Zum Inhalt der Seite

Code Geass: Messing with Time

Und weil es so schön war, gleich noch mal...
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Das angenommene Angebot

Das Leben ist ein kaltherziges Ding, das jenseits von Gut und Böse liegt und es dennoch vermag, innerhalb weniger Herzschläge entweder mehr Existenzen zu retten oder auszulöschen als alles andere auf dieser Welt - je nachdem, welcher Laune es gerade ist. Es ist ein gefühlloses Etwas, das dazu neigt, mit einer trügerischen Mildtätigkeit auf uns herabzulächeln, uns in eine warme Umarmung zu schließen und tröstende Worte in unser Ohr zu flüstern, nur um uns im nächsten Moment eine eisige Stahlklinge in den Rücken zu rammen und sie in unseren Eingeweiden dann noch einmal herumzudrehen, nur um sicherzugehen, dass wir auch ja nicht so einfach davonkommen.

Lelouch Lamperouge starrte auf das, was von dem einstmals stolzen Japan übriggeblieben war, und erinnerte sich zum ersten Mal in mehr als zwei Jahren dieser Tatsache, derer er sich einst bei jedem Schritt und jedem Atemzug bewusst gewesen war.

Tod und Verwüstung, genau wie damals.

Vielleicht war das das wahre Gesicht der Welt – ihr unausweichliches Schicksal, das auch durch den größten Strategen und den tapfersten Ritter unmöglich bezwungen werden konnte.
 

Ein Kichern entrang sich Lelouchs Kehle; zunächst kaum hörbar, doch es dauerte nicht lange, bis es zu einem Lachen angeschwollen war, das der Wind bis in die letzten Winkel der Einöde trug, von der er umgeben war, und das selbst dem tapfersten Krieger das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen.

Es war absurd. Vollkommen lächerlich.

Nach allem, was sie getan hatten, um die endlose Kette von Krieg und Hass zu durchbrechen. Nach allem, was sie getan hatten, um die Welt in einen Ort zu verwandeln, an dem niemand in Angst und Schrecken leben musste, sondern zumindest eine Chance darauf hatte, glücklich zu sein.

Nach all dem Blut, das sie vergossen hatten, um ihr Ziel zu erreichen.

Niemals war es ihnen in den Sinn gekommen, dass es noch verlassene Forschungslabore aus längst vergangenen Zeiten irgendwo unter der Erde geben könnte, die eines Tages beschließen würden, einfach in die Luft zu gehen und einen halben Kontinent mit sich ins Verderben zu reißen.

Lelouch lachte so herzhaft, dass ihm die Tränen kamen.

„Lelouch?“

Er nahm sich zusammen und drehte sich zu der Frau um, die hinter ihm stand. In ihrer Stimme lag ein besorgter Unterton, der nicht zu ihr passte, und Lelouch öffnete den Mund, um ihr zu versichern, dass alles bestens war – dass er nicht kurz davor war, einen Nervenzusammenbruch zu erleiden, sondern diese grausame Ironie nur unglaublich komisch fand. Doch anstelle der Antwort, die er zu geben beabsichtigt hatte, verließ nur ein weiteres Kichern seine Lippen.

Abermals lachte er. Lachte so heftig, dass er sich die schmerzenden Seiten halten musste; so lange, bis er keine Luft mehr bekam. Und er scherte sich nicht darum, dass er trotz allem, was er in seinem verhältnismäßig kurzen Leben schon gesehen und getan hatte, niemals so wahnsinnig gewirkt haben musste wie in diesem Augenblick.

Dieser Gedanke rief eine erneute Welle von Belustigung in ihm hervor, und es kam ihm vor wie eine halbe Ewigkeit, bis der dadurch ausgelöste Kicheranfall schließlich wieder zu verebben begann. Wenige Minuten und unzählige Versuche später gelang es ihm dann endlich, Worte zu formen, ohne dass ihm ein Glucksen dabei entwich.

„Es geht mir gut“, sagte er, aber es kostete ihn so viel Mühe, als hätte jemand versucht, seine Stimmbänder mit einer heißen Klinge zu durchtrennen und es sich dann im letzten Moment anders überlegt. Selbst in seinen eigenen Ohren hörte seine Stimme sich erstickt und gebrochen an. Er hob die Hand an die Wange und merkte, dass er noch immer weinte.

Inzwischen hatten die unnatürlich gelben Augen seines Gegenübers einen warmen Ausdruck angenommen, den Lelouch in den letzten Jahren schon oft gesehen hatte, der ihn aber trotzdem jedes Mal aufs Neue verblüffte. Überrascht erkannte er, dass er das Mitleid in C.C.s Blick nicht ertragen konnte, und wandte sich ab.

O Gott, schoss es ihm durch den Kopf, während er ohne es zu merken auf die Knie fiel. Die Tränen, die ihm so erfolgreich die Kehle zugeschnürt hatten, kamen nun nicht länger unbemerkt und lautlos, und er schloss die Augen. O Gott, Suzaku, es tut mir leid. Er dachte an Nanali und Kallen und alle, die schon vor dieser Katastrophe entweder direkt oder indirekt für das Zero Requiem gestorben waren. So leid.

Aber Entschuldigungen, das wusste Lelouch, würden nichts ändern. Genauso wenig, wie seine Reue die Stadt um ihn herum wieder aufbauen würde, würde sie Milly oder Rivalz oder die chinesische Kronprinzessin zurückbringen.

Er hatte versagt, und dieses Mal gab es nichts, was er tun könnte, um seinen Fehler wieder gutzumachen.

Dieses Mal war sein Versagen endgültig, absolut, unverzeihlich.

Auf Händen und Knien hockte er auf dem staubigen Sandboden, schluchzend, den Kopf gesenkt, und fragte sich, wie er eine ganze Ewigkeit mit diesen Empfindungen überstehen sollte, hatte er doch noch nicht einmal eine Ahnung davon, wie er die nächsten Tage und Wochen hinter sich zu bringen gedachte. Er war sich sicher, dass es einzig und allein seine Unsterblichkeit war, die Trauer, Verzweiflung und Schuldgefühle daran hinderte, ihn noch an Ort und Stelle zu verschlingen.

Lelouch wusste nicht, wie lange er dort umgeben von Wüste und Ruinen sitzen blieb, abwechselnd lachte und weinte und sich darüber wunderte, dass er immer noch so viel Menschlichkeit in sich trug.

Er war der ausgestoßene Prinz, der Dämonenkönig, der die Welt zerstört hatte, um sie zu verändern. Sollte er nicht längst zu abgestumpft sein, um derart stark empfinden zu können? Aber im Grunde war er sich im klaren darüber, dass das nichts weiter als Wunschdenken war. Er war gut darin, so zu tun, als ließe ihn der Tod zahlloser Unschuldiger vollkommen kalt. Verstellung war eine Kunst, die er schon immer beherrscht und in seiner Zeit als Kaiser beinahe bis zur Perfektion gebracht hatte. Wenn es jedoch darum ging, tatsächlich das eigene Herz zu töten, dann gab es kaum jemanden, der schlechter darin war als er. Bei Gott, er hatte es oft genug versucht.

Eine sanfte Berührung an der Schulter riss ihn aus seinen ohnehin sinnlosen Reflexionen. „Lelouch?“

C.C. hatte gewartet, bis er keine Tränen mehr hatte, die er hätte vergießen können, und sowohl zu ausgelaugt als auch zu heiser war, um in einen weiteren hysterischen Lachkrampf zu verfallen. Obwohl er fand, dass es im Grunde einerlei war, wusste Lelouch ihre Geduld zu schätzen. Er war sich ziemlich sicher, dass seine sonst so gebieterische Begleiterin sich nun schon seit mehreren Stunden zurücknahm. In der Tat hatte er ihre Anwesenheit beinahe vergessen gehabt, so schweigsam und reglos hatte sie hinter ihm verharrt.
 

Er sah zu ihr auf und lächelte. Es war ein trauriges, hoffnungsloses Lächeln, das C.C. beinahe das Herz brach.

„Ich hätte es wissen müssen“, sagte Lelouch, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern, obwohl er sich merklich bemühte, laut und mit fester Stimme zu sprechen.

C.C. schüttelte den Kopf. „Du hast alles getan, was man nur von einem Menschen erwarten kann. Und mehr. Das hier“, sie ließ kurz den Blick schweifen, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder voll und ganz auf den am Boden hockenden Jungen richtete, „ist nichts, was du hättest kommen sehen können. Du bist kein Gott.“

„Nein“, stimmte er ihr zu. Er klang noch immer heiser und erneut umspielte ein humorloses Lächeln seine Mundwinkel. „Ich bin Lelouch vi Britannia, der abtrünnige Prinz, der Zero war und das Blut Tausender vergossen hat für das, was du hier siehst.“

„Sie waren glücklich.“

„Sie sind tot.“

„Es ist nicht deine Schuld.“

Lelouch schüttelt den Kopf. „Es spielt keine Rolle mehr, oder?“ Wieder dieses Lächeln. „Es ist vorbei.“

C.C. zögerte, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. „Es muss nicht vorbei sein“, sagte sie in einem hintergründigen Tonfall, den sie über Jahrhunderte hinweg verfeinert hatte, und wartete Lelouchs Reaktion ab.

„Was meinst du?“ Unter anderen Umständen hätte C.C. diese Erwiderung unterhaltsam gefunden – schließlich kam es nicht oft vor, dass der große Lelouch Lamperouge Schwierigkeiten hatte, die Bedeutung eines einzelnen simplen Satzes zu entschlüsseln.

„Wir sind die einzigen verbleibenden Unsterblichen.“ Dass es sonst niemanden wie sie mehr gab, hatte C.C. in dem Augenblick gespürt, in dem Charles di Britannia gestorben war, auch wenn sie erst viel später begriffen hatte, was das bedeutete.

„Was hat das damit zu tun?“ Lelouch wirkte noch immer mitgenommen, aber sie hatte eindeutig seine Aufmerksamkeit erregt. Außer einem eher neugierig als berechnend anmutendem Interesse war auch ein Anflug von Hoffnung aus seiner Stimme herauszuhören. Offenbar ahnte er bereits, in welche Richtung diese Unterhaltung ging, und vielleicht sogar, was C.C. ihm vorzuschlagen gedachte. Oder vielleicht war er auch einfach nur so verzweifelt, dass er hastig nach dem ersten Strohhalm griff, der in seine Reichweite kam.

„Normalerweise“, begann sie sachlichen Tons ihre Erklärung, „haben wir keinen Grund, uns übermäßig in die Angelegenheiten der Sterblichen einzumischen. Würde aber dennoch einer von uns versuchen, den Lauf der Zeit zu beeinflussen, dann würden die anderen ihn aufhalten.“ Sie sah Lelouch abwartend an.

„Du willst mir sagen, dass du durch die Zeit reisen kannst?“

Wir können die Welt in einen Zustand zurückversetzen, in dem sie sich schon einmal befunden hat“, brachte sie es auf den Punkt – sehr wohl wissend, dass das unter diesen Umständen nichts weiter als Erbsenzählerei war. „Allerdings können wir nur einen Moment wählen, mit dem unser Code in direkter Verbindung steht. Da du noch nicht lange unsterblich bist, würdest du nur zu dem Augenblick zurückkehren können, in dem du deine Sterblichkeit verloren hast. Mit meiner Hilfe jedoch…“ Sie sah Lelouch eindringlich an. „Möchtest du eine zweite Chance haben, Lelouch? Möchtest du versuchen, deine Hände von dem Blut reinzuwaschen, von dem du glaubst, dass es noch immer an ihnen klebt?“

Lelouch schloss die Lider und schüttelte den Kopf. „Das Blut, das an meinen Händen klebt, lässt sich längst nicht mehr so einfach fortwaschen.“ Aber dann erhob er sich, und C.C. kannte seine Antwort, noch bevor er die Augen wieder öffnete und ihren forschenden Blick mit jener entschlossenen Intensität erwiderte, von der sie schon befürchtet hatte, dass sie sie nie wieder sehen würde. „Trotzdem würde ich gerne versuchen, einigen der Menschen, deren Leben ich auf meinem Weg zum Zero Requiem zerstört habe, ein Morgen zu geben.“

„Du wirst deine Unsterblichkeit verlieren“, ermahnte C.C. ihn, ohne auch nur für einen Moment daran zu glauben, dass das etwas ändern würde.

Lelouch streckte den Arm aus und lächelte. Dieses Mal war es ein echtes Lächeln, und C.C. konnte nicht anders, als es zu erwidern. „Wirst du an meiner Seite bleiben?“

„Natürlich.“ C.C. ergriff seine Hand. „Wir sind schließlich Komplizen.“

Und die Welt um sie herum verschwand.

Es war das zweite Mal, dass Lelouch Lamperouge eine Welt zerstört hatte, um sie neu zu erschaffen. C.C. hoffte, dass es auch das letzte Mal sein würde.

Der schauspielernde Prinz

Benommen kam Lelouch auf die Beine, die linke Hand an die Schläfe gepresst und mit Kopfschmerzen, wie er sie nur selten zuvor gehabt hatte.

Für einen kurzen schrecklichen Moment lang fragte er sich, ob er seine Unterhaltung mit C.C. nicht vielleicht nur geträumt oder ihre Worte falsch gedeutet hatte, aber dann fiel sein Blick auf das leblose Mädchen, das direkt zu seinen Füßen in einer Blutlache lag, und er wusste, dass er sich weder geirrt noch halluziniert hatte. Er sah auf und war nicht überrascht festzustellen, dass er von einem halben Dutzend uniformierter Männern umgeben war, die mit Ausnahme ihres Anführers allesamt ihre Waffen auf ihn gerichtet hatten und den Eindruck machten, sich ihrer Sache vollkommen sicher zu sein.

Um ein Haar hätte ihr Anblick Lelouch ein Lächeln entlockt - in letzter Sekunde hielt er es jedoch zurück und bemühte sich, nicht allzu vergnügt auszusehen. Es schadete nie, seine Gegner ein wenig zu verwirren, aber sie aus heiterem Himmel vollkommen zu verunsichern, indem man im scheinbaren Angesicht des Todes grinste wie ein Wahnsinniger, war in der Regel keine sonderlich gute Idee. Selbst bei einem so selbstsicheren Haufen wie diesem hier könnte ein solches Verhalten leicht zu Panik und entsprechenden Reaktionen führen.

Lelouch war nicht in der Zeit zurückgereist, um nach nicht einmal einer halbe Minute in der Vergangenheit von einer Horde selbstgerechter Dummköpfe in einen Schweizer Käse verwandelt zu werden.

„Sagt mir“, setzte er also an, bevor die Männer Gelegenheit hatten, sich zu überlegen, ob sie lieber sofort schießen wollten oder erst in ein paar Sekunden, „gibt es so etwas wie Schicksal?“ Natürlich würde eine solche Frage ohne jedweden erkennbaren logischen Zusammenhang ihn auch nicht unbedingt wie die Verkörperung der geistigen Gesundheit wirken lassen, aber zumindest war es unwahrscheinlich, dass sie die Umstehenden übermäßig beunruhigen würde. Menschen neigten nun einmal dazu, recht schnell den Verstand zu verlieren, wenn sie sich mit dem eigenen Tod konfrontiert sahen.

Zwar richtete nun auch der offenkundig ranghöchste der Soldaten seine Waffe auf Lelouch, aber wie erwartet machte er wesentlich eher einen belustigten als verunsicherten Eindruck. „Bist du etwa ein Philosoph?“

Lelouch würdigte diese geringschätzigen Bemerkung keiner Antwort, und als das vollständige Ausbleiben einer Reaktion den Mann sichtlich verblüffte, wusste er, dass das der richtige Zeitpunkt war. „Was ist?“, höhnte er. „Wolltest du nicht schießen?“ Seine Stimme hätte kaum herablassender klingen können, aber in Wahrheit fühlte jedes einzelne Wort sich seltsam auf seiner Zunge an – surreal, so als würde er einen einstudierten Vers aus einem schlechten Theaterstück aufsagen, in dem er vor langer Zeit einmal mitgespielt hatte. „Oder hast du es begriffen?“ Langsam senkte er die Hand, die bis dahin sowohl seine schmerzende Schläfe als auch sein linkes Auge bedeckt hatte. „Dass es nur denjenigen erlaubt ist zu schießen, die auch bereit sind, selbst erschossen zu werden.“

Sein Gegenüber starrte ihn an, nacktes Entsetzen auf den Zügen. „W-was ist das?“, wollte der Mann wissen, und Lelouch brauchte gar nicht erst zu überlegen, wovon er sprach.

Geass.

Er hatte fast vergessen, wie es sich anfühlte, diese Macht zu besitzen. Sie zu nutzen, anstatt so zu tun, als hätte er sie im Augenblick seines vermeintlichen Todes verloren.

Es fühlte sich erschreckend gut an.

Lelouch war sich im Klaren darüber, dass man die Geschichte in erster Linie deshalb kennen sollte, um zu verhindern, dass sie sich wiederholt. Aber manchmal, das beschloss er in diesem Augenblick, in dem die Macht des Geass ihn so sehr berauschte, als hätte er tatsächlich noch nie zuvor Gebrauch von ihr gemacht, ist es nichtsdestotrotz besser, ihr einfach ihren Lauf zu lassen.

Er fixierte die Soldaten, die sich vermutlich nicht einmal vom Anblick seines rotglühenden Auges hätten losreißen können, wenn sie gewusst hätten, mit was sie es da zu tun hatten, und hob gebieterisch den Arm.

„Ich, Lelouch vi Britannia, befehle euch…“ Er sah jedem der Männer einzeln in die Augen, und für einen flüchtigen Moment fragte er sich, ob sie wohl Familie und Freunde hatten, die ihren Tod betrauern würden. Aber dann war der Augenblick vorüber und alle Zweifel, die er bis dahin noch gehabt haben mochte, lösten sich in Luft auf. „Sterbt!“

Die Reaktion erfolgte unmittelbar, nachdem er geendet und das überwältigende Gefühl der Macht ihn verlassen hatte.

Irres Gekicher, das überall um ihn herum ertönte.

Das Klicken von Waffen, die entsichert und an Halsschlagadern gesetzt wurden.

Und dann, schließlich, ein euphorischer Chor von Stimmen: „Yes, your Highness!“

Lelouch hörte, wie ein Dutzend Schüsse nahezu synchron abgefeuert wurden, und sah das Blut, das ihm entgegenspritzte, aber er achtete kaum darauf - selbst dann nicht, als er ein paar Tropfen der warmen Flüssigkeit an seiner Wange spürte.

Die Zeit lief ihm davon, und auch wenn er bereits eine ungefähre Ahnung von dem hatte, was er als nächstes tun würde, konnte sein Vorhaben unmöglich gelingen, wenn er nicht erst gewisse Vorkehrungen traf.

„C.C.?“ Er ging neben der grünhaarigen Frau in die Hocke und nahm vorsichtig ihre Hand in die seine – manchmal fiel es ihm schwer, nicht zu vergessen, dass er es mit einer Unsterblichen zu tun hatte, die selbst in ihrem gegenwärtigen Zustand wohl kaum zerbrechen würde, wenn er sie berührte. Lelouch lächelte über seine eigene Torheit und sah auf das unbewegte Gesicht seiner Komplizin hinab. „Könntest du etwas für mich tun?“

Er war sich beinahe sicher, dass die Graue Hexe ihn trotz äußeren Anscheins hören konnte und dass ihre Wunden längst wieder zu heilen begonnen hatten, aber er hätte sich trotzdem besser gefühlt, wenn sie ihm irgendein Zeichen dafür gegeben hätte, dass er nicht im Begriff war, eine Bewusstlose um einen Gefallen zu bitten, von dem der ganze Erfolg seines ohnehin noch nicht ganz ausgereiften Plans abhing. Als er nach mehr als zwanzig Sekunden jedoch noch immer kein Lebenszeichen von C.C. erhalten hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als das Risiko einzugehen.

In wenigen Worten erklärte Lelouch der Unsterblichen, was sie zu tun hatte, und kam sich dabei den Umständen entsprechend merkwürdig, um nicht zu sagen albern vor.

Und er war noch nicht ganz fertig mit seiner knappen Erläuterung, als das Geräusch einer Explosion in seiner unmittelbaren Nähe ihn den Kopf heben ließ. Rasch beendete er noch den angefangenen Satz, dann sprang er auf die Beine und fixierte den Knightmare, der mitten durch die zertrümmerte Wand hindurch auf ihn zukam.

Das, was als nächstes kam, war der einfachere Teil seines Vorhabens.

„Was ist hier passiert?“, dröhnte Viletta-senseis Stimme aus der riesigen Maschine. Obwohl er sich schon vor langer Zeit von dem Geass seines Vaters befreit und wenig später die wahre Identität der Frau in Erfahrung gebracht hatte, fiel es Lelouch noch immer erstaunlich schwer, in der hochrangigen Soldatin etwas anderes zu sehen als seine überaus obstinate, aber im Grunde harmlose Sportlehrerin. „Was macht ein britischer Schüler an solch einem Ort?“

Dieses Mal hob Lelouch sofort die Hände als Zeichen dafür, dass er keine feindseligen Absichten hegte, und begann zu sprechen, noch bevor die Puristin ihre Warnschüsse abfeuern konnte. In Gedanken jedoch befand er sich längst bei anderen unerlässlichen Komponenten seines Plans.

Nachdem er sich spontan ein Alias ausgedacht und schließlich Schutz von Viletta erbeten hatte, stieg die Frau mit gezückter Waffe aus ihrem Knightmare.

Lelouch lächelte und fragte sich, ob sie ihm wohl sagen könnte, wo man hier in der Nähe am besten an Sprengstoff kam.
 

Für eine gute halbe Stunde verlief alles nach Plan.

Lelouch schaffte es zwar nicht mehr, sich den Sprengstoff anzusteigen, bevor er Kallen aus ihrer misslichen Lage befreite, aber das hatte er auch nicht erwartet. Es genügte ihm, dass er gerade noch rechtzeitig auf dem Schlachtfeld erschienen war und es abermals geschafft hatte, dem zukünftigen Orden der Schwarzen Ritter zum Sieg und überdies auch noch zu einem ganzen Zug voller Ausrüstung zu verhelfen. Es war ihm sogar gelungen, zuvor noch ein kurzes Telefonat zu führen, das sein weiteres Vorgehen enorm erleichtern würde.

Allerdings hätte er wissen sollen, dass es niemals ein gutes Zeichen war, wenn die Dinge zu reibungslos verliefen. Und dieses Mal konnte Lelouch es nicht einmal einem so praktischen Sündenbock wie dem Zufall oder dem Schicksal zuschreiben, dass seine Glückssträhne nach gerade einmal zweiunddreißig Minuten und siebenundvierzig Sekunden ein jähes Ende genommen hatte.

Irgendwie nämlich war er auf die für ihn uncharakteristisch dämliche Idee gekommen, sich dem Lancelot im Kampf zu stellen – so, wie er es schon einmal getan hatte, und nur um sicherzugehen, dass er in diesem frühen Stadium noch nicht zu viel veränderte.

Im Nachhinein schrieb er diesen kurzen Moment der Unzurechnungsfähigkeit der Tatsache zu, dass diese ganze Sache viel zu kurzfristig und improvisiert war, und dass er wie die meisten fähigen Strategen eine natürliche Abneigung dagegen hatte, einen entscheidenden Vorteil aufzugeben, den er gegenüber seinen Feinden hatte – in diesem Fall das ausgesprochen nützliche Wissen darum, wie genau die Welt sich ohne sein Eingreifen in den nächsten paar Jahren entwickeln würde.

Lelouch manövrierte den Knightmare, den er sich auch dieses Mal wieder von seiner zukünftigen Sportlehrerin ausgeliehen hatte, durch die Häuserblocks von Shinjuku und klammerte sich an die morbide Hoffnung, dass sein Verfolger jeden Moment abgelenkt würde und dass die Frau damals nicht durch Lelouchs eigenes Verschulden aus einem der Fenster gestürzt war – ein Szenario, das er unmöglich erneut herbeiführen könnte, ohne das Risiko einzugehen, jetzt schon wieder unschuldiges Blut zu vergießen, und erst recht nicht ohne zu wissen, wo genau die betreffende Person sich gerade befand.

Andererseits blieb ihm vielleicht gar keine andere Wahl, als es einfach darauf ankommen zu lassen.

Suzaku, das wusste Lelouch besser als jeder andere, war nicht nur ein unersetzlicher Verbündeter, sondern auch ein schrecklicher Widersacher. Selbst damals – nein, selbst jetzt -, wo er nur kämpfte, um Tode zu verhindern, und es entschieden vermied, selbst zu töten, hätte Lelouch sich kaum einen furchteinflößenderen Gegner vorstellen können.

Er fluchte leise, als er mit seinem Knightmare bei einem besonders brisanten Ausweichmanöver beinahe in eine Betonwand krachte. Lange würde er das hier nicht mehr durchhalten.

Gerade wollte er einen letzten verzweifelten Versuch unternehmen zu verhindern, dass sein Kontrahent zu ihm aufschloss, als er bemerkte, dass dieser abrupt innegehalten hatte und sich nun in die entgegengesetzte Richtung bewegte. Trümmer und Staub verhinderten, dass Lelouch sehen konnte, was genau ihn zu diesem plötzlichen Sinneswandel getrieben hatte, aber er konnte es sich denken.

Lelouch lächelte – Suzaku war nun einmal immer noch Suzaku – und dankte den höheren Mächten, an die er nur bedingt glaubte, für diese glückliche Fügung; dann setzte er seinen Weg fort, ohne noch mehr Zeit zu verlieren.

Der Pilot des Lancelot war sicherlich Teil der Probleme, mit denen er sich frühzeitig würde befassen müssen, wenn er die Welt auf einen anderen Kurs setzen wollte als den, der ihr im Augenblick noch vorherbestimmt war, aber zuvor gab es noch etwas anderes, das er tun musste.

Auch wenn das bedeutete, dass man seinen bester Freund als Mörder anklagen würde.
 

~
 

„An alle Truppen: Sofort das Feuer einstellen!“ Obwohl eine Waffe auf ihn gerichtet und weit und breit keine Wache mehr in Sicht war, gab Clovis la Britannia das Kommando mit fester und eindringlicher Stimme. Lelouch glaubte sich zu erinnern, dass es beim letzten Mal nicht anders gewesen war, musste aber einsehen, dass er damals viel zu sehr von dem Gedanken besessen gewesen war, den Tod seiner Mutter zu rächen und die Welt zu verändern, als dass er etwas im Vergleich dazu so Trivialem wie dem Auftreten seines Feindes genügend Aufmerksamkeit geschenkt hätte, um das im Nachhinein noch mit Sicherheit sagen zu können. Alles, woran er sich noch lebhaft erinnern konnte, wenn er an jenen Tag zurückdachte, waren Clovis’ vor Furcht geweitete Augen; das Geräusch der Waffe, als er den Abzug drückte, und das viele Blut, an das er noch viele Wochen später nur zu denken brauchte, damit sein Magen kurzerhand beschloss, dass er doch lieber auf seinen Inhalt verzichten würde.

Es war sein erster bewusster Mord gewesen, einkalkuliert und kaltblütig und doch überstürzt, und allein schon diese Tatsache genügte, damit Lelouch sich im Nachhinein an keine Details außer denen mehr erinnern konnte, die sich für immer in sein Gedächtnis eingebrannt hatten. Dass derjenige, den er getötet hatte, kein Fremder gewesen war, sondern sein älterer Halbbruder, machte es keineswegs besser – ganz gleich, wie viele Menschen Clovis auch auf dem Gewissen haben mochte.

Sein Bruder war ein erwachsener Mann und trug ohne jeden Zweifel die volle Verantwortung für seine Taten, aber letzten Endes konnte er genauso wenig wie Lelouch etwas dafür, dass er als Sohn seines Vaters geboren worden war. Lelouch erinnerte sich an den Jungen, der ihn als Rivalen gesehen und sich über jede verlorene Partie geärgert, aber sich trotzdem lieber auf sein Zimmer zurückgezogen und gemalt hatte, als selbst an seinen schlechtesten Tagen bei einer ihrer Streitereien laut zu werden – selbst dann, wenn Lelouch gerade einen besonders bösartigen Moment gehabt und ihm seine Niederlage subtil unter die Nase gerieben hatte -, und fragte sich, was wohl aus ihm selbst geworden wäre, wäre Nanali nicht gewesen und hätte V.V. damals nicht beschlossen, dass Marianne vi Britannia ein unhaltbarer Störfaktor war, der beseitigt werden musste.

Der Schluss, zu dem er kam, gefiel ihm nicht, und er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Clovis, dessen betont gelangweilter Gesichtsausdruck in keiner Weise zu dem nachdrücklichen Befehlston passte, in dem er nun fortfuhr: „Als Gouverneur von Gebiet Elf und im Namen des Dritten Prinzen, Clovis la Britannia, befehle ich, dass alle zerstörerischen Handlungen unverzüglich einzustellen sind.“ Nein, niemand würde darauf kommen, dass der Mann, von dem diese Worte stammten, sich gerade einem bewaffneten Feind gegenübersah. Lelouch fragte sich, ob Clovis seine Rolle so gut spielte, weil er wusste, dass der Gegner, mit dem er es zu tun hatte, ihn ohne zu zögern erschießen würde, sollte jemand versuchen, ihm zur Hilfe zu kommen, oder ob sein Bruder zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch keine Angst hatte. Glaubte er, dass jeden Moment jemand den Eindringling überwältigen würde, oder war er wirklich ein solch guter Schauspieler? „Helft den Verwundeten ungeachtet dessen, ob sie britische Bürger oder Elfer sind“, setzte Clovis seine Ansprache fort und wiederholte dann noch einmal: „Im Namen von Clovis la Britannia! Sofort das Feuer einstellen!“ Lelouch fand, dass das schon gereicht hätte, aber sein Bruder ließ es sich nicht nehmen, seine Sache perfekt zu machen – ganz so, als wollte er Lelouch beweisen, dass es ihm nicht das Geringste ausmachte, diesen Befehl zu geben. „Ich werde keinen weiteren Konflikt mehr dulden!“, schloss er seine Rede mit nachdrücklicher Bestimmtheit. Erst dann schaltete er die Lautsprechanlage aus.

„War das alles?“, verlangte er zu wissen, und Lelouch kam zu dem Schluss, dass er selbst die Kunst der Verstellung mittlerweile zwar meisterhaft beherrschte, aber dass es immer noch mindestens eine Person gab, die ihn auf diesem Gebiet ohne weiteres übertraf.

„Ja“, erwiderte er. „Das war perfekt.“

Und das war es.

Clovis schien sich dessen bewusst zu sein, denn er ignorierte das Kompliment und nahm eine noch entspanntere Sitzposition ein als ohnehin schon. „Was kommt als nächstes?“, fragte er, das Kinn auf die behandschuhte Hand gestützt. „Soll ich dir ein Lied vorsingen? Oder vielleicht eine Partie Schach gegen dich spielen?“ Der gleichmütige Tonfall, in dem der Dritte Prinz sprach, hatte denselben Effekt wie seine Körperhaltung. Seine gesamte Mimik und Gestik vermittelte den Eindruck eines Mannes, der den Forderungen seines Feindes lediglich aus einer simplen Laune heraus nachkam – und nicht etwa aus Angst um sein Leben.

Lelouch lächelte. „Das weckt Erinnerungen“, sagte er, indem er ein paar Schritte näher an den Thron herantrat. Dabei entging ihm nicht, wie Clovis’ gelangweilte Miene sich im schwachen Licht der wenigen noch aktiven elektronischen Geräte kaum merklich veränderte. Er hatte wohl mit vielem gerechnet, aber nicht mit einer solch hintergründigen Bemerkung.

„Hast du mich etwa vergessen?“, fragte Lelouch, obschon er die Antwort bereits kannte, und nahm den Helm ab, der bis dahin sein Gesicht verborgen hatte. „Wir haben oft gemeinsam Schach gespielt…“ Er schmunzelte. „Obwohl ich jedes Mal gewonnen habe.“

„Was?“

„Erinnerst du dich?“ Lelouch hielt kurz inne, dann fügte er hinzu: „In Aries’ kaiserlicher Villa.“

Die milde Verwunderung, die sich bis dahin auf Clovis’ Zügen gezeigt hatte, verwandelte sich schlagartig in eine unverkennbare Irritiertheit, die an Wut grenzte. „Du…“, sagte er; nicht besonders laut, aber in einem Tonfall, der das Wort mehr wie eine Beleidigung als nach einem Personalpronomen klingen ließ. „Wer bist du?“

Lelouch lächelte unmerklich und trat aus den Schatten. „Es ist lange her…, Nii-san.”

Er hatte kaum zu Ende gesprochen, da war Clovis auch schon von seinem Thron aufgesprungen und starrte ihn aus Augen an, die in kürzester Zeit so groß wie Untertassen geworden waren.

Zum ersten Mal fiel Lelouch auf, wie seltsam es war, dass allein diese Offenbarung den blonden Prinzen so sehr aus dem Konzept brachte. Natürlich war es überraschend, seinen totgeglaubten jüngeren Bruder plötzlich vor sich stehen zu sehen - erst recht unter solchen Umständen -, aber das allein erklärte noch nicht, weshalb Clovis’ schauspielerische Fähigkeiten von diesem Augenblick an so gründlich versagten, dass es schon beinahe traurig war.

Sich jedoch weiter Gedanken darüber zu machen, wäre zu diesem Zeitpunkt vollkommen sinnlos. Lelouch hatte Clovis einmal gut gekannt, ja, aber das war selbst ohne die dreieinhalb Jahre, die er in der Zeit zurückgereist war, lange her. Zu lange, als dass er noch irgendetwas über seinen Bruder mit Sicherheit hätte sagen können, außer, dass er ein Mörder war und dass sowohl Euphemia als auch Cornelia Himmel und Hölle für ihn in Bewegung setzen würden.

Und dass er schon einmal durch seine eigenenen Hände gestorben war.

„Der älteste Sohn der verstorbenen Kaiserin Marianne“, sagte Lelouch sachlich und beendete damit abrupt seine vollkommen unnötigen Grübeleien. Dann zögerte er kurz, achtete allerdings darauf, sich nichts anmerken zu lassen. Nach kurzem Erwägen beschloss er, dass ein bisschen Theatralik unmöglich schaden könnte, und fiel genau wie damals auf ein Knie, die rechte Hand hinter dem Rücken und die linke am Herzen, als wäre er ein Ritter, der seinem König Respekt zollt. „Ich bin der siebzehnte Erbe des Throns, Lelouch vi Britannia“, endete er, ohne den Blick dabei auch nur für den Bruchteil einer Sekunde von seinem Bruder abzuwenden.

„Lelouch?“ Der Unglaube in Clovis' Stimme war unüberhörbar. „Aber du bist-“

„-tot?“, vervollständigte Lelouch den Satz für den blonden Gouverneur, der mit der Situation auf einmal vollkommen überfordert zu sein schien und ihn nun sogar noch entgeisterter anstarrte als zuvor. „Nein.“ Er sah seinen Halbbruder eindringlich an. „Ich bin zurückgekehrt, Euer Hoheit“, verkündete er. „Mit der Absicht, alles zu verändern.“

Und er erkannte, dass diese Aussage niemals treffender gewesen war.
 

Lelouch wartete noch einen Augenblick, dann erhob er sich, zog abermals seine Waffe hervor und ging so lange auf Clovis zu, bis er direkt vor ihm stand.

Dann beobachtete er teilnahmslos, wie sein Bruder - der sich inzwischen wieder gesetzt hatte -, mit mäßigem Erfolg darum kämpfte, seine Gesichtszüge zurück unter Kontrolle zu bringen.

„Lelouch!“, rief er schließlich aus. „Ich bin so froh, dich zu sehen.“ Aber Clovis' zuvor so perfekte Fassade wies nun zahlreiche Löcher auf, die jedes seiner Worte unaufrichtig klingen ließen. „Es hieß, du seiest während der Japan-Invasion umgekommen. Gott sei Dank bist du am Leben!“ Nun hörte er sich schon wieder ein klein wenig zuversichtlicher an. „Wie sieht es aus? Möchtest du in dein Heimatland zurückkehren?“

„Damit man mich wieder als diplomatisches Hilfsmittel benutzen kann?“, konterte Lelouch unbewegt. „Scheinbar hast du vergessen, wie oft wir schon als politische Werkzeuge missbraucht worden sind.“ Die Tatsache, dass Clovis daraufhin hörbar nach Luft schnappte, verriet ihm, dass sein Bruder durchaus wusste, wovon er sprach. „Ja, damals… als Mutter getötet wurde.“ In Wahrheit löste der Gedanke an Marianne vi Britannia längst nichts anderes mehr als eine dumpfe Leere in ihm aus, und das auch nur für wenige Augenblicke. Dennoch – und obwohl er mittlerweile wusste, dass der scheinbare Tod seiner Mutter damals einzig und allein auf das Konto eines eifersüchtigen Unsterblichen ging - war es wichtig, dass Clovis diese Worte hörte. „Mutter war eine Adlige, aber sie war von bürgerlicher Geburt“, rief Lelouch ihm in Erinnerung. „In den Augen der meisten anderen Kaiserlichen Gemahlinnen war ihre Existenz ein Schandfleck.“ Trotz allem vermied er es an dieser Stelle bewusst, sich zu Verallgemeinerungen hinreißen zu lassen. „Aber natürlich hat man es wie einen terroristischen Anschlag aussehen lassen.“ Er sah Clovis direkt in die Augen. Seinem Bruder schien es die Sprache verschlagen zu haben - er beschränkte sich darauf, Lelouch mit offenem Mund anzustarren, als wäre er eine Geistererscheinung aus einem Alptraum.

Lelouch fand, dass das gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt war. Nur, dass nicht er die Geistererscheinung war, sondern alle anderen Menschen, denen er in den nächsten paar Tagen begegnen würde.

„Ursprünglich“, erklärte er schließlich, „kam ich hierher, weil ich sie rächen wollte. Weil ich glaubte, du seiest ihr Mörder.“

Das riss Clovis aus seiner Starre.

„Ich war es nicht!“, verteidigte er sich hastig. Seine Miene spiegelte blankes Entsetzen wider. „Ich war es nicht!“ Als Lelouch nichts dazu sagte, sondern nur fortfuhr, ihn eindringlichen Blickes zu fixieren, die Waffe unverwandt auf seine Stirn gerichtet, hob Clovis abwehrend die Hände. „Bitte, Lelouch! Ich würde niemals-“

„Ich weiß.“ Lelouch senkte die Waffe, und Clovis nahm die Arme wieder herunter. Doch noch bevor er Zeit zum Aufatmen hatte, hob Lelouch die Pistole erneut. „Und dennoch…“

Nun war Clovis’ verzweifeltes Entsetzen beinahe greifbar. „H-hör auf damit!“, rief er und riss abermals die Arme in die Höhe, als könnte er so die Kugel abwehren, die drohte, sich jeden Moment durch seine Schädeldecke zu graben. „Auch wenn ich nur dein Halbbruder bin, bin ich immer noch dein Bruder!“ Er hielt kurz inne, suchte offenbar nach den richtigen Worten. Allerdings ohne erkennbaren Erfolg, denn er endete mit einem kläglichen: „Du kannst mich nicht erschießen!“

Lelouch lächelte kühl. „Ich kann“, widersprach er ungerührt. Doch dann trat er einen Schritt zurück und senkte erneut den Lauf der Pistole. „Aber wenn du tust, was ich sage, werde ich es nicht tun.“

Clovis starrte ihn an. Für die Dauer mehrerer Atemzüge rührte er sich nicht – selbst der angsterfüllte Ausdruck auf seinem Gesicht und die Furcht in seinen Augen blieben unverändert. Dann, ganz langsam, nahm er die Arme herunter. Er schluckte hörbar, aber obwohl seine Augen noch immer merklich geweitet waren und seine Stimme zitterte, als er schließlich sprach, schien er seine Panik vorerst in den Griff bekommen zu haben. „Was willst du?“, fragte er.

Lelouch sagte es ihm.
 

~
 

Als keine fünfzehn Minuten später die ersten Truppen dort eintrafen, wo sich noch kurz zuvor die Kommandozentrale des Dritten Prinzen des Heiligen Britischen Reiches befunden hatte, fanden sie nichts mehr weiter vor als einen überdimensionalen Trümmerhaufen. Wie es bei einer Explosion von solchem Ausmaß zu erwarten gewesen war, waren von den einstmals so prunkvollen Gemächern nur Metallreste und jede Menge Asche übriggeblieben.

Jeremiah Gottwald, der gegen besseres Wissen gehofft hatte, dass es Prinz Clovis irgendwie gelungen war, das Attentat zu überleben, musste feststellen, dass es nicht einmal eine Leiche gab, die geborgen werden konnte – nur ein paar verkokelte Stofffetzen.

Er verfluchte sich dafür, abermals versagt zu haben, und schwor noch mit demselben Atemzug, zumindest einen Teil seiner Schuld wieder gutzumachen, indem er dafür sorgte, dass der Mörder seines Prinzen seine gerechte Strafe erhielt.
 

Niemandem außer einem exzentrischen Wissenschaftler, dem es kaum gleichgültiger hätte sein können, fiel auf, dass trotz der scheinbar plumpen Natur des Mordanschlags nur der Verlust einer einzigen Person zu beklagen war.
 


 


 


 

______________

Puh, überarbeiten ist anstrengend. o.o

Und ich bin immer noch nicht ganz zufrieden, also immer her mit den Verbesserungsvorschlägen!

Irgendwie ist Lelouch schwer zu schreiben... Ich meine, er steckt alles immer scheinbar problemlos weg, aber irgendwann beißt es ihn dann doch noch in den Hintern - vorzugsweise genau dann, wenn er gerade gar nicht damit rechnet.

Na ja, im nächsten Kapi bekommt er schon mal ein bisschen Zeit zur Reflexion. *nickt vor sich hin*

Clovis ist auch so eine Sache... wo man auch hinsieht, wird er als "timid" beschrieben; aber ich finde, bis zu einem bestimmten Punkt hat er sich erstaunlich gut gehalten.

Wie dem auch sei, ich hoffe, es hat gefallen, und freue mich jetzt schon auf Rückmeldungen. ^^

Die pizzabesessene Hexe

Auf jeden nichtsahnenden Passanten hätten sie gewirkt wie zwei ganz gewöhnliche Soldaten, die aus irgendeinem banalen Grund in ihrer vollen Ausrüstung durch die Gegend spazierten.

Hätte allerdings jemand genauer hingesehen, dann hätte er vielleicht bemerkt, dass zumindest einer der beiden in Grau gekleideten Männer sich nicht im Geringsten bewegte wie jemand aus dem Militär und dass der andere seine Waffe keineswegs sicher in der Halterung an seinem Gürtel verstaut hatte, sondern sie scheinbar zufällig haargenau so hielt, dass er seinem Vordermann jederzeit ohne großen Aufwand direkt in die Wirbelsäule schießen könnte.

Wie erwartet schenkte ihnen jedoch niemand genügend Aufmerksamkeit, um Notiz von diesen kleinen Ungereimtheiten zu nehmen – dafür sorgte der Aufruhr, den es nun einmal mit sich bringt, wenn ein Attentat auf einen wichtigen Staatsmann verübt wird. Spätestens, wenn sich dann auch noch herausstellt, dass der Mordanschlag tatsächlich erfolgreich gewesen und der betreffende Politiker nur noch ein Häufchen Asche und Knochen irgendwo in einem riesigen Trümmerhaufen ist, kann man sich bedenkenlos darauf verlassen, dass die Leute in unmittelbarer Umgebung des Tatorts für die nächsten paar Stunden umherlaufen werden wie kopflose Hühner.

Natürlich half es auch, dass die zuvor erwähnte Pistole beinahe genau dieselbe Farbe hatte wie die dunklen Uniformen, die die beiden Männer trugen, und dass ihre Gesichter unter Helmen verborgen waren, die nicht nur verhinderten, dass man sie erkannte, sondern überdies auch noch den ausgesprochen nützlichen Nebeneffekt hatten, dass niemand anhand ihres Mienenspiels die richtigen Schlüsse ziehen konnte.

Dementsprechend unbehelligt durchquerten sie mehrere Stadtviertel und kamen schließlich über sorgfältig gewählte Umwege an ihrem Ziel an, ohne unterwegs auch nur ein einziges Mal aufgehalten worden zu sein.
 

~
 

Erst als sie die letzte von mehreren schmalen Gassen hinter sich gebracht hatten, die allesamt den Eindruck machten, schon seit mehreren Jahren von keiner Menschenseele mehr betreten worden zu sein, hielt der hintere der beiden vermeintlichen Soldaten inne und nahm seine Kopfbedeckung ab.

„Ich bezweifle, dass jemand hier vorbeikommen wird“, sagte Lelouch, als sein Vordermann sich nach ein paar weiteren Schritten zu ihm umdrehte.

Dieser wiederum brauchte nicht lange, um seine Worte als das zu erkennen, was sie waren, und verlor keine Zeit, sich ebenfalls seines Helms zu entledigen.

Clovis la Briannia ließ den Kopfschutz achtlos zu Boden fallen und strich sich in einer unbewussten Geste das Haar aus dem Gesicht.

„Und jetzt?“, fragte er, die Augen fest auf die Waffe gerichtet, die geradewegs auf seine Brust zielte.

Lelouch lehnte sich gegen eine bereits im Zerfall begriffene Betonwand. „Jetzt warten wir." Sobald er sprach, riss sein Gegenüber sich von dem Anblick der Pistole los und sah im ins Gesicht, einen abschätzenden Ausdruck in den meerblauen Augen.

Lelouch erwiderte den Blick ungerührt. Falls sein Bruder hoffte, dass seine Absichten sich in irgendeiner Weise auf seinen Zügen spiegeln würden, wenn er ihr nur lange genug auf diese Weise taxierte, dann irrte er sich.

Das schien Clovis allerdings auch schon aufgegangen zu sein, denn es waren nur ein paar Sekunden verstrichen, da gab er den Versuch auch schon wieder auf und ließ den Blick über den kleinen, von alten Häusern eingeschlossenen Platz schweifen, als hätte er nie etwas anderes getan, als sich müßig umzusehen. „Was ist das hier?“

Lelouch hob die Schultern. „Vermutlich einer der Orte, an denen der weniger begünstigte Teil der Bevölkerung gelebt hat, bevor die Ghettos errichtet wurden.“ Im Grunde war es nicht mehr als eine überdurchschnittlich große Sackgasse, die gut verborgen in einer ohnehin recht abgelegenen Gegend lag – der Gegend, in der sich schon bald wieder die Basis des Ordens der Schwarzen Ritter befinden würde.

Clovis strich geistesabwesend über die Überreste einer alten Steinmauer. „Warst du schon oft hier?“

„Nur ein Mal.“

Als er und C.C. damals per Zufall über diesen Ort gestolpert waren, wäre es Lelouch nie in den Sinn gekommen, dass die Existenz einer von allen Göttern verlassenen Sackgasse ihm einmal so überaus gelegen kommen könnte.

Clovis sagte nichts weiter. Er starrte auf die Steinmauer, ohne sie wirklich zu sehen, und Lelouch musste zugeben, dass ihm die Stille, die sich nun aubreitete, gerade recht kam.

Zu sagen, dass es ein seltsames Gefühl war, hier zu stehen und im Plauderton Konversation mit dem großen Bruder zu betreiben, den er in einem anderen Leben eigenhändig eine Kugel in den Kopf gejagt hatte, wäre eine Untertreibung gewesen.

Im Grunde war Lelouch sich ja nicht einmal sicher, ob er inzwischen schon realisierte, was es bedeutete, dass er hier neben jemandem stand, der eigentlich längst hätte tot sein sollen - in einem Land, das eigentlich nicht mehr hätte sein dürfen.

Vermutlich nicht, denn noch war ihm nicht so, als stünde er kurz davor, auch noch den letzten Rest seines Verstandes verlieren, und sobald er doch einmal lange genug darüber nachdachte, um seinen Geisteszustand unweigerlich in Zweifel ziehen zu müssen, begann er, sich seltsam distanziert von der Welt um ihn herum zu fühlen; so als würde er im Fernsehen einen Film sehen, der so ähnlich schon einmal ausgestrahlt worden war, und gleichzeitig eine der Hauptfiguren darin sein.

Es war schwer zu beschreiben – ebenso wie das, was in der Zeitspanne geschehen war, die zwischen seinem Erwachen in der Vergangenheit und dem Moment lag, in dem C.C. seine Hand ergriffen hatte.

