte ich das erste Mal seit langem überhaupt das Gefühl zu leben und ich werde niemals vergessen, wie es sich anfühlt von dir geliebt zu werden, Ricardo. Niemals.“
 

Sanft fuhr sie mit ihrer Hand über seine Wange und Ricardo konnte in ihren dunkelblauen Augen sehen, dass sie nicht weniger litt als er, deshalb sagte er halblaut:
 

„Geh nicht. Bitte.“
 

„Wenn ich bliebe, wäre ich dir nur im Weg. Dir und der Familie, die du dir aufbauen wirst. Du bist wie geschaffen dafür Vater zu sein. Ich könnte mir keinen besseren Mann als dich vorstellen. Dein Baby kann sich glücklich schätzen so einen Papa zu bekommen. Wirklich.“
 

„Du kannst doch nicht einfach so gehen, Lena. Hast du mich überhaupt gefragt, wie ich mich entscheide?“, fragte der Mittelfeldspieler in Diensten des AC Mailands fast schon ein wenig wütend. Die ganze Zeit sprach sie davon zu wissen, was das Beste, das Richtige war, aber seine Meinung schien sie gar nicht zu interessieren. Er wollte Lena nicht gehen lassen, wollte nicht, dass sie eine Entscheidung traf, die er treffen musste – für die er sich jedoch zu schwach fühlte.
 

„Ich kenne dich Ricardo, vielleicht sogar besser als deine Ehefrau. Nein, bestimmt sogar besser als Caroline. Und ich weiß, dass du ein herzensguter Mensch bist, der niemandem absichtlich Weh tun will. In dieser Situation geht das aber nicht, also-“
 

„-also glaubst du eine Entscheidung für mich treffen zu können, ja?“
 

Lena wollte nicht streiten. Nicht jetzt, nicht hier. In diesem Haus hatte es so gut wie nie Streit gegeben, denn wenn sie hier gewesen waren, war die Zeit fürs Streiten zu kostbar gewesen. Und genauso sah die Psychologin es auch jetzt.
 

„Nein, du hast sie schon längst getroffen, bist es dir nur nicht bewusst geworden. Du hast sie in dem Moment getroffen, als Caroline dir von ihrer Schwangerschaft erzählt hat und du sie mir verschwiegen hast.“
 

Sie wollte wirklich nicht vorwurfsvoll klingen, das hatte sie hinter sich. Ihre Aufregung darüber, dass er es ihr verschwiegen hatte und sie es ausgerechnet von seiner Frau hatte erfahren müssen, war mittlerweile verraucht. Darum ging es nicht mehr. Jetzt ging es um wichtigere Sachen, auch wenn Ricardo nicht umhin konnte sich noch einmal dafür zu entschuldigen.
 

„Das tut mir Leid, ich wusste einfach nicht, wie ich es dir sagen sollte.“
 

„Genau. Tief in deinem Herzen hast du dich schon für deine Familie entschieden. Und damit meine ich nicht nur Caroline und das Baby, sondern auch deine Eltern und Verwandte. Glaubst du sie hätten akzeptiert, dass du deine schwangere Ehefrau für mich verlässt?“
 

Es war nur eine rhetorische Frage gewesen, deswegen sparte Ricardo sich die Antwort, denn sie beide wussten, wie sie hätte ausfallen müssen, wenn er ehrlich mit ihr war. Nein, er glaubte nicht, dass sie seine Entscheidung für Lena und gegen Caroline akzeptiert hätten. Sie hätten ihm den Rücken gekehrt. Sogar seine Mutter, die ihn über alles liebte, hätte ihm das nicht verzeihen können, denn ein anständiger Mann tat so etwas nicht. Ein anständiger Mann verließ seine schwangere Frau nicht, eigentlich betrog er sie gar nicht erst, aber das konnte keiner mehr rückgängig machen. Es wäre schon schwer genug geworden seiner Familie die Scheidung beizubringen, aber mit einer schwangeren Caroline wäre es für ihn unmöglich. Und nicht nur für ihn, sondern auch für Lena, die plötzlich die böse Ehebrecherin und Verführerin sein würde, die seine Beziehung zu Caroline kaputt gemacht hätte. Dabei war nichts davon wahr. Und doch würden sie alle genau das glauben. Und das würde ihre Beziehung zwangsläufig belasten.
 

„Du hast dich für dein altes Leben entschieden, Ricardo“, stellte Lena nach einer längeren Pause fest, in der sie beide nichts gesagt hatten. Was denn auch, es hätte ja wahrscheinlich eine Antwort auf Lenas Frage sein müssen und die konnten sie beide nicht gebrauchen. Wieso sollte man auch etwas noch mal laut aussprechen, wenn es doch eh jeder wusste? Die Schmerzen konnten sie sich echt ersparen, es war ja nicht so, als gäbe es zwischen ihnen sonst nichts, was wehtun würde.
 

„Können wir beide nicht so weitermachen wie bisher?“
 

„Du kannst dir gar nicht vorstellen wie sehr ich mir wünsche, dass wir es könnten, aber es geht nicht.“
 

„Ist es nur wegen des Babys?“
 

Die kleine Schwester des „Lutschers“ hatte keine Ahnung, warum er sie ausgerechnet das fragte, wo doch ein Teil der Antwort auf der Hand lag. Ja, das Baby spielte eine große Rolle bei ihrer Entscheidung, aber Lena würde einen Teufel tun und Ricardo das sagen. Sie hatte in ihrer eigenen Kindheit erlebt, wie es war, wenn die Eltern einen nicht so lieben konnten, wie sie es eigentlich sollten. Sie hatte jeden Tag spüren dürfen, wie es war, für etwas die Schuld zu bekommen, wofür man nicht verantwortlich war. Eine solche Kindheit wollte sie Ricardos Kind ersparen.

Zwar war der Brasilianer nicht der Typ Mann, der seinem Kind deswegen Vorhaltungen machen würde, aber in Zorn sagten sich manchmal schnell Dinge, die man eigentlich nicht so meinte, die aber trotzdem tierisch wehtaten. Und Ricardo sollte gar nicht erst daran denken seinem Baby die Alleinschuld für das Ende ihrer Beziehung zu geben.
 

„Nein, nicht nur. Ich kann einfach nicht so weitermachen, Ricardo. Ich habe es die letzten Wochen ertragen, weil ich dich liebe und weil ich wusste, dass die Geheimnisse und Lügen bald ein Ende haben würden.“
 

Nachdenklich blickte die Blondine den Mittelfeldspieler an, der sich bisher nicht gerührt hatte. Wie gebannt starte er sie an und saugte jedes Wort auf, das ihre Lippen verließ. Sie selbst wanderte langsam auf leisen Sohlen durch den Raum, so als wollte sie niemanden stören – eine törichte Vorstellung, schließlich lebte in diesem Haus niemand außer ihnen.
 

„Aber jetzt hat sich das alles geändert. Caroline ist hier und sie wird hier bleiben. Nicht so wie früher, wo sie regelmäßig für längere Zeit fort war. Ich ertrage es einfach nicht euch bei jeder Gelegenheit zusammen zu sehen und so tun zu müssen, als würde es mir nichts ausmachen. Denn es macht mir etwas aus“ berichtete die Psychologin offen über ihr Gefühlsleben. Für Lena machte es keinen Sinn mehr ihre Eifersucht zu verschweigen, denn genau das war es nun mal, was sie für Caroline empfand: Eifersucht. Weil diese Frau den Mann hatte, den sie von Herzen liebte.
 

„Ich kann nicht lächelnd mit ihr über Babynamen reden, während ich daran denke, wie sehr ich ihren Mann liebe. Wir waren nie die besten Freundinnen, aber sie hat es nicht verdient, dass ich ihr so ins Gesicht lüge und-“
 

Mit einem Mal brach Lena ab und sah zu Boden. Sie haderte mit sich, ob sie die nächsten Sätze tatsächlich sagen sollte. Es fiel ihr schwer eine Entscheidung zu treffen, aber da sie bei Ricardo wegen seiner mangelnde Ehrlichkeit verletzt gewesen war, wollte sie nun selbst mit offenen Karten spielen. Sie konnte ja ohnehin nicht vor ihm verbergen, deshalb sagte Lena mit zitternder Stimme:
 

„- und ich habe es nicht verdient überhaupt lügen zu müssen, Ricardo. Diese letzten Wochen waren wunderschön, solange wir nur hier waren. Sobald wir draußen waren, hat sich alles verändert. Ich habe keine Kraft mehr für dieses Versteckspiel. Ich würde ganz langsam daran zugrunde gehen euer Glück zu beobachten und zu wissen, dass es für mich nie mehr als ein paar gestohlene Momente geben wird. Das kann ich nicht mehr, Ricardo. Das kann ich einfach nicht mehr. Ich weiß nicht, wie ich ehrlich zu mir sein und dich lieben soll.“
 

Mit einem Mal konnte Ricardo sehen, was sie damit meinte. Vorher waren ihm die tiefen Augenringe nie aufgefallen oder er hatte einfach nur nicht darauf geachtet. Dabei sah er sie so gerne an, nur scheinbar nicht richtig. Nicht so, dass er bemerkt hätte, dass sie zu wenig schlief. Oder gar nicht erst schlafen konnte. Wenn sie zusammen im Bett lagen, hatte Lena immer tief und fest geschlafen, doch augenscheinlich auch nur dann. Und ihm fiel auf, wie dünn sie in den letzten paar Wochen geworden war. Fast schon beängstigend dünn und zerbrechlich. Das war nicht die Lena aus Istanbul, zumindest nicht äußerlich. Er erinnerte sich an ihr Lächeln, nicht an das, dass sie ihm geschenkt hatte, wenn sie allein gewesen waren, sondern an das, das sie in der Öffentlichkeit zur Schau getragen hatte: Es hatte nie ihre Augen erreicht, hatte ein bisschen verkrampft gewirkt. Es ging der Frau, die er über alles liebte, nicht gut. Ganz und gar nicht. Und er war schuld daran.
 

„Also ist das jetzt das Ende?“
 

„Wir haben beide gekämpft bis zum Schluss, aber manchmal reicht es einfach nicht. Wir können beide so nicht weiter machen, das schaffen wir nicht, Ricardo. Egal, wie sehr wir es uns auch wünschen. Manchmal ist Liebe einfach nicht genug. Da kommt einem das Leben in die Quere. Aber vielleicht bedeutet Liebe eben auch lernen, jemanden gehen zu lassen, wissen, wann es Abschied nehmen heißt. Nicht zulassen, dass unsere Gefühle dem im Weg stehen, was am Ende wahrscheinlich besser ist für die, die wir lieben.“
 

Darauf wusste Ricardo nichts zu erwidern, weshalb er sie einfach nur wieder in den Arm nahm und an sie drückte. Er brauchte jetzt ihre Nähe, mehr als alles andere. Er wollte sie nicht gehen lassen.
 

To be continued
 

Ja, Lena wird weich, sie kann einfach nicht lange auf Ricardo wütend sein. Schon gar nicht in so einer emotionalen Situation. Es ist für sie beide wahrlich nicht einfach.

Lena ist verletzt, sie leidet und sie weiß, dass es für sie so nicht weiter gehen kann. Weil sie selbst nicht in der Lage dazu ist so weiter zu machen, aber auch, weil sie weiß, dass es nicht fair wäre. Dann würde am Ende noch das unschuldige Kind verletzt werden und das will Lena natürlich unter gar keinen Umständen. Also muss eine Entscheidung her. Aber wird Ricardo ihre Entscheidung akzeptieren? Oder hat sie sich gar nicht richtig entschieden, sondern erzählt nur das, was sie meint, was richtig wäre zu sagen? Ist das jetzt das endgültige Ende geht es vielleicht doch noch weiter?

Ich hoffe, dass in diesem Kapitel wirklich klar geworden ist, wie viel Lena Ricardo bedeutet und dass sie immer mehr war als nur irgendeine Frau. Er braucht sie und will sie nicht verlieren, aber wie Lena schon sagte: Manchmal reicht Liebe allein halt nicht. Und was haltet ihr im Allgemeinen von ihrer Einstellung zur Liebe und warum sie ihn gehen lassen würde?

Why not us?

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Ich bedanke mich bei meinen treuen Leserinnen und Lesern, die so geduldig auf dieses neue Kapitel gewartet haben. Ihr seid einfach unvergleichlich: Sunny und Sanakito.
 

Wie zwei Ertrinkende klammerten sich Ricardo und Lena aneinander, während die Wellen der Gefühle über sie hereinbrachen. Da waren die Angst, einander zu verlieren, aber auch die Sorgen um die Zukunft. Es ging nicht mehr nur um sie beide, jetzt ging es auch um das unschuldige Leben, das in Carolines Bauch heranwuchs. Und dieses Baby brauchte einen Vater. Einen, der für es da war, es in den Arm nahm und einfach nur so liebte, wie es war. Aber brauchte es auch ein zerrüttetes Elternhaus, wo der Vater einer anderen Frau nachtrauerte und nur durch das Kind und nicht mehr durch Gefühle an die Mutter gebunden war? War es wirklich das Beste, die Ehe nur für ihr Kind und die Familie aufrecht zu erhalten? Ricardo wusste es nicht. Er wusste eigentlich gar nichts mehr. Sein Herz schrie laut und deutlich „Nein“, wenn er auch nur daran dachte seine Beziehung zu Lena aufzugeben, doch sein Verstand sagte ihm, dass es die einzig vernünftige Lösung sein würde. Aber wer handelte schon vernünftig, wenn er verliebt war? Trotzdem war ihm eines klar: Sie mussten eine Entscheidung treffen und das möglichst bald, sonst würden sie alle vor die Hunde gehen.
 

„Ich liebe dich, Lena“, flüsterte Ricardo leise in Lenas Ohr, bevor er anfing federleichte Küsse auf ihrem Hals zu platzieren. Einem Schmetterling gleich flatterten Ricardos Lippen über ihren Hals und über ihr Dekoltee. Dort, wo er ihr Herz am schnellsten schlagen fühlte, hielt er inne. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Lenas Herz irgendwann einmal nicht mehr für ihn schlagen könnte, dafür liebte er sie zu sehr.
 

Wortlos hatte Lena die Zärtlichkeiten genossen, nur ein leises Seufzen hatte sie nicht unterdrücken können. Das alles, Ricardos Worte und seine sanften Gesten, ließe sie an der Richtigkeit ihres Entschluss’ zweifeln. Eigentlich schaffte es Ricardo immer spielend sie von etwas zu überzeugen. Sobald er auch nur ihren Namen sagt, ließ ihre innere Stärke sie im Stich. Spazierte einfach zur Tür heraus, als würde sie nicht mehr gebraucht werden. Und genau das konnte sie gerade jetzt nicht brauchen. Jetzt musste sie stark sein, um das Richtige zu tun. So konnte sie nämlich nicht weitermachen, diese Geheimniskrämerei würde sie nicht noch viel länger durchstehen. Sie konnte nicht mehr richtig schlafen, hatte keinen Appetit mehr, ihre Konzentration ließ auch zu wünschen übrig und sie benahm sich gegenüber den Menschen in ihrer Umgebung abweisend. Besonders Christian hatte sich in der letzten Zeit immer wieder darüber beschwert, dass sie kaum noch Zeit für ihn hatte, und wenn, dann meistens traurig ausschaute. Die Fakten sprachen ganz klar gegen ihre Beziehung zu Ricardo, doch ihr Herz wollte nicht auf die Tatsachen hören. Wie konnte auch etwas, dass sich so gut und richtig anfühlte nur falsch sein?
 

Vorsichtig strich Lena über Ricardos Wangen und zwang ihn, sie anzusehen. In seinen dunklen Augen konnte sie so viel Liebe und Zuneigung lesen, dass ihr beinahe schlecht wurde. Diesem Mann sollte sie für immer den Rücken kehren, damit er bei einer Frau bleiben würde, die er nicht so ansah? Die er vermutlich noch nie so angesehen hatte wie sie jetzt in diesem Moment? Was hatte sie verbrochen, dass man sie so bestrafte?
 

„Ich liebe dich auch. Und gerade deswegen muss ich dich gehen lassen. Dass, was wir hier tun, ist nicht richtig, wir tun allen, die uns etwas bedeuten, weh, Ricardo.“
 

„Wenn das hier nicht richtig ist, wofür soll man überhaupt noch leben? Wenn nicht mit dem Menschen zusammen sein darf, den ich liebe, dann ergibt das alles doch keinen Sinn mehr. Ich habe früher immer gedacht, dass es reicht, wenn sich zwei Menschen ineinander verlieben. Dass der Rest dann einfach Schicksal ist.“
 

Ricardo vermochte die Verbitterung nicht zu verbergen, zu tief saß der Schmerz. Er hatte wirklich geglaubt, dass Lena und er eine Chance hätten, eine faire Chance glücklich zu werden. Es wäre ihm egal gewesen, was der Rest der Welt zu seinem Verhalten gesagt hätte, solange er nur Lena an seiner Seite gewusst hätte. Sie hätten ihn als Heuchler und Lügner und Ehebrecher beschimpfen können, es hätte ihm nichts ausgemacht, weil Lenas Lächeln ihn für alles entschädigt hätte. Und er hätte versucht ihren Schmerz zu lindern, hätte sie vor den Vorwürfen in Schutz genommen und sie verteidigt, damit ihr das Gerede nicht zu sehr wehtat. Und jetzt war er es selbst, der ihr wehtat und sie zum Weinen brachte. Das hatte er nicht gewollt.
 

Langsam wischte Lena sich die Tränen aus dem Gesicht, die sie nicht mehr zurückhalten konnte. Sie hatte nicht weinen wollen, sie hatte Ricardo den Abschied leichter machen wollen, aber sie war doch auch nur ein Mensch. Und jeder Mensch hatte seine schwachen Momente, in denen er egoistisch das tun wollte, was ihn glücklich machte. Doch Lena wollte gegen diesen Impuls ankämpfen. Sie musste jetzt stark sein und deshalb flüsterte sie leise:
 

„Geh nach Hause Ricardo. Deine Frau wartet auf dich. Sie macht sich bestimmt schon Sorgen, wo du solange bleibst.“
 

„Lena-“
 

Ricardo wollte der Blondine widersprechen, wollte ihr erklären, wie egal es ihm war, dass seine Frau auf ihn wartete und sich Sorgen machte, doch Lena hatte ihm den Zeigerfinger auf die Lippen gelegt und sah ihn traurig an. Sie wusste, dass sie ihm keine Möglichkeit zu Erklärungen geben durfte, sonst würde sie wieder in seine Arme sinken und alles um sie herum vergessen wollen.
 

„Nicht Ricardo, bitte nicht. Mach es uns nicht noch schwerer, als es ohnehin schon ist. Geh einfach und vergiss, dass du mich je geliebt hast. Werde wieder glücklich mit Caroline und kümmer’ dich gut um dein Kind.“
 

Jedes einzelne Wort war ein Stich in ihr Herz, doch das spielte keine Rolle mehr. Jetzt nicht mehr, jetzt war gleich alles vorbei. Und was waren schon einzelne Stiche für ein gebrochenes Herz?
 

„Ich kann nicht-“
 

„Doch, du kannst. Versprich es mir, Ricardo. Versprich mir, dass du deine Ehe retten und unsere Liebe vergessen wirst.“
 

Lenas Stimme klang zittrig. Jedes Wort kostete sie Überwindung, weil sie die lauten Schmerzensschreie ihres Herzens übertönen musste. Sie wollte ihn nicht gehen lassen, wollte ihn am liebsten ins Schlafzimmer ziehen und ihn so lieben, wie damals in Istanbul. Doch das würde das Unvermeidliche nur hinauszögern. All der Schmerz, den sie eben schon empfunden hatte, würde nach wenigen Stunden erneut über sie hereinbrechen und Lena war sich nicht sicher, ob sie es noch einmal überstehen würde. Ob sie noch einmal so stark sein würde, Ricardo nach Hause zu seiner Frau und seinem ungeborenen Kind zu schicken.
 

Erwartungsvoll blickte Lena zu Ricardo. Jetzt war es an ihm, ihre Beziehung endgültig zu beenden, seine nächsten Worte würden den Schlussstrich unter die letzten Wochen ziehen. Sie würden beenden, was eigentlich schon vor vier Jahren mit ihrer ersten gemeinsamen Nacht angefangen hatte und was man eigentlich gar nicht beenden konnte. All das, was sie erlebt hatten, würde für immer ein Teil von ihnen bleiben, aber Ricardo würde es verdrängen und irgendwann vergessen müssen, damit seine Ehe überhaupt noch eine Chance hatte. Und damit Lena den Mann, den sie liebte, nicht für umsonst aufgegeben hatte.
 

„Ich verspreche es dir.“
 

Ricardo wusste, dass die Worte Lena das Herz brachen. Er sah in ihren Augen, wie sie den Schmerz zurückzuhalten, wie sie mühsam die Tränen niederzukämpfen versuchte. Erfolglos. Einerseits hatte sie diesen Schwur von ihm verlangt, andererseits hatte sie doch gehofft, dass er ihn nicht geben würde. Gegen alle Vernunft hatte ihr Herz gehofft, dass er ihre Liebe für immer als etwas Besonderes in Erinnerung behalten würde.
 

Wortlos drehte Ricardo sich nach seinem Versprechen um und verließ das Wohnzimmer. Er musste sich dazu zwingen sich nicht noch einmal nach ihr umzudrehen. Ihr nicht noch einmal gesagt zu haben, wie sehr er sie liebte und was die letzten Wochen für ihn bedeutet haben. Das alles hätte es bloß noch schwerer gemacht – für sie beide. Er hatte ihren Schwur geleistet und sie nicht noch ein letztes Mal in seine Arme gezogen, um sie zu küssen. Ricardo war gegangen. Weil er wusste, dass er ihr mit jeder weiteren Minute, die sie in seiner Nähe verbringen würde, nur noch mehr wehtat. Und das wollte er nicht. Also ging er. Zurück zu Caroline, die schon auf ihn wartete.
 

Sie saß im Wohnzimmer und blätterte in einem Schwangerschaftsratgeber. Sie hatte ihn noch nicht heimkommen gehört, sonst wäre sie bestimmt schon aufgesprungen und hätte ihn umarmt. In der letzten Zeit suchte sie immer mehr Körperkontakt, wollte immer in seiner Nähe sein und ihm ihre Zuneigung zeigen – und er hatte es klaglos über sich ergehen lassen. Welcher normale Mann beschwerte sich auch über die Zuneigung seiner Frau? Ganz klar, einer, der eine andere liebte. Aber das würde er Caroline nicht sagen. Er würde ihr nichts von dem erzählen, was er in der letzten Stunde erlitten hatte. Würde Caroline nicht sagen, dass dieses Baby, das sie unter ihrem Herzen trug, sein Leben zerstört hatte. Denn er war ja selbst Schuld. Und das Kind konnte nichts dafür, dass sein Papa die Mama nicht mehr lieb hatte. Und das Kleine musste es auch nie erfahren, genauso wenig wie Caroline. Warum auch? Jetzt war er hier und er würde hier bleiben, alles andere brauchte sie nicht zu interessieren.
 

Er wusste natürlich, dass das nicht fair war. Wusste, dass er im Grunde seines Daseins nur ein Arschloch war. Schließlich tat er gerade das, was Lena zu verhindern versucht hatte – nämlich, dass er seine kleine Familie für etwas bestrafen würde, an dem er selbst nicht unschuldig war. Sie hatte sein Kind vor diesem Schicksal bewahren wollen, weil es ihr selbst als Kind so ergangen war. Und der brasilianische Mittelfeldspieler wusste, dass sie Recht hatte und es falsch war, seine Trauer über ihre Trennung an seiner Familie auszulassen. Doch einmal mehr konnte Ricardo nicht das tun, was er für richtig hielt. Denn dann hätte er Lena niemals belogen und ihr geschworen, ihre Liebe zu vergessen. Dann hätte er den Mut gehabt, trotz dieses Kindes zu ihr und ihrer Liebe zu stehen. Aber er hatte es nicht getan. Zu groß war die Angst, etwas zu zerstören, auch, wenn es in Wahrheit längst zerbrochen war und er es nur nicht einsehen wollte. Auch, wenn es noch so wehtat, den Schein zu wahren. Er hatte sich längst an die Fassade seines Lächelns gewöhnt und selbst, wenn er den Mut gehabt hätte - einfach so ablegen konnte er sie nicht mehr.
 

Ricardo fühlte sich verraten - von der angeblich unendlichen Macht wahrer Liebe, die alle Wunden heilen und jeden Berg versetzen konnte. Davon spürte er nichts - in ihm gab es nur noch den Schmerz der Erkenntnis. Der Erkenntnis, dass er soeben seine beste Freundin, die Liebe seines Lebens, hatte gehen lassen müssen. Einfach so, ohne etwas dagegen tun zu können. Verdammt noch mal, ohne überhaupt die Chance bekommen zu haben um sie, um ihre Liebe, ihre Beziehung zu kämpfen! Es machte ihn wütend und traurig und noch viele andere Sache zu gleich, doch die vermochte er nicht in Worte zu fassen. Also setzte er sich zu Caroline aufs Sofa und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel, bevor er ihr liebevoll über den noch flachen Bauch streichelte
 

„Was ist dann passiert, nachdem er gegangen ist?“, fragte Per vorsichtig nach und riss Lena so aus ihren Gedanken. Sie hatte geschwiegen, nachdem sie ihm von Ricardos Schwur berichtet hatte. Vielleicht hatte sie sich im Stillen an etwas anderes erinnert, vielleicht hatte sie aber auch an gar nichts gedacht, Per konnte es nicht mit letzter Sicherheit sagen. Der Bremer Abwehrchef ahnte aber, wie ungern sich Lena an all das erinnerte, doch er hatte sie nun schon soweit bekommen, sie hatte ihn so tiefe Einblicke in ihre Vergangenheit und ihr Seelenleben gestattet, da konnte er jetzt nicht einfach aufhören. Nicht, weil er ihr wehtun wollte, in dem er sie zwang ihre dunkelsten Augenblicke noch einmal zu erleben, sondern weil er sich sicher war, dass es ihr am Ende besser gehen würde. Vielleicht würde sie so ihren inneren Frieden mit ihrer ersten großen Liebe machen können, um sich dann endlich einer Neuen zuwenden zu können.
 

„Bitte Per, hör auf nachzubohren. Ich will nicht weiter darüber nachdenken müssen. Ich will mich nicht mehr erinnern müssen.“
 

Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Lena diese Worte mit Sicherheit und Vehemenz ausgesprochen, jetzt klangen sie eher nach einem herzerweichenden Flehen, das auch den Bremer Innenverteidiger nicht kalt ließ. Wenn ihr die Erinnerungen schon so schwer zusetzten, wie schlecht musste es ihr dann erst damals gegangen sein, fragte sich Per. Und wie hatte sie das alles ohne Torsten an ihrer Seite gemeistert?
 

„Die Erinnerung schmerzte vielleicht noch heute jedes Mal genauso stark wie damals. Aber wäre es nicht noch schmerzhafter zu vergessen?“
 

Einen Augenblick sah Lena Per überrascht an. Darüber hatte sie noch nie nachgedacht. Sie hatte die guten wie die schlechten Momente in ihrem Herzen aufbewahrt und sich immer wieder daran erinnert. Manchmal freiwillig, manchmal eher unfreiwillig. Bei diesen unfreiwilligen Momenten hatte sie sich tatsächlich gewünscht, ihre Vergangenheit zu vergessen. Denn jedes Mal, wenn sie einem Mann emotional näher gekommen war, waren diese Bilder von Ricardo und ihr wieder in ihren Kopf aufgetaucht und hatten alles zerstört. Sie hatten sie daran erinnert, welchen Schmerz die Liebe anrichten konnte und aus Selbstschutz war sie jedes Mal erneut zurückgeschreckt.
 

Während sie über ihr Verhalten nachdacht, musste Lena erstaunt feststellen, dass Per mit seinem Vorwurf, sie hätte mit Ricardo niemals richtig abgeschlossen, Recht gehabt hatte. Wobei es vielleicht noch nicht einmal so sehr um Ricardo als Person ging, sondern viel mehr um das, was damals zwischen ihnen geschehen war.
 

Lena hatte sich damals geschworen sich nie wieder so verletzen zu lassen und bisher hatte sie diesen Schwur nicht gebrochen – weil sie nie wieder einen Mann nah genug an sich heran gelassen hatte. Zumindest nicht auf diese Art und Weise. Sie hatte alle auf Armeslänge entfernt gehalten, weil sie das Risiko verletzt zu werden, nicht hatte eingehen wollen. Und durch diesen emotionalen Sicherheitsabstand hatte sie anderen Menschen, herzensguten Männern wie Iker und Xavi, wehgetan. Weil die sie geliebt hatten und ihr nah sein wollten. Näher, als Lena es ertragen konnte, ohne von den schmerzhaften Erinnerungen heimgesucht zu werden. Also hatte sie sie von sich gestoßen. Immer in dem festen Glauben, dass es besser für sie beide sei. Denn wer konnte schon mit einem emotionalen Krüppel glücklich werden? Lena wurde erst jetzt richtig bewusst, dass sie den Schmerz dieser Männer in Kauf genommen hatte, nur um selbst nicht verletzt zu werden.
 

Nein, noch nicht einmal um sich vor Herzschmerz zu schützen, musste die Psychologin sich eingestehen, sondern um sich vor den Erinnerungen zu schützen. Schließlich waren Erinnerungen tückisch und oftmals schmerzhaft. Denn normalerweise erinnerte der Mensch sich nur an besonders schöne und besonders schlimme Dinge. Genauso wie die Liebe kannte die Erinnerung kein Mittelmaß.
 

To be continued
 

Ich bin mit diesem Kapitel ehrlich gesagt nicht zufrieden. Ganz und gar nicht. Für mich sind die Emotionen von Lena und Ricardo nicht so rüber gekommen, wie ich das eigentlich im Kopf hatte. Aber vielleicht bin ich ja auch nur zu kritisch. Also, was sagt ihr dazu?
 

Haltet ihr Ricardo immer noch für einen egoistischen „voll Horst“ oder haben sich eure Ansichten über ihn geändert? Sicherlich tat es Lena weh, dass er den Schwur geleistet hat, doch er hatte seine Gründe und ist meiner Meinung nach, doch gar kein schlechter Mensch. Ihm geht das ganze genauso nahe wie unserer Wahl-Spanierin und ginge es nach ihm, hätte er weitergemacht – irgendwie zumindest. Aber das wollte Lena ja nicht. Richtige Entscheidung oder vollkommener Unsinn? Schließlich fällt es ihr schrecklich schwer ihn gehen zu lassen. Tja, und am Ende sitzt Ricardo bei seiner Frau und hadert mit dem Schicksal, seinem fehlenden Mut und dem Leben im Allgemeinen. Irgendwie doch verständlich, wenn man die Situation betrachtet, oder?
 

Per bringt Lena dazu Selbstkritik zu üben und Fehler zu erkennen – das ist schon mal viel Wert. Als Psychologin hätte sie vielleicht die Hintergründe ihres Handelns schon vorher erkennen können, doch wenn es dann um einen selbst geht, ist man vielleicht ein bisschen betriebsblind. Aber Einsicht soll ja der erste Weg zur Besserung sein und womöglich erträgt Lena die Nähe der Männer und besonders Pers ja ab demnächst auch wieder besser, wer weiß?

Was haltet ihr von Pers Frage nach den Erinnerungen? Wäre es wirklich schmerzhafter zu vergessen? Und ist es tatsächlich so, dass die Erinnerung kein Mittelmaß kennt? Ich möchte eure ehrliche Meinung dazu hören, denn mir selbst haben diese Passagen einiges bedeutet.
 

Und noch etwas in eigener Sache: Ich überlege gerade, eine weitere Geschichte anzufangen und wollte wissen, was ihr von der Idee haltet. Es folgt eine kurze Beschreibung, sagt mir einfach, was ihr von der Idee haltet und ob ihr diese Story lesen würdet. Danke schon mal im Voraus.
 

Tagsüber studiert Josephine an der LMU, abends kellnert sie in einem Münchner Nobelrestaurant und des Nachts wird sie für die reiche Schickeria zur schlüpfrigen, aber unnahbaren Männerfantasie - bis gewisse Fußballer sich entschließen, nicht mehr nur mit einer Fantasie leben zu wollen. Und wenn ein Traum Realität werden soll, kommen unweigerliche dunkle Geheimnisse ans Licht.

Mit Münchnern nd einige Überraschungsgäste.

Die Liebe lässt mich nicht

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Als kleine Musikempfehlung darf ich für dieses Kapitel Silbermond mit „Die Liebe lässt mich nicht“ empfehlen. Kurze Passagen aus dem Lied habe ich auch für meinen Rückblick übernommen, also wunder euch nicht, wenn euch da ein paar Sätze bekannt vorkommen werden.
 

Wie immer möchte ich an dieser Stelle meinen Leserinnen und Leserin danken, denn für sie (und natürlich auch für mich) schreibe ich diese Geschichte rund um Lena und ihre Jungs. Dieses mal hat zwar "nur" Sunny kommentiert, aber ich weiß, dass diese Geschichte auch noch von ein paar anderen gelesen wird und das freut mich sehr.
 

Kraftlos rieb Lena sich mit der linken Hand über die Augen. Dieses Gespräch hatte sie nie führen wollen, es wühlte sie viel zu sehr auf und zehrte alte Wunden wieder ans Tageslicht. Eigentlich hatte sie diesen Abschnitt ihres Lebens damals mit Lionel abschließen wollen, er hatte ihr schließlich die Schulter zum Ausweinen geboten, ihr zugehört und mit seinen Worten wieder Licht in ihre Dunkelheit gebracht – auch wenn er es nie für möglich gehalten hatte. Jetzt wieder darüber zu sprechen und noch einmal alles zu erleben, tat aus vielen verschiedenen Gründen weh.
 

Aus dem gemütlichen Eisessen mit Per, auf das sie sich tierisch gefreut hatte, war eine quälende Fragestunde geworden, die ihr unmissverständlich ihre Fehler vor Augen führte – so hatte sie sich die Zeit mit Per nicht vorgestellt. Aber sie konnte dem Innenverteidiger auch keinen Vorwurf machen, dass er die Schnauze voll hatte von ihrem widersprüchlichen Verhalten. Er wollte Klarheit und hoffte gleichzeitig darauf ihr damit zu helfen – ein unerschütterlicher Optimist. Und genau das war einer seiner Charakterzüge, die Lena so sehr an ihm mochte.
 

„Was soll schon geschehen sein, nachdem Ricardo weg war? Ich bin nach Hause, also zu Paolo, Adriana, Christian und Daniel“, erklärte Lena dem langen Innenverteidiger von Werder Bremen. Ihr war natürlich klar, worauf er eigentlich hinaus wollte, doch so leicht wollte sie es ihm dann doch nicht machen – sollte er doch direkt die Fragen stellen, die ihn interessierten. Dass Per nämlich genau das viel Überwindung kosten würde, darauf setzte Lena. Schließlich hatte sie ihn als konfliktscheuen, harmoniebedürftigen Menschen kennen gelernt, der die Dinge, im Gegensatz zu ihrem forschen Bruder, ungern direkt beim Namen nannte. Aus ihrer Sicht hoffte Per eigentlich immer eher darauf, dass sein Gesprächspartner durch seine Andeutungen verstand, was er meinte, bevor er all die Hässlichkeiten aussprechen musste. Diesen Gefallen wollte Lena ihm aber nicht tun, denn wenn er sie dazu bringen wollte, die Dinge auszusprechen, dann sollte er es im Gegenzug genauso tun. Das hielt die blonde Psychologin nur für fair, auch wenn es den gebürtigen Pattensener unruhig hin- und her rutschen ließ.
 

„Und? Wussten sie von dir und Ricardo oder hast du ihnen ein Märchen erzählt, warum du vollkommen verheult nach Hause kamst?“
 

„Paolo war zu dem Zeitpunkt der einzige, der von uns wusste. Ich hatte keine Geheimnisse vor ihm.“
 

Der letzte Satz versetzte Lena einen Stich, doch sie wusste, dass sie sich damit arrangieren mussten. Es bliebe ihr auch nicht viele Alternativen, denn die Wahrheit kam nicht in Frage. Manchmal war es einfach besser, wenn man den Menschen nicht alles erzählte, versuchte die Wahl-Spanierin ihr schlechtes Gewissen gegenüber ihrem langjährigen Wegbegleiter zu beruhigen.
 

„Hast du mit ihm darüber gesprochen oder hast du dich eingeigelt und keinen an dich rangelassen?“, fragte Per, der Lenas Konfliktverhalten sowohl durch eigene Erfahrung als auch durch ihre Erzählungen kennen gelernt hatte: Sie war nicht der Typ Frau, der einem weinend um den Hals fiel, weil sie Probleme hatte. Sie machte das mit sich selbst aus, versuchte stark zu sein und allen anderen etwas vorzumachen. Kurz gesagt tat Lena Pers Meinung nach normalerweise all das, wovon sie ihren Patienten dringend abriet. Aber man selbst war nun einmal schon immer der schlechteste Patient gewesen. Umso mehr überraschte den Abwehrmann da Lenas fast schon etwas patzige Antwort.
 

„Ob du es glaubst oder nicht Per: Ich musste gar nichts sagen, Paolo wusste schon Bescheid. Und was er noch nicht wusste, hat er geahnt oder mir dann angesehen“, fauchte Lena schon fast in Pers Richtung, bevor sie dann etwas leiser hinzufügte: „Ich hätte ihm nie etwas so wichtiges verheimlichen können. Nicht, wenn ich ihm gegenübersitze und er mir in die Augen schaut.“
 

Dass sie Paolo jetzt etwas sehr Wichtiges verschweigen konnte, weil sie sich nicht regelmäßig sahen, ließ Lena lieber unerwähnt. Das musste Per nicht wissen, dann würde er nur noch mehr auf ihr rumhacken und ihr, wie Timo, zu erklären versuchen, warum es so entscheidend war, immer ehrlich mit seinen Mitmenschen zu sein – besonders mit denen, die einem viel bedeuten. Dabei log man die doch häufig an, weil man sie vor Schmerz bewahren wollte. Darüber, wann es moralisch war zu lügen und wann nicht, wollte Lena jetzt aber nicht nachdenken, deshalb konzentrierte sie sich wieder auf Per, der mit der Fragestunde noch lange nicht fertig war.
 

„Also habt ihr euch über deine Entscheidung unterhalten.“
 

Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, aber trotzdem nickte Lena wortlos.
 

