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Hintergrundrauschen

von

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Superluminar

Ich lauschte meinen Atemzügen. Einatmen, ausatmen. Sonst war es recht still in meinem Zimmer. In ein paar Minuten würde mein Wecker klingeln und mir sagen, dass es Zeit für die Schule war. Ich verabscheute das Geräusch, deswegen griff ich kurz nach dem Gerät und schaltete den Alarm frühzeitig aus.

Ich stellte den Wecker wieder auf den Nachtisch und beobachtete, wie die Sekunden langsam runter zählten und es 6:27 wurde. Ich tat das oft, da ich meistens lange vor meinem Wecker wach war. Oft lag es daran, dass ich einfach nicht geschlafen hatte.

Schlafen war immer so eine Sache für mich gewesen. Ich wusste, dass es wichtig war, aber manchmal schien es mir, als hätte mein Körper nicht das Bedürfnis danach oder fühlte sich davon belastet.

Dann lag ich wach in meinem Bett und starrte in die Dunkelheit, lauschend. Es gab immer viel zu hören, fand ich, aber gerade nachts bekam alles einen speziellen Klang. Für mich war die Welt nachts anders. Es war eine so tiefruhige Atmosphäre, dass man das Gefühl hatte die Ruhe fast einatmen zu können.

Ich mochte das Gefühl. Vielleicht war das auch meine Art vom Schlafen. Ich wusste es nicht genau.

Ich schloss die Augen und lauschte in das Halbdunkel. Man merkte, dass nun die Zeit war, in der man aufstand. Ich hörte, wie meine Mutter in der Küche fuhrwerkte, im Nebenzimmer war sehr gedämpft der Wecker meiner Schwester zu hören. Aus dem Bad kam ein leises Rauschen, vermutlich mein Vater, der sich gerade duschte.

Ich seufzte, jetzt war auch der Zauber der Nacht weg und so machte ich mich daran, mich wieder in das helle Leben zu begeben. Ich schob die Decke weg und fühlte zufrieden den kühlen Holzboden unter meinen nackten Füssen. Ich tapste zu meinen Vorhängen, die schon spärliches Licht hineingelassen hatten und öffnete sie ganz. Es war noch zu früh, als dass einen die Sonne hätte blenden können, aber zumindest wurde es jetzt merklich heller in meinem Zimmer.

Ich ging zu dem Kleiderhaufen, der sich auf meiner Couch stapelte und kramte nach einigermaßen sauberen Klamotten, die ich heute anziehen würde.

Meine Mutter sollte mal die Dreckwäsche holen gehen.

Denkt, was ihr wollt, ich wohnte gerne im Hotel Mama und würde es solange genießen, bis ich für das Studium ausziehen würde. Immerhin würde ich nicht wie viele andere Kerle bis ich dreißig bin, zuhause leben und mich da durchschmarotzern. Das wollte ich auf keinen Fall.

Ich hörte wie das Bad, das gegenüber von meinem Zimmer lag, verlassen wurde und beeilte mich vor meiner Schwester reinzukommen, was meistens gelang. Eigentlich überschnitten sich am Morgen selten irgendwelche Badzeiten. Ich wusste nicht genau, woran es lag, aber vielleicht kam es einfach von der jahrelangen Routine, dass jeder wusste, wann wer ins Bad musste.

Da ich nie lange brauchte, weil ich immer abends duschte und am Morgen nur meine Zähne putzen musste und was sonst an Morgenwäsche anfiel, müsste meine Schwester sowieso immer allerhöchstens zehn Minuten warten, was hier niemanden umbrachte.

Wir waren von Haus aus eine Familie, die sich immer fast doppelt soviel Zeit für etwas einrechnete, als man eigentlich brauchte.

Ich müsste erst in einer Stunde los, um pünktlich zum Bus zu kommen. Das hieß, ich konnte mich in Ruhe anziehen und vor allem genüsslich und mit viel Zeit frühstücken. Das genoss ich, und da ich sowieso nicht viel schlief, machte es mir auch nichts aus, früh aufzustehen.

Unten in der Küche ging ich ein bisschen meiner Mutter zur Hand und deckte den Frühstückstisch für meine Schwester und mich.

Es gab den üblichen Morgen-Smalltalk seitens meiner Mutter. Sie erzählte wann sie kochen wollte, wollte wissen, ob ich heute überhaupt zuhause war und ob ich das Abendessen kochen übernehmen könnte, das übliche. Meine Familie war so unheimlich unspektakulär wie ich. Ich mochte es. Ich war mir sicher, dass so manch ein Mensch neidisch wäre, wenn er so eine gesunde Familienstruktur hätte. Bestimmt sogar. Auch wenn es irgendwie langweilig wirkte.

Ich schob mir noch die Reste meines Marmeladenbrötchens in den Mund und verschwand dann hoch in mein Zimmer, um meine Schulsachen für heute zu packen, was hieß, dass ich einfach meinen Rucksack nahm, der seit gestern unberührt da stand und mein Pausenbrot, das mir meine Mutter gemacht hatte, und eine Flasche Wasser reinpackte.

Ich fand es recht sinnlos, schwere Bücher mit mir rumzuschleppen, wenn mein Nebensitzer sowieso immer alle dabei hatte. Also reichten mir schon ein Block und ein Federmäppchen. Und da ich prinzipiell keine Hausaufgaben zuhause machte, konnte ich immer sicher sein, dass schon alles in dem Rucksack war. Wenn nicht... wen interessiert‘s?! Mich sicher nicht.
 