Das Zurückdrehen der Zeit jedoch war noch einmal eine Liga für sich. Es ließ sich nicht nur schwer beschreiben, sondern überhaupt nicht. Jedenfalls nicht, wenn er vorgehabt hätte, jemandem davon zu erzählen, der es nicht selbst schon einmal erlebt hatte – oder, um es auf den Punkt zu bringen, jemand anderem als der Unsterblichen, die das Ganze erst veranlasst hatte.

Lelouch vermutete, dass er sich während dieser Aktion gänzlich außerhalb von Raum und Zeit befunden haben musste - und dass das wohl auch der Grund dafür war, dass er beim besten Willen nicht hätte sagen können, ob es Sekunden, Stunden oder Jahre gewesen waren, die er in diesem unbeschreiblichen körperlosen Zustand verbracht hatte, in dem es ihm zwar irgendwie gelungen war, sich auf das Kommende vorzubereiten, aber eben nur notdürftig und gerade so weit, dass er es geschafft hatte, ohne folgenschwere Verzögerungen zu handeln.

Ob seine Pläne sich allerdings auch so entwickeln würden, wie er sich das dachte, ließ sich jetzt noch unmöglich sagen. Er hatte sich ja noch nicht einmal damit befasst, was er tun würde, wenn er diese Angelegenheit mit Clovis erfolgreich hinter sich gebracht hatte.

Lelouch wusste, dass er Suzaku dieses Mal auf seine Seite bringen musste, bevor sein bester Freund entschied, dass Zero ein bösartiger Verbrecher war, der um jeden Preis aufgehalten werden musste. Wie genau er das allerdings anstellen sollte, war eine gänzlich andere Frage. Er hatte keine Ahnung, wie ihre verhängnisvolle Konfrontation damals gelaufen wäre, wenn Euphemia noch am Leben gewesen wäre, aber er war nicht arrogant genug zu glauben, dass Suzaku es selbst dann sonderlich gut aufgenommen hätte, dass sein bester Freund der Gesetzlose war, den er vom ersten Augenblick an der Regierung hatte übergeben wollen.

Nein, der Suzaku, mit dem er es jetzt zu tun hatte, war viel zu idealistisch, viel zu gut, um eine derartige Enthüllung einfach so wegzustecken. Es würde ihn in seinem Innersten zerreißen, und Lelouch war sich nicht sicher, ob der Weiße Ritter ohne denn Hass und die verzweifelte Trauer, die er damals in sich getragen hatte, die nötige Stärke finden würde, eine Entscheidung zwischen Freundschaft und Pflichtgefühl zu treffen.

Vielleicht, wenn er bis dahin bereits Euphie auf seine Seite gebracht hätte, aber selbst das würde nicht zwangsläufig zu einem wünschenswerten Ergebnis führen, und im Augenblick wollte Lelouch nicht an seine jüngere Schwester denken. An keine von beiden, aber Nanalis Tod hatte er nicht mit eigenen Augen gesehen – er hatte zu wenig Zeit gehabt, um ihn wirklich zu realisieren, und wenn er an sie dachte, spürte er nur ein kurzes, wenngleich schmerzhaftes Stechen in der Brust, das ihn überflüssigerweise daran erinnerte, dass er seine kleine Schwester dieses Mal um jeden Preis beschützen musste… nun, vielleicht nicht um jeden Preis – er hatte seine Lektion gelernt -, aber doch so, dass sie ein langes und glückliches Leben führen konnte.
 

Lelouch erinnerte sich daran, dass das der falsche Zeitpunkt war, um seine Fehltritte zu bereuen, und lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf seinen Bruder.

Clovis’ gedankenverlorener Gesichtsausdruck war nicht der eines Mannes, der überlegte, wie er seinen bewaffneten Entführer wohl am besten überwältigen könnte, aber Lelouch konnte dennoch nicht anders, als sie zu fragen, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, den Dritten Prinzen des Heiligen Britischen Reiches zu verschonen.

Sicher, es war verlockend, den Bruder, mit dem er aufgewachsen war, dieses Mal am leben lassen zu können, aber das lag in aller erster Linie daran, dass Lelouch der Meinung war, bereits genug Blutsverwandte auf dem Gewissen zu haben. Er hatte Clovis – den alten, siebzehnjährigen Clovis, der keine fragwürdigen Experimente an Unsterblichen durchgeführt und auch keine Massaker an Unschuldigen angerichtet hatte – immer gemocht; mehr jedenfalls, als er die meisten anderen seiner Halbgeschwister gemocht hatte, auch wenn er das damals niemals zugegeben hätte. Insofern war dieser Teil seiner Beweggründe dafür, nicht einfach den Abzug zu drücken, keineswegs selbstlose Nächstenliebe, sondern purer Egoismus.

Und wenn er nicht geglaubt hätte, dass es wesentlich einfacher sein würde, Suzaku von seinem Standpunkt zu überzeugen, wenn er nicht durch die Gegend lief und jetzt schon Mitglieder der eigenen Familie abschlachtete, dann hätte Clovis’ Blut trotz allem längst den Asphalt geziert.

Lelouch war niemals ein Heiliger gewesen, und er würde auch niemals einer sein; ganz gleich, wie viel er inzwischen dazugelernt hatte.

Er warf einen kurzen Blick zum Himmel, wo die Sonne so unbekümmert vor sich hin schien, als hätte sie erst gerade eben ihren höchsten Stand erreicht, und kam zu dem Schluss, dass es bis zur Abenddämmerung noch eine ganze Weile hin war. Das bedeutete, dass er sich vorerst noch keine Gedanken über seinen Zeitplan zu machen brauchte.

Vorausgesetzt zumindest, C.C. tauchte bald auf. Falls nicht, hätte er ein Problem – eines, das nicht nur mit der Knappheit der ihm zur Verfügung stehenden Zeit zu tun hatte und über das er lieber gar nicht erst nachdenken wollte, solange auch nur die geringste Möglichkeit bestand, dass es gar nicht erst eintreten würde.

Andererseits wäre es ratsam, für diesen Fall einen Plan B parat zu haben.

Lelouch seufzte lautlos.

Zu dumm, dass ihm beim besten Willen keine alternative Vorgehensweise einfallen wollte.

Er war auf C.C.s Hilfe angewiesen. Sollte sie aus irgendeinem Grund nicht erscheinen, würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als Clovis zu erschießen. Das würde sich zwar äußerst nachteilig auf so gut wie alle Optionen auswirken, die Lelouch sich bisher noch offengehalten hatte, aber er konnte unmöglich weiter mit dem inzwischen sicherlich totgeglaubten Gouverneur durch die Straßen marschieren. Sein bisheriges Vorgehen war riskant genug gewesen; alles Weitere wäre nicht viel anders, als würde er sich eine Zielscheibe um den Hals hängen und darauf vertrauen, dass niemand den roten Punkt in der Mitte traf.

Nein, sollte es notwendig sein, dann würde er Clovis töten.

Er würde es nicht gerne tun, aber effizient und so, dass die Leiche niemals gefunden würde. Clovis würde nicht einmal etwas davon mitbekommen, bis es zu spät war, um noch viel mehr als einen flüchtigen Hauch von Überraschung zu verspüren.

Lelouch würde warten, bis sein Bruder ihm den Rücken zukehrte. Er würde die Pistole etwas höher nehmen, zielen...

Und dann, ohne jede Vorwarnung, würde er-
 

Der Klang von Schritten auf sandigem Grund riss Lelouch aus seinen makabren Überlegungen und er bemerkte, dass er die ganze Zeit über berechnenden Blicks Clovis’ Hinterkopf fixiert hatte.

Glücklicherweise schien sein Bruder jedoch nicht bemerkt zu haben – erst jetzt zuckte Clovis leicht zusammen und wandte sich in die Richtung, aus der sich ganz offensichtlich eine weitere Person näherte.

Lelouch tat es ihm gleich. Er hielt sich bereit, sein Geass einzusetzen, aber in Wirklichkeit glaubte er nicht, dass sich jemand zufällig ausgerechnet jetzt an diesen Ort verirrt haben sollte.

Folglich war er auch nicht sonderlich überrascht, als aus dem einzigen Zugang, der in die Sackgasse führte, eine grünhaarige Frau trat und ohne auch nur für den Bruchteil einer Sekunde zu zögern direkt auf ihn zukam.

Was ihn allerdings ein wenig erstaunte, war das große gelbe Plüschtier, das C.C. mit einem Arm an ihre Brust drückte und sie wie so vieles, was sie manchmal tat, unendlich jünger wirken ließ, als sie eigentlich war.

Und wäre C.C. nicht C.C. und somit über jegliche Logik erhaben gewesen, wäre es Lelouch mit Sicherheit schwergefallen zu glauben, dass seine Komplizin offenbar in aller Seelenruhe erst noch einen Abstecher zu einer Pizzafiliale gemacht hatte, bevor sie zu ihm gekommen war.

„Das ist-“, begann Clovis mit weit aufgerissenen Augen, brach dann aber ab und starrte C.C. einfach nur an – beinahe so offenkundig entsetzt über ihren Anblick wie noch vor kurzem über den von Lelouch.

Die grünhaarige Unsterbliche indessen schenkte dem Dritten Prinzen nur einen kurzen, desinteressierten Blick, bevor sie direkt vor Lelouch stehen blieb und ihn vollkommen ausdruckslos ansah.

„Pizza“, sagte sie.
 

~
 

Was?“ Lelouch hatte mit vielem gerechnet – dass sie gekränkt sein würde oder wütend, weil er sein Versprechen ihr gegenüber nun vielleicht nicht mehr einhalten könnte, oder dass sie ihn wieder mit diesem mitleidigen Blick ansehen würde, dem er unmöglich standhalten könnte.

Aber nicht hiermit. Ganz sicher nicht hiermit.

Lelouch fragte sich, ob er vielleicht zu naiv war, um jemals die Handlungen von jemandem vorhersehen zu können, der so vollkommen unberechenbar war wie die Graue Hexe.

„Pizza“, wiederholte C.C., ihre Stimme noch immer vollkommen tonlos. „Du willst, dass ich auf ihn aufpasse, während du deine Vorbereitungen triffst, nicht wahr?“ Manchmal erstaunte es Lelouch, wie gut diese Frau ihn kannte.

Aber er hatte noch immer nicht die geringste Ahnung davon, worauf sie hinaus wollte.

Als die Unsterbliche sich nicht rührte, sondern damit fortfuhr, unbeweglich vor ihm zu stehen und ihn einfach nur anzusehen, schloss Lelouch daraus allerdings, dass sie auf eine Bestätigung ihres Verdachts wartete. Er nickte leicht.

„Nur, wenn du mir Pizza mitbringst.“

Ihm wäre beinahe der Kinnladen herunter geklappt. „Das ist nicht dein Ernst.“

„Ich hasse Witze“, erinnerte C.C. ihn. Dann fügte sie im selben monotonen Tonfall hinzu: „Vor allem Witze über Pizza.“

Lelouch starrte sie an. „Hattest du nicht gerade eben erst Pizza?“

„Nur ein Stück.“ Nun klang sie ein wenig ärgerlich, auch wenn sich ihr Gesichtsausdruck sich nicht veränderte. „Aber ich musste es unterwegs essen, also ist es kalt geworden.“

Das ergab keinen Sinn - es sei denn, es war inzwischen tiefster Winter geworden, ohne dass Lelouch etwas davon mitbekommen hatte.

Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Weißt du“, sagte er, „manchmal frage ich mich, wer von uns beiden wahnsinniger ist.“

„Du“, gab C.C. ohne zu zögern zurück. „Aber das macht nichts, solange du mir Pizza mitbringst.“

Lelouch hob die Brauen, um seine Belustigung zu verbergen. „Danke“, sagte er trocken. „Jetzt fühle ich mich gleich besser.“ Er reichte der Unsterblichen seine Waffe. Dabei warf er einen flüchtigen Blick auf Clovis, der sie beide völlig entgeistert anstarrte.

„Heißt das ja?“, fragte C.C., als sie die Pistole entgegennahm und noch im selben Moment auf Clovis richtete - allerdings ohne ihn dabei anzusehen. Stattdessen fixierte sie weiterhin Lelouch; es war ihre Art, ihm zu sagen, er solle sich ja nicht einbilden, dass er eine Wahl hätte.

Und Lelouch – genau wie jeder andere gute Stratege auch – kannte den Unterschied zwischen einer Schlacht, die er mit etwas Glück immer noch für sich entscheiden konnte, und einer vollkommen unhaltbaren Position.

„Ja“, seufzte er. „Du bekommst deine Pizza.“ Er sah zu Clovis. „Achte nur darauf, dass er nicht auf dumme Gedanken kommt.“ Dann wandte er sich wieder C.C. zu, ein listiges Lächeln auf den Lippen. „Ansonsten esse ich sie selbst.“

Nun war es an C.C., für den Bruchteil einer Sekunde bestürzt dreinzublicken.

Lelouch glaubte schon, er würde dieses eine Mal das letzte Wort behalten, als die Unsterbliche plötzlich die Augen verengte. „Ich hasse Leute, die Pizza als Geisel nehmen“, verkündete sie.

Clovis starrte.

Lelouch blinzelte.

C.C. meinte es todernst.

Lelouch schüttelte den Kopf und beschloss, dass es wohl das Beste wäre, die Unterhaltung an dieser Stelle zu beenden.
 


 


 


 


 

______________

Wieso habe ich das Gefühl, dass ich dieses Kapitel noch etliche Male überarbeiten werde (nicht inhaltlich, aber den Schreibstil)? o.o

Wie dem auch sei, ich nehme an, es war ziemlich offensichtlich, dass Clovis noch am Leben ist - trotzdem bin ich stolz darauf, es im Vorfeld nicht ausdrücklich erwähnt zu haben. xD

Ich hoffe, das Lesen hat Spaß gemacht.

Außerdem möchte ich mich insbesondere für die Verbesserungsvorschläge bedanken. ^^

Ich bin jetzt einfach mal davon ausgegangen, dass mit Absätzen vor allem Leerzeilen gemeint gewesen sind, und bin hier etwas weniger sparsam mit ihnen umgegangen. *legt den Kopf schräg* Ist das so in Ordnung?

Das letzte Kapi werde ich allerdings erst mal in seinen vier Teilen belassen. Sonst passt es mit der Handlung nicht mehr so, habe ich das Gefühl. ^^"

Mit Comedy diene ich übrigens auch nur allzu gerne.

In das letzte Kapi habe ich zwar beim besten Willen keinen Humor hineinbekommen können, aber alleine schon C.C. und Clovis dürften auf Dauer für einiges an Unterhaltung sorgen. *g*

Und Milly kommt natürlich auch noch vor. ;P

Das zukünftige Hauptquartier

Als Lelouch endlich wieder aus den Toren der Ashford-Akademie trat, war es längst dunkel geworden, sodass er sich beeilen musste, um eine Pizzeria zu finden, die noch geöffnet hatte.

Unter anderen Umständen hätte er das vielleicht als ärgerlich empfunden, aber im Augenblickt machten ihm ein paar kleine Unannehmlichkeiten nichts aus. So weit war alles genau nach Plan verlaufen, und wenn es so weiterging, würde er schon bald Gelegenheit haben, sich sein weiteres Vorgehen zu überlegen.

Natürlich hatte er sich bereits näher damit beschäftigt, welche Optionen ihm von nun an offenstanden, aber dieses Wissen allein brachte ihn nicht weiter. Bevor er eine endgültige Entscheidung treffen konnte, musste er sich erst einmal darüber klar werden, was er zu diesem Zeitpunkt überhaupt erreichen wollte. Er musste von seinen langfristigen, abstrakten Zielen wegkommen und sich auf konkrete Unternehmungen innerhalb der nächsten paar Tage und Wochen konzentrieren.

Das allerdings war leichter gesagt als getan, würde das eine sich doch unweigerlich auch maßgeblich auf das andere auswirken und möglicherweise ungeahnte Konsequenzen mit sich bringen, die sein gesamtes Vorhaben gefährden konnten.

Aus eben diesem Grund stand Lelouch vor einer entscheidenden Frage, mit der er sich jetzt an der frischen Luft genauso gut auseinandersetzen konnte wie später in seinem Zimmer: Was musste er auf jeden Fall so verlaufen lassen wie beim letzten Mal, und was durfte sich auf gar keinen Fall wiederholen?

Während er darauf gewartet hatte, dass der alte Mann - den er sicherheitshalber schon im Voraus telefonisch kontaktiert gehabt und geben hatte, auf ihn zu warten - seine Befehle ausführte und dafür sorgte, dass der Orden der Schwarzen Ritter schon eine Basis haben würde, lange bevor er überhaupt existierte, hatte er viel Zeit gehabt, sich Gedanken über diese Dinge zu machen, aber zu einem zufriedenstellenden Ergebnis war er trotzdem nicht gekommen.

Sicher, er hatte bereits eine ungefähre Vorstellung von dem, was er auf lange Sicht erreichen wollte: Niemand würde ihm Nanali wegnehmen, nichts würde seinem besten Freund einen Grund dazu geben, seinen zuvor so unerschütterlichen Glauben an die Menschheit infrage zu stellen, und auf keinen Fall würde Lelouch zulassen, dass er im falschen Moment und am falschen Ort die Kontrolle über sein Geass verlor.

Aber all diese Entschlüsse hatten von vorneherein auf der Hand gelegen. Was Lelouch hingegen immer noch nicht herausgefunden hatte, war, wie er sie in die Tat umsetzen sollte.

Wie konnte er V.V. von Nanali fernhalten, wenn er nicht Tag und Nacht an ihrer Seite blieb? Wie sollte er Suzaku rechtzeitig davon überzeugen, dass Zero das Richtige tat? Konnte er das überhaupt?

Und sein Geass? Würde das Schicksal einen Weg finden, seine Vorsichtsmaßnahmen zu umgehen?

Würde letzten Endes doch wieder alles umsonst sein?

Lelouch wusste, dass er nicht so denken durfte, also gab er seine Grübeleien schließlich auf und verbannte all seine Bedenken in die dunkelste Ecke seines Bewusstseins. Dort würden sie bleiben, bis er sich dazu in der Lage fühlte, sich mit ihnen auseinanderzusetzen – oder, falls er es zu lange aufschob, bis er gar keine andere Wahl mehr hatte, als sich seinen Ängsten zu stellen.

Bis dahin jedoch würde er weiterhin einen Schritt nach dem anderen machen, in der Hoffnung, dass seine Zweifel sich mit der Zeit von selbst verflüchtigen würden.

Als er kurz zu Hause vorbeigeschaut hatte, um rasch seine Kleider zu wechseln und die verräterische Uniform zu entsorgen, war er niemandem außer Sayako begegnet, die nun seiner Schwester ausrichten würde, dass ihm noch etwas Wichtiges eingefallen sei und es ziemlich spät werden könnte.

Genauso wenig, wie er seine Probleme dauerhaft ignorieren konnte, konnte er Nanali für den Rest seines Lebens aus dem Weg gehen, dessen war Lelouch sich druchaus bewusst; aber für den Augenblick genügte es, dass es ihm dieses eine Mal gelungen war. Zweifelsohne hatte er ein schlechtes Gewissen deswegen, aber so sehr er es auch wollte, er konnte Nanali nicht sehen – jetzt noch nicht. Zuerst musste er sich um Clovis kümmern.
 

Nachdem er bezahlt hatte und mit der riesigen Pizza unter dem Arm wieder auf die Straße trat, achtete Lelouch sehr genau darauf, die düstereren Winkel der Stadt so lange wie möglich zu meiden und dann die kürzeste Route zu seinem Ziel zu nehmen. Geass hin oder her, das Letzte, was er jetzt noch brauchte, waren Kleinkriminelle auf der Suche nach leichten Opfern oder herumschnüffelnde Mitglieder des Militärs, die ihn entgegen aller Wahrscheinlichkeit für verdächtig befinden könnten.

Während er sich durch Menschenmassen hindurch zwängte, die von den kläglichen Überresten des Shinjuku-Ghettos angezogen wurden wie Motten vom Licht, fragte er sich, wie lange es wohl dieses Mal dauern würde, bis man den vermeintlichen Tod des Gouverneurs offiziell machen würde. Eine Explosion ließ sich nicht annährend so leicht geheimhalten wie ein Kopfschuss, und wenn sich das Militär nicht beeilte, würden die Gerüchte, die vermutlich längst kursierten, immer abenteuerlicher werden und früher oder später für Unruhen sorgen.

Was Lelouch aber am meisten beschäftigte, war sein Geass. Nicht die Tatsache, dass es mit der Zeit wieder an Macht gewinnen würde – darum würde er sich kümmern, wenn es so weit war -, sondern die Fähigkeit als solche.

Damals, als die Welt für kurze Zeit ein friedlicher Ort gewesen war und er erkannt hatte, dass er nicht länger zu den Sterblichen zählte, hatte er sich geschworen, nie wieder Gebrauch von dieser übernatürlichen Macht zu machen. Zweieinhalb Jahre lang hatte er sich an sein persönliches Gelübde gehalten, ohne jemals auch nur mit dem Gedanken zu spielen, etwas anderes zu tun.

Aber jetzt war der Frieden fort, in gewisser Weise niemals da gewesen, und Lelouch musste erkennen, dass sein Schwur null und nichtig geworden war.

Ganz egal, wie sehr es ihm widerstrebte, er konnte es sich nicht leisten, seine Hände in Unschuld waschen zu wollen.

Er hatte eine zweite Chance erhalten, und er würde sie nutzen.

Nicht, um zu versuchen, seine Sünden wieder gutzumachen - denn sein Versagen war nach wie vor unverzeihlich -, sondern um seine zahllosen Fehler zu beheben und der Welt den Frieden zu bringen, den sie verdiente.

Und auch wenn er vorhatte, bei seinem Sinnen dieses Mal weitaus weniger radikal vorzugehen und die Dinge nicht zu überstürzen, ließ sich ein Krieg nun einmal nicht ohne Opfer gewinnen.

Lelouch würde schießen, aber er war auch bereit, eines Tages im Gegenzug dafür selbst erschossen zu werden.

Ob er zu diesem Zeitpunkt sterblich oder unsterblich sein würde, stand zurzeit noch offen; aber obgleich er den Tod nicht fürchtete – nicht mehr als jeder andere, der ihm schon einmal ins Auge geblickt und sich mit der Endlichkeit seines Lebens abgefunden hatte -, hoffte Lelouch, dass Letzteres der Fall sein würde.

Zumindest so viel war er C.C. schuldig.
 

~
 

Als er wenig später an seinem Ziel und damit auch bei der grünhaarigen Unsterblichen ankam, musste Lelouch sich unwillkürlich fragen, ob sie das genauso sah und dementsprechende Laune hatte, oder ob sie einfach nur einen Groll gegen Clovis persönlich hegte – immerhin schien dieser in die Experimente verwickelt gewesen zu sein, die man einmal an ihr durchgeführt hatte.

Aber was auch immer der Grund dafür sein mochte, C.C. stand vor derselben Wand, an der Lelouch bis zu seinem Aufbruch gelehnt hatte, die Waffe auf Clovis gerichtet, und tat nichts Ungewöhnliches – vorausgesetzt, man war es gewohnt, ununterbrochen von einer Frau angestarrt zu werden, die geübt darin war, ihre Züge vollkommen ausdruckslos wirken zu lassen und die es theoretisch nicht einmal nötig hatte, zu blinzeln.

Lelouch kannte C.C.s Eigenheiten, aber etwas sagte ihm, dass Clovis das nicht von sich behaupten konnte.

Sein unglücklicher Halbbruder hatte sich eng an die Steinmauer in seinem Rücken gepresst. Er stand stocksteif und war sichtlich beunruhigt – so als befürchtete er, C.C. könnte ihn jeden Augenblick mit einer besonders großen Pizza verwechseln und über ihn herfallen.

Lelouch musste zugeben, dass er den Anblick ausgesprochen amüsant fand.

Als Clovis ihn bemerkte, wirkte er sichtlich erleichtert. Hilfesuchend sah er ihn an und machte dabei einen so erbärmlichen Eindruck, dass Lelouch nicht umhin konnte, einen Anflug von Mitleid für ihn zu verspüren

Eingreifen tat er allerdings erst, als er ein paar Minuten später allmählich den Eindruck bekam, dass Clovis jeden Moment einen Nervenzusammenbruch erleiden und ihm unnötige Komplikationen bereiten würde.

„C.C.“, sagte er dann. Die Angesprochene rührte sich nicht, aber sie betrachtete ihn mit nichtssagender Miene aus dem Augenwinkel heraus, und Lelouch erlaubte sich ein leichtes Grinsen. „Pizza.“

Mit diesem einen Wort verlor die Unsterbliche jegliches Interesse an Clovis. Ihre Augen weiteten sich kaum merklich, fixierten dann den Pizzakarton, den Lelouch ihr entgegenhielt, und im nächsten Moment hatte sie ihn ihm auch schon aus den Händen gerissen. Allerdings war sie zumindest so freundlich, ihm im Austausch dafür erst noch unsanft die entsicherte Pistole in den Arm zu drücken.

Zusammen mit ihrem Plüschtier.

„Gefräßige alte Hexe“, kommentierte Lelouch – wohl wissend, dass C.C. ihm keinerlei Beachtung schenken würde. Er schüttelte den Kopf und wandte sich Clovis zu, der ihn anstarrte, als hätte er genauso sehr den Verstand verloren wie seine Komplizin. Da Lelouch das für durchaus möglich hielt, konnte er ihm seine Bedenken schlecht übelnehmen.

Erst recht nicht, wenn man bedachte, dass er außer einer geladenen Waffe auch noch das Maskottchen einer Pizzafiliale in Händen hielt.

„Gehen wir?“

Clovis befreite sich aus seiner Starre und setzte sich in Bewegung. Er fragte nicht, wo sie hingingen, und er hielt auch kein einziges Mal inne oder beklagte sich darüber, dass er so lange in der Gegend hatte herumstehen müssen, aber er warf seinem Entführer den ganzen Weg über merkwürdige Blicke zu.

Lelouch machte sich nichts daraus. Vermutlich würde es die Dinge sogar um einiges einfacher machen, wenn sein Bruder ihn für einen unzurechnungsfähigen Psychopathen hielt.
 

~
 

Das zukünftige Hauptquartier der Schwarzen Ritter sah schon von außen ein wenig anders aus, als Lelouch es in Erinnerung hatte. Zwar befand das Fahrzeug sich am selben abgelegenen Ort wie damals, jedoch war es noch ein ganzes Stück größer und auffälliger - und damit weitaus weniger verdächtig als alle Alternativen, die Lelouch sich unter den gegebenen Umständen hätte ausdenken können.

Als er einige Herzschläge nach Clovis und dicht gefolgt von C.C. eintrat, stellte Lelouch außerdem fest, dass es von innen sogar noch eindrucksvoller war, als er es sich vorgestellt hatte.

Natürlich hatte er die Entwürfe gesehen, aber die Zeit hatte nicht ausgereicht, um sie allzu genau zu studieren, und Lelouch hatte sich rasch zwischen einem guten Dutzend Modellen entscheiden müssen. Mit dem, was er letzten Endes allerdings erhalten hatte, konnte er ohne weiteres leben - zumal es nicht einmal eine Spezialanfertigung war.

Das massive rostbraune Fahrzeug war nicht annährend so geräumig wie einige der anderen Unterkünfte, die der Orden der Schwarzen Ritter in seinem alten Leben einmal für sich beansprucht hatte, aber das machte nichts. Lelouch hatte mehr bekommen, als er erwartet hatte - und es war sicherlich Clovis, dem das am meisten zugute kommen würde.

Er führte seinen Bruder die Treppe empor in den einzigen Raum mit Zugang zu sanitären Einrichtungen, den das Gefährt zu bieten hatte, und bedeutete ihm, sich auf einer langen weinroten Couch niederzulassen, die an der hinteren Zimmerwand stand.

Clovis tat, wie ihm geheißen, wobei er sich neugierig umsah.

„Es ist nicht, was du gewohnt bist“, bemerkte Lelouch und nahm die Pistole herunter, „aber ich fürchte, mit mehr kann ich nicht dienen.“

Das Zimmer war nicht allzu eng, hatte allerdings nur wenige Fenster, die dank ihrer geringen Größe und der dazu im Kontrast stehenden Höhe kein Sicherheitsrisiko darstellten. Zudem hingen hier und da dunkelgrüne Tücher an den Wänden, die vermutlich kunstvolle Verzierungen oder Gemälde vor Staub schützten, und genau wie im Rest des Fahrzeugs standen außer einigen Sesseln auch noch vereinzelte Kartons herum.

„Ich glaube, im Moment reicht es mir völlig, eine Sitzgelegenheit zur Verfügung zu haben“, gab Clovis trocken zurück. „Erinnere mich daran, das nächste Mal einen Sessel mitzunehmen, wenn ich entführt werde.“

„Kein Heer von Dienern, das dir jeden Wunsch von den Augen abliest?“

Clovis zog die Brauen in die Höhe. „Was, nicht einmal das gibt es hier?“ Er lehnte sich gegen die Sofalehne und strich sich beiläufig durchs Haar. „Hätte ich das vorher gewusst, dann hätte ich mir ein besseres Sicherheitssystem zugelegt.“

Clovis mochte ja ein ziemlich jämmerliches Bild abgeben, wenn man ihn erst einmal so weit hatte, dass er panisch wurde; aber offenbar brauchte er auch nicht übermäßig lange, um sich wieder einzukriegen, und dann war er bemerkenswert gut darin, seine wahren Gefühle zu verbergen. Ein bisschen zu gut, wie Lelouch fand.

Dennoch musste er zugeben, dass der Humor seines Bruders, so wenig er auch damit gerechnet hatte, durchaus etwas für sich hatte.

„Ich nehme an, wenn ich dir jetzt sage, dass ich bis morgen brauchen werde, um dir etwas anderes zum Anziehen zu besorgen, wirst du mir das übelnehmen?“

Clovis sah kurz an der grauen Uniform herab, die er noch immer trug - mit einem Gesichtsausdruck, der alles andere als begeistert wirkte. „Ist das dein Ernst?“, fragte er.

Lelouch hob die Schultern – eine Geste, die entschuldigend hätte sein können, in diesem Fall aber bestenfalls als gleichmütig durchgehen konnte. „Ich fürchte ja.“

„Dann glaube ich nicht, dass ich bis dahin noch einmal mit dir sprechen werde.“

„Wie du meinst.“ Lelouch hätte sich sicherlich eine geistreichere Erwiderung einfallen lassen, wäre er nicht so müde gewesen. „Ich packe noch ein paar der Kartons aus, dann gehe ich.“ Er hatte sich schon halb zur Tür gewandt, warf nun aber noch einmal einen Blick über die Schulter. „Sofern du keinen Hunger hast?“ Schließlich wäre es weder sonderlich nett noch übermäßig produktiv gewesen, seinen Bruder verhungern zu lassen, nachdem er sich die ganze Arbeit einer Entführung gemacht hatte. Falls Clovis allerdings durstig war, würde er sich erst einmal mit Leitungswasser begnügen müssen – Lelouch war gerade nicht danach zumute, den zuvorkommenden Gastgeber zu spielen.

Glücklicherweise schüttelte Clovis den Kopf. „Nein danke", sagte er tonlos. „Ich glaube nicht, dass ich heute noch etwas essen sollte.“

Lelouch nickte leicht und setzte dazu an, das Zimmer zu verlassen.

„Lelouch?“ Clovis klang, als wäre ihm in letzter Sekunde noch etwas Wichtiges eingefallen, aber das war es nicht, was Lelouch verblüffte. Viel mehr erstaunte ihn die plötzliche Zaghaftigkeit in der Stimme seines Bruders.

Er wandte sich wieder zu ihm und war überrascht festzustellen, dass Clovis überall hinsah, nur nicht zu ihm.

„Ich…“, begann sein Bruder und fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. „Als ich sagte, dass ich froh sei, dich zu sehen…“ Er brach ab, schluckte. Einen Augenblick lang glaubte Lelouch, dass er es sich anders überlegt hatte und nicht weitersprechen würde, aber dann bemerkte er, dass Clovis seinem Blick nicht länger auswich. Stattdessen sah er ihm direkt ins Gesicht, einen merkwürdig weichen Ausdruck in den Augen. „Ich habe dich vermisst“, sagte er.

Lelouch starrte ihn an, sprachlos.

Er wusste nicht, was er erwartet hatte, aber das hier war einfach absurd - und ganz sicher nicht Teil seines Plans.

Kein Wunder also, dass es ihn aus dem Konzept brachte. Es hatte nichts damit zu tun, dass Clovis trotz allem immer noch sein Bruder war, oder dass sich plötzlich Schuldgefühle in ihm regten, weil er damals ohne zu zögern den Abzug gedrückt hatte.

Es änderte nichts. Er würde sich umdrehen und gehen und so tun, als hätte er gar nichts gehört.

Aber er zögerte einen Augenblick zu lange, und er spürte, wie sein Blick für den Bruchteil einer Sekunde jegliche Härte verlor, als er bemerkte, wie angespannt und unsicher Clovis auf seine Reaktion wartete.

Als Lelouch sich kurz darauf wieder fing und seinem Bruder endlich den Rücken zukehrte, stellte er fest, dass inzwischen das irrationale Gefühl von ihm Besitz ergriffen hatte, er müsse irgendetwas erwidern.

Er verharrte mitten im Türrahmen. „Ich bin froh, dass ich nicht geschossen habe“, sagte er, ohne Clovis dabei anzusehen. Dann schloss er die Tür hinter sich.
 

~
 

In jener Nacht schlief Lelouch nicht.

Bis es draußen hell zu werden begann, kniete er neben dem Bett seiner kleinen Schwester und widerstand dem Drang, nach ihrer Hand zu greifen und sie zu wecken, um ihre Stimme zu hören und sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich da und das hier kein Traum war.

Es kam ihm alles so unwirklich vor.

Und doch zweifelte er nicht daran, dass es die Realität war.

Als Lelouch kurz vor Sonnenaufgang endlich wieder in sein Zimmer zurückkehrte, um sich für den Unterricht fertigzumachen, wusste er bereits, dass er nicht viel von dem mitbekommen würde, was seine Lehrer ihm erzählten.

Aber das war in Ordnung.
 


 


 


 

________________

Erst einmal bedanke ich mich für die netten und hilfreichen Kommentare.

Ich mache mir immer Gedanken, ob ich die Charas auch richtig getroffen habe, und wenn ich jemanden inspirieren kann, freut mich das erst recht. ^^

Zumal ich selbst mal wieder etwas Lesestoff gebrauchen könnte. *hihi*

Äh... ja, ich bin ganz uneigennützig. xD

Und auch wenn ich vermutlich jedes Kapitel noch etliche Male überarbeiten werde, wird der Inhalt grundsätzlich gleich bleiben (es seidenn natürlich, es waren grobe Logikfehler oder dergleichen darin). Nur bin ich nie mit den Formulierungen zufrieden. *g*

Ich hoffe, dass es gefallen hat und Clovis mir gelungen ist. Da man so wenig von ihm zu sehen bekommen hat, ist er für mich nämlich gleichzeitig der unkomplizierteste und der kniffligste Chara. [Anders ausgedrückt: Beim ersten Durchgang finde ich ihn jedes Mal toll, aber beim Überarbeiten würde ich am liebsten etwas nach ihm werfen. xD]

Der unsportliche Masochist

„Hey, Lelouch!“ Ein zusammengerolltes Stück Papier traf unsanft seinen Kopf. „Du bist doch nicht etwa eingeschlafen?!“

Lelouch öffnete die Augen und sah zu seiner Angreiferin auf.

Während des Sprechens hatte Milly für keine Sekunde damit aufgehört, seinen ohnehin schon brummenden Schädel zu traktieren, und er war heilfroh darüber, sich vorsorglich ein paar Kopfschmerztabletten eingesteckt zu haben.

„Deswegen musst du mich nicht gleich schlagen“, bemerkte er halbherzig und ignorierte das nagende Gefühl von Déjà-vu, das ihn dabei überkam.

„Das ist die Strafe dafür, dass du mich einfach alleine zurückgelassen hast“, kommentierte Rivalz von seinem Platz am Tischende aus, ein zufriedenes Grinsen im Gesicht und neben einem Haufen Zettel auch einen Kuli in der Hand, mit dem er nun auf Lelouch deutete.

„Ganz recht!“, stimmte seine Sitznachbarin ihm sogleich zu und sah Lelouch, neben dem sie ebenfalls saß, argwöhnisch von der Seite an. „Was hast du gestern überhaupt gemacht?“

Lelouch hörte damit auf, sich den Kopf zu reiben, und blickte zu Shirley.

So seltsam es auch war, wieder auf diese Schule zu gehen und so selbstverständlich von den Freunden empfangen zu werden, die er damals vorsätzlich von sich gestoßen hatte, es kam ihm nicht halb so bizarr vor wie eine noch so kurze Konversation mit Shirley. Er hatte sie sterben sehen; war dabei gewesen, als sie ihren letzten Atemzug getan hatte.

Er hatte sie angefleht, bei ihm zu bleiben, und gespürt, wie ihr Körper unter seinen Händen kalt geworden war.

Und doch saß sie jetzt hier - warm und lebendig und glücklicher, als sie es nach dem Tod ihres Vaters jemals wieder gewesen war.

Lelouch war dankbar für die Chance, ihr Glück ebenso zu bewahren wie das so vieler anderer Menschen, hatte aber längst erkennen müssen, dass er ihr nicht einmal in die Augen sehen konnte, ohne dass sein Magen sich unweigerlich zu einem schmerzhaften Knoten verkrampfte.

„Und weshalb schaust du mich so merkwürdig an?“

Lelouch blinzelte. „Hu?“

Shirley schüttelte den Kopf. „Du bist unmöglich“, klagt sie und warf ärgerlich die Hände in die Luft.

Lelouch lächelte. „Tut mir leid. Ich werde versuchen, in Zukunft zuverlässiger zu werden.“ Insgeheim tadelte er sich für seinen himmelschreienden Mangel an Subtilität.

„Wer’s glaubt…“, murmelte Shirley, ganz offensichtlich alles andere als überzeugt, und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Lelouch betrachtete sie noch für einen Moment länger, dann schnappte er sich einen der herumliegenden Stifte und tat es seiner guten Freundin gleich.

Dieses Mal, versprach er ihr lautlos, werde ich dich beschützen. Dich und alle anderen.
 

Das Erste, was Lelouch tat, nachdem er den Unterricht hinter sich gebracht hatte, war, sein Zimmer aufzusuchen. Dort würde er seine Schuluniform rasch gegen etwas Praktischeres eintauschen, bevor er dann in die Stadt ging, um sich nach geeigneten Kleidern für seinen Halbbruder umzusehen. So unterhaltsam der Anblick von Clovis la Britannia in einem schlichten Massenprodukt des Militärs auch sein mochte, Lelouch konnte ihn nicht ewig hinhalten. Vorausgesetzt zumindest, er wollte weitere Kopfschmerzen vermeiden.

Es überraschte ihn nicht sonderlich, C.C. auf seinem Bett vorzufinden, wo sie auf dem Rücken lag und die Decke anstarrte.

„Warst du bei Clovis?“, fragte er sie, während er seine Schränke und Schubladen durchwühlte. Er hatte längst vergessen, wo genau er vor dreieinhalb Jahren einmal seine Alltagskleidung verwahrt hatte.

„Aa“, machte C.C. und rollte sich auf den Bauch, um ihm bei seiner Suche zuzusehen. Lelouch fand, dass sie ihm ruhig hätte helfen können; aber wenigstens schien ihre Laune sich etwas gebessert zu haben. „Er war nicht sehr begeistert von meinem Besuch.“

Lelouch zog eine rotschwarze Jacke, ein dunkles T-Shirt und eine dazu passende Hose unter seinen beiden Ersatz-Schuluniformen hervor. „Und das wundert dich?“

„Ich mag ihn nicht“, erwiderte C.C., als wäre das eine Antwort auf seine Frage, und in gewisser Weise stimmte das vermutlich auch. Lelouch bedauerte jeden, der sich die Graue Hexe zum Feind gemacht hatte – selbst seinen zum Narzissmus neigenden Halbbruder.

„Das ist mir aufgefallen“, sagte er daher nur.

C.C. blickte ihn finster an. „Und ich sehe nicht ein, weshalb ich ihm meine Pizza opfern musste.“

Lelouch kehrte ihr den Rücken zu und begann, sich zu entkleiden – wissend, dass C.C. besseres zu tun hatte, als ihn beim Umziehen zu beobachten. „Ich weiß nicht, weshalb du dich beschwerst“, sagte er, während er aus seiner Hose schlüpfte. „Ich habe dir genug Geld gegeben, um das halbe Restaurant aufzukaufen.“ Eine kleine Übertreibung vielleicht, aber er war wirklich nicht geizig gewesen. Immerhin musste er sicherstellen, dass seine Komplizin die Pizza nicht einfach selber essen und Clovis verhungern lassen würde.

Noch einmal konnte er sich diese Art von Vorsichtsmaßnahme in den nächsten Tagen allerdings nicht leisten.

„Ich mag ihn trotzdem nicht.“

Lelouch schmunzelte. Er drehte sich wieder zu ihr um, wobei er die Jacke über sein schwarzes Oberteil zog. „Soll ich ihm das ausrichten?“

Die Unsterbliche zuckte die Schultern. „Wenn du möchtest.“

„Ich werde es mir überlegen.“ Er grinste leicht und steckte sein Portmonee ein. „Sagst du Sayako und Nanali, dass ich mich beeilen werde und sie wenn möglich mit dem Abendessen auf mich warten sollen?“

Das weckte offenbar C.C.s Interesse. Sie hörte auf, müßig am Bettlaken herumzuzupfen, und sah ihn forschend an. „Bist du dir sicher?“

Er lächelte. „Ich kann ihr schlecht ewig aus dem Weg gehen, meinst du nicht auch?“

„Du könntest es versuchen.“

Einmal mehr staunte Lelouch darüber, wie mühelos C.C. ihn durchschaute. Es war verlockend, alles, was ihn an sein Versagen erinnerte, so lange wie nur irgend möglich zu verdrängen und so zu tun, als existierte es gar nicht. Aber hier ging es um Nanali, und das bedeutete, dass seine eigenen Wünsche sich naturgemäß dem unterordnen mussten, was am besten für seine kleine Schwester war.

Also schüttelte er den Kopf. „Das wäre nicht fair.“

„Das Leben ist niemals fair“, gab C.C. zurück, rollte sich aber noch währenddessen wieder auf den Rücken und tat so, als hätte er den Raum bereits verlassen. Daraus schloss Lelouch, dass sie entweder nichts an seiner Entscheidung auszusetzen oder von vorneherein damit gerechnet hatte.

Er schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln. „Bis später.“

C.C. erwiderte nichts, aber das war keine große Überraschung.
 

~
 

Lelouch war sich nicht ganz sicher, was er erwartet hatte, als er die Tür zu Clovis’ vorläufiger Unterkunft öffnete, aber es lag irgendwo zwischen einem Schwall von Beschwerden und kühlem Zynismus.

Was er allerdings vorfand, nachdem er höflich angeklopft hatte und dann – bewaffnet und ohne eine Reaktion abzuwarten - eingetreten war, entsprach nicht wirklich seinen Vorstellungen.

Sein Bruder hatte den Ellenbogen auf die Lehne der Couch und das Kinn auf die rechte Hand gestützt. In der Linken hielt er eine Fernbedienung, die er offenbar dazu benutzte, alle Sender, die der Großbildfernseher an der Wand vor ihm zu bieten hatte, der Reihe nach durchzugehen.

„Man sollte meinen“, bemerkte er leicht säuerlich, als Lelouch näher trat, „mein Tod wäre wichtig genug, um ihn zumindest beiläufig in den Nachrichten zu erwähnen.“

„Findest du?“ Lelouch legte die Kleidung, die er mitgebracht hatte, auf einem kleinen Tisch nahe dem Sofa ab, auf dem bereits ein leerer Pizzakarton stand. Anscheinend hatte sein Bruder die Zeit damit vertrieben, Einrichtungsgegenstände aus Kisten zu befreien und so zu postieren, dass das Zimmer trotz eher spärlichen Mobiliars den Eindruck erweckte, geschmackvoll eingerichtet zu sein.

Clovis schaltete den Fernseher ab, setzte sich auf und rückte in die Mitte der Couch, wo er die Fernbedienung neben sich auf ein Kissen legte. Dann blickte er Lelouch mit gehobenen Brauen an. „Willst du etwa behaupten, ich wäre es nicht einmal wert, zwischen den Verkehrsmeldungen erwähnt zu werden?“

Lelouch zuckte die Schultern. „Man muss Prioritäten setzen.“

Für einen Augenblick sah Clovis ihn einfach nur an, wobei er durchaus etwas pikiert wirkte. Dann jedoch schüttelte er in gespielter Trostlosigkeit den Kopf. „Langsam fällt mir wieder ein, weshalb es heißt, kleine Geschwister seien eine Plage“, seufzte er.

„Ah.“ Lelouch lächelte listig. „Vielleicht möchtest du Cornelia an dieser wahrhaft weisen Erkenntnis teilhaben lassen?“

Clovis erbleichte ein wenig, ließ sich aber ansonsten nichts anmerken und zog vornehm eine einzelne Braue in die Höhe zog. „Ich hänge an meinem Leben, danke.“ Plötzlich schien ihm etwas einzufallen, und sein bis dahin recht gelangweilter Gesichtsausdruck veränderte sich. „Wenn du noch am Leben bist…“, setzte er an. „Heißt das, dass Nanali auch…?“

Lelouch bedachte seinen Bruder mit einem kühlen Blick. „Sie lebt“, sagte er knapp.

Clovis allerdings schien seine Schroffheit nicht zu bemerken. Er lächelte, und die unverkennbare Echtheit seines Lächelns überraschte Lelouch. „Das freut mich.“

„Weshalb?“, gab Lelouch scheinbar ungerührt zurück. Auch wenn sie sich vor über sieben Jahren einmal relativ nahegestanden hatten, war seine Skepsis nach allem, was seither vorgefallen war, mehr als berechtigt.

Das zumindest sagte er sich, als Clovis ihn so aufrichtig verblüfft ansah, dass er beinahe ein schlechtes Gewissen bekam.

„Weshalb?“, echote sein Bruder ungläubig. „Auch wenn wir nur Halbgeschwister sind - wir sind trotzdem Geschwister.“ Er sah aus, als hätten Lelouchs Worte ihn tatsächlich verletzt. „Wir sind immer gut miteinander ausgekommen, oder nicht?“

Lelouch nahm den leeren Pizzakarton vom Tisch. „Das stimmt“, räumte er ein, wobei "gut" ein eher relativer Begriff war. „Aber das war, bevor du ohne mit der Wimper zu Zucken den Tod etlicher Unschuldiger befohlen hast.“

Zumindest hatte Clovis den Anstand, bei der Erinnerung an seine Verbrechen leicht zusammenzuzucken, bevor er dazu ansetzte, sich zu verteidigen. „Es war nicht meine Schuld, dass diese Terroristen sich in Dinge eingemischt haben, von denen sie nichts verstehen.“

„Also ist es ihre Schuld, dass du ein Mörder bist?“

Mörder?“ Clovis klang entsetzt.

Lelouch schnaubte. „Oder wie würdest du es nennen?“, fragte er. „Alte, Frauen, Kinder… es war dir vollkommen egal, nicht wahr?“ Er lächelte kalt. „Solange du nur bekommst, was du haben willst.“

Clovis starrte ihn an, ganz offensichtlich bestürzt, und Lelouch fragte sich, ob sein Bruder einfach nicht weiter über die Auswirkungen seines Befehls nachgedacht hatte, oder ob ihm nur nie in den Sinn gekommen war, dass jemand, den er persönlich kannte, „Elfer“ als gleichwertige Menschen mit Gefühlen und Rechten und ihn infolgedessen als abstoßenden Massenmörder ansehen könnte.

Lelouch tippte auf Letzteres.

Er wollte sich gerade angewidert zum Gehen wenden, als Clovis eine Idee zu kommen schien. „Kanntest… du jemand von ihnen?“, fragte er vorsichtig. Er klang ehrlich besorgt, aber auch so, als könnte er es sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein Verwandter von ihm irgendetwas mit den Leuten aus Shinjuku zu tun gehabt haben könnte.

„Von denen, die gestorben sind?“, fragte Lelouch kühl. „Nein.“

Clovis sah ihn verständnislos an. „Aber warum…“, begann er.

Lelouch unterbrach ihn, bevor er seine ebenso vorhersehbare wie abstoßende Frage in Worte fassen konnte.