„Und was hat er dazu gesagt? Was hielt er überhaupt von eurer Beziehung? Er ist doch bestimmt wie alle Italiener katholisch und so.“
 

Mit einer ausladenden Handbewegung unterstrich Per sein „und so“ und blickte erwartungsvoll zu Lena, die sich ein müdes Lächeln nicht verkneifen konnte. Selbst nach all der Zeit und so vielen Italienern, die mittlerweile in Deutschland lebten und arbeiteten, hielten sich manche Vorurteile immer noch hartnäckig. Wie erstaunlich! Würde sie immer noch in Mailand leben, hätte sie ihre Freunde aus der Alpen-Republik vielleicht in Schutz genommen, so aber zuckte die Psychologin nur gleichgültig mit den Schultern und antwortete:
 

„Er hat es kommen sehen. Und natürlich war er nicht begeistert, als ich ihm von unserer Nacht in Istanbul erzählt habe, aber er hat mich verstanden.“
 

Kurz zögerte Lena, so als ob sie erst noch überlegen müsste, wie sie ihre Gedanken in Worte fassen konnte, dann fuhr sie aber unbeirrt fort:
 

„Paolo wollte mich immer nur glücklich sehen und das war ich mit Ricardo – zumindest wenn wir allein waren und unsere Liebe nicht verstecken mussten.“
 

„Also hielt sich seine Begeisterung in Grenzen?“, fragte Per mit hochgezogenen Brauen und einem fast schon spöttischen Tonfall nach. Er hatte zwischen den Zeilen gelesen und Lenas Zögern auf seine eigene Art und Weise gedeutet.
 

„Ja. Es ist nicht so, dass Paolo Ricardo nicht gemocht hätte. Im Gegenteil, er hat sich mit seinem Kollegen immer gut verstanden, aber Paolo hat wohl von Anfang an geahnt, dass das mit uns kein gutes Ende nehmen konnte und ich am Ende mit gebrochenem Herzen dastehen würde.“
 

„Und das hat ihm nicht gefallen, weil du ihm viel bedeutet hast.“
 

Pers Scharfsinn und seine rasche Kombinationsgabe behagten der Wahl-Spanierin so langsam ganz und gar nicht mehr. Der Innenverteidiger zog viel zu viele Schlüsse, die meistens genau ins Schwarze trafen. Trotzdem brachte sie es nicht übers Herz seine Worte zu bestreiten – er hatte Ehrlichkeit von ihr gewollt und sollte sie auch bekommen. Vielleicht half es ihr ja tatsächlich über Ricardo und den damit zusammenhängenden Schmerz hinweg zu kommen. Es war zwar eine unorthodoxe Therapiemethode, aber war sie nicht in Barcelona immer die gewesen, die auf ungewöhnliche Methoden gesetzt und Erfolg gehabt hatte? Also nickte sie wieder leicht und fuhr stockend fort Paolos Ansichten näher zu erklären, soweit Lena sie denn selbst durchschaut und verstanden hatte.
 

„Auch, ja, aber vor allen Dingen schien er gewusst zu haben, dass ich nicht länger bei ihnen bleiben würde, wenn das mit Ricardo endet. Davor hatte er Angst und das wollte er eigentlich verhindern – bis Paolo eingesehen hat, dass es das Beste für mich ist, Mailand zu verlassen und woanders mein Glück zu suchen.“
 

„Es muss ihm wehgetan haben, dich gehen zu lassen.“
 

Bei diesem Worten griff Per automatisch nach Lenas Hand und strich ihr beruhigen mit dem Daumen über den Handrücken. Im ersten Moment erwartete er noch, dass die kleine Schwester des „Lutschers“ sich ihm sofort wieder entziehen würde, doch sie ließ den Körperkontakt zu, auch wenn sie ihm dabei nicht ansehen konnte. Stattdessen beobachtete Lena die sich wogenden Bäumen und sprach leise weiter:
 

„Nicht nur ihm tat es weh mich gehen zu lassen. Christian hat lange nur geweint und war bockig. Er wollte nicht, dass ich gehe und ich wollte sie eigentlich auch nicht verlassen, aber es ging einfach nicht mehr anders.“
 

Nur ungern dachte Lena an das Gespräch mit Paolo zurück, als sie ihm von ihrem Entschluss erzählt hatte.
 

Regungslos saß Lena auf einer der Poolliegen und starrte und das stille Wasser vor ihr. Hin- und wieder verursachte ein laues Lüftchen leichte Wellen, die das kühle Nass überschwappen ließen, aber sonst war es vollkommen ruhig. Eine absolute Seltenheit im Maldini-Haushalt, wo die beiden Jungs, Christian und Daniel, normalerweise immer für Aufregung sorgten. Heute jedoch waren die beiden mit ihrer Mama unterwegs und hatten Lena ihren trübsinnigen Gedanken überlassen – ihre Anwesenheit hätte ja sowieso nichts verändert.
 

So, wie Lena sich seit der Trennung von Ricardo verhalten hatte, war sie weder Adriana noch Paolo eine große Hilfe oder Stütze. Eher im Gegenteil, die Familie versuchte sie zu stützen und aufzuheitern. Ohne Erfolg. Die Shoppingtour mit Adriana, das Planschen mit Daniel oder auch die langen Gespräche mit Paolo hatten an ihrer Gemütslage nichts geändert. Nur Christian hatte es einige Mal geschafft, sie aus ihrer Lethargie zu reißen und ihr ein liebevolles Lächeln abzuringen, das sich jedoch auf Grund der Situation später in bittere Tränen verwandelte, was sie den Kleinen aber nicht hatte sehen lassen wollen. Bei jeder Gelegenheit war er nämlich zu ihr gekommen, hatte sie in den Arm genommen, ihr ein Küsschen auf die Wange gedrückt und ihr zugeflüstert, wie doll er sie doch lieb habe.
 

In diesem Augenblicken hatte sie sich ebenfalls an den kleinen Jungen gekuschelt und gehofft, dass sie bald aus diesem Alptraum aufwachen und dann alles wieder gut sein würde, aber nichts dergleichen war passiert. Außer, dass Lena sich bewusst geworden war, dass Ricardo in einigen Monaten zusammen mit seiner Caroline so einen kleinen Wonneproppen im Arm halten würde, der irgendwann einmal zu ihm kommen und ihm sagen würde, wie sehr er seinen Papa doch lieb hätte. Dieser Gedanke wiederum trieb Lena unaufhörlich die Tränen in die Augen.
 

Die Schiebetür zur Terrasse quietschte und Sekunden später ließ sich Ricardo neben die Blondine auf die Poolliege sinken. Seine Haare waren noch nass vom Training, doch abgesehen davon sah der Milan-Star wie immer blenden aus. Ganz im Gegensatz zu Lena, die sich schon länger keine Gedanken mehr um ihr Aussehen und Auftreten gemacht hatte. Es störte sie nicht, dass sie hier in ausgewaschener Jogginghose und labbrigen T-Shirt saß. Warum auch? Natürlich war der jungen Deutschen klar, dass sie sich gehen ließ, aber sie fand einfach nicht die Kraft sich aufzuraffen und etwas am Status Quo zu ändern. Für wen denn auch? Für sich selbst? Im Augenblick verweigerte sie ihrem Körper die Nahrung und den Schlaf, weshalb sollte sie sich dann für sich besser kleiden und auf ihre Haare und ihr Make up achten? Das wäre blanker Hohn. Und für andere wollte sie sich nicht mehr hübsch machen. Denn den einzigen Mann, den sie wirklich wollte und für den sie selbst auf den unbequemsten Stöckelschühchen um die Welt gelaufen wäre, konnte sie nicht haben. Den hatte sie weggeschickt, weil sie geglaubt hatte das Richtige zu tun und die Heimlichkeit nicht länger ertragen zu können, aber scheiße, die Einsamkeit war um einiges schlimmer als das Bisschen Ausreden erfinden und Gefühle verstecken.
 

„Wie geht es dir heute, Lena?“
 

Paolos Frage überraschte die kleine Schwester des „Lutschers“ nicht. Ihr war klar gewesen, dass der Italiener sich nicht zu ihr gesetzt hatte, um mit ihr zu schweigen. Er wollte reden – wie so oft in der letzten Zeit. Nur dass Lena keine Ahnung mehr hatte, was sie ihm noch sagen sollte. Es war alles geklärt, ihre Beziehung beendet, da gab es kein Zurück mehr, keine Alternativen, die man durchdiskutieren müsste. Es war endgültig und unwiderruflich vorbei. Und wenn es nach einem Teil von Lenas Gehirn ginge, nämlich dem, in dem sich der Schmerz, die Enttäuschung und all die anderen Gefühle breit gemacht hatten, würde sie diese Episode ihres Lebens am liebsten vergessen. Ausradieren – so als hätte es sie nie gegeben. Dagegen wehrte sich ihr Herz aber vehement, schließlich vergaß man seine erste große Liebe nicht so einfach, auch wenn sie einem das Herz gebrochen hatte. Die erste Liebe blieb unvergesslich.
 

„Ich fühle mich immer noch so, als hätte ich mir das Herz rausgerissen. Und mit jedem Bild, auf dem Ricardo und Caroline glücklich lächeln, und mit jedem Artikel, in dem sie betonen, wie sehr sie sich über ihr Baby freuen, wird es weiter zertreten“, murmelte Lena leise und spürte sofort Paolos Arm, der sich um ihren Körper schlang und sie in eine Umarmung zog. Vor Körperkontakt hatten sich die Italiener noch nie gescheut, aber trotzdem der Wärme seines Körpers fühlte Lena sich weiterhin kalt.
 

„So kann es nicht weitergehen, Principessa. Du gehst daran kaputt und wir können nur hilflos dabei zusehen.“
 

Paolos Sorge und Verzweiflung schwangen in seiner Stimme mit und auch wenn es garantiert kein Vorwurf sein sollte, verstand es Lena als solchen. Nicht als einen Bösartigen, aber trotzdem. Sie wusste ja schließlich, dass sie mit ihrem Kummer nicht allein stand. Solange sie traurig war, konnte auch der Rest der Maldini-Familie nicht richtig glücklich sein. Dabei waren sie an sich immer sehr, sehr glückliche Menschen gewesen. Sie hatten es nicht verdient ihretwegen zu leiden und trotzdem konnte Lena nicht lächeln und so tun, als sei wieder alles in Ordnung. Paolo hätte sie mit einem Blick durchschaut und ihr dann einen Vortrag darüber gehalten, dass sie ihre Gefühle niemals vor ihnen verstecken müsste – schließlich waren sie eine Familie. Zwar nicht dem Blute nach, dafür aber im Herzen. Und das hätte die Schuldgefühle der Blondine dann bloß noch weiter verstärkt.
 

„Ich weiß, dass es so nicht weitergehen kann. Deswegen habe ich auch eine Entscheidung getroffen: Ich werde Mailand verlassen. In einem Western würde man wohl sagen, dass die Stadt einfach nicht groß genug ist für uns zwei“, versuchte Lena ihre Neuigkeiten mit einem gequälten Lächeln fröhlich zu verpacken. Auf den Scherz ging Paolo jedoch nicht ein, sondern fragte nur leise und eindringlich, immer noch überrascht von Lenas Entscheidung:
 

„Ist es wegen Ricardo?“
 

Es dauerte keine fünf Sekunden, bis der Abwehrmann sich vor den Kopf schlug und seine Frage selbst beantwortete.
 

„Ach, was soll die Frage überhaupt, natürlich ist es wegen Ricardo. Aber als ich sagte, dass es so nicht weiter gehen kann, meinte ich nicht, dass du die Stadt verlassen sollst, Lena. Ich meinte eher, dass du – “
 

„Aus meinem Zimmer kommen und nicht mehr weinen soll? Dass ich nicht jedes Mal den Raum verlassen soll, wenn das Gesprächsthema zufällig auf Ricardo und Caroline kommt? Dass ich wieder anfangen soll mein Leben zu leben, wie ich es vor Istanbul getan habe?“, zählte Torsten Frings’ kleine Schwester all die Dinge auf, die Paolo gemeint haben könnte. Der lächelte zaghaft und nickte leicht, bevor er sich ein „So in etwa, ja“ in den nicht vorhandenen Bart murmelte.
 

„Ich hab’s versucht, Paolo. Ich wollte nicht mehr an ihn denken, glaub mir, ich hab’s probiert. Aber es geht nicht. Es klappt einfach nicht.“
 

Resigniert schüttelte Lena den Kopf und ließ sich dann an die starke Schulter des Verteidigers sinken, der ihr immer noch beruhigen über den Rücken streichelte. Sie hatte es satt, sie hatte so vieles satt und konnte doch rein gar nichts dagegen tun – außer vielleicht mit Paolo darüber reden. Aber würde er sie verstehen können? Gerade er, der Mann mit einer zauberhaften Ehefrau und zwei fantastischen Kindern? Wahrscheinlich schon, schließlich hatte er sie in den letzten Tagen auch verstanden, weshalb Lena stockend fortfuhr:
 

„Ich bin heut morgen aufgewacht und wusste nicht wofür. Hab meine Augen aufgemacht und nichts lag neben mir. Kein Ricardo, keine süße, kleine Nachricht, dass er schon beim Training ist, so wie sonst immer, wenn ich mal wieder bis in die Puppen geschlafen habe. Nichts. Absolut nichts. Ich hab mir geschworen damit klar zu kommen – so gut wie’s eben geht. Doch sieh’ mich an, Paolo, schau mal genau hin: Ich bin nichts mehr wert, wie ein Herz, das nur aus Mitleid lebt.“
 

Zuerst wollte Paolo ihr widersprechen, ihr versichern, wie viel sie ihnen allen doch wert war, aber bevor der Abwehrmann im Diensten des AC Mailands überhaupt ansetzen konnte, hatte Lena schon weiter gesprochen.
 

„Wenn ich rausgehe, sehe ich sie überall. Von jedem Kiosk lächeln mir Ricardo und Caroline entgegen, überall werde ich auf sie angesprochen, weil ich ja angeblich eine gute Freundin der beiden bin. Und wenn ich dann zufällig Caroline begegne, könnte ich nur noch schreien und heulen zur gleichen Zeit, weil es so wehtut dabei zuzusehen, wie sie sich gedankenverloren ihr Bäuchlein reibt.“
 

Instinktiv hatte die Blondine ihre Hände zu Fäusten geballt und erst, als Paolo sie vorsichtig bei der Hand nahm, löste sich ihre Verkrampfung. Sie wollte dem Mann neben sich so gerne verständlich machen, wie sie sich gerade fühlte und warum die Flucht aus Mailand ihre einzige Chance war, doch alle Worte kamen ihr so unzulänglich vor. Denn letztlich blieb eine Tatsache bestehen: Weil sie selbst nicht stark genug war eine gescheiterte Liebe zu verkraften, ließ sie die Maldinis im Stich.
 

„Weißt du Paolo, ich würde ihn so gerne dafür hassen können, dass er bei Caroline bleibt, dass sie zusammen ein Baby bekommen, aber ich kann es einfach nicht. Die Liebe lässt mich nicht. Immerhin habe ich es von ihm verlangt.“
 

„Principessa, nicht, bitte versuch’ erst gar nicht ihn zu hassen. Liebe wen du liebst und hasse wen du hasst, aber hasse niemals den Menschen, den du einmal geliebt hast.“
 

Wieder eines der typisch-maldinischen Hausrezepte, nach denen man sein Leben gestalten sollte. Als wäre es so einfach. Wenn es danach ginge, hätte sie munter so weiter gemacht wie bisher und Ricardo würde mittlerweile sogar Frau und Kind betrügen – aber das hatte er ja auch vorher schon, nur dass sie noch nichts von dem Kind gewusst hatte. Und da meldete sich die kleine, leise Stimme in ihrem Kopf zu Wort, die sie fragte, ob sie so dann nicht glücklicher wäre – als böse Verführerin eines Ehemanns und Vaters.
 

„Das sagt sich so leicht daher, Paolo. Aber tröste dich: Ich werde Ricardo niemals hassen können, egal, wohin mein Weg mich führen wird und wen ich noch kennen lernen werde. Dafür liebe ich ihn doch noch viel zu sehr. Mailand wird immer in meinem Herzen bleiben, ganz egal, wo ich in ein paar Wochen sein werde, versprochen.“
 

Zaghaft versuchte Lena sich in die Umarmung ihres väterlichen Freundes zu kuscheln, doch der ließ seinen Arm von ihrer Schulter rutschen und starrte sie entsetzt und fassungslos an, so als sei die Endgültigkeit ihres Entschlusses erst jetzt so wirklich zu ihm vorgedrungen. Vorher hatte er anscheinend noch geglaubt, dass es bloß eine Phase sein könnte, ein kurzfristiger Entschluss, von dem man sie wieder abbringen könnte. Jetzt erkannte Paolo aber den Ernst der Lage.
 

"Das ist alles, was du dazu sagst, Principessa?", fragte er und murmelte nur halblaut hinterher: „Dass du mal aufgeben würdest..."
 

Gerade weil Lena den Mann an ihrer Seite, der sie seit vier Jahren hier in Italien begleitet hatte, so sehr mochte, konnte sie seine Anschuldigungen nicht einfach so auf sich sitzen lassen und versuchte sich zu erklären, damit Paolo verstand, warum sie letztlich genau diese Entscheidung getroffen hatte.
 

"Manchmal ist der Rückzug die einzige Möglichkeit, eine Schlacht zu beenden. Und wenn du einen Kampf kämpfst, in dem es keinen Sieger, sondern nur Verlierer gibt, solltest du zumindest versuchen, den Schaden so gering wie möglich zu halten."
 

To be continued
 

So langsam nähern sich die Mailand-Enthüllungskapitel ihrem Ende, vielleicht noch ein oder zwei, dann sollte es das gewesen sein. Schade oder freut ihr euch, wenn es dann mit den Bremer Jungs weiter geht?

Per bleibt hartnäckig und fragt immer weiter nach, will immer mehr wissen und versteht doch trotzdem noch nicht, was an dieser tragischen Liebe so fesselnd gewesen sein soll, dass Lena sie immer noch nicht hat loslassen können. Könnt ihr es verstehen oder seid ihr noch genauso ratlos wie Per, der zwar mittlerweile Verständnis aufbringen kann, aber eben doch noch nicht wirklich versteht?

Paolo und Lena haben mit einzelnen Aussagen beide Recht, finde ich. Paolo, wenn er sagt, dass man einen Menschen nicht hassen sollte, wenn man ihn mal geliebt hat, und Lena, wenn sie meint, dass ein Rückzug nicht immer eine feige Variante ist. Oder haltet ihr ihre Erklärung für eine unsinnige Ausrede, weil sie sich nicht eingestehen will, dass sie davon läuft?

Eine bittere Wahrheit

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Vielen Dank für deinen Kommentar, Sunny. Ich hoffe, du freust dich nach der langen Warterei über ein neues Kapitel.
 

Mit besorgtem Blick betrachtete Per Lena von der Seite. Sie schien vollkommen in Gedanken versunken, so als würde ihr Mund ihm zwar die Geschichte erzählen – ihre Seele jedoch erlebte jeden Augenblick noch einmal hautnah mit. Seine Hand lag immer noch auf der ihren, doch das bemerkte sie anscheinend nicht. Die kleine Schwester des „Lutschers“ schien tief in ihre Erinnerungen versunken, so als würde sie den Abschiedsschmerz erneut erleben, denn in ihren schönen, dunkelblauen Augen glitzerten Tränen.
 

Das hatte der Per nicht gewollt. Ja, er hatte Antworten haben wollen, er hatte wissen wollen, wie die Chancen für eine gemeinsame Zukunft standen, aber er hatte sie nicht zum Weinen bringen wollen. Nicht, in dem er sie all die schmerzlichen Erinnerungen wieder erleben ließ. Aber woher hatte er auch wissen sollen, dass sich hinter diesem liebevollen Lächeln solch eine Vergangenheit verbergen konnte?
 

„Lena?“, fragte der Innenverteidiger leise und hoffte, dass sie ihn endlich wieder ansehen würde, statt einfach weiter auf den Baum vor ihr zu schauen.
 

„Ich wollte dir nicht wehtun, wirklich nicht. Es tut mir Leid“, entschuldigte sich Per zaghaft und griff nach der anderen Hand der Blondine. Leicht erwiderte sie seinen Händedruck und so saßen einen Augenblick einfach nur schweigend da – Händchen haltend.
 

„Weißt du Per, Menschen haben an den überraschendsten Stellen Narben. Und damit meine ich nicht die der Blinddarm-Operation oder die, wo einen die Katze ganz schlimm gekratzt hat. Das sind die Offensichtlichen, deren Geschichte man häufiger erzählen muss, so dass die Erinnerungen daran irgendwann gar nicht mehr so wehtut.“
 

Zögerlich ließ Lena Pers Hand los, rückte ein wenig näher an ihn heran und zog ihr Oberteil bis kurz unter den BH-Verschluss hoch, so dass ihr Bauch vollkommen freilag. Ohne es tatsächlich zu wollen, konnte Per nicht anders als auf die helle, so zart anmutende Haut zu schauen. Bei jeder Atembewegung bewegte sie sich und der Verteidiger konnte seine Augen gar nicht mehr von ihr nehmen, bis Lena überraschend seine Hand nahm und seine Finger geschickt über die Haut am Bauchnabel fahren ließ. Die Gänsehaut, die Lena bei diesen Berührungen empfand, konnte auch Per spüren und es machte ihn sichtlich verlegen. Er wusste nicht, worauf die Psychologin hinauswollte, bis sie seine Hand weiter über ihren Bauch führte und er mit einem Mal eine Veränderung spürte. Dort war die Haut so viel weicher, dünner – verletzlicher. Man konnte einen tiefen Einschnitt spüren, ohne überhaupt fest zuzudrücken. Und da verstand Per plötzlich, was Lena ihm hatte zeigen wollen.
 

„Woher kommt die Narbe?“
 

„Eine Blinddarm-Operation, damals war ich 13.“
 

„Und wo hat dich die Katze gekratzt?“, wollte er wissen, da er erkannt hatte, dass Lena eben nicht irgendwelche Beispiel aus der Luft gegriffen, sondern sich selbst gemeint hatte. Und mit seiner Vermutung schien er recht zu haben, denn sie hielt ihm stumm ihren linken Arm hin, auf dem Per einen hellen, dünnen Strich erkennen konnte. Mit bloßem Auge und ohne scharfes Hinsehen hätte er vermutlich keine der beiden Narben auf Lenas Körper entdeckt. Vermutlich auch, weil er niemals nach ihnen gesucht hätte.
 

„Narben sind so etwas wie geheime Straßenkarten unserer persönlichen Geschichte. Ein Diagramm alter Verletzungen, wenn du so willst“, sagte Lena und fuhr selbst noch ein letztes Mal über ihre Narbe am Bauch, bevor sie ihr T-Shirt wieder zurecht zog und stockend weitererzählte.
 

„Die meisten Wunden heilen und es bleibt nichts weiter als eine Narbe zurück – manche jedoch heilen nicht. Manche Verletzungen tragen wir ständig mit uns herum und auch wenn sie schon lange her sind – halten die Schmerzen an“, fuhr Lena mit erstickter Stimme fort und griff nach dem kleinen Anhänger, den sie immer noch um ihren Hals trug. Vorsichtig hob sie das dünne Kettchen über ihren Hals und ließ die Kette in ihre Handfläche gleiten. Gedankenverloren blickte sie den Anhänger an, bevor sie ihn in ihrer Faust einschloss.
 

„Vielleicht haben uns unsere alten Wunden etwas zu erzählen. Sie erinnern uns daran wie wir damals waren und was wir überstanden haben. Und sie lehren uns, was wir in der Zukunft vermeiden sollen“, schloss die Psychologin und Per war klar, dass sie mit den Dingen, die sie zukünftig als Lehre aus den Narben „vermeiden“ würde, definitiv die Liebe gemeint hatte – als könnte man die Liebe so einfach vermeiden.
 

„Das hättest du wohl gerne, Lena. Aber leider ist das nicht so, oder? Und wenn du ehrlich mit dir selbst bist, weißt du das auch. Es gibt Dinge, die müssen wir einfach immer wieder durchmachen – immer und immer und immer wieder“, flüsterte Per, bevor er Lena ohne auf eine Antwort zu warten endgültig wieder in seine starken Arme zog. In diesem Moment war es ihm egal, wer sie sehen konnte oder dass Lena eigentlich noch nicht bereit zu so viel Körperkontakt war – er spürte einfach, dass diese Umarmung jetzt richtig war. Also wiegte er Lena wie ein kleines Kind in seinen Armen hin- und her, strich ihr über den Scheitel und hauchte ihr in einem mutigen Augenblick sogar einen leichten Kuss auf den Scheitel, von dem Torstens kleine Schwester jedoch nichts mitbekam – viel zu sehr hatte sie sich an die starke Brust des Innenverteidigers gekuschelt, der einfach für sie da war.
 

Und so, wie sie jetzt hier saß, diese Haltung und diese Gefühl in ihr, erinnerten sie schließlich daran, dass sie ihre Geschichte noch nicht zu ende erzählt hatte. Zwar hatte Per aufgehört nachzubohren, hatte nicht mehr nachgefragt aber das vermutlich auch nur, weil er glaubte, dass es nichts mehr zu erzählen gab. Dabei hatte sie von der eigentlichen Tragödie noch gar nichts erwähnt – aber das hatte er sich redlich verdient. Wenn sie ihm schon die Wahrheit über ihre Beziehung zu Ricardo erzählte, dann sollte er auch die ganze kennen.
 

„Da gibt es noch etwas, was du über meine Beziehung zu Ricardo wissen solltest. Das, was das alles eigentlich überhaupt erst so schmerzhaft gemacht hat“, versuchte Lena das Gespräch wieder zu ihrem ursprünglichen Ausgangspunkt zurück zu führen, doch der Innenverteidiger in Diensten der Bremer wollte gar nicht weiter darüber sprechen.
 

„Reicht es nicht, dass er zu seiner Frau zurückgekehrt ist, um mit ihr ein Kind groß zu ziehen? Ist das nicht schon schmerzhaft genug gewesen?“, fragte er deshalb provozierender als eigentlich geplant und hoffte, dass Lena das Thema ruhen lassen würde – noch mehr ertrug er nämlich nicht.
 

Die junge Psychologin löste sich vorsichtig aus dem Umarmung und sah Per offen ins Gesicht. Ein wenig wunderte sie sich schon, woher dieser plötzliche Sinneswandel kam, doch letztlich spielte es keine Rolle, denn wer einmal nach der Wahrheit fragte und so darauf bestand, sollte sie auch ertragen können – egal wie schwer es war.
 

„Ja, das hat mir das Herz gebrochen, aber ich wusste, dass ich das Richtige tat – schließlich gab ich einem ungeborenen Baby seinen Vater zurück“, antwortete Lena mit ruhiger Stimme und verscheuchte eine Fliege, die sich auf Pers Schulter niedergelassen hatte, bevor sie fortfuhr.
 

„Damals bin ich nach Barcelona gegangen, um zu vergessen. Ich wollte alles hinter mir lassen.“
 

„Um neu anzufangen?“, harkte der 1,98m Mann nach und lächelte die Blondine neben sich hoffnungsvoll an. Die schüttelte jedoch nur den Kopf.
 

„Schön wär’s, aber nein, ich hatte keine Pläne mehr. Alle meine Träume und Pläne waren zerstört. Ich hatte sie mir selbst zerstört und fand nun eigentlich auch keinen Antrieb noch mal von vorne anzufangen.“
 

Auf der einen Seite verstand Per, was Lena meinte: Sie hatte allein die Entscheidung getroffen die Beziehung zu beenden, sie hatte zwar triftige Gründe gehabt, aber am Ende war es doch immer in gewisser Weise sie selbst gewesen, die sich diesen Schmerz angetan hatte – weil ihr Gewissen ihr keine Ruhe gelassen hatte. Hätte sie so weiter gemacht wie bisher, hätte es ihr nicht mit einem Mal das Herz gebrochen. Es wäre vermutlich schleichend gekommen, Stück für Stück und mit jedem Mal, an dem sie Ricardo mit Familie gesehen hätte, ein kleines Bisschen mehr. Andererseits fand er es nicht fair, dass Lena sich die Alleinschuld für die Geschehnisse gab, immerhin gehörten zu einer Beziehung immer zwei und Per glaubte fest daran, dass Ricardo einen anderen Ausweg hätte finden können. Hätte finden müssen, wenn die Liebe tatsächlich so groß gewesen wäre, wie Lena sich scheinbar seit Jahren einredete.
 

„Als ich Mailand verließ, war ich nur noch eine Hülle. Alles, was mich damals ausgemacht hat, hatte ich verloren. Das wollte Paolo aber nicht wahrhaben, deshalb besorgte er mir den Teilzeitjob bei den Kleinen von Barca – er meinte, Kinder um mich herum würden mir gut tun. Dann würde ich Christian und Daniel nicht so sehr vermissen. Im Nachhinein muss ich ihm wohl dankbar sein, dass er so hartnäckig geblieben ist. Damals jedoch fügte ich mich nur widerwillig.“
 

Nachdenklich fuhr Lena sich durch die Haare, ein bitteres Lächeln auf den Lippen, als sie sich an die erste Zeit in der katalanischen Metropole erinnerte.
 

„Ich war nicht mehr ich, nicht die Frau, die jetzt neben dir sitzt. Und das will schon was heißen, denn eigentlich fühle ich mich gerade auch wieder wie ein Wrack. Ich atmete noch, aber viel mehr tat ich nicht. Ich redete, wenn man mich ansprach und lächelte eigentlich nie. Kurz, ich war zu dieser Zeit sehr einsam, bemerkte es aber nicht.“
 

Jetzt, nach all der Zeit, wusste Lena, dass sie damals ihr Leben hatte an sich vorbeiziehen lassen. Es war nicht mehr ihr Leben gewesen, sondern das einer Fremden, die sie nicht kannte und die sie noch nicht einmal mochte, weil sie Dinge tat, die sie sonst niemals getan hätte. Außenstehende hätten vielleicht gesagt, dass sie jetzt immer noch nicht in der Lage war, ihr Leben wirklich zu leben, aber denen hätte sie widersprochen. Sie war einen weiten Weg gekommen bis hier und das wollte sie sich von niemandem schlecht reden lassen. Natürlich war sie noch nicht wieder die Alte, aber das würde sie auch nie wieder werden – wollte sie nie wieder, denn das hieße ja, sich wieder so angreifbar und verletzlich zu machen. Das hatte sie hinter sich – ein Mal und nie wieder, hatte sie sich geschworen.
 

„Und was hat dich aufgeweckt?“
 

„Nicht was, sondern wer“, berichtigte die kleine Schwester des „Lutschers“ den Kollegen ihres Bruders und ein versonnenes Lächeln schlicht sich auf ihr eben noch so trauriges Gesicht, als sie anfing von ihrem ganz persönlichen Sonnenschein zu berichten.
 

„Schon an meinem ersten Tag lief mir Lionel über den Weg – nicht, dass ich es bemerkt hätte, aber er hat mich bemerkt. Vor allem hat er die Leere in meinen Augen gesehen, die Traurigkeit und vielleicht hat er auch etwas von der früheren Lebenslust gespürt, ich weiß es nicht.“
 

Wenn sie es sich jetzt so überlegte, wusste sie wirklich nicht, was Lionel damals in ihr gesehen hatte. Mehr als ein todtrauriges, mageres und vor allem schweigsames Ding konnte sie doch nicht gewesen sein – nichts, was einen normalen Mann dazu bewegte eine Frau ein zweites Mal anzusehen. Aber Lionel war in vielen Beziehungen noch nie normale gewesen, vielleicht hatte er sich deshalb nach einer ebenso anormalen Freundin gesehnt? Lena konnte nur spekulieren, nahm sich aber fest vor ihn das nächste Mal, wenn sie telefonieren würden, zu fragen.
 

„Was auch immer es war, irgendetwas brachte ihn dazu mich jeden Tag zu besuchen. Zuerst wiegelte ich seine Gesprächsversuche ab, aber irgendwann fehlte mir eine passende Ausrede und so gingen wir tatsächlich einen Kaffe trinken – wo doch keiner von uns beiden Kaffee trank“, amüsierte sich Lena über die abstruse Situation. Sie hatten an diesem Nachmittag gemeinsam in dem kleinen Straßencafé gesessen und sich eine große Tasse dieses grässlich-bitteren Gebräu hinuntergequält, da keiner von ihnen hatte zugeben wollen, dass sie keinen Kaffee tranken. Hinterher hatten sie darüber herzlich lachen können, aber in diesem Nachmittag in dieser durch und durch verkrampften Atmosphäre, in der jeder fürchtete etwas Falsches zu sagen und den anderen damit zum Gehen zu bewegen, war es alles andere als amüsant gewesen.
 

„Tja, und von dem Tag an lehnte ich seine Aufmunterungsversuche nicht mehr ab. Wir unterhielten uns viel, wenn auch nicht über Ricardo und das, was in Mailand geschehen ist. Leo hat damals akzeptiert, dass ich noch nicht darüber sprechen konnte.“
 

Die Spitze hatte gesessen, musste Per feststellen, versuchte es sich aber nicht anmerken zu lassen. Schließlich wirkte Lena nicht so, als wäre die Geschichte schon vorbei. Deshalb ließ er sie reden und verkniff sich eine Entschuldigung, die er eh nur halbherzig gemeint hätte, denn ein Teil vom ihm schämte sich nicht dafür Lena zum Reden gebracht zu haben. Dieser Teil war froh an und versuchte ihm einzureden, dass es auch seiner kleinen Maus am Ende besser gehen würde.
 

„Und dann, nach ein paar Wochen nahm er mich auf eine kleine Kneipentour mit seinen Kollegen mit – das erste Mal seit langer Zeit, dass ich überhaupt mit mehreren Leuten unterwegs war. Und gerade an diesem Abend, wo ich so langsam anfing über das alles hinwegzukommen, kam plötzlich und völlig unerwartet der letzte Schlag. Der, der mir vermutlich das Genick gebrochen hätte, wenn Lionel nicht für mich da gewesen wäre.“
 

Entspannt nippte Lena an ihrem Cocktail und lauschte Carles Puyol, dem Kapitän der Katalanen, der gerade eine Anekdote aus seiner Jugendzeit zum Besten gab. Immer wieder klopften sie ihm auf die Schulter oder brüllten vor Lachen, so dass die anderen Gäste neugierig herüberschauten, was jedoch keinen der Fußballer interessierte. Die gelöste Atmosphäre in der kleinen spanischen Kneipe ließ die Blondine ihre Sorgen und Probleme vergessen und endlich einmal wieder vollkommen sorglos sein. Dieses Gefühl hatte sie schon so lange nicht mehr gespürt, dass es ihr seltsam fremd vorkam – und doch so unheimlich gut.
 

Unterm Tisch fühlte sie Lionels Hand, die ihr gedankenverloren das Bein tätschelte, während er mit der anderen an seinem Bierglas herumspielte. Das war typisch für den kleinen Wirbelwind, der einfach nicht still sitzen konnte oder wollte. Lena konnte einfach nicht anders als ihn dankbar anzulächeln, was wiederum dem kleinen Argentinier ein fröhliches Lächeln ins Gesicht zauberte. Schließlich hatte es ihn viel Überredungskunst gebraucht, bis Lena zugesagt hatte ihn und seine Freunde zu begleiten. Dass es ihr jetzt augenscheinlich gut ging und sie nicht traurig über die Vergangenheit nachgrübelte, machte den Dribbler ungeheuer froh.
 

Als Lena fühlte, wie ihr Handy in der Hosentasche vibrierte, nickte sie Lionel kurz entschuldigend zu, deutete auf das kleine Mobilfunkgerät und verließ die rauchige Kneipe. Auf der Strandpromenade Barcelonas war trotz der späten Uhrzeit immer noch relativ viel los, so dass sich die Psychologin entschied ans Wasser zu gehen, um in Ruhe zu telefonieren. Das Display zeigte eine Unbekannte Nummer an und Lena fragte sich, wer das wohl sein könnte und was dieser jemand von ihr wollte, bis sie sich innerlich zur Raison rief und einfach auf den grünen Hörer drückte und sich meldete.
 

„Hallo Lena.“
 

Als ihr Ricardos tiefe, vertraute Stimme entgegenkam, war Lena mit einem Mal wieder vollkommen nüchtern. Sie hatte zwar bisher nur drei Cocktails getrunken, doch deren Wirkung war wie weggeblasen. All das leichte und sorglose löste sich mit einem Mal in Luft auf. Dafür kamen ihre Sorgen und der Kummer wieder, die sie seit ihrer Trennung nicht mehr losließen.
 

„Ricardo“, flüsterte Lena zittrig und sie wusste, dass ihre Stimme brechen würde, wenn sie versuchte lauter mit ihm zu sprechen. Ohne es verhindern zu können, traten ihr Tränen in die Augen und Lena verfluchte sich selbst dafür, dass ihr Herz auch nach acht Wochen immer noch schneller schlug, wenn sie seine Stimme hörte. Das sollte es doch nicht, schließlich hatte sie ihn verlassen – wollte ihn loslassen. Endgültig mit ihm und ihrer Vergangenheit abschließen, bis nichts mehr blieb als die graue, trübe Erinnerung an das, was einmal war. Es sollte nicht mehr wehtun und es sollte sie nicht mehr so mitnehmen – tat es aber trotzdem, ob sie wollte oder nicht.
 

Unverständliche Worte drangen durch den Hörer und erst jetzt begriff sie, dass ihr ehemaliger Geliebter getrunken haben musste. Nein, noch nicht einmal getrunken, sondern gesoffen. Der Mittelfeldspieler klang stockbesoffen und lallte Unzusammenhängendes Zeugs in den Hörer.
 

„Ricardo, was ist los? Was ist passiert?“, fragte sie und es versetzte ihr einen schmerzhaften Stich, dass er sie jetzt anrief. Betrunken und scheinbar völlig von Sinnen. Womit hatte sie das verdient? Wieso riss er völlig ohne Grund diese Wunde wieder auf, die langsam, ganz langsam durch Lionel und die anderen Jungs zu heilen begann? Was hatte sie ihm getan, dass er so grausam war? Seit dem Abschied in ihrem Liebesnest hatten sie sich nur noch zwei, vielleicht drei Mal kurz gesehen, bevor sie Mailand verlassen hatte. Wirklich miteinander gesprochen hatten sie nicht – war auch nicht nötig gewesen, denn Lena hatte die glücklichen Bilder der werdenden Familie in allen Illustrierten gesehen. Mehr brauchte es nicht, um ihr zu zeigen, dass Ricardo sein Versprechen erfüllt hatte. Und sie eigentlich zufrieden sein sollte.
 

„Es war alles umsonst, Lena, alles umsonst“, lallte der Brasilianer und klang dabei fast schon richtig verzweifelt.
 

„Wovon sprichst du? Ich verstehe dich nicht.“
 

„Unser Opfer – alles umsonst“, kam jedoch nur die bruchstückhafte Antwort, aus der sich Lena selbst etwas zusammenbasteln musste. Einen Augenblick überlegte die Psychologin, was Ricardo meinen konnte, bis es ihr wie Schuppen von den Augen viel: Es konnte nur einen Grund geben, warum er betrunken und verzweifelt bei ihr anrufen und diese Worte von sich geben würde!
 