Ich trottete der Bushaltestelle entgegen und kramte auf dem Weg aus dem vorderen Fach des Rucksacks eine Zigarettenschachtel inklusive Feuerzeug heraus. Ich müsste jetzt sicher noch über fünf Minuten auf den Bus warten und weil Rauchen in der Schule immer etwas aufgeschnitten und halbstark rüberkam, sorgte ich dafür, dass ich vor dem Unterricht zu meinem Nikotin kam.

Ich setzte mich auf die leere Bank der Bushaltestelle und nahm einen tiefen Zug. Beruhigend. Ich fand, dass Ruhe einfach alles war.

Ich starrte in den wolkenbehangenen Himmel und zog unwillkürlich meine Jacke etwas zu. Man merkte, dass es nun wirklich Herbst war. Ich mochte den Herbst nicht. Dauernd Regen und Wind, von dem dummen Laub fangen wir gar nicht erst an.

„Hi Jo...“ Victor ließ sich neben mich fallen. Er war mein bester Freund seit... seit ich denken kann. Ich lächelte ihm kurz zu und bot ihm eine Kippe an, die er dankend annahm.

Nun schauten wir beide zu der grauen Wolkendecke auf. Ich hörte Victor seufzen.

„Scheiß Wetter.“ Und als hätte das Wetter nur auf ein Stichwort gewartet, fing es auch gleich an, wie beschissen zu regnen. Zum Glück war die Bushaltestelle überdacht.

Etwas mitleidig betrachtete ich die Schüler, die sich in den letzten Minuten recht schnell angesammelt hatten und jetzt wohl hofften, der Bus möge so bald wie möglich kommen, da nicht genug Platz war, dass alle unter das Dach konnten. Tja, wer zu spät kam, den bestraft das Leben. Ich grinste etwas schadenfroh.

Man merkte immer wenn der Bus endlich kam, dann ging eine gewisse Hektik durch die Schüler. Es war nicht mal nötig, den Bus zu sehen. Ich warf meine Kippe auf den Boden und drückte sie beim Aufstehen mit meinem Schuh aus, Victor tat es mir gleich.

Wir waren die Letzten, die einstiegen und wir verkrochen uns ganz nach hinten in den Bus. Immerhin waren Victor und ich die Ältesten hier im Bus, also war uns einfach die hinterste Bank versprochen. Das war schon immer so gewesen. Das hatte Tradition. Außerdem warteten Raphael und Miguel dort schon auf uns.

Ich nickte ihnen kurz zu und ließ mich dann am Platz ganz am Fenster fallen. Die drei anderen waren wie üblich sofort in ein Gespräch miteinander vertieft. Manchmal fragte ich mich, wie man sich immer soviel zu erzählen wusste.

Ich starrte auf die Spiegelung im Fenster und beobachtete so die anderen im Bus. Zwei Reihen schräg vor uns waren zwei Mädchen, die heftig tuschelten und immer wieder verstohlen zu Raphael schauten.

Raphael war der einzige von uns, der wirklich behaupten konnte, etwas aus sich zu machen. Er wirkte gepflegt und hatte ein recht ansehnliches Gesicht, außerdem hatte er so einen gewissen Charme, der dafür sorgte, dass die meisten Leute ihn auf Anhieb einfach sympathisch fanden. Ich hatte allerdings nicht so viel mit ihm zu tun.

Miguel war sein bester Freund, und der wiederum war mit Victor befreundet, so war das eben. Die beiden sahen übrigens neben Raphael immer etwas abgefuckt aus. Ich vermutlich auch, mir war es nur egal. Ich hatte das Gefühl, dass gerade Victor sich oft daran störte, dass die ganzen Mädchen immer auf Raphael flogen und dann nur mit ihm sprachen, weil sie nicht unhöflich sein wollten. Allerdings müsste er auch zugeben, dass nur aus diesem Grund überhaupt irgendwelche Mädels mit ihm sprachen. Er sah einfach so... grobschlächtig aus.

Das war nicht nett ausgedrückt, traf es aber am Besten. Er war groß und bullig, schaute immer recht grimmig und hatte auch noch recht kurze Haare. Wenn ich ihn nicht schon so lange kennen würde, wäre ich wohl nicht mal mit ihm befreundet, weil er mir Angst machen würde. So von der Erscheinung her. Eigentlich war er ein recht netter Kerl, war aber bei den meisten dieser Typen so. Kannte man ja.

Über Miguel gab es nicht viel zu sagen. Er war Halbspanier, was man ihm allerdings nicht ansah. Er hatte zwar dunkle Haare und war nicht übermäßig groß, aber das war so das einzige, was an ihm wirklich spanisch wirkte. Ich musste zugeben, dass ich ihn nicht allzu sehr mochte. Er redete einfach die ganze Zeit. So viel. Ich bekam oft Kopfschmerzen von seinem Gerede.

Das war meine Schulclique. Ich würde, außer mit Victor, in meiner Freizeit nicht viel mit ihnen unternehmen, aber zusammen in der Schule rumhängen, war immer ganz okay. Manchmal sogar recht amüsant.
 

Wie abgefuckt. Missgelaunt saß ich auf der Bank unter der großen Eiche in unserem Pausenhof. Wir waren fast die einzigen auf dem Gelände, was wohl daran lag, dass es regnete wie beknackt. Mich trafen immer wieder ein paar fette Tropfen, die ihren Weg durch das Blätterdach gefunden hatten. Gerade einer mitten in meinem Jackenkragen, wo er mir den Rücken herunter perlte. Ich schüttelte mich mit einer Gänsehaut. Grimmig starrte ich zu Raphael und Victor, die sich mit Kippen in der Hand angeregt mit zwei Mädels unterhielten. Vielleicht sogar die aus dem Bus, ich konnte mir Gesichter nicht allzu gut merken.