„Nicht, Clovis“, sagte er. „Ich bin nicht sicher, was ich tun würde, solltest du diesen Satz beenden.“

Das schiere Unbegreifen auf den Zügen seines Bruders erinnerte Lelouch daran, was für ein weiter Weg es noch sein würde, bis er sein Ziel abermals erreicht hätte.

Und das Schlimmste daran war, dachte er, als er das Zimmer hinter sich verschloss, dass Clovis verglichen mit den meisten anderen Briten noch beinahe harmlos war.

Sicher, sein Bruder hätte ohne schlechtes Gewissen ein ganzes Wohnviertel voller Zivilisten auslöschen lassen, wenn Lelouch nicht eingegriffen hätte; aber das war nicht, wie man hätte meinen können, die Spitze des Eisberges gewesen, sondern mit Abstand das Äußerste dessen, was Clovis sich in den letzten drei Jahren geleistet hatte. Die meiste Zeit über war er keineswegs aktiv gegen irgendetwas oder irgendjemanden vorgegangen und hatte sich damit begnügt, bewegende Reden zu halten, während das Problem der ehemaligen Japaner sich durch Armut und Hunger von alleine löste. Er hatte nicht einmal besonderen Wert darauf gelegt, dass die Vergnügungsparks, die er überall im Land hatte errichten lassen, nur von Briten besucht wurden.

Lelouch konnte seinen Bruder nicht hassen, aber er konnte ihn ohne weiteres für seine Ignoranz verachten.
 

Nachdem er den Pizzakarton draußen entsorgt hatte, machte Lelouch da weiter, wo er am Vorabend aufgehört hatte: Er packte die Kisten aus, die vor allem in der unteren Etage immer noch überall verteilt waren. Außerdem schenkte er erstmals den dunklen Tüchern Beachtung, die auch hier an den Wänden hingen und die Gegenstände dahinter nicht nur vor Staub schützten, sondern sie zudem so effektiv verbargen, dass Lelouch einen riesigen Großbildfernseher ganz einfach übersehen hatte.

Es gehörte nicht zu seinem Plan, dass Clovis sich aus Mangel an Beschäftigung damit die Zeit vertrieb, regelmäßig durch alle nur erdenklichen Programme zu schalteten. Er würde Fragen stellen, und spätestens, wenn Zero seinen ersten offiziellen Auftritt hatte, würde er Eins und Eins zusammenzählen. Der Dritte Prinz des Heiligen Britischen Reiches konnte sich aufführen wie die personifizierte Überheblichkeit, aber er war mit Sicherheit kein Narr.

Wer weiß – das letzte Mal, als sie zusammen Schach gespielt hatten, hätte Clovis ihn vielleicht sogar schlagen können, wenn die Partie nicht unterbrochen worden wäre. Das hätte zwar immer noch Sechsunddreißig zu Eins für Lelouch bedeutet, aber er war auch schon immer ein außergewöhnlich guter Stratege gewesen. Dass sein Bruder überhaupt eine Chance gegen ihn gehabt hatte, war mehr, als die meisten anderen Menschen selbst in Lelouchs frühsten Kindheit von sich hatten behaupten können.

Natürlich machte es keinen großen Unterschied, was Clovis wusste, wenn man bedachte, dass er hier beinahe völlig von der Außenwelt abgeschnitten war; aber das bedeutete nur, dass es sich nicht lohnte, den Fernseher einfach kurzerhand zu zertrümmern. Nichtsdestotrotz wäre es Lelouch lieber, wenn Zeros Identität noch für eine Weile länger vollkommen geheim bleiben würde – schon alleine deshalb, weil ihm nicht nach noch mehr tiefgründigen Unterhaltungen zumute war. Also würde er wohl oder übel dafür sorgen müssen, dass Clovis etwas zu tun hatte.

Und er hatte auch schon eine Idee.
 

~
 

Es dauerte zwei Stunden, bis Lelouch alles zusammengetragen hatte. Er war erschöpft, pleite und am Ende mit den Nerven, aber durchaus zufrieden mit sich selbst.

So zufrieden, dass ihn nicht einmal die seltsamen Blicke störten, die sein Bruder ihm zuwarf, als er außer einigen Flaschen Wasser und Lebensmittelvorräten (für den Fall, dass C.C. sich weigerte, auch weiterhin Lieferantin zu spielen) auch noch eine Leinwand, einen Haufen Bleistifte, mehrere Farbpaletten, ein Dutzend Pinsel und generell alles, was er in dem Laden für Kunstbedarf hatte finden können, eins nach dem anderen die Treppe hoch und in Clovis’ Zimmer schleppte. Die Krönung waren ein kleines Schachbrett und eine Schatulle mit entsprechenden Figuren, die erfrischend handlich gewesen wären, hätte er nicht erst noch einen zusätzlichen Tisch nach oben bringen müssen.

Dass er dabei die ganze Zeit über nur eine Hand zur Verfügung hatte, weil er zudem auch immer eine Pistole mit sich herumtragen musste, damit sein Bruder auch ja nicht auf dumme Ideen kam, machte die Sache nicht gerade einfacher, und als er nach vielen Stunden endlich fertig war, stützte Lelouch sich halbtot am Türrahmen ab.

„Wie ich sehe, hat sich wenigstens an deinen herausragenden körperlichen Fähigkeiten in all den Jahren nichts geändert“, kommentierte Clovis, der gemütlich auf seiner Couch saß und Lelouch die ganze Zeit so neugierig beobachtet hatte, als wäre er der Hauptdarsteller in einer leicht sonderbaren, aber dennoch recht unterhaltsamen Komödie, die eigens für ihn aufgeführt wurde.

Lelouch beschloss, dass sein Bruder und C.C. ein ausgezeichnetes Paar abgeben würden.

Oder auch nicht. Schließlich bevorzugten Sadisten üblicherweise keine anderen Sadisten, sondern hilflose Opfer, mit denen sie sich nach Herzenslust vergnügen konnten.

Unwillkürlich musste Lelouch sich fragen, ob ihn das zu einem Masochisten machte, oder ob er einfach nur die falschen Leute kannte... und ob es da überhaupt einen Unterschied gab.
 


 


 


 

______________

Hm. Je weiter ich komme, desto häufiger überarbeite ich Kleinigkeiten bezüglich meines Schreibstils. o.o

Na ja, solange der Inhalt gleichbleibt, sollte das niemanden stören. Allerdings nehme ich genau deshalb sehr gerne Verbesserungsvorschläge an. ^^

Dass Nanali und Sayako C.C. noch gar nicht kennen, ist mir allerdings durchaus bewusst - auch wenn man sich natürlich fragen kann, ob Lelouch das in diesem Moment nicht vielleicht entfallen sein könnte.

Es macht erstaunlich viel Spaß, Clovis zu schreiben. Ein bisschen zu viel Spaß vielleicht - schließlich kann ich mich nicht nur auf die drei oder vier Hauptcharaktere der Fanfic konzentrieren.

Folglich gehört das nächste Kapitel aller Voraussicht nach ganz der Ashford Akademie.

Und falls jemand befürchtet, ich hätte Kallen vergessen, kann ich hoffentlich beruhigen, indem ich schon einmal verrate, dass sie sich auch bald blicken lassen wird. Nur, weil Leouch sie dieses Mal nicht erst extra auf Shinjuku ansprechen musste, heißt das nicht, dass sie sich nicht auch in der Schule befindet. ;P

Wie dem auch sei, ich würde mich über Rückmeldungen freuen - besonders im Bezug auf Clovis, mit dessen Persönlichkeit ich mich immer noch ausgiebig auseinandersetze.

Die überrumpelte Mitschülerin

Als Lelouch an diesem Abend nach Hause kam, wurde er bereits erwartet.

Nanali und Sayako saßen an einem kleinen Tisch im Zimmer seiner kleinen Schwester, auf dem jede Menge buntes Papier herumlag. Anstatt jedoch zu basteln oder sich zu unterhalten, hatten sie sich offenbar schon vor längerem der Türe zugewandt und schweigend abgewartet.

Lelouch war nicht überrascht, aber es war dennoch seltsam, nach so langer Zeit wieder daran erinnert zu werden, dass Nanali niemals so hilflos gewesen war, wie sie auf die meisten Leute wirkte. Natürlich war es eine erhebliche Beeinträchtigung, dass sie weder sehen noch laufen konnte, aber Fähigkeiten wie die erhöhte Wahrnehmung all ihrer verbleibenden Sinne, die sie stattdessen entwickelt hatte, stellten einen nicht zu unterschätzenden Ausgleich dafür dar.

Lelouch hatte schon immer gewusst, dass seine kleine Schwester eine bemerkenswerte Person war, aber er hatte beinahe ein ganzes Leben gebraucht, um zu begreifen, wie bemerkenswert.

Es war mehr als peinlich und er schämte sich noch immer dafür, Nanali so sehr unterschätzt zu haben; doch es hatte auch etwas Tröstliches zu wissen, dass sie auch irgendwie zurechtkommen würde, sollte ihm einmal etwas zustoßen.

Lelouch hatte nicht vor, seine Schwester oder die Welt im Stich zu lassen, aber eine erfolgreiche Revolution ließ sich nun einmal nicht ohne Risiko durchführen - genauso wenig, wie sich die Welt ohne Opfer verändern ließ.

Lautlos schloss die Tür sich hinter ihm.

„Entschuldigt, dass ich zu spät bin“. Noch während er sprach, erkannte Lelouch, was das bunte Papier war, das überall auf dem Tisch verteilt war, und der Anblick der Kraniche entlockte ihm ein kleines, trauriges Lächeln.

„Willkommen zurück, Onii-sama“, sagte Nanali und überging seine Unpünktlichkeit, wie sie es damals immer getan hatte. Lelouch verspürte ein leichtes Ziehen in seinem Herzen.

Er hatte es schon immer gehasst, wie sie sich ständig um seinetwegen zurücknahm – als wollte sie ihm nicht zur Last fallen. Als wüsste sie nicht, dass sie das Letzte auf dieser Welt war, was ihm jemals Unannehmlichkeiten bescheren könnte.

„Willkommen zurück“, grüßte ihn auch Sayako.

Lelouch riss seinen Blick von dem gefalteten Papier los und zwang sich zu einem Lächeln, von dem er hoffte, dass es nichts Trübsinniges an sich hatte. „Danke, Nanali, Sayako.“

Sayako wartete noch einen Moment, um sicherzugehen, dass sie auch niemanden unterbrechen würde, bevor sie ihm mittelte: „Sie haben Besuch.“ Sich darüber im Klaren zu sein, dass er es hier nicht einfach nur mit einem Dienstmädchen, sondern mit einer ausgebildeten Kunoichi zu tun hatte, wäre nicht im Geringsten befremdlich gewesen, hätte besagte Kunoichi zumindest geahnt, dass er über sie Bescheid wusste.

Aber das war es nicht, was Lelouch im Augenblick beschäftigte. „Besuch?“, wiederholte er perplex.

Sayako nickte, doch bevor sie Zeit für nähere Erläuterungen hatte, meldete sich Nanali zu Wort: „Von einem Mädchen.“ Sie legte den Kopf ein wenig schräg. „Hast du sie nicht herbestellt?“

Lelouch brauchte einen Moment um zu begreifen, dass sie von C.C. sprach. Dann jedoch kam seine Antwort ohne jegliche Verzögerung: „Oh, das habe ich ganz vergessen.“

„Sie wartet in Ihrem Zimmer auf Sie.“

„Ah.“ Lelouch lächelte. „Vielen Dank, Sayako. Ich gehe später zu ihr.“

Die junge Frau nickte leicht und erhob sich. „Ich werde dann das Essen machen.“

Lelouch blickte Sayako einen Moment hinterher. Als er sich schließlich wieder Nanali zuwandte, bemerkte er, dass diese ihn mit einem listigen Lächeln bedachte. „Ist sie etwa deine Freundin?“, wollte sie wissen.

„Natürlich nicht“, gab Lelouch sofort zurück, der sich gar nicht ausmalen wollte, was C.C. wieder Missverständliches von sich gegeben haben mochte, und es zudem immer noch etwas gewöhnungsbedürfttig fand, dass seine kleine Schwester so viel Freude daran hatte, in seinem nicht vorhandenen Liebesleben herumzustochern. „Sie hilft mir bei etwas.“

„Oh.“ Irrte er sich, oder klang Nanali tatsächlich enttäuscht? „Isst deine Bekannte denn mit uns? Sie hat einen merkwürdigen Namen, findest du nicht? Nur Initialen…“

Lelouch lächelte. „Ich bin sicher, C.C. hat schon gegessen.“

„Schade.“ Für einen kurzen Augenblick wirkte Nanali wieder ehrlich enttäuscht, aber dann hellte sich ihre Miene plötzlich auf. „Schau!“, sagte sie und griff nach dem rosafarbenen Kranich, der direkt vor ihr auf dem Tisch lag. Offenbar hatte sie ihn gerade erst gefaltet. „Sayako-san hat mir gerade Origami beigebracht!“, erzählte sie ihm. „Sie hat mir erklärt, dass man Dinge wie Vögel oder Schiffe aus einem Stück Papier machen kann, wenn man es mehrmals faltet. Sie sagte auch, dass einem seine Wünsche erfüllt werden, wenn man tausend von ihnen gemacht hat.“ Sie neigte den Kopf zur Seite. „Wenn es also etwas gibt, was du dir wünschst…“

„Ich…“, begann Lelouch unschlüssig. Er wollte seine Schwester nicht anlügen, nie wieder. Aber er konnte ihr schlecht die Wahrheit sagen: Dass er sich wünschte, dieses Mal nicht in jeder Hinsicht zu versagen, und dass er ohne zu zögern hunderttausende von Kranichen dafür falten würde, wenn er wirklich geglaubt hätte, dass das etwas nützen würde. Letzten Endes brachte er nicht mehr heraus als eine Gegenfrage: „Was ist mit dir? Gibt es nichts, was du dir wünschst?“

Es war ein recht klägliches Ablenkungsmanöver, aber Nanali hatte keinen Grund, etwas anderes als aufrichtiges Interesse hinter seinen Worten zu vermuten.

Sie überlegte nur für eine winzige Sekunde, bevor sie antwortete. „Ein freundliche Welt“, sagte sie dann. „Ich wünsche mir eine freundliche Welt, in der wir für immer glücklich zusammen leben können, so wie jetzt.“

Es war der letzte Teil ihrer Erwiderung, den Lelouch nicht hatte kommen sehen und der ihm einen Stich ins Herz versetzte.

„Vielleicht“, sagte er zögerlich und nahm Nanalis Hand in die seine, „vielleicht wird die Welt so aussehen, wenn du eines Tages wieder sehen kannst.“
 

In dieser Nacht schlief Lelouch, aber er tat es alles andere als friedlich.

Mehrmals erwachte er schweißgebadet aus Alpträumen, derer er sich im Nachhinein nicht mehr erinnern konnte. Es waren nur sein rasender Puls und die lähmende Angst, welche anschließend stets für einige Augenblicke jede Faser seines Körpers beherrschte, die von ihrer Existenz kündeten.
 

~
 

„Kallen Stadtfeld?“ Lelouch fühlte sich überrumpelt. So war es beim letzten Mal definitiv nicht gelaufen.

„Mhm!“ Milly strahlte ihn an. „Mein Großvater hat mich gebeten, sie in den Schülerrat aufzunehmen. Sie hat einen schwachen Körper, weißt du? Deswegen war sie auch die ganze Zeit nicht da.“

„Und die anderen Clubs sind alle Sportarten gewidmet, bei denen sie nicht mitmachen kann, richtig?“ Insgeheim fand Lelouch es immer noch ausgesprochen amüsant, dass Kallen ausgerechnet diese Art von Tarnung gewählt hatte. Sicher, es war ein kluger Schachzug, der zuverlässig jeden Verdacht von ihr ablenken würde, sollte jemand sich die Akademie einmal genauer ansehen - aber es passte so wenig zu ihrer wahren Persönlichkeit, dass sie sich vermutlich alle zwei Sekunden daran erinnern musste, nicht aus ihrer Rolle zu fallen.

„Genau!“, bestätigte Milly. „Wie immer eine brillante Schlussfolgerung, Herr Vizepräsident! Und deshalb erhältst du auch die Ehre, sie nach der Schule in unser Klubhaus zu bringen.“

„Kann das nicht jemand anderes machen?“, seufzte Lelouch. „Ich bin sicher, Rivalz würde-“ Ein Zeigefinger, der unsanft auf seine Lippen gepresst wurde, ließ ihn verstummen. Er schielte auf den perfekt manikürten Fingernagel direkt unter seiner Nase und blinzelte.

„Kein Wort mehr!“, befahl Milly. „Wir bereiten die Begrüßungsparty vor und du bringst sie her!“ Sie nahm ihren Finger wieder aus seinem Gesicht und trat einen Schritt zurück. „Und wehe“, warnte sie ihn mit einem vergnügten, aber leicht teuflisch anmutenden Grinsen, „du machst uns die Überraschung kaputt.“

„Ich-“

„Verstanden?“

Lelouch seufzte innerlich, als er erkannte, dass ihm keine andere Wahl blieb, als sich geschlagen zu geben. „Verstanden, Kaichou.“ Sein halbherziger Versuch, nicht allzu unmotiviert zu klingen, war nicht sonderlich erfolgreich, aber Milly schien das nicht zu stören.

„Sehr schön!“, freute sie sich. „Wir sehen uns dann nach dem Unterricht. Bis dann!“ Und ohne ihm Zeit für eine Erwiderung zu lassen, war sie auch schon verschwunden. Der besagte Unterricht allerdings begann erst in mehr als fünfzehn Minuten, was Lelouch zu dem Schluss kommen ließ, dass Milly es nur nicht riskieren wollte, dass er es sich doch noch anders überlegen könnte.

Er seufzte.

So viel dazu, Clovis von den Nachrichten abzulenken.
 

Sobald es klingelte und die ersten Schüler zur Tür strebten, erhob auch Lelouch sich von seinem Platz. Allerdings nicht mit der Absicht, möglichst schnell den Klassenraum zu verlassen, auch wenn er das zweifelsohne nur allzu gerne getan hätte. Stattdessen hatte er nichts anderes im Sinn, als diese Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.

Obwohl er Kallen in den letzten beiden Stunden so genau beobachtet hatte, wie es ihm nur möglich gewesen war, ohne Aufsehen zu erregen, hatte nichts an ihrem Verhalten darauf hingedeutet, dass sie ihn verdächtigen könnte, in irgendeiner Verbindung zu dem Vorfall in Shinjuku zu stehen. Und wieso sollte sie auch? Dieses Mal hatte er schließlich nichts getan, was ihr Misstrauen gerechtfertigt hätte.

In der Tat musste Lelouch zugeben, dass er am Vortag nicht einmal Notiz von Kallen genommen - nicht, weil er sie nicht ebenso sehr vermisst hatte wie seine anderen Freunde, sondern ganz einfach deshalb, weil er ihr Auftauchen genauso sehr verschlafen hatte wie den gesamten Unterricht.

Nur einem einzigen Lehrer war seine Unaufmerksamkeit aufgefallen, aber selbst der hatte ihn erst am nächsten Morgen darauf angesprochen und sich dann ziemlich schnell erweichen lassen, als Lelouch ihm erklärt hatte, dass er in letzter Zeit an leichten Schlafstörungen leide.

Das rothaarige Pilotenass indessen hatte bisher keinen Grund gehabt, ihm auch nur einen zweiten Blick zu schenken, und wenn es nach ihm ginge, dann wäre das auch noch eine Weile so geblieben.

Lelouch mochte Kallen, mochte sie wirklich, aber im Moment konnte er es einfach nicht gebrauchen, dass irgendjemand auf ihn aufmerksam wurde, der auch näher mit Zero zu tun haben würde.

Unglücklicherweise wusste Milly das natürlich nicht. Und selbst wenn, hätte sie es sich vermutlich trotzdem nicht nehmen lassen, ihn zu quälen, wann immer sich ihr die Gelegenheit bot.

Also blieb ihm keine andere Wahl, als sich wie üblich dem Willen der energischen Schülerratspräsidentin zu beugen.

„Du lebst zu Hause?“, hörte Lelouch eines der Mädchen fragen, die sich um die inoffizielle Japanerin herum versammelt hatten. Diese saß noch immer an ihrem Tisch in der hintersten Ecke des Raumes und spielte überzeugend ihre Rolle einer körperlich schwachen jungen Dame mit ruhigem Gemüt.

Bevor Kallen jedoch antworten oder die Umstehenden noch etwas sagen konnte, war Lelouch auch schon bei ihnen angekommen. Die Mädchen sahen ihn teils neugierig, teils erstaunt an, als er direkt vor Kallen stehen blieb.

„Entschuldige“, sagte er mit einem kleinen, freundlichen Lächeln, „aber hättest du vielleicht einen Moment Zeit? Ich wollte dich etwas fragen.“

Kallen blinzelte, was sie erstaunlich harmlos aussehen lies. „Mich etwas fragen?“, wiederholte sie.

„Ja“, bestätigte Lelouch, noch immer ein bewusstes Lächeln auf den Lippen. „Es hat etwas mit der Schule zu tun, aber ich würde es trotzdem lieber nicht hier besprechen.“

„Oh.“ Kallen starrte ihn noch ein paar Sekunden lang in gespielter Verständnislosigkeit an, dann stand sie langsam von ihrem Stuhl auf. „In Ordnung.“ Die Klassenkameradinnen, die sich schon den ganzen Tag über um sie geschart hatten, sahen ihr neugierig nach, als sie Lelouch nach draußen folgte. Vermutlich waren sie bereits dabei, die wildesten Vermutungen anzustellen.

Allerdings wurde Lelouch das Gefühl nicht los, dass Kallen selbst ebenfalls glaubte, er wäre nur ein weiterer Verehrer, der ihr die Zeit stehlen wollte. Vielleicht war er aber auch nur so paranoid, dass er sich den ärgerlichen Blick, der drohte, ein Loch in seinen Hinterkopf zu brennen, nur einbildete.

Doch selbst wenn das nicht nur seine Fantasie war, die da mit ihm durchging, konnte Lelouch sehr gut damit leben, für ein paar Minuten lang für einen liebeskranken Trottel gehalten zu werden, solange das der einzige Verdacht war, den Kallen gegen ihn hegte.

„Wie weit noch?“, wollte diese auf halbem Weg wissen und schaffte es dabei nicht ganz, die Genervtheit und den Argwohn aus ihrer Stimme zu verbannen.

„Noch ein kleines Stück“, gab Lelouch unbekümmert zurück. Mit so einer Frage hatte er längst gerechnet. „Es gibt hier ein Klubhaus, in dem man sich gut unterhalten kann.“

„Ein Klubhaus?“ Kallen klang verdutzt.

Lelouch nickte. „Aa. Keine Sorge, es ist nicht mehr weit.“

Für eine Weile ging Kallen nun wieder schweigend hinter ihm her, aber nicht für lange. Dann blieb sie so abrupt stehen, dass Lelouch einen Augenblick brauchte, um es zu bemerken.

Er drehte sich zu ihr um. „Was ist?“

„Ich-“, begann Kallen sichtlich aufgebracht, brach aber sofort wieder ab, als sie erkannte, dass sie im Begriff war, ihre Tarnung aufzugeben. „Ich glaube nicht, dass ich noch weiter gehen sollte“, sagte sie dann in einem wesentlich sanfteren Tonfall. Lelouch bezweifelte, dass diese milde Aussage irgendetwas mit dem gemeinsam hatte, was sie ihm ursprünglich hatte an den Kopf werfen wollen.

Es war nicht weit vom Schulgebäude bis zum Klubhaus, aber Lelouch konnte verstehen, dass Kallen nicht allzu begeistert darüber war, ohne vernünftige Erklärung durch die Gegend geschleppt zu werden. Er könnte es ihr nicht einmal verdenken, wenn sie ihn mittlerweile für irgendeinen schäbigen Perversen hielt.

Also setzte er sein einnehmendstes Lächeln auf. „Es ist wirklich nicht mehr weit“, sagte er und deutete auf das Haus, das gerade in einiger Entfernung vor ihnen aufzutauchen begann. „Siehst du? Dort ist es schon.“

Kallen wirkte nicht sonderlich überzeugt, aber schließlich nickte sie – vermutlich mit der Absicht, ihn unauffällig verschwinden zu lassen, sollte er sie irgendwie dazu zwingen, ihre Tarnung aufzugeben. Lelouch wandte sich wieder um und schmunzelte.

Womöglich lag es einfach in Kallens Natur, ihn bluten sehen zu wollen.

Oder vielleicht stellte er sich auch einfach nur immer selten dämlich an, wenn er es mit ihr zu tun bekam.

„Hier wären wir.“ Kallen zögerte kurz, bevor sie ihm mit einem leisen, aber sichtlich genervten „Hmpf!“ in das Innere des Gebäudes folgte.

Lelouch führte sie noch ein Stück weiter, bevor er endlich stehen blieb und sich zu ihr umwandte.

Es überraschte ihn nicht, dass Kallen bereits ihr kleines rosa Täschchen in Händen hielt; allerdings hoffte er, dass Milly sich nicht allzu viel Zeit lassen würde.

Ansonsten würde er sein Geass an Kallen einsetzen müssen, und das wäre ihm unter den gegebenen Umständen beinahe ebenso peinlich wie ganz allgemein unangenehm.

„Also, was wolltest du?“, verlangte sein Gegenüber zu wissen und verengte beim Sprechen beinahe unmerklich die Augen.

„Ich…-“
 

„Ha!“ Sogar Lelouch, der das eigentlich hätte kommen sehen müssen, wurde von dem plötzlichen Ausruf aufgeschreckt. Er sah über Kallens Schulter hinweg zu Milly, die gerade durch die Tür trat, einen vollbeladenen Essenswagen vor sich herschiebend. „Du hast es also geschafft!“

„Hast du etwa an mir gezweifelt?“

„Na ja, du musst zugeben, dass du nicht gerade bekannt dafür bist, dich bei der Arbeit allzu sehr anzustrengen“, gab Milly ausgelassen zurück. „Aber offenbar versuchst du wirklich, zuverlässiger zu werden. Nur weiter so!“

Gerade wollte Lelouch etwas erwidern, als ihm jemand zuvorkam: „Ah, da seid ihr ja!“, rief Rivalz, der eine Etage weiter oben am Geländer aufgetaucht war. Er eilte die Treppe hinunter, dicht gefolgt von einer sichtlich gutgelaunten Shirley und einer etwas weniger enthusiastischen Nina. „Ihr wolltet doch nicht ohne uns anfangen, oder?“

„Natürlich nicht!“ Vergnügt nahm Milly die einzelnen Speisen von ihrem Wagen und stellte sie auf einen der runden weißen Tische, die zuhauf in dem großen Saal herumstanden.

„Woah!“, kommentierte Rivalz, sobald sein Blick auf die Köstlichkeiten fiel. „Hast du das alles ganz alleine gemacht?“

„Mhm!“ Milly war sichtlich zufrieden mit sich. „Es hat nicht lange gedauert.“

„Ähm…“ Kallen, die bis dahin geschwiegen und das Geschehen mit offenkundiger Verwirrung verfolgt hatte, schaute nun unsicher von einem der Anwesenden zum nächsten. Ihre kleine Tasche mit dem darin verborgenen Messer hielt sie noch immer in der Hand, schien sie aber völlig vergessen zu haben.

„Oh, tut mit Leid!“ Die Schüleratspräsidentin stellte noch rasch den letzten Topf ab, dann wandte sie sich Kallen zu. „Also hat Lelouch dir wirklich noch nichts verraten?“

Kallen blinzelte. „Verraten?“

Milly grinste. „Gut!“ Sie sah kurz zu Lelouch, den daraufhin die irrationale Ahnung überkam, dass er soeben einem schrecklichen Schicksal entgangen war, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder ganz auf ihre eigentliche Gesprächspartnerin richtete. „Kallen", sagte die blonde Schülerratspräsidentin ungewohnt höflich, „wir wollen dich in den Schülerrat aufnehmen.“

„Huh?“

„Mein Großvater hat es sich besonders gewünscht“, erläuterte Milly und begann dabei, auch das Geschirr auf dem Tisch zu platzieren. „Weil das hier der einzige Club ist, in dem man keinen Sport machen muss.“ Sie grinste schalkhaft. „Stimmt’s, Lelouch?“

„Aa“, bestätigte der, ohne der Neckerei größere Beachtung zu schenken.

Kallen allerdings blickte ziemlich verständnislos drein, sodass Milly ihr mit einem verschwörerischen Lächeln erklärte: „Unser Lulu spielt gerne den starken Mann, aber er ist eine echte Niete im Sport. Ich wette, sogar du könntest ihn problemlos in die Tasche stecken!“ Bei jedem anderen hätte das leicht taktlos geklungen, aber Milly hatte eine Art an sich, die es Leuten unmöglich machte, ihre ausgelassenen Bemerkungen als kränkend zu empfinden.

Zumal sie vollkommen Recht hatte. Kallen könnte ihn problemlos in einem Boxkampf schlagen – aber vermutlich auch jeden anderen an dieser Schule.

„Ah…“ Kallen machte noch immer einen etwas überrumpelten Eindruck.

„Oh!“ Milly, die den Tisch nun fertig gedeckt hatte, drehte sich wieder zu ihr um. „Ich bin übrigens Milly, die Vorsitzende des Schülerrats“, stellte sie sich etwas verspätet vor. „Freut mich, dich kennenzulernen!“

Kallen gab einen leisen, überraschten Laut von sich und befreite sich noch im selben Moment aus ihrer vorübergehenden Starre. „Die Freude ist ganz meinerseits“, sagte sie und verbeugte sich leicht.

Nun kamen auch die anderen zu ihr herübergelaufen.

„Ich bin Rivalz, der Sekretär!", stellte Rivalz sich mit einem freundlichen Grinsen vor. „Wenn du fragen hast, wende dich einfach an mich!“

„Ich heiße Shirley und bin außerdem ein Mitglied des Schwimmteams. Schön, dich kennenzulernen!“

„I-ich bin N-nina.“

Kallen verbeugte sich abermals. „Schön, euch kennenzulernen.“ Dann wandte sie sich wieder Lelouch zu. „Uhm… und du bist?“

„Was?“ Rivalz sah ihn verblüfft an.

„Lulu!“, rief Shirley vorwurfsvoll.

Lelouch blinzelte. „Hu?“

Nun wandte sich Milly ihm ebenfalls zu, die Hände in die Hüften gestemmt. „Sag bloß, du hast dich ihr nicht einmal vorgestellt, bevor du sie hierher geschleppt hast!“

Lelouch war der Meinung, dass er diesen Tadel nicht verdient hatte. Zumal Kallen zumindest seinen Vornamen mittlerweile schon mitbekommen haben sollte und sich das beinahe anhörte, als hätte er sie sich einfach über die Schulter geworfen und sie ohne ihre Zustimmung mitgenommen.

Einmal ganz abgesehen davon, dass er in diesem Fall längst ein Messer zwischen den Rippen stecken gehabt hätte, war das hier ja nicht einmal seine Idee gewesen – ganz im Gegenteil.

Aber zweieinhalb Jahre mit C.C. als ständiger Begleiterin hatten ihn gelehrt, wann es besser war, den Mund zu halten.

Also schenkte er erst den anderen und dann Kallen ein entschuldigendes Lächeln, von dem er hoffte, dass es auch ein wenig verlegen wirkte. „Tut mir leid, ich war wohl wirklich etwas unhöflich. Lelouch Lamperouge, der Vizepräsident – freut mich, deine Bekanntschaft zu machen.“

Kallen brauchte einen Augenblick, um etwas zu entgegnen, und als sie endlich den Mund öffnete und etwas sagen wollte, meldete sich auch schon Shirley zu Wort.

„Typisch Lulu!“, schimpfte sie. „Du änderst dich eben nie.“

Milly nickte andächtig. „Von wegen zuverlässiger.“ Doch dann grinste sie schon wieder. „Aber ansonsten wäre Lulu ja auch nicht Lulu, nicht wahr?“ Sie schlang den Arm um seine Schultern. „Stimmt’s, Lulu?“

Lag es an ihm, oder sprach Milly die Verstümmelung seines Namens aus, wie sie früher manchmal mit Arthur geredet hatte, wenn ihr gerade einmal danach zumute gewesen war?

„Hm…“, machte Shirley nachdenklich. Und entschied dann vergnügt: „Stimmt!“

Lelouch schüttelte den Kopf und seufzte resigniert - offenbar hatte sich heute alles und jeder gegen ihn verschworen.

Aber dann gab Shirley ihm einen spielerischen Klaps auf den Hinterkopf, während Rivalz ihn breit angrinste und er Kallen im Hintergrund gemeinsam mit Milly kichern hörte, und ein Lächeln glitt auf seine Züge.

Er hatte sie vermisst.
 


 


 


 

_____________

Tada~!

Äh... ich wollte dieses Kapitel eigentlich sogar noch etwas schneller rausschicken, aber dann habe ich es doch noch mal komplett überarbeitet. Jetzt bin ich dafür allerdings überraschend zufrieden damit, also hat es sich wohl gelohnt.

Vermutlich werde ich dessen ungeachtet auch dieses Mal wieder Kleinigkeiten überarbeiten - aber wie üblich nichts, weshalb man es noch mal lesen müsste.

Ah, wie auch immer.

Ich habe mich sehr über den Kommentar zum letzten Kapitel gefreut und beantworte die Frage bezüglich Zero natürlich gerne:

Da ich versuche, möglichst viele Parallelen zum Anime beizubehalten, ohne es langweilig werden zu lassen, wird es wohl noch so um die zwei Kapitel dauern, bis "Zero" in dieser Fanfic das erste Mal in Erscheinung tritt.

Ich hoffe allerdings, dass Lelouch, Clovis und alles, was sich bis dahin sonst noch so blicken lässt, den Lesern das Warten genauso sehr versüßen wird wie mir. ;P

Das nervenzehrende Abwarten

Obwohl es dieses Mal keinen Champagner und daher auch keine triefendnasse Kallen gegeben hatte (die Flasche war auf mysteriöse Art und Weise verschwunden, als gerade niemand hingesehen hatte), zog sich die kleine Feier des Schülerrats in die Länge.

Lelouch hätte sich nur allzu gerne früher verabschiedet, aber nachdem Nanali mit einem kleinen Tablett voller Törtchen zu ihnen gestoßen war, hatte er es nicht mehr übers Herz gebracht, sich einfach davonzuschleichen, und sich stattdessen vorgenommen, das ausgelassene Beisammensein zu genießen.

Diesen guten Vorsatz hatte er auch in die Tat umgesetzt - allerdings nur so lange, bis ihm irgendwann aufgefallen war, dass die Nachrichten über das Attentat auf den Dritten Prinzen längst hätten ausgestrahlt werden sollen. Von da an war er den Saal nur noch auf- und abgeschritten wie ein rastloser Tiger, der sich plötzlich in einem viel zu kleinen Käfig wiederfand, und hatte ungeduldig darauf gewartet, dass er endlich auf sein Zimmer gehen konnte, um sich dort ganz und gar seinen Grübeleien zu widmen.
 

Als die Feier dann aber tatsächlich zu einem Ende gekommen war, hatte Lelouch es sich noch einmal anders überlegt. Anstatt auf seinem Zimmer zu sitzen und sich den Kopf über etwas zu zerbrechen, an dem er im Moment ohnehin nichts ändern konnte, befand er sich nun auf dem Weg zu Clovis - um sicherzugehen, dass C.C. ihn auch in einem Stück gelassen hatte, und weil er keine Ahnung hatte, wieviel Zeit er mit Nanali verbringen konnte, ohne ihr irgendwann zwangsläufig durch sein merkwürdiges Verhalten aufzufallen.

Unterwegs verschwendete er allerdings kaum noch einen Gedanken an die Gründe, die ihn zu diesem ohnehin recht unbedeutenden Entschluss bewogen hatten.

Es gab andere Dinge, die Lelouch beschäftigten - Dinge, die ihm partout keine Ruhe lassen wollten und die tausend Mal wichtiger waren als sein nervtötender Habbruder oder seine eigene Psyche, die im Augenblick ja etwas angeschlagen sein mochte, aber durchaus schon schlechtere Tage gesehen hatte.

Ununterbrochen hielt er unterwegs Ausschau nach Anzeichen dafür, dass die Regierung doch noch etwas zum vermeintlichen Tod des Gouverneurs bekanntgegeben hatte, aber ohne Erfolg. Offenbar würde es noch eine Weile dauern, bis man die Bevölkerung über irgendetwas informieren würde, und das beunruhigte Lelouch.

Obwohl er wusste, dass eine kleine Verspätung wie diese noch lange kein Grund war, die Nerven zu verlieren, gingen ihm alle möglichen Schreckensszenarien durch den Kopf: Hatte er etwas Entscheidendes übersehen? Könnte ihm jemand auf die Schliche gekommen sein? Was, wenn er unwissentlich schon viel mehr verändert hatte als geplant, so wie bei Kallens Begrüßungsfeier?

Was, wenn Suzaku etwas zugestoßen war?

Lelouch war sich im Klaren darüber, dass Letzteres keineswegs die naheliegndste Ursache für diese winzige Abweichung war. Nichtsdestotrotz war es mit Abstand die Möglichkeit, die ihn am meisten beschäftigte.

Er traute es den Puristen ohne weiteres zu, auf Folter zurückzugreifen, um ein Geständnis zu erzwingen, und wenn Lelouch nur daran dachte, drehte ihm sich der Magen um.

Wie könnte er es sich verzeihen, wenn Suzaku seinetwegen ernsthaft verletzt würde? Opfer waren notwendig, sicher, aber obwohl ihm bewusst war, dass manch einer das durchaus als Heuchelei werten würde, gab es nach wie vor Ausnahmen für Lelouch. Opfer, die zu bringen er einfach nicht bereit war.

Und unter diese Kategorie fiel nicht nur seine kleine Schwester, sondern auch sein bester Freund und - das musste er sich eingestehen - auch sonst jeder, der ihm nahe genug stand.

Würden Personen, die ihm wichtig waren, trotz all der Vorsichtsmaßnahmen etwas zustoßen, die er zu treffen gedachte, dann würde er auch dieses Mal damit leben müssen. Er war bereit, die Folgen seines Versagens zu tragen.

Das hier jedoch war etwas gänzlich anderes. Lelouch würde seinen besten Freund nicht verlieren – schon gar nicht so.

Und was, wenn Suzaku längst tot war?

Durch einen Unfall, oder weil jemand aus irgendeinem Grund beschlossen hatte, dass die Hinrichtung nicht in der Öffentlichkeit abgehalten werden sollte?

Die Chancen dafür standen nicht besonders hoch, aber allein die Tatsache, dass er keine der beiden Möglichkeiten vollkommen ausschließen konnte, war fast schon mehr, als Lelouch verkraften konnte. Angst wand sich in seinem Magen wie eine kalte Schlange und die Gewissheit, dass er nichts anderes tun konnte als abzuwarten, bereiteten ihm nicht nur heftige Kopfschmerzen, sondern machte ihn beinahe wahnsinnig.
 

~
 

„Du siehst aus, als hätte gerade jemand deine mit Abstand liebste Schachfigur in zwei Teile zersägt“, grüßte Clovis ihn, gleich nachdem Lelouch eingetreten war. Sein Bruder saß wie üblich auf dem langen roten Sofa im hinteren Zimmerteil und hatte nach dem kleinen Block auf seinem Schoß zu urteilen bis gerade eben noch müßig vor sich hin gezeichnet.

Dass Clovis nicht länger die graue Kluft eines Soldaten trug, sondern etwas von dem, was Lelouch ihm beim letzten Mal vorbeigebracht hatte, war zu erwarten gewesen. Die hauptsächlich in Blautönen gehaltenen Gewänder, in die der Dritte Prinz nun gekleidet war, waren nicht annährend so prunkvoll wie das, was er normalerweise bevorzugte, und vielleicht waren sie sogar ein bisschen zu groß ausgefallen, aber alles in allem standen sie ihm wohl nicht schlecht. Zumal es vermutlich ohnehin kaum etwas gab, das weniger vorteilhaft an Clovis la Britannia aussah als die schlichten Uniformen des Militärs.

Lelouch bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. Aber da sein Bruder eher neugierig als schadenfroh wirkte, verkniff er sich eine bissige Erwiderung.

„War C.C. hier?“, fragte er stattdessen. Alles, was er brauchte, war eine positive Antwort - dann könnte er wieder verschwinden, ohne sich weiter in irgendeiner Weise mit unangenehmer Verwandtschaft herumschlagen zu müssen.

Auf einmal bereute er es, überhaupt hergekommen zu sein.

Clovis hob die Brauen. „Falls du diese Person meinst, die der Überzeugung zu sein scheint, ich könnte mich für den Rest meines Lebens von italienischer Teigware ernähren…“ Er warf einen vielsagenden Blick zu den Pizzakartons, die sich bereits auf dem Tisch vor ihm zu stapeln begannen. Lelouch ging davon aus, dass einige von ihnen noch voll waren, und entschied, dass C.C. Clovis wirklich nicht ausstehen konnte.

Nicht, dass ihn das im Augenblick großartig gekümmert hätte.

„Wenn das so ist, bist du ja gut versorgt“, kommentierte er gleichgültig. „Dann kann ich ja wieder gehen.“ Er machte kehrt, in der vollen Absicht, auch genau das zu tun.

„Lelouch!“ Sein Bruder klang pikiert.

Lelouch drehte sich wieder zu ihm um. „Was?“, fragte er kühl.

Unglücklicherweise ließ Clovis sich mittlerweile nicht mehr so leicht einschüchtern. „Wenn du willst, dass ich mich hier zu Tode langweile“, sagte er mit einer Stimme, die der von Lelouch in ihrem Mangel an Wärme in nichts nachstand, „dann bist du auf dem richtigen Weg. Bleib.“

Der plötzliche Befehlston seines Bruders überraschte und ärgerte Lelouch zugleich. Er spürte das Gewicht der Pistole in seiner Rechten und wünschte sich beinahe, er hätte ihn einfach erschossen, als es sich angeboten hatte. „Ich sehe keinen Grund dazu“, erwiderte er frostig.

Gerade wollte er sich wieder von ihm abwenden, als Clovis ihn abermals aufhielt. „Warte!“, rief sein Bruder hastig. Lelouch sah ihn mit unbewegtem Blick an. „Ich…“ Clovis seufzte. „Es tut mir leid, in Ordnung?“ Er schloss die Augen und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Aber ich werde noch wahnsinnig hier.“ Das konnte Lelouch allerdings nur allzu gut nachempfinden. Und gerade deshalb hielt sein Mitgefühl sich in Grenzen. „Bleib?“ Clovis sah ihn hoffnungsvoll an – ein Blick, der in der Vergangenheit sicher schon etliche Leute dazu gebracht hatte, ihm alles zu geben, was er nur haben wollte. Lelouch konnte sich gut vorstellen, dass sein Bruder auf diese Weise selbst Cornelia zu erweichen vermochte.

Bei ihm würde diese Masche allerdings nicht funktionieren.

Das zumindest sagte er sich, bis Clovis ein paar Herzschläge später auch noch hinzufügte: „Bitte?“ und dabei einen Tonfall gebrauchte, der es unmöglich machte, ihm seinen Wunsch abzuschlagen – es sei denn, man mochte dieses ausgesprochen erhebende Gefühl, das Menschen in der Regel immer dann befällt, wenn sie gerade dabei sind, einen kleinen Welpen zu treten, der nichts weiter getan hat, als sie mit großen Augen um ein Leckerli anzubetteln.

Lelouch hasste sich für seine Schwäche, aber anstatt konsequent zu sein und sich wortlos abzuwenden, blieb er, wo er war, und schloss lediglich die Tür hinter sich.

Anschließend zögerte er nur den Bruchteil einer Sekunde, bevor er widerwillig auf dem weinroten Sessel platznahm, der keine zwei Schritte von ihm entfernt an der Wand stand.

Clovis strahlte ihn an. „Habe ich erwähnt, dass du mein Lieblings-Kleiner-Bruder bist?“

Lelouch blickte finster zurück. „Habe ich erwähnt, dass ich dir gerne den Hals umdrehen würde?“

„Hm… ja, ich glaube, das hast du tatsächlich. Dieses eine Mal, als-“

„Clovis?“

„Hm?“

„Weißt du, was eine rhetorische Frage ist?“

„Natürlich. Oder glaubst du, ich-“

„Dann halt die Klappe.“

Clovis blinzelte. „Du hast wirklich schlechte Laune, oder?“

„Nein, ich stehe nur so kurz davor zu testen, ob man jemanden bewusstlos bekommen kann, indem man ihm eine Schusswaffe an den Kopf wirft.“

Clovis betrachtete ihn neugierig. „Kann man dich fragen, was so nervenaufreibendes vorgefallen ist, oder wäre das eine eher ungute Idee?“

Lelouch seufzte. „Clovis…“

Sein Bruder seufzte ebenfalls. „Schon gut. Wenn du meinst, dass ich dir nicht helfen kann…“

„Wie solltest du mir helfen können?“

Trotz Lelouchs abweisender Art schien Clovis sich nicht beleidigt zu fühlen. Er zuckte die Schultern. „Manchmal hilft es, darüber zu reden.“

„Oh ja.“ Lelouch rollte die Augen. „Und du bist selbstverständlich der Erste, dem ich mein Herz ausschütten würde.“

Clovis stützte das Kinn auf die Hand und neigte den Kopf ein wenig zur Seite. „Weshalb nicht?“

Was?“

„Weshalb nicht?“, wiederholte Clovis. Seine meerblauen Augen spiegelten genau wie sein Tonfall mildes Interesse wider. „Es ist schließlich nicht so, als könnte ich deine Geheimnisse irgendjemandem weitererzählen.“ Mit kaum merklich gewölbten Brauen und einem Hauch von Ironie in der Stimme fügte er hinzu: „Es sei denn, du hast vor, mir in nächster Zeit einen Papageien mitzubringen?“

Dafür hatte Lelouch allerdings die passende Antwort parat. „Vielleicht gar keine so schlechte Idee“, gab er trocken zurück. „Ich habe gehört, sie reden weniger, wenn man sie zu zweit hält.“

Clovis brauchte einen Moment, um zu begreifen; dann jedoch überkreuzte er die Arme und schnaubte verdrossen. „Ich sehe schon“, sagte er in seinem hochnäsigsten Tonfall. „Offenbar weißt du eine gepflegte Konversation noch immer nicht zu schätzen.“ Er nahm die Fernbedienung von der Sofalehne und kehrte Lelouch demonstrativ den Rücken zu, als er seine Aufmerksamkeit voll und ganz auf den Bildschirm richtete.

Für eine Weile herrschte Stille. Lelouch war zufrieden damit, in Ruhe die gegenüberliegende Wand anstarren zu können, als wäre sie die Wurzel all seiner Probleme, und sein Bruder vertrieb sich die Zeit damit, die einzelnen Fernsehsender nach etwas abzusuchen, für das es sich lohnte, wenigstens den Ton einzuschalten.

Als Clovis aber irgendwann tatsächlich fündig wurde, ein interessiertes „Oh?“ von sich gab und sich dann mit einem kurzen Knopfdruck um die bis dahin nicht vorhandene Lautstärke des Geräts kümmerte, wäre Lelouch beinahe samt seiner Sitzgelegenheit auf dem Boden gelandet, so hastig wirbelte er herum.

„Prinz Clovis wurde ermordet!“, verkündete Jermiah Gottwald gerade auf einer Pressekonferenz. „Er ist im Kampf für Frieden und Gerechtigkeit gefallen!“

„Huh“, machte Clovis unbeeindruckt. „Und das fällt ihnen nach ganzen zwei Tagen auf?“

Lelouch beachtete ihn nicht.

Mit Nachdruck in der Stimme fuhr Jeremiah fort: „Wir müssen seine Ideale weiterverfolgen, auch wenn der Schmerz noch tief in unserem Inneren sitzt!“

Damit endete seine Ansprache auch schon und an seiner statt wurde eine Nachrichtensprecherin eingeblendet. „Wir haben nur bruchstückhafte Informationen erhalten“, teilte sie den Zuschauern mit, „aber es wurde bereits ein Verdächtiger festgenommen.“

„Oh?“ Clovis warf mit hochgezogenen Brauen einen kurzen Blick über die Schulter zu Lelouch, aber als dieser ihn weiterhin ignorierte, richtete auch er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Fernseher.

„Meldungen zufolge ist es ein Ehrenbrite“, berichtete die blonde Journalistin weiter. Lelouch hielt den Atem an.

Keine zwei Sekunden später wurde der angebliche Mörder auch schon eingeblendet.