„Ricardo, was ist mit dem Baby, geht es deinem Kind gut?“, fragte die Psychologin aufgeregt und malte sich das Schlimmste aus, als Ricardo ihr nicht antwortete. Nur ein schlimmes Unglück konnte ihn so aus der Bahn werfen, dessen war Lena sich sicher. Und als sie nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch keine Antwort bekam, fragte sie noch einmal nach, diesmal ärgerlicher und weniger ruhig als noch zuvor:
 

„Verdammt, sprich mit mir! Was ist mit Caroline und dem Baby?“, bohrte sie nach und merkte selbst, wie sich ein Klos in ihrem Hals bildete. Es kam ihr alles so unwirklich vor, hier stand sie am Strand von Barcelona und telefonierte mit ihrem besoffenen Ex-Geliebten, dessen Frau und Baby irgendetwas sehr Schlimmes zugestoßen sein musste. Paradox, war das einzige Wort, das der Blondine dazu in diesem Augenblick einfiel. Es war paradox. Und falsch, so grässlich falsch, dass Ricardo jetzt nicht bei Caroline war und ihre Hand hielt, sondern irgendwo die Flasche umarmte und mit ihr sprach – ihr, Lena, der ehemaligen Geliebten. Die aus seinem Leben verschwunden war, damit er eine glückliche Familie haben konnte.
 

„Nichts“, drang es da plötzlich aus dem Hörer und Lena brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, was Ricardo da eigentlich meinte. Als er jedoch nichts weiter sagte und nur schweigen herrschte, meldete sich Lena wieder zu Wort, die mittlerweile nur noch Bahnhof verstand.
 

„Was meinst du mit „nichts“? Geht es den beiden gut?“, stellte sie ihrem ehemaligen geliebten die selbe Frage wie schon zuvor, die er vorhin noch unbeantwortet gelassen hatte. Jetzt schnaubte er jedoch nur verächtlich in Telefon und murmelte, eine paar Silben verschluckend:
 

„Ich hoffe doch nicht.“
 

„Ricardo, jetzt sag mir endlich, was bei dir los ist! Was ist passiert?“, wurde Lena langsam richtig ungehalten. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt und aus Ricardo bekam sie kein vernünftiges, sinnvolles Wort heraus, was sie auf die Palme brachte. Als er jedoch nach erneutem Schweigen einen klaren Satz formulierte, wünschte sich die Psychologin, er hätte weiterhin unzusammenhänges Zeugs geredet.
 

„Es gab niemals ein Baby Lena, verstehst du jetzt?“, schluchzte er schon fast ins Telefon, bekam aber von Lena nicht sofort eine Antwort. Die musste das Gehörte erst einmal verarbeiten und fragte dann vollkommen perplex:
 

„Aber was? Wie? Wieso?“
 

„Sie hat es gewusst. Caroline hat gewusst, dass ich eine andere Frau liebe.“
 

Kraftlos ließ Lena sich in den feuchten Sand sinken. Es war ihr egal, ob sie nach dem Aufstehen einen nassen Fleck am Hintern haben würde oder nicht, das alles spielte keine Rolle mehr nach Ricardos Worten.
 

„Sie wusste von uns, aber warum hat sie dich nie damit –“
 

„Sie hatte keine Ahnung von uns. Sie wusste nicht, dass du die andere Frau bist“, fiel ihr Ricardo ins Wort. Je mehr Alkohol er getrunken hatte, desto ungeduldiger wurde er und Lenas mangelndes Verständnis der Situation am Anfang des Gesprächs hatte seine Geduld auf eine harte Probe gestellt und seine Nerven ähnlich stark gereizt wie ihre.
 

Für Lena spielte Ricardos Ungeduld jedoch keine Rolle, sie war viel zu sehr damit beschäftigt das Gesagt zu verarbeiten. Die andere Frau, wie das klang. Gerade aus seinem Mund hörte es sich irgendwie komisch an. Nicht gut, nicht sanft und schon gar nicht liebevoll, wie sonst immer. Aber er hatte ja Recht, sie war die andere Frau gewesen, musste Lena sich bitter eingestehen.
 

„Aber du hast doch gerade gesagt, dass-“
 

„Caroline wusste, dass ich eine andere liebe und sie kennt mich gut genug, um zu wissen-“, hier stockte der Mittelfeldspieler für einen kleinen Augenblick, doch er musste den Satz gar nicht zu ende sprechen, das übernahm die Psychologin für ihn.
 

„-dass du nicht bei ihr bleiben würdest, es sei denn, sie-“, beendete Lena seinen Satz, wohingegen Ricardo im Gegenzug den ihren weiterführte und ihr die letzten kleinen Zweifel nahm.
 

„Ja, es sei denn, sie bekommt ein Kind von mir. Sie wollte mich mit dem Baby an sich fesseln.“
 

„Deshalb ist sie schwanger geworden?“, fragte sie noch einmal nach und war erstaunt über Ricardos plötzlich so nüchternen, sachlichen Ton. Das passte so gar nicht mehr zu der Stimmung, in der er eben noch gewesen war – aufgeregt, aufbrausend und am Boden zerstört.
 

„Hast du es immer noch nicht kapiert, Lena? Es gab nie ein Baby, Caroline war nie schwanger, sie hat mich angelogen. Sie hat uns alle angelogen und uns etwas vorgemacht“, antwortete Ricardo und in seiner Stimme schwangen unverkennbar Bitterkeit und Zynismus wieder.
 

„Aber wieso? Und wie?“
 

„Um mich nicht zu verlieren, sagt sie, aber ich glaube ihr kein Wort mehr. Nie wieder.“
 

Ricardos Tonfall war hart und die Blondine zweifelte keinen Moment daran, dass er es vielleicht nicht ernst damit meinen könnte. Dieser Mann war zutiefst verletzt und wild entschlossen seinen Worten Taten folgen zu lassen. Wie auch immer das aussehen würde. Aber erst langsam wurde Lena bewusst, was diese Nachricht eigentlich für sie bedeutete.
 

„Das heißt, alles war für umsonst?“
 

Es fiel der Blondine gar nicht auf, dass sie dieselben Worte benutzte wie Ricardo noch zu beginn des Gesprächs. Es war alles so unwirklich. Hier saß sie nun im Sand von Barcelona, Kilometer von Ricardo entfernt – und doch waren die vergangenen Wochen wieder ganz nah. Ricardo war ihr wieder so nah, zusammen mit dem Leid, den durchweinten Nächten und dem Abschiedsschmerz, der ihr damals beinahe das Herz zerrissen hatte. Jetzt glaubte Lena fast die Hand nach ihm ausstrecken und ihm übers Gesicht streicheln zu können.
 

„All die Tränen, all der Schmerz – alles, was wir für dein Kind aufgegeben habe, war umsonst?“, fragte sie leise, fast tonlos und musste die aufsteigenden Tränen niederkämpfen. Sie wollte jetzt nicht weinen, nicht schon wieder, auch wenn gerade innerhalb von kürzester Zeit ihre Welt wankte und einzustürzen drohte.
 

„Ja“, antwortete Ricardo eben so leise und an seiner Stimme konnte Lena hören, dass er weinte. Er hatte den Kampf gegen die Tränen verloren und genau das ließ nun auch Lenas Dämme brechen. Es war eh alles umsonst gewesen.
 

To be continued
 

Ja, nun wisst ihr, dass Lena ihre Beziehung, ihre große Liebe an sich für nichts und wieder nichts aufgegeben hat – und das schmerzt. So sehr, dass sie jetzt vielleicht verstehen kann, warum Ricardo zur Flasche gegriffen hat, um mit dem Schmerz klar zu kommen. Schließlich hat er mit einem Schlag nicht nur seine Geliebte, sondern auch sein „Baby“ und das Vertrauen in seine Frau verloren. Ein harter Schlag, von dem er sich garantiert nicht so schnell wieder erholen wird. Aber bleibt er bei Caroline? Und was haltet ihr überhaupt von dieser Aktion? Vertretbar, um eine Beziehung zu retten oder ein absolutes No-Go?
 

Das Gespräch zu Beginn zwischen Per und Lena entwickelt sich in eine sehr persönliche Richtung, die der Innenverteidiger wahrscheinlich nie für möglich gehalten hätte. Und so nutzt er seine Chance Lena mal wieder den Kopf zu Recht zurücken und ihr den, seiner Meinung nach, richtigen Weg zu weisen. Aber hat er Recht und wird sie ihn gehen? Und wie steht ihr zu Lenas und Pers Theorien über Narben? Favorisiert ihr eher die eine oder doch die andere Variante? Oder ein Mittelweg aus beidem?

I'll be waiting

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

In diesem Kapitel wird wieder ein bestimmtes Lied eine große Rolle spielen, deshalb habe ich euch hier schon mal den Link kopiert. Aber erst anhören, wenn ihr fast am Ende des Kapitels angekommen seid, dann wird es euch hoffentlich so wie mich in die richtige Stimmung bringen: http://www.youtube.com/watch?v=RVSGs9St-s8
 


 

„Es war also alles gelogen?“, fragte Per bestürzt nach und konnte nicht fassen, was Lena ihm da gerade berichtete. Eifersucht war schön und gut, den geliebten Menschen halten zu wollen auch – aber deshalb zu solchen Mitteln zu greifen? Eine Schwangerschaft vorzuspielen, weil man sich sicher ist, dass der Mann dann nicht ging? Das konnte Per nicht nachvollziehen. Für ihn gab es immer noch diese eine Grenze in jeder Beziehung, die er niemals überschreiten wollte – nämlich die, den anderen an sich zu fesseln, obwohl man wusste, dass er mit einem anderen Menschen glücklicher werden könnte. So etwas wollte Per niemals tun, denn dann würde er sich selbst nicht mehr im Spiegel in die Augen blicken können. Da nahm er lieber ein gebrochenes Herz auf sich, als diese Last einen anderen Menschen unglücklich zu machen.
 

„Ja. Jedes Wort, jede Geste – nichts weiter als ein verzweifelter Versuch Ricardo zu halten.“
 

„Und das alles nur, weil sie ihn geliebt hat“, murmelte Per leise vor sich hin und schüttelte nachdenklich den Kopf. Irgendwie tat Caroline ihm Leid. Wie verzweifelt musste sie gewesen sein, um sich auf eine solche Lüge einzulassen? Es war doch absehbar gewesen, dass ihr Kartenhaus über kurz oder lang in sich zusammenfallen würde. Und das alles für einen Mann, der nicht mehr sie, sondern eine andere von ganzen Herzen liebte.
 

„Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Ich kann es dir nicht sagen, Per, ob sie das alles wirklich aus Liebe getan hat, oder weil sie ihren Status nicht verlieren wollte und ihn auch keiner anderen gegönnt hat. Ich habe mit ihr nie darüber gesprochen.“
 

„Weil sie nicht wusste, dass du die Frau bist, mit der Ricardo sie betrogen hat“, mutmaßte der lange Innenverteidiger, doch Lena schüttelte nur den Kopf.
 

„Ich glaube schon, dass Caroline ganz genau wusste, wer die andere Frau war. Sie war nur klug genug, es Ricardo auch nach ihrer Scharade nicht an den Kopf zu werfen.“
 

Wieso Lena es als klug bezeichnete, wusste Per nicht, doch er wollte auch nicht danach fragen. Dann hätten sie hier noch Stunden gesessen und in Lenas trauriger Vergangenheit herumgestochert, wenn er wirklich alle, selbst die belanglosesten Fragen gestellt hätte, die ihm durch den Kopf gingen. Dafür wollte er viel lieber wissen, warum sie nicht einfach nach Mailand zurückgekehrt war, nachdem Ricardo ihr von all den Lügen erzählt hatte.
 

„Wenn du zurückgegangen wärst, dann wären all die Opfer am Ende vielleicht doch nicht umsonst gewesen“, überlegte Torstens Kollege laut und beobachtete, wie sich Lenas Mund zu einem bitteren Lächeln verzog. Wahrscheinlich hatte sie sich das selbst schon häufig gesagt und es noch häufiger bereut.
 

„Ja, vielleicht. Was meinst du, wie oft ich mir diese Frage schon gestellt habe, Per. Wie viele Stunden ich deswegen schon wach lag in den vergangenen vier Jahren. Und wenn ich jetzt so darüber nachdenke, gebe ich zu, dass ich immer nur auf ihn gewartet habe.“
 

Lenas Ton war nachdenklich und so, wie sie den Kopf schief gelegt hatte und die Stirn runzelte, ahnte Per, dass sie jetzt die Vergangenheit noch einmal kritisch analysierte. Jeden Schritt verfolgte und sich noch einmal überlegte, ob das alles so richtig war, wie sie es getan hatte. Das war typisch für sie, so sah Torstens kleine Schwester nämlich Pers Meinung nach immer aus, wenn sie etwas oder jemanden analysierte. Und der Bremer Abwehrrecke wünschte sich, dass sie zu dem richtigen Schluss kam und endlich losließ.
 

„Ich habe darauf gewartet, dass er zu mir kommt. Dass er in Barcelona auftaucht und mir sagt, dass es mit Caroline vorbei ist. Dass er mich liebt – und dass wir eine gemeinsame Zukunft haben. So eine, wie ich sie mir immer gewünscht habe. Mit Hochzeit, Haus im Grünen und Kindern halt“, beschrieb die kleine Schwester des „Lutschers“ ihre Hoffnungen und Erwartungen, die sie an Ricardo gestellt hatte und die damals augenscheinlich bitter enttäuscht wurden.
 

„Aber er ist nicht gekommen, oder?“, fragte Per trotzdem noch einmal nach, nur um sicher zu sein, dass er auch alles richtig verstanden hatte. Es hätte ja auch sein können, dass er gekommen war und es mit ihnen beiden einfach nicht funktioniert hatte – was ziemlich unwahrscheinlich war, aber Per wollte es aus Lenas Mund hören, dass Ricardo nicht so reagiert hatte, wie es sich die Psychologin so sehnlich gewünscht hatte.
 

„Nein, das ist er nicht. Und ich war zu feige, nach Mailand zu fliegen und mit ihm zu reden. Es ist vermutlich seine wie meine Schuld, dass aus uns nicht das geworden ist, was wir uns beide gewünscht haben. Und wer einmal mit der Liebe so fahrlässig umgeht und sie selbst verspielt, hat sie wohl auch kein zweites Mal verdient. Alles ist schließlich besser, als es nicht versucht zu haben“, raisonnierte Lena weiter und bemerkte dabei gar nicht, wie Per ungläubig den Kopf schüttelte und die Augen verdrehte.
 

„Aber eigentlich hätte ich wissen müssen, dass er nicht kommen wird. Ich wollte es damals am Strand und auch die Jahre danach nur nicht einsehen. Ich habe auf ihn gewartet, all die Jahre lang-“ -und dabei vergessen mein eigenes Leben zu leben und ohne ihn glücklich zu werden, fügte Lena in Gedanken noch an, denn diesen Satz wollte sie nicht laut vor Per aussprechen. Diese Erkenntnis musste sie erst einmal für sich selbst sacken lassen. Denn es war hart und schwer sich einzugestehen, dass man die letzten vier Jahre seines Lebens damit verschwendet hatte, einer falschen Liebe hinterher zu trauern. Und deswegen so viele gute Gelegenheiten und noch bessere Männer hatte verstreichen lassen. Einfach so.
 

Unwillkürlich erinnerte Lena sich wieder an dem Abend, der ihr Leben ein zweites Mal innerhalb kürzester Zeit aus den Fugen hatte geraten lassen. Sie wollte Per nichts davon erzählen, wollte ihm nicht gestehen, dass sie an diesem Abend vor Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit hatte sterben wollen, aber sie wusste sich noch einmal an die Gefühle erinnern, die sie damals empfunden hatte. Die für Ricardo und die für einen anderen Mann, der ihr damals wie das Licht am Ende eines langen, finsteren Tunnels vorgekommen war und der sie mit seiner Herzenswärme vor Dummheiten bewahrt hatte.
 

Regungslos saß Lena auf dem feuchten Sand und starrte aufs Meer, ohne wirklich zu sehen, wie eine Welle nach der anderen brach, helle Schaumkronen bildete und feinste Sandkörner an den Strand spülte. Sie starrte einfach nur und erkannte doch nichts, weil sie mit ihren Gedanken in Mailand war, bei Ricardo. Lena überlegte fieberhaft, ob sie nicht etwas übersehen hatte – ob sie vielleicht nicht schon vorher hätte erkennen müssen, dass Caroline nur ein falsches Spiel spielte. Aber selbst jetzt, wo sie wusste, dass es nie ein Baby und nie eine Schwangerschaft gegeben hatte, fiel ihr nichts Verräterisches auf. Ja, die Brasilianerin hatte sie alle meisterhaft getäuscht, besonders jedoch sie selbst. Schließlich hatte sie ihre große Liebe aufgrund dieser Scharade gehen lassen.
 

Und jetzt gab es kein Zurück mehr. Zumindest hatte Ricardo nichts davon gesagt. Er hatte sie nicht gefragt, ob sie wieder nach Mailand kommen würde. Oder überhaupt, dass sie sich in der nächsten Zeit wieder sehen würden, um zu besprechen, wie die Zukunft aussehen würde. Ihre Zukunft. Ihre gemeinsame. Mit keinem Wort hatte der Mittelfeldspieler angedeutet, dass sie jetzt eine Chance hätten. Dabei war sich Lena sicher, dass Ricardos Familie Caroline ihre Lügen niemals verzeihen würden, wenn sie erst davon erfahren würden – und dann wäre eine Trennung so leicht. Und weder Ricardo noch sie wären die Bösen. So hatten sie es sich doch immer gewünscht – aber trotzdem war Lena nicht nach Feiern zumute. Weil es vielleicht einfach zu spät dafür war. Zu spät, ihre Beziehung noch zu retten, weil Ricardo vielleicht Caroline ihre Lügen nicht verzieh, ihr aber auch nicht, dass sie ihn verlassen hatte. Dass sie ihn in die Arme seiner Frau getrieben hatte.
 

Leise fluchte Lena. Das Leben war manchmal eindeutig beschissen. Wie sollte es jetzt denn weitergehen? Sollte sie einfach nach Mailand fliegen, mit ihm reden und darauf hoffen, dass sie ungefähr dort weitermachen konnten, wo sie aufgehört hatten? Nein, das wollte und konnte die junge Psychologin nicht. Sie hatte hier in der kurzen Zeit so etwas wie Freunde gefunden und die wollte sie nicht einfach so wieder aufgeben. Nicht, wenn sie nicht die Sicherheit hatte, dass es gut gehen würde – dass Ricardo sie noch liebte und ihr ihren Egoismus verzieh.
 

Von Lena vollkommen unbemerkt, hielt Lionel sich in der Nähe ihres Sitzplatzes hinter einer Palme versteckt und beobachtete die junge Blondine. Es sah, wie sie sich immer wieder über die Wange strich, um die Tränen zu verbergen und wie sie den feuchten Sand durch ihre Finger rieseln ließ, nur um dann plötzlich fest zuzugreifen und ihn zu halten – erfolglos. Er rieselte weiter und Lena ließ es geschehen, so als hätte sie eingesehen, dass man manche Dinge einfach nicht halten konnte, so sehr man es sich vielleicht auch wünschte.
 

Lionel hatte ihr Telefonat nicht belauschen wollen, aber als sie nach zehn Minuten nicht wieder in die Kneipe gekommen war, hatte der kleine Argentinier sich Sorgen gemacht und war sie suchen gegangen – sehr zur Belustigung seiner Teamkameraden, die ihm gleich ein kleines Stelldichein mit der jungen Deutschen hatten unterstellen wollen. Wie falsch sie damit lagen, hätte sie wohl auch erkannt, wenn sie Lena in diesem Augenblick im Mondschein am Strand hätten sitzen sehen: Ein kleines, verzweifeltes Häufchen Elend. In jedem kitschigen Rosamunde-Pilcher-Film hätten die Tränen auf ihren Wangen vermutlich im Mondlicht geglitzert und er wäre der strahlende Held gewesen, der sie von ihrer Trauer erlöst, doch das hier war kein Film – das war bittere Realität. Und er hatte wenig von einem Held in schimmernde Rüstung. Doch trotzdem wollte er nicht weiter tatenlos zusehen, wie Lena litt. Das ertrug er nicht und so schlich er auf leisen Sohlen an die Deutsche heran und ließ sich dann ganz langsam neben sie sinken, um sie nicht zu erschrecken.
 

Lena sah jedoch noch nicht einmal auf, als sie jemanden neben sich sitzen fühlte. Sie wollte niemanden sehen und am liebsten auch nichts mehr fühlen. Sie wollte allein sein, allein mit sich, dem Mond und dem Meer. Der Mensch neben ihr schien jedoch andere Pläne zu haben, denn er zog sie sanft in seine Arme, so dass ihr Kopf auf seiner Brust ruhte. Der Duft, der ihn umgab, verriet Lena, dass Lionel ihr gefolgt war und nun neben ihr saß, um sie zu trösten. Obwohl er doch gar nicht so genau wissen konnte, warum sie überhaupt traurig war.
 

„Was machst du hier, Leo?“, fragte sie deshalb leise, um die nächtliche Ruhe nicht zu stören. Eine Weile antwortete der kleine Wirbelwind nicht, so als müsste er sich erst überlegen, was er ihr am besten sagen sollte, doch dann begann er zögerlich ihr den Rücken zu streicheln und flüsterte ihr ins Ohr:
 

„Ich bin für dich da.“
 

Diese fünf schlichten, aber umso liebevolleren Worte trieben Lena erneut die Tränen in die Augen und sie konnte nichts anders als wieder zu weinen. Dass sie dabei Leos Oberteil ganz nass machte, störte in dem Moment keinen der beiden.
 

„Aber warum? Du kennst mich doch gar nicht“, entgegnete die Psychologin mit halb erstickter Stimme. Es verwirrte sie, wieso ein ihr noch fast fremder Mann sich so rührend um sie kümmerte – und dabei ganz genau wusste, was sie brauchte. Nämlich Nähe und das Gefühl, geliebt zu sein.
 

„Doch, ich habe das Gefühl, dich schon ewig zu kennen-“ –und noch länger zu lieben, aber diesen Satz verkniff sich Lionel lieber, um Lena nicht zu verschrecken. Es war nicht der richtige Zeitpunkt für ein Liebesgeständnis dieser Art. Sie kannten sich ja tatsächlich noch nicht lange und der Mittelfeldakteur hatte auch keine Ahnung, warum er sich auf einmal Hals über Kopf in die kleine Blonde mit den großen, traurigen Augen verliebt hatte, aber es war so. Und seit er sie in der letzten Zeit häufiger gesehen, mehr Zeit mit ihr verbracht hatte, desto mehr bekam er das Gefühl, dass sie die Richtige für ihn war. Nur, dass ihr Herz immer noch an einem anderen Mann hing, einem, der es ihr gebrochen hatte. Der sie gebrochen hatte.
 

„Danke Lionel.“
 

Er wusste nicht, ob er sie fragen durfte, was geschehen war, warum sie hier am Strand saß und weinte. Vielleicht war es noch zu frisch, zu persönlich um darüber zu reden, aber er wollte ihr wenigstens die Chance geben sich auszusprechen – schließlich kannte sie hier sonst niemand näher. Also nahm der junge Mann all seinen Mut zusammen und fragte Lena danach, was geschehen sei.
 

Einen kurzen Moment löste sich Torstens kleine Schwester aus seiner Umarmung und schaute ihn aus ihren großen, traurigen Augen heraus an, so als wollte sie abschätzen, was sie ihm erzählen konnte und ob es bei sicher aufgehoben war.
 

„Du kannst mir vertrauen, Lena, ich werde nichts von dem, was du mir heute Abend erzählst oder was ich gesehen habe, weiter erzählen“, versprach Lionel und hoffte, dass sein Wort ausreichte, um sie aus ihrem Schneckenhaus zu locken.
 

„Ich vertraue dir, mi torbellino“, sagte Lena schlicht, kuschelte sich wieder an seine Brust und fing leise an zu erzählen. Von ihrer Kindheit, in der sie sich von allen außer von ihrem geliebten großen Bruder ungeliebt und ungewollt gefühlt hatte, weil sie die Erwartungen, die man an sie gestellt hatte, nicht hatte erfüllen können oder erfüllen wollen. Über ihre einsame Jugend bis zu ihren Jahren in Mailand. Kein noch so schmerzhaftes Detail ließ sie aus, weil sie darauf vertraute, dass Lionel sie verstehen würde. Aber auch von den glücklichen Zeiten berichtete sie, von Torsten, Paolo, Christian, Daniel und Adriana und wie sehr sie ihre Freunde und Vertrauten vermisste.
 

Es nahm Lionel mit zu hören, wie unglücklich Lena in ihrem Leben schon gewesen war. Das hatte niemand verdient und schon gar nicht diese großherzige junge Frau, die jetzt an seine Brust gelehnt weinte. Sicher, das Leben war nicht immer einfach und manchmal schmiss einen das Schicksal Knüppel zwischen die Beine, aber so schlimm war es ihm zum Beispiel noch nie ergangen. Er hatte zwar einen Großteil seiner Kindheit auch fern seiner Familie verbracht, doch er hatte immer mit absoluter Sicherheit gewusst, dass sie ihn über alles liebten und unterstützten. Sie glaubten an ihn und waren schließlich sogar seinetwegen von Argentinien nach Spanien gezogen, damit er nicht mehr so sehr unter dem Heimweh litt. So eine Familie hätte er Lena auch gern gewünscht, doch Geschehenes konnte man nicht rückgängig machen, so dass Lionel Gott nur im Stillen dafür dankte, dass er der kleinen Blondine einen tollen großen Bruder an die Seite gestellt hatte, der sie so liebte, wie sie es verdient hatte.
 

Ricardo hingegen, fand Leo zumindest, hatte Lena und ihre Liebe nicht verdient. Er hatte es nicht verdient, weil er sie so leiden ließ. Sie sollte nicht weinen und schon gar nicht wegen einem Mann. Dabei blendete der Argentinier vollkommen aus, dass es Lenas eigene Entscheidung war Mailand zu verlassen und nach Spanien zu gehen. Dass sie es so gewollt hatte, die Beziehung zu beenden, das alles spielte für den argentinischen Wirbelwind keine Rolle, weil er eine weinende, am Boden zerstörte Lena in den Armen hielt.
 

„Weißt du Leo, ich will mich nie wieder verlieben. Nie wieder. Es tut nur weh und führt zu nichts“, schluchzte die Psychologin gegen seine Brust und Lionel hoffte, dass Lena nur in diesem Augenblick ernsthaft an ihre Worte glaubte. Denn ein Leben ohne Liebe – was ergab das denn für einen Sinn? Jeder Mensch wollte lieben und geliebt werden, ohne Ausnahme. Wenn die junge Frau jetzt mal eine Pause, eine Auszeit von der Liebe brauchte, konnte Lionel das nur zu gut verstehen, aber nie wieder lieben? Diesen Entschluss konnte der Argentinier beim besten Willen nicht verstehen. Und schon gar nicht akzeptieren.
 

„Lena, eines solltest du niemals vergessen: Liebe ist keine Entscheidung, sie ist ein Gefühl. Wenn wir uns aussuchen könnten, wen wir lieben, wäre alles viel einfacher... aber ohne jeden Zauber.“
 

Auf diese Weisheit antwortete Lena nicht, aber Leo war sich ziemlich sicher, dass sie ihn gehört hatte – immerhin kuschelte sie sich etwas näher an seine Brust und ihre Fäuste hielten sein T-Shirt ein kleines bisschen fester umklammert. Trotzdem sagte sie nichts, sondern schloss nur die Augen.
 

So als hätte er nie etwas anderes gemacht, zog er die kleine Blondine auf seinen Schoß und begann ruhig auf- und ab zu wippen. Dabei summte er leise ein Lied, das ihm schon die ganze Zeit nicht aus dem Kopf gehen wollte. Aber erst als er sicher war, dass Lena tief und fest in seinen Armen schlief, fing Lionel richtig an zu singen. Nur ganz leise, um Lena nicht aufzuwecken, aber seinen aufgestauten Gefühlen Luft zu machen.
 

He broke your heart

He took your soul

You're hurt inside

'Cause there's a hole

You need some time to be alone

then you will find what you've always known
 

I'm the one who really loves you, baby

I've been knockin' at your door

As long as I'm livin', I'll be waitin'

as long as I'm breathin', I'll be there

whenever you call me, I'll be waitin'

whenever you need me, I'll be there
 

I've seen you cry into the night

I feel your pain, can I make it right?

I realize there's no end in sight

yet still I wait for you to see the light
 

Vorsichtig blickte Lionel nach unten, um sich zu vergewissern, dass Lena auch wirklich nichts von seiner kleinen Gesangseinlage mitbekommen hatte. Das wäre ihm tierisch peinlich gewesen und hätte ihn in Verlegenheit gebracht. Es war ja nicht so, dass er nur hier war, weil er mehr für die junge Deutsche empfand und sich mehr erhoffte. Nein, er war hier, weil er sie als Freundin mochte und es ihm beinahe das Herz brach, sie so traurig und verletzt zu sehen.
 

In diesem Moment wünschte Lionel sich nichts sehnlicher, als Lena irgendwie helfen zu können. Ihren Schmerz zu vertreiben und wieder ein Lachen auf ihren Lippen zu sehen. Das hätte ihm gezeigt, dass der Eispanzer, den sie aus Angst vor neuen Verletzungen um ihr Herz gelegt hatte, anfing zu schmelzen. Lionel wollte schlicht sie selbst und ihr Herz wieder erwärmen – für sich und die Liebe im Allgemeinen. Doch die Kälte, die Lena fühlte, war keine Kälte, die von außen kam. Es war das Feuer in ihr, das nur für Ricardo gebrannt hatte und nun langsam einfror, dass sie frösteln ließ. Und genau das tat Lionel so unendlich weh. Das Wissen, Lena in dieser Kälte, der Schlimmsten von allen, nicht wärmen zu können.
 

To be continued
 

Da habt ihr endlich Lenas Einsicht. Es hat zwar lange gedauert und es war ein steiniger Weg, aber jetzt hat sie es begriffen. Sie weiß jetzt, dass sie vier Jahre ihres Lebens verschwendet hat, weil sie auf den falschen Mann gesetzt hat. Oder, weil sie selbst nicht den Mut und die Kraft hatte, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, das könnt ihr sehen, wie ihr wollt. Aber was glaubt ihr, fängt sie jetzt mit dieser Erkenntnis an, die sie erstmal sacken lassen muss? Wird sie etwas an ihrem Leben ändern oder wird sie einfach so weitermachen wie bisher?
 

Darauf, diese Szene am Strand schreiben zu können, habe ich schon sehr, sehr lange gewartet. Sie stand schon zu Beginn dieser Geschichte fest und ist einer der Hauptgründe, warum ich Lionel so sehr mag und ihm immer noch eine reelle Chance bei Lena gebe, obwohl Per wirklich auch ein ganz Lieber ist. Ich hoffe, dass ihr mich jetzt versteht und Leo auch ein kleines Bisschen mehr in euer Herz geschlossen habt. Ich habe mir nämlich richtig viel Mühe gegeben diese Szene so zu schildern, wie ich sie schon seit Ewigkeiten vor meinem inneren Auge sehe. Besonders der letzte Abschnitt war mir wichtig, um zu zeigen, dass Leo zwar durchaus auch eigene Interessen hat, grundsätzlich aber vor allen Dingen an Lenas Wohl interessiert ist. Er will sie wärmen und für sie da sein, weiß aber, dass er ihr im Augenblick nicht helfen kann, was ihn traurig macht. War die Szene dadurch letztlich doch zu kitschig/unglaubwürdig oder romantisch? Oder hat sie euch am Ende vielleicht doch sogar ein ganz kleines Bisschen gefallen?

Und wie steht ihr zu Lionels Ansicht über die Liebe? Dass man es sich eben nicht aussuchen kann, in wen man sich verliebt und dass gerade das auch teilweise den Zauber der Liebe ausmacht? Wahrheit oder nur hochtrabende Worte?

Nach Hause

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Das hier ist für Sunny - zwei Kommentare binnen kürzester Zeit freuen mich sehr =) Und deswegen geht es auch schon so schnell weiter.
 

Per wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Wieder einmal saß Lena reglos da und schien vollkommen in Gedanken vertieft. Es schien so, als wäre sie in eine völlig andere Welt abgetaucht, eine, zu der er keinen Zutritt hatte. Aber er wollte doch so gerne für sie da sein. Ihr beistehen. Ob er nach ihrer Hand greifen und sie streicheln durfte? Oder ob er sie vielleicht sogar in den Arm nehmen und trösten sollte? Es war alles so schwierig und verwirrend. Während der letzten Stunde hatte er all das schon getan, bedenkenlos aus einem plötzlichem Impuls oder auch einem Gefühl heraus, das ihm gesagt hatte, dass es richtig war. Dass sie ihn nicht von sich stoßen würde.
 

Aber jetzt? Jetzt hatte sie hoffentlich erkannt, welchen Fehler sie all die Jahre gemacht hatte. Dass sie den Menschen in ihrer Umgebung unnötig wehgetan hatte – weil sie sich an eine Illusion geklammert hatte gegen die die Realität niemals hatte ankommen können. Das musste schmerzen und Per wusste nicht, ob sie dabei seine Nähe ertragen konnte. Irgendwie war er schließlich dafür verantwortlich, dass sie all das hatte sehen müssen. Vielleicht würde sie ihm irgendwann dafür dankbar sein – aber sich nicht jetzt und bestimmt auch nicht in ein paar Stunden. Sie würde Zeit für sich brauchen, um die Erkenntnisse zu verarbeiten – und um sich zu überlegen, wie es jetzt in ihrem Leben weitergehen sollte. Oder nein, weiterleben, fand Per, war nicht die richtige Bezeichnung. Es würde nicht weitergehen, sondern neu beginnen. Und der lange Innenverteidiger hoffte inständig, dass er einen Platz in ihrem neuen Leben haben würde.
 

„Per, würdest es dir was ausmachen, mich zu Torsten zu bringen? Ich muss jetzt erstmal nachdenken – den Kopf frei bekommen“, murmelte Lena leise und bestätigte damit die Vermutung des Bremer Verteidigers, der mit so etwas schon gerechnet hatte.
 

„Kein Problem, mein Auto steht noch auf dem Parkplatz.“
 

Ohne weitere Worte zu verschwenden erhoben sich die beiden, klopften das Gras von ihrer Kleidung und machten sich auf den Weg zurück zum Weserstadion. Kein einziges Mal schaute Lena Per dabei an, ihre Augen hatte sie zuerst immer auf die Weser, dann, auf dem kleinen Trampelpfad, auf die Erde gerichtet. Und es war nicht so sehr die körperliche Distanz zwischen ihnen beiden, welche Per verunsicherte, sondern die, die sie durch ihr schweigen aufbauten. Doch nach so viel emotionaler und körperlicher Nähe zu Lena wollte Per sich jetzt nicht zurückweisen lassen – wollte nicht zulassen, dass sich die kleine Schwester des „Lutschers“ jetzt wieder in ihr Schneckenhaus zurückzog und niemanden an sich heran ließ. Dafür war sie ihm mittlerweile einfach zu wichtig geworden. Deshalb sprang der gebürtige Niedersachse über seinen Schatten und brach das Schweigen zwischen ihnen:
 

„Hör mir bitte zu Lena: Ich wollte dir nicht wehtun, dich nicht verletzen, in dem ich dich dazu gezwungen habe mir von deiner Vergangenheit zu erzählen. Wirklich nicht. Aber ich kann mich jetzt nicht dafür entschuldigen, dass ich dich die Wahrheit hab sehen lassen. Das wäre heuchlerisch“, sagte Per mit fester Stimme und hielt Lena dabei am Arm fest, damit sie nicht einfach weitergehen konnte. Ihm war klar, dass sie jetzt garantiert nichts von ihm hören wollte, aber diesen Gefallen wollte er ihr nicht tun. Daher fasste er sie leicht ans Kinn und zwang die Blondine aufzublicken und ihn anzusehen. Ihm in die Augen zu schauen.
 

„Ich bin nämlich wahnsinnig froh, dass du erkannt hast, dass deine Liebe zu Ricardo nach all der Zeit einfach nicht mehr das ist, was dich glücklich macht. Dass sie das schon seit längerer Zeit nicht mehr gewesen ist. Denn jetzt hast du vielleicht endlich die Chance den Mann zu finden, der dich glücklich machen kann“, fuhr Per mit erstickter Stimme fort. Ehrlichkeit war für ihn schon immer sehr wichtig gewesen und der Verteidiger ahnte, dass Torstens kleine Schwester vor vielen Jahren, damals, bevor die ganzen Probleme ihren Lauf nahmen, ebenfalls großen Wert auf Ehrlichkeit gelegt haben musste. Womöglich wusste sie es ja immer noch zu schätzen und konnte bloß selbst nicht mit jedem vorbehaltlos ehrlich sein.
 

„Vielleicht, ja. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht habe ich diesen Mann aber auch schon längst vergrault. Oder er will mich einfach nicht, kann doch sein. Und ich würd’s ihm nicht einmal verübeln. Denn wer will denn auch schon freiwillig eine Frau, die so verkorkst ist wie ich? Niemand, genau“, sprach die gelernte Psychologin all die Ängste aus, die ihr in den letzten Minuten durch den Kopf gegangen waren. Lena war zwar nun klar geworden, dass sie nicht für den Rest ihres Lebens allein bleiben wollte – doch was nützte ihr diese Erkenntnis, wenn sie all den wunderbaren Männern in ihrem Leben bereits mehrfach mit voller Kraft vor den Kopf gestoßen hatten?
 

„Du bist nicht verkorkst, du hast nur wie alle anderen Menschen auch Probleme – eine Vergangenheit. Das ist doch vollkommen normal. Find mal einen, der keine hat, da wirst du keinen Erfolg haben. Als trau dich!“, versuchte Per Lena weiter neuen Mut zu geben. Er wollte die Wahl-Spanierin nicht aufgeben, wollte sie nicht so resigniert zu ihrem Bruder zurückbringen. Weil es für sie doch gar keinen Grund gab zu resignieren: Gut, sie hatte bestimmt den ein- oder andern Mann von sich gestoßen, aber der Innenverteidiger konnte sich nicht vorstellen, dass die nicht bereits wären, ihr noch eine zweite Chance zu geben. Oder überhaupt eine erste, so wie er.
 

„Das ist ziemlich-“, setzte Lena an, doch Per unterbrach sie und beendete ihren Satz für sie.
 

„- Riskant, natürlich. Ohne Risiko geht’s aber eben nicht.“
 

Vielleicht hätte es den 1,98-Meter-Mann erstaunen sollen, wie sehr Torstens kleine Schwester auf Sicherheit bedacht war, doch nach alle, was sie ihm bereits von sich erzählt hatte, wunderte ihn fast gar nichts mehr an dieser Frau. Und vielleicht übte gerade das ja auch diese Anziehungskraft auf ihn aus.
 