Woah, wenn Miguel mich nicht immer so anwichsen würde, wäre ich jetzt mit ihm drinnen in der trockenen Pausenhalle und müsste mich nicht mit diesem ekelhaften Wetter rumschlagen. Scheiß Miguel, scheiß Wetter, einfach alles scheiße.

Jemand ließ sich schwer seufzend neben mir nieder. Ich linste durch meine ins Gesicht hängenden Haare zu dem Mitgebeutelten herüber. Ich kannte ihn nicht, jedenfalls nicht mit Namen.

„Pascal, bin n Freund von Doro.“ Er nickte kurz in die Richtung eines rothaarigen Mädchens, das sich mit Raphael unterhielt. Ich nickte nur zur Antwort.

„Du siehst aus, als wärst du aus dem gleichen Grund, wie ich hier draußen.“ Wenn er auch nur das dumme Anhängsel seiner Clique war, dann ja. Sah sogar so aus. Also nickte ich wieder.

„Hm... du bist nicht so von der gesprächigen Sorte, oder?“ Pascal lächelte mich offen an. Anscheinend hatte er nicht so ein Problem damit.

Ich schüttelte den Kopf, gesprächig konnte man mich wirklich nicht nennen.

Er lachte, ich grinste ihn nur an. Um ganz ehrlich zu sein, konnte ich gar nicht mehr sprechen. Also, das war irgendwie falsch ausgedrückt. Ich könnte sprechen, rein theoretisch, aber praktisch gab es da irgendwie ein Problem. Ich hatte vor zwei Jahren einfach aufgehört zu sprechen, aus einem Grund, den ich vergessen hatte und wegen dem ich nun auch schon die vollen zwei Jahre in psychologischer Behandlung war. Mir hatte man erklärt, dass etwas einen so großen Schock bei mir ausgelöst hatte, dass ich einfach meine Stimme verloren habe. Aber es gäbe Möglichkeiten durch Therapie und Verarbeitung und all sowas, dass ich eventuell wieder sprechen könnte. Womit ich mir recht sicher war, weil sonst alles mit mir stimmte. Ich war nicht irgendwie... verrückt. Also nicht, dass ich wusste. Ich schlief nur etwas wenig und konnte nicht sprechen. Das war alles.

Dass ich trotzdem noch auf eine normale Schule hing eben damit zusammen, dass ich eventuell diesen ... Schock überwinden könnte und wieder sprechen würde und zudem war ich ja nicht taub oder zurückgeblieben, oder anderweitig eingeschränkt. Und es ist erstaunlich, wie wenig man eigentlich seine Stimme brauchte, wenn man es recht überlegte.

Ich hatte ein paar Sonderregelungen, sodass meine mündliche Leistung anders ermittelt wurde und alle waren zufrieden.

Es war nur manchmal lästig, wenn man neue Leute kennenlernte, ihnen die Situation zu erklären. Meistens hatte ich dafür einen kleinen Notizblock und einen Stift dabei. Passte immer klasse in eine Hosentasche oder eine Jacke, oder ich tippte Victor an, damit er die Situation erklärte. Aber ich befand es hier nicht für nötig.

Wir schwiegen uns ein paar Minuten an. Die Pause würde noch mindestens eine Viertelstunde gehen, ich war gespannt, ob er solange schweigend neben mir sitzen würde.

„Okay, ich wusste schon, dass du nicht sprechen kannst.“

Hätte ich sprechen können, hätte ich „Na dann.“ geantwortet. Aber so zuckte ich nur mit den Schultern. Ich nahm nicht an, dass jemand an der Schule nicht wusste, dass ich stumm war. Sowas machte immer schnell die Runde, außerdem habe ich zu Anfang auch viele Blicke bemerkt, die ich allerdings ignorierte. Ich war damals viel zu beschäftigt mit mir selbst und heute interessierte sich niemand mehr für mich.

„Kannst du eigentlich Zeichensprache?“ Pascal schien allerdings ganz versessen auf eine Unterhaltung mit mir.

Ich schüttelte den Kopf. Immerhin würde ich sicher bald wieder sprechen, es war nicht nötig, dass ich das lernte.

„Weißt du, meine ältere Schwester ist taubstumm. Deswegen frag ich.“

Jetzt hatte er mein Interesse geweckt, was er zu merken schien. Er lehnte selbstgefällig auf der Bank und genoss ein bisschen meine Aufmerksamkeit. Ihn traf ein fetter Wassertropfen mitten ins Gesicht und er schüttelte sich angewidert, was mich zu einem Grinsen veranlasste. Selber Schuld, wenn man sich in Pose werfen wollte.

Er bemerkte mein Grinsen und boxte mich gegen die Schulter. „Mach dich nicht über mich lustig!“

Ich rieb mir die Schulter, nicht weil es weh tat, sondern weil ich etwas von der Berührung überrascht gewesen war. Ich pflegte eigentlich mit meinen Freunden ein sehr distanziertes Verhältnis, da war eine plötzliche Berührung von einem Fremden schon so eine Sache.

„Jedenfalls, ich könnte Zeichensprache, ich dachte, vielleicht könnten wir uns so unterhalten. Also ich weiß, dass du verstehst was ich sage, aber ich mein, wenn du reden willst. Ach, du weißt schon...“ Er fuhr sich durch die braunen, halblangen Haare und schien sich gerade total albern vorzukommen. Zu recht.

Ich zuckte nur wieder mit den Schultern. Ich konnte eben keine Zeichensprache und soviel Bedürfnis zu reden hatte ich sowieso nicht. Auch wenn ich gerne gefragt hätte, worüber er mit mir reden möchte und wieso?