Suzaku war sichtlich aufgewühlt, aber er schien unverletzt zu sein, und Lelouch hätte vor Erleichterung beinahe laut aufgeseufzt.

„Grenadier Suzaku Kururugi. Der Verdächtige ist ein ehemaliger Elfer“, klärte die Frau auf dem Bildschirm auf, während der besagte Grenadier sich gerade eine Ohrfeige von einem der Soldaten einfing, zwischen denen er lief. „Der Ehrenbrite Suzaku Kururugi!“
 

„Huh.“ Clovis schaltete den Fernseher wieder aus und wandte sich zu Lelouch um, die verärgerte Empörung von zuvor wie weggeblasen. „Das ist interessant. Was meinst du, wieso ausgere- Lelouch?“

Lelouch bemerkte, dass er noch immer auf den nun schwarzen Bildschirm starrte, und wandte sich mit einem Lächeln, von dem er hoffte, dass es seine schier grenzenlose Erleichterung verbarg, Clovis zu. „Tut mir leid, was hast du gesagt?“

Sein Bruder blinzelte verdutzt. „Ist alles in Ordnung?“

„Natürlich. Wieso fragst du?“

Clovis starrte ihn an. „Du bist auf einmal so…“ Er blinzelte erneut. „Nett.“

Lelouch hob die Brauen.

Clovis sah ihn noch einen Moment länger an - die Augen in Überraschung geweitet und den Mund leicht geöffnet -, aber dann zuckte er die Achseln. „Wie auch immer“, sagte er gleichmütig. „Zumindest wissen wir jetzt, weshalb die Nachrichten von meinem Tod so lange zurückgehalten worden sind.“

Lelouch schlug die Beine übereinander und lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Eigentlich war es vorhersehbar.“

Clovis warf ihm einen ärgerlichen Blick zu, doch schon gleich darauf hob er abermals die Schultern und überraschte Lelouch, indem er ihm zustimmte: „Vermutlich. Ich hätte mir denken können, dass sie sich erst einen geeigneten Sündenbock suchen.“ Ein nachdenklicher Ausdruck trat in seine Augen. „Aber weshalb haben sie so lange gebraucht? Wollten sie, dass es echter aussieht?“

„Wahrscheinlich“, sagte Lelouch. Insgeheim jedoch war er sich ziemlich sicher, dass die Verzögerung eher etwas damit zutun hatte, dass Suzaku der Pilot des Lancelot war und zudem auch noch einen berühmten Vater gehabt hatte. Man hatte nicht irgendeinen Ehrenbriten verantwortlich machen wollen, sondern Suzaku – und zwar so, dass niemand Grund hatte, seine Schuld anzuzweifeln. Nicht einmal die selbsternannten Verfechter Japans, auch wenn das dem Scharfrichter die Arbeit erheblich erleichtert hätte.

Bevor sein Bruder ihn weiter in diese Unterhaltung verstricken konnte, erhob Lelouch sich. „Ich muss noch etwas erledigen“, erklärte er sich, als Clovis daraufhin alles andere als begeistert wirkte.

„Und ich soll hier sitzen und mich langweilen, bis du das nächste Mal beschließt, mich mit deiner Gegenwart zu beglücken?“

Clovis’ Tonfall war der von beißendem Sarkasmus, und Lelouch seufzte. Wandelndes Ärgernis hin oder her, der Unmut seines Bruders war nicht ganz unberechtigt. „Nützt es etwas, wenn ich sage, dass es mir leidtut?“

„Nein.“ Aber obwohl er auch weiterhin genervt aussah, hatten Clovis’ Züge merklich an Härte verloren. Vielleicht lag es daran, dass Lelouch früher – in seiner Kindheit und vielleicht auch noch das erste Mal, als er siebzehn Jahre alt gewesen war – nur schwer dazu zu bewegen gewesen war, sich für irgendetwas zu entschuldigen. Tatsächlich konnte er sich nicht erinnern, Clovis überhaupt jemals um Verzeihung für irgendetwas gebeten zu haben.

„Und wenn ich dir sage, dass ich dir am Wochenende den ganzen Tag über Gesellschaft leisten werde?“ Er lächelte hintersinnig. „Wir könnten Schach gegeneinander spielen.“

Clovis fixierte ihn noch ein paar Sekunden länger mit einem Blick, der nicht gerade von grenzenlosem Enthusiasmus kündete, aber schließlich seufzte resignierend. „Ich habe gar keine Wahl, oder?“

Lelouch gestattetes sich ein weiteres kleines Lächeln. „Nein.“

Abermals ein Seufzen. „Könnte ich dann wenigstens einmal etwas anderes als kalte Pizza von… deiner liebreizenden Bekannten bekommen?

„Ich werde mit ihr reden“, versicherte Lelouch. „Aber versprechen kann ich nichts.“

Clovis zuckte die Schultern. „Ich schätze, mehr kann ich nicht verlangen.“

Lelouch nickte knapp und wandte sich um.
 

Sobald er die Tür hinter sich verschlossen und die Pistole in einer der nun leeren Kisten deponiert hatte, holt er das zweite Handy aus der Tasche, das er sich vorsorglich von C.C. hatte besorgen lassen.

Lelouch wusste zwar noch nicht, wie er Suzaku auf seine Seite bringen sollte, aber vorerst würde er sich darauf konzentrieren, ihn seinen Henkern abspenstig zu machen.

Er hoffte nur, dass Kallen nicht allzu intensiv darüber nachdenken würde, wie ein vermeintlich Fremder an die Nummer ihres Mobiltelefons gekommen war.
 

~
 

Der Anruf, den er tätigen musste, um sich mit seinen zukünftigen Anhängern in Verbindung zu setzen, war allerdings nicht der einzige Grund dafür, dass Lelouch sich frühzeitig wieder auf den Weg gemacht hatte, und als er nach Hause kam und eine aufgelöste Nanali ihn in ihrem Rollstuhl bereits an der Tür erwartete, war er keineswegs überrascht.

Bevor sie mehr als ein paar Worte sagen konnte, beugte er sich zu ihr hinunter und umarmte sie.

„Ich weiß“, sagte er und hoffte, dass seine Stimme nicht zitterte. Er musste stark für seine kleine Schwester sein.

Aber, Gott... es war so lange her, dass er ihr das letzte Mal so nahe gewesen war.

„Aber es ist doch eine Lüge, oder?“, fragte Nanali leise und erwiderte die Umarmung. „Dass Suzaku…“

„Aa“, bestätigte Lelouch sofort. „Es ist ein Missverständnis, ganz sicher. Suzaku würde so etwas nie tun.“ Nur dein Bruder…, ergänzte eine gehässige kleine Stimme in seinem Hinterkopf, aber Lelouch ignorierte sie. Er würde Nanali nicht anlügen, aber er konnte ihr auch nicht die Wahrheit sagen. Noch nicht.

Er drückte seine kleine Schwester noch etwas fester an sich und schloss die Augen.

Zum ersten Mal, seit er seine eigentliche Zeit verlassen hatte, erlaubte er es sich, ihre Nähe zu genießen – ihre Körperwärme zu spüren und sich davon zu überzeugen, dass sie tatsächlich hier war, am Leben war, und dass sie ihn nicht für Sünden hasste, von denen sie unmöglich etwas wissen konnte.

Er hielt sie fest, bis irgendwann – ob nach Sekunden, Minuten oder Stunden vermochte Lelouch nicht zu sagen – Sayako zu ihnen stieß, um ihnen mitzuteilen, dass das Abendessen fertig sei, nur um sich gleich darauf wieder diskret zurückzuziehen.

Dann erst machte Lelouch sich widerwillig von Nanali los, zwang sich zu einem Lächeln und sagte in dem unbekümmertsten Tonfall, den er zustande brachte: „Wir sollten Sayako nicht zu lange warten lassen.“

Sobald Nanali ihm zugestimmt hatte, ging er an ihr vorbei ins Haus – wissend, dass seine kleine Schwester ihm folgen würde.
 

Die Tür fiel lautlos hinter ihnen ins Schloss, ohne dass Lelouch jemals die Frau bemerkt hätte, die ihn die ganze Zeit über aus einem der Fenster heraus beobachtet hatte - mit ausdruckslosen Zügen und einem unergründlichen Ausdruck in den goldenen Augen.
 


 


 


 

______________

Puh.

Irgendwie habe ich mich schwer mit diesem Kapitel getan.

Aber immerhin müssen die nächsten paar auch "nur noch" überarbeitet werden, bevor sie nach oben können.

Folglich kann ich mich beim Nachbessern ganz auf einzelne Formulierungen konzentrieren, ohne plötzlich in Schreibwut zu verfallen. *hihi*

Vielleicht sollte ich mir außerdem von Nanali ein paar Törtchen geben lassen, wo ich schon mal dabei bin, und sie im Austausch für Kommentare anbieten? *legt den Kopf schräg*

Hm. o.o Einen Versuch wäre es sicherlich wert. *nickt vor sich hin*

Aber ich freue mich natürlich schon, wenn das Lesen Spaß gemacht und Clovis für die beabsichtigte Unterhaltung gesorgt hat.

Im nächsten Kapitel sehen wir dann Staatsfeinde, Idealisten und... Zitrusfrüchte!

Der undankbare Idealist

Wie zu erwarten gewesen war, verloren die Verantwortlichen keine Zeit und der Prozesstermin in Sachen Kururugi Suzaku wurde bereits für den Abend des nächsten Tages angesetzt.

Lelouch kam diese plötzliche Eile nur Recht: Es war immer noch genug Zeit, damit er problemlos seine Verbündeten mobilisieren konnte, aber zu wenig, als dass er sich noch einmal um Suzakus Wohlergehen hätte sorgen müssen.

Natürlich würde man kaum zimperlich mit dem vermeintlichen Mörder des Dritten Prinzen umspringen, aber unter den gegebenen Umständen war es mehr als unwahrscheinlich, dass Suzaku dauerhaften Schaden davontragen würde, solange seine Retter nur rechtzeitig auftauchten. Und das würden sie, daran gab es gar keinen Zweifel.

Zunächst war Lelouch sich nicht sicher gewesen, wie genau er bei dieser Angelegenheit verfahren sollte, aber nach langem Überlegen hatte er schließlich beschlossen, an seinem alten Plan festzuhalten. Suzaku würde nicht begeistert von dem Bluff bezüglich des Giftgases sein, aber dann müsste Lelouch sich dieses Mal eben besser erklären. Auf keinen Fall aber würde er es riskieren, einen völlig unnötigen Fehler zu machen und damit das Leben seines besten Freundes zu verspielen, nur damit dieser möglicherweise eine unwesentlich weniger schlechte Meinung von ihm haben würde, wenn alles vorbei war.

Außerdem gab es noch einen weiteren Faktor, den es zu berücksichtigen galt: Für Lelouch mochte diese Rettungsaktion nichts Besonderes sein, aber für den Rest der Welt würde dies die erste Gelegenheit darstellen, bei der sie Zero zu Gesicht bekamen.

Lelouch musste dafür sorgen, dass sein Debüt einen mindestens ebenso großen Eindruck bei den Menschen hinterlassen würde wie beim letzten Mal.

Die nötigen Vorbereitungen dafür hatte er längst getroffen und nun galt es, einmal mehr alle Bedenken beiseite zu schieben, um sich ganz auf die Dramatik seines Auftritts zu konzentrieren.

Lelouch atmete noch einmal tief durch - dann griff der nach der Maske, von der er bis noch vor wenigen Tagen geglaubt hatte, dass er sie für immer losgeworden wäre.

Es war nur fair, dachte er mit einem kleinen selbstironischen Lächeln, als seine Fingerspitzen die Krönung seines Kostüms berührten. Damals hatten sie das Streben des jeweils anderen übernommen – in dem Glauben, so für ihre Gräueltaten büßen zu können. Aber anstatt den Frieden zu erhalten, den sie sich erhofft hatten, war ihnen ihr Wunsch nach einer besseren Zukunft für die Menschheit abermals verwehrt worden, und nun fanden sie sich wieder in ihren alten Rollen wieder: Lelouch, der es sich anmaßte, die ganze Last der Welt auf seine Schulter nehmen zu wollen, und Suzaku, der das Leben anderer um jeden Preis bewahren wollte, aber selbst den Tod suchte.

Lelouch fand, dass es ausgesprochen passend war.

Er würde tun, was er tun musste, und dann einen Weg finden, dafür zu bezahlen. Er wünschte nur, es gäbe eine Möglichkeit für ihn, auch Suzakus Sünden auf sich zu nehmen.

Denn für Lelouch vi Britannia, den Schwarzen Prinzen und Dämonenkönig, machte es keinen Unterschied mehr, wieviel Blut an seinen Händen klebte. Kururugi Suzaku jedoch, der idealistische Soldat und Weiße Ritter, verdiente etwas Besseres.
 

~
 

Wie sich herausstellte, hatte Lelouch es bei seiner kleinen Selbstinszenierung eine gute halbe Stunde später nicht sonderlich schwer. Denn gerade weil die Leute noch nie von Zero gehört hatten, war es geradezu lächerlich einfach, sie zu beeindrucken.

Schon als Clovis’ privates Fahrzeug am Horizont auftauchte, hielten die Umstehenden entweder den Atem an oder begannen, aufgeregt zu tuscheln. Und als der mysteriöse Störenfried, der kurz darauf unter großem Trara auf dem Dach des Wagens auftauchte, ihnen endlich einen Namen nannte, waren die Massen bereits außer sich.

Zero.

Es schien ihm eine Ewigkeit her zu sein, dass er diesen Namen das letzte Mal gebraucht hatte, und doch kam es ihm so vor, als wäre es erst gestern gewesen. Der menschliche Verstand war schon ein seltsames Ding.

Aber Lelouch hatte nicht viel Zeit, um über seine widersprüchlichen Gefühle nachzudenken, denn die Enthüllung der vermeintlichen Giftkapsel hatte den gewünschten Effekt und es dauerte nicht lange, bis Jeremiah Gottwald den Ernst der Lage erkannte und wutentbrannt seine Waffe zückte.

Lelouch, der damit gerechnet hatte, zeigte sich unbeeindruckt. „Habt Ihr vor, auf mich zu schießen?“, fragte er und achtete darauf, dass seine Körperhaltung dieselbe unübersehbare Gelassenheit vermittelte wie sein Tonfall. „Dann solltet Ihr wissen, dass meine Leute ebenfalls einen Auslöser besitzen. Es würde Euch nichts nützen, mich zu töten – genauso wenig wie den hier versammelten Zivilisten.“

Jeremiah war klug genug, die unterschwellige Drohung sofort als das zu erkennen, was sie war. Für den Bruchteil einer Sekunde schien er noch mit sich zu ringen, aber dann siegte seine Vernunft über den leidenschaftlichen Eifer, der ihm genau wie allen anderen Puristen bis zu einem gewissen Grad zueigen war. „Verstanden“, sagte er, indem er die Pistole wieder herunternahm. Seine Stimme allerdings verriet weder Zorn noch Beunruhigung – nur, dass er es eher gewohnt war, Befehle zu geben als Niederlagen zu erdulden. „Eure Bedingungen?“

Es war eine vorhersehbare Frage, und eine, die Lelouch nur allzu gerne beantworte. „Ein Austausch“, erwiderte er sofort. „Dieses Ding“, an dieser Stelle sparte es sich, extra noch einmal auf die riesige Kapsel in seinem Rücken zu deuten, „für Kururugi Suzaku.“

Jeremiahs Reaktion erfolgte unmittelbar. „Lächerlich!“, rief er aus. Er warf einen kurzen Blick auf Suzaku, der sich, wie Lelouch vermutete, mehr Gedanken um die Schaulustigen machte als alle anderen Anwesenden zusammen. „Dieser Mann ist wegen Hochverrats und des Mordes an Prinz Clovis angeklagt. Dass wir ihn einfach so aushändigen, ist völlig ausgeschlossen!“

Man sollte meinen, das eigene Leben und das etlicher Unschuldiger an einem seidenen Faden hängen zu sehen, wäre genug, um selbst einen Königsmord nebensächlich erscheinen zu lassen - aber wenn es etwas gab, das man einem überzeugten Mitglied der Reinigungsfraktion nicht nachsagen konnte, dann war es Nachlässigkeit.

Lelouch lächelte unter seiner Maske. Trotz allem würde er bekommen, was er wollte.

„Aber Ihr seid im Irrtum, Jeremiah“, belehrte er sein Gegenüber. „Der Mann, den ihr dort habt, ist nicht der Täter.“ Hier baute er eine kurze Spannungspause ein, bevor er fortfuhr. „Derjenige, der die Bombe gelegt hat…“, sagte er dann und blickte direkt in die Kamera, mit der Diethard – der zwar nach wie vor ein fehlgeleiteter Journalist, aber in Augenblicken wie diesem ausgesprochen nützlich war - soeben am Ort des Geschehens auftauchte, „…war ich!“

Diese Enthüllung hatte den absehbaren Effekt. Die anwesenden Zivilisten waren allesamt fassungslos, die Soldaten außer sich vor Zorn und Jeremiah sah aus, als wollte er dem Mörder seines Prinzen eigenhändig den Hals herumdrehen.

Alles Weitere war ein Kinderspiel.

In dem Aufruhr, den sein Geständnis unweigerlich zufolge hatte, konnte Lelouch unschwer für noch mehr Verwirrung sorgen und so nahe genug an Jeremiah heran kommen, um sein Geass an ihm einsetzen. Er musste zugeben, dass er ein schlechtes Gewissen dabei hatte, aber einmal ganz abgesehen davon, dass Lelouch keine Zeit gehabt hatte, den Mann schon im Vorfeld in seine Dienste zu nehmen, wusste er auch nicht, wie und wann genau Jeremiah damals die Fähigkeit erhalten hatte, das Geass zu neutralisieren. Jemanden unter seinen Leuten zu haben, der zu so etwas in der Lage war und überdies noch Jeremiahs unerschütterliche Loyalität besaß, war ein unschätzbarer Vorteil, den zu verlieren Lelouch sich nicht leisten konnte - so gerne er einem seiner einstmals engsten Vertrauten auch die Demütigungen erspart hätte, die dem unweigerlich vorangehen würde.

Nicht einmal die Erwähnung des Wortes „Orange“ verkniff Lelouch sich. Oder das Schmunzeln, das dabei unwillkürlich seine Mundwinkel kräuselte.

Suzakus Versuch wenige Minuten später, ihn nach seiner Identität zu fragen, wurde genau wie damals von einem Elektroschock vereitelt, und anschließend wies eine über den inzwischen offenkundigen Erfolg ihrer Aktion mehr als nur erleichterte Kallen ihn darauf hin, dass es allmählich an der Zeit sei, zu verschwinden.

Lelouch zögerte nur für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er den Schalter in seiner Hand dazu benutzte, den Inhalt der Gaskapsel freizusetzen und damit eine Panik auszulösen, die genau wie erwartet verhinderte, dass das anwesende Militär zu einem koordinierten Angriff in der Lage war.

Und da sich um alles Übrige Jeremiah kümmerte, hätte der restliche Teil der Aktion eigentlich vollkommen reibungslos verlaufen sollen.
 

Womit Lelouch allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass Suzaku sich mitten in der Luft aus seiner Starre befreien und versuchen würde, sich seinem Griff zu entwinden. Ganz offensichtlich wollte sein Freund den Menschen zu Hilfe kommen, die ihn bis gerade eben noch johlend vor ein Erschießungskommando gestellt und Beifall geklatscht hätten, sobald die ersten Kugeln Löcher in sein Fleisch gruben.

Und da Suzaku nun einmal Suzaku und Lelouch alles andere als ein Meistersportler war, hätte diese Selbstlosigkeit mit Sicherheit verhängnisvolle Folgen gehabt, hätte der junge Berufssoldat nicht unüberlegterweise gleichzeitig den Mund aufgemacht, um seinem Retter die Meinung zu sagen. Der daraus resultierende Elektroschock und seine Nachwirkung hielten nur für wenige Herzschläge an, aber anschließend waren sie bereits so gut wie im Untergrund verschwunden und selbst Suzaku musste einsehen, dass es aussichtslos war, sich jetzt noch befreien zu wollen.

Allerdings machte sein Freund ob dieser Erkenntnis einen so miserablen Eindruck, dass Lelouch sich seiner erbarmte. „Es ist nur farbiges Gas“, sagte er, kurz bevor ihr Fall von einem Tuch abgebremst wurde, das daraufhin planmäßig riss und sie ihre Flucht unterirdisch fortsetzen ließ. Vermutlich hätte seine Stimme beruhigender geklungen, wenn sie nicht von seiner Maske verzerrt worden wäre, doch da Suzaku ihm anschließend folgte – zögerlich, aber immerhin -, störte er sich daran nicht weiter.

Was ihn allerdings wunderte, waren die Abweichungen in Suzakus Verhalten im Vergleich zum ersten Mal, als er das hier gemacht hatte. Lelouch erinnerte sich nicht mehr an alle Details, aber er war sich ziemlich sicher, dass der Pilot des Lancelot damals anfangs erstaunlich kooperativ gewesen war, bevor er seine vorübergehende innere Gelähmtheit plötzlich überwunden und seinen Standpunkt mehr als deutlich gemacht hatte.

Es beunruhigte Lelouch ein wenig, dass er bereits so viele Kleinigkeiten verändert hatte, ohne die Ursache dafür nachvollziehen zu können, aber gleichzeitig hegte er auch die schwache Hoffnung, dass Suzaku sich nun, da er sich nicht länger unnötige Sorgen um Zivilisten zu machen brauchte, nicht ganz so feindselig ihm gegenüber zeigen würde.

Lelouch hatte den Verdacht, dass das nichts weiter war als Wunschdenken, aber immerhin war ihm jetzt deutlicher als jemals zuvor bewusst geworden, wie töricht er sich damals verhalten hatte, indem er so lange zu diesem Thema geschwiegen hatte, anstatt von Anfang an deutlich zu machen, dass niemand verletzt worden war.

Schließlich kannte Lelouch seinen besten Freund gut genug, um zu wissen, dass er es verabscheute, wenn jemand mit Menschenleben spielte – zu diesem Zeitpunkt sogar selbst dann noch, wenn alles nur ein harmloses Täuschungsmanöver war, zu dem es keine vernünftige Alternative gab.
 

~
 

Lelouch wartete, bis sie an den Terroristen vorbei und unter sich in den Ruinen des alten Theaters waren, bevor er zu sprechen anfing.

„Nun weißt du also, wie sie vorgehen“, eröffnete er die Unterhaltung dann. Insgeheim schmunzelte er darüber, wie ironisch es war, dass er sich gerade eben zum meistgesuchten Mann des Landes gemacht hatte, aber erst jetzt nervös wurde, wo er nichts weiter zu verlieren hatte als einen potentiellen Verbündeten. Und es wäre vollkommen lächerlich gewesen, wäre dieser potentielle Verbündete irgendjemand anderes gewesen als Suzaku. „Britannien ist verdorben.“

Suzaku ging gar nicht erst auf diese Feststellung ein. „Ihr… habt Ihr wirklich Clovis getötet?“, wollte er stattdessen wissen.

Lelouch hatte mit dieser Frage gerechnet. „Es herrscht Krieg“, gab er sachlich zurück und vermied es so, eine konkrete Antwort geben zu müssen. „Clovis hat kaltblütig den Tod zahlloser Unschuldiger befohlen. Zivilisten, die nichts weiter getan hatten, als zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Sag mir, Kururugi Suzaku, hätte ich ihn weitermachen lassen sollen? Hätte ich dabei zusehen sollen, wie er Frauen und Kinder ermorden lässt, nur um vor dem Kaiser besser dazustehen?“ Er hielt kurz inne, ließ seine Worte wirken. Dann setzte er hinzu: „Würdest du tatenlos zusehen, wie jemand ein sinnloses Blutbad anrichtet? Oder würdest du ihn aufhalten, auch wenn das bedeutet, dir selbst die Hände schmutzig zu machen?“ Es fühlte sich nicht richtig an, so bewusst auf Suzakus wunden Punkt abzuzielen, aber immerhin hielt Lelouch sich trotz allem weitgehend zurück. Hätte er sich die Schuldgefühle seines Freundes jetzt uneingeschränkt zunutzen gemacht, wäre es ihm womöglich gelungen, Suzaku noch an Ort und Stelle zu rekrutieren – allerdings zu einem Preis, den zu zahlen er nicht bereit war.

Es wäre nichts weiter gewesen als eine Gehirnwäsche; kaum anders, als würde er einfach sein Geass einsetzen, nur nicht annährend so verlässlich.

Nein, sein Wissen um das, was seinen Freund nun schon seit sieben Jahren quälte und vermutlich niemals ganz loslassen würde, in einer solchen Situation gegen ihn zu verwenden, war keine akzeptable Alternative. Suzaku würde sich ihm aus freiem Willen und eigenem Antrieb anschließen - weil sie im Grunde das gleiche Ziel hatten und es nichts gab, was sie nicht schaffen konnte, wenn sie sich zusammentaten.

Lelouch hoffte nur, dass Suzaku das rechtzeitig erkennen würde.

„Ich…“, begann dieser unschlüssig, nur um dann abrupt abzubrechen und zu Boden zu starren. Als er jedoch mehrere Atemzüge später wieder aufsah, spiegelte sich neue Entschlossenheit in seine Augen. „Und das Gas?“, verlangte er zu wissen. „Was ist so anders daran, Zivilisten als Geisel zu nehmen?“

Lelouch spürte, wie ein einzelner Schweißtropfen seine Stirn hinunterrann. Von nun an bewegte er sich auf dünnem Eis. Es musste ihm gelingen, Suzaku seinen Standpunkt zumindest begreiflich zu machen. „Die Zivilsten haben sich niemals ernsthaft in Gefahr befunden“, begann er seine Erläuterung mit einer Stimme, die nichts über seine wahren Gefühle verriet. Dabei fiel ihm auf, wie lange es her war, dass er sich das letzte Mal vor jemandem gerechtfertigt hatte, und gleichzeitig erinnerte er sich auch der Tatsache, dass es damals genau dieselbe Person gewesen war wie jetzt. „Nicht nur das, sie wussten nicht einmal, dass sie Geiseln waren, bis sie das Gas mit eigenen Augen gesehen haben.“ Er hielt kurz inne, versuchte, dahinter zu kommen, woran genau Suzaku so viel Anstoß nahm. Er gab sich Mühe – wirklich -, aber die Bedenken seines Freundes in dieser Sache kamen ihm auch weiterhin völlig irrational vor, sodass er letzten Endes nichts weiter tun konnte, als zu raten. „Ich gebe zu, dass sie für einen kurzen Moment um ihr Leben gefürchtet haben“, räumte er vorsichtig ein, „aber es wurde niemand verletzt. Von Anfang an war es nur ein Bluff - nichts weiter.“ Lelouch wollte noch hinzufügen, dass all diese Menschen Suzaku mit dem größten Vergnügen beim Sterben zugesehen hätte und einen kleinen Schock wohl ohne weiteres verkraften konnten, doch er hielt sich zurück, da er wusste, dass eine derartige Bemerkung vollkommen sinnlos wäre und sich nur negativ auf den Verlauf dieser Unterhaltung auswirken würde.

Trotz seines Entgegenkommens ballte Suzaku die Hände zu Fäusten. „Also glaubst du, dass der Zweck die Mittel heiligt?“

„Glaubst du, dass die Mittel wichtiger sind als das Ergebnis, welches sie erzielen?“, konterte Lelouch. „Vielleicht ist dir dein eigenes Leben nicht wichtig genug, um die Notwendigkeit meiner Vorgehensweise zu erkennen. Aber was hättest du getan, wenn ein anderer Unschuldiger in deiner Position gewesen wäre? Ein Zivilist? Ein Bekannter? Ein Freund?“ Bei dem letzten Wort weiteten Suzakus Augen sich kaum merklich und obwohl er ihn schon gleich darauf wieder mit schneidender Schärfe im Blick ansah, wusste Lelouch, dass er den richtigen Vergleich gefunden hatte.

„Ich…“, setzte Suzaku abermals an, bevor der Ausdruck in seinen Augen plötzlich wieder weicher wurde. „Ich weiß nicht“, gab er zu und entlockte Lelouch damit ein leises Lächeln. „Aber…“, fuhr er nach einer Weile mit wesentlich mehr Bestimmtheit fort, „es muss einen anderen Weg gegeben haben.“

Die plötzliche Entschlossenheit in der Stimme seines Freundes überraschte Lelouch nicht, frustrierte ihn aber nichtsdestotrotz. Er atmete ein paar Mal tief durch, um seinen Ärger unter Kontrolle zu bringen.

„Wenn das so ist“, sagte er schließlich, „kannst du mir das nächste Mal gerne behilflich sein. Ich bin offen für Vorschläge.“ Teilweise meinte er diese Aussage ernst, aber in allererster Linie ging unbestreitbar sein Sarkasmus mit ihm durch.

„Du willst, dass ich mich dir anschließe?“, fragte Suzaku, und sein Tonfall verriet Lelouch, wie seine Antwort lauten würde, sollte er ihm jetzt irgendetwas in dieser Richtung vorschlagen.

„Ja“, beantwortete er die Frage dennoch ehrlich und sah, wie Suzakus Blick sich augenblicklich verhärtete. Bevor er jedoch etwas erwidern konnte, fuhr Lelouch fort: „Aber ich werde mir dieses Angebot für ein andermal aufheben, da deine Abneigung gegenüber meinen Methoden offensichtlich ist.“

Suzaku reagierte zunächst mit unverkennbarer Überraschung, verengte im nächsten Moment aber schon wieder die Augen. „Und du glaubst, dass ich meine Meinung ändern werde?“

Lelouch schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er ernst. „Aber ich hoffe, dass du die Notwendigkeit in dem erkennen wirst, was ich zu tun versuche.“

Für die Dauer weniger Herzschläge sah Suzaku ihn mit einem undefinierbaren Ausdruck in den Augen an. Dann gab er ein leises, aber vielsagendes Schnauben von sich und wandte er sich wortlos ab.

Lelouch spürte, wie sein Magen sich schmerzhaft verkrampfte. Er konnte nicht zulassen, dass es so endete. Nicht schon wieder. „Warte“, befahl er hastig und war ebenso überrascht wie erleichtert, als Suzaku tatsächlich innehielt und ihn über die Schulter hinweg ansah. Sein Blick war kühl, fest entschlossen, aber allein die Tatsache, dass er überhaupt stehengeblieben war, bedeutete, dass seine Antipathie gegenüber Zero sich noch in Grenzen hielt. Oder dass er sich nicht vollkommen wie ein undankbarer Idiot aufführen wollte, aber diese Möglichkeit würde Lelouch vorerst außer Acht lassen. „Deine Bedenken sind verständlich und falls du das vorhast, was ich denke, ist deine Entscheidung nobel. Töricht“, in dieses eine Wort legte er unwillkürlich wesentlich mehr Hohn und Verbitterung, als er gewollt hatte, „wenn man bedenkt, dass der gesamte Prozess eine Farce sein wird, aber nobel.“ Bevor er weitersprach, stellte er sicher, dass er seine Emotionen wieder unter Kontrolle hatte und dass seine Stimme auch wirklich so neutral klingen würde wie beabsichtigt, wenn er jetzt fortfuhr. Dann erst sagte er: „Ich möchte dir einen Vorschlag machen.“

„Einen Vorschlag?“, wiederholte Suzaku verdutzt.

Lelouch neigte leicht den Kopf. „Da die Öffentlichkeit jetzt den wahren Mörder präsentiert bekommen hat, ist es durchaus möglich, dass du freigesprochen wirst.“ Er trat einen Schritt vor. „Wenn das geschieht, triff dich noch einmal mit mir.“

Suzaku sah ihn argwöhnisch an. „Wozu?“

Auch dafür hatte Lelouch bereits die passende Antwort parat. „Um mir Gelegenheit zu geben, dich von der Richtigkeit meines Standpunktes zu überzeugen“, erwiderte er mit einer Gelassenheit, die er nicht empfand. „Und weil ich dir etwas zu sagen habe, das dich sicherlich interessieren wird.“

Anschließend kämpfte Lelouch darum, seine Nervosität unter Kontrolle zu halten, während sein Freund sich die Sache durch den Kopf gehen ließ.

Schließlich nickte Suzaku. „In Ordnung“, sagte er langsam. „Aber ich bezweifle, dass sich dadurch irgendetwas ändern wird.“ Er wandte den durchdringenden Blick seiner grünen Augen von Lelouch ab und setzte sich wieder in Bewegung. „Dennoch… danke. Für meine Rettung.“

„Ich werde dich kontaktieren“, rief Lelouch ihm nach. „Einen Tag nach deinem Freispruch."

Suzaku antwortete ihm nicht, aber das war auch nicht nötig.

Lelouch wusste, dass er sein Wort halten würde.
 

~
 

Als die Reporter verkündeten, dass Suzaku Kururugi wieder aufgetaucht sei und aufgrund der aktuellen Entwicklungen nun eventuell für unschuldig befunden werden würde, hätte Nanali ihre Erleichterung unmöglich in Worte fassen können. Sie lockerte den angespannten Griff um das Radio in ihren Händen und lächelte in die Dunkelheit.

Beinahe zwei Stunden später kam Lelouch nach Hause und fand sie noch immer alleine in ihrem unbeleuchteten Zimmer sitzend vor. Ohne zu zögern umarmte er sie und Nanali, die wusste, dass es egoistisch war, erlaubte ihm, all ihre Sorgen mit dieser simplen Geste zu vertreiben.

Nur für diesen kurzen, selbstsüchtigen Moment vergaß sie das Gefühl, das nun schon seit mehreren Tagen an ihr nagte und ihr sagte, dass etwas an ihrem Bruder anders war als sonst, und begnügte sich damit, einfach nur seine Nähe zu genießen.
 

Die zahllosen anderen Menschen indessen, die das Geschen auf ihren Bildschirmen verfolgt hatten, waren ebenfalls erschüttert. Im Gegensatz zu Nanali jedoch hatten die meisten von ihnen kein persönliches Interesse an den bizarren Ereignissen des Abends, sondern würden den Vorfall einzig und allein deshalb in Erinnerung behalten, weil sie den Mörder ihres Prinzen noch für lange Zeit entweder als Helden feien oder als Staatsfeind verachten würden.

Wie überall jedoch gab es auch hier Ausnahmen.

Und eine dieser Ausnahmen hatte Zeros Debüt mit stetig wachsendem Unglauben verfolgt, nicht sicher, ob es blanker Größenwahn war, was sich da vor seinen Augen abspielte, oder etwas, das Teil eines meisterhaften Plans war, der aber immer noch ohne weiteres erklärte, weshalb es hieß, Genie und Wahnsinn lägen nah beieinander.

Clovis la Britannia starrte auf den inzwischen wieder schwarz gewordenen Bildschirm und schüttelte bestürzt den Kopf.

Was zur Hölle hast du vor, Lelouch?
 


 


 


 

______________

Ha, endlich mal ein bisschen Suzaku!

Wobei ich sagen muss, dass die Rettungsaktion gar nicht so leicht zu schreiben war. *nickt vor sich hin*

Nach etlichen Überarbeitungen sollte das Kapitel aber dennoch einigermaßen gelungen sein - was natürlich keineswegs heißen soll, dass ich mir konstruktive Kritik nicht zu Herzen nehmen werde.

Hm. Tja, das war also Zeros lange erwarteter Auftritt.

[Von Orange-kun mal ganz zu schweigen. Ich musste es mir wirklich Verkneifen, das Kapitel "Der Staatsfeind und die Zitrusfrucht" zu nennen.]

Ich hoffe, das Warten darauf hat sich gelohnt und freue mich wie eine fliegende Keksdose über Rückmeldungen jedweder Art.

Hihi... *stellt ein Tablett voller Törtchen als Lockmittel vor sich auf den Boden und pfeift unschuldig*

Die folgenschwere Fehleinschätzung

Am nächsten Morgen wachte Lelouch früher auf als gewöhnlich, nur um festzustellen, dass die Kopfschmerzen, die ihn am Vorabend erneut zu plagen begonnen hatten, sich über Nacht keineswegs verflüchtigt hatten.

Stattdessen war aus dem bohrenden Schmerz, der so plötzlich an die Stelle eines bis dahin nur gelegentlichen Stechens getreten war, nun ein dumpfer Druck geworden, der sich von innen heraus mit aller Macht gegen seine Schädeldecke zu richten schien und dafür sorgte, dass es Lelouch beinahe so vorkam, als wäre sein Kopf über Nacht zu schwer für seinen Hals geworden.

Und als wäre das allein nicht schon unangenehm genug gewesen, fühlte er sich auch noch so benommen und kraftlos, dass selbst das Aufstehen ihm Schwierigkeiten bereitete.

Ebenso kostete es Lelouch beträchtliche Mühe, auf der kurzen Strecke von seinem Bett bis zum Badezimmer auch nur die Augen offen zu halten, sodass er sich schon bald mit einem Anflug von Besorgnis fragte, ob er sich womöglich eine Erkältung eingefangen haben könnte. Genauso schnell jedoch kam er auch zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit dafür ausgesprochen gering war: Sein Immunsystem war schon immer überdurchschnittlich gut gewesen, und selbst wenn der ein oder andere Krankheitserreger sich in seinen Körper verirrt haben sollte, dürfte diese Angelegenheit sich binnen weniger Stunde ganz von selbst erledigen.

So war es bisher jedes Mal gewesen, und es gab keinen Grund dafür, weshalb sich ausgerechnet jetzt etwas daran ändern sollte.

Doch obschon Lelouch fest damit rechnete, dass sich sein plötzliches Unwohlsein im Laufe des Tages wieder legen würde, informierte er Sayako darüber, bevor er aus dem Haus ging – weil Vorsicht immer besser war als Nachsicht, und um nicht zu riskieren, dass er eine ahnungslose Nanali ansteckte.
 

In der Schule erschien Lelouch allerdings trotzdem, wenngleich er wieder einmal den Großteil des Unterrichts verschlief und im Nachhinein nicht einmal hätte sagen können, in welchem Fach sie den Vertretungslehrer gehabt hatten, der ihm ohnehin nur deshalb aufgefallen war, weil der ältliche Mann versehentlich seine Aktentasche hatte fallen lassen und ihn dadurch pünktlich zum Ende der Stunde geweckt hatte.

Daraufhin war Lelouch aufgestanden und hatte sich einen möglichst abgelegenen Platz am Fenster gesucht, um dem allgemeinen Lärm um ihn herum zu entgehen und sich von den durch die großen Glasscheiben eindringenden Sonnenstrahlen ein wenig aufwärmen zu lassen. Es mochte warm außerhalb des Schulgebäudes sein, aber wenn die Klimaanlage verrücktspielte, änderte ein bisschen gutes Wetter auch nicht viel an den frostigen Temperaturen, die in dem kleinen Klassenzimmer vorherrschten.

Lelouch hatte sich vorgenommen, sich in der nächsten Pause persönlich um dieses überaus ärgerliche technische Problem zu kümmern, und dann erneut die Lider geschlossen. Anschließend hatte er gerade noch mitbekommen, wie die nächste Lehrkraft den Raum beteten hatte - dann war er auch schon wieder tief und fest eingeschlafen gewesen.

Erst jetzt, eine ganze Weile später, war er ein zweites Mal wach geworden. Er gähnte lautlos und überlegte, ob es sich wohl lohnte, die Augen zu öffnen.

War es etwa schon Pause?

Aber dann bemerkte Lelouch, wie die Gespräche um ihn herum allmählich verebbten, und er erkannte, dass er soeben all seine unterrichtsfreie Zeit verschlafen hatte - also sparte er sich die Mühe.

Schließlich stand nicht einmal ein Raumwechsel an.

Er positionierte seinen Kopf noch rasch ein wenig anders und stützte das Kinn auf die Rückhand statt auf die Handfläche; dann konzentrierte er sich ganz darauf, erst dem allgemeinen Geraschel von Heften und Notizblöcken, die aufgeschlagen wurden, und dann der leidenschaftlichen Ansprache seiner Geschichtslehrerin keine Beachtung zu schenken.

Zum ersten Mal seit langem war sein Schlaf erholsam anstelle von nervenaufreibend, und Lelouch wusste das zu schätzen.
 

Als Milly ihn am frühen Nachmittag vor dem Schulgebäude abfing und wie üblich spontan zu einem ganzen Haufen von Extraarbeit verdonnern wollte, hielt sie mitten in ihrer Triade inne und musterte Lelouch von oben bis unten. Dabei kam sie ihm so nahe, dass ihre Köpfe sich beinahe berührten.

„Du siehst nicht sehr gut aus“, stellte sie fest. „Ist dir schlecht?“

Noch bevor sie die Frage ganz gestellt hatte, legte sich auch schon ein unbeschwertes Lächeln auf Lelouchs Züge. „Nur ein bisschen schwindelig“, gab er wahrheitsgemäß zurück - wobei er zugeben musste, dass ‚ein bisschen’ in diesem Zusammenhang eher relativ war. „Es ist nichts Ernstes“, fügte er hinzu, als Milly ihn daraufhin nur noch eingehender betrachtete.

Unbeirrt blieb die blonde Schülerratspräsidentin noch eine ganze Weile vor ihm stehen und taxierte ihn argwöhnisch, bevor sie endlich einen Schritt zurücktrat und ihm wieder etwas Raum zum Atmen ließ. „Wenn du meinst“, sagte sie. Lelouch wunderte sich schon darüber, wie schnell sie nachgegeben hatte, als sie plötzlich die Hände in die Hüften stemmte und ihn strengen Blickes fixierte. „Aber so lasse ich dich nicht arbeiten. Fehlt noch, dass du uns vom Stuhl kippst.“

„Oder auf die Unterlagen kotzt“, ergänzte Rivalz mit einem breiten Grinsen, als er völlig unvermittelt keine zwei Schritte hinter Milly auftauchte.

Lelouch verzog leicht das Gesicht, bevor er sich wieder zu einem Lächeln zwang. „Es geht mir wirklich nicht so schlecht.“

Milly sah ihn noch einen Moment lang aufmerksam an, dann tippte sich nachdenklich ans Kinn und wandte sich zu Rivalz um. „Lulu schlägt eine Gelegenheit aus, sich vor seinen Pflichten zu drücken?“, wunderte sie sich. „Glaubst du, wir sollten Nanali Bescheid geben, damit sie ihn zwingt, sich sicherheitshalber mal von einem Arzt ansehen zu lassen?“

Lelouch schwieg zu diesem Thema, aber innerlich seufzte er über seinen dummen Fehler.

Es waren nicht nur seine Kopferschmerzen, gestand er sich ein, sondern auch die Emotionen. Trotz der lästigen Arbeit, die seine Mitgliedschaft im Schülerrat schon seit jeher mit sich brachte, hätte er gerne etwas mehr Zeit mit seinen Freunden verbracht – schließlich wusste man nie, was die Zukunft bringen würde. Oder vielleicht doch, aber das war nur umso mehr Grund für Lelouch, das bisschen Freizeit, das ihm im Moment noch blieb, sinnvoll zu nutzen.

Dennoch war sein Verhalten in diesem Augenblick uncharakteristisch unbedacht gewesen und er musste zugeben, dass ihn das ein wenig beunruhigte. Es war so lange her, dass er das letzte Mal krank gewesen war, dass er gar nicht mehr wusste, wie es war, auch nur eine verstopfte Nase zu haben - ganz zu schweigen davon, aufgrund irgendeiner dummen kleinen Unpässlichkeit nicht mehr klar denken zu können. Und das hier war definitiv der falsche Zeitpunkt, um spontan seine Erinnerungen aufzufrischen.

Rivalz klopfte ihm auf die Schulter. „Du machst wirklich keinen sehr gesunden Eindruck, Kumpel“, sagte er – grinsend, aber mit einem unverkennbaren Anflug von Mitgefühl in der Stimme. „Geh besser nach Hause und überlass den Papierkram uns.“

Milly nickte zustimmend.

Lelouch indessen war verdutzt. „Meint ihr nicht, dass ihr ein wenig übertreibt?“

Seine langjährige Freundin schüttelte den Kopf. „Husch“, sagte sie in einem Tonfall, der keine Widerrede duldete, und machte eine scheuchende Handbewegung in seine Richtung. „Als Präsidentin des Schülerrats befehle ich dir, dich ausruhen zu gehen!“

Lelouch blinzelte. Es gab Leute, die brauchten ein Geass, damit andere das taten, was sie wollten – und es gab Leute, die hießen Milly Ashford.

„Na los!“ Rivalz versetzte ihm einen leichten Stups mit dem Ellenbogen.

Lelouch tat so, als hätte ihn das nicht beinahe sein Gleichgewicht gekostet, und stieß einen theatralischen Seufzer aus. „Na schön. Solange es nicht an mir hängen bleibt, wenn wir in Verzug geraten…“

Ein triumphierendes Grinsen erschien auf Millys Gesicht. „Mach dir darüber keine Sorgen“, gab sie gutgelaunt zurück, „und sieh lieber zu, dass du ins Bett kommst.“

Abermals seufzte Lelouch - dieses Mal allerdings ehrlich resigniert. „Zu Befehl, Kaichou.“
 

~
 

Er hatte wirklich vorgehabt, sich erst einmal ein Weilchen hinzulegen und sich auszukurieren, bevor er wieder irgendetwas unternahm, aber als er das Klubhaus erreichte, in dem er und seine Schwester gemeinsam mit Sayako wohnten, fühlte Lelouch sich schon wieder wesentlich besser. Er kam zu dem Schluss, dass er wohl nur etwas frische Luft gebraucht hatte, und entschied, dass es sinnvoller wäre, den Tag möglichst schnell hinter sich zu bringen, damit er am Abend früher als üblich zu Bett gehen und auch noch die letzten Überbleibsel seiner Erkältung wegschlafen könnte.

Sobald er sein Zimmer erreicht hatte, schloss er die Tür hinter sich und blickte sich um.

C.C. war nirgendwo zu sehen, aber das wunderte ihn nicht. Seit sie sich in den Lauf der Zeit eingemischt hatte, war die Unsterbliche merklich verstimmt, und obwohl Lelouch sich gerne bei ihr für seine zweite Chance revanchiert hätte, indem er sie ein wenig aufheiterte, war ihm sehr wohl bewusst, dass das nicht so ohne weiteres funktionieren würde. Also ließ er sie so viel Pizza haben, wie sie wollte, und hoffte gegen besseres Wissen, dass die Dinge sich früher oder später von selbst wieder einrenken würden.

Nachdem er sich vergewissert hatte, dass er auch wirklich alleine in dem kleinen Raum war und keine Gefahr lief, einen verfrühten Herzinfarkt zu erleiden, wenn plötzlich eine unsterbliche Hexe hinter ihm auftauchte und ihm auf die Schulter tippte, entledigte Lelouch sich seiner duchgeschwitzten Schuluniform. Er faltete sie ordentlich auf dem Bett zusammen, um Sayako die Arbeit zu erleichtern, und nahm noch rasch eine Dusche, bevor er schließlich in seine Alltagskleidung schlüpfte und ohne weitere Verzögerung wieder aufbrach.

Es gab Angelegenheiten, die er dringend hinter sich bringen musste, wenn er seine Nerven noch eine Weile behalten wollte.
 

~
 

Technisch gesehen begann das Wochenende erst in etlichen Stunden, aber da es immer noch nicht ganz ausgeschlossen war, dass er die nächsten zwei Tage mit einer Erkältung im Bett verbringen würde, wollte Lelouch sich bereits im Voraus um die Schadensbegrenzung kümmern. Es gab viele Dinge, mit denen er sich in diesem Augenblick für ein bisschen Schlaf nur allzu bereitwillig abgefunden hätte - aber die Gewissheit, sich anschließend das Gejammer seines chronisch gelangweilten Halbbruders anhören zu müssen, war definitiv keines davon.

Dementsprechend wäre es besser, Clovis vorzuwarnen und jetzt schon einmal ein bisschen zu unterhalten, damit er möglichst wenig Grund dazu hatte, sich zu beschweren, sollte es irgendeiner kleinen Viruserkrankung tatsächlich gelingen, Lelouch einen Strich durch die Rechnung zu machen und seine Pläne für die nächsten paar Tage durcheinander zu bringen.

Sicher, es mochte umständlich und alles andere als reizvoll sein, Clovis bloß aufgrund einer solchen Eventualität einen spontanen Besuch abzustatten; aber falls er das Wochenende über wirklich verhindert sein würde, wäre ein einziger auf diese Weise geopferter Nachmittag es allemal wert, von den Alternativen verschont zu bleiben, die mit Sicherheit noch wesentlich nervenaufreibender wären.

Das zumindest glaubte Lelouch.
 