„Und wer garantiert mir, dass ich nicht vielleicht-“
 

„Wenn du eine Garantie willst, kauf dir einen Toaster!“, wurde Per so langsam ärgerlich, dass die Blondine scheinbar einfach nicht verstehen wollte, dass es in der Liebe keine Sicherheiten oder Garantien gab. Da riskierte man alles, weil man ohne Netz und doppelten Boden arbeitete. Man konnte es nicht vorher üben, konnte es nicht proben – man versuchte es einfach und ging ein Risiko ein. Entweder es klappte oder man fiel auf die Nase. Ende der Geschichte. So war es bisher immer gewesen und so würde es vermutlich auch noch in hundert Jahren sein. Niemand würde je eine Garantie auf die Liebe verteilen.

Klar, ihre Zukunftsträume von Ricardo und sich waren sicher gewesen, die hatte sie kontrollieren können und in ihnen war nie etwas Unvorhergesehenes geschehen – eben weil es nichts weiter als Träume waren. Die Realität sah anders aus.
 

Eine Weile spazierten die beiden weiter schweigend Richtung Weserstadion. Per bereute seine harschen, sarkastischen Worte, wusste jedoch nicht, wie er sich entschuldigen sollte. Oder ob er sich überhaupt entschuldigen musste, denn an sich hatte er ja nichts als die Wahrheit gesagt. Gut, sein Ton war alles andere als einfühlsam und verständnisvoll gewesen, aber bisher hatten die Samthandschuhe bei Lena noch nie etwas gebracht. Sie schien halt einfach die Holzhammermethode zu bevorzugen.
 

„Ich benehme mich ziemlich kindisch, oder?“, wollte Lena mit einem leichten Lächeln auf den Lippen wissen, als die ersten Trainingsplätze des Weserstadions wieder in Sicht kamen. Dabei schaute sie Per zum ersten Mal seit ihrer Erkenntnis wieder freiwillig in die Augen. Es fiel ihr mit einem Mal gar nicht mehr so schwer wie noch vor einigen Minuten.
 

„Ein bisschen“, gab der Bremer Innenverteidiger Torstens Schwester Recht. Eine Lüge hätte sie sowieso durchschaut, also gab sich Per gar keine Mühe. Warum auch, er wollte ja ehrlich mit ihr sein.
 

„Dann sollte ich wohl so langsam anfangen und erwachsen werden“, entgegnete Lena und das Lächeln auf ihrem Gesicht wurde ein paar Millimeter breiter und ein kleines bisschen herzlicher. So langsam erreichte es ihre Augen und verwandelte sie wieder in die unbeschwerte, fröhliche junge Frau, die sie gewesen war, als sie Per zum Eisessen angeholt hatte – bevor er sie dazu gezwungen hatte Probleme zu wälzen und schwerwiegende Erkenntnisse anzunehmen.
 

„Vielleicht. Aber werd’ bitte nicht zu schnell erwachsen, sonst hältst du es irgendwann noch für unter deiner Würde deine Zeit mit Kindern wie uns zu verbringen“, scherzte Per und traute sich nun endlich seinen Arm um Lenas Schulter zu legen und sie näher zu sich heran zu ziehen.
 

„Nie im Leben, dafür habe ich den Kindergarten hier schon viel zu sehr ins Herz geschlossen. Außerdem sind meine Jungs zu Hause manchmal auch nicht viel erwachsener. Obwohl mir das Carles und Xavi bestimmt widersprechen würden“, ging die Psychologin auf Pers lockeres Geplänkel ein und legte schließlich sogar ihren linken Arm um ihn. Die Nähe eines guten Freundes, denn als genau den betrachtete Lena Per mittlerweile, tat der jungen Frau gut und sie wusste, dass sie sich bei ihm würde fallen lassen können – ohne Bedingungen, ohne wenn und aber.
 

„Ich glaube, dass man als Fußballer automatisch immer ein kleines bisschen Kind bleibt – zumindest sobald man den Platz betritt. Es hat sich zwar seitdem viel verändert und man spielt nicht mehr nur aus Spaß, sondern hat auch gewisse Erwartungen zu erfüllen, aber im Grunde genommen machen wir alle immer noch das, was wir schon als kleine Jungen gemacht und geliebt haben: Fußball spielen“, versuchte Per dieses Phänomen zu erklären und er war sich ziemlich sicher, dass Lena ihn verstand. Weil sie ihn sonst bisher auch immer verstanden hatte.
 

„Manchmal glaube ich, dass du und Lionel Brüder sein könntet. Na ja, zumindest im Geiste“, befand Lena und musste ein schmunzeln unterdrücken, als sie sich Per und ihren kleinen Wirbelwind nebeneinander vorstellte. Es musste wahrscheinlich ungefähr genauso komisch aussehen wie Per und sie jetzt, denn da war der Größenunterschied sogar noch um einige Zentimeter größer.
 

Der gebürtige Pattensener konnte auf Lenas Worte nur stumm nicken. Ja, er hielt es auch für möglich, dass er und der Weltfußballer Brüder im Geiste sein könnten, aber nicht, weil sie dieselbe Ansicht übers Fußballspielen teilten, das taten auch noch einige andere außer ihnen und mit denen hatte der ruhige Innenverteidiger sonst nichts gemeinsam, sondern weil sie beide, Lionel Messi und er, Per Mertesacker, den gleichen Frauengeschmack hatten. Und vermutlich beide masochistisch genug veranlagt waren, um in Lenas Nähe zu sein und es zu ertragen, dass sie von einem anderen träumte. Oder sich mit einem anderen betäubte.
 

To be continued
 

Hat Per mit seinen Worten Recht? Oder ist er mit seinem Urteil ein kleines Bisschen zu hart? Verhält Lena sich kindisch, nur weil sie Sicherheiten und Garantien haben will, wo es einfach keine geben kann? Und hat sich jetzt wohl etwas Grundlegendes zwischen den beiden verändert, wo Lena doch so offen zu ihm war?

Petra

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Vielen lieben Dank für deine Worte, Sunny. Und ein frohes neues Jahr.
 

Die Fahrt zum Hause der Frings war wie im Flug vergangen und schon nach kurzer Zeit tauchte die Einfahrt vor Pers Golf auf. Weder der Innenverteidiger noch die Blondine hatten während der gesamten Fahrt mehr als drei zusammenhängende Sätze gesagt und so hatten sie sich eher darauf konzentriert gemeinsam zu schweigen – was Lena sehr gut gefiel, da sie im Moment sowieso bei jedem Satz um Worte ringe musste.
 

„Mach’s gut, Lena“, verabschiedete sich Per betont ungezwungen von Torstens kleiner Schwester, als sie an der Einfahrt der Familie Frings angekommen waren. Er wusste, dass sie ihn nicht noch hinein bitten würde, da sie jetzt vor allem Zeit und Ruhe zum Nachdenken brauchte. Und das war auch OK so.
 

„Du auch, Per. Ich-. Ich melde mich bei dir, wenn ich soweit bin, in Ordnung?“, wollte Lena von ihm wissen und drehte sich ein letztes Mal zu ihm um, bevor sie die Tür aufstieß und mit dem rechten Fuß zuerst den Boden berührte, um auszusteigen.
 

Mehr als ein schwaches Nicken brachte der Bremer Verteidiger nicht zustande, für Worte war der Kloß in seinem Hals viel zu dick. Doch Lena schien das Nicken als Antwort zu genügen, denn sie lächelte ihn schwach an, stieg vollends aus seinem schwarzen Gefährt aus und schmiss dann schwungvoll die Tür des Golfs zu. Mit schnellen Schritten und ohne sich noch einmal nach Per umzudrehen, verschwand sie in der Auffahrt ihres Bruders und dann sicher im fringsschen Heim.
 

Wie hypnotisiert schaute Per ihr nach, auch nachdem Lena schon längst aus seinem Blickfeld verschwunden war. Sein Blick ging einfach ins Leere und obwohl seine Augen nichts sagen, was man hätte verarbeiten müssen, arbeitete es in Pers Kopf auf Hochtouren. Der gebürtige Niedersachse brauchte diesen einen Moment, um sich zu überlegen, ob es für ihn wirklich in Ordnung war, wenn Lena sich erst wieder bei ihm meldete, wenn sie soweit war. Es konnte heute schon soweit sein, wovon er nicht ausging, es konnte nächste Woche oder nächsten Monat sein – oder eben nie. Weil sie nie soweit sein würde das tatsächlich zu verarbeiten, was er ihr auf der Wiese an der Weser versucht hatte klar zu machen.
 

Wie Per sich auch drehte und wendete, alles lief auf die Erkenntnis hin, dass jetzt Lena am Zug war. Dass es ab jetzt ihre Entscheidung war, wie es mit ihnen weiterginge. Ob es überhaupt weiterginge. Jetzt musste sie den nächsten Schritt gehen. Ganz allein. Es war ihre Entscheidung, ob sie bereit war, einen Fuß vor den anderen zu setzen und ihren Weg in die Zukunft zu gehen. Aber diesen entscheidenden ersten Schritt, den würde sie vermutlich erst machen, wenn sie alle Risiken abgewägt und alle Gefahren einkalkuliert hatte. Das würde dauern. Und er – er würde warten. Auf Lena. Es war nicht gut, nicht ideal oder wünschenswert – weit davon entfernt. Aber es war in Ordnung. Für ihn zumindest. Weil er wusste, dass er sie besser zu nichts drängte, dessen sie sich nicht vollkommen sicher war. Per wollte sie nur ganz oder gar nicht – und wenn, dann richtig.
 

Lena empfing eine unnatürliche Stille im Haus, als sie die Eingangstür öffnete. Nirgendwo in den oberen Stöcken hörte sie Kinderlachen und aus dem Wohnzimmer drangen keine typischen Fernsehgeräusche. Es wunderte sie, schließlich sollten mittlerweile sowohl Torsten als auch die Mädchen wieder zu Hause sein – und trotzdem herrschte im fringsschen Haushalt eine unheimliche Stille.
 

„Petra? Bist du da“, rief Lena aus dem Flur durchs ganze Haus, in der Hoffnung, dass wenigstens ihre Schwägerin nicht mit ausgeflogen war.
 

„Im Wohnzimmer“, kam auch sofort die Antwort und entgegen ihres eigenen Planes machte die Psychologin sich auf den Weg ins Wohnzimmer, um nach Petra zu schauen. Ruhe und Einsamkeit zum Nachdenken erschienen ihr bei dem Anblick, der sich ihr bot, auf einmal nicht mehr so verlockend wie noch vor wenigen Minuten: Petra saß auf dem breiten, bequemen Sofa der Familie Frings, warm eingekuschelt in einer Decke, vor dem großen Kamin. In ihrem Schoß lag ein Buch, dass sie bis eben noch gelesen haben musste.
 

„Komm her und setzt dich, Lena“, forderte Petra die jüngere ohne Umschweife auf und klopfte neben sich aufs Sofa. Einen kurzen Moment zögerte die kleine Schwester des „Lutschers“, entschied sich dann aber für die Gesellschaft ihrer Schwägerin. Die wickelte sich problemlos aus der Decke und gab Lena somit ein Stückchen ab, damit die es sich am anderen ende des Sofas bequem machen konnte.
 

Für einen kurzen Augenblick wurde Lena bewusst, wie komisch diese Situation eigentlich war: Noch vor drei Stunden hatte sie mir ihren Nichten draußen im Garten gespielt, war Eis essen gegangen und hatte mit Per bei strahlendem Sonnenschein an der Weser gesessen und nun? Nun kuschelte sie sich hier mir Petra vor dem Kamin aufs Sofa – als wäre es draußen nicht warm genug. Die Ironie der Situation schien auch Petra nicht entgangen zu sein, die schmunzelnd erklärte:
 

„Normalerweise mache ich den Kamin um diese Zeit noch nicht, wenn draußen das Wetter noch so schön spätsommerlich ist. Aber Torsten ist mit den Mädchen draußen unterwegs und ich hatte einfach mal wieder das Bedürfnis mich in eine warme Decke einzukuscheln, ein bisschen in die Flammen zu gucken und ein gutes Buch zu lesen. Irgendwie muss ich die seltenen Momente der Ruhe ja genießen.“
 

Es war das glückliche, sanfte Lächeln ihrer Schwägerin, das Lena einen Kloß im Hals verursachte. Sie selbst brauchte in Barcelona bloß die Tür hinter sich zu ziehen, schon hatte sie ihre Ruhe. So viel sie wollte. Sie konnte sich hinsetzen und ein Buch lesen, sie konnte einfach nur dastehen und aus dem Fenster schauen – all das, was für ihre Schwägerin besondere Momente waren, war für sie alltäglich. Sie nahm es nicht mal mehr wahr. Und das machte sie traurig, denn es zeigte ihr, wie leer ihr Leben in der spanischen Metropole eigentlich gewesen war. Und sie hatte es noch nicht einmal gemerkt.
 

„Sag mal Lena: Hast du eigentlich gar keine Freundinnen in Barcelona? Mit denen du über all das reden kannst?“
 

Wie aus heiterem Himmel traf Lena die Frage ihrer Schwägerin. Sie hatte nicht nach Freunden gefragt, sondern nach Freundinnen. Frauen, mit denen sie vielleicht andere Dinge teilte als mit den Männern in ihrem Leben.
 

„Ich-. Das ist-. Nein, Petra“, schüttelte Lena traurig den Kopf und starrte in die gleichmäßig lodernden Flammen des Kamins. Sie hatte noch nie eine wirklich beste Freundin gehabt. Nicht in der Schulzeit, in der die Mädchen einige Jahre älter gewesen waren als sie und sich schon für ganz andere Sachen wie Jungs, Schminke oder Alkohol interessiert hatten, und auch nicht in Mailand oder Barcelona. Mit Paolos Frau Adriana hatte sie sich immer sehr gut verstanden, sie hatte es ihr leichter gemacht zu verstehen, was in ihr vorging – aber wenn es danach ging, war sie eher ein Mutterersatz, denn eine Freundin für sie gewesen. Und in Barcelona hatte sie sich erst gegenüber allen Menschen verschlossen, die mit ihr hatten in Kontakt kommen wollten, und später hatte sie die Jungs gehabt. Aber eine ganz normale Freundin, mit der man einen Kaffe trinken ging, über Jungs quatschte und zusammen die Einkaufsläden unsicher machte – so einen Menschen hatte es in ihrem Leben bisher nicht gegeben.
 

„Das ist wirklich Schade, Kleines. Denn weißt du, wenn man manches mit Freunden bespricht, wird einem gleich so einiges klarer. Man sieht es dann nämlich von einem anderen Standpunkt aus“, erklärte Torstens Ehefrau und rückte ein Stück näher an ihre Schwägerin heran. So wie sie es häufig auch bei ihren beiden Mädchen tat, griff Petra nach Lenas Hand und streichelte ihr leicht mit dem Daumen über den Handrücken.
 

„Ich glaube, ich könnte so eine Freundin jetzt dringend gebrauchen“, brachte Lena nach kurzem Schweigen schließlich halblaut über die Lippen. Es war ihr für einen Augenblick schwer gefallen zu zugeben, dass sie das alles nicht mehr alleine schaffte. Dass sie ihr Leben nicht mehr alleine meistern konnte. Aber dann hatten Petras federleichten Berührungen ihr gezeigt, dass sie gar nicht alles alleine schaffen musste. Sie hatte eine Familie. Menschen, die sie liebte und die sie wiederum liebten.
 

„Wie wäre’s, wenn ich den Posten übernehme. Zumindest solange, bis du jemanden gefunden hast“, schlug Petra da auch schon vor und Lena wusste nicht so recht, wie sie ihrer Schwägerin begreiflich machen konnte, wie wichtig ihr dieses Angebot war.
 

„Das wäre wirklich-. Danke, Petra“, beschränkte die Wahl-Spanierin sich schließlich auf wenige Worte.
 

„Gern geschehen. Und nun erzähl, was du auf dem Herzen hast.“
 

„Ich habe Fehler gemacht Petra, schlimme Fehler. Ich habe Menschen, die mir unheimlich wichtig sind, wehgetan“, offenbarte Lena stockend. Sie konnte das, was sie in Barcelona getan hatte, immer noch nicht richtig in Worte fassen – zumindest nicht, ohne dabei die Fassung zu verlieren.
 

„Nichts absichtlich, oder?“, wollte Torstens Ehefrau wissen.
 

„Nein-. Doch-. Ach, ich weiß es nicht“, stammelte Lena und ließ ihr Gesicht verzweifelt hinter ihren Händen verschwinden, weil sie auf diese Frage nicht voller Inbrunst mit „Nein“ beantworten konnte. Was war sie bloß für ein Mensche, dass sie ihre Freunde absichtlich verletzte – oder es zumindest nicht mit Sicherheit ausschließen konnte?
 

„Hast du es gemacht, weil du es für das Beste hieltest? Für dich und für deine Freunde?“, harkte Petra erneut nach und irgendwie fühlte sich Lena wieder ein bisschen wie am Nachmittag mit Per, der ebenso unablässig nachgefragt und seinen Finger immer wieder auf die Wunde gelegt hatte.
 

„Ja, natürlich wollte ich das Beste für uns“, rechtfertigte sich Lena.
 

„Dann wolltest du ihnen nicht absichtlich wehtun“, schloss Petra mit einer Sicherheit in der Stimme, die eigentlich keine Zweifel offen ließ. Aber eben auch nur eigentlich.
 

„Aber die Fehler-“, versuchte Lena ihrer Schwägerin dann auch gleich zu widersprechen, doch die hob nur mahnend die Hand:
 

„Lena, alle Menschen machen Fehler - sogar die, die wir lieben. Glaubst du wirklich, Torsten oder ich hätten noch nie Fehler gemacht? Natürlich haben wir das. Jeden Tag wieder. Aber wir bitten um Entschuldigung und verzeihen einander.“
 

In Petras Worten klang keine Bitterkeit mit, als sie sagte, dass auch sie und Torsten jeden Tag aufs Neue Fehler machten – und daran arbeiten mussten, sie wieder auszubügeln, damit sie dem anderen nicht über lange Zeit wie ein Stachel im Fleisch steckten. Es klang danach, als sei es eher eine Selbstverständlichkeit, als die Ausnahme. Das verwunderte Lena, hatte sie dieses Verhalten bei ihrem Bruder und ihrer Schwägerin noch nie bewusst erlebt.
 

„Ist das wirklich so leicht?“, verlangte Lena zu wissen und Petra schüttelte nur den Kopf, schloss kurz die Augen, bevor sie Luft holte, und der Namensvetterin ihrer Tochter antwortete.
 

„Ich habe nicht gesagt, dass es leicht ist. Das ist es nämlich nicht. Es kostet jeden von uns immer wieder Überwindung uns zu entschuldigen. Und hin- und wieder auch sehr viel Kraft, die Entschuldigung anzunehmen und zu verzeihen. Manchmal braucht es mehr Zeit als sonst, aber-.“
 

„- irgendwann hat der Schmerz bei dem anderen soweit nachgelassen, dass er verzeihen kann“, vervollständigte Lena den Satz ihrer Schwägerin, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte, was Petra ihr damit sagen wollte. Die nickte nur bestätigend und fügte ein gemurmeltes „genau“ an.
 

To be continued
 

Allen Per-Liebhabern dürfte es gefallen haben, dass Per sich so bewusst für Lena entschieden hat – er aber auch so ehrlich zu sich selbst war, dass er gesagt hat: Ich bin mehr wert, als nur ein Trostpflaster für kurze Zeit zu sein. Wenn, dann will ich sie nur ganz und richtig. Das ist auch für ihn ein großer Schritt nach vorn, denn bisher hat Per immer eher an sich und seinen Qualitäten gezweifelt. Und dass er Lena jetzt den nächsten Schritt machen lässt, wie findet ihr diese Entscheidung? Weise? Verrückt?

Lena hat angefangen mit Per ihre Vergangenheit zu bewältigen, aber das ist gar nicht so leicht, wie sie es sich vielleicht vorstellt. Deswegen hat sie jetzt nicht nur Per als Stütze, sondern auch Petra. Als Ersatz für die Freundin, die sie leider nicht hat. Was haltet ihr davon? Bringt dieses Gespräch Lena wirklich weiter oder kaut sie nur zum gefühlten tausendsten Mal das durch, was eigentlich alle schon wissen?

Tu nur das, was dein Herz dir sagt

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 


 

Eine Weile schwiegen die beiden fringsschen Frauen und schauten nur gemeinsam einträchtig in die lodernden Flammen des Kamins. Lange hielt diese Stille jedoch nicht an, da Petra noch einige Fragen an ihre Schwägerin hatte. Fragen, die sie zum Teil schon länger beschäftigten und die ihr sicherlich niemand sonst würde beantworten können – noch nicht einmal Torsten, der sich häufig für allwissend hielt. Und wann gab es einen besseren Zeitpunkt sie zu stellen als jetzt, in diesem Moment, wo sie ungestört einträchtig beieinander saßen?
 

Da die Ehefrau des Fringsers jedoch nicht einfach so mit der Tür ins Haus fallen und dadurch riskieren wollte, dass Lena sich wieder in ihr Schneckenhaus zurückzog, stellte sie erst einmal eine, aus ihrer Sicht, absolut unverfängliche Frage.
 

„Wie war eigentlich dein Treffen mit Per?“
 

„Es war gut“, antwortete Lena schlicht und weckte damit Petras Neugier. Zwar war ihre Schwägerin noch nie der Mensch für überschwängliche und wortreiche Beschreibungen gewesen, doch etwas mehr als ein „es war gut“ hatte man ihr immer entlocken können. Es sei denn, es war etwas im Busch, dann igelte Torstens kleine Schwester gewohnheitsmäßig ein und wurde wortkarg – so wie jetzt.
 

„Nur gut?“, harkte Petra deswegen auch mit einem leichten Lächeln auf den Lippen nach, welches der Psychologin nicht verborgen blieb. Ihr war klar, dass Lenas und Lisas Mutter den Braten bereits gerochen hatte und somit nicht eher ruhen würde, bis sie alles wusste. Da traf der alte Spruch „Gott erfand die Neugier und nannte sie Mutter“ mal wieder meilenweit ins Schwarze. Kein Detail war vor dem Spürsinn der zweifachen Mutter sicher und deshalb entschied sich Lena dafür, Petra gar nicht erst durch schweigen abzuwimmeln – es hatte ja eh keinen Erfolg.
 

„Wir haben viel geredet. Na ja, ich habe geredet und Per hat zugehört.“
 

„Du hast geredet? Tut mir leid das zu sagen, Lena, aber du bist-“, machte Petra ihrer Überraschung über das prompte und unerwartete Geständnis ihrer Schwägerin Luft. Die jedoch konnte diesmal nur müde Lächeln und Petras Satz für sie beenden:
 

„- bestimmt nicht der Typ, der stundenlang mit anderen über sich selbst redet? Nein, bin ich nicht. Aber Per hat mir zugehört. Mich festgehalten. Mir neuen Mut gemacht. Und mich meine Grenzen sehen lassen“, fuhr Lena fort und ihr Gespräch mit Per noch einmal zu rekapitulieren, half ihr, es auch selbst noch einmal zu verstehen.
 

„Er – war da. Und das war auch gut so. Er hat mich meine Fehler sehen lassen“, gab die Blondine mit geschlossenen Augen zu. Hätte sie Petra bei diesem Geständnis in die Augen sehen müssen, hätte sie vermutlich kein Wort über die Lippen gebracht. Lena hatte keinen blassen Schimmer, wann es ihr endlich leichter fallen würde, all diese Dinge über sich selbst zu erzählen, sie vielleicht sogar irgendwann als gegeben zu akzeptieren, aber sie hoffte, dass dieser Tag irgendwann käme. Musste er ja. Andere Menschen hatten schließlich auch nicht solche massiven Probleme etwas von sich Preis zugeben – zumindest nicht gegenüber Menschen, denen sie blind vertrauten.
 

„Normalerweise kann man genau die Menschen nicht ausstehen, die einem seine Fehler aufzeigen“, machte Petra Lena die Absurdität ihrer Aussage klar. Das war keinesfalls böse gemeint, unter normalen Umständen hätte die Blondine der zweifachen Mutter sogar zugestimmt – doch in ihrem Leben war schon so lange nichts mehr wirklich normal verlaufen, dass dieser Satz für sie trotzdem Sinn ergab.
 

„Kann schon sein. Aber diesmal war es gut – richtig sogar. Per hat mir die Augen dafür geöffnet, wie mein Leben jetzt gerade ist und wie es die letzten Jahre war“, sprach Lena Pers „Errungenschaften“ aus, machte am Ende ihres Satzes jedoch keine abschließende Pause, die besagte, dass dies alles war, was Per getan hatte. Im Gegenteil, Lena forderte ihre Schwägerin zwischen den Zeilen sogar dazu heraus nachzufragen, was der lange Innenverteidiger im Dienste der Bremer noch getan hatte. Zumindest empfand Petra es als eine solche Aufforderung, der sie nur zu gerne nachkam.
 

„Und?“, wollte sie deshalb wissen und Torstens kleine Schwester hatte ausnahmsweise keine Probleme damit ihren halbangefangenen Satz zu vervollständigen:
 

„Und wie es in Zukunft nicht mehr sein soll.“
 

„Das ist doch gut, oder?“, fragte die Ehefrau des Fringsers unsicher nach, da Lenas Tonfall nicht begeistert geklungen hatte, sondern eher total verunsichert. So als wüsste sie selbst noch nicht so recht, was sie jetzt mit dieser Erkenntnis anfangen sollte. Geschweige denn, wie sie damit umgehen sollte. Und Lenas nächsten Worte bestätigten die Vermutung der zweifachen Mutter:
 

„Ich habe keine Ahnung, Petra. Wenn ich ehrlich sein soll, schwirren in meinen Kopf im Augenblick so viele wirre Gedanken rum. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Und das macht mir Angst. Tierische Angst sogar. Weil ich bisher immer wusste, was zu tun ist. Egal wie schwierig oder kompliziert die Situation war: Ich wusste, was ich tun musste.“
 

Petra versuchte sich vorzustellen, wie es für einen Menschen wie Lena sein musste, nicht mehr alle Antworten zu kennen. Diese Situation musste ihr fremd sein: In der Schule und auch in allen anderen Situationen hatte sie immer alle antworten gekannt. Und jetzt fühlte sie sich zum ersten Mal und ihrem Leben ratlos. Ja, das würde vermutlich jedem Menschen eine Heidenangst einjagen.
 

„Es tat zwar manchmal weh diese Entscheidungen zu treffen und es dann auch zu tun, aber ich wusste wenigstens, was geschehen muss. Was richtig und was falsch ist. Jetzt bin ich vollkommen überfordert.“
 

Lena war sich völlig darüber im Klaren, dass sie Petra gerade sehr tiefe Einblicke in ihr angeknackstes und verkorkstes Seelenleben gewährt – und dass sie sich so verletzbar machte wie selten zuvor. Aber wenn sie eine Lektion von Per schon verinnerlicht hatte, dann die, dass einem nicht alle Menschen verrieten. Dass man ihnen vertrauen musste, wenn sie einem helfen sollten. Und dass es keine Schande war, um Hilfe zu bitten und sich dann auch helfen zu lassen. Man musste nicht alles allein schaffen, musste nicht alleine weinen und gegen die Dämonen kämpfen – nicht, wenn man so eine Familie hatte, wie sie sie hatte.
 

„Ich fühle mich wie im freien Fall durch ein riesiges schwarzes Loch. Ich habe nichts, woran ich mich festhalten und auch nichts woran ich mich orientieren kann. Ich falle – und niemand kann meine Geschwindigkeit bremsen“, illustrierte Lena ihre augenblicklichen Gefühle weiter und in Petra wuchs der Drang ihr zu helfen. Egal wie. Hauptsache irgendwie.
 

„Es mag vielleicht abgedroschen klingen Lena, aber: Hör auf das, was dein Herz dir sagt. Und verlass dich drauf, dass am Ende deines Fallens jemand da sein wird, der dich sicher in seinen Armen auffängt.“
 

Petra hätte ihrer Schwägerin gerne mehr geholfen – oder zumindest anders. Aber mehr als tröstende, Hoffnung schenkende Worte fielen ihr im Augenblick nicht ein. Und selbst die klangen in ihren und vermutlich auch in Lenas Ohren abgedroschen und ausgelutscht. Doch Petra war niemand, der Wunder vollbringen und Lenas Leben wieder in die richtige Balance bringen konnte. Das würde nur die Blondine nur selbst schaffen können – mit der Hilfe ihrer Familie und Freunde.
 

„Und was mache ich, wenn mein Herz noch nicht all das begriffen hat, was mein Verstand dank Per gerade langsam verarbeitet? Wenn es noch nicht soweit ist?“, wollte Lena von der zweifachen Mutter wissen.
 

„Dann solltest du deinem Herzen in dieser Beziehung erstmal noch ein wenig Zeit lassen“, antwortete Petra und schon an Lenas Gesichtsausdruck erkannte sie, dass der Jüngeren diese Aussage nicht gefiel.
 

„Ja, aber woher weiß ich, wie lange mein Herz brauchen wird, um das alles zu begreifen? Ich will nicht mehr länger warten – nicht noch mehr kostbare Zeit verschenken.“
 

Es war so leicht zu verstehen, was Lena meinte. Was sie wollte. Auch Petra verstand die Vehemenz, mit der Torstens kleine Schwester dafür eintrat, dass sie keine Zeit sinnlos zu verschwenden hatte. Kein Mensch auf dieser Welt vergeudete gern Zeit – weil bereits jedes Kind wusste, dass Zeit endlich war. Zumindest für jeden einzelnen. Trotzdem konnte die Schwarzhaarige mit nicht mehr als einer allseits bekannten Phrase antworten:
 

„Du musst einfach ein bisschen Geduld haben.“
 

„Das klingt so leicht“, schnaubte Lena und versuchte ihre Frustration nicht an Petra auszulassen. Die konnte schließlich nichts dafür, dass sie selbst gerade nicht mit ihrem Leben klar kam und ziemlich genervt von sich selbst war – und ihrer eigenen Unfähigkeit alles wieder ins Lot zu bekommen. Dafür war nur sie selbst verantwortlich – gut, und vielleicht noch ein paar äußere Umstände, aber ihre Familie trug keine Schuld an ihrem chaotischen Leben. Trotz des Versuchs ihre Frustration nicht zu zeigen, spürte Petra, wie sehr ihre Schwägerin das alles mitnahm und streichelte ihr sanft über den Arm.
 

„Es ist nicht leicht, ich weiß. Trotzdem kann ich dir nichts anderes raten. Außer vielleicht für einen Moment in dich zu gehen und dir zu überlegen, ob es nicht noch Menschen gibt, denen du noch eine Entschuldigung schuldig bist.“
 

Um diese Frage zu beantworten, musste die Wahl-Spanierin nicht einmal einen kurzen Moment in sich gehen, das wusste sie auch so problemlos.
 

„Die gibt es“, kam also die gemurmelte Antwort und das reichte Petra, um voller Elan in die Hände zu klatschen, ihrer Schwägerin die warme Decke wegzuziehen und sie mit den Worten „Na also, dann geh hin und entschuldige dich. Spring über deinen Schatten“ aus dem Wohnzimmer zu komplimentieren. An sich war die zweifache Mutter zwar gar nicht voller Elan, aber sie hoffte die Blondine mit ihrer Zuversicht anstecken zu können – irgendwann musste sich ja schließlich mal was bewegen und wenn nicht jetzt, wann dann?
 

Der Elan der Älteren steckte Lena zwar nicht so richtig an, doch sie wusste, dass sie nach ihren Gesprächen mit Per und auch mit Petra wohl auf keine weiteren, guten Gründe, es zu tun, hoffen konnte. Es war alles Wichtige gesagt worden und jetzt war es an ihr nach dem Telefonhörer zu greifen. Noch einen Tritt in den Hintern würde sie nicht bekommen – da würden sie alle eher aufgeben. Also musste sie sich jetzt bei einigen Menschen entschuldigen – zu Recht. Und sie musste ihre Beziehung zu Ricardo ein für alle Mal klären, damit sie in ihrem Leben endgültig wieder nach vorne blicken konnte. Das alles musste sie für sich tun, damit es wieder ihr Leben war und sie wieder glücklich sein konnte.
 

Denn irgendwo, auf dem langen Weg zwischen Mailand, Barcelona und Bremen hatte sie sich selbst verloren. Da hatte sich der rote Faden ihres Lebens, der sich bis zu diesem Zeitpunkt immer vollkommen stringent entwickelt hatte, zu einem Knäuel verheddert. Und jetzt musste sie irgendwie sehen, dass aus diesem Knäuel wieder ein einzelner Faden wurde – der sich dann vielleicht irgendwann einmal mit einem anderen einzelnen Faden zusammentun könnte. Vielleicht. Irgendwann.
 

To be continued
 

Was denkt ihr über das Gespräch zwischen Petra und Lena? Öffnet sich Torstens kleine Schwester mittlerweile schon etwas mehr? Hat Pers kleine „Therapiesitzung“ vielleicht doch noch mehr gebracht, als der Lange sich das überhaupt hat vorstellen können?

Und was glaubt ihr, bei wem wird sich Lena zuerst entschuldigen? Und warum?

Schlussstrich

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Mit geschlossenen Augen lag Lena auf dem Bett im Gästezimmer. Nichts als ihr leises Atmen erfüllte den Raum und die Psychologin genoss die Stille. Eine Stille, die nur dann eintrat, wenn alles gesagt worden war. Oder zumindest fast alles. Lena ließ die vergangenen Stunden, die ihr vorkamen wie eine kleine Ewigkeit, Revue passieren und instinktiv wusste sie, dass sie das Richtige getan hatte. So schwer es ihr auch gefallen war, ihre Gefühle in Worte zu fassen und ihrem Gegenüber, wenn auch nur durch das Telefon, ehrlich zu verraten, was in ihr vorging, so hoffte sie doch inständig, dass sie verstanden worden war. Und dass sie wirklich auch das Richtige gesagte hatte, als sie sich bei Iker und den anderen für ihr Verhalten entschuldigt hatte.
 

Nun fehlte nur noch eine Person, mit der sie sprechen musste, um endgültig abschließen zu können – um eine neue Seite, vielleicht sogar ein gänzlich neues Kapitel, im Buch ihres Lebens aufschlagen zu können. Und das war Ricardo.
 

Langsam öffnete die Wahl-Spanierin die Augen, setzte sich auf und griff erneut nach ihrem Handy, das seelenruhig neben ihr gelegen und gewartet hatte. Darauf, dass sie zu ende brachte, was sie mit dem Anruf bei Iker begonnen hatte. Mit zittrigen Fingern suchte Lena die Nummer ihres frühern Weggefährten aus ihrem Telefonbuch und drückte unsicher auf den grünen Hörer. Das melodische Tuten verriet Lena, dass ihr Handy die Nummer wählte und am liebsten hätte Torstens kleine Schwester aus einem Impuls heraus den roten Hörer ihres Telefons gedrückt. Doch statt diesem Impuls nachzugeben, atmete Lena tief durch und lauschte dem Freizeichen.
 

Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der Lenas Finger immer zittriger und Schweißnasser geworden waren, erklang Ricardos vertraute Stimme aus dem kleinen Lautsprecher des Handys:
 

„Ich kann leider grad nicht an mein Handy gehen, aber sobald ich eure Nachricht höre, melde ich mich“, versprach seine tiefe, männliche Stimme und noch bevor Lena auflegen konnte, ertönte der lang gezogene Signalton, nachdem sie ihrer Nachricht auf das Band sprechen sollte.
 

„Hey Ricardo, ich bin’s. Ich mein’ hier ist Lena“, stammelte die Psychologin und fuhr sich mit der rechten Hand durchs Haar. Gott, sie war so furchtbar nervös und unsicher. Wie sollte sie bloß die richtigen Worte finden, um ihm zu erklären, was sie fühlte und wie sie nach all der Zeit über ihre gemeinsame Vergangenheit dachte? Aber wenigstens konnte sie ein Band niemals so aus dem Konzept bringen, wie Ricardo das geschafft hätte.
 

„Ich weiß, dass wir uns schon eine Weile nicht mehr gesprochen haben – seit der Sache mit Carolin eigentlich. Aber-“
 

Wieder verstummte Lena für einen kurzen Augenblick und überlegte, wie sie am besten auf den Punkt kommen sollte – wenn sie denn überhaupt einen hatte, so ganz sicher war sie sich da nämlich nicht.
 

„-ich wollte mich bei dir dafür entschuldigen, dass ich uns beiden nie eine wirkliche Chance gegeben habe. Als Paar, meine ich. Und das war nicht fair von mir.“
 

Die Aufnahmekapazität des Bandes kam der Psychologin wie eine halbe Ewigkeit vor und sie hatte keinen blassen Schimmer, was sie Ricardo noch sagen sollte. Soweit war es nun schon gekommen – sie wusste nicht, was sie dem Mann, den sie angeblich die letzten vier Jahre geliebt hatte, sagen sollte. Wie verrückt war das denn?
 

„Ich habe keine Ahnung, wie du zu unserem Versprechen vom damals stehst und ob du die Kette noch trägst, aber-“
 

An sich hätte sie ihn zu gern gefragt, ob er sie immer noch liebte und immer noch vermisste, so wie sie ihn all die Jahre geliebt und vermisst hatte, doch diese Frage würde ihr ein Aufnahmeband nicht beantworten können und wenn sie ganz ehrlich mit sich selbst war, wusste sie, dass sie die Antwort eigentlich gar nicht wirklich hören wollte – zumindest nicht, wenn sie tatsächlich neu anfangen wollte.
 

Unruhig kaute Lena auf ihrer Unterlippe. Einerseits fürchtete sie sich vor dem Moment, an dem die Aufnahmezeit zu ende sein würde, andererseits ersehnte sie diesen Moment förmlich – denn dann würde sie endgültig mit ihrer Mailänder-Vergangenheit abgeschlossen haben.
 

„Ach scheiße! Was rede ich hier überhaupt? Ich habe nie gesagt, ich würde dich immer lieben, Ricardo. Zum Glück. Aber ich sage dir – ich habe dich immer geliebt. Von dem Moment an, als ich dich zum ersten Mal geküsst habe, bis heute. Es hat nie aufgehört. Doch das wird es irgendwann. Das muss es. Denn sonst gehe ich kaputt daran. Und deswegen werde ich alles daran setzen wieder neu anzufangen und glücklich zu sein – ohne dich.“
 

Ohne ein weiteres Wort des Abschieds legte Lena auf – sie hatte schließlich alles gesagt. Sie hatte ihm gesagt, dass sie ihn geliebt hatte, all die Jahre lang und dass sie jetzt neu anfangen wollte – ohne ihn. Mehr gab es nicht zu sagen. Was er jetzt damit machte, was seine Sache, das ging sie nichts mehr an. Sie hatte ihren Schlussstrich gezogen und würde nun versuchen nach vorne zu schauen – in eine Zukunft, die ihr noch niemals ungewisser erschienen war als in diesem Moment. Aber auch in eine Zukunft, die noch niemals viel versprechender gewesen sein konnte.
 