Ich kramte jetzt doch meinen Block und den Stift aus meiner Hosentasche und kritzelte mit meiner schwerleserlichen Schrift „Johannes ICQ: 117549539“ darauf und drückte ihm das in die Hand. So pflegte ich mich zu unterhalten. Über Internet... geschrieben.

„Oh... cool. Ich add dich heute, wenn ich zuhause bin.“ Pascal steckte den Zettel einfach in seine Hosentasche und grinste mich an.

Irgendwie war er mir ein bisschen unheimlich. Er strahlte so viel gute Laune und Energie aus. Ich war jetzt zwar nicht ein übermäßiger Griesgram und ich lachte eigentlich auch ziemlich viel, aber Pascal wirkte irgendwie so... krass glücklich, als sei er eins mit sich und der Welt und eigentlich alles nur ein großer Spaß.

Wir schwiegen uns noch ein bisschen an, bis der Pausengong mich endlich von dem Mistwetter draußen erlöste und die anderen gezwungen waren ihre Kippe auszutreten und auch reinzugehen.

Ich stand als erster auf und war ziemlich schnell im trockenen Schulgebäude. Pascal klopfte mir noch kurz auf die Schulter, meinte was von: „Man sieht sich.“ und war dann in den wabernden Schülermengen verschwunden.

Ich bemerkte einen fragenden Seitenblick von Victor. Er war es wohl nicht gewohnt, dass sich Leute zu mir setzten und mit mir redeten. War auch komisch, irgendwie. Ich winkte ab, was soviel hieß, dass es nicht so wichtig war und es auch noch später Zeit hatte, es ihm zu schreiben.

Tscherenkow-Strahlung

Mein Zimmer war von grauem Herbstlicht erfüllt und ließ den Raum irgendwie ungemütlich und krankenhaussteril wirken, da meine ganze Einrichtungen recht hell war; weiß lasiertes Holz, heller Parkett und weiße, hohe Wände. Wenn nicht ein paar Poster und Fotos an den Wänden hängen würden und mein ganzes Schulzeug, Klamotten und CDs auf dem Boden verstreut wären, hätte man es vielleicht für ein Hotelzimmer halten können. Meine Eltern hatten mein Zimmer und das meiner Schwester von einem Innenarchitekten einrichten lassen und ich fand eigentlich, dass er seine Arbeit gut gemacht hatte. Allerdings nur, wenn das Zimmer von warmem Sommerlicht geflutet wird. Wer hätte das auch ahnen können.

Aus dem Grund hatte ich mir letzten Herbst auch einfach einen quietschbunten, flauschigen Teppich gekauft und vor mein Bett gelegt. Ich fand, das gab dem Zimmer irgendwie das gewisse Etwas, das ihm davor fehlte, die persönliche Note.

Meine Eltern fanden den Teppich ja scheußlich, mir war das recht egal.

Mein Rucksack war gleich neben der Tür gelandet und würde da liegen bleiben bis morgen früh. Ich selber saß am PC, trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem hellen Holz des Schreibtisches und wartete, bis endlich mein PC hochgefahren war. Mir kam es immer vor, als würde es Ewigkeiten dauern und jedes Mal noch länger.

Und manchmal hasste ich es einfach, zu warten.

Ich klickte mehrere lästige Meldungen für neue Updates weg und beobachtete wie Trillian - mein bevorzugter Instant-Messenger - meine Kontaktliste lud, während ich auf meiner Lippe rumkaute.

Neben dem Rauchen war wohl Internet meine größte Sucht. Ein paar Tage ohne Internet machten mich unruhig und unausgeglichen. Früher war es nicht so schlimm mit mir, aber seit ich das Gefühl hatte, dass ich mich nur noch darüber verständlich machen konnte, war es fast zum Zentrum meiner Welt geworden. Verständlich, oder?

Als die Kontaktliste geladen war, bekam ich auch gleich eine Nachricht, dass ich doch bitte einen gewissen „Morty“ autorisieren solle. Das war dann vermutlich mal Pascal, wie auch immer er auf diesen Nick gekommen ist. Sonst war allerdings noch keiner meiner Freunde, mit denen ich mich viel unterhielt, online. Schade.

Ich klickte OK und bekam dann auch gleich eine Nachricht.
 

[13:40] Morty: Hui, das ging aber schnell bei dir.

[13:40] Donnie: Hi!

[13:40] Donnie: pascal?

[13:41] Morty: klar, geht doch eindeutig aus meinem Nick hervor. XD

[13:41] Donnie: Öh... jah...
 

Ich lächelte etwas, mir war Pascal irgendwie sympathisch. Außerdem fand ich es angenehm, jetzt einfach so mit ihm... schreiben zu können. Das Schreiben ersetzte mir mittlerweile meine Stimme und so schlimm fand ich es nicht.
 

[13:42] Morty: lol

[13:42] Morty: bist du oft online?
 

Ich stand kurz auf und ging zu meinem Rucksack, ich brauchte jetzt eine Kippe. Zum Glück machten meine Eltern keinen Terz mehr darum, wenn ich im Haus rauchte. Vermutlich wollten sie ihren armen, stummen Sohn nicht mit so etwas belasten. Aber ihnen zu liebe rauchte ich nur mit offenem Fenster. Etwas fröstelnd zog ich meinen Pulloverärmel so weit runter, dass nur noch die Fingerspitzen rausguckten. Reichte zum Tippen. Meine Kippe hing während ich tippte in meinem Mundwinkel. Ich hatte das Gefühl, dass ich so ziemlich abgefuckt aussah. Ich mochte es.
 