Bis er eine gute halbe Stunde später als beabsichtigt und vor Erschöpfung keuchend an seinem Ziel ankam und sein Bruder ihn mit den Worten begrüßte: „Zero? Ich glaube, das ist das mit Abstand Einfallsloseste, was ich jemals gehört habe.“

In diesem Augenblick hatte Lelouch große Lust, die Tür einfach wortlos wieder zuzuknallen und zurück nach Hause zu gehen.

Und einen Moment lang war er durchaus versucht, auch genau das zu tun; aber dann sagte er sich, dass er sich selbst für alle Unannehmlichkeiten entschädigen und sich die nächsten Tage einfach nicht mehr bei seinem Bruder blicken lassen würde – ganz gleich, ob es ihm nun wieder besser ging oder nicht, und ungeachtet dessen, ob Clovis ihm damit für die nächste Dekade und darüber hinaus in den Ohren liegen würde.

Mit diesem guten Vorsatz im Hinterkopf gelang es ihm schließlich, seinen Widerwillen zu überwinden und über die Türschwelle zu treten.

„Ich erinnere mich nicht, dich nach deiner Meinung gefragt zu haben“, bemerkte er betont gleichmütig und ließ sich seinem Bruder gegenüber an dem kleine Schachbrett nieder, mit dem dieser sich vermutlich in einem weiteren seiner vielen halbherzigen Versuche beschäftigt hatte, die Zeit totzuschlagen.

Nun jedoch hatte Clovis ganz offenkundig jedes Interesse an den kleinen Figuren aus poliertem Holz verloren, und er beobachtete Lelouch mit der nachlässigen Aufmerksamkeit einer Katze, die zwar für den Augenblick mit sich und der Welt zufrieden ist, aber deshalb noch lange nicht vorhat, ihre nächste Mahlzeit auch nur für den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen zu lassen. „Nein“, erwiderte er trocken, sobald Lelouch sich gesetzt hatte. „Ansonsten hätte ich dich darauf hingewiesen, dass es dir an schöpferischer Kreativität mangelt und dass du solche Dinge lieber einem Künstler überlassen solltest.“

Lelouch schnaubte. „Ich werde daran denken, wenn ich mich das nächste Mal zu einem gesuchten Staatsfeind mache“, sagte er tonlos.

„Ah, wo wir gerade dabei sind…“ Clovis hob die Brauen. „Darf ich fragen, was das sollte?“

Lelouch überschlug die Beine. „Du darfst“, gab er zurück und stützte das Kinn auf die Hand, in der er keine Waffe hielt. „Aber das heißt nicht, dass du auch eine Antwort bekommen wirst.“

Clovis rollte die Augen. „Im Ernst, Lelouch“, sagte er. „Was hast du dir dabei gedacht? Wenn dich das Leben eines gewöhnlichen Bürgers so sehr langweilt, weshalb bist du dann nicht einfach nach Britannien zurückgekehrt?“

Beinahe hätte Lelouch den Kopf über die Begriffsstutzigkeit seines Bruders geschüttelt. Glaubte Clovis etwas, dass er Nanalis Sicherheit derart unbesonnen riskieren würde? Weil ihm langweilig war?

Es war eine vollkommen absurde Annahme, die ihm prompt ein weiteres höhnisches Schnauben entlockte. „Ich habe dir bereits erklärt, weshalb ich nicht zurück kann“, erinnerte er seinen Bruder knapp.

Es war eine subtile Ermahnung, die seinen überheblichen Gesprächspartner in seine Schranken weisen sollte und deren tiefere Bedeutung Clovis auch nicht entging. Der ehemalige Gouverneur schluckte hinunter, was auch immer er gerade noch hatte sagen wollen, und wich in seinem Sessel zurück, als wollte er einem unsichtbaren physischen Geschoss zu entgehen, wobei die Überraschung auf seinen Zügen sich schnell in Bestürzung verwandelte.

Lelouch indessen, der die Reaktion seines Bruders aufmerksam verfolgte, verbiss sich ein grimmiges Lächeln. Offenbar machte es sich nun bezahlt, dass er sich bei dem Auftakt zu Clovis’ Entführung weitgehend an das Drehbuch gehalten und genau wie damals die Rolle erwähnt hatte, die Nanali und er selbst während der Japaninvasion gespielt hatten.

Oh ja, ihr Vater mochte behaupten, es sei zu ihrem eigenen besten gewesen, aber das war nur eine klägliche Ausrede, die nichts an der Tatsache änderte, dass es niemals eine Garantie dafür gegeben hatte, dass man den kaiserlichen Geschwistern nicht einfach als Rache die Kehlen aufschlitzen würde, wenn Britannien einfach so in das Land einfiel, dessen Geiseln sie waren.

Für Charles di Britannia waren seine Kinder nichts weiter als politische Werkzeuge, und Clovis war nicht so dumm, dass ihm das entgangen wäre.

Zu Lelouchs großem Verdruss jedoch hielten die Nachwirkungen seiner mit Bedacht gewählten Bemerkung nicht ewig vor, und wie sich herausstellte, plante sein Bruder keineswegs, das heikle Thema einfach fallen zu lassen wie eine heiße Kartoffel. „Aber nicht“, entgegnete er, sobald er seine vorübergehende Betretenheit überwunden hatte, „weshalb du so leichtfertig dein Leben aufs Spiel setzt.“ Anfangs schwankte Clovis’ Stimme noch ein wenig, aber mit jedem Wort wurde sie etwas fester und nachdrücklicher, und schließlich meinte Lelouch sogar, einen tadelnden Unterton darin entdecken zu können. „Ganz gleich, was für einen aufwendigen Plan du auch gehabt haben magst, es hätte nur einer dieser Soldaten-“

„Lass das meine Sorge sein“, unterbrach Lelouch ihn. Vielleicht etwas unwirsch, aber sein Halbbruder war eindeutig der Letzte, von dem er sich eine Strafpredigt anhören würde. „Was kümmert es dich?“

Clovis, der mitten im Satz abgebrochen hatte, schloss den Mund wieder und starrte ihn an. „Du begreifst es wirklich nicht, oder?“, fragte er nach kurzem Schweigen und schüttelte den Kopf. Lelouch sagte nichts zu dieser scheinbar zusammenhangslosen Äußerung, sondern lehnte sich in seinem Sessel zurück und erwiderte den verständnislosen Blick seines Bruders so kühl wie eh und je.

Es folgte eine weitere Stille, in der Clovis’ Miene eine ganze Reihe von Verwandlungen durchmachte: An die Stelle von Unglauben trat erst Verwunderung, dann Bestürztheit, und schließlich etwas, das sich wohl am besten als Begreifen bezeichnen ließ - auch wenn Lelouch sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, was Clovis so plötzlich begriffen haben könnte. Allerdings musste es wohl etwas Wichtiges gewesen sein, denn gleich darauf huschte ein ausgesprochen merkwürdiger Ausdruck über das Gesicht seines Bruders, den Lelouch zwar ebenfalls nicht genauer zu deuten vermochte, der aber doch etwas an sich hatte, das ihn unverkennbar zu dem Resultat einer bedeutungsschwangeren Erkenntnis machte.

Und mit einem Mal fixierte Clovis ihn mit einem so durchdringenden Blick, dass Lelouch nichts weiter tun konnte, als verwirrt zu blinzeln. „Ich habe dich schon einmal verloren, Lelouch“, teilte der blonde Prinz ihm daraufhin mit „Ich habe nicht die Absicht, es noch einmal zu tun.“

Lelouch setzte zu einem verächtlichen Schnauben an, aber etwas an der Art, wie sein Bruder ihn ansah – unbeirrt und eindringlich und mit einem seltsam emotionsgeladenen Ausdruck in den Augen, den er unmöglich genauer hätte definieren können - , ließ ihn beinahe sofort wieder verstummen.

Vielleicht hatte es auch etwas damit zu tun, wie Clovis die Worte ausgesprochen hatte – in einem ungekünstelt klingenden Tonfall, der sie nicht einmal ansatzweise theatralisch klingen ließ, und so langsam und betont, als wollte er, dass Lelouch die Aufrichtigkeit hinter dem, was er sagte, unmöglich verkennen konnte.

Falls das tatsächlich Clovis' Absicht gewesen sein sollte, dann war er wohl erfolgreich gewesen. Denn auch wenn Lelouch keinen Zweifel daran hatte, dass sein Bruder ein hervorragender Schauspieler war, wenn er es darauf anlegte, wollte ihm im Augenblick einfach keine spöttische Erwiderung einfallen.

Dieses Mal war ganz eindeutig er es, dem es die Sprache verschlagen hatte.

Als Clovis das bemerkte, blinzelte er verdutzt – offenbar hatte er nicht mit einer solchen Reaktion gerechnet. Sofort stellte Lelouch sich die Frage, was er sonst erwartet haben könnte, und schließlich zog er sogar die entfernte Möglichkeit in Betracht, dass sein Bruder ihm vielleicht wirklich nur verständlich hatte machen wollen, weshalb er sich ungefragt in seine Angelegenheiten einmischte; möglicherweise hatte Clovis tatsächlich jedes Wort ernst gemeint und nicht einmal die Absicht gehegt, sich durch vorgetäuschte Rührseligkeit dafür zu revanchieren, dass Lelouch ihn zuvor auf so unfeine Art und Weise aus dem Konzept gebracht hatte.

Bevor Lelouch diesbezüglich jedoch zu einem Schluss kommen konnte, veränderten sich Clovis’ Züge auch schon wieder – völlig übergangslos nahmen sie den hochmütigen Ausdruck eines Königs an, der aus purem Großmut beschlossen hat, den Pöbel mit seiner Anwesenheit zu beehren. „Außerdem“, fuhr er fort, wobei er den Kopf schräg legte und Lelouch mit einem betont herablassenden Lächeln bedachte, „würde ich hier mit Sicherheit vor Langeweile umkommen, sollte dir etwas zustoßen. Also verbiete ich dir hiermit ausdrücklich, zu sterben.“

Der seltsame Humor seines Bruders traf Lelouch unvorbereitet, und bevor er darüber nachdenken konnte, was er davon halten sollte, war ihm auch schon ein Lachen entwichen. Es war ein leiser, kurzlebiger Laut, aber das genügte schon, damit Clovis ihn perplex anstarrte.

Und dann schlich sich ein Lächeln auf das Gesicht des Dritten Prinzen – so zögerlich, dass es beinahe scheu wirkte, aber ehrlich erfreut. „Eine Partie Schach gefällig?“, fragte er.

Lelouch zauderte nur für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er nickte.
 

Da Clovis der Herausforderer war, hätte die Etikette es eigentlich verlangt, dass er Schwarz nahm, aber weder er noch Lelouch schenkten dieser vor allem bei Hofe vorherrschenden Formalität Beachtung. Schwarz war schon immer Lelouchs Farbe gewesen, ebenso wie Clovis stets Weiß den Vorzug gab.

Es war passend, fand Lelouch, und doch ironisch

„Du verbirgst also deine wahre Identität und besuchst eine ganz gewöhnliche britische Schule?“, erkundigte Clovis sich, nachdem er seinen dritten Zug gemacht hatte.

„Aa“, bestätigte Lelouch.

„Wie nennst du dich?“

Es war eine beiläufige Unterhaltung, bei der sie beide das Brett noch nicht einmal für eine Sekunde aus den Augen ließen. Selbst die Geschwindigkeit ihrer Züge verringerte sich nicht.

„Lelouch Lamperouge.“

„Huh.“ Clovis nahm Lelouchs Turm mit seinem Läufer. „Kreativität liegt dir wirklich nicht sonderlich, oder?“

Lelouch ließ sich Zeit mit seiner Antwort und konzentrierte sich auf das Spiel. Erst einige Züge später, als er Clovis’ Läufer mit seinem König schlug, erwiderte er: „Genauso wenig, wie dir das Regieren liegt.“

„Touché.“

„Du bist besser geworden.“

„Wenn nicht, wäre das auch recht peinlich, meinst du nicht?“

„Aa.“

„Und ich könnte mich sicherlich besser konzentrieren, wenn du aufhören würdest, dieses Ding auf mich zu richten.“ Nun sah Clovis doch auf und warf einen kurzen, genervten Blick auf die Pistole in Lelouchs Linken. “Es ist schließlich nicht so, als würde ich dich bei der erstbesten Gelegenheit überwältigen und fliehen.“

„Ach?“

Clovis schnaubte und griff nach seiner Dame. „Vater würde mich enterben.“

„Hm…“ Lelouch setzte seinen Springer vor seinen König. „Wahrscheinlich“, räumte er ein.

Sein Bruder ließ die Gelegenheit, den schwarzen Springer zu nehmen und damit ein unter den gegebenen Umständen ohnehin sinnloses Schach zu erzielen, ungenutzt verstreichen, und führte stattdessen eine Rochade durch. „Du traust mir wirklich kein bisschen, oder?“

Lelouch hielt den Blick weiterhin auf das Schachbrett gerichtet, wenngleich ein leises Lächeln seine Mundwinkel umspielte. „Nein.“

„Hmpf.“ Sobald Clovis seinen nächsten Zug beendet hatte, überkreuzte er die Arme vor der Brust und sah Lelouch an, als sei er seiner schon seit dem Tag seiner Geburt überdrüssig. „Weißt du“, sagte er, „wenn ich etwas Besseres zu tun hätte, würde ich schon lange nicht mehr mit dir sprechen.“

Lelouch blieb ungerührt. „Zu schade, dass dem nicht so ist“, bemerkte er beiläufig. Dann glitt ein zufriedenes Lächeln auf seine Züge und er sah das erste Mal in den letzten fünfzehn Minuten auf. „Schach.“

„Hu?“ Clovis starrte perplex auf den Springer, den Lelouch soeben abgesetzt hatte. Es gelang ihm, seinen König noch einmal in Sicherheit zu bringen, aber nicht sonderlich effektiv – Lelouch brauchte keine weitere Viertelstunde, um die Partie für sich zu entscheiden.

Clovis schnaubte verärgert und Lelouch schenkte ihm ein kurzes, selbstgefälliges Grinsen. „Noch mal?“

Sein Bruder gab einen verächtlichen Laut von sich und begegnete Lelouchs belustigtem Blick mit einem hochmütigen Ausdruck in den Augen. „Dieses Mal werde ich mich nicht so einfach ablenken lassen“, warnte er ihn.

Lelouch lächelte gönnerhaft - wissend, dass es Clovis ärgern würde, auch wenn er sich erstaunlicherweise nichts anmerken ließ. „Wie du meinst.“

Und damit begannen sie von neuem.
 

Tatsächlich verlief das nächste Spiel nicht nur schweigend, sondern dauerte auch noch eine ganze Stunde länger als das erste, wenngleich Lelouch letzten Endes wieder als eindeutiger Sieger daraus hervorging.

Ganz ähnlich verliefen auch die darauf folgende und die übernächste Partie; und die, die danach kam, nahm sogar noch eine gute halbe Stunde mehr in Anspruch als die vorherigen.

Jedes Mal schien Clovis ein kleines bisschen besser zu werden, und jedes Mal schlug Lelouch ihn vernichtender, während er die Tatsache zu ignorieren versuchte, dass er sich mit jeder verstreichenden Minute schlechter fühlte.

Zunächst war es nicht weiter schlimm – die schleppende Müdigkeit, die er schon den ganzen Tag über verspürte, hatte zugenommen, und ihm war ein wenig zu warm gewesen. Es war nicht besonders angenehm, nein, aber auch nichts, worüber er sich großartig Gedanken gemacht hätte. Wenn er sich Mühe gab, beeinträchtigte sein leicht angeschlagener Zustand nicht einmal nennenswert seine Konzentration.

Aber dann waren die Kopfschmerzen zurückgekommen. Anfangs hatte Lelouch sie kaum bemerkt, aber mit der Zeit waren sie schlimmer geworden, und als die letzte Partie sich ihrem Ende neigte, hatte er das Gefühl, dass der Raum um ihn herum sich in dem gemächlich-nervtötenden Tempo eines Kinderkarussells drehte.

Das war der Punkt, an dem Lelouch entschied, dass es Zeit für ihn war, den Heimweg anzutreten.

Nachdem er Clovis zum fünften Mal hintereinander mattgesetzt hatte, lehnte dieser sich mit vor der Brust verschränkten Armen in seinem Sessel zurück. „Ich denke, es ist offensichtlich, dass ich nicht der Einzige bin, der besser geworden ist“, sagte er nach einem kurzen Moment des Schweigens und gestand damit seine Niederlage ein – wenn auch nur äußerst widerwillig.

„Vielleicht hast du nächstes Mal ja mehr Erfolg“, gab Lelouch zurück – in einem Tonfall, der deutlich machte, dass er eher mit fliegenden Schweinen und Fischen im nächsten Wetterbericht rechnete. Er versuchte sich auch an einem süffisanten Lächeln, hatte aber das Gefühl, nur ein klägliches Zucken der Mundwinkel zustande zu bringen.

Dennoch erzielten seine Worte die gewünschte Wirkung. Clovis gab ein verstimmtes „Huh“ von sich und fixierte Lelouch mit einem Blick, der deutlich machte, dass er dieses Mal nicht das Geringste einzuwenden hätte, wenn er nun allmählich wieder aufbrach.

Und genau das hatte Lelouch auch vor. Längst war er dabei, sich zu erheben, und ohne dem unerwartet heftige Schwindelgefühl größere Beachtung zu schenken, das ihn dabei befiel, wandte er sich zur Tür.

Er zwang sich, konsequent einen Fuß vor den anderen zu setzen, und versuchte so, seinen bemerkenswert unkooperativen Körper unter Kontrolle zu bringen. Dass ihm dabei kurz schwarz vor Augen wurde, beunruhigte ihn genug, damit er beschloss, dass er sich zu Hause sofort ins Bett legen würde.

Um seine Beziehung zu den Terroristen konnte er sich auch noch kümmern, wenn er diese Erkältung wieder losgeworden war.

Abermals begann der Raum um ihn herum sich zu drehen, dieses Mal wesentlich schneller als noch wenige Minuten zuvor, und plötzlich war Lelouch sich gar nicht mehr so sicher, ob er es hier wirklich nur mit einem harmlosen Schnupfen zu tun hatte. Er erschauderte leicht, war aber fest entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen.
 

~
 

Und wie immer, wenn Lelouch Lamperouge sich etwas vorgenommen hatte, erzielte seine schiere Willenskraft auch dieses Mal erstaunliche Ergebnisse.

Er schaffte es durch den gesamten Raum und bis in den Türrahmen, ohne dass Clovis irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen wäre.
 

Dann gelang es ihm gerade noch, seinen Sturz notdürftig mit einem Arm abzubremsen, bevor er endgültig das Bewusstsein verlor.
 


 


 


 

____________________

Ha, geschafft!

Ich dachte schon, dieses Kapitel würde sich meinen Ansprüchen ewig widersetzen. So sollte es vorerst in Ordnung sein. *nickt vor sich hin*

Merkt man, dass ich der festen Überzeugung bin, dass sich Lelouch und Clovis schon immer gegenseitig auf den Geist gegangen sind? xD

Hach ja, Familie...

Ich hoffe mal, Lelouchs Kopfschmerzen sind in den Kapiteln davor nicht völlig untergegangen, auch wenn ich sie absichtlich immer nur mal ganz am Rande erwähnt habe. Schließlich sollte es ja auch nicht zu offensichtlich sein. ;P

Und den Klischee-Satz habe ich hoffentlich auch gut vertuscht...

Äh, Wie dem auch sei... *teilt schnell die versprochenen Törtchen aus*

Wieder einmal bedanke ich mich für die Kommentare, über die ich mich wie immer sehr gefreut habe.

Ich muss zugeben, dass ich mir gar nicht mehr sicher war, wann und vor allem wo genau C.C. an Cheese-kun gekommen ist, aber da sie logischerweise auch kein Geld für das Stück Pizza dabei hatte, das sie sich hat schmecken lassen, darf jeder seine eigenen Schlüss darüber ziehen, wie sie in dieser Fanfic da herangekommen ist. xD

Was die Absätze angeht... zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich ziemlich oft auf die Entertaste drücke. Nur benutze ich meistens die "kleinere" Variante von Einzügen.

Ich gebe allerdings zu, mich in dieser Fanfic recht schwer mit den Leerzeilen zu tun, und werde ab diesem Kapitel bewusst versuchen, sie immer einzubauen, wenn sie mir gerade halbwegs passend erscheinen. Versprechen kann ich allerdings nichts. ^^"
 

Das nächste Kapitel wird voraussichtlich etwas aus dem Rahmen fallen, was sich auch an seinem Titel zeigen wird. Ich kann außerdem schon einmal verraten, dass Clovis darin vorkommen wird.

An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass besagter Prinz noch immer kein Heiliger ist. Wer allerdings das entsprechende Sound-Drama kennt oder zumindest die Zitate daraus in seiner Chara-Beschreibung hier gelesen hat, wird schnell feststellen, dass er ein vielschichtigerer Charakter ist, als man während der ersten paar Anime-Episoden hätte meinen können.

Behaltet also am besten im Hinterkopf, dass der Gute mehr als nur eine Seite hat und dass ich - wie aus meinem bisherigen Geschreibsel hoffentlich auch schon hervorgegangen ist - keineswegs vorhabe, seine weniger glorreichen Taten und Charakterzüge einfach bequem unter den Tisch fallen zu lassen.

Ansonsten hoffe ich, dass das Lesen Spaß gemacht hat, und merke noch einmal schnell an, dass ich mich - genau wie sonst auch - sehr über alle Arten von Rückmeldungen freue.

Von unschlüssigen Brüdern

Clovis hörte Lelouchs Fall mehr, als dass er ihn sah.

Obwohl er seinen Bruder die ganze Zeit über aus dem Augenwinkel hatte sehen können, hatte er nicht großartig auf ihn geachtet, während er in Gedanken noch einmal in umgekehrter Reihenfolge die Partien durchgegangen war, die sie im Laufe des Tages gegeneinander gespielt hatten. Ohne auch nur für eine einzige Sekunde von dem kleinen Schachbrett aufzusehen, das er so eindringlich fixierte, als wollte er nur mit Hilfe seines finsteren Blicks ein Loch in es hinein brennen, hatte er die Fehler in seinen Zügen gesucht, lautlose Verwünschungen ausgestoßen und sich ganz allgemein über die unleugbare Vollkommenheit seiner Niederlage geärgert.

In anderen Worten: Er hatte geschmollt.

Allerdings hätte er das niemals zugegeben, und wäre irgendjemand auf die Idee gekommen, ihm unverblümt ein derartig infantiles Verhalten zu unterstellen, dann hätte er dieser anmaßenden Person strengstens untersagt, ihm jemals wieder unter die Augen zu treten.

Clovis la Britannia schmollte nicht – er grübelte. Und wenn er sich das oft genug sagte, dann würde er auch irgendwann anfangen, es selbst zu glauben.
 

Unglücklicherweise hatte diese Art der Selbsttäuschung jedoch einen entscheidenden Nachteil: Bis sie tatsächlich Wirkung zu zeigen begann, mussten immer erst einmal ein paar Minuten, manchmal sogar ganze Stunden verstrichen sein. Und als ein dumpfes Geräusch ihn jäh aus seinen Gedanken riss, war Clovis noch lange nicht so überzeugt von dem Inhalt seines Mantras, wie er es gerne gewesen wäre.

Ein Umstand, der ausgesprochen ärgerlich war – denn nichts hasste der Dritte Prinz des Heiligen Britischen Reiches mehr, als an seinen eigenen Lügen zu zweifeln.

Wie sich allerdings herausstellte, brauchte er das dieses Mal auch gar nicht.

Als er nämlich den Kopf hob, um der Ursache für die plötzliche Störung einen tödlichen Blick zuzuwerfen, und erkannte, worum es sich bei der Quelle seines Unmuts handelte, waren das Schachspiel und sein daraus resultierender Verdruss vergessen, und Clovis war aufgesprungen, ohne es überhaupt zu bemerken.

Anschließend dauerte es eine ganze Weile, bis er sich dessen Gewahr wurde, und noch länger, bis es ihm dann auch noch gelang, den Kloß hinunterzuschlucken, der in der Zwischenzeit in seinem Hals Gestalt angenommen hatte.

Letzten Endes aber fand er seine Stimme wieder.

„Lelouch?“, fragte er vorsichtig.

Aber Lelouch antwortete nicht. Er zuckte nicht einmal mit dem kleinen Finger oder drehte den Kopf oder gab sonst irgendein Lebenszeichen von sich.

Clovis starrte auf seinen jüngeren Bruder, der so vollkommen unbewegt im Türrahmen lag wie eine Leiche, bei der bereits die Totenstarre eingetreten war, und fühlte eine absurde Panik in sich aufsteigen. Er erstickte sie im Keim und machte einen unsicheren Schritt nach vorne.

„Lelouch?“, versuchte er es noch einmal.

Der Erfolg jedoch blieb derselbe.
 

~
 

Zunächst näherte Clovis sich seinem Bruder nur so zaghaft, als könnte dieser sich jeden Moment in eine wilde Bestie mit Klauen und Reißzähnen und einer besonderen Vorliebe für Menschenfleisch verwandeln, aber schließlich überwand er seine anfängliche Zurückhaltung und ehe er sich versah, kniete er auch schon neben ihm auf dem Boden.

Anschließend zögerte Clovis abermals, aber nicht lange - dann griff er nach Lelouchs Handgelenk und wartete.

Einen schrecklichen Moment lang spürte er nichts.

Vollkommen regungslos saß er da, hielt den Atem an und tastete blind mit den Fingern umher, weil er nun einmal ein egozentrischer Prinz und kein ausgebildeter Arzt war und folglich nur eine recht vage Ahnung davon hatte, wie die Hauptschlagader eines anderen Menschen verlief.

Aber letzten Endes war die richtige Stelle nicht schwer zu finden, und Clovis hätte vor Erleichterung beinahe laut aufgeseufzt, als er nach mehreren schrecklichen Sekunden, die ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen waren, doch noch einen deutlichen Puls fühlte.

Erst dann fiel ihm auf, dass die Haut seines Bruders trotz ihrer unverkennbaren Blässe keineswegs so kalt wie die eines Toten, sondern erstaunlich warm war. Er fragte sich, ob Lelouch schon den ganzen Tag über so aschfahl gewesen war, dass man automatisch erwartete, er würde sich anfühlen wie eine erkaltete Leiche, wenn man ihn berührte, musste aber zugeben, dass er nicht darauf geachtet hatte. Die Haut des jüngeren Prinzen war noch nie sonderlich dunkel gewesen und wenngleich es sicherlich einen Unterschied zwischen „totenbleich“ und einem Musterbeispiel für aristokratische Blässe gab, musste man schon etwas genauer hinsehen, um ihn zu bemerken.

Mit einem lautlosen Seufzer der Erleichterung ließ Clovis das Handgelenk seines Bruders wieder los, und erst dabei wurde er sich der Schusswaffe bewusst, die Lelouch noch immer umklammert hielt. Er starrte sie an und fragte sich, ob es das war, wovor sein Bruder Angst hatte – dass er einen Moment lang nicht aufpasste und angreifbar war, und dass Clovis die Gelegenheit nutzen würde, um ihn zu überwältigen und so schnell wie nur irgend möglich nach Britannien zurückzukehren. War er ein Teil von Lelouchs undurchschaubaren Plänen, den zu verlieren sein Bruder sich nicht leisten konnte, oder fürchtete Lelouch einfach nur, dass sein Überleben bekannt werden könnte?

Clovis verstand nicht, was so schlimm daran sein sollte, wenn Euphie und Cornelia davon erfuhren, dass die Nachricht vom Tod ihrer Halbgeschwister nur ein dummer Irrtum gewesen war, aber selbst für ihn war offensichtlich, dass sein Bruder keinen Wert darauf legte, gefunden zu werden.
 

Clovis besaß keine Kenntnis darüber, was genau vor oder während der Japan-Invasion vorgefallen war, das solche Abscheu in Lelouch hervorgerufen hatte, dass dieser seinem Heimatland so endgültig den Rücken gekehrt hatte, aber es musste etwas Entsetzliches gewesen sein, wenn er der Überzeugung war, dass selbst Nanali in der Rolle einer gewöhnliche Bürgerin im noch längst nicht befriedeten Gebiet Elf besser aufgehoben war als am Ort ihrer Geburt, wo sie das Leben einer wohlbehüteten Prinzessin führen könnte. Denn wenn es etwas gab, das Clovis auch nach all diesen Jahren noch immer mit absoluter Sicherheit über seinen jüngeren Bruder zu wissen glaubte, dann war das, dass er bei allem, was er tat, immer zuerst an seine kleine Schwester dachte.

Noch vor wenigen Stunden mochte Clovis Lelouch unterstellt haben, sich ohne Rücksicht auf Verluste von seiner Langeweile zu halsbrecherischen Aktionen hinreißen zu lassen, aber auch wenn er tatsächlich verwirrt von dem widersprüchlichen Verhalten seines Bruders war, so wusste er im Grunde doch, dass Lelouch zumindest Nanali niemals leichtfertig in Gefahr bringen würde – genauso wenig, wie Cornelia auf die Idee käme, Euphemia aus einer simplen Laune heraus mit sich auf ein Schlachtfeld zu nehmen.

Und als Clovis sich der vollen Tragweite dieser Erkenntnis bewusst wurde, erkannte er auch, dass er sich in einer Zwickmühle befand.

Das hier war eine einmalige Gelegenheit. Er könnte aufstehen und gehen, kurzerhand einen der wenigen seiner ehemaligen Untergebenen aufsuchen, denen er in dieser Sache wahrscheinlich vertrauen konnte – und sei es auch nur, weil sie sich eine Belohnung erhofften – und nach Britannien zurückkehren. Sein Vater würde ihn nicht mit offenen Armen empfangen, da machte er sich nicht vor, aber wenn er es richtig anstellte, könnte er es vielleicht tatsächlich vermeiden, enterbt zu werden.

Wenn er eine Truppe von Ärzten zu Lelouch schickte und dafür sorgte, dass er und Nanali sicher zurück nach Hause gebracht wurden, war es gut möglich, dass der Kaiser über Clovis’ Versagen als Regent hinwegsehen und ihn weitgehend unbehelligt zu seiner Mutter zurückschicken würde. Lelouch und Nanali würden das Leben führen, das ihnen als Mitgliedern des Königshauses zustand, und Clovis könnte sich wieder ganz seinen Bildern widmen. Er hatte ohnehin niemals Gefallen an den ermüdenden Ränkespielen der Politik gefunden, und seine Mutter würde sich sicherlich über seine Gesellschaft freuen.

Es war verlockend – so verlockend, dass Clovis am liebsten sofort zur Tür geeilt und auf dem schnellsten Weg nach Hause zurückgekehrt wäre, anstatt sich erst noch den Kopf über mögliche Konsequenzen zu zerbrechen -, aber es wäre noch um einiges reizvoller gewesen, wenn er sich sicher gewesen wäre, dass Lelouch nur von einem fehlgeleiteten Zorn über den Tod seiner Mutter angetrieben wurde, und dass er das einsehen würde, sobald er erkannte, dass er und Nanali es bei ihrer Familie trotz allem besser haben würden als hier – auf sich alleine gestellt in einem erst vor noch nicht allzu langer Zeit besetzten Gebiet, in dem es nur so von Aufwieglern und Terroristen wimmelte. An einem Ort, wo sie untertauchen und für den Rest ihres Lebens so tun müssten, als wären sie nichts weiter als zwei ganz gewöhnliche Bürger.

Clovis konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, weshalb Lelouch es ihm dauerhaft verübeln sollte, wenn er ihm dabei half, wieder seinen rechtmäßigen Platz in der Gesellschaft einzunehmen, aber irgendetwas sagte ihm, dass sein Bruder trotz allem genau das tun würde.

Und er hatte nicht die geringste Ahnung, was er tun sollte.

Wie könnte er eine solche Entscheidung treffen, ohne alle Fakten zu kennen? Wie sollte er unter diesen Umständen einen Entschluss fassen, von dem nicht nur seine eigene Zukunft, sondern auch die zweier seiner Geschwister abhing?

Aber das musste er, und da er sich bei einer Angelegenheit von derartiger Wichtigkeit nicht auf Spekulationen verlassen würde, beschloss Clovis, sich bei seinem Urteil am schlimmstmöglichen Fall zu orientieren.

Wenn er blieb, bestand die Gefahr, dass Lelouch bei irgendeinem großartigen Plan, der entweder dazu diente, den Tod seiner Mutter zu rächen oder seiner Langeweile zu entfliehen, ums Leben kam. Wenn Clovis aber ging und Lelouchs Überleben bekannt werden ließ, mochten er und Nanali in Britannien vielleicht fern von allen nur erdenklichen Bedrohungen sein, aber dafür würde Clovis damit rechnen müssen, dass sein Bruder das als Verrat werten und ihn bis in alle Ewigkeit hassen würde.

Es widerstrebte ihm, es sich einzugestehen, aber zu seiner Schande brauchte Clovis keine zwei Sekunden, um sich zu überlegen, womit er besser leben könnte.

Anschließend fiel ihm die Entscheidung nahezu lächerlich leicht.

Entschlossen streckte er die Hand nach der Pistole aus, und als Lelouch noch immer keine Reaktion zeigte, entwand er sie behutsam seinem ohnehin nicht festen Griff.

Sobald er die Waffe an sich genommen und neben sich auf den Boden platziert hatte, verharrte Clovis noch ein letztes Mal ratlos an Ort und Stelle. Obwohl er nicht glaubte, dass Lelouch in Lebensgefahr schwebte, war ihm der unveränderte Zustand seines Bruders nicht ganz geheuer. War es Schlafmangel, der Lelouchs plötzliche Ohnmacht hervorgerufen hatte? Eine plötzliche Kreislaufschwäche?

Oder war es doch etwas, was die umgehende Aufmerksamkeit eines Arztes erforderte, sodass seine Grübeleien von vorneherein überflüssig gewesen waren und nichts weiter getan hatten, als wertvolle Zeit zu stehlen?

Clovis zögerte.

Dann, einem plötzlichen Impuls folgend, legte er eine Hand auf Lelouchs Stirn – und erhielt prompt die Antwort, nach der er gesucht hatte.

Es bedurfte keiner medizinischen Ausbildung, um sagen zu können, dass Lelouch geradezu glühte.
 

~
 

Seinen Bruder auf das Sofa zu bekommen, war alles andere als ein Zuckerschlecken, und als es Clovis endlich gelungen war, musste er erst einmal eine kurze Verschnaufpause einlegen. Er mochte sportlicher sein als Lelouch, aber das war auch keine große Kunst. Hätten sie beide indessen gemeinsam an einem Ausdauerlauf teilgenommen, wäre Clovis mit Sicherheit keine drei Minuten nach seinem Bruder auf der Strecke geblieben.

Also hockte er sich neben die Couch und beobachtete geistesabwesend, wie Lelouchs Brustkorb sich träge hob und senkte. Das Atmen fiel ihm offensichtlich nicht leicht, aber obwohl der jüngere Prinz den Mund nur leicht geöffnet hatte, schien er ausreichend Luft zu bekommen, und Clovis vermutete, dass das ein gutes Zeichen war.

Dennoch fand er es ein wenig beunruhigend, Lelouch so zu sehen.

Beinahe alles, was Clovis in den letzten Tagen von seinem lange verschollenen Bruder zu Gesicht bekommen hatte, waren kühle Selbstbeherrschung, unverhohlener Unmut und manchmal eine augenscheinliche Gelassenheit, die jedoch nicht ganz zu dem wachsamen Ausdruck passen wollte, der regelmäßig in seine Augen trat. Und selbst in ihrer Kindheit, als Lelouch keine zehn Jahre alt gewesen und noch nicht auf so tragische Weise seiner Mutter beraubt worden war, war er zumindest in Abwesenheit seiner beiden Lieblingsschwestern immer anders gewesen. Zu nachdenklich, zu ernst, zu sehr auf der Hut.

Vielleicht lag es daran, dass die meisten Leute bei Hofe in ihrer Kurzsichtigkeit auf Marianne vi Britannias bürgerliche Wurzeln und damit auch auf ihren Sohn herabgeblickt hatten, oder es hing damit zusammen, dass Lelouch schon immer zu stolz und zu klug für sein Alter gewesen war, aber Clovis konnte sich nicht erinnern, seinen kleinen Bruder jemals mit seinem so friedlichen Gesichtsausdruck gesehen zu haben. Er wirkte so schwach, so verletzlich, so vollkommen harmlos, dass es beinahe unheimlich war.
 

Und während Clovis so dasaß und darüber staunte, dass Lelouch trotz allem nur ein siebzehnjähriger Junge war, der genauso anfällig für Grippen und Erkältungen und Kopfschmerzen war wie der Rest der Menschheit auch, fiel ihm noch etwas anderes auf:

Dass es ihm in seinem ganzen Leben nur ein einziges Mal gelungen war, Lelouch wirklich zum Lachen zu bringen. Wenn man bedachte, dass das noch keinen halben Tag her war und er in seiner späten Kindheit wahrscheinlich mehr Zeit mit Lelouch als mit irgendeinem anderen Familienmitglied verbracht hatte – seine eigene Mutter einmal ausgenommen -, war das eine erschreckend traurige Bilanz.

Spontan setzte Clovis es sich zum Ziel, es auch noch ein zweites und ein drittes und vielleicht sogar ein viertes Mal zu schaffen. Das wäre sicherlich nicht ganz so befriedigend wie eine gewonnene Partie Schach, aber immerhin besser als nichts. Und in jedem Fall würde es eine weitere Herausforderung sein, die zu meistern zwar alles andere als leicht, aber durchaus nicht unmöglich sein würde.

Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, hob Clovis in einer instinktiven Geste den Arm, um Lelouch eine Strähne aus dem Gesicht zu streichen.

Vielleicht, kam es ihm dabei in den Sinn, war es das, was Cornelia fühlte, wenn sie Euphemia ansah, und was Lelouch Nanali gegenüber empfand.

Niemals würde Clovis es sich anmaßen zu behaupten, dass seine Gefühle ähnlich stark oder selbstlos oder bedeutsam wären; aber als er in diesem Moment auf Lelouchs schlafendes Gesicht herabschaute, verspürte er denselben seltsamen Beschützerinstinkt, der ihn genauso wie die meisten anderen Leute für gewöhnlich immer dann überkam, wenn Euphie in der Nähe war.

Der Unterschied allerdings war, dass Euphie ihn nicht brauchte - sie hatte Cornelia, die ihre Sicherheit garantierte. Und überhaupt, dachte Clovis mit einem leichten Schmunzeln, gab es inzwischen vermutlich reihenweise Männer, die sich für seine kleine Schwester jederzeit bereitwillig in ein Schwert stürzen würden.

Lelouch dagegen… Lelouch war ein brillanter Stratege, der schon als Kind vernünftiger gewesen war als so mancher erwachsener Mann. Er war selbstständig, scharfsinnig und unter normalen Umständen durchaus in der Lage, auf sich selbst aufzupassen. Clovis wusste, dass es reine Arroganz gewesen wäre, zu glauben, dass sein kleiner Bruder auf seine Hilfe angewiesen war; und dennoch war er sich sicher, dass er sie nötiger hatte als irgendjemand anderes von seinen Geschwistern - selbst Euphie.

Es war mehr als ironisch: Es war vollkommen absurd. Aber das änderte nichts daran, dass es die Wahrheit war.
 

Clovis zog die Hand von Lelouchs viel zu warmer Stirn zurück und seufzte.

Wenn er jetzt nur noch dahinter kommen würde, was sein Bruder vorhatte.

Sich allerdings zum hundertsten Mal in einer einzigen Woche den Kopf darüber zu zerbrechen, wäre ganz und gar sinnlos. Nicht nur, dass ihm für eine verlässliche Schlussfolgerung wichtige Informationen fehlten, er konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, wie sehr Lelouch sich in den letzten sieben Jahren verändert hatte. Denn selbst wenn sein Bruder es nicht irgendwie geschafft hätte, sich ein gestohlenes Experiment anzueignen und etliche Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen, gegen die selbst das größte Genie eigentlich nicht viel mehr hätte ausrichten können sollen als jeder durchschnittliche Terrorist auch, machte sein bloßes Auftreten ihn noch immer unergründlich.

Wenn er ehrlich war, dann musste Clovis zugeben, dass der erste Eindruck, den Lelouch auf ihn gemacht hatte - gleich nachdem er bewaffnet und wie aus dem Nichts in seinen Gemächern aufgetaucht war und sich ihm zu erkennen gegeben hatte - kein sonderlich angenehmer gewesen war. In der Tat war Clovis sich am Ende ihrer Unterhaltung vollkommen sicher gewesen, dass er sterben würde - dass sein eigener Bruder ihn erschießen würde, ohne erst großartig darüber nachdenken zu müssen. Er hatte sich ausgemalt, wie das bleierne Geschoss sich erst in seine Stirn und dann in sein Gehirn bohren würde und es wunderte ihn noch immer, dass er vor Angst nicht ohnmächtig geworden war.

Lelouchs Blick war so unbewegt gewesen, so kalt, dass er noch jetzt Schwierigkeiten hatte, ein Schaudern zu unterdrücken, wenn er daran dachte.

Und irgendwo zwischen dem nackten Entsetzen, das ihn gepackt hatte, und der schieren Todesangst, die ihm um ein Haar den Verstand geraubt hätte, hatte für den Bruchteil einer Sekunde ein einziger zusammenhängender Gedanke Platz in seinem Kopf gefunden: Was war geschehen, das seinen sonderbaren, besserwisserischen, aber im Grunde liebenswerten kleinen Bruder so erbarmungslos, so gleichgültig, so unglaublich hasserfüllt hatte werden lassen?

Wenn er nicht so sehr damit beschäftigt gewesen wäre, um sein Leben zu fürchten und in Panik zu verfallen, dann hätte Clovis diese Überlegung vermutlich weitergeführt und Vermutungen angestellt - etwas, das er inzwischen nachgeholt hatte.

Allerdings war er bereits mehrmals gezwungen gewesen, seine Meinung zu revidieren. Denn abgesehen davon, dass es Nanali gut zu gehen schien (und Clovis war wirklich froh gewesen, das zu hören; ganz gleich, was sein Bruder von ihm denken mochte), verhielt Lelouch sich vollkommen widersprüchlich: An einem Tag wirkte er reserviert, kühl und gleichmütig, nur um am nächsten sichtlich aufgebracht und reizbar zu sein. Und dann, nur ein paar Minuten später, schlug seine Stimmung plötzlich wieder um und er war beinahe zuvorkommend.

Und als wäre das allein nicht schon verwirrend genug gewesen, kam es auch noch regelmäßig vor, dass sein Bruder sich für einen kurzen Augenblick zu vergessen schien und Clovis einen flüchtigen Blick auf eine Seite an ihm erhaschte, die ihn beinahe noch unbefangener wirken ließ als den Lelouch aus seiner Kindheit.

Es war unerklärlich, paradox und ungemein irritierend.

Und ein Rätsel, das Clovis zu lösen gedachte.
 

~
 

Etwa eine Viertelstunde gestattete er es sich noch, sich neben tiefsinnigen Grübeleien auch der Nostalgie hinzugeben, aber schließlich sah Clovis ein, dass er zu keinen neuen Ergebnissen mehr kommen würde, und erhob sich. Mit einem letzten Blick auf seinen Bruder setzte er sich in Bewegung und machte sich bereit, mit den Konsequenzen seiner Entscheidung zu leben – was auch immer sie sein mochten.

Als er den Raum schon zur Hälfte durchquert hatte, hielt er noch einmal inne.

War es wirklich das Richtige, was er tat?

Aber seine Zweifel waren ebenso kurzlebig wie belanglos. Er hatte eine Wahl getroffen, und ganz gleich, was das im äußersten Fall bedeuten könnte, er würde dabei bleiben.

Der Umstand, dass sich an Lelouchs leblosem Zustand innerhalb von mindestens einer halben Stunde nichts geändert hatte, war zwar ein wenig beunruhigend, aber noch lange kein Grund, einen Rückzieher zu machen.
 

Als Clovis wenige Sekunden später über die Türschwelle trat und das Zimmer verließ, das für die letzten paar Tage sein Gefängnis gewesen war, fragte er sich, ob er nicht vielleicht bloß nach einem Vorwand gesucht hatte, seinen selbstsüchtigen Entschluss noch einmal zu überdenken.
 


 


 


 


 

_________

Ich muss zugeben, dass ich ein schlechtes Gewissen habe.

Erst erlaube ich mir einen Cliffhanger, dann hält das überaus lästige RL mich davon ab, schnell weiter zu machen, und jetzt komme ich schon wieder mit einem Ende, das wohl ruhig ein wenig klarer hätte sein könnte.

Aber es hätte schlimmer sein können - immerhin sind jetzt Ferien, was hoffentlich heißt, dass es bald weitergehen wird.
 

Es hat wirklich sehr viel Spaß gemacht, mich eingehender damit zu beschäftigen, wie Lelouch wohl als Kind war, wie Clovis ihn gesehen haben wird und wo die wichtigsten Unterschiede in der Wahrnehmung der beiden liegen.

Im Nachhinein wundert es mich allerdings etwas, dass Schneizel in diesem Kapitel kein einziges Mal erwähnt wird - aber obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass er und Clovis kein schlechtes Verhältnis zueinander hatten, ist es mir irgendwie unpassend erschienen, ihn im selben Zusammenhang wie Cornelia und Euphie zu erwähnen... also wird er sich bis zum nächstes Mal gedulden müssen.
 

Wie immer habe ich mich über die Kommentare sehr gefreut und bedanke mich herzlich.

Und ja, es stimmt, dass Clovis ziemlich häufig vorkommt; aber das ist durchaus beabsichtigt. Immerhin ist er einer der drei Hauptcharaktere und hat es dringend nötig, von mehr als nur einer Seite gezeigt zu werden.

Das, was in meinem Kopf nicht ganz passend "Clovis-Arc" heißt, neigt sich allerdings bereits dem Ende zu; auch wenn das im Grunde nichts weiter heißt, als dass auch Suzaku bald ins Rampenlicht rücken wird, wenn alles nach Plan verläuft.

Im nächsten Kapitel sehen wir aber erst einmal: Menschen, Pizza und... Hühner!

Bis dahin hoffe ich allerdings erst mal, dass das Lesen Spaß gemacht hat, und freue mich wie üblich über Rückmeldungen - selbst, wenn sie mir so viel Angst machen wie die Vorstellung von Clovis als Gigolo. xD

Das unsanfte Erwachen

Als Lelouch aus seinem traumlosen Schlaf erwachte, fühlte er sich matt und ausgelaugt.

Er blinzelte ein paar Mal und registrierte dabei nur ganz allmählich, dass er im halbdunkeln auf einem Untergrund lag, der zwar weich, aber kein Bett war, und dass es sich bei dem Raum, in dem er sich befand, auch nicht um sein Zimmer handelte.

Doch ehe er weiter darüber nachdenken konnte, wurde er von der jähen Erkenntnis abgelenkt, dass etwas auf seiner Stirn lag. Etwas Kühles, Nasses, das dort nicht hingehörte und das er instinktiv als ungemein störend empfand. Unwillkürlich hob er den Arm, um das Objekt seines Unbehagens zu identifizieren.

Lelouchs Finger berührten das in kaltes Wasser getränkte Stück Stoff und im nächsten Moment war der wohlige Nebel, der bis dahin seine Gedanken eingehüllt hatte, verschwunden.

Panik durchflutete ihn und er wollte aufspringen, aber kaum dass sein Oberkörper sich ein paar Zentimeter vom Sofa entfernt hatte, legte sich eine Hand auf seinen Brustkorb und drückte ihn mit sanfter Gewalt wieder nach unten.

„Bleib liegen“, sagte jemand in beschwichtigendem Ton. „Es ist alles in Ordnung.“ Lelouch brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass es Clovis’ Stimme war. Es war keine beruhigende Erkenntnis.

„Du-“, brauste er auf und versuchte erneut, sich aufzurichten. Doch selbst wenn er weniger unsportlich gewesen wäre, hätte er dabei in seiner momentanen Verfassung wahrscheinlich ein ziemlich jämmerliches Bild abgegeben, und sein Bruder hinderte ihn mühelos daran, mehr als nur ein paar Millimeter zwischen seinen Rücken und die Couch zu bringen.

Lelouch biss sich auf die Unterlippe. Es würde ihn nicht weiterbringen, jetzt die Beherrschung zu verlieren - zumal es seine eigene Schuld war. Er hätte vorsichtiger sein sollen, in seinem angeschlagenen Zustand gar nicht erst herkommen dürfen.