Unwillkürlich fuhr ihre Hand zu ihrem Hals und ertastete das Medaillon, das Ricardo ihr einst in einer lauen Sommernacht geschenkt hatte. Das Weiß des Yin-und-Yang-Zeichens strahlte noch genauso wie damals, auch wenn sie es seitdem vier Jahre lang ununterbrochen getragen hatte. Vorsichtig und zögerlich griff sie nach dem Verschluss hinten im Nacken, hielt dann jedoch in ihrer Bewegung inne. Ja, sie hatte abgeschlossen, hatten einen großen Teil ihrer Vergangenheit hinter sich gelassen, der sie sonst immer wie ein Schatten begleitet hatte – aber auch wenn ihr Verstand vielleicht wollte, dass sie auch dieses letzte Zeichen der Vergangenheit für immer zu den Akten legte, so schrie ihr Herz doch laut, dass es alles viel zu schnell ging. Und zum ersten Mal seit langer Zeit hörte Lena ihr Herz klar und deutlich – und befolgte seinen Rat, in dem sie ihre Hände wieder in ihren Schoß sinken ließ. Vorerst würde die Kette weiterhin um ihren Hals hängen, solange zumindest, bis auch ihr Herz endgültig bereit war für immer loszulassen. Wann auch immer das sein würde, bis dahin musste sie halt einfach Geduld haben.
 

„Hey Kleines.“
 

Lautlos hatte Torsten das Zimmer seiner kleinen Schwester betreten und ließ sich neben sie auf das Bett sinken. Er war schon bei weitem länger zu Hause als Lena, war er schließlich doch direkt nach dem Training wieder zurück zu seiner Familie gefahren, um die wenige Freizeit, die er hatte, mit drei seiner vier Lieblingsfrauen zu verbringen. Trotz der lustigen Spiele mit seinen beiden kleinen Mäusen, hätte er seine kleine Schwester selbstverständlich am liebsten sofort nach der Haustür abgefangen und sie nach allen Regeln der Kunst über ihr Treffen ausgefragt, doch Petra hatte ihm unmissverständlich klar gemacht, dass er, sollte ihm in diese Richtung auch nur eine unangemessene Frage Lena gegenüber über die Lippen kommen, sehr lange Zeit auf dem Sofa würde schlafen müssen und das wollte der „Lutscher“ auf keinen Fall riskieren.
 

Also hatte er zwar durch die Gardinen neugierig beobachtet, wie Lena auf Pers Wagen gestiegen war und sich von ihm verabschiedet hatte, hatte sie aber danach nicht angesprochen – wie auch, schließlich hatten sich Petra und Lena zu „Frauengesprächen“ ins Wohnzimmer verzogen. Deswegen war dem Bremer Mittelfeldspieler nichts anderes übrig geblieben, als sich vorerst in seinen Hobbykeller zu verziehen und darauf zu warten, dass seine Frau und Lena mit ihren „Frauenangelegenheiten“ irgendwann fertig wurden. Wobei der „Lutscher“ stark davon ausging, dass es sich bei diesen „Frauendingen“ vor allem um das Thema Männer gedreht hatte und da hätte er zu gerne Mäuschen gespielt – immerhin musste er als großer Bruder ja wissen, vor wem er seine Schwester beschützen musste.
 

„Hey mein Großer“, grüßte Lena ihren großen Bruder und riss ihn so aus seinen Gedanken. Für einen kleinen Augenblick musste Torsten sich sammeln und schaute die Wahl-Spanierin einfach nur eingehend and, bevor er zögerlich nach ihrer Hand griff und leise murmelte:
 

„Du siehst ziemlich fertig aus. War dein Gespräch mit Per so schlimm?“
 

Überrascht über den ernsten und sorgenvollen Ton ihres Bruders, schüttelte Lena mit dem Anflug eines Lächelns auf den Lippen den Kopf.
 

„Nein. Nein wirklich nicht. Ich habe einfach nur ein paar Dinge erkannt, die ich erstmal in Ruhe verdauen muss.“
 

„Und die hast du ganz allein erkannt?“, hakte Torsten nach und konnte sich eigentlich nicht so ganz vorstellen, dass seine kleine Schwester plötzlich eine Erleuchtung gehabt hatte – dafür hätte sie viele andere Gelegenheiten, besonders in München, nutzen können. So eine abrupte Erkenntnis machte ihn doch etwas stutzig.
 

„Nicht wirklich. Per und Petra haben mir die Augen geöffnet und jetzt muss ich mich erstmal wieder daran gewöhnen, wie es ist, wenn man sehen kann“, gab Lena offen zu und machte sich ausnahmsweise keine Gedanken darüber, wie ihre Worte klingen mussten – sie hatte in der letzten Zeit so häufig darüber nachdenken müssen, was sie den Menschen in ihrer nächsten Umgebung sagte und wie sie es ihnen sagte, so dass sie jetzt keine Lust mehr hatte lange daran herumzugrübeln. Vielleicht war das ja ein Teil der Freiheit, die die Wahrheit mit sich brachte? Einfach nicht mehr die Last mit sich tragen zu müssen, ständig über die eignen Worte nachdenken zu müssen? Ja, das könnte Per wirklich gemeint haben. Und es fühlte sich, so fand die Psychologin, erstaunlich gut an.
 

„Muss ich das jetzt so genau verstehen?“, wollte Torsten jedoch wissen, der absolut nicht verstanden hatte, was Lena ihm da eigentlich gesagt hatte. Diese ratlose Frage brachte die Blondine zum Schmunzeln.
 

„Nein Großer, das musst du nicht. Du musst nur verstehen, dass deine kleine Schwester endlich wieder anfangen will zu leben – und zu lieben.“
 

Bam! Die Worte hatten gesessen, das sah Lena Torsten an, denn für eine Millisekunde entglitten ihm alle Gesichtszüge, bis er sich wieder gefangen hatte und ein klein bisschen gezwungen und total verunsichert lächelt konnte.
 

„Und diese Erkenntnis hast du ausgerechnet unserem Per zu verdanken?“, fragte der langjährige Bremer Abräumer doch noch einmal vorsichtig nach, ob nicht vielleicht irgendeinen Teil der Erklärung falsch verstanden hatte. Wäre ja auch ein Jammer, wenn er Per für etwas zur Rechenschaft ziehen würde, was der Lange so gar nicht getan hatte. Doch statt Torsten zu widersprechen, nickte Lena nur nachdenklich, bevor sie eine kurze Erklärungen an das Nicken anhängte:
 

„Ja, irgendwie schon. Aber nicht nur. Und sag ihm das bloß nicht, er würde mich für verrückt halten.“
 

„Du bist eine Frau, er rechnet damit!“, kam nur die lapidare Antwort vom „Lutscher“, der ganz genau wusste, dass er mit seiner Schwester besser nicht über ihre Liebes- oder Beziehungsleben sprach – schon gar nicht, welche Absichten sie Per gegenüber hegte. Das interessierte ihn zwar brennend, ging ihn aber, zumindest im Augenblick, nichts an. Zumindest laut Petra. Doch wovon seine Ehefrau nicht wusste, dass konnte sie auch nicht mit Liebesentzug bestrafen und so schmiedete Torsten noch während er neben Lena auf dem Bett saß einen kleinen Plan, wie er Per auf den Zahn fühlen konnte – der Junge hatte ihm schließlich noch nie lange standhalten können.
 

Schon wenige Tage später bot sich dem „Fringser“ die passende Gelegenheit um mit dem langen Innenverteidiger in Ruhe über das Thema „Lena“ zu sprechen. Solange hatte er seine Neugier im Zaum gehalten und sowohl seine kleine Schwester als auch seinen großen Kollegen aufmerksam gemustert – mit erstaunlichem Ergebnis.
 

„Hör’ mal Per, ich habe keine Ahnung, was du mit meiner Schwester gemacht hast, aber-“, fing er das Gespräch mit dem gebürtigen Pattensener beim alltäglichen Aufwärmtraining an, wurde von dem jedoch sofort unterbrochen:
 

„Ich habe wirklich nichts mit ihr gemacht Torsten, das musst du mir glauben. Wir haben nur geredet“, beteuerte Per und dachte an die erste Drohung, die Torsten ihm kurz nach ihrem Aufeinandertreffen auf dem Parkplatz hatte zukommen lassen: Brichst du ihr das Herz, breche ich dir das Genick, war die unmissverständliche Botschaft gewesen und Per hatte nicht vorgehabt, dem „Lutscher“ einen Grund zu geben, an seinen ernsthaften, ehrlichen Absichten zu zweifeln – wieso der jetzt plötzlich auf die Idee kam, ihn daran erinnern zu müssen, wusste Per nicht. Oder besser gesagt: Er wollte nicht daran denken, denn seit seinem letzten Gespräch mit Lena an der Weser herrschte Funkstille zwischen den beiden, was dem Abwehrmann mehr zusetzte, als ihm lieb war.
 

Bevor Per jedoch weiter über Torstens Gründe, ihn hier beim Training wegen Lena zur Schnecke machen zu wollen, nachdenken konnte, stand der Ältere auch schon neben ihm und hatte ihn mit seinem linken Arm näher zu sich herangezogen. Verschwörerisch schaute sich der „Lutscher“ noch einmal kurz um, damit er sicher sein konnte, dass ihn niemand hörte:
 

„Nun lass mich doch mal ausreden, Per. Ich weiß nicht, was du mit Lena gemacht hast, aber was auch immer es war: Danke.“
 

Gegen Ende des Satzes war Torsten immer leiser geworden, so als sei es ihm peinlich, dass er sich bei einem Kollegen bedankte, doch daran lag es nicht, dass Per noch einmal verdutzt nachfragen musste. Er konnte es schlicht und ergreifend nicht fassen, dass Torsten hier vor ihm stand und sich ernsthaft bei ihm dafür bedankte, dass er Lena mit den Erinnerungen an ihre Vergangenheit gequält hatte?!
 

„Ich sagte: Danke Per.“
 

„Ich, ähm – wow. Ich weiß nicht, was ich jetzt sagen soll“, stammelte Per und schaute verlegen auf seine Schuhspitzen.
 

„Du sollst gar nichts sagen. Zumindest nicht zu mir. Was Lena angeht, sieht es natürlich wieder etwas anders aus, jetzt, wo sie wieder leben und vor allem wieder lieben will“, antwortete Torsten auf Pers Frage und hob bei seinem letzten Satz bedeutungsvoll die Augenbrauen, so al stecke hinter den Worten noch eine tiefer gehende Mitteilung, die Per entschlüsseln sollte. Und tatsächlich, nach einem kurzen Moment des Überlegens machte es „Klick“ bei Per und der Verteidiger strahlte wie eine Hundert-Watt-Birne. Bevor er sich jedoch dazu äußern oder Torsten zumindest für diese verdeckte Information danken konnte, fuhr der zweifache Familienvater fort:
 

„Ich habe begriffen, dass ich meine Schwester loslassen muss, wenn ich sie halten will. Klingt zwar komisch, ist aber so. Und auch wenn das alles total neu für mich ist, will ich trotzdem mein Bestes geben. Für Lena.“
 

Einen Augenblick hielt er inne und schaute nun selbst auf seine Schuhspitzen, weil es ihm peinlich war, dass er Per hier so offen sein Herz ausschüttete und ihm von Entschlüssen erzählte, von denen noch nicht einmal seine Frau etwas wusste. Was teilweise auch daran lag, dass sie erst vor kurzen in ihm gereift waren, oder präzise gesagt: Nachdem er seine Schwester in den letzten Tagen nach ihrem Gespräch im Gästezimmer beobachtet hatte.
 

„Und ich mache das nur, weil ich weiß, dass da noch andere sind, die sie zwar auch losgelassen haben, sie aber trotzdem jederzeit auffangen werden, wenn sie fällt.“
 

Bestätigend nickte Per. Er verstand Torsten, auch wenn es ihn ein wenig erstaunte, dass sein Kollege sich darüber scheinbar ausgiebig Gedanken gemacht und sie in überzeugend klingende Sätze verpackt hatte. Aber da war er vermutlich nur mal wieder in das alte Klischee über den „Lutscher“, das ihn schon häufiger in die Falle gelockt hatte, hereingefallen. Tja, auch Menschen, die ihn kannten, konnte er regelmäßig wieder überraschen.
 

„Aber wenn du sie fallen lässt, Per, dann Gnade dir Gott.“
 

Das klang schon wieder viel mehr nach dem typischen „Lutscher“, fand Per und war irgendwie froh darüber. So konnte er sich schließlich sicher sein, dass jemand verdammt gut auf Lena aufpasste – und die hatte das manchmal ganz schön nötig.
 

To be continued
 

Wenn auch nicht direkt von der Schreibkunst, so ist dieses Kapitel inhaltlich doch ein Meilenstein, ein Wendepunkt in Lenas Leben sozusagen. Sie hat sich für ihr sicherlich nicht immer angenehmes Verhalten gegenüber ihren Mitmenschen entschuldigt und zumindest aus ihrer Sicht mit Ricardo abgeschlossen – das ist ganz schön viel. Besonders das Telefongespräch zwischen Ricardos Mailbox und Lena (wenn man da überhaupt von einem „Gespräch“ reden kann) fiel mir unendlich schwer zu schreiben, da mir irgendwie die treffenden Worte gefehlt haben. Ich hoffe einfach mal, dass Lenas Stimmung und das an sich kennzeichnende der Beziehung trotz meiner Unzulänglichkeit in diesem Punkt verständlich rüber gekommen ist. Wie Lena all diese neuen Erkenntnisse natürlich jetzt im wahren Leben umsetzt, ist eine andere Geschichte, doch den Willen zur Änderung hat sie schon einmal bewiesen (auch wenn sie die Kette noch nicht abnimmt).

Was haltet ihr von Per, der bei Torstens Satzanfang wie immer gleich vom Schlimmsten ausgeht? Gerechtfertigt? Ging es euch genauso, habt ihr auch eine Standpauke erwartet? Oder habt ihr schlicht und ergreifend gar nichts erwartet? In beiden Fällen konnte ich euch hoffentlich mit einem reifen, recht erwachsen klingenden Torsten überraschen. Womöglich gefällt euch seine neue Einstellung sogar? Oder ihr könnt sie zumindest nachvollziehen?
 

Wie auch immer, ich würde mich freuen, was von euch zu hören, denn das ist der einzige Lohn und die einzige Motivation, die ich für „Happy ohne ende“ bekomme.

Besuch

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Drei Wochen später
 

Ungeduldig blickte Lena nun schon zum fünften Mal auf die Uhr, doch die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Seit sie das letzte Mal nachgeschaut hatte, war nur eine Minute vergangen, auch wenn es der Wahl-Spanierin wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen war. Auf der großen Anzeigetafel im Bremer Flughafen, auf der die gelandeten Flugzeuge angezeigt wurden, fehlte immer noch jede Spur von dem Flugzeug aus Frankfurt, dessen Ankunft sie so sehnsüchtig erwartete.
 

„Ganz ruhig Lena, er wird schon noch ankommen. Wir sind immerhin eine Viertel Stunde früher losgefahren als wir eigentlich mussten, deswegen ist sein Flugzeug noch nicht gelandet“, versuchte Torsten seine nervöse Schwester zu beruhigen. Doch statt ihrem Bruder zu antworten, warf sie erneut einen Blick in Richtung Anzeigetafel, an der sich immer noch nichts verändert hatte. Von der Anzeigetafel wanderte ihr Blick wieder zu ihrer Uhr und der Bremer Mittelfeldspieler konnte sich ein geräuschvolles Seufzen nicht mehr verkneifen.
 

„Kleine, du machst mich noch wahnsinnig, wenn du so weitermachst“, beschwerte sich der „Lutscher“ erneut und diesmal erhielt er sogar eine Reaktion von seiner Schwester, die ihn entschuldigend anlächelte.
 

„Tut mir Leid Torsten, wirklich. Aber ich bin so furchtbar aufgeregt, dass er kommt.“
 

Fast so als wollte sie ihre Worte unterstreichen, fing sie erneut damit an, an ihrer Armbanduhr herumzuspielen und sich auf den Absätzen ihrer Schuhe hin- und her zu drehen. Das quittierte Torsten nur mit einem Kopfschütteln und einem Augenrollen.
 

„Ich freue mich ja für dich, aber du könntest ruhig einen Gang runterschalten.“
 

Einsichtig nickte Lena und als Torsten neben sich auf den Sitz klopfte, setzte sich die Blondine widerstandslos neben ihn, auch wenn sie viel lieber weiter hin- und her gelaufen hätte. Kaum hatte die Psychologin sich jedoch neben ihren Bruder fallen lassen, erschien der Flieger aus Frankfurt auf der Liste der gelandeten Flugzeuge und noch bevor Torsten irgendetwas sagen konnte, war Lena aufgesprungen und schon in Richtung Gate gelaufen.
 

Wie ein kleines Kind stand sie hibbelig an der Absperrung, sie von den ankommenden Passagieren trennte. Unwillkürlich musste Torsten über Lena Freude schmunzeln: In den letzten drei Wochen seit ihrem Gespräch hatte Lena viel häufiger gelacht und offener mit ihm über die Dinge gesprochen, die sie erlebt hatte und die sie beschäftigten – auch ihre Zukunft. Doch seit sie seinen Anruf bekommen und er gefragt hatte, ob er sie nicht vielleicht Besuchen kommen könnte, schien zumindest immer ein leichtes Lächeln in ihrem Gesicht festgewachsen zu sein, so sehr freute sie sich auf den Besuch.
 

„Lena, nun gib ihm doch erstmal einen Moment sein Gepäck zu holen und alles“, wagte Torsten erneut einen an sich aussichtslosen Versuch seine Schwester zur Vernunft zu bringen. Als sie wie erwartet nicht reagierte, schüttelte der „Lutscher“ nur resigniert den Kopf und stellte sich einfach schweigend neben sie. Auch er war natürlich gespannt auf den Besuch, den er für die nächste Zeit in seinem Haus beherbergen würde. Grundsätzlich konnte ja nichts schief gehen, denn solange Lena während der gesamten Zeit seines Besuches so glücklich und zufrieden sein würde, konnte seinetwegen sonst wer bei ihm einziehen – das Glück seiner Schwester stand, neben dem seiner Frau und Kinder, an aller erster Stelle.
 

„Lena“, schallte es dann plötzlich aus einer Ecke weiter entfernt von ihnen und noch bevor Torsten irgendwie reagieren konnte, war Lena auch schon in die Richtung der Stimme losgelaufen.
 

Für einen kurzen Augenblick fühlte sich der „Lutscher“ nach Hollywood versetzt, denn an sich gab es solche Begrüßungsszenen nur dort: Ein Name wurde gerufen, die beiden Personen rannten aufeinander zu und fielen sich überglücklich in die Arme. Ein perfektes Happy end, aber hier war es kein Ende, sondern ein Anfang und seine Schwester wirkte ganz und gar nicht kitschig, als sie ihn ganz fest in den Arm nahm.
 

„Christian, endlich“, begrüßte Lena den kleinen Ankömmling mit einer festen Umarmung und sofort kuschelte sich der mittlerweile gar nicht mehr so kleine Junge in die Arme der Blondine. Sofort stieg ihm der vertraute Geruch von Vanille in die Nase und das Gefühl, irgendwie nach Hause gekommen zu sein, stellte sich in ihm ein. Paolos Sohn liebte seine Mama, seinen Papa, seine Großeltern und auch seinen kleinen Bruder Daniel, aber zwischen ihm und Lena war es immer ganz besonders gewesen – fast ein bisschen so, als hätte er zwei Mütter.
 

Im schnellen, fast unverständlichen Italienisch redete der kleine Junge auf Lena ein, die ihn immer wieder ein kleines Bisschen bremsen musste, damit sie ihn verstehen konnte. Denn auch wenn ihr Italienisch relativ gut war, so konnte sie ihm in dieser Geschwindigkeit nicht folgen. Trotzdem strahlte sie die ganze Zeit wie ein Honigkuchenpferd und wollte Christian am liebsten gar nicht mehr loslassen.
 

„Lena, möchtest du mich nicht vorstellen?“, brachte Torsten sich wieder in Erinnerung, nachdem er der Begrüßung der beiden still zehn Minuten lang zugeschaut hatte.
 

„Oh, tut mir Leid, ich wollte dich nicht ignorieren, aber ich war so-“, murmelte Lena verlegen eine Entschuldigung in Richtung ihres Bruders, stand auf und nahm automatisch Christians Hand in ihre. Der Bremer Mittelfeldspieler winkte jedoch nur lächelnd ab. Er war seiner Schwester nicht böse, dass sie ihn die letzten Minuten so sträflich vernachlässigt hatte – immerhin hatte sie allen Grund dafür.
 

„Ist doch kein Problem Lena, ich versteh’s.“
 

„Christian, das ist mein großer Bruder Torsten. Torsten, dass ist Christian, Paolos Sohn“, stellte die Psychologin die beiden einander vor und Torsten war sich nicht sicher, ob er dem Jungen die Hand hinstrecken sollte oder nicht. Welche Reaktion war angebracht?
 

Die Entscheidung nahm Christian ihm jedoch ab, in dem er Torsten einfach kurz umarmte, einen Augenblick angestrengt nachdachte und dann ganz langsam und mit unverkennbar italienischem Akzent sprach:
 

„Ich mich freuen, dich lernen zu kennen.“
 

Dabei schenkte der Italiener Torsten sein strahlendes Lächeln und der Mittelfeldspieler konnte gar nicht anders, als diesen aufgeweckten Jungen zu mögen. Jetzt verstand er auch, warum Lena ihm nie einen Wunsch hatte abschlagen können, wenn er sie genauso offen und herzlich angelächelt hatte wie ihn gerade.
 

„Ich freue mich auch, Christian“, antwortete der Mittelfeldakteur deshalb und lächelte ihn, wie er hoffte, genauso fröhlich an. Die Überraschung, dass der Kleine zumindest bruchstückhaft deutsch sprach und auch verstand, wenn man nur langsam und deutlich genug mit ihm sprach, hätte Torsten eigentlich nicht überraschen dürfen, kannte er doch Lena und ihr Bedürfnis neue Sprachen zu lernen und sich mit anderen Menschen in ihrer Heimatsprache unterhalten zu können. Doch er hatte einfach nicht erwartet, dass sie dieses Bedürfnis auch so leicht auf einen kleinen Jungen übertragen könnte.
 

Gemeinsam schlenderten sie zum Auto, Christian immer noch Hand in Hand mit Lena. Zuhause wäre er nie so lange an der Hand seiner Mutter gelaufen, da dort ständig die Gefahr bestand, dass ihn einer seiner Freunde sehen und vielleicht als Muttersöhnchen abstempeln könnte, doch hier bestand diese Gefahr nicht und Christian hatte Lena so sehr vermisst, dass er jetzt jede Gelegenheit nutzen wollte, ihr nah zu sein und das Verpasste nachzuholen.
 

Die Autofahrt verlief aus Torstens Sicht relativ schweigsam, da Paolos Sohn wieder ins Italienische gewechselt war und Lena nun in einer für ihn als Außenstehenden immer noch rasenden Geschwindigkeit alles erzählte, was sie verpasst hatte. Und das schien bei dem Redebedarf des Kleinen eine ganze Menge zu sein.
 

„So, dann bis später ihr beiden“, verabschiedete sich der „Lutscher“ von beiden, als er zu hause angekommen Christians Koffer aus dem Kofferraum gehoben hatte.
 

„Sie kommen nicht mit rein?“, fragte Christian ziemlich verwundert und deutete auf das Haus der Frings, um sicher zu gehen, dass der Erwachsene ihn auch richtig verstanden hatte. Doch anstelle von Torsten antwortete ihm Lena:
 

„Torsten muss zum Training.“
 

Christians Deutsch war zwar bei weitem nicht so gut wie Lenas Italienisch, doch das Wort „Training“ in Verbindung mit dem Namen „Torsten Frings“ verstand er sehr wohl und sofort begannen seine Augen zu glänzen. Bevor er jedoch überhaupt dazu ansetzen konnte irgendetwas zu sagen, fiel Lena ihm ins Wort:
 

„Nein Christian, nicht dieser Blick“, ermahnte sie ihn, doch der Kleine versuchte es trotzdem und sprach extra langsam in Deutsch:
 

„Können wir nicht-“
 

„Nein“, schnitt sie ihm erneut das Wort ab und warf ihm einen, wie sie hoffte, strengen Blick zu. Davon ließ sich der Kleine jedoch nicht beeindrucken.
 

„Was will Christian denn?“, schaltete Torsten sich in das Gespräch der beiden ein und schaute wechselnd von Christian zu Lena und wieder zurück zu Christian.
 

„Er will sich das Bremer Training anschauen.“
 

Lenas Tonfall verriet, was sie von der Idee hielt, doch Torsten ignorierte die Einstellung seiner Schwester und sagte deshalb:
 

„Und wo ist das Problem? Kommt doch einfach mit!“
 

„Ehrlich?“
 

Mit seinen großen, dunklen Augen schaute Christian zu Torsten auf und der Bremer Kapitän konnte einfach nicht anders, als zu nicken. Wie sollte er denn auch nein sagen, wenn er dem Jungen einen so kleinen Wunsch problemlos erfüllen konnte. Außerdem wusste er noch aus eigener Erfahrung, wie fantastisch es für ihn als kleinen Jungen gewesen war, wenn er den Profis beim Training hatte zusehen dürfen – auch wenn das bei Christian womöglich nicht mehr das allergrößte Highlight war, schließlich spielte sein Vater beim AC Mailand.
 

„Torsten, bitte-“, versuchte Lena erneut den Plan ihres jungen Schützlings zu durchkreuzen, doch entweder bemerkte Torsten nicht, dass seine Schwester partout nicht mit zum Training der Bremer Jungs wollte oder er ignorierte es geflissentlich.
 

„Nein Lena, das ist wirklich kein Problem. Ich mache ihm gern eine Freude“, beteuerte Torsten wieder und diesmal lächelte er dabei auf diese seltsame Art und Weise, die Lena schon als Kind nicht hatte ausstehen können – weil ihr Bruder dann nämlich meistens etwas geplant hatte.
 

Und in der Tat hatte Torsten mit seinem letzten Satz nicht nur Christian gemeint, sondern auch Per, der Lena seit ihrem Treffen vor drei Wochen nicht mehr gesehen hatte. Sie hatten zwar, das wusste er aus sicherer Quelle, nämlich von seiner Frau, miteinander telefoniert, aber seine kleine Schwester war immer noch gegen ein erneutes Wiedersehen. Etwas, was der „Lutscher“ zu ändern gedacht. Schließlich musste man Menschen manchmal zu ihrem Glück zwingen und auf Lena traf das in neun von zehn Fällen zu.
 

„Gib’s doch zu, du kannst bloß seinem Hundeblick nicht widerstehen“, brummelte Lena und gab sich damit der männlichen Übermacht geschlagen. Ihr zerknirschter Tonfall entlockte dem Bremer Mittelfeldspieler nur ein Lachen und ein weiteres, seltsames Grinsen, das es Lena sofort wieder bereuen ließ, klein beigegeben zu haben.
 

„Das auch“, flüsterte der „Lutscher“ vergnügt vor sich hin. Und noch bevor Lena darauf antworten konnte, kamen Lena und Lisa aus dem Haus auf ihren Vater zugestürmt. In der Haustür stand eine lächelnde Petra, die das Spektakel neugierig beobachtete. Die Mädchen hatten schon die ganze Zeit ungeduldig auf die Rückkehr ihres Vaters und ihrer Tante Lena mit dem Besuch gewartet. Jetzt standen sie Christian, nachdem sie ihren Vater und Lena ausgiebig begrüßten hatten, ein wenig schüchtern gegenüber und auch Paolos Sohnwirkte nicht mehr ganz so sicher und selbst bewusst wie noch am Flughafen, wo er Torsten mit einer schlafwandlerischen Selbstsicherheit begrüßt hatte. War der aufgeweckte Junge Mädchen gegenüber vielleicht etwa schüchtern?
 

To be continued
 

So, jetzt habe ich einen neuen Abschnitt in Lenas Leben begonnen (was selbstverständlich nicht heißt, dass alle anderen nicht mehr zählen). Der Zeitsprung war nötig, damit Lena auch mal ein bisschen Zeit für sich hat, um sich zu erholen und das alles sacken zu lassen – das wollte ich bloß nicht in epischer Breite schildern.

Habt ihr euch am Anfang des Kapitels gefragt, wen die beiden da wohl anholen? Wahrscheinlich schon, oder? An wen habt ihr da zuerst gedacht, das würde mich echt interessieren…

Christians Besuch schwirrte mir schon länger im Kopf herum, ich war mir aber nie sicher, an welcher Stelle ich ihn einbauen könnte und für welches andere Storyelement er als Brücke dienen könnte, doch jetzt hatte ich die Erleuchtung und glaube ihn an dieser Stelle ganz gut platziert zu haben. Was haltet ihr bisher vom italienischen Wirbelwind?

Wie ihr euch denken konntet, war dieses Kapitel wieder einmal eine Art Übergangskapitel, so dass ich Lena wieder zum Trainingsgelände der Bremer bekomme – was von da an nicht alles passieren könnte, könnt ihr euch doch bestimmt denken, oder? Irgendwelche Wünsche oder Vorlieben?

Schiedsrichter oder Schlagstock?

Ohne auf Christians Zögern und Unsicherheit zu achten, überbrückte Torsten Jüngste die Distanz zwischen sich und dem Neuankömmling und nahm ihn in den Arm, so wie sie es bereits bei ihrem Vater und ihrer Tante getan hatte.
 

„Lena“, meinte sie fröhlich und hoffte, dass der größere Junge verstehen würde, dass sie damit ihren Namen meinte.
 

„Christian“, antwortete Paolos Sohn auch sogleich, erwiderte die Umarmung kurz und lächelte dann das kleine blonde Mädchen, das vor ihm stand und der „richtigen“ Lena wie aus dem Gesicht geschnitten ähnelte, fröhlich an.
 

„Toll. Und das ist Lisa, meine große Schwester“, plapperte Lena munter drauflos und deutete auf ihre Schwester, die sich ein wenig schüchtern noch nicht so nah an ihren Gast herangetraut hatte.
 

Zwar hatte Christian nicht alle verstanden, doch soviel, dass Lisa die ältere der beiden war, hatte Lena ihm schon erzählt – mal ganz abgesehen davon, dass er es allein schon am Größenunterschied der beiden erkannt hatte. Lisa schätze er nur wenig jünger ein als er selbst, wohingegen der Altersunterschied zwischen sich und Lena sicherlich mehr als vier Jahre betragen musste. An sich spielte er ja nicht mit solchen „Babys“, wie er seinen Bruder Daniel auch gerne nannte, aber die jüngste Frings lächelte ihn einfach so herzlich an, da konnte er gar nicht anders als zurück zu lächeln.
 

„Papa, dürfen wir mit zum Training? Bitteeee“, bettelte Lena dann auch schon an ihren Vater gewandt und versuchte es ebenfalls mit dem Dackelblick, der eigentlich immer half, wenn sie ihren Papa überreden wollte.
 

„Au ja Papa, bitte, bitte, bitte“, stimmte nun auch die bisher still gebliebene Lisa ins Flehen ihrer Schwester ein. Nur den Hundeblick versuchte sie gar nicht erst, da sie wusste, dass nur ihre kleine Schwester so herzzerreißend schauen konnte, dass ihr Papa sich erweichen ließ.
 

„Ja Torsten, bitte, bitte, bitte“, scherzte nun auch Torstens kleine Schwester mit und der Bremer Mittelfeldspieler hob kapitulierend die Hände.
 

„Na gut, wenn ihr alle so lieb bittet. Dann springt rein. Aber wehe ihr hört nicht auf Tante Lena“, ermahnte der Fringser seine beiden Töchter und den Gast, doch bereits an seinem Ton konnte man erkennen, dass er es eigentlich gar nicht so ernst meinte. Im Gegenteil, er freute sich, dass seine Kinder und seine Schwester ihn endlich mal wieder beim Training besuchten.
 

In Windeseile waren alle drei Kinder ins Auto geklettert und gemeinsam hatten Lisa und Christian Lena angeschnallt, so dass keiner der Erwachsenen sich um sie kümmern musste. Schneller als es der Wahl-Spanierin lieb war, kamen sie am Weserstadion an und fuhren auf den Stammparkplatz des Fringsers, der seine Kinderschar zufrieden lächelnd durch den Rückspiegel beobachtete. Es freute ihn, dass Lena, Lisa und Christian sich so gut verstanden und einander gegenseitig halfen. Denn kaum hatte Torsten den Wagen abgestellt, hatten Lisa und Christian Lena auch schon abgeschnallt, die Tür geöffnet und waren freudig hinaus gesprungen, wo sie jetzt gemeinsam vor dem Auto darauf warteten, dass Lena und Torsten ausstiegen.
 

„Bist du ganz sicher, dass du nicht Christians Mutter bist? Die drei verhalten sich ja jetzt schon fast wie Geschwister und der Junge liebt dich, wie man nur eine Mutter lieben kann.“
 

„Definitiv. Dafür hätte ich mit Paolo schlafen müssen und auch wenn ich ihn wirklich, wirklich gern habe – diese Vorstellung ist doch ein bisschen zu grotesk. Aber du hast ja Recht, die drei sind einfach nur süß zusammen. Ich hätte nicht gedacht, dass sie sich gleich auf Anhieb so gut verstehen. Gerade wo Christians Deutsch nun nicht so berauschend ist“, stimmte Lena dem „Lutscher“ zu und stieg aus dem Auto.
 

„Kinder verstehen sich halt auch ohne Worte, Lena. Die sind nicht so kompliziert wie wir Erwachsenen, die immer alles ewig bereden und durchdenken müssen“, antwortete Torsten, öffnete den Kofferraum und hievte seine Tasche aus dem Fond des Wagens. Dass Lena ihn dabei mit hochgezogenen Augenbrauen skeptisch beobachtete, interessierte den Mittelfeldmann nicht weiter. Er war solche Blicke während der letzten drei Wochen gewohnt geworden, denn immer wenn er Lena einen dezenten Hinweis auf die Situation mit Per gegeben hatte, hatte sie so reagiert.
 

„Torsten-“, ermahnte Lena ihren Bruder, der winkte nur leicht genervt ab.
 

„Ich weiß Lena, ich soll mich nicht einmischen. Tue ich auch nicht, aber-“
 

„Kein aber. Mein Leben, meine Entscheidung. Das hatten wir doch geklärt, oder nicht?“, wollte die Blondine von ihrem Bruder wissen und sah ihn erwartungsvoll an. Da Torsten diese Diskussion schon häufiger mit ihr geführt hatte, wusste er, dass Widerspruch nichts bringen würde, also nickte er nur resigniert.
 

„Doch.“
 

„Na also. Und jetzt sieh zu, dass du in die Kabine kommst. Sonst musste du noch Strafrunden laufen, weil du zu spät bist.“
 

Mit einem aufmunternden Schulterklopfer verabschiedete Lena ihren Bruder in Richtung Kabine, während sie selbst zusammen mit den drei Kindern den kurzen Weg zum Trainingsplatz zwölf hinter sich brachte. Gemeinsam setzten sie sich auf eine der Bänke und warteten auf die Ankunft der Bremer Mannschaft. Da dort noch keine Fans oder Reporter standen, ließ die Psychologin darauf schließen, dass heute eigentlich nicht-öffentliches Training war und Torsten Thomas Schaaf jetzt erstmal von ihrer Anwesenheit unterrichten würde. Hoffentlich gab das nicht noch Ärger für ihren Bruder.
 

„Christian, Lisa, Lena, hört mir mal einen Moment gut zu: Wenn da gleich die Spieler aus der Mixed-Zone kommen, bleibt ihr an meiner Seite stehen, habt ihr das verstanden?“
 

Alle drei nickten ohne zu zögern, doch ihr Bauchgefühl sagte Lena, dass sie nicht darauf vertrauen konnte, dass die drei auch wirklich auf sie hörten. Immerhin kannte sie Christian und wusste, dass er es Faustdick hinter den Ohren hatte, darüber konnte sein Engelslächeln auch nicht hinwegtäuschen.
 

„Und Christian: Sollte zufällig ein Ball hierher rollen, gibst du ihn zurück, verstanden? Keine Tricks, kein Dribbling, keine Kunststücke, ja? Du gibst ihn einfach nur an den Spieler zurück, der die am nächsten steht“, ermahnte Lena ihren ältesten Schützling noch mal und die Art, wie er sein Gesicht zu einem Flunsch verzog, ließ die Wahl-Spanierin darauf schließen, dass der kleine Italiener an sich nur auf solch eine Gelegenheit hatte warten wollen, um selbst ins Trainingsgeschehen eingreifen zu dürfen. Beim Training seines Vaters hatte es schließlich auch immer so funktioniert.
 

„Si“, nickte Christian und konzentrierte sich wieder darauf zur Tür der Mixed-Zone nach den Spieler zu schauen und sich nebenbei einen anderen Plan auszudenken, wie er an einen Ball kam und mit den Großen spielen konnte.
 

Nach und nach trudelten die ersten Werderaner auf dem Trainingsplatz ein und jeder warf zuerst einen neugierigen Blick auf die vier Zuschauer, die nun am Rand Platz genommen hatten. Torsten hatte sie zwar vorgewarnt, dass seine Schwester mit seinen beiden Töchtern und einem Gast da sein würde, aber das änderte trotzdem nichts daran, dass die Spieler doch noch mal einen Blick auf das Fräulein Frings werfen wollten – schließlich hatten sie schon so viel von ihr gehört und sie bisher noch nicht so richtig in Aktion erlebt. Und das hofften sie natürlich heute zu ändern.
 

Der einzige, der Lena keines Blickes würdigte, war Tim Wiese. Der Torhüter fing sofort an sich aufzuwärmen und suchte sich für jede der Übungen einen Platz ganz weit weg vom Sitzplatz der Psychologin. Er hatte einfach keine Lust auf ein erneutes Zusammentreffen mit Lena vor der ganzen Mannschaft, auch wenn es ihn an sich schon reizte die jüngere Frings mal wieder ein wenig aus der Reserve zu locken. Schließlich hatte sie es ja auch gar nicht besser verdient, wenn man bedachte, was sie da mit Per abgezogen hatte.
 