[13:44] Donnie: Was denkst du? O_o“

[13:44] Morty: lol also ja

[13:45] Donnie: schon... irgendwie muss ich mich ja verständlich machen. o_O
 

Noch keine Antwort. Vermutlich war Pascal wie ich und tat nebenher immer wieder irgendetwas, oder schrieb mit anderen Leuten. Würde ich jetzt auch tun, wenn jemand online wäre. Aber die meisten würden erst gegen sieben on kommen, so war ich doch ganz froh über die „Gesellschaft“ von Pascal.
 

[13:54] Morty: okay, is klar...

[13:55] Morty: warum kannst du eigentlich keine zeichensprache?

[13:55] Donnie: keinen bock... außerdem bin ich nur... temporär stumm.

[13:55] Morty: wtf?! Oo“

[13:55] Donnie: meine Stimmbänder und so sind okay. Is mehr so ein psychologisches ding, sowas wie mutismus.
 

Mehr wollte ich dazu auch nicht sagen. Ich hasste es, anderen ständig erklären zu müssen, dass ich nicht sprechen konnte, weil es psychologisch bedingt war. Das klang, als wäre ich verrückt, oder so. Was ich nicht war. Meine Psyche war topfit.
 

[13:55] Morty: okay und woher kommts?

[13:55] Donnie: keine ahnung

[13:55] Morty: k, wie strange... klingt aber beschissen.

[13:55] Donnie: es geht
 

Wenn man wusste, wie man damit umging, war es wirklich nicht mehr ganz so schlimm. Immerhin hatte ich ja nie eine große Karriere mit meiner Stimme geplant, außerdem war ich mir immer noch recht sicher, dass ich meine Stimme wieder finden würde. Irgendwann demnächst mal.
 

[13:55] Morty: Du bist echt cool.

[13:56] Donnie: O_o“

[13:56] Morty: nee, wirklich... also ich könnte da glaub nich so gut mit umgehen.

[13:57] Donnie: naja, deine Schwester is taubstumm, dass find ich schon recht heftig.
 

Wirklich, ich mein, nicht sprechen zu können war ja irgendwo dumm, aber nichts hören zu können, wäre für mich der pure Horror.
 

[13:57] Morty: -drop- ah... meine Schwester, also... die taubstumme is öh irgendwie... erfunden.

[13:57] Morty: sorry >_<

[13:57] Morty: ich dachte sonst findest du mich zu... uninteressant
 

Ich lachte auf Grund des Geständnisses. Ich mochte die ehrliche Antwort und ein bisschen den Grund für seine Lüge.
 

[13:58] Donnie: du musst mich ja echt geil finden. O_o“

[13:58] Morty: klar, wer täte das nich?!

[13:58] Donnie: argh, sorry, meine mutter ruft zum essen.

[13:58] Donnie: ich bin heute abend dann wieder on.

[13:58] Donnie: bis dann
 

Ich ging offline ohne auf eine Antwort zu warten. Meine Mutter mochte es nicht, wenn man nicht gleich kam, wenn sie gerufen hatte. Da konnte sie wirklich stinkig werden und vermutlich würde es Pascal überleben, so abgewürgt zu werden. Er schien mir doch so ein Mensch zu sein, der einem sowas nicht krumm nahm.

Mein Vater war noch nicht daheim, deswegen saßen nur meine Schwester, meine Mutter und ich am Tisch. Es gab auch nur Kartoffelpüree mit Fischstäbchen und Spinat. Ich hasste Kartoffelpüree, weswegen ich etwas lustlos darin rumstocherte. Ich verstand gar nicht, wer so eine Pampe runterbrachte. Das schmeckte doch nicht einmal entfernt nach Kartoffeln. Aber der Rest meiner Familie mochte es und ich wurde leider Gottes so erzogen, dass man aß was auf den Tisch kam und wenn es nicht schmeckte, nahm man sich halt weniger davon und aß es schnell.

Meine Schwester plapperte von dem Unterricht heute und schien nur vor sich hin zu sprudeln wie ein Wasserfall. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie durch ihr vieles Reden versuchte das Schweigen, dass ich verursachte, auszufüllen. Wenn sie nur nicht so schrecklich langweilige Dinge erzählen würde. Ich seufzte und schob das Püree auf dem Teller herum. Was ich an Kartoffelbrei mochte, war dass man sich darin fast verkünstelten konnte.

Vielleicht kennt ihr ja diese Simpsons-Folge, in der Homer vom Leben als Clown träumt und aus seinem Kartoffelpüree ein Zirkuszelt zaubert. Sowas ähnliches tat ich auch gerade, nur hatte ich für ein ganzes Zirkuszelt doch zu wenig Kartoffelbrei und ich würde mir sicher nicht mehr auf den Teller tun!

„Schatz, spiel nicht mit dem Essen.“, kam es dann kurz von meiner Mutter, während Jana immer noch weiter redete.

Ich angelte nach dem Ketchup und goss ordentlich etwas über die gelbe Pampe. Damit sollte es doch einigermaßen genießbar sein. Ich hasste es, wenn meine Mutter mich ermahnte, aber ich fand es auch albern zu protestieren – das ging übrigens auch ohne Worte - aus dem Alter war ich immerhin raus.
 

Der Raum in dem ich saß war modern, hell und farbenfroh eingerichtet. Es standen ein paar Pflanzen herum und hinter dem Schreibtisch, der fast mittig im Raum stand, war ein Regal vollgestopft mit dicken Wälzern, die mit irgendwelchen sehr theoretisch klingenden Titel prahlten.