Und dennoch… sollte das schon das Ende seiner gerade erst heranreifenden Pläne sein? Eine winzige Fehlkalkulation, eine kleine Selbstüberschätzung, und schon konnte er wieder bei Null anfangen und sich den Kopf darüber zerbrechen, wie er gleichzeitig Nanalis Sicherheit gewährleisten und erfolgreich eine Revolution durchführen sollte, wenn das britische Königshaus ihn nicht länger für tot hielt?

Und dann kam Lelouch ein weiterer Gedanke, und das Blut gefror ihm in den Adern.

Clovis wusste, dass er Zero war.

Es spielte keine Rolle, dass er bisher noch längst nicht so berüchtigt war wie in seinem alten Leben - sein Vater würde derartige Impertinenz nicht dulden und sein Geass an ihm einsetzen, sobald er erfuhr, was Lelouch zu tun versucht hatte.

Und dann? Wie sollte er die Welt verändern, wenn er sich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, wer er war?

Er hätte Clovis töten sollen. Eine Person mehr oder weniger, die er auf dem Gewissen hatte… es spielte keine Rolle. Er hätte Suzaku immer noch überzeugen können.
 

Besser zumindest, als wenn er nicht einmal mehr seine eigene Identität kannte.

Lelouch wusste nicht, ob sein Bruder bisher nur das Militär kontaktiert hatte oder ob er bereits die gesamte Familie über ihn Bescheid wusste, aber letzten Endes war es einerlei – es lief unweigerlich auf dasselbe hinaus.

Wieder würde sein Vater ihm alles nehmen, alles ruinieren, und bis C.C. Kontakt zu ihm aufnehmen konnte, würde es vermutlich längst zu spät sein.

Nicht einmal seine eigene Schwester würde er beschützen können. So viel zu seinem Vorhaben, die Welt zu verändern.

Die hilflose Wut, die in Lelouch aufstieg und nach und nach die eisige Panik verdrängte, die sich bereits so fest um seine Eingeweide gewickelt hatte wie eine unbarmherzige Würgeschlange, richtete sich ebenso sehr gegen ihn selbst wie gegen Clovis.

Ein letztes Mal kämpfte er darum, sich aufzusetzen, aber er scheiterte noch kläglicher als zuvor und gab es schließlich auf.

Gott, er fühlte sich so schwach…

Dennoch ließ er es sich nicht nehmen, seinen Bruder hasserfüllt anzustarren. Dass dieser lediglich mit mildem Erstaunen reagierte und ihn neugierig betrachtete, trug nicht gerade dazu bei, seinen Zorn zu dämpfen.

Clovis indessen neigte den Kopf zur Seite. „Ist es dir wirklich so wichtig, nicht gefunden zu werden“, wollte er wissen, „oder denkst du so schlecht von mir, dass du annimmst, ich würde die Gelegenheit nutzen, um mich für deine mangelnde Gastfreundschaft zu revanchieren?“

Lelouch verengte die Augen in stiller Abscheu. Ob Clovis seine Pläne aus reiner Unwissenheit heraus durchkreuzte oder weil er auf Rache sinnte, kümmerte ihn nicht. Es würde keine Rolle spielen, wenn er dem Kaiser gegenüberstand.

Als es offensichtlich wurde, dass Lelouch nicht vorhatte zu antworten, nahm Clovis die Hand von der Brust seines Bruders und griff nach dem feuchten Tuch, das inzwischen am Sofarand gelandet war. Im ersten Moment war Lelouch versucht, noch einmal sein Glück zu probieren und aufzuspringen, aber im Grunde wusste er, dass es zwecklos war. Also entschied er, eine günstigere Gelegenheit abzuwarten, und schloss die Lider, um zumindest für ein paar Sekunden seine Kopfschmerzen loszuwerden.

Er öffnete die Augen wieder, als sein Halbbruder das Stück Stoff erneut auf seiner Stirn platzierte und die Dreistigkeit hatte zu behaupten: „Ich habe den Raum nicht verlassen, während du bewusstlos warst.“

Beinahe hätte Lelouch gelacht. „Und du erwartest, dass ich dir das glaube?“, fragte er - nicht sicher, ob er belustigt klang oder bitter.

Clovis legte den Kopf schräg. „Nun ja“, räumte er ein, „doch. Aber meine Suche nach einer Decke für dich ist nicht von Erfolg gekrönt gewesen, wie du bereits bemerkt haben dürftest.“ Lelouchs einzige Reaktion bestand in einem verächtlichen Schnauben, aber sein Bruder achtete nicht darauf. „Niemand weiß von dir“, versicherte er ihm, während er aufstand und zu dem kleinen Tisch am anderen Ende des Sofas hinüber trat.

Nun richtete Lelouch sich doch auf. Der Arm, mit dem er sich dabei abstützte, zitterte vor Anstrengung, aber das bemerkte er kaum. „Ich glaube dir nicht“, sagte er kühl.

Clovis kehrte zurück, ein Glas in der Hand, und kniete sich wieder neben dem Jungen auf den Boden. „Ich weiß“, entgegnete er unbekümmert und hielt ihm das Trinkgefäß an die Lippen. Lelouch nahm es ihm unwirsch ab – wenn sein Bruder glaubte, dass er ihn behandeln konnte wie ein kleines Kind, dann hatte er sich geschnitten.

Dennoch nahm er einen Schluck und als er merkte, wie gut die klare Flüssigkeit seiner Kehle tat, obwohl sie bestenfalls lauwarm war, leerte er das Glas in einem Zug. Er traute Clovis vieles zu, aber nicht, dass er sich in Anbetracht der Umstände die Mühe machen würde, mit einem Gift an ihn heranzutreten, das nicht nur vollkommen geruchlos war, sondern sich von Geschmack und Aussehen her auch noch kein bisschen von Wasser unterschied.

Als er fertig war, streckte Clovis ihm die Hand entgegen, und nachdem Lelouch den blonden Prinzen mit einem letzten vernichtenden Blick bedacht hatte, gab er ihm das Glas wortlos zurück.

„Schlaf weiter“, sagte sein Bruder in einem Tonfall, der zu wenig Nachdruck hatte, um einen Befehl aus seinen Worten zu machen, aber doch zu bestimmt klang, um sie in eine bloße Bitte zu verwandeln.

Lelouch hatte keinen Zweifel daran, dass Clovis unter den gegebenen Umständen eine unmittelbare Gefahr für alles darstellte, was er zu erreichen versuchte, aber er war zu müde, um zu widersprechen, und sein Arm drohte bereits, unter ihm wegzuknicken.

Also sagte er nichts, als der ehemalige Gouverneur ihm eine Hand auf die Schulter legte, und zögerte anschließend nur einen kurzen Moment, bevor er es zuließ, auf diese Weise wieder in eine liegende Position gebracht zu werden.

Anschließend befasste er sich dann damit, auf welche Art er am besten sein Geass an seinem Bruder einsetzen sollte.

Wie sich bei seinen Überlegungen allerdings schnell herausstellte, wollte Lelouchs Verstand nicht annährend so effizient arbeiten, wie er es gewohnt war. Trotz angestrengter Bemühungen kamen seine Gedanken bestenfalls so schleppend voran wie eine Schildkröte an Land; und gerade, als er glaubte, nach einer halben Ewigkeit doch noch zu einem Ergebnis gekommen zu sein, entschied sein Körper, dass er endgültig genug hatte.

Mit aller Macht versuchte Lelouch, sich an die Gewissheit zu klammern, wie dringlich seine momentane Lage war, doch letzten Endes war es eine vergebenes Unterfangen und noch eher er den Gedanken richtig zu fassen bekam, war er ihm auch schon wieder entglitten.

Am Rande gewahrte der abtrünnige Prinz noch, wie jemand neben ihm sich erhob und von ihm zurücktrat – dann hatte der Schlaf ihn auch schon übermannt.
 

~
 

Als er das nächste Mal die Augen aufschlug, ging es Lelouch wesentlich besser.

Zwar fühlte sein Kopf sich noch immer ein wenig schwerer an als gewöhnlich, aber ansonsten konnte er sich nur über eine chronisch anmutende Erschöpfung und leichte Unterkühlung beklagen. Er kam zu dem Schluss, dass sein Fieber weitgehend abgeklungen war, und setzte sich vorsichtig auf.

Es war taghell um ihn herum, sodass er sich erst einmal die Augen rieb, während er sich allmählich an das Licht gewöhnte und das feuchte Tuch beiseite legte, das noch bis vor kurzem auf seiner Stirn geruht hatte. Dabei fiel sein Blick auf Clovis, der nahe dem Fußende der Couch auf einem Sessel saß und müßig durch diverse Programme des lautlos gestellten Fernsehers schaltete.

Argwöhnisch fixierte Lelouch den Hinterkopf des blonden Prinzen. Er traute ihm nicht – beinahe so wenig, wie er Schneizel getraut hätte -, und doch sah es ganz so aus, als hätte Clovis die Wahrheit gesagt, als er behauptet hatte, er habe niemanden kontaktiert. Es war die ideale Gelegenheit gewesen, und sein Bruder hatte sie ungenutzt verstreichen lassen.

Es ergab keinen Sinn.

Lelouch versuchte, die Hintergedanken des ehemaligen Gouverneurs zu erraten, aber obgleich ihm innerhalb weniger Sekunden dreizehn Möglichkeiten einfielen, war keine davon überzeugend. Allesamt waren sie entweder zu widersinnig oder zu abwegig, oder sie passten so wenig zu Clovis wie Freude an stundenlanger sportlicher Betätigung zu ihm selbst.

Und als Lelouch schließlich klar wurde, dass rätseln ihn nicht weiterbringen würde, erkannte er auch, dass er nur eine einzige Alternative hatte, wenn er nicht gerade sein Geass einsetzen wollte.

„Weshalb?“, fragte er – ehrlich verwirrt, auch wenn sich das höchstens darin zeigte, dass seine Stimme ein wenig gedämpft klang.

Sichtlich perplex drehte Clovis sich zu ihm um. Dann huschte ein Ausdruck des Begreifens über die Züge seines Bruders, doch ehe er antwortete, wandte sich noch einmal dem Bildschirm zu, schaltete ihn ab und legte sorgfältig die Fernbedienung weg.

„Ich habe dir gesagt, dass Vater mich enterben würde“, erinnerte er Lelouch dann, indem er das Kinn auf die Hand stützte und seinen jüngeren Bruder betrachtete, als würde er abschätzen, in was für einer Verfassung er sich befand, ohne sich dabei übermäßig für das Ergebnis dieser Musterung zu interessieren.

Lelouch starrte ihn an. „Das ist alles?“

Clovis zuckte die Achseln. „Ich bin außerdem davon ausgegangen, dass du deine Gründe hast.“ Er legte den Kopf schräg. „Ich weiß nicht, was vorgefallen ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, aber ich bin nicht dein Feind – ganz gleich, was du denken magst.“

Lelouch hätte seinen Bruder darauf hinweisen können, dass seine Taten als Gouverneur etwas gänzlich anderes aussagten, und dass es ihr Verhältnis zueinander nicht gerade besserte, dass Clovis nach drei Jahren untätigen Herumsitzens als Gouverneur von Gebiet Elf um ein Haar auch noch ein willkürliches Massaker angerichtet hätte. Im Augenblick jedoch schien es ihm, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, um die vielen Unzulänglichkeiten seines Bruders aufzulisten - schon allein deshalb, weil er damit nichts weiter getan hätte, als vorsätzlich das Thema zu wechseln.

Stattdessen entschied Lelouch, die Unterhaltung fortzusetzen und zu versuchen, sich auf diese Weise Klarheit über das ein oder andere zu verschaffen. „Ich…“, setzte er an, musste aber feststellen, dass die richtigen Worte ihm nicht einfallen wollten. Was auch immer sein Bruder glauben mochte, sie waren wesentlich eher Feinde als Verbündete. Dass Clovis ihn aus irgendeinem unerfindlichen Grund nicht an den Kaiser verraten hatte, änderte nichts an dieser Tatsache. Und dennoch…

Lelouch zögerte noch einen Augenblick, aber letzten Endes gab es nur eines, was er erwidern konnte. „Danke“, sagte er, die von seiner momentanen Erschöpfung nicht ganz unberührt gebliebene Stimme noch immer ein wenig leiser als gewöhnlich.

Er beobachtete, wie daraufhin ein erfreutes Lächeln über die Züge seines Bruders huschte, und kam nicht umhin, sich darüber zu wundern, wie leicht Clovis zufriedenzustellen war.

Vorsichtig setzte er die Füße auf den Boden. „Ich sollte gehen.“

Er wollte aufstehen, aber Clovis kam ihm zuvor - innerhalb weniger Sekunden stand sein Bruder neben ihm und drückte ihn an den Schultern wieder nach unten.

Bevor Lelouch jedoch genügend Zeit hatte, um die angemessene Entrüstung zu empfinden, legte Clovis ihm die Hand auf die Stirn.

„Was-“, begann Lelouch verärgert, wurde jedoch von seinem Halbbruder unterbrochen, der seinen Protest überhaupt nicht zu bemerken schien.

„Hm“, machte der Dritte Prinz des Heiligen Britischen Reiches nachdenklich. „Sehr hoch ist es wohl nicht mehr, aber du solltest so trotzdem noch nicht wieder in der Gegend herumlaufen.“

Lelouch schlug unwirsch seine Hand weg. „Ich bin kein Kind mehr“, rief er seinem Bruder säuerlich in Erinnerung. „Meinst du nicht, das kann ich für mich selbst entscheiden?“

Clovis besaß zwar genug Manieren, um daraufhin diskret einen Schritt zurückzutreten, gab sich aber ansonsten so leicht nicht geschlagen. „Offenbar nicht“, erwiderte er trocken und zog eine Braue in die Höhe. „Oder gehörte dieser dramatische Ohnmachtsanfall etwa zu deinen grandiosen Plänen? In diesem Fall hättest du mir vorher Bescheid sagen sollen. Ich versichere dir, ich hätte dich ritterlich aufgefangen, bevor du Gefahr gelaufen wärst, dir beim Sturz den Schädel einzuschlagen.“

Lelouch gab einen höhnischen Laut von sich, erwiderte ansonsten aber nichts auf den unverhohlenen Sarkasmus seines Bruders. Dann fiel ihm plötzlich etwas ein, und sein Magen zog sich zusammen. „Wie lange war ich…“

„Einen halben Tag lang“, beantwortete Clovis seine Frage, noch ehe er sie ganz gestellt hatte. „Und nachdem du wieder zu dir gekommen bist, hast du noch einmal beinahe genauso lange geschlafen.“

Lelouch fühlte sich, als hätte jemand ihn mit einem Eimer eiskalten Wassers übergossen. Nahezu vierundzwanzig Stunden… Nanali war sicher außer sich vor Sorge.

Bevor er jedoch aufspringen und sich seinen Weg zur Tür erkämpfen konnte, meldete sich Clovis noch einmal zu Wort. „Da fällt mir ein…“, begann er scheinbar übergangslos. „Ich soll dir von deiner liebreizenden Bekannten ausrichten, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst, da sie sich um alles kümmern wird. Was auch immer das heißen mag.“

Lelouch sah seinen Bruder perplex an. „C.C. war hier?“

Clovis schnaubte. „War hier?“, wiederholte er, wobei seine Stimme sich plötzlich ein paar Oktaven zu hoch anhörte. Als er daraufhin nur einen verständnislosen Blick erntete, erklärte er: „Deine kleine Freundin hat mir beinahe den Kopf abgerissen, Lelouch. Und ich meine das nicht im metaphorischen Sinne.“

„Warum das?“

„Weil mein kleiner Bruder meinte, Dornröschen spielen zu müssen, und sie mich fälschlicherweise für die böse Hexe gehalten hat.“

Lelouch begriff sofort, aber anstatt ein schlechtes Gewissen zu bekommen, musste er sich ob der Ironie dieses sonderbaren Gleichnisses ein Schmunzeln verbeißen.

„Ah“, sagte er und versuchte, sich seine Belustigung nicht anmerken zu lassen.

Ah“, ahmte sein Bruder ihn nach, halb ungläubig, halb spöttisch. „Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“

Lelouch hob die Brauen. „Was erwartest du? Eine Entschuldigung?“

Clovis verschränkte die Arme. „Das wäre immerhin ein Anfang.“

„Ha.“

„Sie hat gedroht, mich zu Pizza zu verarbeiten, sollte dir etwas zustoßen.“

Lelouch bemühte sich auch dieses Mal, sein Amüsement zu verbergen, aber schließlich gab er es auf, und ein leises Lachen verließ seine Lippen.

„Das ist nicht lustig“, ermahnte Clovis ihn verdrossen. „Sie war sehr überzeugend.“ Er sah aus, als müsste er bei der bloßen Erinnerung an seine Begegnung mit C.C. ein Schaudern unterdrücken.

„Das kann ich mir vorstellen.“ Lelouch schmunzelte. „Kein Wunder, dass du darauf bestanden hast, dass ich mich erst einmal ausschlafe.“

Clovis schnaubte leise und schüttelte den Kopf. „Das war, bevor sie hier gewesen ist“, klärte er ihn auf, und auf einmal wurden seine Gesichtszüge merklich weicher. „Eine Zeit lang hatte ich Angst, dass du gar nicht mehr aufwachen würdest.“ Als Lelouch ihn verdutzt anstarrte, fuhr er fort: „Ich habe noch keinen lebenden Menschen so gesehen, Lelouch. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich dich für tot gehalten.“ Er hielt kurz inne, fröstelte. „Es war… unnatürlich.“

„Unnatürlich?“, wiederholte Lelouch und fragte sich plötzlich, ob es wirklich Zufall war, dass er ausgerechnet jetzt ein derartiges Fieber bekommen hatte. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal zu krank gewesen war, um sich um Nanali zu kümmern oder eine Revolution anzuführen. Hatte es Nebenwirkungen für einen Menschen, sich über die Gesetze von Zeit und Raum hinwegzusetzen? Wenn ja, dann hatte C.C. nichts davon gewusst, so viel stand fest.

Er schüttelte den Kopf. „Es geht mir gut“, versicherte er seinem Bruder. Nach kurzem Nachdenken fügte er jedoch hinzu: „Aber ich schätze, ich kann noch eine Weile bleiben.“ Schließlich konnte er in seinem momentanen Zustand schlecht direkten Kontakt zu den Terroristen aufnehmen, wenn er nicht gerade riskieren wollte, dass bei einem durchaus nicht ausgeschlossenen Rückfall seine wahre Identität bekannt wurde. Er zweifelte noch immer an Clovis’ Motiven, aber zumindest hatte sein Bruder bewiesen, dass er wenigstens in diesem einen Punkt vertrauenswürdig war und ihn nicht bei der ersten Gelegenheit an den Kaiser ausliefern würde.

Und er schien ehrlich erfreut zu sein, dass Lelouch es sich anders überlegt hatte. „Schön, dass du offenbar doch noch zur Vernunft fähig bist“, sagte er und strahlte ihn an.

Lelouch verkniff es sich, mit den Augen zu rollen, und stand auf. „Ich bin duschen“, sagte er tonlos.

Sein Bruder grinste, offenbar belustigt. „Sag Bescheid, falls du wieder ohnmächtig wirst.“

„Ich glaube, ich bleibe lieber in irgendeiner finsteren Ecke liegen, als auf deine Ritterlichkeit zurückzugreifen.“

Clovis seufzte schwer. „Weißt du, über die Hälfte der weiblichen Bevölkerung dieses Landes wüsste meinen Großmut mehr als nur zu schätzen.“

„Clovis…“ Lelouch verzog das Gesicht. „Falscher Kontext.“
 

Als er nach einer guten Viertelstunde das kühle Wasser endlich wieder abdrehte und aus der Dusche stieg, fühlte Lelouch sich noch einmal ein ganzes Stück weniger angeschlagen. Zwar hatte er keine Kleidung zum Wechseln dabei, aber das störte ihn im Augenblick nicht weiter, und er war einfach nur froh, wieder einigermaßen klar denken zu können.

Sobald er zurück in seine alten Sachen geschlüpft war, trat er aus dem kleinen Badezimmer und ließ sich kurzerhand neben Clovis auf der Couch nieder. Es war überraschend angenehm, in Gegenwart seines Halbbruders einmal nicht übermäßig auf der Hut sein zu müssen, auch wenn die Absichten des ehemaligen Gouverneurs ihm noch immer mehr als schleierhaft waren.

Clovis betrachtete ihn neugierig. „Keine Waffe?“

Lelouch zuckte die Schultern. „Wenn du mich überwältigen wolltest, würden wir jetzt nicht hier sitzen“, sagte er unbekümmert.

„Es freut mich, dass du das endlich einsiehst“, gab Clovis mit unverkennbarer Ironie in der Stimme zurück, aber noch während er sprach, legte sich ein sichtlich zufriedenes Lächeln auf seine Lippen.

Lelouch fixierte ihn abschätzenden Blicks. „Ich frage mich immer noch, was deine Beweggründe sind.“

Clovis seufzte. „Ist es wirklich so schwer zu glauben, dass ich dir nicht schaden will?“

Lelouch zögerte nicht mit seiner Antwort. „Ja.“

„Weshalb?“

„Weil es dir zum Vorteil gereichen würde“, sagte Lelouch sachlich. „Weil es den Kaiser sicher freuen würde, wenn du ihm zwei politische Werkzeuge mehr verschaffen würdest.“ Und er war sich vollkommen sicher, dass sein Bruder sich dessen durchaus bewusst war – ansonsten hätte er ihn niemals darauf hingewiesen.

„Also bestünde eine geringe Möglichkeit, dass er mich nicht enterben würde“, erwiderte Clovis achselzuckend. „Das ist mit Sicherheit kein so unwiderstehlicher Anreiz, dass ich dich und Nanali dafür hintergehen würde.“

Lelouch hob die Brauen. „Du willst mir erzählen, dass du nicht einmal daran gedacht hast?“

Obwohl er seinem Bruder nicht geglaubt hätte, wenn er jegliche Versuchung abgestritten hätte, war er überrascht, als Clovis den Kopf schüttelte. „Das habe ich nicht behauptet“, sagte er und sah Lelouch nachdenklich an. „Ich hab tatsächlich überlegt, ob es nicht besser wäre, den Rest der Familie über dein Überleben in Kenntnis zu setzen.“

„Wieso hast du es dann nicht getan?“

Clovis strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Weil ich egoistisch bin.“ Auf Lelouchs verständnislosen Blick hin lächelte er sardonisch und setzte zu einer Erklärung an: „Es stimmt, dass meine Motive alles andere als selbstloser Natur sind“, sagte er, „aber du missverstehst meine Intentionen.“ Beim Sprechen zwirbelte er beiläufig eine blonde Haarsträhne zwischen Daumen und Zeigefinger. „Ich habe mich nie sonderlich für Macht interessiert. Krieg, Politik, Diplomatie… das alles langweilt mich.“

Noch lebhaft erinnerte sich Lelouch daran, dass Clovis all diese Dinge tatsächlich immer als lästig empfunden, die Verantwortung eines Befehlshabers stets verabscheut hatte. Aber er wusste auch, dass Menschen sich mit der Zeit ändern können, und dass alles andere in diesem Fall keinen Sinn ergab.

Also stellte er die Frage, die seinem Bruder den Logikfehler in seiner kleinen Ausführung aufzeigen würde: „Warum bist du dann Gouverneur geworden?“

Zu Lelouchs Verblüffung fiel die Reaktion seines Gegenübers völlig anders aus als erwartet. „Weil-“, setzte Clovis so umgehend an, als wäre das, was er sagen wollte, das Selbstverständlichste auf der Welt. Dann jedoch brach er abrupt ab, betrachtete Lelouch für einen Moment mit einem Blick, den dieser nicht zu deuten vermochte, und schüttelte schließlich den Kopf. „Es spielt keine Rolle“, sagte er, nicht die geringste Spur von Unsicherheit in der Stimme. „Wichtig ist, dass ich kein allzu großes Interesse daran habe, nach Hause zurückzukehren, solange ich mich dort mit Vater auseinandersetzen müsste.“ Er lehnte sich zurück und strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Allerdings“, fuhr er etwas gedehnter fort, „war ich der Meinung, dass du und Nanali dort wahrscheinlich sicherer sein würdet.“ Lelouch schnaubte vielsagend, aber Clovis winkte ab. „Nachdem ich deine Reaktion gesehen habe, als du wieder zu dir gekommen bist, würde ich dafür sicherlich nicht länger die Hand ins Feuer legen. Aber das ist nicht der eigentliche Grund dafür, weshalb ich niemanden kontaktiert habe.“

Lelouch hob die Brauen, nun doch ein wenig neugierig. „Sondern?“

Clovis lächelte und zuckte die Schultern. „Wie ich schon sagte, ich bin egoistisch. Ungeachtet dessen, ob es das Richtige gewesen wäre, hättest du es mir übelgenommen, wenn ich jemanden benachrichtigt hätte, nicht wahr?“ Lelouch sagte nichts, aber er war sich sicher, dass sein Gesichtsausdruck Antwort genug war. Clovis’ Lächeln weitete sich noch ein wenig. „Und genau deshalb habe ich davon abgesehen, etwas zu unternehmen.“

„Weil ich es dir übelnehmen würde?“, fragte Lelouch ungläubig.

„Weil ich nicht dein Feind sein will, Lelouch“, verbesserte Clovis ihn. „Ich will, dass du aufhörst so zu tun, als würde ich dir jeden Moment in den Rücken fallen, nur weil ich gerade nichts Besseres zu tun habe.“

Lelouch schloss die Augen und lehnte sich mit einem Seufzer gegen die Sofalehne zurück. „Clovis…“ Wie konnte er seinem Bruder erklären, dass es nicht so einfach war, sein Misstrauen von heute auf morgen abzulegen? Dass zu viel auf dem Spiel stand, als dass er es sich leisten könnte, ein solches Risiko einzugehen, und dass es nichts Persönliches war, sondern seine Notwendigkeit in der Tatsache hatte, dass sie vollkommen unterschiedliche Weltanschauungen hatten und Menschen ohnehin dazu neigten, einander früher oder später zu hintergehen - und sei es auch nur, weil der eine den Worten des anderen aus irgendeinem Grund plötzlich keinen Glauben mehr schenken konnte. Wie sollte er all das ausgerechnet Clovis begreiflich machen, ohne ihm auch nur ein einziges konkretes Beispiel nennen zu können?

Aber erstaunlicherweise tat sein Bruder das Thema mit einem Achselzucken ab. „Es ist in Ordnung“, sagte er, ohne dabei gekränkt oder beleidigt zu klingen. „Ich bin neugierig, was vorgefallen ist, seit du Britannien verlassen hast, aber ich erwarte schon lange nicht mehr, dass du mir so schnell vertraust.“

„Es tut mir leid“, war alles, was Lelouch dazu sagen konnte.

Clovis schwieg einen Moment. Als er schließlich wieder sprach, hatte sein Tonfall einiges von seiner gleichmütigen Unbekümmertheit verloren und stattdessen ernstere Züge angenommen. „Kann ich dich etwas fragen?“

Lelouch öffnete die Lider wieder und sah seinen Bruder aus dem Augenwinkel an. „Was?“

„Weshalb dachtest du, ich hätte etwas mit dem Attentat auf deine Mutter zu tun?“ Clovis’ Stimme war nur kaum merklich leiser als zuvor, aber in seinen Augen lag ein merkwürdiger Ausdruck, der ihn sowohl angespannt als auch verwundbar wirken ließ. Außerdem bekam Lelouch unwillkürlich das Gefühl, dass sein Bruder fürchtete, er würde negativ auf die Erwähnung Mariannes regieren.

Er legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit der Hand über die immer noch leicht schmerzende Stirn. „Ich habe nicht nur dich unter Verdacht gehabt“, gab er zu. „Ich wollte sie rächen und habe wie besessen nach einem Schuldigen gesucht.“ Er seufzte. „Es war dumm.“

„Heißt das, du hast es dir anders überlegt?“, wollte Clovis sichtlich verwundert wissen. „Du willst sie nicht mehr rächen?“ Lelouch schüttelte den Kopf. „Weshalb?

Lelouch lächelte über den verständnislosen Blick seines Bruders. „Ich habe gelernt, dass die Zukunft wichtiger ist als die Vergangenheit.“

„Aber-“, begann Clovis, nur um gleich darauf den Mund wieder zu schließen und den Kopf zu schütteln. „Ich verstehe dich wirklich nicht, Lelouch.“

Lelouch schmunzelte. „Ich schätze, ich habe mich verändert.“

„Das hast du“, stimmte Clovis ihm ohne zu zögern zu. Nach einer kurzen Stille, die auf diese Aussage folgte, warf sein Bruder ihm jedoch einen sonderbaren Blick zu, dessen Bedeutung Lelouch erst klar wurde, als er wenige Herzschläge später hinzufügte: „Aber nicht so sehr, dass es eine Rolle spielen würde.“

Lelouch wandte den Kopf und sah Clovis scharf an. „Bist du dir da sicher?“, fragte er, ein wenig kühler als beabsichtigt.

Doch einmal mehr zuckte sein Bruder lediglich die Achseln. „Zumindest nicht für mich.“ Ein ironisches Grinsen huschte über seine Züge. „Schließlich kann ich nicht behaupt, dich früher viel besser verstanden zu haben.“

Unwillkürlich musste Lelouch lächeln. Das war wohl ein Argument – und eine schamlose Untertreibung.

Wieder trat ein kurzes Schweigen ein, und wieder war es Clovis, der die Stille schließlich brach: „Du solltest dich noch etwas ausruhen“, bemerkte er übergangslos.

Lelouch schüttelte den Kopf. „Ich habe vor, gleich nach Sonnenuntergang aufzubrechen.“

Clovis hob die Brauen, offenbar belustigt. „Du meinst, du würdest verschlafen?“ Lelouch warf ihm einen bösen Blick zu, den sein Bruder mit einem entwaffnenden Lächeln quittierte. „Wenn du willst, kann ich dich wecken.“

Lelouch schnaubte. „Nein danke.“

Ehe er reagieren konnte, hatte sich auch schon wieder eine kühle Hand auf seine Stirn gelegt. „Du hast immer noch erhöhte Temperatur“, klärte Clovis ihn auf, wobei er geflissentlich ignorierte, wie unwirsch Lelouch seinen Arm wegschob.

„In ein paar Stunden wird das kein Problem mehr sein.“

Clovis sah in einen Moment lang mit undurchsichtiger Miene an, bevor er schließlich einen tiefen Seufzer ausstieß. „Tu, was du willst“, gab er sich geschlagen. „Aber trink wenigstens noch etwas.“
 

Als Lelouch keine Minute später das Glas an die Lippen setzte, das sein Bruder ihm erstaunlich unnachgiebig und mit seltsam strengem Blick in die Hand gedrückt hatte, fragte er sich, ob Clovis insgeheim schon immer eine solche Glucke gewesen war, oder ob das vielleicht seine Rache sein sollte.

So oder so, Lelouch war noch immer der Meinung, dass sein Bruder und C.C. prächtig zusammenpassten. Vielleicht sollte er ihnen bei Gelegenheit vorschlagen, gemeinsam auf eine einsame Insel am anderen Ende der Welt zu ziehen, auf der sie nach Herzenslust Palmen züchten und unschuldige Meerestiere quälen konnten.
 


 


 

_______

Puh.

Ich muss zugeben, dass ich mir wieder mal ganz schön Zeit gelassen habe, aber ich bin nun mal eine hoffnungslose Perfektionistin, und es hat nicht geholfen, dass dieses Kapitel ziemlich wichtig für Clovis' Charakterentwicklung ist.

Und für seine Beziehung zu Lelouch, aber ich glaube, das ist offensichtlich.
 

Über den Kommentar zum letzten Kapitel habe ich mich ganz besonders gefreut, weil ich mir wirklich viele Gedanken zu Clovis gemacht habe und versuche, ihm eine Persönlichkeit zu geben, die sich aus dem zusammensetzt, was der Anime gezeigt hat, was das entsprechende Sound-Drama verrät und was für einen Eindruck ich selbst von ihm bekommen habe.

Und obwohl das manchmal erstaunlich gut funktioniert, hänge ich auch oft ein wenig.

Das soll nicht heißen, dass es mir mit dem Rest der Fanfic nicht ähnlich geht - Feedback macht mich grundsätzlich glücklich. Aber Clovis ist nun mal ein Charakter, den man nicht IC halten muss... man muss ihn erst einmal IC machen. Und es interessiert mich brennend, ob Leser dieser Fanfic den Eindruck bekommen, dass mir das gelungen ist, oder lediglich ihre Brauen heben und die Achseln zucken. xD

Lange Rede, kurzer Sinn...

Im nächsten Kapitel begegnen uns: Seen, Blondinen und... Käsebrote!

Allerdings nicht zwingend in dieser Reihenfolge.

Der unliebsame Ausflug

Letzten Endes war Lelouch seinen Bruder an jenem Tag nicht mehr losgeworden.

Gerade als es begonnen hatte, dunkel zu werden, und er sich auf den Weg machen wollte, hatte C.C. ihn angerufen und ihm im Plaudertonfall mitgeteilt, dass Nanali und Sayako davon ausgingen, dass er das Wochenende bei ihr verbringen würde. Lelouch schloss daraus, dass er gar nicht wissen wollte, was die beiden sonst noch so alles annahmen - also fragte er erst gar nicht.

Des Weiteren hatte seine Komplizin es ihm ausdrücklich untersagt, auch nur einen Fuß auf die Straße zu setzen, bevor er wieder vollkommen genesen war. Lelouch hielt das für lächerlich, aber er bezweifelte auch, dass es in Anbetracht der Dinge eine gute Idee wäre, C.C. zu widersprechen. Wenn seine ständige Begleiterin es sogar in Kauf nahm, dass er mehr Zeit als unbedingt nötig mit Clovis verbrachte, anstatt sie mit Pizza zu versorgen, dann musste es ihr wirklich ernst sein - und das Letzte, was Lelouch wollte, war, die Graue Hexe gegen sich aufzubringen.

Dasselbe galt jedoch nicht für nervtötende Verwandtschaft, und was seinen Bruder anging, so war dieser derart erfreut über die unerwartete Wendung gewesen, dass Lelouch ihn am liebsten erwürgt hätte. Gleichzeitig hatte Clovis sich aber auch sofort bereiterklärt, ihm für eine weitere Nacht das Sofa zu überlassen, was ihm dann doch noch einmal das Leben rettete.

Lelouch hatte dem blonden Prinzen lediglich einen bösen Blick zugeworfen und sich dann kommentarlos schlafengelegt. Eine herrische Unsterbliche am Hals zu haben war schlimm genug – gluckenhafte Verwandtschaft konnte er da nur noch ignorieren, wenn er seine ohnehin schon fragliche geistige Gesundheit nicht noch weiter strapazieren wollte.

Inzwischen aber war der nächste Morgen angebrochen, und Lelouch war nicht schnell genug gewesen, um zu verhindern, dass Clovis ihn noch auf seinem Nachtlager abfangen und mit einem selbstgemachten Frühstück beglücken konnte.

Also saß er noch immer auf der großen roten Couch, einen Teller auf dem Schoß und ein bis zum Rand gefülltes Glas in der Linken.

Zögerlich nahm er eines der drei mit Käse belegten Vollkornbrote in die Hand und beäugte es kritisch. „Ich wusste nicht, dass du kochen kannst.“

„Kann ich auch nicht“, gab Clovis leichtmütig von seinem Sessel aus zurück. „Aber ich habe festgestellt, dass es keines Meisterkochs bedarf, um ein paar Scheiben Brot mit einem Milchprodukt zu belegen.“

Lelouch sah ihn skeptisch an. „Hast du es überhaupt schon selbst probiert?“

In gespielter Entrüstung warf Clovis das Haar zurück. „Natürlich“, sagte er hochmütig. „Aber du kannst natürlich auch kalte Pizza haben, wenn dir das lieber ist.“

„Nein danke.“ Lelouch starrte das Brot in seiner Hand noch einen Moment länger so argwöhnisch an, als könnte es sich jeden Moment in ein Nest voller Maden verwandeln, bevor er vorsichtig einen Bissen davon nahm.

„Und?“, erkundigte sein Bruder sich unbekümmert.

„Nun ja“, erwiderte Lelouch ohne aufzusehen. „Ich schätze, es ist genießbar.“

Clovis schnaubte.
 

„Ist dein Fieber weg?“, fragte Clovis, sobald Lelouch seinen Teller weggebracht hatte.

„Aa“, sagte Lelouch, nachdem er sich ohne Eile wieder auf dem Sofa niedergelassen hatte. Es erstaunte ihn beinahe etwas, dass sein Bruder ausnahmsweise darauf verzichtete, ihm ungefragt eine Hand auf die Stirn zu drücken.

„Heißt das, du gehst schon wieder?“

„Schon wieder?“, echote Lelouch ungläubig. „Ich habe immerhin zwei ganze Tage hier vergeudet.“

„Verstehe.“ Etwas in der Stimme seines Bruders ließ ihn aufsehen.

Clovis schien ehrlich enttäuscht, aber das war noch nicht alles. Der Ausdruck auf seinen Zügen wirkte beinahe ein bisschen… gekränkt?

Innerlich seufzte Lelouch, aber er entschied, dass es ohnehin nicht viel gab, was er um diese Tageszeit tun konnte, um seine Pläne voranzubringen. Und da C.C. dafür gesorgt hatte, dass niemand ihn vermisste… „Aber wenn ich schon einmal hier bin, kann ich auch noch ein paar Stunden bleiben. Es wäre verdächtig, wenn mich um diese Tageszeit jemand hier in der Nähe sehen würde.“ Zumal er immer noch die Nachwirkungen seiner Krankheit spürte und im Augenblick nichts dagegen einzuwenden hatte, noch eine Weile tatenlos herumzusitzen.

Aber als Clovis ihn daraufhin breit anlächelte, zog sich sein Herz aus irgendeinem Grund schmerzhaft zusammen. „Wie wäre es mit noch einer Partie Schach?“

Lelouch schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter und nickte stumm.
 

~
 

Es war bereits früher Nachmittag, als Lelouch endlich wieder das Gelände der Ashford-Akademie betrat.

Er hatte nur ein Mal gegen Clovis gespielt, aber die Partie hatte länger gedauert als erwartet, obwohl er letzten Endes wie üblich gewonnen hatte. Anschließend war er noch eine Weile geblieben und hatte die Gedanken schweifen lassen, während er seinem Bruder halbherzig beim Zeichnen zugesehen hatte. Dieser arbeitete offenbar an einem Landschaftsbild, das er wohl erst vor kurzem angefangen hatte und welches derzeit noch nichts weiter beinhaltete als die Skizze eines Bergsees und eine halbfertige Wiese, die das Gewässer halbkreisförmig umgab; dennoch hatte selbst ein Laie wie Lelouch erkennen können, dass es beeindruckend sein würde, wenn es fertig war.

Clovis war schon immer ein außergewöhnlicher Maler gewesen. Hätte er sich auch nur halb so gut auf das Herrschen wie auf die Kunst verstanden, dann wäre Lelouch einen Großteil seiner Probleme los – er könnte sich einfach darauf konzentrieren, seinen Bruder auf den Thron zu bringen, und alles andere würde sich früher oder später ganz von alleine erledigen.

Zu schade nur, dass Clovis und Politik sich so gut vertrugen wie Odysseus und Schach oder Euphemia und Kriegsführung. Auch wenn der Dritte Prinz eine unabstreitbare Begabung in Sachen Rhetorik hatte, so fehlte ihm doch ganz eindeutig das nötige Interesse, um etwas damit anzufangen.

Lelouch seufzte lautlos. Weshalb musste alles nur so kompliziert sein? Ein kleines Puzzle hier, eine unvorhergesehene Herausforderung da… damit könnte er gut leben. Aber konnte denn nicht wenigstens irgendetwas einmal simpel sein?
 

„Lelouch!“ Ein Ausruf in seiner ummittelbaren Nähe riss den dunkelhaarigen Jungen aus seinen Gedanken. Er hob den Kopf und sah, wie Milly ihm winkend entgegengelaufen kam. Erst, als sie keine Armeslänge mehr von ihm entfernt war, bremste sie ab und strahlte ihn an. „Gerade habe ich Nanali nach dir gefragt!“

Lelouch blinzelte. Wäre Milly nicht Milly gewesen und hätte sie nicht einen so offenkundig vergnügten Eindruck gemacht, dann wäre er davon ausgegangen, dass irgendetwas vorgefallen sein musste. So jedoch konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, was die Präsidentin des Schülerrats so eilig von ihm wollen könnte.

„Was gibt es?“, fragte er also und versuchte gar nicht erst, seine Verwunderung zu verbergen.

„Was denn? Kann ich nicht einfach mal spontan bei meinem Lieblings-Frauenhelden vorbeischauen, um zu sehen, wie es ihm so geht?“ Lelouch hob die Brauen, und Milly seufzte. „Schon gut, schon gut. Das ist nicht der einzige Grund, weshalb ich dich gesucht habe.“

„Sondern…?“

Auf diese Frage hatte Milly offenbar gewartet. Sie grinste, streckte den Arm aus und deutete mit dem Zeigefinger auf ihn, wobei sie ihm fast das Auge ausstach. „Wandern!“, verkündete sie.

„…Was?“ Lelouch hatte das Gefühl, irgendetwas Wichtiges verpasst zu haben.

Glücklicherweise hatte Milly schon immer beinahe so viel Freude daran gehabt, ihren hilflosen Opfern zu offenbaren, auf welch grausame und schreckliche Weise sie in naher Zukunft leiden würden, wie daran, sich finstere Pläne auszudenken. Und so musste Lelouch nicht lange auf eine Erklärung warten. „Nachdem es dir Freitag nicht gut ging“, begann Milly fröhlich ihre Erläuterung, „bin ich zu dem Schluss gekommen, dass der Schülerrat überarbeitet ist!“ Weshalb beschlich Lelouch nur das dumpfe Gefühl, dass das alles mögliche, nur nicht weniger Arbeit bedeuten würde? Seine Befürchtungen bestätigten sich, als sein Gegenüber fortfuhr: „Deshalb werden wir heute alle etwas zusammen unternehmen!“

„Wir… gehen wandern?“, schlussfolgerte Lelouch nach ein paar Sekunden ungläubig. „Heute? Weil mir vorgestern schlecht war?“ Ja, er kannte definitiv die falschen Leute.

Ob auf der einsamen Insel am anderen Ende der Welt wohl noch Platz für eine Person mehr war?

Milly lächelte breit. „Ganz genau!“ Sie tippte sich ans Kinn. „Eigentlich wollten wir gestern ins Schwimmbad, aber wir haben dich nicht erreicht, und Kallen hatte wohl auch keine Zeit…“ Natürlich – niemand außer C.C. besaß seine zweite Handynummer, und dass Kallen etwas anderes vorgehabt hatte, war alles andere als verwunderlich. Es erstaunte Lelouch eher, dass sie es trotz des Doppellebens, das sie führte, anscheinend geschafft hatte, sich den Sonntag freizuhalten.

„Tut mir leid“, entschuldigte er sich. „Ich war beschäftigt. Du hättest mir vorher Bescheid sagen sollen.“ Er achtete darauf, es nicht versehentlich wie einen Vorwurf klingen zu lassen.

„Beschäftigt…“ Milly bedachte ihn mit einem verschlagenen Lächeln und nicht zum ersten Mal fragte Lelouch sich, was für eine Lawine C.C. wohl dieses Mal wieder losgetreten hatte. Erwartete nun etwa jeder, dass er bald bei seiner vermeintlichen Verlobten einziehen würde? „War es denn… anstrengend?“

Lelouch blinzelte. Nun verstand er gar nichts mehr.

Er sagte nichts, aber seine Miene musste ihn verraten haben, denn Milly schüttelte mit einem wehmütigen Seufzer den Kopf. „Hach ja, die unschuldige Jugend…“

Lelouch blinzelte erneut. „Hu?“

„Mach dir nichts draus!“ Milly klopfte ihm auf die Schulter. „Eines Tages wirst selbst du mehr über diese Dinge erfahren.“ Diese Dinge? Wo hatte er das nur schon einmal gehört?

Bevor es ihm jedoch wieder einfallen konnte, wechselte die Schülerratspräsidentin abrupt das Thema: „Also, kommst du gleich mit?“

„Ich denke nicht, dass-“ Er hatte absagen wollen, aber Millys Blick ließ ihn es sich mitten im Satz anders überlegen. „In einer halben Stunde?“, fragte er vorsichtig.

„Hm…“, machte Milly und rieb sich nachdenklich das Kinn.

Sie zögerte ihre Antwort so lange hinaus, dass Lelouch sich unwillkürlich zu fragen begann, ob sie ihn absichtlich nervös machen wollte. Falls ja, dann konnte sie zufrieden mit sich sein – es wirkte.

Kurz bevor er jedoch den nötigen Mut gesammelt hatte, sich unauffällig aus dem Staub zu machen, legte sich wieder ein ausgelassenes Lächeln auf die Züge seines Gegenübers.

„Na gut“, sagte die Schülerratspräsidentin vergnügt, winkte ihm flüchtig und machte auf dem Absatz kehrt. „Dann bis in einer halben Stunde!“, rief sie dabei. „Und bring Nanali mit, ja?“

Lelouch schnaubte leise. Als ob sie ihm das extra sagen müsste. „Bis dann“, gab er mit all dem unbändigen Enthusiasmus eines Pinguins auf dem Weg in die Tiefen der Sahara zurück.

Anschließend sah er dem blonden Mädchen nach, wie es in Richtung Schulgebäude verschwand, und seufzte schwer.

Er tröstete sich damit, dass er sich zumindest nicht mehr wie ein Häufchen Elend fühlte, und für eine winzige Sekunde war er C.C. und Clovis sogar dankbar dafür, dass sie ihn so lange aufgehalten hatten – aber dann überkam er die vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit und fragte sich kopfschüttelnd, ob er es mit einem verspäteten Delirium zu tun oder einfach nur den Verstand verloren hatte.

Lelouch nahm sich noch die Zeit, sich gebührend über seine untypische Unbesonnenheit zu wundern; dann betrat er das Klubhaus.
 

~
 

Wie sich herausstellte, hatte C.C. mehr getan, als ihm nur ein Alibi zu schaffen und ein paar unnötige Anspielungen zu machen. Lelouch wusste nicht genau, was sie Nanali erzählt hatte, aber nachdem er nach Hause gekommen war, hatte seine kleine Schwester sich ihm gegenüber ausgesprochen merkwürdig verhalten.

Nicht nur, dass sie ihn sofort mit einer Schale voller selbstgebackener Plätzchen begrüßt hatte, sie tätschelte ihm auch noch den Arm und versichte ihm, dass sie C.C. mochte und sich sehr für ihn freue. Und dann war da noch das Buch mit Babynamen, das in seinem Zimmer auf ihn wartete und eindeutig von Nanali dort platziert worden war.

Als er sie ein wenig später darauf ansprach, bedachte sie ihn mit einem milden Lächeln und sagte: „Lass dir ruhig Zeit, Onii-sama.“

Lelouch hatte keine Ahnung, was das heißen sollte, also erwiderte er nichts. Als er keine fünf Minuten später jedoch erneut sein Zimmer betrat und sein Blick abermals auf die ausgesprochen kuriose Lektüre fiel, die seine Schwester ihm da zum Geschenk gemacht hatte, fragte er sich, ob C.C. wohl behauptet haben könnte, dass er jemandem bei einer Geburt geholfen hatte - eine vollkommen absurde Vorstellung, die immer noch keine wirklich befriedigende Erklärung darstellte, aber alles, was Lelouch auf die Schnelle einfallen wollte.

Mit einem Stapel wetterfester Kleidung und dem Gedanken, C.C. auf dieses Thema anzusprechen, wenn er sie das nächste Mal sah, verschwand er noch einmal im Bad, bevor er sich gemeinsam mit seiner kleinen Schwester auf den Weg zu Milly und den anderen machte.
 

~
 

Wandern.

Ein Wort, das harmlos klingt, aber schon seit Anbeginn der Zeit die Hölle auf Erden hinter sich verbirgt.

Natürlich hatte Lelouch sich nicht vollkommen von dem trügerischen Schein täuschen lassen, aber einmal mehr hatte er sich ganz eindeutig überschätzt und nun blieb ihm nichts anderes übrig, als mit den Konsequenzen seiner voreiligen Entscheidung zu leben.