Denn entgegen der allgemeinen Meinung war Tim weder taub noch blind und hatte sehr wohl mitbekommen, dass sein großer Kollege aus der Innenverteidigung ein Auge auf Torstens kleine Schwester geworfen hatte. Und dass sie ihm erst Hoffnungen gemacht hatte und dann einfach hatte abblitzen lassen. Denn wie ließe es sich sonst erklären, dass sie sich seit dem Tag, an dem Lena ihm zum Eisessen abgeholt hatte, nicht mehr gesehen hatten? Da war irgendetwas faul im Staate Dänemark und der Keeper war sich sicher, dass es nicht an Per lag. Der war viel zu liebenswürdig und sensibel, als dass er mit den Gefühlen der jungen Frau spielen würde.
 

Mal ganz abgesehen davon, dass er den jungen Innenverteidiger nicht für einen Menschen mit Selbstmordgedanken hielt, denn genau damit müsste er rechnen, wenn er Lena absichtlich weh tat – immerhin war sie die kleine Schwester vom „Lutscher“ und was der von solchen Spielchen hielt, war nun wirklich weithin bekannt.
 

„Sehr gut Tim, du kannst einen Moment Pause machen, während ich das mit den anderen beiden noch mal durchgehe“, forderte der Torwarttrainer den sonnengebräunten Mann auf und Tim blieb nichts anderes übrig, als sich zu Lena und den drei Kindern zu gesellen, denn sie saßen ausgerechnet da, wo Yann-Benjamin die Trinkflaschen abgestellt hatte. Und wenn er am Ende des Trainings nicht vollkommen dehydriert sein wollte, musste er jetzt wohl oder Übel in ihre Nähe kommen und etwas trinken.
 

Mit jedem Schritt, den er sich Lena näherte, spürte Tim mehr neugierige und gespannte Augenpaare in seinem Rücken. Er hasste es, dass sich seine kleinen Wortgefechte mit Lena innerhalb der Mannschaft so schnell rumgesprochen hatten und nun alle auf den großen Knall warteten. Er wollte eigentlich nur in Ruhe trainieren – aber wenn die kleine Frings schon mal da war, konnte er sie auch fragen, warum sie so ein mieses Spiel mit Per spielte. Schließlich mochte er seinen Kollegen und konnte es einfach nicht mehr mit ansehen, wie er unsicher nach jedem Training auf sein Handy schaute, in der Hoffnung dass sie sich gemeldet hatte und ihn endlich wieder sehen wollte.
 

„Hallo Lena“, begrüßte Tim sie freundlich und die Blondine drehte sich überrascht um. Sie hatte Tim nicht kommen sehen, weil sie mit Lisa Schnick-Schnack-Schnuck gespielt hatte. Torsten Ältester war das Training schnell langweilig geworden, während Christian und Lena die Erwachsenen immer noch aufmerksam und voller Spannung beobachteten. Wobei Christian Lena immer wieder in einer Mischung aus Italienisch und Deutsch zu erklären versuchte, welche Übung für welche Muskeln gut war und welcher Spieler gerade einen guten Pass gespielt hatte.
 

„Hallo Tim, schon Pause?“, fragte Lena höflich nach, darauf bedacht nicht schon wieder mit dem Torhüter in Streit zu geraten. Schließlich wusste sie, dass Torsten es nicht leiden konnte, wenn sie sich mit dem gegeelten Möchtegern-Proll stritt. Und seit ihrer kleinen Kleideraktion im Hotel der Nationalmannschaft waren sie nicht mehr wirklich aneinander geraten – vielleicht hatten sie ja doch die Chance darauf, einmal ein ganz normales Gespräch zu führen.
 

„Nur für mich, der Rest kriegt es einfach nicht so schnell auf die Reihe wie ich.“
 

Schon nach dieses arroganten Antwort wusste Lena, dass das mit dem normalen Gespräch nicht so schnell etwas werden würde – nicht solange Tim Wiese immer wieder das arrogante Arschloch raushängen ließ. Anderen gegenüber mochte er nett und freundlich sein – ihr gegenüber verhielt er sich grundsätzlich wie ein Arsch. Und auch wenn sie sonst eher still und zurückhaltend war, ließ sie sich so ein Verhalten schon lange nicht mehr gefallen und das hatte gerade Tim Wiese bisher schon oft genug zu spüren bekommen.
 

„Wenn der Rest es nicht auf die Reihe kriegt und du ja ach so toll bist, frage ich mich wirklich, warum du noch nicht Nationaltorwart bist?“, stichelte Lena zurück und legte mit ihren Worten den Finger genau in die Wunde, die Tim Wiese schon so lange schmerzte. Doch Tim wäre nicht Tim gewesen, hätte er sich das gefallen lassen.
 

„Meine Zeit kommt schon noch. Und wenn nicht, dann liegt es nur daran, dass ich immer sage, was ich denke. Das ist halt für manche ziemlich unbequem. Aber ich kann immerhin noch von mir behaupten, ich wäre immer ehrlich zu meinen Mitmenschen gewesen. Bei mir weiß jeder, woran er ist. Das kann man von dir jawohl nicht behaupten.“
 

Lena antwortete nicht sofort, viel zu tief hatte Tims Aussage sie getroffen – weil er ausnahmsweise einmal Recht gehabt hatte. Ehrlichkeit gehörte nun wirklich nicht zu ihren Stärken und dass der Torhüter nun ihm Gegenzug bei ihr den Finger in die offene Wunde legte, behafte der kleinen Schwester des „Lutschers“ überhaupt nicht. Aber wer austeilen konnte, musste auch einstecken können, das hatte sie das Leben gelehrt. Doch bevor sie Tim so richtig antworten konnte, hatte der Torwart auch schon weiter gesprochen, diesmal in gedämpften Ton, so dass sie keiner der Spieler auf dem Feld hören konnte.
 

„Und das, was du mit Per da gerade machst, ist ja wohl das allerletzte. Macht es dir etwa Spaß ihn am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen?“
 

„Das, was zwischen Per und mir ist, geht nur uns beide was an“, fauchte Lena und wunderte sich, woher der Torwart irgendetwas über sie und Per wusste. Schließlich hatte sie selbst keine Ahnung, was da zwischen ihnen gewesen war und was möglicherweise noch sein konnte. Hatte der Innenverteidiger etwa in der Kabine den Jungs sein Herz ausgeschüttet? Aber dann hätte Torsten sie schon längst darauf angesprochen, also konnte es sich nur um Tims eigene Beobachtungen handeln – und das erschreckte die Psychologin ein wenig. Sie hätte dem Torhüter nicht zugestanden so aufmerksam zu sein.
 

„Nein, geht es nicht, wenn du unseren Merte dabei so runter ziehst und ihm wehtust“, widersprach Tim Lena vehement.
 

„Ich tue ihm nicht weh“, wehrte Lena Tims Vorwürfe ab, doch der schnaubte nur verächtlich.
 

„Wer’s glaubt wird selig. Schau ihm einfach mal in die Augen, dann wirst du schon sehen, wie es ihm wirklich geht“, zischte Tim und funkelte Lena wütend an. Die schaute eben so grimmig zurück und wollte Tim gerade eine passende Antwort auf seine Aussage geben, da kam der „Lutscher“ angetrabt und stellte sich neben die beiden.
 

„Braucht ihr einen Schiedsrichter?!“, fragte Torsten leicht genervt, als er sah, das Tim und Lena sich schon wieder wegen irgendetwas in die Haare bekommen hatten. Einzeln und für sich gesehen liebte er seine Schwester und mochte den Torwart, aber zusammen schafften sie es einfach ihn innerhalb kürzester Zeit auf die Palme zu bringen. Dabei lag die Schuld meistens zwar zu sechzig Prozent bei tim, der die Klappe einfach nicht halten konnte, aber seine Schwester machte es mit ihren Antworten auch nicht gerade besser. Wenn die beiden sich doch nicht riechen konnten, warum gingen sie sich dann nicht einfach aus den Weg? Machte er doch mit Leuten, die nicht ausstehen konnte, nicht anders. Aber nein, auf diese Idee waren die beiden noch nicht gekommen – oder aber sie hatten zu viel Spaß daran sich gegenseitig solche Nettigkeiten an den Kopf zu werfen.
 

„Ein Schlagstock wäre besser“, murmelte Lena genervt und Tim lachte nur, bevor er mit einem süffisanten Grinsen auf den Lippen erneut verbal austeilte:
 

„Deine Schwester hat ihre Krallen ausgefahren, aber…“
 

Lena funkelte ihn wütend an, weil sie nicht wollte, dass Torsten den Inhalt ihres bisherigen Gesprächs erfuhr – immerhin kannte sie ihn gut genug um zu wissen, dass er ausrasten würde, wenn er zu Ohren bekäme, was für liebe Worte sie und Tim mal wieder miteinander ausgetauscht hatten. Dabei war ihre Laune dank Christian Ankunft gerade viel zu gut, um sie sich von dem geeligen Torwart vermiesen zu lassen, deshalb fauchte sie ihn wütend von der Seite an:
 

„Zügel deine Zunge!“
 

Er grinste sie viel sagend an und die Psychologin rollte nur mit den Augen. Manchmal fragte sie sich wirklich, wann Tim Wiese und das Niveau sich das letzte Mal getroffen hatten – in diesem Jahrtausend konnte es nicht gewesen sein.
 

„Du denkst auch nur an das Eine, was?“
 

Darauf konnte Tim ihr nicht mehr antworten, denn Thomas Schaaf rief sie alle zusammen und Lena war ihm in diesem Augenblick tierisch dankbar dafür. Noch so ein unreifer Kommentar von Wiese und Torsten wäre vermutlich im Sechseck gesprungen. Und das musste heute nun wirklich nicht sein.
 

To be continued

Trotzdem

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Ich möchte mich bei Sunny für ihren wunderbaren Kommentar bedanken – das ist nicht selbstverständlich und ich habe mich über jedes einzelne Wort gefreut.
 

Immer noch ein wenig gereizt von Tims dummen Kommentaren, aber durchaus nachdenklich, wandte sich Lena Christian und ihren beiden kleinen Nichten zu. Während Lisa eher gelangweilt da saß und Löcher in die Luft schaute, hatten Christian und die kleine Lena mittlerweile aufgehört zu spielen und versuchten sich nun mit Händen und Füßen zu unterhalten. Dabei warfen sie immer wieder verschwörerischen Blick zu den trainierend Fußballern und steckten die Köpfe zusammen. Dieser Anblick behagte der Psychologin gar nicht, immerhin kannte sie Christian bereits von klein auf und wusste, wann er etwas ausgeheckte. Und wie er dabei aussah, denn von seinem Engelslächeln und dem Dackelblick ließ sie sich nicht mehr täuschen. Er hatte es einfach faustdick hinter den Ohren, egal, wie lieb er dreinschaute – gerade dann heckte er irgendetwas aus. Und diesmal schien er Torstens jüngere Tochter für seinen Vorschlag begeistert zu haben, denn die nickte immer wieder und lächelte Christian bewundernd an. Da schienen sich zwei gesucht und gefunden zu haben.
 

Lena wollte sich gerade zu den beiden setzen, um was auch immer sie ausheckten, zu vereiteln, als sie selbst schüchtern von der Seite angesprochen wurde.
 

„Hallo Lena.“
 

Überrascht drehte sich Lena um und starrte wieder einmal zuerst nur auf eine breite Brust. Wieder einer dieser Momente, in denen sie ihre geringe Größe verfluchte – oder auch diese riesigen Fußballspieler, die alle problemlos auf sie herabsehen konnten. Als sie ihren Blick jedoch weiter noch oben wandern ließ, musste sie unwillkürlich lächeln.
 

„Hey Per“, erwiderte sie seinen Gruß und für einen kleinen Augenblick wurde ihr ganz komisch. Wahrscheinlich war es ihr schlechtes Gewissen, das sich meldete. Immerhin hatte sie Per gesagt, dass sie sich melden würde, sobald sie ein wenig Ordnung in das Chaos in ihrem Kopf geschaffen hatte – aber das war nun schon Wochen her. Gut, sie hatte ihr Gefühlsleben immer noch nicht in Einklang mit ihrem Kopf gebracht, aber es war besser geworden. Jeden Tag ein kleines Bisschen besser. Doch es war noch nicht so, wie sie es gerne hätte – wie sie glaubte, dass es bei „normalen“ Menschen aussehen musste. Bei Menschen, die nicht so emotional gestört waren wie sie und die nicht vor jeder festen Beziehung wegliefen, weil das Risiko besteht, verletzt zu werden.
 

Aber was, wenn er ihr Übel nahm, dass sie sich seit ihrer letzten Begegnung nicht mehr mit ihm hatte treffen wollen? Dass sie jede Gelegenheit, bei der sie sich hätten sehen oder auch nur über den Weg laufen können, vermieden hatte. Was, wenn er nicht verstand, warum sie es getan hatte – warum sie ihm aus dem Weg gegangen war. Nicht für sich – in Ordnung, vielleicht nicht nur für sich, sondern auch für ihn. Damit es ihm besser ging. Denn sie hatte es ja gerade getan, weil sie Per nicht wehtun wollte. Dafür hatte sie den langen Innenverteidiger viel zu lieb gewonnen. Und egal was Tim sagen oder von ihr denken mochte: Sie würde ihn niemals absichtlich verletzen. Deshalb hatte sie sich nicht eher wieder mit ihm treffen wollen, denn nach ihrem Kuss und der Art, wie Per sie angesehen hatte, war Lena sehr wohl klar gewesen, dass sich der Bremer Hoffnungen machte. Hoffnungen auf eine Beziehung, auf eine gemeinsame Zukunft vielleicht sogar – und das, obwohl er wusste, wie es in ihr aussah. Obwohl er ihre Vergangenheit kannte. Oder besser gesagt: trotzdem. Trotzdem schien er sie zu wollen.
 

„Seid ihr fertig mit dem Training? Oder macht ihr nur Pause?“, durchbrach Lena die unangenehme Stille zwischen ihnen. Bisher hatten sie sich noch nie angeschwiegen, aber sie hatten sich ja auch seit ihrem Kuss nicht mehr persönlich gesehen. Und zwischen einem persönlichen Gespräch und einem Telefonat lagen Welten.
 

„An sich sind wir fertig“, kam Pers Antwort ähnlich zögerlich und einsilbig wie zuvor Lenas Frage. All die Unsicherheit über ihre Situation schien beide zu beeinflussen. Lena wusste nicht, was sie Per sagen sollte und der lange Innenverteidiger in Bremer Diensten schien auch nicht so genau zu wissen, weshalb er sie überhaupt angesprochen hatte.
 

„Das ist schön“, murmelte die Psychologin deshalb nur und blickte für einen Augenblick auf ihre Füße. Es war ihr irgendwie peinlich Per gegenüber zu stehen und sich zu wissen, worüber man sich mit ihm unterhalten konnte. Ja, es war peinlich – und ungewohnt.
 

„Was ist eigentlich mit uns los Per? Es war doch sonst nicht so zwischen uns. Vom ersten Moment an konnten wir doch über Gott und die Welt reden. Warum stehen wir jetzt hier voreinander, als hätten wir uns nichts zu sagen? Was ist passiert?“, fragte Lena leise, fast schon mehr zu sich selbst als zum Innenverteidiger. Dabei hielt sie die Augen gesenkt und sah dadurch nicht, dass Per sich kurz auf die Lippen biss und seine Hand dann zu ihrem Kinn wandern ließ. Erst als seine rauen, kühlen Finger ihre warme Haut berührten, bemerkte sie es. Mit leichtem Druck zwang er sie dazu, ihn anzusehen und genauso leise fragte er sie:
 

„Weißt du das wirklich nicht?“
 

Ein Blick in Pers traurige Augen verriet der Blondine, dass es, egal wie abgeklärt und gefasst der Innenverteidiger wirken mochte, in seinem Inneren anders aussah. Dass er litt, so wie Tim es beschrieben hatte, obwohl sie ihm nie hatte wehtun wollen. Und trotzdem quälte er sich. Trotzdem. Das verwirrte Lena, weil sie es, verglichen mit ihrem eigenen Verhalten, nicht verstehen konnte. Ihr innerer Selbsterhaltungstrieb hätte sie vermutlich schon längst dazu gebracht wegzulaufen. Weit wegzulaufen und alles hinter sich zu lassen. Zumindest war das ihre Reaktion nach dem Desaster mit Ricardo gewesen – vorher war sie genauso blauäugig wie Per gewesen.
 

„Ja. Nein. Doch. Ach, ich weiß es nicht, Per“, versuchte Lena ihre Achterbahnfahrenden Gedanken in Worte zu fassen. Zu jedem Einerseits gab es ein Andererseits in ihren Gedanken. Einerseits lag es bestimmt an ihrem Kuss und Pers Wissen um ihre Vergangenheit, dass sich etwas zwischen ihnen geändert hatte, andererseits hatte sich ihr Verhältnis zueinander nicht geändert. Und so ging es immer weiter.
 

„Siehst du, da haben wir doch schon einen der Gründe, warum wir nicht mehr normal miteinander reden können – auch wenn wir es eigentlich beide wollen.“
 

Das schüchterne Lächeln, das die beiden austauschten, löste Lena die Zunge und resigniert seufzte sie.
 

„Wieso muss denn alles nur so kompliziert sein?“
 

„Es hat nie jemand behauptet, dass es leicht sein würde. Nur, dass es das Wert sein würde“, meinte Per und ihm war bewusst, dass man seine Aussage so oder so deuten konnte. Genauso wie man Lenas Aussage auf das Leben oder die Liebe im Allgemeinen oder ihre komplizierte Beziehung im speziellen beziehen konnte. Aber der Innenverteidiger in Bremer Diensten war sich sicher, dass die Blondine vor ihm ihn verstehen würde. Sie war ja nicht umsonst Psychologin und hatte gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen. Das bewies auch ihre Frage.
 

„Aber ist es das denn auch? Ist es das Wert?“, wollte Lena von Per wissen und schaute ihm erneut in die Augen. Der gebürtige Pattensener wusste, wie viel von seiner Antwort abhing und sagte deshalb ohne auch nur eine Minute darüber nachzudenken und ohne zu zögern im Brustton der Überzeugung:
 

„Immer.“
 

„Wirklich immer? Auch, wenn’s wehtut?“
 

Lena ließ nicht locker. Sie wollte wissen, ob Per wirklich felsenfest davon überzeugt war, dass es das alles Wert war. Trotz allem, was er garantiert schon mit den Frauen erlebt hatte – und auch trotz allem, was sie ihm erzählt und mittlerweile vielleicht auch zugemutet hatte.
 

„Gerade dann. Denn wenn es wehtut, hast du alles gegeben.“
 

Per hatte keinen blassen Schimmer, woher diese Worte kamen, die so weise und erwachsen klangen. Womöglich färbte Lenas Anwesenheit auf ihn ab, wer konnte das schon mit Sicherheit sagen? Letztlich war es aber auch egal. Er spürte nur, dass er wirklich von ihnen überzeugt war.
 

„Und womöglich nichts zurück bekommen“, beendete Lena Pers eigentlich schon vollendeten Satz. Die unterschwellige Bitterkeit verriet dem 1,98-Meter-Mann, dass sie schon wieder an ihre eigene Vergangenheit zurück dachte. Dabei hatte sie ihm doch bei ihrem letzten Treffen versprochen, dass sie das alles verarbeiten und abharken würde. Damit sie ihre Vergangenheit endlich hinter sich bringen konnte, wie Timon und Pumba im „König der Löwen“ immer so schön rieten. Einen kurzen Moment stutzte Per innerlich, als ihm klar wurde, dass er da gedanklich gerade einen Disney-Film zitiert hatte. Gut, er liebte diese Zeichentrickfilme und wusste, dass sie immer sehr lehrreiche Lektionen hatten – aber sie in Gedanken schon zu zitieren? Das war dann doch nicht das, was er erwartet hatte. Bevor der Innenverteidiger sich jedoch weiter über seine Schwäche für Filme von Walt Disney Gedanken machen konnte, setzte er lieber sein Gespräch mit Lena fort.
 

„Das stimmt nicht. Du bekommst immer etwas zurück. Sonst würdest du nicht so lange weitermachen.“
 

Wo er Recht hatte, hatte er Recht, musste Lena ihm im Stillen zugestehen, doch die ganze Sache hatte immer noch einen Harken und den teilte sie Per auch mit.
 

„Aber am Ende ist es doch nicht das, was ich mir erhofft habe.“
 

Leise seufzend fuhr Per sich durch seine kurzen, feuchten Haare und zuckte nur mit den Schultern, so als ob Lenas Einwand grundsätzlich nicht der Rede Wert sei. Allein diese Geste ließ Torstens kleine Schwester schon Luft holen, um Per das Nötige dazu zu sagen, doch bevor sie auch nur anfangen konnte, untermalte Per seine Geste mit Worten:
 

„Kann sein. Kann aber auch nicht sein. Muss denn eine Beziehung immer wie im Märchen sein? Glücklich sein reicht doch fürs Erste.“
 

To be continued
 

Jetzt ist dieses Kapitel doch um einiges tiefsinniger und weniger locker geworden, als ich es mir eigentlich vorgestellt hatte. Irgendwie bringt die Kombination aus Per und Lena immer diese Seite in mir zum Vorschein, während Clemens, Tim oder auch Markus da ganz andere Reaktionen provozieren. Ich hoffe natürlich, dass es euch trotzdem gefallen hat. So ein bisschen Per und Lena kann ja eigentlich nie schaden, denn jedes Gespräch ist ein Schritt vorwärts.

Wie schätzt ihr Pers Haltung ein? In diesem Kapitel hat er ja wieder einmal einiges über sich verraten. Hat er Recht, dass es immer dann, wenn es besonders wehtut, sehr tief gegangen ist? Und dass das, was man vorher bekommen hat, das alles Wert ist? Denn dass niemand einem versprochen hat, dass es leicht wird, das ist ja mal klar, ich denke, darüber wird sich niemand mit mir streiten wollen… ;) Oder haltet ihr es eher mit Lena, die am Ende immer nur den Schmerz sieht?

Und was haltet ihr von meinen/Pers letzten Sätzen? Wahr, falsch oder irgendwo dazwischen?

Wenn du dich traust

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Nach siebzig Kapitel bekommt ihr jetzt endlich etwas, dass ihr schon so lange haben wolltet. Ich hoffe, ihr habt eure Freude daran.
 

Ich möchte mich bei Sunny für die lieben Worte bedanken.
 

Für den Moment schaute Lena Per einfach nur an, während in ihrem Kopf seine Worte wieder hallten. Reichte es für den Anfang, einfach nur glücklich zu sein? Vermutlich schon. Ganz sicher sogar, wenn sie in Pers lächelndes Gesicht sah.
 

„Aber was ist, wenn ich gar nicht mehr weiß, was es heißt, glücklich zu sein?“, zweifelte sie trotzdem, weil sich das Gespräch für ihren Geschmack viel zu schnell in eine Richtung entwickelte, die sie nicht mehr kontrollieren konnte. Hier kannte sie sich nicht mehr aus. Und sie fragte sich, wozu Per sie herausforderte – was er am Ende tatsächlich von ihr wollte. Er kam ihr und ihrem Herzen gerade gefährlich nah, so dass sie unwillkürlich versuchte einen Schritt vor ihm zurück zu weichen, wie sie bisher immer wieder zurückgewichen war.
 

„Du wirst es wieder lernen, Lena. Wirst dich daran erinnern, wie es sich angefühlt hat, glücklich zu sein. Und dann wird es dir egal sein, ob es dein Märchen oder einfach nur die Realität ist. Wahrscheinlich wird dir die Realität sogar lieber sein, so wie ich dich kenne“, meinte der lange Innenverteidiger lächelnd und auch Lena konnte sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Sie mochte den Kollegen ihres Bruders vielleicht erst wenige Wochen kennen, aber es kam ihr vor wie ein ganzes Leben, so gut kannte er sie bereits.
 

Zaghaft griff Per nach Lenas Händen und drückte sie leicht. Er sah ihre Verunsicherung, ihre Angst und auch ihre Bedenken jetzt einen Fehler zu machen. Doch er wollte jetzt nicht locker lassen. Sie hatte sich dazu entschlossen wieder zu leben und wieder zu lieben, jetzt musste sie auch dazu bereit sein, den nächsten Schritt auf diesem Weg zu gehen.
 

„Aber, was ist, wenn-“, setzte Lena erneut an, um Per vor Augen zu führen, wie viele Unsicherheiten sich hinter seinem bloßen „glücklich sein“ verborgen hielten, doch Per schüttelte einfach den Kopf legte ihr seinen Zeigefinger auf die Lippen.
 

„Shhh. Kein „was wäre, wenn“. Keine langen Listen über Vor- und Nachteile, Lena. Einfach nur fühlen“, murmelte er und zog die kleine Schwester des Lutschers in eine Umarmung. Er wollte sich nicht noch länger anhören, wie viele Möglichkeiten es gab, zu scheitern. Er wollte nicht mehr hören, wie viele „abers“ sich hinter seinem Plan versteckten. Er hatte sich getraut. Endlich hatte er den Mut und die Gelegenheit offen mit Lena zu sprechen. Und da wollte er keine Hindernisse, sondern nur die Chancen sehen, die sich ihnen bieten würden. Unendlich viele Chancen um unheimlich glücklich zu werden. Dass es nicht leicht werden würde, wusste er selbst. Aber wie er schon gesagt hatte: Sie war es ihm wert.
 

„Lena, ich bin doch genauso unsicher wie du. Ich habe keinen blassen Schimmer, was aus uns werden wird. Ich kann dir keine Garantie geben, dass wir miteinander glücklich werden und dass es auch tatsächlich das ist, was du dir immer gewünscht hast. Was wir uns immer gewünscht haben. Oder ob wir überhaupt irgendwann ein „uns“ haben werden. Aber ich kann mir so viele wunderbare Dinge vorstellen, die ich mit dir erleben will. Wenn du dich traust.“
 

Während Per Lena diese Worte zugeflüstert hatte, hatte er sie fester in seine Arme gezogen und unwillkürlich hatte sich die kleinere Wahr-Spanierin an die Brust des 1,98m Mannes geschmiegt und ihn selbst mit ihren Armen umfangen. Die Wärme, die von Pers Körper ausging und die großen Hände, die liebevoll über ihren Rücken streichelten, gaben ihr ein Gefühl von Sicherheit und Pers Herzschlag vermittelte ihr eine gewisse Ruhe, so dass sie für einen Augenblick einfach nur die Augen schloss und versuchte an nichts zu denken. Sie wollte einfach nur fühlen – fühlen, wie es sich anfühlte in den Armen eines anderen Mannes zu sein. Nein, schollt sie sich selbst in Gedanken und berichtigte sie sich. Sie war hier nicht in den Armen irgendeines anderen Mannes, sondern in Pers Armen. Und wenn sie all die Sorgen, Ängste und Zweifel beiseite schob und aufhörte zu denken, dann fühlte es sich gut an.
 

„Meinst du, wir können es langsam angehen lassen? Ich war noch nie besonders mutig“, nuschelte Lena an Pers Brust und der Innenverteidiger war sich nicht sicher, ob er die Worte tatsächlich gehört hatte oder ob seine Fantasie ihm einen Streich spielte. Deshalb fragte er noch mal leise nach, ob er sich auch wirklich nicht verhört hatte.
 

„Ich habe dich gefragt, ob wir es ruhig angehen lassen können. Weil ich doch so ein Feigling bin“, sagte Lena diesmal lauter und klarer, so dass Per keine Zweifel mehr daran hatte, dass er tatsächlich richtig gehört hatte. Sein Herz machte einen Hüpfer und wie aus einem Impuls heraus hob er Lena hoch und drehte sich mit ihr um die eigene Achse. Am liebsten hätte er laut Gejauchzt vor Freude.
 

„Du machst mich gerade zum glücklichsten Menschen der Welt, Lena“, murmelte Per, als er sie wieder herunterließ und an seine Brust drückte. Für die kleine Psychologin war das jedoch alles zu viel, viel zu viel. Und viel zu schnell, deswegen drückte sie sich von Per ab und zwang ihn so dazu, seine Umarmung zu lösen. Überrascht und bedröppelt schaute sie der lange Innenverteidiger im Dienste der Bremer an und sofort tat es Lena Leid, dass sie sich so schnell wieder hatte Freiraum verschaffen müssen. Aber sie war es einfach nicht mehr gewohnt so lange gehalten und umsorgt zu werden.
 

Und ein kurzer Blick in Pers jetzt trauriges, vorher noch strahlendes Gesicht verriet Lena, dass sie ihn schon wieder unabsichtlich verletzt hatte. Weil sie ihn unbewusst wieder auf Abstand gebracht hatte. Wie sollte es da mit ihnen funktionieren, wenn sie ihn nicht einmal eine Minute lang glücklich machen konnte? Wenn sie ihn nach der gemeinsamen Nähe, die sich auch für Lena gut angefühlt hatte, sofort wieder von sich stoßen musste?
 

„Per, ich kann das so nicht.“
 

Ohne groß darauf zu achten, war Lena noch einen Schritt zurückgegangen und hatte die Arme um ihren Körper geschlungen. Der räumliche Abstand zwischen ihr und Per war nicht sonderlich groß. Der Innenverteidiger hätte nur einen Schritt machen müssen, damit sie wieder Zehenspitze an Zehenspitze standen, doch dafür war Per viel zu gelähmt. Torstens Kollege fühlte sich von Lenas Worten wie vor den Kopf geschlagen.
 

„Was meinst du damit? Ich dachte, du… Wir-“, stotterte Per, der einfach nicht glauben konnte, dass sein Glück nur von so kurzer Dauer sein sollte. Das wollte er nicht hinnehmen, das konnte einfach nicht wahr sein. Eben noch hatte sie ihm zwei Mal gesagt, dass sie es versuchen wollte und jetzt, eine Minute später, ging es plötzlich nicht mehr? Was ging in ihrem kleinen, hübschen Köpfchen vor, dass sie mal Hüh und mal Hot rief? Wollte sie am Ende doch nur mit ihm spielen? Machte ihm Hoffnung, nur um dann doch wieder nein zu sagen? Das passte doch eigentlich gar nicht zu ihr, so hatte Per Torstens Schwester nicht eingeschätzt. Er wollte nicht, dass sie so war.
 

„Heißt das, dass das alles eben nur so dahingesagt war?“, wollte Per wissen und hatte nun seinerseits die Arme vor der Brust verschränkt.
 

„Nein, war es nicht. Wirklich nicht. Ich will ja Per, aber das geht nicht so schnell. Ich bin diese Nähe nicht gewohnt, deshalb werde ich dich immer wieder wegstoßen und dir so wehtun. Dabei will ich das doch gar nicht, es ist einfach ein Reflex. Und in meinem Kopf herrscht immer noch Chaos. Es geht mir alles viel zu schnell, so weit bin ich noch nicht. Ich kann ja immer noch nicht glauben, dass ich mich tatsächlich trauen will“, versuchte Lena sich zu erklären, doch selbst in ihren Ohren klang es mehr als dürftig. Für Per jedoch war ihr Erklärung der Strohhalm der Hoffnung, nach dem er greifen konnte und auch nur zu gern greifen wollte.
 

„Dann lassen wir es eben ganz ruhig angehen. Langsam, Schritt für Schritt.“
 

„Per, das ist-“, versuchte Lena dem Verteidiger erneut klar zu machen, dass die Sache nicht so einfach war und garantiert auch nicht so einfach werden würde, wie er sich das jetzt gerade vorstellte. Doch Per, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, Lena vom Lieben und glücklich Sein zu überzeugen, schüttelte nur unwirsch den Kopf und schnitt ihr das Wort ab.
 

„Wir kriegen das hin, Lena. Ganz langsam. Ich lass dich jetzt nicht einfach so gehen, wo du mir gesagt hast, dass ich Chancen habe – dass du es sogar mit mir versuchen willst.“
 

Zögerlich überbrückte er die Distanz, die Lena zwischen sie gebracht hatte. Er lächelte sie einfach nur schüchtern an und Lena konnte gar nicht anders, als eben so schüchtern zurück zu lächeln. Das genügte für Per als Zeichen, dass sie ihn nicht sofort wieder von sich stoßen würde, wenn er sie erneut zu berühren versuchte. Deshalb streichelte er mutig über ihre Arme und griff dann nach ihren Händen, so dass die beiden Händchen haltend voreinander standen.
 

„Wie wäre es, wenn wir erstmal mit einer Verabredung anfangen. Ganz klassisch, heute Abend“, schlug Per vor und fuhr mit seinem Daumen über Lenas Knöchel.
 

„Du meinst wir sollen zusammen ausgehen?“
 

Der Wahl-Spanierin war klar, dass diese Frage selten dämlich war, schließlich hatte Per gerade genau das vorgeschlagen, doch irgendwie konnte sie das nicht so einordnen. Und um Zeit zu schinden, hatte sie lieber noch mal nachgefragt.
 

„Genau. Nicht ins Kino, da waren wir schon zusammen. Aber Essen gehen klingt doch gut. Ich würde dich abholen und zu meinem Lieblingsrestaurant bringen. Wir würden uns den ganzen Abend unterhalten und dann würde ich dich ganz brav wieder nach Hause bringen“, malte Per sich den Abend aus und auch Lena konnte sich genau so einen Abend mit Per lebhaft vorstellen. Und sie konnte sich vorstellen, dass sie einen solchen Abend durchaus genießen könnten. Ganz entspannt und völlig losgelöst von all den Ängsten und Zweifeln, die sie im Augenblick in die hinterste Ecke ihrer Gehirns verdrängt hatte. Doch eine eher scherzhafte Nachfrage zum Verlauf des Abends konnte sich die kleine Schwester des „Lutschers“ dann doch nicht verkneifen:
 

„Du bringst mich nach Hause, ohne noch auf einen Kaffee mit reinkommen zu wollen?“
 

Bei ihrer Frage hatte Lena scherzend gezwinkert, so dass Per sofort verstanden hatte, dass sie nicht wirklich davon ausging, dass er bereits nach ihrer ersten, offiziellen Verabredung mehr von ihr erwartete, als sie wahrscheinlich zu geben bereit war. Das beruhigte ihn, so dass er ebenso scherzhaft antworten konnte, auch wenn in seiner Antwort schon auch die Wahrheit zum Ausdruck kam.
 

„Ohne auf einen Kaffee mit reinkommen zu wollen. Ich bin schließlich ein Gentleman.“
 

„Und du hast Angst vor meinem Bruder“, ergänzte Lena seine Antwort und beide lachten leise, als sie sich Torsten vorstellten, der bereits hinter der Gardine hervorlugte, nur um sicher zu gehen, dass seine heiß geliebte kleine Schwester auch sicher und unbehelligt wieder nach Hause kam.
 

„Und ich habe Angst vor deinem Bruder, stimmt“, bestätigte Per und lachte nun noch ein kleines bisschen lauter.
 

„Dann haben wir also heute Abend ein Date?“
 

„Ja, wir haben heute Abend ein Date. Und wir lassen es langsam angehen, weil wir schließlich alle Zeit der Welt haben.“
 

Per wollte sich sicher sein, dass Lena sich nicht irgendwie unter Druck gesetzt fühlte. Das war das letzte, was er wollte. Sie sollte nur das tun, was sie auch wirklich schon wollte. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Er glaubte zwar fest daran, dass sie dieses Treffen und alles andere im Moment auch tatsächlich wollte, doch er fürchtete sich ein wenig davor, sie allein zu lassen. Denn dann würde sie wieder anfangen zu denken, die Situation zu analysieren und würde vielleicht sogar erneut zurückschrecken. Weil die Zweifel und Sorgen überhand genommen hatten und er nicht da gewesen war, um sie wieder zu zerstreuen. Aber letztlich konnte er nicht immer an ihrer Seite sein und ihr gut zureden – das musste sie schon selbst machen. Und Per hoffte, dass sie es schaffen würden.
 

„Ich freue mich auf heute Abend, Per.“
 

„Ich mich auch, Lena, ich mich auch.“
 

Am liebsten hätte der Innenverteidiger sein Glück in die Welt herausgeschrieen. Er hatte heute Abend eine Verabredung mit der Frau, die er schon seit ihrem ersten Treffen toll gefunden hatte. Trotz der Konkurrenz und seiner sonst so schüchternen Art, hatte er sich überwunden und sie für sich gewonnen. Er wollte am liebsten aller Welt zeigen, dass die Frau, die da vor ihm stand, zu ihm gehörte und nur zu ihm. Dass sie seine Freundin war und es niemand auch nur wagen sollte sie komisch von der Seite anzusehen. Dieses Hochgefühl hielt bei Per jedoch nur so lange an, bis Lena zaghaft lächelnd zu ihm aufsah und leise fragte:
 

„Und es macht dir wirklich nichts aus, wenn wir uns erstmal langsam rantasten und noch nicht sofort ein Paar sind?“
 

Es war wie ein kräftiger Schlag in die Magengegend für Per. Damit hatte der lange Innenverteidiger nun nicht gerechnet. Als Lena ihn darum gebeten hatte, es langsam angehen zu lassen, hatte er es auf alles andere bezogen, aber nicht auf ihren Beziehungsstatus. Er war davon ausgegangen, dass sie jetzt ein Paar waren, wo sie sich endlich getraut hatten. Aber wenn es seiner Kleinen zu schnell ging, dann würde er warten, bis sie bereits war, sie als Paar zu bezeichnen. Denn letztlich änderten Worte doch nichts daran, wie er sich fühlte – und seinen Gefühlen zufolge waren sie ein Paar.
 

„Nein, das macht mir nichts aus, weil ich dich verstehe. Aber meinst du, es wäre trotzdem in Ordnung, wenn ich dich jetzt küssen würde?“
 

Schüchtern, aber mit verschmitzten Lächeln auf den Lippen schaute Per Lena an und diese schmunzelte nur zurück, machte einen Schritt auf ihn zu, reckte sich ein bisschen und murmelte:
 

„Ich glaube schon.“
 

Das ließ sich Per nicht zwei Mal sagen und so beugte er sich zu Lena hinunter und legte seine Lippen noch ein wenig zurückhaltend und schüchtern auf die ihren.
 

To be continued
 

Nein, das ist jetzt noch nicht das Ende, das ist nur das, was sich viele von euch gewünscht haben. Oder zumindest so ähnlich, würde ich jetzt mal sagen. Und da meine Charaktere sowieso nicht so wollten, wie ich es gern gehabt hätte, habe ich ihnen ihren Willen gelassen – und das ist dabei raus gekommen.

Über dieses Kapitel möchte ich an sich gar nicht so viele Worte verlieren, schreibt mir einfach, was ihr denkt. Ging es euch zu schnell? War es euch zu kitschig? Hat Lena es verdient, dass man sie schüttelt, weil sie immer noch nicht so ganz begriffen hat, dass es in der Liebe keine Garantien gibt? Was auch immer euch durch den Kopf geht oder ging beim Lesen – mich interessiert es brennend, da ich selbst recht unschlüssig bei diesem Kapitel bin. Und deshalb würde ich mich gerade jetzt über eure Rückmeldung freuen.