Es war das Behandlungszimmer meiner Psychologin, Frau Doktor Schwelstein. Eine sympathische Frau, die auf ihre fünfzig zusteuerte, was man den vereinzelten grauen Strähnen in ihrem sonst blonden und modern geschnitten Haar sah, und einen durch ihre unauffällige Brille mit wachen Augen musterte. Auf mich wirkte sie wie eine Frau, die wusste wie man mit der Zeit ging, was wichtig war als Psychologin für Jugendliche. Wen anders würde man doch gar nicht ernstnehmen.

Alles an ihr wirkte allerdings seriös und kompetent. Was es auch sollte, sie war ziemlich teuer.

Sie hatte ihr wissendes Psychologinnenlächeln aufgesetzt und drückte mir kurz die Hand, als ich eintrat.

Ich setzte mich in den bequemen Sessel, der am Schreibtisch stand und sie nahm mir gegenüber Platz. Vor ihr lag meine Akte, die sie allerdings nie aufklappte, wenn ich anwesend war. Ich wusste sowieso was darin stand, das wurde mir immerhin oft genug mitgeteilt.

Wir kannten das Problem, wir kannten die Lösung, aber wir kannten nicht die Ursache. Es war manchmal entnervend. Ich hatte zuweilen das Gefühl, als würden wir einfach auf der Stelle treten. Am Anfang war ich oft wütend geworden, hier. Ich wollte schreien, aber keine Stimme kam heraus, ich warf den Sessel um, schlug auf den Schreibtisch, heulte, tigerte unruhig im Zimmer auf und ab. Ich war so frustriert gewesen, bin es vielleicht manchmal immer noch.

Frau Schwelstein war immer ruhig geblieben während meiner Anfälle, hatte stets gewartet, bis ich mich wieder abgeregt hatte und mich dann verabschiedet, nicht weiter mit Fragen gedrängt.

Ich glaube, mittlerweile ging ich mit einer gewissen Resignation zu diesen Sitzungen. Ich wusste nicht, ob sie mir wirklich weiterhelfen konnten, aber vielleicht waren sie auch einfach besser, als nichts zu tun. Möglicherweise war auch Frau Schwelstein nur dafür da, dass ich nicht über mein Stummwerden verrückt werde und der Grund, das Problem zu finden, war nur ein Vorwand, dass ich immer wieder hinging und mich behandeln ließ, damit ich normal blieb.

Solche Gedanken weckten eine gewisse Bitterkeit in mir.

Es würde meinen Eltern aber ähnlich sehen, sie waren manchmal so... so um das Erscheinen nach außen hin bemüht.

Frau Schwelstein legte einen Stift und Papier vor mich hin. Sie würde das, was ich ihr aufschrieb, nachher zu ihren Akten legen. Ob sie wohl auch Schriftanalyse damit anstellte? Ich könnte es mir bei ihr förmlich vorstellen.

„Wie war die Schule diese Woche?“, fing sie an zu sprechen. Ihre Stimme hatte einen angenehmen, ruhigen Klang. Die Frage stellte sie mir jede Woche, es war eine von vielen Fragen, die jedes Mal kamen und bei denen ich nicht genau wusste, worauf sie abzielten, da ich meistens das Gleiche antwortete. Ich nahm den Kuli zur Hand und schrieb in meiner etwas krakeligen Handschrift ´okay´ hin.

„Und wie läuft es mit deinen Freunden?“ Ich tippte kurz nochmal auf das Wort.

Sie nickte.

„Mit der Familie ist wohl auch alles okay.“, sie lächelte leicht ironisch. Ich zuckte nur mit den Schultern und grinste entschuldigend. Ich wusste nicht, ob es sie störte, dass ich nur immer okay schrieb, aber es war nun mal alles in Ordnung bei mir.

Sie schrieb kurz etwas auf das Papier vor sich, für die Akte.

„Wir waren bei dem Konzert stehen geblieben.“

Ich nickte.

„Gehst du noch zu Konzerten?“

Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte nicht mehr das Bedürfnis danach gehabt. Warum wusste ich leider nicht genau. Es war einfach... das erste an was ich mich erinnern konnte, als es darum ging, an den „schicksalhaften Tag“ - es klang so überzogen dramatisch – zurück zu denken, war mir das Konzert eingefallen. Viel mehr hatte ich davon geträumt, das war allerdings erst ein paar Wochen her. Der erste Erfolg seit Jahren, sozusagen. Aber ich wusste nicht, ob das Konzert wichtig war.

„Gibt es einen Grund, möchtest du nicht mehr?“ Sie schaute mich ernst an, ihren teuren Mont-Blanc-Füller in der Hand, abwartend.

Ich zuckte nur mit den Schultern.

„Schreib auf, was du meinst.“

War ja klar gewesen, sie mochte es nicht all zu sehr, wenn sie zu viel in meine Antworten interpretieren musste. `Keine Ahnung... hatte keine Lust mehr drauf.`

Ich schob ihr das Papier zu, sie las es kurz, nickte und schob das Blatt wieder zu mir.

„Okay, du mochtest Konzerte, oder?“

Ich nickte.

„Denkst du, dass es mit etwas zusammenhing, was auf dem Konzert passiert ist?“

Die Frage hatte sie das letzte Mal schon gestellt, ich hatte ihr nur aufgeschrieben, dass ich mir noch nicht sicher war. Ich hatte darüber nachgedacht.

Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte mich an alles von dem Konzert erinnern, fast körperlich, das rasende Gefühl, das Adrenalin, das durch meine Adern geflossen war, die Begeisterung. Nach dem Traum wäre ich am liebsten auf das erste Konzert, das sich anbieten würde, gegangen. Ich hab den Gedanken allerdings schnell wieder aufgegeben. Wäre sowieso niemand mitgekommen, außerdem war trotzdem ein bisschen Angst da. Angst, dass das Konzert vielleicht doch wichtig war.