Mühsam schleppte er sich durch die Hügellandschaft, schaute zum Himmel empor und wartete auf eine Sonnenfinsternis, die es laut seinen Berechnungen erst in gut sechseinhalb Jahren wieder geben würde. Er war erschöpft, frustriert und ausgetrocknet und wünschte sich nichts weiter, als noch einmal das Bewusstsein zu verlieren, damit er diesen verdammten Ausflug endlich hinter sich hatte.

Unglücklicherweise jedoch war von seinem Fieber nichts weiter zurückgeblieben als eine vage Mattigkeit, die seiner ohnehin schon legendären Unsportlichkeit hier und da noch zusätzlich unter die Arme griff, sich ansonsten aber nicht weiter bemerkbar machte, und selbst die Kopfschmerzen, die ihn plagten, waren eindeutig das Resultat der glühenden Hitze, die ganz eindeutig nicht von seinem eigenen Körper, sondern von übermäßiger physischer Betätigung und dem viel zu gutem Wetter ausging, welches nun schon seit mehreren Wochen vorherrschte und so schnell wohl auch nicht wieder verschwinden würde.

Folglich blieb Lelouch nichts anderes übrig, als sich mit seinem Schicksal abzufinden und sich darauf zu konzentrieren, Nanali im Auge zu behalten. Diese war bei Shirley, Milly und Rivalz zwar sicherlich gut aufgehoben, aber alte Gewohnheiten ließen sich nun einmal schwer ablegen. Zudem wäre es den anderen mit Sicherheit seltsam erschienen, wenn Lelouch sich im Bezug auf seine kleine Schwester nicht trotz seines leicht angeschlagenen Zustands wie ein paranoider Wachhund aufgeführt hätte. Milly hatte ihn schon seltsam angesehen, als er ihr Nanali so widerstandslos überlassen hatte, und selbst Shirley hatte ihm inzwischen den ein oder anderen verdutzten Blick zugeworfen.

Allerdings bekam Lelouch all diese Dinge nur am Rande mit, da der Großteil des Schülerrats mit mindestens sieben Metern Abstand vor ihm her lief. Und das, obwohl sich alle Kallens Tempo anpassten, die selbstverständlich vortäuschte, nur langsam gehen zu können und immer mal wieder eine Pause zu benötigen. Einzig Nina hatte einen so geringen Vorsprung zu ihm, dass er nicht hätte schreien müssen, wenn er ihr etwas mitteilen wollte – und das auch nur, weil sie sich absichtlich im Hintergrund hielt.

Anders ausgedrückt: Lelouch war sich sicher, dass er ein absolut jämmerliches Bild abgeben musste, und es waren Augenblicke wie diese, in denen er den Eindruck bekam, dass irgendwelche höheren Mächte ihn abgrundtief hassen mussten.

Er revidierte seine Meinung, als eine hübsche kleine Portion Vogelkot ihn um Haaresbreite verfehlte und harmlos am Boden liegen blieb.
 

„Da wären wir“, sagte Milly keinen viertel Kilometer später so laut, dass Lelouch sie trotz des riesigen Abstands zwischen ihnen problemlos verstehen konnte. Sie wartete, bis eine zögerliche Nina und ein vor Erschöpfung keuchender Lelouch zu dem Rest der Gruppe aufgeschlossen hatten, dann fügte sie hinzu: „Der ideale Platz für unser Picknick!“

Lelouch hatte die Hände auf die Knie gestützt und japste vor sich hin. Sobald er jedoch wieder genug Luft eingeatmet hatte, damit ein Teil des sich darin befindlichen Sauerstoffs auch sein Gehirn erreichte, sah er mit einem verständnislosen Blinzeln zu der blonden Schülerratspräsidentin auf. „Picknick?“, fragte er und war sich durchaus der Tatsache bewusst, dass er sich anhörte, als würde er jeden Moment endgültig den Geist aufgeben.

Milly grinste ihn an. „Natürlich! Oder dachtest du, wir würden Kallen stundenlang durch die Gegend schleppen?“ Mit einem entschuldigenden Lächeln wandte sie sich dem rothaarigen Mädchen zu. „Tut mir leid, dass es so weit war.“

Kallen, die sich bis dahin umgesehen hatte, riss den Blick von dem los, was auch immer bis dahin ihre Aufmerksamkeit gefesselt gehabt hatte, und lächelte zurück. „Das macht nichts“, sagte sie und ließ abermals den Blick schweifen. „Es ist wunderschön.“

Zunächst wusste Lelouch nicht, was sie meinte – er war zu sehr damit beschäftigt, ärgerlichen Blicks und noch immer über seine Knie gebeugt Millys Rücken zu fixieren -, aber dann richtete er sich auf und erkannte, dass sich der Pfad, dem sie bis dahin gefolgt waren, in einer weiten Wiese verlief. Bunte Blumen, die Lelouch teilweise noch nie zuvor gesehen hatte, blühten darauf, und vereinzelte schlanke Bäume wiegten sich im Wind.

Das Eindrucksvollste jedoch war der See, der nicht weit von ihnen seinen Anfang hatte und sich über nicht mehr als einen Sechstel der grasigen Fläche erstreckte. Steine verschiedener Größen zierten sein Ufer und ließen ihn ein bisschen wie einen sorgfältig angelegten, aber zu groß geratenen und mit der Zeit verwilderten Gartenteich wirken, und teilweise wurde er von einem imposanten Baum fortgeschrittenen Alters überschattet. Als sie näher kamen, erkannte Lelouch außerdem, dass das Wasser darin beinahe so klar war wie das eines abgelegenen Gebirgsees, sodass es umso bemerkenswerter in der Sonne glitzerte. Hier und da kräuselte sich die ansonsten glatte Wasseroberfläche, und Lelouch rechnete fast damit, einen Zierkarpfen darunter zu erkennen – aber das Einzige, was er zu sehen bekam, war eine schlammgraue Schwanzflosse von etwas, das einen Herzschlag später auch schon wieder verschwunden war.

Genau wie seine Begleiter verfiel er für einige Augenblicke in ein andächtiges Schweigen. Er hatte nicht gewusst, dass es keine Stunde von der Ashford-Akadamie entfernt einen solchen Ort gab. Die Gegend erinnerte ihn ein bisschen an das Ziel des Ausritts, den er in seiner Zeit als Dämonenkönig gemeinsam mit seinem besten Freund und ersten Ritter unternommen hatte, und nicht zum ersten Mal seit damals wurde ihm bewusst, wie sehr Suzaku ihm fehlte.

„Woah“, durchschnitt Rivalz Ausruf die Stille, und der Bann war gebrochen.

„Es ist wirklich wunderschön“, murmelte Shirley und machte ein paar Schritte am Seeufer entlang, ohne den Blick dabei von der Wasseroberfläche abzuwenden.

„Nicht wahr?“ Lelouch brauchte sich nicht erst zu Milly umzudrehen, um zu wissen, dass sie ein vergnügtes Grinsen im Gesicht hatte. „Ich bin erst vor kurzem darauf gestoßen. Eigentlich wollte ich noch eine Weile warten, bevor ich euch hierher bringe, aber dann hat die Sache mit dem Schwimmbad nicht geklappt und ich dachte mir: ‚Weshalb eigentlich nicht?’“

„Hast du das alles selbst hergebracht?“, fragte Rivalz staunend. Lelouch sah zu ihm hinüber und erkannte, dass er unterhalb des großen Baumes stand, dessen Wurzeln bis tief ins Wasser hinein ragten. Im Gras zu seinen Füßen standen mehrere Plastikbehälter, zwischen denen große Stoffstücke lagen, von denen Lelouch annahm, dass es sich bei ihnen um zusammengerollte Wolldecken handelte.

„Mhm!“, gab Milly zurück und gesellte sich mit einem breiten Lächeln zu ihm. „Mir war langweilig, und es hat Spaß gemacht.“ Sie beugte sich hinunter und hob eine der Decken auf. „Helft ihr mir?“
 

Wenig später saßen sie alle dicht beieinander und ließen sich das mitgebrachte Essen schmecken, das hauptsächlich von Milly, aber auch teilweise von Shirley, Kallen, Nina und Nanali stammte. Wie sich herausstellte, hatte seine kleine Schwester von Anfang an gewusst, dass dieser Ausflug keineswegs eine reine Wanderung war, aber genau wie alle anderen darauf verzichtet, Lelouch über diesen Umstand aufzuklären. Nun saß sie mit Nina, Rivalz und der Vorsitzenden des Schülerrats zusammen auf einer Picknickdecke und hörte Letzterer aufmerksam dabei zu, wie sie ihr jedes noch so kleine Detail der Umgebung beschrieb.

Indessen versuchte Shirley lebhaft, ihn und Kallen in eine Unterhaltung zu verwickeln, aber ihr Erfolg hielt sich in Grenzen, sodass sie sich beinahe den Mund fusselig redete, während Kallen bestenfalls halb so viel zu der holprigen Konversation beitrug und Lelouch nichts weiter tat, als hin und wieder eine direkte Frage zu beantworten, während er vorgab, gedankenverloren den See zu betrachten, anstatt Nanali zu beobachten.

Shirley war nicht sehr erfreut über seinen mangelnden Enthusiasmus, und als ihr Gespräch mit Kallen schließlich nicht länger einseitiger Natur war, gab sie es recht schnell auf, ihn mit einbeziehen zu wollen. Lelouch verbiss sich ein Schmunzeln, als sie ihm noch einen letzten ärgerlichen Blick zuwarf und sich dann demonstrativ etwas von ihm wegdrehte.

Irgendwie schien er ein Talent dafür zu haben, selbst die gesprächigsten Leute so sehr zu frustrieren, dass sie sich irgendwann weigerten, auch nur noch ein Wort mit ihm zu wechseln – außer vielleicht Milly, aber selbst er wagte es nicht, sein Glück herauszufordern, indem er es riskierte, die Schülerratspräsidentin gegen sich aufzubringen. Er blieb noch eine Weile bei den beiden Mädchen sitzen, während sie erst über die Schule und das Wetter und schließlich über Süßspeisen plauderten, dann entschuldigte er sich und stand auf.

Shirley war nicht sehr begeistert davon, dass er sich einfach so aus dem Staub machte, aber mit ein paar reuevollen Worten und einem einnehmenden Lächeln schaffte er es, sie so sehr zu beschwichtigen, dass er mit einem kleinen Tadel davonkam. Noch immer lächelnd erwiderte er Kallens höfliches Nicken und wandte sich ab.
 

Es war seltsam, dachte er, während er sich ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen in Bewegung setzte, wie surreal die Welt ihm mit einem Mal wieder erschien, wo er dieses Gefühl doch in den letzten Tagen beinahe vollkommen hatte abschütteln können.

Vielleicht lag es daran, dass er so viel Zeit mit Clovis verbracht hatte. Denn auch wenn er im Grunde wusste, dass sein Halbbruder in einem anderen Leben zu diesem Zeitpunkt längst tot gewesen war, hatte Lelouch sich erstaunlich schnell daran gewöhnt, ihn um sich zu haben. Er vermutete, dass es daran lag, dass er in Clovis’ Gegenwart bis vor kurzem immer zu sehr auf der Hut gewesen war, um viel über solche Dinge nachzudenken, und dass es sicherlich auch nicht schadete, dass sein Bruder ihm durch seine nervtötende Art wenig Zeit für tiefsinnige Grübeleien ließ.

Unter solchen Umständen war es erstaunlich leicht, zu vergessen, dass er Clovis einst mit eigenen Händen eine Kugel in den Kopf gejagt hatte.

Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende geformt, frischte plötzlich der Wind auf, und trotz der sommerlichen Temperaturen musste Lelouch frösteln. Unwillkürlich verschränkte er die Arme vor der Brust, um der leichten Brise mit Körperwärme entgegenzuwirken.

Dabei fiel sein Blick auf das andere Ufer des Sees, den er inzwischen zur Hälfte umrundet hatte, und ein Lächeln schlich sich auf seine Züge. Zu sehen, wie Nanali sich so unbeschwert mit Milly und Rivalz unterhielt, gab ihm das Gefühl, dass er das Richtige tat. Dass er die Welt verändern konnte – verändern musste -, ohne wieder Tausende und Abertausende dafür ins Unglück zu stürzen.

Er mochte diese zweite Chance nicht verdienen, aber Nanali und der Rest der Welt schon, und es wäre niemandem geholfen, wenn er sich von seinen Schuldgefühlen leiten ließe.

Mit einem Schmunzeln dachte er daran zurück, wie er diesen Fehler beinahe gemacht hätte, nachdem das Zero Requiem nicht wie geplant mit seinem Tod eingeleitet worden war, und im Gegenzug von einer gewissen unsterblichen Hexe die Leviten gelesen bekommen hatte.

Manchmal fragte er sich wirklich, was er tun würde, wenn sich nicht immer irgendjemand finden würde, der ihn zurückholte, wenn er einmal wieder vom rechten Weg abgekommen war.

Wenn er allerdings nicht aufpasste, würde er das dieses Mal womöglich sogar herausfinden – außer C.C. gab es zurzeit niemanden, der genug über ihn und seine Ziele wusste, damit Lelouch sich vollkommen auf ihn verlassen konnte, und die Graue Hexe kam und ging, wie es ihr passte.

Nicht zu vergessen, dass das hier eine einmalige Chance war. Ein falscher Schritt, und das Schicksal der gesamten Welt wäre ebenso unwiderruflich besiegelt wie sein eigenes.
 

„Manchmal frage ich mich wirklich, was du denkst.“

Lelouch fuhr herum und starrte Milly an, die wie aus dem Nichts hinter ihm aufgetaucht war. Er hatte keine Ahnung, wie lange er regungslos dagestanden und auf See hinausgeblickt hatte, aber offenbar hatte er sich tiefer in Gedanken befunden, als ihm bewusst gewesen war.

Er blinzelte. „Was?“

Milly schüttelte den Kopf. „Schon gut“, winkte sie ab und trat neben ihn. „Was machst du hier so lange?“

„So lange?“, wiederholte Lelouch.

„Na ja, du stehst hier jetzt bestimmt schon seit zwanzig Minuten.“

„Tatsächlich?“ Verdutzt drehte er sich wieder zu dem kleinen Gewässer um, das er die ganze Zeit über betrachtet hatte, und sah hinüber zu Nanali und den anderen. Inzwischen war der Schülerrat noch dichter zusammengerückt, und Rivalz war dazu übergegangen, auf Kallen einzureden, während seine kleine Schwester sich mit Shirley unterhielt.

Lelouch blinzelte, als er bemerkte, dass Nina nur ein kleines Stück weiter hinten auf den sich an den Enden berührenden Decken saß als die Übrigen, ein Laptop auf dem Schoß und eifrig damit beschäftigt, irgendetwas darauf zu tippen.

Hatte sie überhaupt einen Rucksack bei sich gehabt?

„Alle scheinen sich zu amüsieren“, bemerkte Milly, die offenbar seinem Blick gefolgt war. Aus dem Augenwinkel sah Lelouch, dass ein versonnenes Lächeln ihre Mundwinkel umspielte. „Ich hatte schon befürchtet, dass sie sich vielleicht langweilen würden.“

„Weshalb das?“

Milly zuckte die Achseln. „Ich weiß nicht“, erwiderte sie grinsend. „Es ist schön hier, aber nicht unbedingt aufregend. Ich schätze, deshalb war ich mir nicht sicher, ob dieser Ort wirklich so ein gutes Ausflugsziel abgeben würde.“

Lelouch musste zugeben, dass ihn dieses unerwartete Bekenntnis etwas verwunderte. Milly war nie der Typ gewesen, sich den Kopf über solche Kleinigkeiten zu zerbrechen… oder vielleicht doch? Es war ihm unangenehm, aber er wusste es nicht.

„Es ist… nett“, sagte er daher nach kurzem Schweigen.

Und bereute seine Worte, als sich prompt ein Arm um seine Schultern legte und Milly ihn so fest an sich drückte, dass er zu röcheln begann.

„Aw, Lulu!“, rief sie mit einem vergnügten Grinsen aus. „Wie immer ein echter Gentleman!“ Sie klopfte ihm so kräftig auf den Rücken, dass er husten musste, und ließ dann mit einem flüchtigen Kichern wieder von ihm ab.

„Man tut, was man kann“, gab er trocken zurück, sobald er wieder mehr als ein Krächzen hervorbrachte.

„Aber Lelouch“, sagte Milly plötzlich in einem merkwürdig sanften Tonfall, der sie ungewohnt ernst klingen ließ.

Perplex sah Lelouch sie an. „Hm?“

„Ich weiß, dass du deine Probleme lieber für dich behältst, aber… wenn dich irgendetwas bedrückt, kannst du es mir jederzeit sagen, ja?“ Sie lächelte leicht, und mit einem Mal schien es Lelouch, als hätte sich die ausgelassene Stimmung von zuvor innerhalb weniger Herzschläge verflüchtigt, nur um von einer seltsam beklemmenden Atmosphäre abgelöst zu werden, die ihm die Kehle zuschnürte. „Manchmal ist es besser, wenn man mit jemandem redet“, fuhr sein Gegenüber fort. Doch gerade, als ihm die Situation wirklich unangenehm zu werden begann, verwandelte Millys verstörend verständnisvolles Lächeln sich plötzlich in ein neckisches Grinsen. „Nicht, dass du Manns genug wärst, um den Mund aufzukriegen, wenn tatsächlich etwas nicht in Ordnung wäre.“ Sie versetzte ihm einen spielerischen Klaps auf die Schulter. „Ich gehe dann zurück zu den anderen. Denk nicht so viel nach, ja? Wir warten mit den Snacks auf dich.“

Lelouch sah ihr nach, während sie sich wieder zum Rest des Schülerrats gesellte, und schüttelte den Kopf. Erst C.C., dann Clovis und jetzt auch noch Milly? Sah er wirklich so aus, als hätte er einen persönlichen Therapeuten derart nötig?

Er warf noch einen letzten Blick auf die im Sonnenlicht glitzernde Wasseroberfläche, dann wandte er sich um und folgte dem lebhaften blonden Mädchen, das sich darauf verstand, ihn immer wieder aufs Neue zu überraschen.

Vielleicht machte er sich wirklich zu viele Gedanken.
 


 


 


 


 

_______________

*winks*

Dieses Mal hat es ein bisschen länger gedauert als üblich - aber RL ist nun mal eine schlechte Angewohnheit, die zuweilen recht lästig werden und einem nur allzu leicht in die Pläne pfuschen kann. Und dann hatte ich auch noch plötzlich das Verlangen, nebenbei eine weitere Fanfic anzufangen... allerdings werde ich mich jetzt hoffentlich wieder mehr auf diese hier konzentrieren; schließlich steckt mein neustes Projekt noch in den Kinderschuhen und ist noch nicht einmal hochgeladen, weil mich die zwei verschiedene Clovis-Varianten auf Dauer verwirren könnten.

Wie jedes Mal habe ich mich sehr über die Kommentare gefreut. Es ist gut zu wissen, dass der Humor in dieser Fanfic gut ankommt. Schließlich soll er die Sache auflockern, ohne dabei die Handlung zu beeinträchtigen, und da habe ich immer ein bisschen Angst, die Grenze zu übersehen. Allerdings glaube ich, dass Clovis würde grundsätzlich immer den kürzeren ziehen, würde man ihn irgendwo mit C.C. einsperren. xD

Oh, und dass Lelouch meint, "diese Dinge" schon mal irgendwo erwähnt gehört zu haben, ist eine Anspielung auf das Sound-Drama, in dem Suzaku ein Haar von C.C. in Lelouchs Zimmer findet und ihm praktisch auf die Schulter klopft, während Lelouch keine Ahnung hat, wovon sein Freund da redet. xD

Überhaupt werde ich wohl einige Anspielung auf die Sound-Dramen machen, alleine schon, weil man in Stage 0.884 so viel über Clovis erfährt. Aber wie dem auch sei...

Im nächsten Kapitel sehen wir Reflexionen, alte Freunde und chronischen Masochismus!

Und ich kann jetzt schon einmal verraten, dass es sich stark an die entsprechende Episode anlehnen wird und dass ich mich darin sehr auf die Dinge konzentriere, die "zwischen den Zeilen stehen" - auch wenn es natürlich auch hier wieder Abweichungen geben wird.

Die erneuerte Freundschaft

In den ersten Tagen der folgenden Woche verlief Lelouchs Leben erfrischend ereignislos, und er nutzte die unverhoffte Ruhe in erster Linie dazu, sich mit den Konsequenzen seines Fiebers auseinanderzusetzen. Das bedeutete nicht nur, dass er nach dem Picknick des Schülerrats so viel Zeit im Bett verbrachte, dass er sich schon nach nur vierundzwanzig Stunden beinahe sicher war, vollständig genesen zu sein und einen Rückfall weitgehend ausschließen zu können, sondern auch, dass er einen Teil seiner Freizeit dazu nutzte herauszufinden, wo er und Clovis nach den Vorfällen des letzten Wochenendes standen.

Auf den ersten Blick hatte sich nicht viel an ihrer leicht eigenartig anmutenden Beziehung geändert: Lelouch legte es auch weiterhin darauf an, den blonden Prinzen auf Armeslänge zu halten, und sein Bruder beschwerte sich noch immer regelmäßig über alles, was ihm gerade in den Sinn kam. Wann immer einer von ihnen den Mund aufmachte, endete die Sache in einem Wortgefecht, und jedes Mal, wenn sie Schach gegeneinander spielten – etwas, das sie eigentlich andauernd taten -, lief es darauf hinaus, dass Clovis früher oder später seinen Siedepunkt erreichte und ungehalten wurde, woraufhin Lelouchs Genugtuung nur noch weiter wuchs und er mit einem selbstzufriedenen Lächeln auf den Lippen wieder den Heimweg antrat.

Allerdings gab es auch einiges, was sich infolge der neusten Entwicklungen ganz eindeutig geändert hatte. Es begann damit, dass Lelouch sich seither nicht mehr die Mühe machte, stets eine Waffe mit sich zu führen, wenn er seinem Bruder einen Besuch abstattete, und zeigte sich weiterhin darin, dass er keine Notwendigkeit mehr darin sah, die Bewegungsfreiheit des ehemaligen Gouverneurs auf ein einziges Zimmer zu beschränken. Man konnte nicht sagen, dass es im unteren Stockwerk des zukünftigen Hauptquartiers der Schwarzen Ritter allzu viel zu sehen gab, aber darum ging es auch gar nicht. Es war eine Geste, die Clovis bei Laune halten sollte, und sie erfüllte ihren Zweck besser, als Lelouch gedacht hätte.

Überhaupt schien es, dass der Dritte Prinz erstaunlich einfach zufriedenzustellen war, wenn es um diese Art von Kleinigkeiten ging.

Als Lelouch einen Tag und zwei Abende nach dem Ausflug des Schülerrats zum ersten Mal wieder bei seinem Bruder vorbeigeschaut hatte, war Clovis’ Blick sofort zu seinen Händen gewandert – und als sein Bruder erkannt hatte, dass Lelouch tatsächlich unbewaffnet war, hatte sich ein kleines, aber doch unübersehbares Lächeln von jener Sorte auf seine Lippen gelegt, wie sie nur Clovis la Britannia zustande brachte. Eines, das ehrlich erfreut, aber doch unglaublich selbstzufrieden wirkte, und das Lelouch seither noch wesentlich häufiger zu Gesicht bekommen hatte.

Wann immer er sich anmerken ließ, dass er den Humor seines Bruders durchaus unterhaltsam fand, und bei jeder der seltenen Gelegenheiten, bei denen er eine beiläufige Frage zu seinem Alltag nicht sofort mit einer ironischen Bemerkung quittierte, nahmen Clovis’ Gesichtszüge binnen weniger Sekunden den Ausdruck eines kleinen Kindes an, dem es soeben gelungen ist, mit einem besonders liebenswerten Lächeln das Herz der Bäckersfrau zu erweichen, die ihm daraufhin umsonst eine Tüte besonders köstlicher Kekse zugesteckt hat. Es war eine überaus befremdliche Allegorie, die jedoch so hervorragend passte, dass es beinahe ein bisschen unheimlich war.

Sein Bruder schien außerdem Gefallen daran gefunden zu haben, ihn zu behandeln, wie es eine gewisse unsterbliche Hexe zu tun pflegte, wenn sie in einer ihrer zutraulichen Launen war – etwas, das öfter vorkam, als Lelouch lieb war. Glücklicherweise jedoch war ein sich aufspielender Clovis nicht halb so furchteinflößend wie eine fürsorgliche C.C., sodass er es die meiste Zeit über einfach ignorieren konnte, wenn sein Bruder ihn von oben herab behandelte – und wenn es nötig war, dann hatte Lelouch auch keine Bedenken, ihn in seine Schranken zu weisen. Für gewöhnlich genügten aber ein paar wohlplatzierte ironische Bemerkungen und die ein oder andere Partie Schach, um Clovis zum Schweigen zu bringen.

Wovon der blonde Prinz sich allerdings nicht so einfach abhalten ließ, waren seine regelmäßigen Versuche, in Lelouchs Privatleben herumzustochern. Mindestens zwei Mal am Tag machte er irgendeine augenscheinlich vollkommen harmlose Bemerkung, die ganz eindeutig darauf abzielte, ihm hinterrücks ein paar genauere Auskünfte über dieses und jenes zu entlocken.

Bis jetzt hatte Lelouch seinen Bruder schon dabei ertappt, wie er mithilfe scheinbar unschuldiger Fragen nach Informationen darüber gefischt hatte, was er in nächster Zeit plante, wieso er ein bürgerliches Leben dem eines Prinzen vorzog, was er die letzten Jahre über getrieben hatte und welcher Natur seine Beziehung zu C.C. war.

Vielleicht hätte Lelouch geglaubt, dass Clovis irgendetwas plante, wenn es nicht so offensichtlich gewesen wäre, dass es seinem Bruder jedes Mal zu ungemeiner Erheiterung gereichte, wenn Lelouch einer seiner Fragen so elegant auswich, dass der Grund dafür – nämlich, dass die Frage nicht annähernd so unschuldig auf ihn gewirkt hatte wie von seinem Gesprächspartner beabsichtigt - nicht schwer zu erraten war.

Clovis wusste, dass Subtilität ihn nicht weiterbringen würde, aber das hielt ihn nicht davon ab, es immer wieder zu versuchen. Lelouch vermutete mittlerweile, dass er ihm einfach nur auf den Nerv fallen wollte, auch wenn persönliche Neugierde wohl auch eine Rolle spielte. Allerdings machte sein Bruder es ihm zumeist auch nicht sonderlich schwer, in solchen Situationen ganz einfach Thema zu wechseln, weshalb Lelouch nur noch eher selten das Verlangen verspürte, ihm den Hals umzudrehen.

Was gut war, denn C.C. hatte seit ihrem unerwarteten Anruf nichts mehr von sich hören lassen, sodass Lelouch nicht umhin kam, sich wenigstens für ein paar Minuten jeden Tag bei Clovis blicken zu lassen.

Andererseits wäre ihm das wohl ohnehin nicht erspart geblieben. Denn selbst wenn seine Komplizin nicht wie vom Erdboden verschluckt gewesen wäre, hätte sie sich sicherlich nicht dazu bereit erklärt, es sich neben der mehr oder weniger regelmäßigen Beschaffung von Lebensmitteln auch noch zur Aufgabe zu machen, den Dritten Prinzen des Heiligen Britischen Reiches von seiner chronischen Langeweile zu befreien – und selbst wenn, hätte Clovis ihre Bemühungen mit Sicherheit nicht zu schätzen gewusst.

Insgeheim amüsierte es Lelouch außerordentlich, wie der ehemalige Gouverneur bei der bloßen Erwähnung der Unsterblichen immer wieder aufs Neue merklich zusammenzuckte.
 

Mehr als eine halbe Woche verging, in der Lelouch jeden Tag gleich nach der Schule – meistens am späten Nachmittag, aber manchmal auch erst abends, wenn ein Treffen des Schülerrats sich besonders in die Länge zog – seinem Halbbruder einen der Besuche abstattete, die stets nach demselben Muster verliefen, sich aber erstaunlicherweise nur noch sehr selten negativ auf seine Stimmung auswirkten. Wenn überhaupt, dann war es Clovis, dem seine Situation inzwischen zum Hals heraus hing.

Wenn es dann allmählich dunkel zu werden begann, war Lelouch meistens so müde, dass er pünktlich zum Abendessen mit seiner Schwester wieder zu Hause war – etwas, das er sich jedes Mal fest vornahm - und die Pläne, deren sofortige Umsetzung er noch vor ein paar Tagen für ausgesprochen ratsam erachtet hatte, ohne große Bedenken noch eine Weile dort ließ, wo sie waren – in seinem Kopf.

Nicht einmal mit den Terroristen setzte Lelouch sich in dieser einen Woche übermäßig auseinander. Am Tag des Ausflugs hatte er den zukünftigen Schwarzen Rittern ein Handy zukommen lassen, über das sie von nun an für ihn erreichbar waren. Er hatte sie wissen lassen, dass Zero noch immer da war und schon bald wieder etwas von sich hören lassen würde, aber mehr auch nicht.

Jedoch war es keinesfalls Nachlässigkeit, die ihn zu dieser plötzlichen Zurückhaltung trieb, sondern die durch die eigentlich auf der Hand liegende, aber erst durch das Gespräch mit Milly wirklich herbeigeführte Erkenntnis, dass es keinen Sinn hatte, sich den Kopf über Dinge zu zerbrechen, die er leicht in den Griff bekommen konnte, solange er seine Pläne nur immer erst den neusten Ereignissen anpasste, bevor er etwas unternahm.

Zwar gelang es Lelouch nicht, seine innere Unruhe vollständig loszuwerden, aber da er sich sehr wohl darüber im Klaren war, dass seine ständige Rastlosigkeit ausschließlich irrationaler Natur war und dass ihn in dieser Phase tatsächlich noch nichts zur Eile gebot, hatte er sich recht schnell damit abgefunden.

Voller Ungeduld, aber indem er einen kühlen Kopf bewahrte und keine voreiligen Handlungen unternahm, wartete er auf das Ereignis, das ihn von dem leidigen Herumsitzen erlösen würde. Und dieses kündigte sich zu Lelouchs großer Zufriedenheit bereits am vierten Tag nach dem Picknick durch eine Meldung an, die in allen Fernsehsendern gebracht wurde. Sie veranlasste ihn dazu, exakt vierundzwanzig Stunden später sein Geass einzusetzen, um auf diese Weise jemandem im Militär eine Nachricht zukommen lassen, und sich zu vergewissern, dass eine bestimmte Begegnung auch dieses Mal stattgefunden hatte. Letzteres war verhältnismäßig schwierig in Erfahrung zu bringen, da er sich größtenteils auf vage Gerüchte verlassen musste, aber am Ende seiner Nachforschungen war er sich beinahe sicher, dass er zumindest in dieser Hinsicht mit keinen unerwarteten Veränderung rechnen musste.

Anschließend stellte sich eine neuerliche Wartezeit ein, die Lelouch dieses Mal jedoch wesentlich gelassener anging.

Schließlich war Euphemia li Britannia ein starrsinniges Mädchen, das zwar häufig unberechenbar, aber den Rest der Zeit über bemerkenswert einfach zu durchschauen war. Und wenn seine kleine Halbschwester einen ehemaligen Japaner dazu nötigen wollte, eine britische Bildungsstätte zu besuchen, dann gab es im Umkreis vieler Meilen nur eine einzige Schule, die in Sachen Ansehen und Überschaubarkeit dafür infrage kam.
 

~
 

Es war, dachte Lelouch, als er den noblen Versuch aufgab, die Augen noch für ein paar Sekunden länger offen zu halten, mit Sicherheit ein Streich des Schicksals, dass ausgerechnet er sich dazu gezwungen sah, sich haargenau denselben Schulstoff, der ihn schon beim ersten Mal halb zu Tode gelangweilt hatte, noch einmal anzutun.

Und dann waren da noch die Mitschüler und Lehrer, die ihn die Unterrichtszeit einfach nie sinnvoll nutzen lassen wollten, sodass er mindestens ein Mal am Tag vorzeitig geweckt wurde und sich manchmal sogar für mehrere Minuten einen Ausschnitt aus irgendeinem unglaublich ermüdenden Vortrag anhören musste, den er doch eigentlich komplett hatte ausblenden wollen.

Für Lelouch Lamperouge bestand schon lange kein Zweifel mehr daran, dass das Schicksal einen leidenschaftlichen Hang zum Zynismus und eine außerordentliche Freude daran hatte, ihn immer wieder daran zu erinnern.

Allerdings gab es auch seltene Gelegenheiten, bei denen es die Sache wert war, schon am frühen Morgen in seiner Ruhe gestört zu werden. Und es stellte sich heraus, dass jener unscheinbaren Dienstagmorgen die Ausnahme unter den Ausnahmen darstellte.

Gerade hatte er zu dösen begonnen, als der gerade erst im Klassenzimmer erschiene Lehrer eine Ankündigung machte, die Lelouch innerhalb weniger Herzschläge wieder hellwach werden ließ. Den Kopf noch immer auf den Handrücken gestützt, aber die Augen weit geöffnet und jeden einzelnen Muskel erwartungsvoll angespannt, richtete er sich etwas in seinem Stuhl auf und starrte die Person an, die soeben vor das Pult trat. Es war nicht sein Geschichtslehrer.

„Von heute an bin ich ein Schüler der Ashford Akademie“, sagte eine Stimme, die Lelouch genauso wie das dazugehörige Gesicht nur allzu vertraut war. „Mein Name ist Suzaku Kururugi. Es freut mich, eure Bekanntschaft zu machen.“
 

~
 

„Er war ein Verdächtiger, stimmt’s? In diesem Prozess wegen Prinz Clovis?“

„-r Lehrer behauptet, dass er zu Unrecht verhaftet wurde.“

„Aber er wurde festgenommen, also…“

„-keiner. Die Schule würde zumindest seine Vergangenheit prüfen…“

Lelouch verkniff sich ein Augenrollen. Wenn sie einem das Mithören so einfach machten, dass man sich nicht einmal anstrengen musste, konnten sie sich das Flüstern auch gleich ganz sparen. Und selbst wenn das allgemeine Gemurmel in der Klasse schwieriger zu entziffern gewesen wäre, hätte das nichts daran geändert, dass ein derartiges Verhalten bemerkenswert taktlos war.

Lelouch wartete noch einen Moment; dann erhob er sich von seinem Stuhl und schritt zur Tür, ohne die Schülerratsmitglieder zu beachten, die ganz in der Nähe herumstanden und nicht viel subtiler waren als der Rest der Anwesenden.

Insbesondere Shirley hatte keinen Hehl daraus gemacht, den neuen Schüler einfach einmal ansprechen zu wollen, bis der etwas diskretere Rivalz sie davon abgehalten hatte, und es erstaunte Lelouch auch dieses Mal, wie gekonnt Suzaku den Tumult um ihn herum ignorierte. In aller Ruhe packte der junge Berufssoldat seine Sachen vom Tisch und ließ sich nicht anmerken, dass er weder blind noch taub war und sehr wohl wusste, dass er das Hauptgesprächsthema des gesamten Klassenzimmers war.

Hätte sich allerdings irgendjemand so wie Lelouch die Zeit genommen, unauffällig einen Blick in die ausdrucksstarken Augen des neuen Schülers zu werfen, so wäre demjenigen mit Sicherheit ein unverkennbarer Ausdruck darin aufgefallen, den Lelouch schon öfter gesehen hatte, als ihm lieb war, und der eindeutige Auskunft darüber gab, dass es Suzaku keineswegs kaltließ, auf diese Weise empfangen zu werden.

Als er an dem jungen Japaner vorüberging, hatte Lelouch keinen Zweifel daran, dass sein bester Freund ihn bemerken und nicht anders können würde, als ihn zumindest aus den Augenwinkeln heraus für eine Weile zu beobachten.

Genau wie damals sah Lelouch sich erst um, als er schon im Türrahmen angekommen war, und auch dann drehte er nur kaum wahrnehmbar den Kopf ein wenig, bevor er den Blick des anderen Jungen suchte und in einer beinahe unmerklich in die Länge gezogenen Geste den Kragen seiner Schuluniform richtete.

Lelouch beobachtete, wie Suzakus Augen sich überrascht weiteten, und setzte seinen Weg mit einem unsichtbaren Schmunzeln auf den Lippen fort.
 

~
 

Ohne jede Eile trat Lelouch auf das Dach des Schulgebäudes und schlenderte gemütlich zu dem Geländer hinüber, das den gesamten Bereich einzäunte. Bis Suzaku sich blicken lassen würde, könnte es noch eine ganze Weile dauern.

Es sah seinem Freund nur allzu ähnlich, auf Nummersicher gehen zu wollen und noch mindestens fünf Minuten zu warten, bevor er zu ihm stieß.

Lelouch lehnte sich mit dem Rücken gegen die Brüstung und schüttelte unmerklich den Kopf. Als ob irgendjemand aufgrund eines scheinbaren Zufalls auf die Idee kommen würde, dass sie sich kannten, und als besäße selbst der größte Verschwörungstheoretiker an dieser Schule genug Fantasie, um auf die Idee zu kommen, ihre Freundschaft könnte ein Indiz dafür sein, dass Lelouch nicht der war, für den er sich ausgab.

Diesen Umstand allerdings Suzaku klar zu machen, könnte sich als schwierig erweisen. Und Lelouch hatte kaum mehr als einen Monat Zeit, bevor er seinen Freund aus Kindertagen wie verabredet ein zweites Mal als Zero treffen und verzweifelt versuchen würde, ihn davon zu überzeugen, dass seine Philosophie der Zurückhaltung unter den gegebenen Umständen gänzlich unangebracht war.
 

Sobald er den Jungen mit dem braunen Haar und den grünen Augen durch die schwere Holztür treten und auf sich zukommen sah, legte Lelouch demonstrativ drei Finger an den Hemdkragen. „Es ist lange her, dass ich dieses Signal zum letzten Mal benutzt habe“, sagte er mit einem aufrichtigen Lächeln.

„’Lass uns uns auf dem Dach treffen’“, übersetzte Suzaku die Geste, die Teil des alten Codes war, mit dem sie sich in ihrer Kindheit so oft verständigt hatten.

„Aa.“ Lelouch drehte sich in Richtung des Geländers, an dem er bis dahin gelehnt hatte, und blickte in die Ferne, während sein Freund neben ihn trat.

Suzaku stützte die gefalteten Arme auf der Brüstung ab und schenkte ihm ein warmes Lächeln. „Ich bin froh, dass du in Sicherheit bist.“

Lelouch, der seinen Freund vorübergehend nur aus dem Augenwinkel beobachtet hatte, wandte sich wieder zu ihm um und lächelte zurück. „Das habe ich nur dir zu verdanken. Wenn du dich nicht gewesen wärst…“

„Ich habe nur einen Gefallen erwidert“, sagte Suzaku, „ der sieben Jahre her ist.“ Dabei sah er Lelouch mit einem so weichen Ausdruck in den Augen an, dass dieser unwillkürlich seinem Blick auswich. Diese unschuldigere Version seines besten Freundes erinnerte ihn daran, wie viel dieser Krieg Suzaku gekostet hatte und womöglich auch dieses Mal wieder kosten würde, und wie kläglich er selbst darin versagt hatte, die Menschen zu beschützen, die ihm wichtig waren. Doch sein Gesprächspartner meldete sich erneut zu Wort, und sein veränderter, auf einmal leicht aufgeregter Tonfall riss Lelouch aus seinen Gedanken: „Oh“, machte Suzaku, als sei ihm plötzlich etwas Wichtiges eingefallen. „Was ist mit dem Mädchen?“, fragte er. „Erinnerst du dich? Die Person aus der Kapsel…“

Lelouch zögerte nicht lange, bevor er auf dieselbe Halbwahrheit wie beim letzten Mal zurückgriff. „Wir wurden während des Auseinandersetzung getrennt“, sagte er mit dem angemessenen Bedauern in der Stimme, bevor er Suzaku ansah und die Augen ganz bewusst ein wenig weitete, sodass niemand, schon gar nicht sein gutgläubiger bester Freund, auf die Idee gekommen wäre, dass Lelouch die Antwort auf seine nächste Frage längst kennen könnte. „Weißt du nicht mehr darüber?“

Nun war es an Suzaku, den Blick zu senken. „Nein…“, sagte er. „Es sieht so aus, als ob nur die Spezialeinheit darüber Bescheid weiß.“ Diese Tatsache schien ihm zu schaffen zu machen, und nicht zum ersten Mal fragte Lelouch sich, wie sein Freund es so lange unter britischem Kommando ausgehalten hatte. Suzaku mochte der geborene Ritter und ein ziemlicher Idealist sein, aber er war immer noch Suzaku – der willensstarke Sohn des japanischen Prämierministers, der Britannien einst gehasst hatte, es jedoch noch mehr verabscheute, wenn jemand auf Schwächeren herumtrampelte. Es war in der Tat erstaunlich, wie sehr der Krieg ihn verändert hatte, und wenn Lelouch daran dachte, dass ihm das Schlimmste vielleicht noch bevorstand, musste er sich Mühe geben, nicht aus der Rolle zu fallen.

„Verstehe“, erwiderte er und richtete seine Aufmerksamkeit erneut auf die Landschaft unter ihnen.

„Ist es in Ordnung, wenn ich dich mit Lelouch anspreche?“

Lelouch schmunzelte. Ja, der geborene Ritter.

„Laut den Papieren ist mein altes Ich längst tot“, erklärte er und wandte sich wieder Suzaku zu. „Lelouch Lamperouge - das bin ich im Augenblick.“ Und wenn er die Wahl gehabt hätte, wäre er das auch geblieben, wenngleich Leute wie sein Halbbruder sicherlich einen guten Grund hatten, ihm einen Mangel an Kreativität zu unterstellen. Schon C.C. war damals aufgefallen, dass er an dem Namen hing, den ihm seine Mutter gegeben hatte, und nach allem, was seither vorgefallen war, war es in der Tat albern. Aber Lelouch Lamperouge war inzwischen auch die Identität, mit der er viele seiner angenehmsten Erinnerungen verband, und Menschen neigen nun einmal dazu, glücklich sein zu wollen. Es war die Erkenntnis, auf der das Zero Requiem beruht hatte, und eine Weisheit, auf die eine gewisse Unsterbliche immer wieder gerne verwies.

„Verstehe...“

Auf einmal war Lelouch nicht mehr nach belanglosen Plaudereien zumute. Noch weniger verlockend jedoch erschienen ihm ernstere Gesprächsthemen, also nahm er sich zusammen und erkundigte sich: „Wie ist die Anhörung gelaufen?“ Und dann überkam ihn ein mittlerweile nur allzu vertrautes Gefühl, das alles um ihn herum ein kleines bisschen weniger real erscheinen ließ, und er fügte hinzu: „Dass du hier eingeschrieben wurdest…“

„Ich war auch überrascht“, gestand Suzaku und strahlte dabei regelrecht. „Ich hätte nicht gedacht, dass du auch hier sein würdest…“ Dann wich er auf einmal wieder seinem Blick aus, einen sanften Ausdruck in den Augen. „Dafür ist sicher eine gewisse Person verantwortlich. Sie sagte: ‚Wenn du siebzehn bist, solltest du auch zur Schule gehen.’“

Unmerklich zuckte Lelouch zusammen.

Euphie, dachte er, und sein Herz verkrampfte sich schmerzhaft. Aber er zwang sich zu einem Lächeln, trat einige Schritte von der Brüstung zurück und blickte über die Schulter hinweg zu Suzaku. „Kommst du mit?“
 

~
 

„Ich bin wieder da, Onii-sama.“

Lelouch sah auf und lächelte. „Willkommen zurück, Nanali, Sayako.“ Er setzte den Fuß auf den Boden, der aufgrund seiner überschlagenen Beine in der Luft gehangen hatte, und drehte sich auf seinem Stuhl herum. Als sich die Tür hinter seiner kleinen Schwester und der japanischen Haushaltshilfe schloss, erhob er sich von seinem Platz am Esstisch und offenbarte Nanali: „Ich habe heute ein Geschenk für dich dabei.“

Seine Schwester lächelte. „Oh“, machte sie überrascht. „Ich frage mich, was es ist.“

Grinsend suchte Lelouch Sayakos Blick und presste einen Finger an die Lippen. Als die junge Frau daraufhin verwundert den Kopf schräg legte, nahm er die Hand wieder herunter, wandte sich um in Richtung Nebenzimmer und winkte ihren Gast herein.

Suzaku näherte sich Nanali nur zögerlich. Schon nach wenigen Schritten musste er erst einmal innehalten und sich merklich zusammennehmen, bevor er sich wieder in Bewegung setzte, und selbst dann hielt seine neugefundene Entschlossenheit nicht lange vor: Sobald er bei Nanali angekommen war, verharrte er abermals und sah suchend zu Lelouch hinüber. Dieser fragte sich unwillkürlich, ob Suzaku lediglich die Ermutigung eines Freundes suchte, oder ob er sich nicht vielleicht noch einmal seiner Zustimmung vergewissern wollte. In ihrer Kindheit hatte Lelouch es niemals gerne gesehen, wenn jemand seiner Schwester zu nahe gekommen war – Suzaku war eine Ausnahme gewesen, aber das auch nicht von Anfang an. Noch zu gut erinnerte Lelouch sich daran, wie sie sich schon kurz nach ihrer ersten Begegnung an die Gurgel gegangen waren, weil sein späterer bester Freund es gewagt hatte, Nanalis Haar zu berühren.

Aber was auch immer der Grund für Suzakus Zögern war, als Lelouch lächelnd nickte, überwand er seine Scheu und kniete sich neben Nanalis Rollstuhl auf den Boden. Mit einem warmen Lächeln nahm er ihre Hand in die seine, und wenngleich Nanali daraufhin zunächst nur ein weiteres überraschtes „Oh“ von sich gab, dauerte es kaum zwei Sekunden, bis sie begriff.

„Diese Hände…“, murmelte sie und strich mit den Fingern darüber, wie um sich noch einmal zu vergewissern. Dann sagte sie mit einer Stimme, die vor Erleichterung bebte: „Ich bin so froh… du bist also doch in Sicherheit.“ Sie führte Suzakus Hände an ihre linke Wange, die inzwischen feucht von Tränen war, und drückte sie an sich.

Suzaku lächelte, und Lelouch musste sein Gesicht nicht sehen können, um zu wissen, dass ein weicher Ausdruck in seine Augen getreten war. „Es ist lange her…, Nanali.“
 

„Suzaku-san, du kannst doch heute Nacht bei uns bleiben, oder?“

Während sie alle gemeinsam Tee getrunken und Kuchen gegessen hatten, war eine behagliche Atmosphäre entstanden, und obwohl es zu keiner richtigen Konversation gekommen war, schien Nanali nicht vorzuhaben, Suzaku so schnell wieder gehen zu lassen. Lelouch war nicht überrascht, konnte aber dennoch nicht verhindern, dass ein kleines Schmunzeln seine Mundwinkel hob.

Schon damals hatte er ähnlich wie Nanali empfunden, und nun stellte er fest, dass sich daran auch nach all der Zeit und dem Zero Requiem nichts geändert hatte. Ein Teil von ihm glaubte noch immer, dass dies ein Musterbeispiel dafür war, wie die Dinge eigentlich sein sollten, und für einen flüchtigen Moment wünschte er sich, jegliche Logik vergessen und sich von seinen Emotionen überzeugen lassen zu können.

Allerdings achtete er sehr genau darauf, sich nichts von seinen inneren Grübeleien anmerken zu lassen, als er seiner kleinen Schwester mitteilte: „Suzaku ist jetzt auch ein Schüler hier. Du kannst ihn also sehen, wann immer du willst.“

„Wirklich?“ fragte Nanali, und ihr Tonfall verriet, wie sehr diese Nachricht sie freute.

Suzaku lächelte leicht. „Ich habe einen Job beim Militär“, wandte er entschuldigend ein, „daher kann ich nicht jeden Tag herkommen.“

Noch bevor er den Satz beendet hatte, war die Heiterkeit auf Nanalis Zügen von einem besorgten Ausdruck abgelöst worden. „Beim Militär…“, wiederholte sie leise. „Willst du etwa dort weiterarbeiten?“

„Keine Sorge“, beeilte Suzaku sich, ihre Bedenken zu zerstreuen. „Ich wurde in die Technik-Abteilung versetzt. Dort ist es nicht so gefährlich.“ Lelouch sah das warme Lächeln, mit dem sein bester Freund seine kleine Schwester bedachte, und fragte sich, ob Suzaku vielleicht der bessere Lügner von ihnen beiden war.