Privatsphäre oder Privataffäre

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 


 

Als Torsten bemerkte, dass Per zu Lena wollte, schaute er sich um und suchte mit seinen Blicken seine beiden Töchter und Christian. Unauffällig winkte er die beiden zu sich und war froh, dass sie ausnahmsweise ohne große Diskussionen oder Verzögerungen zu ihm kamen. Alle drei sahen erwartungsvoll zum „Lutscher“ auf und der war sich sicher, dass seine Rasselbande ihm diesen kleinen Gefallen tun würde.
 

„Passt mal auf, Lena, Lisa und Christian: Per will noch was ziemlich wichtiges mit Tante Lena besprechen. Und dazu lassen wir sie am Besten allein. Was haltet ihr davon, wenn ihr ins Werder-Restaurant geht und euch da ein Eis holt? Ich hole euch dann von da ab, bezahle und wir fahren nach Hause, ja?“
 

Der Vorschlag wurde von den dreien mit Jubel quittiert und Lena und Lisa fielen ihrem Papa um den Hals – oder eher um die Beine, da sie noch nicht höher kamen. Es freute den „Lutscher“, dass er Per helfen und auch den Kleinen eine Freude machen konnte. Zum Glück kannte Lisa den Weg zum Restaurant und er konnte sich darauf verlassen, dass die gute Seele Karin ein Auge auf sie haben würde, sobald sie erstmal da waren.
 

Ein kurzer Blick übers Trainingsfeld sagte Torsten, dass er als einziger, mal angesehen von Per und Lena, die an der Seitenlinie standen und in ihr Gespräch vertieft waren, noch hier war und so machte er sich schnell auf den Weg, um in die Kabine zu kommen. Denn auch wenn er seinen Mädels und auch Christian vertraute, so wollte er sie lieber nicht so lange ohne Aufpasser lassen – und wer konnte schon voraussehen, wie lange Lena und Per miteinander reden würden? Dass sich die junge Psychologin, sobald ihre Aufmerksamkeit nicht mehr nur noch Per galt, Sorgen um die Kinder machen könnte, die so plötzlich einfach verschwunden waren, fiel dem Fringser nicht ein.
 

Der hatte aber auch nicht so viel Zeit darüber nachzudenken, denn schon nach wenigen Metern über den Parkplatz in Richtung Kabine fiel ihm auf, dass er wohl doch nicht als einziger heute etwas langsamer war. Da trödelten vor ihm noch vier seiner Kollegen, die gespannt zu Lena und Per schauten, so als würden sie die beiden beobachten.
 

„Verschwindet, hier gibt es nichts zu sehen“, scheuchte der „Lutscher“ seine Mitspieler resolut in Richtung Kabinen. Alle anderen der überwiegend jüngeren Spieler waren schon länger in der Mixed-Zone verschwunden, andere jedoch, wie die vier Kiebitze vor ihm, waren neugierig auf halbem Weg zwischen Trainingsplatz und Kabine stehen geblieben. Darunter Clemens, Tim, Diego und Marko, die neugierig das Gespräch zwischen Per und Lena beobachteten.
 

„Braucht ihr eine Extraeinladung? Ab in die Kabine, sagte ich“, fuhr Torsten seine Mitspieler und tappte ungeduldig mit seinen Stollenschuhen auf dem Beton des Parkplatzes herum, der Trainingsplatz und Stadion miteinander verband.
 

„Torsten, nun sei doch endlich ruhig und hör mit deinem Getappe auf, wir verstehen die beiden so schon ganz schlecht“, reagierte Clemens als einziger auf die Aufforderung des Vize-Kapitäns, jedoch ohne seine Blick von Per und Lena abzuwenden, die immer noch schüchtern voreinander standen und miteinander sprachen.
 

„Sag mal, geht’s euch noch gut, ihr alten Waschweiber?!“
 

Torstens Stimme wurde lauter und ruppiger, so dass jetzt auch die drei anderen Männer reagierten und sie zu ihrem Mittelfeld-Chef umdrehten. Dem stieg langsam vor Aufregung über das Benehmen seiner Kollegen das Blut in den Kopf, so das der eher dem einer Tomate als eines Menschen ähnelte – und genau das war bei Torsten Frings immer ein sicheres Zeichen, dass er die Geduld verlor. Und einen Wutausbruch dieses Ausmaßes wollte keiner der vier provozieren.
 

„Bleib ruhig Torsten, wir wollen doch nur sehen, ob Lena und Per-“, versuchte Tim seine eigene Neugier und die seiner Kollegen zu erklären, doch der „Lutscher“ fiel ihm unsanft ins Wort.
 

„Es geht euch aber nichts an, was Per und meine kleine Schwester miteinander zu bereden haben. Basta. Und jetzt ab mit euch in die Kabine oder ich vergesse mich!“, polterte der Mittelfeldspieler los und trieb seine vier Kollegen unbarmherzig in Richtung Kabine. Die murrten und murmelten, versuchten Torsten sogar immer wieder davon zu überzeugen, dass er doch garantiert auch für ihn unheimlich interessant wäre zu wissen, was da besprochen wurde, doch der Mittelfeldspieler ließ sich nicht erweichen.
 

„Wenn die beiden was besprechen, was mich auch etwas angeht, werden Lena oder Per schon von selbst mit der Sprache rausrücken, dafür muss ich ihnen nicht nachspionieren. Außerdem interessiert es mich nicht, was die beiden zu besprechen haben.“
 

Das war natürlich glatt gelogen, denn den „Lutscher“ interessierte es schon brennend, was Per da gerade seiner kleinen Schwester erzählte, doch im Augenblick war sein Vorsatz, Lena loszulassen um sie halten zu können, noch stärker als sein Beschützerinstinkt. Außerdem war er der Ansicht, sich auf Per verlassen zu können, der nichts tun würde, um seiner Kleinen zu schaden. Deshalb versuchte er auch das einzig richtige für die beiden zu tun, nämlich ihr Gespräch vor den neugierigen Augen und Ohren seiner Kollegen zu schützen, die das alles garantiert in Rekordzeit weitertratschen würden.
 

„Die beiden haben auch eine Privatsphäre, vergesst das nicht“, versuchte er an den Anstand der vier zu appellieren. Tim und Clemens sahen sich auch wirklich etwas betreten an, während Markus etwas unsicher und Diego vollkommen verwirrt aussah.
 

„Die beiden haben eine Privataffäre?“, fragte Diego ungläubig in seinem für ihn typischen Deutsch nach. Das schelmische Grinsen in seinem Gesicht zeigte den anderen mehr als deutlich, dass der kleine Brasilianer sich das ganze gerade bildlich vorstellte.
 

„Kopfkino aus, Diego. Außerdem sagte ich nicht Privataffäre, sondern Privatsphäre. Die beiden haben also auch ein Recht darauf, alleine miteinander zu reden. Ohne, dass ihnen die halbe Bremer Mannschaft dabei zuhört oder zusieht“, antwortete der „Lutscher“ und schob seine Kollegen weiter Richtung Mixed-Zone. Die ließen sich jedoch nur ungern von ihrem Vize-Kapitän vom Ort des Geschehens wegschieben und Markus war der erste, der protestierte.
 

„Wenn sie nicht wollten, dass es jemand hört oder sieht, dann müssen sie sich ein Zimmer nehmen und es nicht so offensichtlich tun“, beschwerte sich Markus über die verführerische Offenheit, mit der sich Lena und Per präsentierten. Wenn sie sich schon am Trainingsplatz unterhielten, sollten sie sich doch nicht wundern, wenn ihnen zufällig dabei Menschen zuhörten. Wobei man dieses „zufällig“ wohl eher mit „absichtlich“ austauschte, doch das klang dann ja nicht mehr wie eine Rechtfertigung.
 

„Tut mir Leid Torsten, so war das nicht gemeint.“
 

Die Doppeldeutigkeit von Markus Worten war keinem der Spieler verborgen geblieben und als Torsten einen Schritt auf den Schweden zugegangen war, hatte der nur abwehrend die Hände gehoben. Markus Rosenberg wollte seinen Vize-Kapitän nun wirklich nicht noch mehr reizen.
 

Schließlich konnte sich jeder der vier vorstellen, wie es gerade im „Lutscher“ aussehen musste, immerhin hatten sie ihn alle schon mal in der Nähe seiner kleinen Schwester erlebt – und da schaltete sich bei ihm automatisch das rationale Denken aus und der Große-Bruder-Beschützermodus ein. Wie er ihn jetzt unterdrückte und so ruhig neben ihnen stehen konnte, war den vieren ein Rätsel. Sonst hatte der Mittelfeldmann doch auch nicht die Ruhe weggehabt.
 

„Was ist eigentlich los mit dir? Als ich mit Lena geflirtet habe, hättest du mir am liebsten den Kopf abgerissen und bei Per siehst du seelenruhig zu?“, wollte Clemens vom Fringser wissen. Dem blonden Außenverteidiger im Dienste von Werder Bremen war dieses Verhalten des Mittelfeldspieler bisher nämlich mehr als spanisch vorgekommen. Irgendetwas stimmte da nicht, dass er Lena und Per sonst etwas miteinander anstellen ließ, ihn und Lena jedoch mit Argusaugen beobachtete. Dass es vielleicht an seinem bisherigen Verhalten und seinem Ruf liegen konnte, daran dachte Clemens in diesem Augenblick natürlich nicht.
 

„Ich sehe nicht zu, wie die beiden flirten“, meinte Torsten trocken und scheuchte die vier weiter vor sich her. Für jeden Zuschauer hätte es ein urkomisches Bild abgegeben zu sehen, wie Torsten Frings vier seiner Kameraden vor sich her in Richtung Kabine scheuchte. Dabei drehten sie sich immer wieder um und versuchten an Torsten vorbei zum Trainingsplatz zu gucken.
 

„’Tschuldigung, dann siehst du halt nicht zu, sondern unterstützt es sogar indirekt, in dem du uns aus dem Weg räumen willst“, ging Clemens auf die Aussage seines Vize-Kapitäns ein. Der zuckte jedoch nur mit den Schultern und hielt Tim, Diego, Markus und Clemens die Tür zum Inneren des Stadions auf.
 

Da die Jungs wussten, wann man sich geschlagen geben musste, liefen sie mit hängenden Köpfen zu den Kabinen. Kurz bevor jedoch Torsten selbst ins Innere des Stadions verschwand, warf er noch einmal kurz einen Blick zurück aufs Trainingsgelände, dass man von der Tür aus immer noch sehen konnte. Ein leises Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er Lena und Per in enger Umarmung am Rand des Trainingsfeldes stehen sah. Durch die große Distanz konnte er es zwar nicht genau erkennen, doch der Fringser hätte sein rechtes Bein dafür verwettet, dass die beiden sich da gerade küssten. Und auch wenn dieses Bild etwas befremdliches hatte und er sich irgendwie sorgen um seine kleine Schwester machte, so wusste er doch, dass sie bei Per in guten Händen war. Der Junge würde ihr schon nicht wehtun.
 

Mit sich selbst und der Welt zufrieden, stapfte Torsten durch die dunklen Gänge in Richtung Umkleidekabine. Es war noch nicht alles so, wie er sich das vielleicht wünschen würde, aber er hoffte, dass jetzt alles auf dem rechten Weg war und sich nur noch langsam entwickeln musste. Innerlich klopfte er sich sogar auf die Schultern, weil er so ruhig geblieben war und Lena ihren Freiraum gelassen hatte. Wenn er das Petra erzählen würde, freute sie sich bestimmt darüber. Und vielleicht würde nach einem wunderbaren Tag für ihn auch noch eine wunderbare Nacht folgen.
 

To be continued
 

Ich konnte einfach nicht bei Per und Lena weiter machen, sondern musste unbedingt zeigen, wie Torsten die Ereignisse sieht bzw. wie er dazu steht. Und das geht nun mal nicht ohne die anderen Chaoten. Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse, dass es mit unserem schwer verliebten Per und der unsicheren Lena erst im nächsten Kapitel weitergeht.

Sonst möchte ich natürlich wie immer wissen, wie ihr das Kapitel fandet, ob euch etwas aufgefallen ist oder einfach eure Meinung – frisch von der Leber, meine Lieben.

Über ein aufgescheuchtes Huhn und das Erwachsenwerden

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Nach diesem Kuss standen sich Per und Lena einen Augenblick lang einfach nur schweigend gegenüber. Sie konnte beide noch nicht so ganz begreifen, was da eben geschehen war. Nach den vielen Gesprächen, dem Zögern und dieser Berg-und-Talfahrt der Gefühle hatten sie es endlich zu einem zweiten Kuss geschafft. Und diesmal hatten ihn sogar beide gewollt.
 

„Ich-wow“, konnte Per nur stammeln und verstummte dann wieder sofort, weil er fürchtete, sich mit jedem weiteren Wort vor Lena zum Affen zu machen. Und das wollte er auf gar keinen Fall riskieren.
 

„Holst du mich dann heute Abend ab?“, wollte die Blondine schüchtern vom Innenverteidiger in Bremer Diensten wissen und der nickte heftig, bis er sich besann und doch noch ein paar Worte fand, mit denen er sich nicht absolut lächerlich machen würde.
 

„So gegen sieben, wäre das in Ordnung?“
 

„Perfekt“, sagte Lena und lächelte Per an, in dessen Bauch die Schmetterlinge erneut zu einer Flugshow sondergleichen ansetzten. Doch die Schmetterlinge stürzten jäh ab, als ihm Lenas Gesichtsausdruck auffiel, der sich schlagartig verändert hatte, als sie sich einen Moment lang umgesehen hatte.
 

„Moment Mal, es ist so ruhig hier. Wo sind die Kinder?“
 

Panisch drehte sich die Psychologin mehrmals um die eigene Achse und schaute sich auf dem Trainingsplatz und dem angrenzenden Parkplatz um, doch nirgendwo konnte sie die drei sehen.
 

„Lena? Lisa? Christian? Wo seid ihr?“, rief sie, in der Hoffnung, dass die drei nur Verstecken spielten und sich irgendwo in ihrer Nähe aufhielten. Womöglich hatten sie sie einfach nicht stören wollen und deshalb angefangen, ohne ihr Bescheid zu sagen. Doch Lenas Rufe verhallten ungehört.
 

„Beruhig dich, bestimmt wollte sie uns nicht stören und sind mit Torsten mit“, sprach Per Lenas Gedanken aus, nur das die nicht daran gedacht hatte, dass ihr Bruder seine Töchter und ihren gast vielleicht mit unter seine Fittiche genommen hatte.
 

„Aber sie dürfen doch gar nicht mit in die Kabine, Per“, wandte Lena besorgt ein und selbst ein Außenstehender, der sie nicht kannte, konnte erkennen, wie es in ihrem Kopf arbeitete und wie sie fieberhaft überlegte, wo ihre drei Schützlinge sein konnten. Sie hatte ihnen doch extra eingebläut, dass sie nicht weggehen sollten und jetzt konnte sie wer-weiß-wo sein.
 

„Na dann hat er sie ein Eis essen geschickt. Macht er häufiger, wenn Lena und Lisa hier sind, um ihn nach dem Training abzuholen“, mimte Per die vernünftige Stimme des Gewissens, doch so ohne weiteres ließ Lena sich nicht überzeugen.
 

„Meinst du?“
 

„Ganz sicher. Geh einfach zur Geschäftsstelle, da wirst du sie schon finden“, sprach er der Wahl-Spanierin Mut zu und hoffte, dass er sich wirklich nicht irrte.
 

„Danke Per.“
 

„Nichts zu danken, Lena. Wir sehen uns dann heute Abend?“
 

Der Innenverteidiger brauchte einfach noch mal die Bestätigung, dass er sich die letzten Minuten nicht eingebildet hatte und sie tatsächlich heute Abend mit ihm ausgehen würde. Nur sie zwei, ganz allein, in einem netten Restaurant.
 

„Ja, bis heute Abend.“
 

Beschwingten Schrittes machten sich die beiden jeweils auf zu ihrem Bestimmungsort. Per schlenderte zur Kabine und Lena zur Geschäftsstelle, wo sie tatsächlich Lena, Lisa und Christian fand, die alle drei ein Eis in der Hand hatten.
 

Einige Stunden später
 

Wie ein aufgescheuchtes Huhn lief Lena barfuss im Gästezimmer der Familie Frings hin- und her. Die Schranktüren standen sperrangelweit offen und alles, was sich einmal in dem großen Eichenungetüm befunden hatte, lag auf dem Bett der Psychologin verteilt. Ihre beiden großen Koffer lagen aufgeklappt mitten im Zimmer und auch in ihren herrschte blankes Chaos. Einzelne Schuhe lagen quer im Zimmer verteilt, einige waren sogar halb unters Bett gerutscht, doch das interessierte die Blondine gerade herzlich wenig.
 

Sie tänzelte von einem Ende des Zimmers zum nächsten und schien dabei in diesem Chaos die passende Unterwäsche für ihr Outfit zu suchen. Als sie vier verschiedene Kombinationen in der Hand hatte, stelle sie sich vor den Spiegel und hielt sie sich abwechselnd an. Dabei hatte sie den Kopf schief gelegt und die Augen skeptisch zusammengekniffen.
 

Während sie dastand und abwog, welche Unterwäsche am besten war, tropften ihre nassen Haare munter die um sie herum verteilten Kleidungsstücke voll. Das bemerkte die Blondine jedoch nicht, weil sie viel zu sehr in diese komplizierte Entscheidung vertieft war.
 

„Lena, wenn ich du wäre, würde ich den weinroten mit schwarzer Spitze nehmen“, mischte sich Petra ein und betrat vorsichtig das Gästezimmer, das nun schon seit mehreren Wochen Unterkunft ihrer Schwägerin war.
 

„Meinst du?“, fragte Lena unsicher nach und hielt sich erneut den feinen Spitzen-BH an. Sie wirkte unschlüssig und unsicher. Immerhin hatte sie keine Ahnung, was Per so an Frauen mochte, ob er eher der Typ für die normalen, die verspielten oder die etwas gewagteren Modelle war. Besonders wo dies hier die Unterwäsche war, die Clemens ihr empfohlen hatte…
 

„Ach, warum mache ich mir überhaupt Gedanken darüber, es spielt doch eh keine Rolle, was ich drunter trage“, murmelte Lena halblaut vor sich hin und schmiss die Unterwäsche in hohem Bogen frustriert zurück aufs Bett.
 

Petra konnte nur herzlich lachen und zog eine Augenbraue hoch. Torstens Ehefrau ging zwar auch nicht davon aus, dass Per und Lena bei ihrer ersten richtigen Verabredung gleich aufs Ganze gehen würde, aber allein schon die Tatsache, dass ihre Schwägerin sich Gedanken über ihre Unterwäsche macht, sprach Bände. Und es freute Petra unheimlich.
 

„Lena, entspann dich mal einen Moment. Du wirst heute Abend toll aussehen und ihr werdet ganz viel Spaß haben. Du musst hier nicht wie ein aufgescheuchtes Huhn durch den Raum laufen, dafür gibt es keinen Grund“, versuchte die zweifache Mutter die Psychologin ein wenig zu beruhigen, doch irgendwie kam die Botschaft bei Lena nicht ganz so an, wie sie gemeint gewesen war. Denn die Blondine schlug sich nur die Hände vors Gesicht und stöhnte gequält auf, bevor sie sich rückwärts auf ihr mit Kleidern übersätes Bett fallen ließ.
 

„Ich führe mich auf wie ein Teenager vor seinem ersten Date“, schimpfte die Psychologin sich selbst aus und entlockte Petra dadurch wieder ein leises Lachen.
 

„Wenn ich mich da so an deine Jugend erinnere, könnte das doch gut sein. Du holst das jetzt alles nach.“
 

Diese Aussage ihrer Schwägerin ließ Lena von ihrem Bett wieder aufspringen und protestieren.
 

„Petra, bitte, ich hatte schon-“, versuchte Lena zu erklären, als Petra ihr nur beschwichtigend über den Arm strich und ihr das Wort abschnitt:
 

„Ich weiß, dass du schon deine Erfahrungen mit den Männern hattest. Aber hattest du auch schon mal eine richtige, ganz klassische Verabredung mit einem Mann, der dir Bauchkribbeln beschert hat?“
 

Lena überlegte einen Augenblick. Mit Ricardo hatte sich das alles einfach so entwickelt und in der Öffentlichkeit hatten sie nie mehr als nur gute Freunde sein können. Auch Iker und sie hatten sich niemals klassisch verabredet oder so. Und selbst mit Xavi, ihrer erst „normalen“ Beziehung kurz nach dem Liebeskummer wegen Ricardo war es niemals so gewesen, wie jetzt mit Per. Petra deutete das Schweigen ihrer Schwägerin richtig und lächelte sie nur aufmunternd an.
 

„Siehst du. Und jetzt ziehst du diesen schönen schwarzen Rock und das rote Oberteil an und dazu deine schwarzen Riemchensandalen und schon ist das Problem mit dem Anziehen gelöst. Die Haare lässt du offen, machst dir aber mit dem Schaum ein paar Locken, dann noch ein dezentes Make up und schon bist du fertig“, gab Petra Anweisungen und Lena konnte nicht anders, als mechanisch zu nicken. So hatte ihre Schwägerin ihr die nächsten, komplizierten Entscheidungen abgenommen und auf deren urteil konnte sie sich problemlos verlassen.
 

Petra stand noch eine Weile im Türrahmen und sah Lena beim Anziehen zu, als sie ein Zupfen an ihrem Ärmel spürte und sich umdrehte. Da stand ihre Jüngste neben ihr und schaute ebenfalls neugierig dem Treiben im Zimmer ihrer Tante zu.
 

„Mama, muss Tante Lena diese Unordnung auch noch alleine aufräumen, bevor sie weg darf?“, wollte Lena dann von ihrer Mutter wissen, die nur nachdenklich auf ihre Armbanduhr schaute und dann den Kopf schüttelte.
 

„Nein, ich glaube das schafft sie gar nicht mehr, wenn sie nicht zu spät sein will“, antwortete Petra ihrer Tochter lächelnd und strich Lena über ihr weiches, blondes Haar. Die verzog den Mund zu einer Schnute und die zweifache Mutter ahnte schon, was jetzt kommen musste.
 

„Na, dann muss ich mein Zimmer ja auch nicht mehr aufräumen, bevor ich mit Christian und Lisa spielen gehen kann, oder? Schließlich will ich auch nicht zu spät sein.“
 

Die Jüngste der Frings-Familie schien ganz begeistert zu sein von der Aussicht, das Chaos in ihrem Zimmer nicht mehr zu beseitigen zu müssen, während Lisa, Christian und vermutlich auch noch ihr Papa draußen spielten. Dass sie später irgendwann nicht drum herum kommen würde, war ihr klar, aber je länger sie es raus schieben konnte, umso besser war es. Außerdem war es mit Christian viel lustiger als ihr blödes Zimmer aufzuräumen.
 

„Nein meine Liebe, so haben wir nicht gewettet. Du gehst jetzt schön dein Zimmer aufräumen und wenn es ordentlich ist, kannst du wieder raus und mit den anderen spielen“, zerstörte Petra jedoch sogleich die Vorstellungen ihrer jüngsten Tochter, von der sie sehr gut wusste, dass sie das Aufräumen verabscheute.
 

„Aber wieso darf Tante Lena dann-“, wollte Torstens Jüngste auch schon protestieren, als Petra ihr, genauso wie bereits wenige Minuten zuvor ihrer Tante, das Wort abschnitt.
 

„Weil deine Tante Lena schon erwachsen ist und sie heute Abend mit Per weggehen will, deshalb darf sie diese Unordnung erstmal so lassen.“
 

„Aber das ist total unfair“, beschwerte sich Lisas kleine Schwester und wollte schon mit dem Fuß aufstampfen, so wie sie es hin- und wieder tat, wenn sie wütend war. Aber der warnende Blick ihrer Mutter hielt sie davon und so verschränkte Lena nur trotzig die Arme vor der Brust, so wie sie es sich von den Erwachsenen abgeschaut hatte.
 

„Willst du lieber, dass Papa mit ihr spricht und sie heute Abend zu Hause bleibt? Dann sagt sie Per ab und räumt ihr Zimmer auf, gefällt dir das besser?“, wollte Petra von ihrer Tochter wissen. Die legte einen Moment lang den Kopf schief, knabberte an ihrer Unterlippe und schüttelte dann langsam den Kopf.
 

„Nein. Dann wären Tante Lena und Per bestimmt ganz arg traurig und das will ich nicht.“
 

„Siehst du. Deswegen ist es auch für deinen Papa und mich in Ordnung, wenn Tante Lena ihr Zimmer erst morgen aufräumt. Bei dir, junge Dame, sieht es aber anders aus. Also marsch, ab in dein Zimmer.“
 

Mit einem kleinen Klaps schickte Petra ihre Jüngste an die Arbeit. Die schlurfte lustlos durch den Flur in Richtung Kinderzimmer, so dass Petra sich einen letzten, hilfreichen Kommentar nicht verkneifen konnte, auch wenn sie genau wusste, dass ihre Tochter ihn schon kannte:
 

„Nur ein Tipp, meine Kleine: Je schneller du aufräumst, umso schneller bist du wieder bei Christian und Lisa. Aber nicht alles unters Bett schieben, ich komme nachschauen.“
 

Als Lena mit dem Aufräumen soweit fertig war und gerade nach unten zu ihrem Papa, ihrer Schwester und Christian gehen wollte, blieb sie kurz an der Tür zum Zimmer ihrer Tante stehen. Sie war noch einen Spalt auf und Lena konnte sehen, wie sich die Schwester ihres Papas gerade schminkte. Scheinbar schien es ein ganz besonderer Abend für sie zu sein, denn ihre Mama erlaubte ihr und Lisa nur zu solchen Gelegenheiten mal ihren Nagellack auszuprobieren. Neugierig, was ihre Tante Lena für den heutigen Abend noch so alles an Schminksachen benutzen durfte, schlüpfte sie ins Zimmer hinein und schaute ihrer Tante eine Weile beim Schminken zu, bis die Neugierde schließlich überhand nahm.
 

„Tante Lena?“, sprach Torstens Jüngste ihre Tante an, die erschrocken herum fuhr. Die Blondine hatte gar nicht mitbekommen, dass sie schon seit einer ganzen Weile beobachtet wurde, so sehr war sie darauf konzentriert ein ordentliches Make up hinzubekommen.
 

„Ja, Kleines?“, erwiderte sie trotzdem freundlich, als sie sich wieder einigermaßen von dem Schreck erholt hatte.
 

„Wann ist man erwachsen?“
 

Die Frage der kleinen Lena traf die Psychologin unerwartet. Sie hatte mit Vielem gerechnet, auch mit anderen ungewohnten Fragen, aber damit nun wirklich nicht. Unbewusst spielte sie mit der Kette, die Ricardo ihr damals geschenkt hatte und die sie immer noch nicht abgelegt hatte. Für sie war das einer der Augenblicke, in denen sie endgültig erwachsen geworden war. Klar, der Auszug aus dem Elternhaus, die Reise in die Ferne und die Verantwortung für Christian, all das hatte bei ihr dazu beigetragen, erwachsen zu werden, aber so richtig erwachsen geworden war sie erst, als sie sich gegen Ricardo entschieden hatte. Da hatte sie das erste Mal tatsächlich gespürt, was es hieß, erwachsen zu sein und Verantwortung zu tragen. Doch das konnte sie der kleinen Tochter ihres Bruders ja schlecht erzählen, deshalb fragte sie erstmal nach:
 

„Warum willst du das denn wissen?“
 

„Darum“, war jedoch nur die einsilbige Antwort ihrer Patentochter.
 

„Na?“
 

„Na ja, weil ich dann nicht mehr sofort mein Zimmer aufräumen muss und abends sogar noch mit Onkel Per was unternehmen könnte“, erklärte die jüngste Frings Lena nun doch, was sie dazu bewegt hatte, sich Gedanken über das Erwachsenwerden zu machen.
 

„Und deshalb möchtest du wissen, wann man erwachsen ist?“
 

„Ja, damit ich schauen kann, dass ich ganz arg schnell erwachsen werde.“
 

Diese Logik schien für die kleine Lena ziemlich offensichtlich, doch die große Lena schüttelte nur den Kopf und zog ihre Nichte zu sich auf den Schoß. Diese Erklärung würde schwierig werden, da die Psychologin nicht so recht wusste, wie sie Lena die Situation am besten erklären sollte.
 

„Oh Lena, ich weiß nicht, wann man erwachsen wird. Ich glaube, das ist bei jedem Menschen anders. Manche müssen früher erwachsen werden als andere. Und manche schaffen es, dem ganz aus dem Weg zu gehen“, fasste die Wahl-Spanierin das Thema „Erwachsenwerden“ so gut es ging in wenigen Sätzen zusammen. Damit hatte sie ihrer Nichte nichts Falsches erzählt, war ihr aber auch nicht ausgewichen. Und hinterher würde sie niemand auf ein bestimmtes Datum festnageln können, von dem die kleine Lena nun glaubte erwachsen zu sein.
 

„Aber wieso wollen manche nicht erwachsen werden? Als Erwachsener darf man ganz, ganz viele Sachen und die Erwachsenen dürfen machen, was sie wollen.“
 

Es schien für Torstens Tochter absolut unverständlich, wieso man nicht erwachsen werden wollte. Gut, bei Peter Pan hatte sie so etwas schon gesehen, aber das war doch bloß eine Geschichte, im wirklichen Leben wollten doch alle groß werden. Immerhin wurden sie im Kindergarten immer wieder gefragt, was sie denn machen wollten, wenn sie groß wären. Also war es doch selbstverständlich, dass sie es irgendwann werden würden, nur wie lange das bis dahin noch dauern würde, das hatte ihr bisher noch niemand gesagt. Auch ihre Tante Lena jetzt nicht.
 

„Wenn es man so wäre, dass Erwachsene machen können, was sie wollen, Kleines. Aber sobald du erwachsen bist, musst du viele Entscheidungen treffen, die dir vorher deine Eltern abgenommen haben. Du musst auf eigenen Füßen stehen und allein zu recht kommen“, erklärte die kleine Schwester des „Lutschers“.
 

„Aber ich habe doch Papa und Mama“, meinte Lena mit großen Augen. Sie verstand nicht so ganz, was ihre Tante damit meinte. Legte ihr ihre Mama etwa nicht mehr die Klamotten raus, wenn sie erwachsen war und kümmerte sich darum, dass sie morgens auch was gefrühstückt hatte, bevor sie das Haus verließ? Das konnte die kleine Lena sich nicht vorstellen.
 

„Ja, die hast du noch und auch wenn du erwachsen bist, werden sie weiter für dich da sein. Aber dann wird von dir erwartet, dass du deine Probleme alleine löst. Und viele Dinge selbst machst. Oder es zumindest erstmal versuchst“, fuhr die Wahl-Spanierin fort und das Gesicht der jüngsten Frings hatte sich zu einer fragenden Grimasse verzogen.
 

„Auch wenn da eine dicke, fette Spinne in meinem Zimmer sitzt?“
 

„Auch dann“, bestätigte Lena und nickte. Das gefiel der Jüngeren jedoch gar nicht und so rutschte sie vom Schoß ihrer Tante und flitzte zu Tür. Bevor sie sich jedoch auf den Weg nach unten machte, hielt sie noch mal inne und schaute ihre Tante mit großen Augen an:
 

„Ich glaube, dann will ich lieber doch nicht so schnell erwachsen werden, Tante Lena.“
 

Und noch bevor Lena irgendwie antworten konnte, war die Kleine verschwunden und man hörte sie nur noch die Treppe runter poltern. Das brachte Lena zum Lächeln, denn auch solche Sachen wie zwei Treppenstufen auf einmal nehmen, die letzten Stufen überspringen oder einfach nur laut durch die Gegend poltern – all das gewöhnte man sich als Erwachsener ab. Dabei konnten einem doch gerade diese Kleinigkeiten manchmal ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
 

To be continued
 

Es hat irgendwie schon eine gewisse Ironie, dass Lena zu ihrer Verabredung mit Per ausgerechnet die Unterwäsche trägt, die Clemens ihr „damals“ in der Umkleidekabine empfohlen hat. Zu dem Zeitpunkt hat der kleine Casanova ja noch nicht wissen können, dass er nicht noch mal in den Genuss des Anblicks kommen wird – sondern vielleicht nur sein bester Freund. Wobei diese Gedanken für Lena an sich schon sehr weit gehen… Wenn Per wüsste, worüber sie sich Gedanken macht – ich glaube, er würde vor Aufregung einen Herzinfarkt bekommen.

Und wie findet ihr Petra und die kleine Lena? Ich musste in dieses Kapitel irgendwie so ein paar typisch weibliche Sachen reinbringen und diese Aufregung vor einer Verabredung und die Tipps von Petra lassen das alles meiner Meinung nach ein wenig normaler erscheinen. Nicht so abgehoben… Und an so einen oder einen ähnlichen Streit wegen des Aufräumens erinnert sich vermutlich auch noch jeder. Mitten im Leben, irgendwie. Genauso wie die Erwartungen, dass man gar nicht schnell genug erwachsen werden kann, solange man noch Kind ist. Oder wieder seht ihr das?

Erinnerst du dich?

Versonnen schaute Lena in den Spiegel und lächelte. Ihr rechtes Auge war bereits vollkommen geschminkt, während sie bei dem Linken gerade mal ein bisschen Lidschatten aufgetragen hatte – dann war Lena gekommen und hatte ihre volle Aufmerksamkeit gefordert. Sie war noch nicht fertig mit Schminken und eigentlich drängte die Zeit, doch von der Hektik, die sie vorhin noch verspürt hatte, war nichts mehr übrig geblieben. Das Gespräch mit ihrer Nichte hatte sie von ihrer bevorstehenden Verabredung mit Per abgelenkt und sie wieder ruhiger werden lassen.
 

Und so schminkte sich Lena in aller Ruhe zu ende, auch wenn nicht mehr so viel zu tun war. Nur noch die Wimpern tuschen, ein wenig Make up und Puder auftragen und schon war sie fertig. Auf Lipgloss verzichtete sie lieber, genauso wie Lippenstift, das alles hinterließ so hässliche Abdrücke an den Gläsern und außerdem hatte sie das Gefühl, dass sie Per in natura sowieso viel besser gefiel.
 

Mit kritischem Blick betrachtete sich Lena im Spiegel von oben bis unten. Ihre langen blonden Haare hatte sie gelockt und nur leicht zurückgenommen, damit sie sie beim Essen nicht stören würden, sonst fielen sie ihr locker bis über die Schultern. Das wirkte nicht so streng und außerdem umrahmten die Locken ihr Gesicht, so dass ihre blauen Augen besser zur Geltung kam – was natürlich auch an ihrer Schminktechnik lag, die sie von Adriana gelernt hatte.
 

Ihre nächsten Überlegungen galten dem Outfit, zu dem Petra ihr geraten hatte. Sicher, der schwarze Rock wirkte allein schon durch seine Schlichtheit sehr elegant, doch irgendwie befürchtete die Wahl-Spanierin, dass sie so viel zu langweilig aussah – zu bieder. Zwar war das weinrote Oberteil mit der Spitze ein bisschen raffinierter und definitiv gewagter als der Rock, aber ob dieses Ensemble wirklich zueinander passte und Per gefallen würde? Lena war sich nicht ganz sicher, beschloss jedoch, nach einem flüchtigen Blick auf die Uhr, dass sie es jetzt eh nicht mehr ändern könnte und zog sich nicht noch einmal um, sondern zog ihre Sandalen an und ging die Treppe hinunter ins Wohnzimmer, wo sie den Rest der Familie vermutete.
 

Doch statt dem Rest der Familie fand sie nur Torsten vor, der auf dem Sofa saß und ziemlich lustlos in der Fernsehzeitung blätterte. Doch sie musste ihren Bruder nicht fragen, wo Christina, Lisa und Lena waren, die hörte sie draußen herumtoben – wahrscheinlich spielten sie Fangen oder sonst irgendetwas.
 

Torsten blickte von der Zeitung auf, als er Lenas Schritte hörte und für einen Moment saß er einfach nur da und schaute seine kleine Schwester an. Die wurde unter dem eindringlichen Blick ihres Bruders unsicher und fuhr sich unwillkürlich durchs Haar, so wie sie es immer tat, wenn sie unsicher und nervös war.
 

„Du siehst toll aus, Kleines. Und wenn Per dir nicht schon längst verfallen wäre, müsste er ein blinder Idiot sein, wenn er es nach diesem Abend nicht wäre.“
 

Torstens Stimme klang rau, als er die Stille durchbrach, doch seine Worte zauberten Lena ein Lächeln auf die Lippen. Diese Bestätigung hatte sie gebraucht, auch wenn sie sicht natürlich bewusst war, dass ihr Bruder keine unbeteiligte Meinung hatte. Das war in diesem Augenblick egal. Wichtig war nur, dass er sie schön fand und damit verhinderte, dass sie sich wieder wie das kleine, ungeliebte Mädchen fühlte, das sie in ihrer Kindheit gewesen war. Denn auch wenn sie vielleicht schon lange nicht mehr chancenlos war und auch die Küsse nicht mehr mit dem Kissen üben musste, so steckte noch viel von diesem unsicheren jungen Mädchen in ihr – mehr, als ihr manchmal lieb war und sie zugeben wollte.
 

Sonst hatte immer Lionel vor irgendwelchen Galen oder großen Auftritten ihr Selbstbewusstsein gestärkt, ihr Mut gemacht und ihr gesagt, dass sie für ihn die schönste Frau der Welt sei. Und dabei hatte er sie so wunderbar ehrlich angelächelt und ihre Hand in seine genommen, dass sie seinen Worten einfach hatte glauben müssen. Seine Worte und Gesten hatten sie das hässliche Entlein vergessen lassen und sie wie ein schöner Schwan fühlen lassen. Und eine ähnliche Wirkung hatten auch Torstens Worte auf Lena.
 

„Danke Torsten. Für alles“, murmelte Lena, ohne ihren Bruder dabei anzusehen. Irgendwie war es ihr doch ein bisschen peinlich, dass er großer Bruder ihr erst ein Kompliment machen musste, damit sie sich hübsch fand. Vielleicht war ihr Selbstbild durch die Ereignisse und Erlebnisse doch gestörter, als sie erwartet hatte.
 

„Dafür sind Brüder doch da, Lena“, antwortete Torsten und stand vom Sofa aus. Zuerst schien es so, als wollte er zu Lena hingehen, doch dann drehte er sich um und schaute aus der Terrassentür nach draußen. Dort war gerade Christian mit fangen dran und der scheuchte Lisa und Lena ganz schön über den Rasen, wobei man sofort bemerkte, dass sich der kleine Italiener zurückhielt, damit der Spaß nicht gleich wieder vorbei war. So jagte er vor allem der größeren und etwas schnelleren Lisa hinterher, sobald er bemerkte, dass die kleine Lena einen Moment brauchte, um auszuruhen.
 