Frau Schwelstein nickte, notierte sich kurz etwas.

Dann schaute sie wieder zu mir auf und lächelte. „Das ist doch schon mal etwas.“

Ich wusste nicht viel mit den Worten anzufangen. Ich konnte immer noch nicht sprechen und ich erinnerte mich nur an dieses dumme Konzert, auf dem ganz offensichtlich nichts Schlimmes passiert war. Ich wusste nicht mal, warum ich es vergessen hatte. Dummer, traumatischer Schock.

„Nun schau nicht so bockig, Johannes.“

Kurz spürte ich die alte Wut in mir hochkriechen. Aber ich schluckte sie runter. Ich war jetzt siebzehn, ich sollte mich doch wirklich mal unter Kontrolle haben. Allerdings hatte ich keine Lust mehr auf die Sitzung. Wir hatte noch gar nichts. Nichts! Sie hatte doch immer noch keinen Schimmer, was wir tun sollten. Seit Jahren nicht!

„Sollen wir Schluss machen, für heute?“

Ich nickte nur wieder, stand auf und verließ komplett grußlos das Behandlungszimmer. Ich hörte Frau Schwelstein seufzen, als ich die Türe hinter mir zuschlug. Jetzt fühlte ich mich wieder wie fünfzehn und mitten in der Pubertät. Ach, Mist. Ich hatte mir einfach viele Hoffnungen gemacht, als ich von „damals“ geträumt hatte. Das war vielleicht mein Fehler gewesen.
 

Ich schmiss mich zuhause auf mein Bett und ließ die Welt Welt sein. Ich starrte die Tapete vor mir an, sie war weiß und auf den ersten Blick gab es rein gar nichts auf ihr zu sehen. Auf den zweiten Blick auch nicht. Aber wenn man solange einen Punkt anstarrte, musste einem einfach etwas auffallen. Ich hatte eine leichte Unebenheit bemerkt, die je nach Blickwinkel ein bisschen die Form veränderte. Wobei ich nicht viele Blickwinkel ausprobierte, da ich mich nicht groß bewegen wollte. Ich starrte diese Unebenheit mit meiner vollen Konzentration an und irgendwie schienen meine ganzen Gedanken sich alle auf diesen Fleck zu fokussieren. Es fühlte sich an, als hätte man ein Vakuum im Kopf. Totale Leere.

Ich merkte erst, dass ich heulte, als mein Blick von den Tränen verschwamm und diese dumme Unebenheit dadurch wieder ihr Aussehen veränderte.

Ich hörte meine Mutter an meine Zimmertüre klopfen, sie sagte mir, dass ich heute nicht kochen müsste. Hätte ich sowieso nicht gemacht, ich würde dieses Bett heute nicht mehr verlassen.

Manchmal tat es gut, zu weinen und manchmal fühlte man sich dann zum Kotzen. Ich fühlte mich zum Kotzen und war froh, als ich vom Heulen und unterdrückten Schluchzen müde endlich einschlief.

Higgs-Boson

Ich kramte in meiner Hosentasche nach Kleingeld, während ich vor einem Zigarettenautomat stand. Meine letzte Zigarette hatte ich heute morgen um vier ziemlich nach dem Aufwachen geraucht und jetzt brauchte ich wirklich noch eine bevor der Schulbus kam. Zum Glück lag der Zigarettenautomat auf dem Weg zur Haltestelle. Jetzt kam es nur noch darauf an, ob ich genug Geld zusammenkratzen konnte. Das Zeug war aber auch teuer geworden.

Ich förderte ein paar Cent zu tage, von denen ich mir vermutlich nicht mal eine halbe Kippe leisten konnte. Frustriert starrte ich auf mein ganzes Vermögen. Einfach Scheiße.

Naja, vielleicht hatte ich Glück und ich konnte mir etwas von Victor schnorren.

Die Bushaltestelle war wie immer noch komplett verlassen. Ich ließ mich auf der Bank nieder und starrte auf meine Füsse, wie sie vor- und zurückpendelten, lauschte dem Geräusch, das sie verursachten, wenn sie den Asphalt streiften. Vor und zurück. Die weiße Spitze meiner Schuhe war zerkratzt und dreckig, die Schnürsenkel, immer offen, an den Enden aufgetreten und an den Seiten löste sich der blaue Stoff schon langsam von der Sohle. Vielleicht sollte ich mir für den Winter wärmere Schuhe besorgen. Ich seufzte.

Eigentlich sollte ich mich freuen, über den kurzen Traum. Immerhin schien ich doch langsam der Ursache näher zu kommen. Aber es fühlte sich nicht so an, weil ich von Simone geträumt hatte. Beklommen schluckte ich einen Kloß in meinem Hals herunter. Immerhin war sie meine erste große Liebe gewesen und wir waren ein dreiviertel Jahr zusammen gewesen, was für einen Fünfzehnjährigen doch eine enorme Leistung war, wie ich fand. Sie war zwei Jahre älter als ich und ich war immer wieder erstaunt, dass sie an einem jungen Kerl wie mir Interesse gezeigt hatte, war aber sehr glücklich darüber.

Ich weiß nicht mehr, warum Schluss war. Immerhin fehlten mir ja mehrere Wochen meiner Erinnerungen, der Ursprung meiner Stummheit und irgendwo lag da auch der Grund für unsere Trennung. Manchmal vermisste ich Simone, sie hatte allerdings schon seit einem Jahr einen neuen Freund und wirkte sehr glücklich mit ihm. Außerdem... welches vernünftige Mädchen wollte schon einen Typ, mit dem man sich nicht unterhalten konnte?! Und ich war, obwohl ich selber nicht sprechen konnte, ein miserabler Zuhörer, also machte ich auch so keine Pluspunkte.