„Ah, verstehe“, kommentierte er. „Die Technik-Abteilung also.“ Seinem Tonfall jedoch war nichts zu entnehmen, was auf den vorübergehenden Anflug von Zynismus hätte schließen lassen. Er griff nach der weißen Teekanne aus Porzellan, die in der Mitte des großen Holztisches stand, und schob seinen Stuhl zurück.

„Lass mich dir helfen.“ Suzaku machte Anstalten, sich ebenfalls zu erheben, und Lelouch spürte, wie seine Laune sich augenblicklich wieder besserte.

„Bleib sitzen“, sagte er belustigt. „Wir sind dieses Mal die Gastgeber.“

Für einen Moment starrte sein Freund ihn nur überrascht an, aber dann glitt ein Lächeln auf seine Züge und er nahm wieder Platz.

Lelouch schmunzelte. „Du bist sehr höflich geworden“, bemerkte er – ehrlich amüsiert, auch wenn es nicht das erste Mal war, dass er das feststellte.

Suzaku blieb unbeeindruckt. „Und du bist ungehobelt geworden“, erwiderte er leichthin.

Lelouch schnaubte belustigt und begann mit dem Abräumen.
 

~
 

„Komm irgendwann wieder vorbei“, verabschiedete Lelouch sich von seinem Freund, als sie sich im Hauseingang gegenüberstanden. Inzwischen waren es nur noch wenige Stunden bis Mitternacht, aber wenn es nach ihm ginge, hätte Suzaku ruhig noch eine Weile bleiben können. „Nanali würde sich auch freuen.“

Suzaku nickte, senkte jedoch gleich darauf den Blick. „Aber…“

„Aber?“, wiederholte Lelouch und hob die Brauen. Insgeheim allerdings ahnte er bereits, was der andere Junge als nächstes sagen würde, und er hatte beschlossen, ihm seine egoistische Selbstlosigkeit dieses Mal nicht durchgehen zu lassen.

Suzaku zögerte nur für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er den Kopf hob und ihm direkt in die Augen sah. „Lelouch“, sagte er eindringlich, „während wir in der Schule sind, kennen wir uns nicht.“

Lelouch sah die Entschlossenheit im Blick seines Freundes und konnte nicht anders, als beeindruckt zu sein. Anstatt sich jedoch wie beim letzten Mal davon überzeugen zu lassen, fühlte er sich nur noch in seinem eigenen Entschluss bestärkt.

Er trat einen Schritt vor und schloss die Tür hinter sich. „Nein.“

Das brachte Suzaku aus dem Konzept. „Was?“

„Nein“, sagte Lelouch noch einmal. Sein Tonfall war so sachlich, als spräche er über eine unveränderliche chemische Formel. „Ich werde nicht so tun, als wären wir Fremde.“

Suzaku starrte ihn noch einen Augenblick länger verständnislos und mit offenem Mund an, dann schüttelte er den Kopf. „Du versteht nicht, Lelouch. Wenn herauskommt, dass wir uns kennen-“

„Wird auch gleich unsere ganze Vergangenheit ans Tageslicht gebracht werden?“, unterbrach Lelouch ihn und hob amüsiert die Brauen. „Du vergisst, wer von uns beiden der Stratege ist, Suzaku.“ Während er sprach, lehnte er sich gegen das kühle Holz in seinem Rücken und verschränkte die Arme. „Glaubst du wirklich, jemand könnte auf die Idee kommen, ich sei ein totgeglaubter Prinz, nur weil wir beide uns zufällig schon einmal irgendwo außerhalb der Schule begegnet sind?“

Lelouch war überrascht, als Suzaku sich tatsächlich die Zeit nahm, über seine Argumente nachzudenken, nachdem er den ersten Schock überwunden hatte. Schließlich jedoch setzte erneut dazu an, ihm zu widersprechen: „Aber was, wenn-“, begann er.

Lelouch ließ ihn nicht ausreden. „Wenn du mich loswerden willst“, fiel er seinem Freund ins Wort, „brauchst du es nur sagen.“ Während er die Worte sprach, hielt er seine Stimme so neutral wie nur möglich, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Natürlich wusste er, dass Suzaku ihn nicht loswerden wollte, aber er hatte genug davon, wie sein bester Freund sein eigenes Wohl stets dem anderer unterordnete. Und auch wenn er den Schaden, den Suzakus permanente Schuldgefühle und Selbstvorwürfe innerhalb von sieben Jahren angerichtete hatten, mit Sicherheit nicht von heute auf morgen beheben können würde, musste er schließlich irgendwo anfangen, wenn er Ergebnisse erzielen wollte.

Suzakus Reaktion auf seine Unterstellung fiel ebenso unmittelbar wie heftig aus. Seine Augen weiteten sich und er starrte Lelouch mit einer Mischung aus Schock und Entsetzen auf den Zügen an. „D-das ist es nicht!“, versicherte er ihm hastig. „Ich…“ Aber da schienen ihn auch schon die Worte zu verlassen, und er schloss den Mund wieder, um sich in stummer Bestürzung den Kopf darüber zu zerbrechen, wie er die Situation entschärfen sollte.

Es war ein ausgesprochen erheiternder, aber doch ziemlich jämmerlicher Anblick, und Lelouch brachte es nicht übers Herz, seinen Gesichtsausdruck weiterhin nichtssagend zu halten und in aller Ruhe abzuwarten, während Suzaku sich förmlich überschlug, weil er verhindern wollte, dass er einen falschen Eindruck bekam.

„Schon gut“, sagte er, wobei er sich keine Mühe gab, seine Belustigung zu verbergen. „Ich habe mir nur einen Scherz erlaubt.“

Suzaku starrte ihn noch ein paar Sekunden länger an, bevor er ungläubig den Kopf schüttelte. „Keinen besonders lustigen“, gab er nach einem weiteren kurzen Schweigen zurück. Aber trotz des unverkennbaren Vorwurfs in seiner Stimme lag nicht einmal ein Hauch von Verärgerung darin, und seine Körperhaltung hatte sich merklich entspannt.

Lelouch zuckte die Achseln. „Ich habe nun mal einen schlechten Humor.“

„Kann man wohl sagen.“ Doch Suzaku schaffte es nicht, auch nur ansatzweise beleidigt zu klingen, und Lelouch gestattete sich ein Schmunzeln.

„Überlass das Denken in Zukunft einfach mir“, riet er seinem Freund.

Dieser schnaubte leise, aber dann wurde sein Gesichtsausdruck wieder ernster. „Lelouch…“

Lelouch sah das Unbehagen in den grünen Augen und lächelte. „Wenn du dir wirklich so viele Sorgen machst, können wir uns morgen noch einmal vor der Schule treffen“, schlug er vor. „Ich lasse mir bis dahin eine Geschichte einfallen.“

Suzaku schien immer noch nicht ganz überzeugt, aber es dauerte nicht lange, bis er sich geschlagen gab. „In Ordnung“, sagte er nach einem letzten Zögern langsam. „Dann… bis morgen.“

„Aa“, erwiderte Lelouch, insgeheim sehr zufrieden mit sich. „Bis dann.“

Unerwartet legte sich noch einmal ein Lächeln auf die Lippen seines Freundes. „Danke für heute“, sagte er und wandte sich um. „Es hat Spaß gemacht.“ Kaum hatte er geendet, machte Suzaku ein paar Schritte nach vorne, bevor er noch einmal stehen blieb und weitersprach: „Ich bin… ziemlich glücklich“, ließ er Lelouch wissen, die Wärme in seiner Stimme unüberhörbar. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich das noch einmal sagen könnte.“

Lelouch sah zu, wie sein Freund sich wieder in Bewegung setzte und nach und nach von der Dunkelheit der Nacht geschluckt wurde, und fragte sich, woher das beklemmende Gefühl kam, das dabei Besitz von ihm ergriff.
 


 


 


 


 

_________________

Sagt nichts - ich bin langsam.

Und ich kann nicht versprechen, dass es in Zukunft schneller vorangehen wird. Es liegt nicht einmal daran, dass ich so viele andere (zumeist wesentlich kleinere) Projekte nebenbei laufen habe. Viel eher sind es bestimmte Szenen und mein Perfektionismus, die sich hinterlistig mit meinem RL paaren und das Ganze teilweise sehr hinauszögern.

Ich hoffe, es nimmt mir niemand allzu übel - vor allem, weil gut die Hälfte dieses Kapitels sich wie angekündigt stark an die entsprechende Episode anlehnt. Allerdings waren mir diese Szenen wichtig; eben aufgrund dessen, was darin nicht laut von den Charakteren ausgesprochen wird. Ich habe nicht vor, es mir zur Gewohnheit zu machen, Dialoge beinahe vollständig aus dem Anime zu übernehmen.

Dass mich Kommentare grundsätzlich glücklich machen, brauche ich wohl kaum noch zu erwähnen. Was Milly angeht, kann ich nur sagen, dass sie in dieser Fanfic durchaus eine Rolle spielen wird, auch wenn Lelouch nach wie vor dazu neigt, seine Freunde von seinen nicht ganz ungefährlichen Aktivitäten als berüchtigter Staatsfeind fernhalten zu wollen. Und ja, Verbündete kann der Gute definitiv gebrauchen, weshalb viele der Leute um Lelouch herum auch nicht nur unwichtige Nebenrollen einnehmen werden.

Im nächsten Kapitel begegnen uns perplexe Schüler, frustrierte Verwandte und tote Menschen! Und wenn ich mich entschieden habe, in welcher Reihenfolge, sage ich mir Bescheid.

Das Manipulieren von Schülerschaften

Der Mann hastete durch die unbeleuchteten Gassen, ohne sich auch nur ein einziges Mal nach den vielen Gefahren umzusehen, die einem unbescholtenen Bürger des Nachts in einer Großstadt auflauern konnten. Er hielt nicht inne, um seinen Mantel gegen die mitternächtliche Kälte zuzuknüpfen, und er zögerte nicht einmal, als irgendwo hinter ihm eine Mülltonne mit lautem Krachen von einer hungrigen Straßenkatze zu Boden geworfen wurde.

Über ihm war der Mond so schmal, dass er genauso gut nicht hätte vorhanden sein können, und außer ihm war weit und breit keine Menschenseele zu sehen.

Dennoch war es laut um ihn herum, so laut, und alles, was ihn interessierte, war, so weit von den Stimmen wegzukommen wie möglich.

Weiter und weiter und weiter…

Er versuchte, sich auf den Klang seiner Schuhe auf dem Asphaltboden zu konzentrieren, aber es half nichts, und er drehte die Lautstärke seiner Kopfhörer weiter auf, bis er nur noch eine Stimme hörte. Ihre Stimme.

Er lächelte so breit, dass seine Mundwinkel schmerzten, und bemerkte vor Verzückung nicht, dass sich ihm jemand in einem gemächlichen, aber stetigem Tempo näherte. Erst als die Schritte direkt hinter ihm an den Wänden widerhallten, drehte er sich um und starrte in das Gesicht der Person, die sich so effektiv an ihn herangeschlichen hatte.

Zunächst war es Überraschung, die sich auf seinen Zügen spiegelte, aber dann weiteten seine Augen sich, und sein Gesicht hellte sich auf wie das eines Kindes, das soeben ein Spielzeuggeschäft geschenkt bekommen hat. Er riss sich die Kopfhörer herunter und breitete die Arme aus.

„Du bist zurückgekommen“, sagte er mit einer Stimme, die vor Erregung bebte. „Ich wusste, dass du zu mir zurückkommen würdest.“

Es entmutigte ihn nicht, dass die ausdruckslose Mine der Frau vor ihm sich ob seiner überschwänglichen Begrüßung kein bisschen veränderte, und dass ihrem Blick alles andere als Heiterkeit innewohnte, bemerkte er erst gar nicht. Stattdessen sah er nur das einzigartige Gold ihrer Iriden und das ebenso unverwechselbare Grün ihres Haares und wollte nichts mehr weiter, als ihr nahe zu sein.

Er machte einen Schritt vor, auf sie zu, und die Frau rührte sich noch immer nicht, sondern fuhr damit fort, ihn mit Augen anzusehen, in denen eine unendliche Traurigkeit lag, derer er sich niemals gewahr werden würde.

„Es tut mir leid, Mao“, sagte sie, die Stimme ebenfalls angefüllt mit Emotionen – Emotionen, die nicht minder eindeutig waren als die ihres Gegenübers und dem Mann als Warnung hätten dienen können, wenn er darauf geachtet hätte.

Aber alles, was er hörte, waren ihr sanfter Tonfall und die Art, wie sein Name aus ihrem Mund klang, und mit einem nachgerade ekstatischen Grinsen auf den Lippen streckte er den Arm aus, um sie zu berühren.

Endlich, nach all der Zeit…

In seiner Euphorie bemerkte er die Waffe erst, als sie bereits auf seine Stirn zielte.

Ihm blieb kaum genügend Zeit, Verwunderung zu empfinden, da hatte die Kugel sich auch schon in seine Schädeldecke gebohrt. Das Letzte, was er sah, war das Gesicht der Frau, die er die ganzen Jahre über gesucht hatte – aber niemals der trostlose Blick, mit dem sie beobachtete, wie er leblos zu Boden stürzte.
 

~
 

„Und daher weißt du, dass a größer sein muss als Null“, beendete Lelouch seinen Vortrag und sah seinen Sitznachbarn abwartend an.

Dieser nickte langsam. „Ich glaube, ich habe es verstanden.“

„Gut.“ Lelouch schlug sein Buch zu und bedachte Suzaku mit einem zufriedenen Lächeln. „Wenn du noch mehr Fragen hast, sag einfach Bescheid.“

„Danke, aber es gibt ziemlich viel, was ich nachholen muss“, gab sein Freund zu bedenken. „Vielleicht könntest du mir stattdessen ein paar von deinen Unterlagen leihen... wäre das in Ordnung für dich?“

„Natürlich“, erwiderte Lelouch mit einem unbekümmerten Schulterzucken. Es war ja nicht so, als würde er seine alten Notizen noch selbst brauchen - so spärlich diese auch sein mochten.

Suzaku lächelte. „Danke.“

„Kein Problem.“ Lelouch lächelte zurück. „Hast du heute Nachmittag Zeit?“

Sein Freund öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber dann erschallte draußen auf dem Gang plötzlich ein gedämpftes Kichern, und er brach ab. So ruckartig, als hätte er eine Explosion und keinen harmlosen Laut der Belustigung vernommen, fuhr Suzakus Kopf herum zu der nahegelegenen Tür des Klassenraumes, von der sie beide wussten, dass sie nur angelehnt und nicht verschlossen war.

Im ersten Moment war Lelouch ebenfalls überrascht, aber er realisierte schnell, dass das Gekicher lediglich Teil einer geflüsterten Unterhaltung war, die draußen auf dem Flur an den Wänden widerhallte und zwar allmählich lauter zu werden schien, aber mit ziemlicher Sicherheit in keinerlei Bezug zu ihnen stand.

Sobald ihm das bewusst geworden war, störte er sich nicht weiter daran und wandte sich wieder seinem besten Freund zu, nur um festzustellen, dass dieser inzwischen zur Salzsäule erstarrt war.

Allem Anschein nach war Suzaku schlagartig wieder bewusst geworden, wo sie sich befanden und was sie da taten, und es bestand kein Zweifel daran, dass er wesentlich lieber einem beliebigen Ort am anderen Ende der Welt einen Besuch abgestattet hätte, als diese Sache wirklich durchzuziehen.

Lelouch wartete ein paar Sekunden, bevor er zu dem Schluss kam, dass sein Freund sich von alleine so schnell nicht wieder einkriegen würde, und das Kinn auf die Handfläche stützte. „Meinst du, der Lehrer würde es mir übelnehmen, wenn ich mich gleich noch eine Runde schlafen lege?“, fragte er leichthin.

Suzaku riss den Blick von der angelehnten Tür los und starrte ihn an, wobei sein Gesichtsaudruck ein bisschen dem eines Rehs im Scheinwerferlicht glich - es war schon erstaunlich, wie irrationale Bedenken jemandem die Nerven rauben konnten.

Lelouch dagegen musste sich trotz leicht erhöhten Adrenalinpegels nicht anstrengen, um vollkommen gelassen zu wirken, und er schenkte seinem Freund ein Lächeln, das teils aufmunternd und teils verschwörerisch war.

Im ersten Augenblick wirkte Suzaku verdutzt, aber schon bald darauf trat ein weicher Ausdruck in seine Augen, und er lächelte zurück.

Als wenig später die beiden Mädchen hereinkamen, welche schon auf dem Gang zu hören gewesen waren und die nach ihnen die ersten waren, die an diesem Morgen das Klassenzimmer betraten, unterhielten die zwei Freunde sich bereits wieder so angeregt miteinander, dass sie den Eindruck erweckten, es nicht einmal zu bemerken, als die Neuankömmlinge nach wenigen Schritten abrupt innehielten, verstummten und sie anstarrten, als wären sie eine Geistererscheinung.
 

~
 

„Ihr… beide kennt euch also?“ Rivalz hatte zwei Pausen und mehrere Schulstunden gebraucht, um sich dazu zu überwinden, nahe genug an sie heran zu treten, um diese Frage zu stellen, und obwohl seine Stimme nicht besonders laut war, durchschnitt sie die Stille wie ein Schwert.

Das Getuschel, das den ganzen Tag über geherrscht hatte, war in dem Moment versiegt, in dem es offensichtlich geworden war, dass der Sekretär des Schülerrats tatsächlich auf dem Weg zu der spärlich besetzten hintersten Reihe war, um seinen Freund auf das anzusprechen, was inzwischen jeden einzelnen der Anwesenden beschäftigte, und nun hielt das gesamte Klassenzimmer den Atem an, während es auf Lelouchs Reaktion wartete.

Es war jene Art von angespannter Atmosphäre, in der ein herunterfallender Bleistift zwar von niemandem überhört worden wäre, aber vermutlich keine einzige Person dazu veranlasst hätte, auch nur den Kopf danach zu drehen – schließlich wollte niemand verpassen, was als nächstes geschehen würde.

Lelouch war sich der Aufmerksamkeit, die auf ihm ruhte, nur allzu bewusst, und er hatte den ganzen Morgen auf diesen Moment gewartet. Anfangs war er sich nicht sicher gewesen, ob Shirleys unerwartete Abwesenheit sich vorteilhaft oder negativ auf sein Vorhaben auswirken würde, aber nun, da ein Junge an ihre Stelle getreten war, dem das Unbehagen förmlich ins Gesicht geschrieben stand, entschied er, dass das Warten sich gelohnt hatte. Er sah von seinem Heft auf und amüsierte sich insgeheim darüber, wie der sonst so gesellige Rivalz sich unter seinem Blick wand wie die Maus sich unter dem der Katze.

Lelouch kostete den Moment etwas länger aus als strategisch sinnvoll, dann setzte er sein arglosestes Lächeln auf und widmete sich ganz seiner Absicht, so aufrichtig wie nur möglich zu wirken. Es war ein Kinderspiel.

„Aa“, bestätigte er leichthin und achtete darauf, so klar und deutlich zu sprechen, dass man ihn mühelos bis hin zum verlassenen Lehrerpult verstehen konnte. „Wir sind uns früher schon einmal begegnet, als wir noch Kinder waren.“ Es war immer besser, eine Lüge auf einer Tatsache aufzubauen - man musste nur sicherstellen, dass niemand lange genug über die Fakten nachdenken würde, um Gelegenheit zu haben, die Umstände in Frage zu stellen. „Und erinnerst du dich noch an den Anschlag auf das Stadtzentrum letztes Jahr?“, lenkte Lelouch die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer daher sogleich auf einen anderen Aspekt seiner Geschichte. „Es gab keine Verletzten, aber wenn Suzaku nicht gewesen wäre, wäre ich vermutlich dabei umgekommen.“ Er gab vor, einen Augenblick zu zögern, bevor er fortfuhr: „Ich habe nichts gesagt, weil ich nicht wollte, dass Nanali sich Sorgen macht. Aber jetzt…“

„Ich dachte auch nicht, dass wir uns noch einmal wiedersehen würden“, steuerte Suzaku bei, ein ungekünsteltes Lächeln auf den Lippen. Der unterschwellige Ausdruck in seinen Augen, der einem wachsamen Beobachter bis dahin noch verraten hätte, dass er sich nicht ganz wohl in seiner Haut fühlte, war in dem Moment verschwunden, in dem er den Mund geöffnet hatte.

Während der Rest der Zuhörer damit beschäftigt war, die soeben erhaltenen Informationen auszuwerten und mit den zahlreichen Gerüchten zu vergleichen, die schon den ganzen Morgen ihre Runde machten, suchte Rivalz offenbar verzweifelt nach einer geeigneten Erwiderung.

Obwohl Lelouch sich beinahe sicher war, dass der Sekretär des Schülerrats kein Problem mit Suzakus Herkunft hatte, so legte selbst Rivalz in Situationen wie dieser wohl einen gewissen Wert darauf, nicht allzu taktlos zu wirken, und war infolgedessen leicht überfordert mit der aktuellen Lage.

Ein Glück, dass andere Leute da nicht so zu zurückhaltend waren.

„Tatsächlich?“, erhob sich plötzlich eine überaus interessiert klingende Stimme über das allgemeine Schweigen und brachte die angespannte Atmosphäre zum Bröckeln wie ein Abrisshammer ein altersschwaches Hochhaus. Lelouch wandte den Blick von Rivalz ab und war nicht so überrascht, wie er es eigentlich hätte sein sollen, Milly aus dem Türrahmen treten und auf sie zukommen zu sehen.

Wenig später stand die Schülerratspräsidentin dann auch schon vor ihnen, und Lelouch fragte sich, ob er sich vielleicht langsam verfolgt fühlen sollte – das hier war ganz sicher nicht der Klassenraum, in dem die Blonde in ein paar Minuten Unterricht haben würde. Nicht, dass sie sich dieser Kleinigkeit hätte aufhalten lassen.

„Sei froh, dass Shirley nicht hier ist“, teilte Milly ihm mit und hob mahnend den Zeigefinger. „Nanali ist nämlich nicht die Einzige, die nicht glücklich darüber wäre zu erfahren, dass du dich in Gefahr gebracht und die Sache dann einfach verschwiegen hast.“ Sie maß ihn noch einen Moment lang ungewohnt strengen Blickes, bevor sie den Arm wieder senkte und sich Suzaku zuwandte. „Du hast Lelouch also das Leben gerettet?“, wollte sie wissen.

Suzaku, der im Gegensatz zu Lelouch noch nicht an Millys freimütige Art gewöhnt war, starrte sie zunächst einfach nur an. „Ich…“, begann er schließlich, aber offenbar hatte die direkte Frage ihn in seiner Entschlossenheit zum wanken gebracht, denn weiter kam er auf die Schnelle nicht.

Lelouch beschloss, ihm zumindest diese eine Halbwahrheit zu ersparen. „Das hat er“, gab er an Stelle seines Freundes zurück, wobei er die blonde Schülerratspräsidentin mit einem einnehmenden Lächeln bedachte. „Und ich wollte dich fragen, ob-“ Aber in diesem Moment betrat der Lehrer den Raum, und Lelouch brach ab.

„Ah, ich sollte mich wohl besser beeilen“, sagte Milly halblaut, sobald sie Lelouchs Blick gefolgt war. „Wir reden später weiter, ja?“

Erst als Milly auf den Gang hinaus getreten war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, fiel Lelouch auf, dass Rivalz sich inzwischen ebenfalls wieder auf seinen Platz zurückgezogen hatte. Er sah dem Sekretär des Schülerrats dabei zu, wie er eifrig etwas in sein Heft kritzelte, bis er irgendwann seinen Blick bemerkte und aufsah. Lelouch hob eine Braue, und Rivalz schenkte er ihm ein kurzes, verlegenes Lächeln, bevor er sich wieder seinen Unterlagen zuwandte und damit fortfuhr, dem bemitleidenswerten Papier unter seinen Händen zuzusetzen.

Lelouch zuckte mental die Achseln und ließ unauffällig den Blick schweifen. Rivalz und Milly hatten die kleine Inszenierung gut aufgenommen, aber das war auch zu erwarten gewesen. Der Rest der Klasse dagegen ließ sich nicht ganz so leicht davon überzeugen, dass es sich bei dem neuen Schüler keineswegs um ein menschenfressendes Monster handelte, und war dazu übergegangen, ab und an einen verstohlenen Blick über die Schulter zu werfen, während er versuchte, sich eine Meinung zu bilden. Die Ausnahme bildeten ein paar Mädchen und Jungen in den beiden Reihen direkt vor ihnen, die wohl etwas subtiler waren als der Großteil ihrer Klassenkameraden, und Kallen, deren forschender Blick gleich für mehrere Sekunden am Stück, aber dafür auch nur ein einziges Mal auf Suzaku und ihm ruhte.

Lelouch verkniff sich ein zufriedenes Lächeln und wandte sich der Tafel zu, um zumindest für eine kleine Weile so zu tun, als ob der Unterricht ihn interessierte. Dabei bemerkte er den besorgten Gesichtsausdruck, mit dem sein Sitznachbar ihn anscheinend schon die ganze Zeit über bedachte, und kam zu dem Schluss, dass das Umstimmen der Schülerschaft zwar alles andere als ein Zuckerschlecken, aber nichts im Vergleich zu der subtilen Manipulation war, die er noch aufbringen müsste, bevor er seinen besten Freund endlich da hatte, wo er ihn haben wollte.
 

~
 

„Ist irgendetwas vorgefallen?“

Die aus heiterem Himmel gestellte Frage ließ Lelouch mitten in der Bewegung innehalten. Für den Bruchteil einer Sekunde verharrte seine Hand regungslos in der Luft, bevor er behutsam seinen Springer absetzte. „Schachmatt“, sagte er sachlich, bevor er aufsah und in beinahe demselben Tonfall fragte: „Wie kommst du darauf?“

Clovis unterdrückte den Impuls, verdutzt den Kopf darüber zu schütteln, wie begriffsstutzig sein Bruder manchmal sein konnte, und bedachte den Jungen stattdessen mit einem Blick, der in etwa dasselbe ausdrückte, in seiner Wirkung aber wesentlich herablassender war. „Mal sehen…“, begann er gedehnt. „Keine sarkastischen Bemerkungen, keine nebulösen Andeutungen, keine geistreichen Seitenhiebe… und nach drei verlorenen Partien verspüre ich immer noch kein unbändiges Verlangen, dich in hohem Bogen zur Tür hinaus zu werfen.“ Sobald er seine kleine Aufzählung zu einem Ende gebracht hatte, lehnte er sich in seinem Sessel zurück und wölbte die Brauen. „Sofern nicht gerade dein Goldhamster gestorben ist, bin ich mir sicher, dass mich der Grund dafür durchaus interessieren dürfte.“

Tatsächlich hätte er sich inzwischen auch jederzeit die tragische Geschichte eines verschiedenen Nagetieres angehört, aber er hatte nicht vor, das volle Ausmaß seiner Verzweiflung offenkundig zu machen, indem er das laut zugab.

Auf der anderen Seite des Tisches verschränkte Lelouch die Arme. „Vielleicht habe ich einfach gute Laune?“, gab er zu bedenken und bewies damit einmal wieder, wie geschickt er darin war, Fragen auszuweichen, die er aus irgendeinem Grund nicht beantworten wollte.

Dieses Mal jedoch würde sein Bruder es nicht ganz so einfach haben wie sonst.

„Vielleicht“, stimmte Clovis ihm liebenswürdig zu. „Aber das heißt nicht, dass es keinen Grund dafür geben kann.“

„Ist das so?“ Lelouch betrachtete ihn mit einer Miene, die genauso nichtssagend war wie sein Tonfall, und zuckte schließlich die Schultern. „Ich hatte nur einen guten Tag - das ist alles.“

Neugierig beugte Clovis sich etwas nach vorne. „Oh?“

„Eine Schulveranstaltung“, erklärte Lelouch knapp. „Nichts, was dich interessieren würde.“

„Das bezweifle ich. Aber wenn du es mir nicht sagen willst, werde ich wohl damit Leben müssen.“

Falls Lelouch diese Diskretion allerdings zu schätzen wusste, ließ er es sich nicht anmerken. „Aa“, sagte er nur und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Schachbrett.

Clovis spürte, wie seine Nägel sich vor Frustration in das weiche Material des Sessels gruben. Er hatte nicht vor, sich in die Angelegenheiten seines Bruders einzumischen – noch nicht -, und es war ihm trotz brennender Neugierde sogar gelungen, in seinen Versuchen, ihn ein wenig auszuhorchen, nicht übermäßig aufdringlich zu sein. Aber nun war seine Geduld im Begriff, an ihre Grenzen zu stoßen, und der unverkennbare Gleichmut, mit dem er sich nicht zum ersten Mal konfrontiert sah, erschwerte es ihm zusätzlich, weiterhin an seiner ursprünglichen Strategie festzuhalten.

Er kämpfte die Gereiztheit nieder, die für den Bruchteil einer Sekunde in ihm aufflackerte, und bemühte sich darum, eine möglichst teilnahmslose Miene beizubehalten. „Wo warst du gestern?“, fragte er in einem unverbindlichen Tonfall, von dem er jedoch wusste, dass er Lelouch nicht täuschen würde.

Dieser hob die Schultern. „Beschäftigt.“

„Was du nicht sagst. Und womit?“

„Würdest du die Sache auf sich beruhen lassen, wenn ich dir sage, dass ich meinen Goldhamster beerdigt habe?“

Clovis schnaubte. Wenn sein kleiner Bruder meinte, ihm immer wieder aufs Neue klarmachen zu müssen, dass er nur seine Zeit verschwendete, konnte er ihn nicht daran hindern - aber das hieß nicht, dass er eine derart unsubtile Gegenfrage auch noch mit einer Antwort würdigen musste. Wortlos erhob er sich und schritt zu dem Fenster hinüber, das sich beinahe direkt hinter Lelouch und wenige Zentimeter von dem Fernseher entfernt in der Wand befand. Es war ohne jeden Zweifel winzig und viel zu hoch gelegen, als dass es eine zufrieden stellende Aussicht geboten hätte, aber das war im Moment vollkommen irrelevant.

Besser eine farblose Tapete als unausstehliche jüngere Geschwister.

„Hast du vor, mir überhaupt jemals irgendetwas zu erzählen, oder sollte ich vielleicht dazu übergehen, in Zukunft nur noch Konversation mit Wänden und Möbelstücken zu betreiben?“

„Wenn es nur diese zwei Möglichkeiten gibt“, erwiderte Lelouch ohne zu zögern, und Clovis musste sich nicht erst zu ihm umdrehen, um zu wissen, dass sein Bruder unbekümmert mit den Achseln zuckte, „solltest du dich vielleicht tatsächlich lieber dem Mobiliar zuwenden.“

Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Clovis hatte geglaubt, mit genug Zeit könnte er Lelouch dazu bringen, ihm bedeutsamere Dinge als den Wetterbericht anzuvertrauen – besonders, weil es für ein paar Tage tatsächlich den Anschein gehabt hätte, als wären sie auf dem besten Weg zu einem weniger angespannten Verhältnis zueinander -, doch nun wurde ihm klar, wie töricht er gewesen war. Sein Bruder mochte nicht mehr das Schlimmste von ihm denken, aber das bedeutete nicht, dass Lelouch ihm gegenüber keinerlei Vorbehalte mehr hegte.

Oder vielleicht war die Kluft, die sich in all den Jahren zwischen ihnen gebildet hatte, einfach zu groß, als dass Lelouch irgendeinen Grund dazu sähe, sie jetzt noch zu überbrücken

Doch letzten Endes war es einerlei. Denn was auch immer der Grund für Lelouchs Verhalten sein mochte, Clovis hatte genug davon, und wenn er immer nur so weitermachte wie bisher, würde es ihm niemals gelingen, die Bedenken seines Bruders zu zerstreuen.

Mit dieser Erkenntnis überließ er zum ersten Mal seit langem seinen Emotionen die Oberhand und fuhr herum. Selbst wenn ihn ein Streitgespräch vermutlich genauso wenig weiterbringen würde wie alles andere, so war es doch zumindest eine Möglichkeit, seinem über mehrere Tage hinweg angestauten Ärger Luft zu machen.

Nachdem er sich umgedreht hatte, war Clovis nicht überrascht zu sehen, dass Lelouch ihm noch immer den Rücken zukehrte und müßig mit einer der schwarzen Schachfiguren spielte. Wie so oft in letzter Zeit schien er mit den Gedanken weit weg zu sein, und das stachelte Clovis’ Zorn nur noch mehr an. Es war, als nähme sein Bruder die meiste Zeit über erst gar keine Notiz von ihm - und wenn er seine Existenz dann doch einmal wahrnahm, dann nur am Rande und ohne sich groß darum zu scheren.

Ja, beschloss Clovis, er hatte definitiv genug.

„Lelouch-“, setzte er an und legte dem jüngeren Prinzen eine Hand auf die Schulter, damit dieser ihn wenigstens ansah, wenn er mit ihm sprach. Er war genervt und aufgebracht und er hatte nicht vor, weiterhin einen Hehl daraus zu machen.

Aber dann bemerkte er, wie sein Bruder sich unter der plötzlichen Berührung versteifte, und infolge der daraus resultierenden Verblüffung hielt er seine kleine Tirade lange genug zurück, um außerdem beobachten zu können, wie Lelouch seine Muskeln zwar innerhalb weniger Augenblicke dazu brachte, sich wieder zu lockern, sich aber ansonsten nicht rührte. Anstatt sich zu ihm umzudrehen, verharrte sein Bruder so regungslos, als rechne er mit einem Angriff - und Clovis erkannte, was das Problem war.

Sein Ärger verschwand so schnell wieder, wie er gekommen war, und unwillkürlich ließ sein Griff um die Schulter des Jungen nach, auch wenn er von vorneherein nicht sehr grob gewesen war. Im Stillen schalt er sich einen Narren.

Er hatte gewusst, dass Lelouch ihm noch immer nicht vollkommen vertraute, und er hätte diesen Umstand im Hinterkopf behalten sollen, während er versuchte, ein sinnvolles Gespräch mit seinem Bruder zu initiieren. Unglücklicherweise jedoch war Geduld noch nie eine seiner größten Stärken gewesen.

Clovis zögerte einen Moment, nicht sicher, ob er in Anbetracht der Umstände nicht vielleicht doch schweigen und die Dinge zwischen ihnen noch eine Weile länger so belassen sollte, wie sie waren – immerhin hatte er den Eindruck gehabt, schon den ein oder anderen Fortschritt gemacht zu haben, wenn auch keinen besonders bedeutenden. Aber er wusste auch, dass er nun, wo er bereits begonnen hatte, keinen Rückzieher mehr machen konnte; und als er schließlich sprach, waren seine Worte noch aufrichtiger als ursprünglich beabsichtigt, wenn auch um einiges milder. „Ich will dir nur helfen“, sagte er, sein Tonfall ebenfalls wesentlich weniger barsch, als er geplant hatte.

Sein Bruder reagierte nicht, aber etwas anderes hatte Clovis auch nicht erwartet. Mit einem Seufzer nahm er die Hand wieder von Lelouchs Schulter und trat einen Schritt zurück.

Eine eigentümliche Stille legte sich über den Raum.

Schließlich stellte Lelouch die Schachfigur, die er bis dahin in Händen gehalten hatte – einen der beiden schwarzen Springer, wie Clovis nun erkannte - zurück auf ihren Platz und griff nach seiner Jacke. „Ich sollte gehen.“

Clovis erwiderte nichts. Er mochte ein guter Redner sein, aber gerade deshalb wusste er, dass seine Künste hier verloren waren.

Er wartete, bis sein Bruder den Raum verlassen hatte; dann ließ er sich auf das Sofa fallen und rieb sich die Schläfen.

Wer auch immer das Konzept der Blutsverwandtschaft erfunden hatte, musste entweder ein Sadist oder ein Schwachkopf gewesen sein.
 

Doch obwohl Clovis nach seiner kleinen Auseinandersetzung mit Lelouch endgültig zu dem Schluss gekommen war, dass jemand mit einer Familie wie der seinen beim besten Willen keine Feinde mehr brauchte, war es erst einen halben Tag später, dass er sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen begann, was ihn jemals dazu bewegt hatte, es sich bei all seinem Handeln zum Ziel zu setzen, nicht enterbt zu werden.

Es war eine Sache, von seinem jüngeren Bruder wie Luft behandelt zu werden – Lelouch war schließlich immer noch Lelouch und damit die einzige Person, mit der zu streiten sogar einen gewissen Reiz hatte, und sei es auch nur wegen des unleugbaren Unterhaltungsfaktors. Etwas gänzlich anderes dagegen war es, am frühen Morgen vor dem Fernseher zu sitzen und zu beobachten, wie der eigene Vater seine Beerdigung vor den Augen des gesamten britischen Imperiums in die vermutlich geschmackloseste Trauerzeremonie des Jahrhunderts verwandelte.

Wer auch immer sich jemals über eine unpersönliche Grabrede beschwert hatte, war noch nie Zeuge davon geworden, wie der Kaiser höchstpersönlich solche Dinge zu handhaben pflegte. Nur Charles di Britannia war dazu imstande, das eigentliche Thema eines Anlasses so vollständig zu verfehlen und dabei immer noch den Eindruck zu erwecken, genau zu wissen, worauf er mit seiner Ansprache hinaus wollte. Und wie Clovis ihn kannte, tat er das auch – nur interessierte es ihn nicht, dass er im Begriff war, aus der Beisetzung eines seiner eigenen Kinder ungeschminkte Propaganda zu machen.

Das Resultat war ein überaus ermüdender Vortrag über Gleichheit und Heuchelei, welchem Clovis mit demselben außerordentlichen Desinteresse lauschte, mit dem er in den letzten paar Jahren alles hingenommen hatte, was auch nur entfernt mit Politik zu tun hatte.

„Der Tod meines Sohnes Clovis ist der Beweis dafür, dass sich Britannien weiterentwickelt“, verkündete sein Vater schließlich, und besagter Sohn stieß ein verächtliches Schnauben aus.

Es grenzte an ein Wunder, dachte der blonde Prinz zynisch, dass es dem Kaiser in seinem staatsmännischen Eifer überhaupt gelungen war, eine Verbindung zwischen dem offiziellen Vorwand seiner Rede und ihrem tatsächlichen Inhalt herzustellen. Wenn nun auch noch ein logischer Zusammenhang für die Zuhörer erkennbar gewesen wäre, hätte dieses historische Ereignis ganz gewiss die Apokalypse heraufbeschworen.

Während sich in seinem Inneren eine Mischung aus Bitterkeit und Verachtung regte, gelang es Clovis, weiterhin so gelangweilt dreinzublicken wie eh und je, auch wenn er keinen bestimmten Grund dafür hätte nennen können, weshalb er sich diese Mühe machte, obwohl außer ihm doch niemand im Raum war.

Sicher, er verspürte tatsächlich einen gewissen Gleichmut – jene alles umfassende Teilnahmslosigkeit, die zu einem Teil von ihm geworden war, als er das erste Mal Fuß auf Gebiet Elf gesetzt hatte -, aber dieser Umstand allein war keine ausreichende Erklärung, da er sich nun zumindest schon seit einigen Minuten ganz bewusst darauf konzentrierte, weiterhin desinteressiert zu wirken.

Gleichzeitig sah er sich noch einmal die Gesichter seiner Familie an, als die Kameraperspektive für einen kurzen Moment wechselte, und kam zu dem Schluss, dass ausschließlich Euphie die angemessene Miene zur Schau trug. Und obwohl es ihn ein wenig beschwichtigte, dass zumindest eine Person die Niedergeschlagenheit ausstrahlte, die seiner Meinung nach angebracht war, kam der Genugtuung schon nach kaum einer Sekunde ein schlechtes Gewissen in die Quere, das eindeutig überwog. Euphie war die letzte Person, die er mit einem solchen Gesichtsausdruck sehen wollte – erst recht, wenn er der Grund dafür war.

Und wenn Cornelia jemals davon erfuhr, dass er noch am Leben war und ihrer geliebten kleinen Schwester umsonst Kummer bereitet hatte…Clovis schauderte.

Aber zumindest könnte er versuchen, alle Schuld auf Lelouch zu schieben.

Apropos Cornelia… auch wenn sie nicht unbedingt bedrückt wirkte, schien seine ältere Schwester ebenfalls nicht gerade übermäßig guter Laune zu sein. Genaugenommen sah sie aus, als würde sie gleich nach Ende der Veranstaltung losziehen, um ein paar kleine Katzenbabys in einem Fluss zu ertränken, und Clovis war sich nicht sicher, ob er sich geschmeichelt fühlen oder unauffällig das Land verlassen sollte.

Der Rest des britischen Königshauses… nun, es war zu erwarten gewesen, dass der Großteil seiner Verwandtschaft eher erleichtert über seinen Tod als deprimiert deswegen sein würde. Eine Person weniger, die Anspruch auf den Thron erheben konnte – ungeachtet dessen, ob Clovis selbst es jemals darauf angelegt oder den bloßen Gedanken schon immer als absurd empfunden hatte – und mehr Macht für diejenigen, die noch übrig waren, einschließlich ihrer Alliierten. Als Lelouch und Nanali damals für tot erklärt worden waren, hatte der halbe Adel den Eindruck erweckt, am liebsten auf ihren Gräbern tanzen zu wollen, und Clovis hatte nie die verblendete Hoffnung gehegt, dass diese Reaktion nicht repräsentativ gewesen war.

Die einzigen Ausnahmen stellten neben Euphie und Cornelia vermutlich Odysseus und Schneizel dar. Odysseus, weil er sogar noch weniger politisches Kalkül besaß als Clovis an seinem schlechtesten Tag, und Schneizel, weil der Zweite Prinz genau wusste, dass es so oder so nichts gab, was zwischen ihm und dem Thron stand, sollte Charles di Britannia eines Tages abdanken.

Alles andere was diesen Mann betraf jedoch wäre reine Spekulation gewesen. Selbst wenn sein Leben davon abgehangen hätte, wäre Clovis nicht in der Lage gewesen zu sagen, ob Schneizel seinen vermeintlichen Tod mit Gleichgültigkeit oder Bedauern hinnahm. Er hoffte Letzteres – zumal es sein älterer Bruder gewesen war, zu dem er von all seinen Geschwistern in den letzten drei Jahren noch den meisten Kontakt gepflegt hatte -, aber er wäre nicht so weit gegangen, eine Wette darauf abzuschließen.

Und ansonsten war da natürlich noch Gabriella la Britannia. Es beunruhigte Clovis etwas, dass seine Mutter nicht bei der Beerdigung anwesend war - er nahm an, dass sie die Nachricht von seinem Ableben nicht besonders gut aufgenommen hatte. Abermals drohten Schuldgefühle in ihm aufzusteigen, aber es war ja nicht so, als hätte er diese Sache geplant gehabt, und schließlich konnte er Lelouch nicht einfach im Stich lassen…

„All hail Britannia!“ Der Ausruf seines Vaters riss Clovis aus seinen Gedanken, und als dem Kaiser ein Echo von Stimmen antwortete, schloss die Hand des ehemaligen Gouverneurs sich automatisch um die Fernbedienung, die direkt vor ihm auf der Sofalehne lag.

Er schaltete den Fernseher aus und fragte sich, wohin sein Appetit verschwunden war.
 


 


 


 

_____________

Wie man sieht, lebt die Fanfic noch - ich habe nur zu viele andere Dinge gleichzeitig laufen, darunter sowohl ein hartnäckiges RL als auch andere Projekte. Ich hoffe, man nimmt es mir nicht allzu übel.

Vielen Dank für das liebe Feedback!

Ah, ja, Clovis kommt ziemlich häufig vor, aber er ist nun mal einer der Hauptcharaktere. Und da Lelouch aus strategischen Gründen noch nicht zu viel am ursprünglichen Lauf der Dinge ändern will, hat er auch erst mal nicht viel Besseres zu tun gehabt, als sich von diversen Menschen und Hexen belästigen zu lassen. xD

Im nächsten Kapitel sehen wir ihn allerdings wieder im Einsatz. Außerdem werden uns zwei verscheidene Arten von Hexen, Kanalisationen und... Katzen begegnen!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (67)
[1] [2] [3] [4] [5] [6] [7]
/ 7

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Atsusa
2012-07-22T12:23:51+00:00 22.07.2012 14:23
Auch wieder sehr überzeugend! Selbstverständlich hätte sich Suzaku nie anders entscheiden können, immerhin weiß er ja nicht, wer Zero ist. Vielleicht im nächsten Kapitel? Ich lese weiter^^
Von:  Atsusa
2012-07-22T12:12:16+00:00 22.07.2012 14:12
„Weißt du, was eine rhetorische Frage ist?“
„Natürlich. Oder glaubst du, ich-“
„Dann halt die Klappe.“
...
AWW! Diese Dialoge waren einfach großartig!
Von:  Atsusa
2012-07-22T12:03:55+00:00 22.07.2012 14:03
"Sein nicht vorhandenes Liebesleben" <- Lieblingszitat von diesem Kapitel! Dieses Mal waren die Unterschiede zum Anime nur in den Gedankengängen zu finden und ich habe zwangsläufig auf eine Überraschung am Ende dieses Kapitels gewartet. Dann kommt diese eben erst beim nächsten. Gut geschrieben war es aber auf jedem Fall^^
Von:  Atsusa
2012-07-22T11:54:59+00:00 22.07.2012 13:54
Ich mag die letzten Sätze dieses Kapitels. Von Sadisten und Masochisten. Ach deshalb wollte Shogun Bartley C.C. also Clovis schenken? Damit Sadisten und Sadisten zusammenkommen, aha. Nein Lelouch, du bist ein Hexer und C.C. ist dein Gegenstück. Immer!
Von:  Atsusa
2012-07-22T11:46:23+00:00 22.07.2012 13:46
GOOD JOB! Den Clovis kaufe ich dir ab! Und Lelouchs komplexe Gedankengänge sind auch sehr glaubwürdig^^
Von:  Atsusa
2012-07-22T11:37:38+00:00 22.07.2012 13:37
Also DAS war jetzt wirklich überraschend! Gut, dass Clovis noch lebt, sein Tod in der Serie war auch einfach nur sinnlos! Den hätte man doch besser ausnutzen können - und jetzt will ich wissen, wie das geht^^
Von:  Atsusa
2012-07-22T11:27:13+00:00 22.07.2012 13:27
Ich suche im Moment auf allerhand Seiten nach guten Code Geass Fanfictions und es freut mich, dass ich diese Geschichte jetzt hier auf Animexx kommentieren und nicht nur als stummer Beobachter auf fanfiktion.de verfolgen kann!

Wow... Der Prolog und dieses Kapitel sind echt wundervoll geworden! Du hast einen sehr angenehmen Schreibstil und alles klingt so plausibel. Die Charaktere wirken bisher weder überzogen noch verzerrt, sondern genau so, wie sie sein sollen.
Der kleine Unterschied zur Serie verändert wirklich viel! Ich habe in letzter Zeit die Serie mal wieder angeschaut und im Ganzen betrachtet endlich mal den höheren Sinn verstanden, der ab der ersten Folge hinter Charles Aktionen steht.
Schade ist, dass Clovis trotzdem sterben musste, gut ist aber, dass es keine Leiche gab. Aber ob das jetzt reicht, damit Charles ihn nicht mehr befragen kann?! (Oder wolltest du damit darauf hinaus, dass Suzaku so nicht mehr als Attentäter durchgehen kann. Also das... werde ich wissen, sobald ich das nächste Kapitel angefangen habe^^)

Wahrscheinlich ist es widersinnig, dir auf eine vier Jahre alte Fanfiction noch Kommentare zu schreiben und sicher wirst du auch nach den 13 Kapiteln, die bis 2009 online waren, jetzt keine Fortsetzung mehr schreiben, weil sich deine Präferenzen bis heute geändert haben dürften. Dennoch ermutige ich dich dazu, ein derartiges Konzept nicht einfach brach liegen zu lassen^^
Von:  Black_Sweetie
2011-11-19T08:51:35+00:00 19.11.2011 09:51
also ich find die pizza szene ist zum weg lachen *grins*
und es ist gut gelungen
Von:  Black_Sweetie
2011-11-19T08:45:09+00:00 19.11.2011 09:45
ich mag diesen ff sehr ich lese in zu zweiten mal so wet es geht
witer so
Von:  Miharu_x3
2011-06-29T20:10:06+00:00 29.06.2011 22:10
Hallo~
ich liebe deine ffxD
aber kann es sein, dass du sie schon mal auf Fanfiction.net hochgeladen hast?
irgendwie kommt sie mir bekannt vor... hat mich aber nicht daran gehindert sie nocheinmal zu lesen...
ich würd mich echt freuen, wenn du bald mal ein neues Kapii hochladen würdest...



Zurück