Von Torsten unbemerkt war Lena zu ihm ans Fenster getreten und beobachtete die drei ebenfalls. Es freute sie, dass Christian sich trotz der Sprachprobleme so gut mit ihren Nichten verstand und aus sich herauskam. Sie hatte sein lebhaftes Wesen vermisst und hoffte inständig, dass ihm die Tage in Bremen gefallen würden. Trotzdem spukte auch noch etwas anderes in Lenas Gedanken herum, was sie seit dem Gespräch mit ihrer Patentochter einfach nicht loslassen wollte.
 

„Erinnerst du dich noch, Torsten, als Schutz noch bedeutete, einen Helm beim Fahrradfahren zu tragen? Als die schlimmsten Sachen, die ein Mädchen von einem Jungen bekommen konnte, lästige Läuse waren. Und die schlimmsten Feinde unsere Geschwister waren und Krieg nur ein Kartenspiel, das man jederzeit einfach so beenden konnte? Damals war man noch keine Schlampe, nur weil man einen kurzen Rock trug. Und Abschiedsgrüße galten nur bis morgen. Erinnerst du dich noch?! Und wir konnten es alle nicht erwarten, Erwachsen zu werden.“*
 

Ungläubig schüttelte Lena den Kopf, so als könne sie es selbst nicht glauben, dass man sich freiwillig wünschte, nicht mehr Kind zu sein. Dass sie sich tatsächlich irgendwann mehr oder weniger freiwillig dafür entschieden hatte, dieser Sorglosigkeit Ade zu sagen.
 

„Wie kommst du so plötzlich darauf, Lena?“, wollte der „Lutscher“ von seiner Schwester wissen, die ihn immer noch mit diesem verlorenen Lächeln ansah, das er so schlecht einordnen konnte.
 

„Ich komme drauf, weil deine Tochter mich heute gefragt hat, ab wann man erwachsen ist. Weil sie ganz schnell erwachsen werden will“, antwortete Lena und machte einen Schritt auf ihren Bruder zu, bevor sie ihre Arme um ihn schlang und sich an seine breite Brust lehnte.
 

„Und was hast du ihr gesagt?“
 

Wie von selbst waren auch Torstens Arme um seine Schwester herum gewandert und streichelten ihr jetzt sanft den Rücken. Unwillkürlich schloss Lena die Augen und schmiegte sich noch ein bisschen enger an die Brust ihres großen Bruders, so dass sie seinen Herzschlag fühlen konnte. Und auch wenn Torsten es vielleicht nicht gerne laut zugab, so bedeuteten ihm diese Augenblicke der Nähe zwischen seiner kleinen Schwester und ihm wirklich viel. Da fühlte er sich wieder zurückversetzt in seine Kindheit, als er sie noch hatte beschützen können und sie ihn als ihren größten Helden angesehen hatte – weil er die Monster unter ihrem Bett verscheucht hatte und sich nicht wie ihre Eltern über ihre kindliche Fantasie lustig gemacht hatte.
 

„Das ich es nicht weiß. Und dass sie sich mit dem Erwachsenwerden lieber noch ein bisschen Zeit lassen soll.“
 

Torsten konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen. Da ging seine kleine Lena mit so einer wichtigen Frage übers Erwachsenwerden ausgerechnet zu ihrer Tante, die es, als sie in dem Alter seiner Jüngsten gewesen war, ebenfalls nicht hatte erwarten können, erwachsen zu werden. Und die ihnen auch bei der ersten sich bietenden Gelegenheit demonstriert hatte, dass sie so erwachsen war, dass sie sogar allein in einem fremden Land zu Recht kam. Und ausgerechnet diese Tante, die all diese Erfahrungen so früh gemacht hatte, riet seiner Jüngsten davon ab, zu schnell Erwachsenwerden zu wollen. Wenn das keine Ironie war.
 

„Es ist gut, dass du ihr das gesagt hast. Aber es wäre noch besser, wenn du dir auch noch ein bisschen Zeit lassen würdest, erwachsen zu werden. Dann hätte ich noch etwas länger was von dir“, meinte Torsten und lockerte seine Umarmung, damit Lena ihn ansehen konnte.
 

„Wie kommst du denn plötzlich darauf, Torsten?“, fragte die überrascht, weil sie nicht wusste, warum ihr Bruder plötzlich der Meinung war, dass sie noch nicht erwachsen war. Immerhin lebte sie jetzt schon seit acht Jahren allein, hatte einen guten Job, mit dem sie sich sehr gut selbst versorgen konnte, übernahm Verantwortung und hatte auch schon, wenn auch gescheiterte, Beziehungen hinter sich – damit erfüllte sie doch wohl alle Kriterien, um als erwachsen angesehen zu werden.
 

„Weil Per eben gerade die Auffahrt rauf gekommen ist und er dich gleich abholen wird. Und dann muss ich meine kleine Schwester das erste Mal zu einem Date gehen lassen“, antwortete Torsten schlicht und Lena ahnte, dass ihm diese Ehrlichkeit schwer fiel. Er sprach halt einfach nicht so gern über Gefühle und schon gar nicht über solche, die ihm nahe gingen. Deshalb wunderte es sie auch, dass ihr großer Bruder noch mehr zu der Angelegenheit zu sagen hatte.
 

„Ich weiß, dass du schon Verabredungen hattest. Aber von denen wusste ich nichts und ich habe dich nie gehen sehen. Habe nie gesehen, wie du aufgeregt auf die Ankunft deines Schwarms gewartet und dann hübsch zu Recht gemacht das Haus verlassen hast. Heute schon und irgendwie – weiß ich auch nicht.“
 

Lena musste kräftig schlucken, als sie Torstens hilflosen Gesichtsausdruck sah. Es trieb ihr fast die Tränen in die Augen, ihren Bruder so vor sich stehen zu sehen. Sie merkte ihm an, dass er mit sich kämpft und sie am liebsten zurückgehalten hätte – doch er tat es nicht, machte ihr mit keinem Wort ein schlechtes Gewissen und das rechnete sie ihm hoch an.
 

„Hast du Angst, dass ich nicht wieder kommen werde?“
 

„Nein, eigentlich nicht. Ich weiß ja, dass Per dich diesmal sicher wieder nach Hause bringen wird“, entgegnete der „Lutscher“ und brachte sogar ein schiefes Lächeln zustande, das Lena ihm jedoch nicht abnahm. Sie fühlte, dass sie dem Kern seiner Sorgen und Befürchtungen schon sehr nahe gekommen war und deswegen wagte sie einen weiteren Schuss ins Blaue:
 

„Aber du hast Angst vor dem Tag, an dem ich nicht mehr nach Hause kommen werde, sondern einen anderen Ort mein Zuhause nenne?“
 

„Ja“, gestand Torsten und zog Lena wieder in eine feste Umarmung, so als wollte er diesen schmerzhaften Gedanken durch ihre Nähe vertreiben – oder ihm zumindest so die Schärfe nehmen.
 

„Ach Torsten. Du wirst immer mein großer Bruder bleiben und da, wo du bist, werde ich immer ein Zuhause haben“, erwiderte Lena und drückte sich ebenfalls ganz fest gegen Torstens Brust, während ihre Hände sich im Stoff seines Pullovers festkrallten.
 

To be continued
 

Wie fandet ihr dies Kapitel? Es war nicht ganz so, wie ich es eigentlich geplant und erwartet hatte, aber im Nachhinein gefällt es mir, dass sich Torsten und Lena vor der Verabredung mit Per noch mal aussprechen, denn so kann sich Lena sicher sein, dass sie den Segen ihres Bruders hat, der ihr ja irgendwie schon sehr wichtig ist.

Und Torsten ist mir in diesem Kapitel sowieso ans Herz gewachsen, weil er es nicht nur schafft, Lenas Selbstbewusstsein aufzubauen (das ist ja sonst immer Lionels Part, aber der ist ja nicht da und dem würde es sicherlich auch das Herz zerreißen, Lena für eine Verabredung mit einem anderen Mann Mut zu zusprechen), sondern auch endlich mal wieder seine weiche Seite zeigt. Und irgendwie sind mit diese Geschwisterszenen in der letzten Zeit zu kurz gekommen, deshalb gab es hier die geballte Ladung – aber im nächsten Kapitel ist Per dann auch endlich da, er ist ja nun schon die Auffahrt hoch gefahren…;)
 

Wie gesagt, es würde mich wie immer sehr interessieren, was ihr von diesem Kapitel haltet und welche Gedanken euch so beim Lesen durch den Kopf gegangen sind, Tut euch also keinen Zwang an und haut in die Tasten!
 

* Diesen Text habe ich irgendwo mal gelesen und als ich dieses Kapitel geschrieben habe, ist er mir wieder in den Sinn gekommen, so dass ich meine grauen Zellen angestrengt habe, ihn noch einigermaßen zusammen zu bekommen. Es kann durchaus sein, dass etwas fehlt oder dass ich etwas dazu gedichtet habe, was eigentlich gar nicht darin vorkommt, aber das passiert halt, wenn man sich solche Sprüche nicht sofort aufschreibt.

Lena und Christian

Ich bleibe an dieser Stelle standhaft: Keine der in meiner Story vorkommenden Personen gehört mir und alles, was hier zu lesen ist, ist definitiv frei erfunden und entspricht zu keinem Zeitpunkt der Wahrheit.
 

Vielen Dank an Sunny für den Kommentar.
 

Beruhigend strich Torsten Lena über den Rücken. Am liebsten hätte er seine Schwester für den Rest des Abends im Arm gehalten und sie nie wieder losgelassen, doch er wusste, dass das nicht ging – das es nicht richtig gewesen wäre. Nicht richtig und eben auch nicht gut. Sein kleines Mädchen war mittlerweile alt genug um selbst Entscheidungen zu treffen und sie hatte sich für eine Verabredung mit Per entschieden – seinen Mannschaftskameraden und Freund, den er sehr schätzte und von dem er wusste, dass er sie gut behandeln würde. Trotzdem machte Torsten sich einfach Sorgen um Lena, obgleich er wusste, dass es dafür keinen rationalen Grund gab.
 

„Versprichst du mir was, Kleines?“, fragte Torsten seine kleine Schwester und lockerte seine Umarmung, so dass sich die Geschwister in die Augen schauen konnten.
 

„Alles was du willst, Großer“, antwortete Lena und lächelte. Was auch immer ihr Bruder auf dem Herzen hatte, sie würde nach Kräften versuchen ihm seinen Wunsch zu erfüllen – das war sie ihm schuldig nach all dem, was er für sie getan hatte. Und sie wollte es auch gerne tun, weil die Psychologin wusste, dass Torsten es genauso bei ihr machen würde – oder es schon mehrfach getan hatte, wenn man es so sah.
 

„Pass heute Abend auf dich auf und denk nicht zu viel nach. Damit zerstörst du nämlich die schönsten Momente, Kleines“, riet Torsten ihr und Lena konnte gar nicht glauben, dass ihr Bruder sie wirklich mit seinen besten Wünschen ziehen ließ. Es kam ihr so unwirklich vor und erst als Torsten sie synchron zur Türklingel losließ, wurde Lena so richtig bewusst, dass sie den Segen ihres Bruders hatte, diesen Abend in vollen Zügen und ohne schlechtes Gewissen zu genießen – nicht, dass sie die Erlaubnis gebraucht hätte, aber es war um so schöner, wo sie sie nun hatte.
 

Beschwingt und mit einem glückseligen Lächeln im Gesicht lief Lena zur Tür, um Per herein zu lassen. Der stand vor der Tür und inspizierte nervös seine Fußspitzen, so dass er gar nicht bemerkte, wie Lena die Tür öffnete und ihn verstohlen von oben bis unten musterte. Die Wahl-Spanierin fand, dass der lange Innenverteidiger in seiner Kombination aus lässig-sportlicher Jeans und elegantem Hemd mit schwarzem Jackett wirklich toll aussah und seine leicht verstrubbelten Haare ihm einen leichten Touch Verwegenheit verliehen, der sicherlich reihenweise Frauenherzen höher schlagen lassen würde. Um jedoch nicht noch länger schweigend vor ihm zu stehen, räusperte Lena sich kurz und murmelte dann halblaut:
 

„Hallo Per.“
 

Überrascht schaute der Innenverteidiger in Bremer Diensten auf und errötete sofort, als er bemerkte, dass Lena ihm bereits die Tür aufgemacht hatte – und ihn scheinbar auch eingehend gemustert hatte. Er war so in Gedanken an die bevorstehende Verabredung vertieft gewesen, dass er es gar nicht bemerkt hatte – und das war Per sichtbar peinlich. Er wollte ja schließlich, dass Lena ihn als einen überaus aufmerksamen Mann sah und nicht als einen vollkommen verpeilten Kerl.
 

„Hey Lena“, grüßte Per unsicher zurück und fuhr sich unwillkürlich durch die Haare, weil er so nervös war und ihm nichts geistreiches oder charmantes einfallen wollte, was er ihr zur Begrüßung sagen konnte. Natürlich wusste er, dass er so garantiert nicht so locker und weltgewandt wirkte wie ihre Freunde aus Barcelona, aber er konnte sich einfach nicht helfen. Jedes Mal, wenn sie so vor ihm stand und ihm dieses Lächeln schenkte, schienen alle Gedanken und Pläne aus seinem Kopf zu verschwinden und er brachte selbst nur ein, wie er fand, debiles Grinsen zustande.
 

„Du siehst gut aus“, merkte Lena an und mit einem Mal fühlte sich Per noch dämlicher als sowieso schon: Warum war es ihm nicht eingefallen, ihr ein Kompliment zu ihrem Aussehen zu machen?! Das war doch an sich das Einfachste und Selbstverständlichste von der Welt, wenn man mit einer Frau zum Abendessen verabredet war. So machten das Männer normalerweise und es war garantiert nur in seinem Fall umgekehrt und das auch nur, weil er so ein Stoffel war.
 

„Danke. Du aber auch“, brachte Per schließlich doch noch nach einem Moment schweigen heraus und selbst in seinen Ohren hörte es sich nicht unbedingt wie ein besonders tolles Kompliment an – eher wie einer dieser gezwungenen Sätze, die man der Tante Tilly aus Timbuktu sagte, wenn sie mal wieder zu einem ihrer seltenen Besuche kam.
 

Am liebsten hätte Per seinen Kopf vor die nächste Wand gerammt, damit er keinen Schaden mehr anrichten konnte, doch dann hätte Lena ihn vermutlich für vollkommen verrückt gehalten, so dass er diesen Gedanken lieber wieder verwarf. Wenn der Abend weiter so verlief, würde er bestimmt noch mehrfach Gelegenheit bekommen, diesen Plan in die Tat umzusetzen, dessen war Per sich sicher. Oder er sollte es einfach den „Lutscher“ machen lassen, dann ersparte er sich wenigstens Clemens’ Lachanfälle, wenn er ihm erzählen würde, wie er sich bei seinem Date mit Lena angestellt hatte.
 

„Hast du noch einen Moment, Per? Dann kann ich mich noch von Lisa, Lena und Christian verabschieden und ihnen eine gute Nacht wünschen, ich werde sie ja wohl vorm Schlafengehen nicht mehr sehen.“
 

Es war Lena ein bisschen unangenehm, den Innenverteidiger warten lassen zu müssen, denn normalerweise war sie keine Frau, auf der die Männer ewig warten mussten, da sie selbst Unpünktlichkeit verabscheute, aber durch das Gespräch mit ihrem Patenkind, war sie einfach nicht mehr rechtzeitig fertig geworden. Dann noch ihre Unterhaltung mit Torsten und schon war sie zeitlich in Verzug. Aber sie wollte die drei auch nicht einfach so ohne ihren Gute-Nacht-Kuss ins Bett gehen lassen, nur weil sie eine Verabredung hatte. Außerdem würde Per es ihr nicht Übel nehmen, ganz bestimmt nicht, sie hatte ihn in den letzten Wochen immer als Kinderfreund kennen gelernt und die paar Minuten waren sicherlich kein Weltuntergang.
 

„Natürlich, kein Problem“, antwortete Per da auch schon und freute sich insgeheim, dass der liebe Gott oder wer auch immer ihre Fäden lenkte, ihm noch ein paar Minuten Aufschub gewährt hatte, bis er allein mit Lena im Auto saß. So hatte er noch ein bisschen Zeit, sich wieder zu fangen und sich vielleicht ein paar mögliche Themen zu überlegen, über die er sich mit Lena unterhalten konnte – das hatte er zwar auch schon heute Nachmittag gemacht, aber was davon hängen geblieben war, hatte man ja schon an ihrer Begrüßung gesehen, die eigentlich ganz anders geplant war. Eigentlich hatte der Verteidiger Lena in den Arm nehmen und ihr ein kleines Küsschen auf die Wange geben wollen, aber nichts dergleichen hatte er auf die Reihe bekommen. Verdammte Nervosität!
 

Lena betrat gefolgt von Per das Wohnzimmer und war überrascht, dass Lisa, Lena und Christian bereits dort standen und auf sie zu warten schienen. Die beiden Mädchen grinsten fröhlich, als sie Per und Lena zusammen den Raum betreten sahen, Christian verzog jedoch nur missmutig die Lippen.
 

„So meine drei, ich wollte euch schon mal eine gute Nacht wünschen. Schlaft gut und träumt was Schönes.“
 

Als wäre es eine Selbstverständlichkeit, kniete Lena sich hin, nahm ihre beiden Nichten in den Arm, drückte sie einmal kurz an sich und gab ihnen ein Küsschen auf die Stirn, was die beiden mit einem Schmatzer auf Lenas Wangen beantworteten. Als die Psychologin sich zu Christian umwandte und ihn ebenfalls in den Arm nehmen wollte, ging der einen Schritt zurück und fragte trotzig:
 

„Lena, wo willst du hin?“
 

„Ich gehe mit Per Essen“, erklärte Lena Paolos Sohn und hoffte, dass damit die Angelegenheit geklärt wäre. Sonst hatte Christian ja auch nie nachgefragt, wohin seine Eltern gegangen waren, wenn er mal wieder mit seinem Bruder Daniel allein bei Lena geblieben war. Eher im Gegenteil, er hatte sich häufig gefreut, wenn er einen Abend allein mit Lena verbringen durfte und er ihre Aufmerksamkeit mit niemandem weiter teilen musste. Zumindest hatte es auf die Psychologin immer so gewirkt.
 

„Nein“, beharrte der Italiener stur und stampfte wütend mit dem Fuß auf. Dabei verschränkte er die Arme vor der Brust und versuchte so streng auszusehen wie nur möglich. Irgendwie erinnerte Lena diese Pose an seinen Opa Cesar, der oft ähnlich aufgetreten war, wenn er den Jungs etwas verboten hatte.
 

„Christian, was soll das?“, wollte die Psychologin von ihrem Schützling wissen, der immer noch wild entschlossen die Arme vor seiner kleiner Brust gekreuzt hatte und sie nicht aus den Augen ließ.
 

„Du gehst nicht weg. Du bleibst hier bei mir“, sagte der 12-Jährige entschieden und schaute Per herausfordern an, so als sei nicht Lena sein Diskussionspartner, sondern der lange Innenverteidiger. Der stand jedoch nur ziemlich hilflos und perplex daneben und wäre nie auf die Idee gekommen, sich in das Gespräch der beiden einzumischen.
 

„Christian, jetzt mach’ mir hier bitte keine Szene, natürlich werde ich jetzt mit Per Essen gehen“, versuchte Lena Christian noch einmal deutlich zu machen, dass dieses ganze Theater nichts brachte, doch der Sohn des italienischen Abwehrspielers ließ sich nicht beirren und schüttelte nur erneut bockig den Kopf.
 

„Nein“, beharrte der quirlige Junge und schaute den 1,98m-Mann weiter herausfordernd an. Aus irgendwelchen Gründen, überlegte Per, konnte ich Christian wohl nicht leiden. Dabei hatten sie sich beim Training an sich noch ganz gut verstanden und der Junge war begeistert gewesen, gegen ihn spielen zu können und hatte ihn mit all den Tricks von seinem Vater auszutricksen versucht. Aber nun wehrte er sich mit Händen und Füßen dagegen, dass Lena und er weggingen. Irgendwie imponierte Per Christians Entschlossenheit ja und er wünschte sich, in manchen Beziehungen doch ebenso entschlossen und willensstark zu sein wie dieser kleine Junge vor ihm, aber in dieser Situation fand er es dann doch nicht so wunderbar.
 

„Christian Maldini, es reicht. Was ist denn los mit dir? Du verhältst dich wie einbockiges Kind und nicht wie ein großer Junge.“
 

Noch eine Schelte, die an Christian einfach so vorüberging. Normalerweise hatte Lena den Jungen früher spätestens mit dieser Aussage dazu bekommen, sich wieder normal zu benehmen, doch dieses Mal zuckte er nur mit den Schultern und schaute sie weiterhin entschlossen an.
 

„Das ist mir egal. Bleib hier. Bitte.“
 

Hatte Christians Stimme zuerst noch genauso trotzig und bockig geklungen wie vorher, so war sie mit jedem weiteren Wort und jeder von Lenas Bewegungen, die sich langsam wieder aufgerichtet und sich Per zugewandt hatte, unsicherer und leiser geworden. Jetzt streckte der Junge seine Hand nach Lena aus und hielt deren Hand fest umklammert.
 

„Christian, ich komme doch wieder, in ein paar Stunden bin ich schon wieder da und morgen früh frühstücken wir zusammen. Alles wie immer“, versuchte Lena dem Zwölfjährigen zu erklären und sich aus seinem Griff zu lösen, doch der Junge hatte mehr Kraft, als Lena erwatet hatte.
 

„Du hast schon gesagt, dass sich nichts ändern wird, aber da hast du auch gelogen. Wieso solltest du jetzt nicht wieder lügen? Als du das letzte Mal mit einem Mann weg warst, bist du erst immer wieder mit ihm weg und zum Schluss weinend nach Hause gekommen. Papa konnte dich nicht trösten und Daniel und ich auch nicht. Du hast nur noch geweint und dann bist du fort gegangen.“
 

Christian hatte sich richtig in Rage geredet und klammerte sich an die junge Psychologin. Der dämmerte es langsam, wovon der Junge sprach und warum er unbedingt verhindern wollte, dass sie mit Per Essen ging. So unterschiedlich die Situationen auch waren, für Christian schien diese hier der von damals zu ähneln und der Junge hatte einfach Angst und machte sich Sorgen. Er benahm sich nicht ohne Grund so schlecht, sondern nur, weil er sich nicht anders zu helfen wusste – weil er nicht genau wusste, wie ihr sonst anders helfen sollte. Und genau das besänftigte Lena und ließ ihre Wut und Genervtheit über Christians Verhalten ins Nichts verschwinden. Sie hatte ja nicht einmal ansatzweise geahnt, wie viel Christian von der ganzen Angelegenheit mitbekommen hatte – und wie schwer es ihn getroffen hatte, dass sie Mailand verlassen hatte. Sicher, Paolo hatte ihr in ihren Telefonaten erzählt, dass die Jungs sie vermissen würden und auch Christian hatte sie jedes Mal aufs Neue angefleht, wieder nach hause zu kommen, aber das es so tiefe Wunden hinterlassen hatte – damit hatte sie nicht im Traum gerechnet.
 

„Ich hasse ihn und ich hasse dich. Ihr tut meiner Lena nur weh und macht sie traurig, lasst sie in Ruhe“, schrie Christian nun außer sich, so als hätten seine ersten Worte den unsichtbaren Damm gelöst, der seine Gefühle noch zurückgehalten hatte. Jetzt wollte er auf Per losgehen und ihn so endgültig vertreiben, als Lena ihn abfing und fest in den Arm nahm. Sie drückte ihn an sich und wollte ihn am liebsten gar nicht mehr loslassen, als Christian ihr etwas ins Ohr flüsterte:
 

„Du sollst nicht immer weinen müssen. Und du sollst wieder nach Hause kommen. Wenn ich groß bin, dann heirate ich dich und dann wirst du nie wieder traurig sein müssen, das verspreche ich dir.“
 

To be continued
 

Das hier war jetzt erstmal die vorletzte Dosis Torsten, die ihr voraussichtlich demnächst bekommen werdet, deshalb habe ich es noch mal versucht so schön wie möglich zu machen – und mir gefallen die Geschwister zusammen richtig gut, vor allem, wenn Torsten sich auch mal tatsächlich wie ein erwachsener, großer Bruder verhält. Oder fandet ihr seine Mahnung, dass Lena auf sich aufpassen soll, etwa zu viel oder gar absolut unnötig?

Per und Lena Klappe die erste, würde ich da mal sagen. Der Anfang ist zumindest mal aus Pers Sicht ziemlich schlecht verlaufen, aber vielleicht fängt sich der Innenverteidiger ja noch und weiß dann am Ende wieder, worüber er mit Lena sprechen wollte. Irgendwie benimmt sich Per ja ein bisschen wie bei einem Vorstellungsgespräch… Fandet ihr diese Unsicherheit und Nervosität eigentlich süß oder eher ziemlich uncharakteristisch und nervend?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe natürlich, dass euch der Wortwechsel zwischen den beiden gefallen hat. Diesmal sind sie sich ja nicht gleich an die Gurgel gegangen, sondern haben erst wie (fast) zivilisierte Menschen miteinander gesprochen. Und dann ging es mal wieder in typischer Wiese-Frings-Manier los.
Sonst bin ich natürlich wie immer gespannt darauf, was ihr zu diesem Kapitel zu sagen habt und würde mich über Rückmeldung selbstverständlich sehr freuen. Komplett anzeigen

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Von:  sunny12
2014-09-13T08:13:17+00:00 13.09.2014 10:13
Guten Morgen :)
Das war ein sehr schönes Kapitel. Es ist dir sehr gut gelungen, das Gespräch zwischen Lena und Torsten zu beschreiben und man konnte sich gut vorstellen, was da gerade in den beiden vorgeht. Es ist auch nachvollziehbar, dass Torsten sich als großer Bruder so viele Gedanken um seine kleine Schwester macht. Schließlich hatten bzw. haben die beiden eine sehr enge Beziehung zueinander (wenn ich aus den vorherigen Kapiteln noch alles richtig in Erinnerung habe). Da darf er sich dann schon mal Sorgen machen. Aber er meint es ja auch nur gut mit ihr. Und sie versichert ihm ja auch nochmal, dass bei ihm auch immer ein Zuhause sein wird :) Die Stelle fand ich übrigens total schön.
Ich find es auch gut, dass Torsten Lena nochmal Mut zuspricht. Manchmal braucht man sowas einfach :) Vor allem wenn man, wie Lena, ein angekratztes Selbstbewusstsein hat. Aber für sowas hat man ja auch Familie und Freunde.
Jetzt freu ich mich auch schon auf das nächste Kapitel, wenn Per endlich seinen Auftritt hat. Mal sehen, was er zu Lena sagt :) Er ist bestimmt hin und weg und weiß gar nicht, was er sagen soll.
Ich bin schon gespannt, wie es weitergeht und warte auf das nächste Kapitel ;)
GLG sunny12
Von:  sunny12
2014-08-11T10:53:55+00:00 11.08.2014 12:53
Hey!
Das Kapitel ist dir wieder echt gut gelungen.
Lena und Per sind zusammen einfach unglaublich süß und man kann es kaum erwarten, wieder etwas über die beiden zu lesen.
Die Vorbereitungen für das Date mit Per können wirklich ganz genau so aus dem alltäglichen Leben stammen. Und es ist ein witziger Zufall, dass Lena jetzt tatsächlich die Unterwäsche anzieht, die sie auf Empfehlung von Clemens gekauft hat :D So hatte er sich das vermutlich absolut nicht vorgestellt ;)
Die Unterhaltung zwischen Petra und ihrer Jüngsten kommt mir auch sehr bekannt vor. Da hast du, denke ich, auf jeden Fall recht, dass diese Unterhaltung von jedem schon einmal geführt worden ist ;)
Die Frage "Wann ist man endlich erwachsen?" haben evtl auch schon einige gestellt, aber letztendlich ist es doch besser, seine Kindheit so lange wie möglich zu genießen anstatt sich so jung schon Gedanken über das Leben der Erwachsenen zu machen :)

Jetzt bin ich erstmal wieder gespannt, wie es weitergeht und wie das Date von Per und Lena abläuft bzw. ausgeht. Hauptsache Per ist am Anfang schonmal pünktlich und lässt Lena nicht warten ;)
GLG und bis zum nächste Kapitel,
sunny12
Von:  sunny12
2014-04-23T14:21:51+00:00 23.04.2014 16:21
Und schon gehts weiter :D
Es ist überhaupt nicht schlimm, dass du erst mit Torsten weitergemacht hast. Es hätte mich sowieso brennend interessiert, was er von dem Ganzen hält. Und ich bin stolz auf ihn, dass er so ruhig geblieben und Per nicht an die Gurgel gegangen ist :)
Achja... Die vier schaulustigen "Waschweiber" (ich leih mir mal kurz eine Formulierung von dir) waren einfach herrlich. Ich hab mich gekringelt vor Lachen. Vor allem als Diego mit seiner Privataffäre angefangen hat. Hach, was konnt man da doch schön lachen :D
Es war wirklich ein sehr humorvolles Kapitel und man hat gemerkt, wie viel Torsten am Wohl seiner Schwester liegt und wie groß sein Vertrauen in Per ist.
Ich weiß auch gar nicht, was ich noch weiter dazu sagen soll. Es war ein klasse Kapitel, das man wieder sehr gut lesen konnte. Die Charaktere und ihre Handlungen hast du super dargestellt und es war auf jeden Fall richtig, dass du das noch dazwischengeschoben hast. Im ersten Moment war ich zwar etwas enttäuscht, dass es nicht gleich mit Lena und Per weitergeht, aber vermutlich hätte zum Schluss was gefehlt, wenn du dieses Kapitel weggelassen hättest.

Dann freu ich mich jetzt auf das nächste Kapitel und bin schon sehr gespannt, wie es weitergehen wird :)
GLG sunny12
Von:  sunny12
2014-04-23T14:05:27+00:00 23.04.2014 16:05
Hey!
Es tut mir unglaublich leid, dass ich erst jetzt was schreibe (ich werd auch gleich beim nächsten Kapi weitermachen ;) ), aber irgendwie hab ich total verpennt, dass da was neues gekommen ist...
Aber es war ein tolles Kapitel. Für meinen Geschmack war es überhaupt nicht zu kitschig, aber manchmal mag ich es auch etwas kitschiger ;) Beide haben für ihre Situation die richtigen Worte gefunden und ich hab nur gedacht "Endlich haben sie es geschafft, ich freu mich so!". Und dann kam Lenas zurückweisendere Art wieder und ich hab mich genauso gefühlt wie der liebe Per. Er tat mir in dem Moment so leid :( Aber sie haben sich ja wieder gefangen und er konnte sie doch noch davon überzeugen, dass sie das irgendwie schaffen.
Und die Idee mit dem Date und dass du Lenas überfürsorglichen Bruder noch mit reingenommen hast, war soooo süß. Ich freu mich schon darauf.
Und die Lena hat es verdient, dass da mal jemand wie Per kommt und ihr zeigt, dass es doch noch was schönes gibt und nicht alles an der Liebe nur schlecht ist.

So, jetzt aber erstmal wieder genug, schließlich wartet noch das nächste Kapitel auf mich, worauf ich schon sehr gespannt bin ;)
GLG sunny12
Von:  sunny12
2014-03-20T14:07:33+00:00 20.03.2014 15:07
Hey!
Ich finds super, dass das neue Kapitel so schnell hinterher gekommen ist :)
Es war auch nicht schlimm, dass es etwas tiefsinniger gewesen ist. Das passte richtig gut zu den beiden.
Weh tut es eigentlich immer, zumindest ist das meine Erfahrung ;) Aber es ist, denke ich mal, auch irgendwo Voraussetzung ist, dass es nicht nur eine oberflächliche Beziehung gewesen ist. Ansonsten gibt es ja eigentlich nichts, das diesen Schmerz auslösen kann. Ob das Vorangegangene den Schmerz allerdings wert ist, darüber lässt sich vermutlich streiten, da halte ich mich erstmal zurück ;) Letztendlich muss das doch jeder selbst entscheiden. Und leicht ist es wirklich nie...
Ich finde, die letzten Sätze sind dir wirklich gut gelungen. Eine Beziehung wie im Märchen wäre dann doch langweilig ;)
Ich freu mich auf das nächste Kapitel :)
GLG sunny
Von:  sunny12
2014-03-19T16:14:14+00:00 19.03.2014 17:14
Hey!
Schön, dass es nochmal weitergeht :)
Kinder können sich anscheinend immer problemlos verständigen. Aber das ist auch das schöne daran. Und ich finds gut, dass die drei sich so gut verstehen.
Lenas Ermahnung an Christian war echt süß, vor allem bei seiner Reaktion. Mich hätte ja interessiert, was passiert wäre, wenn er doch einen Ball in die Finger bekommen hätte :D
Natürlich können sich Lena und Tim nicht normal unterhalten. Das wäre ja auch zu einfach und langweilig ;) Außerdem hat Lena recht, er sollte nicht unbedingt in die Angelegenheiten und Per und ihr einmischen. Manchmal ist das nicht unbedingt von Vorteil... Aber zum Glück ist Torsten ja dazwischengegangen.
Jetzt lass ich mich mal überraschen, wie es weitergeht. Vor allem interessiert es mich, wie es mit Lena und Per weitergeht. Theoretisch hätten sie doch jetzt die perfekte Möglichkeit, sich mal zu unterhalten, wenn sie schon beide beim Training sind.
GLG sunny12
Von:  sunny12
2013-05-23T08:03:07+00:00 23.05.2013 10:03
Hey!
Tut mir leid, dass ich erst jetzt das Kapitel kommentiere.
Aber wie jedes andere auch, hat es mir wieder sehr gut gefallen. Man konnte sich sehr gut in Lena hineinversetzen und nachvollziehen, dass sie sich sehr über Christians Besuch gefreut hat. Der Kleine scheint aber auch echt süß zu sein. Erst ist ein ganz selbstbewusst, wenn er vor Lenas Bruder steht und sobald dessen Töchter kommen ist er ganz kleinlaut. Das ist total süß :)
Ich finde es auch gut, dass Torsten Christian mit zum Training nehmen will, auch wenn es Lena nicht so recht passt. Aber irgendwann muss sie sich da ja mal wieder zeigen. Also ist es vielleicht gar nicht so falsch, was ihr Bruder da macht. Und sie ist ja nicht unbedingt verpflichtet, mit den beiden mitzugehen. Für Christian ist es nur besser, weil er ja nur sie kennt.
Ich weiß nicht, wen ich da jetzt genau erwartet hätte. Wahrscheinlich einen von den anderen Fußballern, mit denen Lena zu tun hat. Aber mit dem Kleinen hab ich überhaupt nicht gerechnet.
Auf jeden Fall bin ich gespannt, wie es im nächsten Kapitel weitergeht und was beim Besuch des Trainings alles passiert. Bestimmt stellt Christian da einiges auf den Kopf :)
LG sunny12
Von:  sunny12
2013-03-05T13:34:03+00:00 05.03.2013 14:34
Hey :)
Es ist zwar mein typischer Anfang, aber egal ;) Ich fand es wieder super. Das "Gespräch" zwischen Lena und der Mailbox war echt gut. Es wäre wahrscheinlich keinem leicht gefallen, das zu schreiben. Aber ich denke mal, dass dadurch auch wiedergespiegelt wird, dass es auch nicht einfach ist, in der Wirklichkeit solch ein Gespräch zu führen. Es ist aber gut, dass Lena das jetzt erledigt hat. Und die Kette wird sie auch abnehmen können, sobald sie bereit dazu ist.
Und die Situation, als Thorsten die Unterhaltung mit Per begonnen hat war auch witzig :D Ich hab aber auch zuerst mit sowas gerechnet, was er erwartet hat. Aber es ist sehr löblich, wie Sir beide damit umgehen ;)
Hm, mal sehen, wie Lena jetzt weitermacht. Sir sagte ja, dass sie nun wieder anfangen wolle zu leben UND zu lieben. Vielleicht meldet sie sich ja wieder bei Per oder es kommt etwas völlig unerwartetes. Ich lass mich einfach überraschen und schau mal, wie es demnächst weitergeht ;)

LG sunny12
Von:  sunny12
2013-01-13T13:36:38+00:00 13.01.2013 14:36
So, und schon gehts weiter :)

Besonders gut hat mir am Schluss der Vergleich mit dem roten Faden gefallen. Das ist dir wirklich gut gelungen. Aber auch sonst ist das Kapitel wieder sehr gut geworden. Und wahrscheinlich hat Lena mal jemanden wie Per gebraucht, der sie wachrüttelt und es ihr möglich macht, sich wieder anderen Leuten, vor allem denen, die ihr nahestehen, zu öffnen. Aber ich denke nicht, dass er damit gerechnet hat, dass seine Unterhaltung mit Lena schon solche Auswirkungen auf sie haben könnte. Hat vielleicht keiner von beiden.
Und die Unterhaltung mit Petra und den Schubs, den Lena von ihre bekommen hat, hat sie wahrscheinlich auch gebraucht, da sie dadurch immer weiter aus ihrem Schneckenhaus geholt wird und auch merkt, dass da immernoch Leute sind, die ihr beistehen und helfen, schwierige Lebensabschnitte zu überstehen. Und das ist für jemanden in Lenas Situation, könnte ich mir zumindest vorstellen, das wichtigste.
So und jetzt zuletzt noch zu deiner Frage, bei wem sie sich wohl zuerst entschuldigt: Entweder ruft sie Leo an, um ihm zu erklären, weshalb sie so plötzlich aus Barcelona verschwunden ist. Oder aber Lena entschuldigt sich bei ihrem Bruder, weil sie ihm so lange alles verheimlicht hat, auch wenn es ihr bei ihm evtl am schwersten fallen dürfte, da er immer hinter ihr stand und sie unterstützt hat. Und jetzt muss sie ihm all das erklären, was in den letzten Jahren passiert ist.
Ich werd mich einfach überraschen lassen, wie es weitergeht ;)
LG sunny12
Von:  sunny12
2013-01-13T13:15:58+00:00 13.01.2013 14:15
Hey!
Erstmal wünsche ich dir auch noch ein frohes neues Jahr ;)

Und da schon das nächste Kapitel wartet, werd ich hier einen etwas kürzeren Kommentar schreiben.
Also das Kapitel ist dir wieder sehr gut gelungen und ich finde es gut, dass Per jetzt darauf warten will, dass Lena von sich aus auf ihn zukommt und er nicht einfach nur als Trostpflaster dienen will. Da ist schon gut so.
Auch Petras Reaktion ist gut. Schön, dass sie Lena anbietet erstmal den Platz der fehlenden besten Freundin einzunehmen. Vielleicht werden sie dann ja wieder so gute Freundinnen wie früher. Und über das, was sie über Fehler gesagt hat, sollte Lena wirklich mal nachdenken, aber ich werd mich mal überraschen lassen, wie es gleich weitergeht ;)

LG sunny12


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