Wo blieb eigentlich Victor? Ablenken war angesagt.

Zum Glück ließ er nicht allzu lange auf sich warten, sonst hätten mich wohl wieder die Gedanken an Simone eingeholt. Schwerfällig ließ er sich neben mir fallen und wir schwiegen.

Ich stieß ihn kurz an und tat so, als würde ich eine imaginäre Zigarette rauchen.

„Jetzt noch? Der Bus kommt doch gleich...“, etwas brummig holte Victor seine Kippen aus seiner dunklen Jacke. Er mochte es nicht angeschnorrt zu werden, wenn ich ihn dafür nicht immer wieder so Kippen anbieten würde, würde ich sicher keine kriegen. Er reichte mir eine, nahm sich selber aber keine raus. Mein guter, bester Freund war sogar so nett, mir die Zigarette noch anzünden. Zufrieden zog ich an dem Glimmstengel. Schon viel besser.

„Du warst gestern gar nicht online...“ Es war mehr eine Feststellung, als ein Vorwurf.

Ich zuckte mit den Schultern und bließ den Rauch in die frische Morgenluft, wo er sich mit meinem Atem vermischt in den Himmel verflüchtigt.

Victor konnte lange nicht so gut damit umgehen, dass ich stumm war, als ich gehofft hatte. Wenn man es genau nahm, kam er fast gar nicht damit klar. Unsere Freundschaft war in den letzten zwei Jahren merklich abgekühlt und basierte mittlerweile fast nur noch online. Wenn wir nicht in der gleichen Schule wäre, würden wir uns wohl gar nicht mehr sehen.

Ich wusste nicht, ob die Entwicklung auch gekommen wäre, wenn ich noch sprechen könnte. Vielleicht. Gehörte vermutlich zum Älterwerden dazu, sich auseinander zu leben.

„Ich krieg heute mein Auto.“ Klartext: Er würde nicht mehr mit dem Bus fahren.

Victor war ein Jahr älter als ich, ist in der siebten sitzen geblieben, sodass wir in einer Klasse waren. Wir kannten uns allerdings schon viel länger, waren sowas wie Sandkastenfreunde. Was daran lag, dass unsere Eltern gut miteinander befreundet waren.

Im Kindergarten konnten wir uns allerdings nicht ausstehen und haben uns die meiste Zeit geprügelt. Keine Ahnung mehr wieso. Kinder sind wohl so.

„Ich könnte dich und Jana mitnehmen, wenn du magst.“

Jana... Warum musste eigentlich mein bester Freund so klischeehaft hinter meiner Schwester her sein? Ich hätte ihm gerne gesagt, dass Jana vermutlich nicht annehmen würde. Wir gingen ja nicht mal zusammen zur Bushaltestelle. Sie hatte ihre Freunde und ich hatte meine, und ich glaube, sie fühlte sich nicht sehr wohl in der Gesellschaft meiner älteren Freunde.

Trotzdem nickte ich.

„Aber im Auto wird nicht geraucht!“

Ich wedelte mit der Hand. Ich rauchte ja auch nicht im Bus... was dachte er nur von mir.

„Ich mein das ernst, Jo. Mein Vater killt mich sonst, wenn er das mitkriegt.“

Ich grinste ihn an. Victor starrte mich kurz grimmig an und dann auf den Asphalt. Ich glaub, das war einer der Momente, an denen er mal wieder verfluchte, dass ich nicht sprechen konnte. Er war einfach nicht so der Mensch für Subtiles. Er wollte gesagte Worte, an denen man sich festhalten konnte und nicht vage Andeutungen, die man aus Gestik und Mimik lesen musste. Manchmal dachte ich mir, dass ihn mein Mutismus mehr getroffen hatte als mich.

Man merkte wieder das unruhige Erwarten des Busses, das durch die Schüler hier ging. Ich schmiss meine Kippe auf den Boden und trat sie aus, blieb aber noch sitzen. Ich beobachtete wie sich alle mehr oder weniger geordnet in eine Schlange begaben und nach und nach einstiegen.

Vielleicht war es ja das letzte Mal, dass ich ihnen morgens dabei zuschauen konnte. Man sollte solche Momente mehr auskosten.

Ich stieg als letzter ein. Hinten saßen wieder Raphael und Miguel und erwarteten uns schon. Jeden Morgen dasselbe Bild und es störte mich nicht. Routine war ein sicherer Rahmen, den viele einfach nicht zu schätzen wussten.
 

Miguel neben mir redete. Ich starrte auf seinem Mund, er ging auf und zu und das so rasend schnell, dass es mich irgendwie faszinierte. Was er sagte, interessierte mich nicht im Geringsten. Ich staunte gerade einfach nur, wie schnell man soviel reden konnte. Ich wartete immer drauf, dass er mal Luft holen musste und dann einen Moment stoppen würde, aber er tat es nie. Er musste eine geheime Methode besitzen, die dafür sorgte, dass man einfach nicht mehr atmen musste. Oder es war einfach die jahrelange Übung, vielleicht auch seine spanischen Gene. In jedem Fall war ich gerade ganz davon eingenommen.

Wir saßen heute zum Glück alle in der Pausenhalle, an einer Bankreihe direkt an der Wand. Victor und Raphael standen etwas abseits, wieder im Gespräch versunken mit den zwei Mädchen von gestern, glaube ich. Neben Miguel saß irgend ein Kerl, den ich nicht näher kennenlernen wollte. Er sah unheimlich unsympathisch aus mit den gegelten Haaren und dem glitzerenden Stein im Ohr. Fuck. Jeder würde sagen, dass das schwul aussieht, wenn nicht gerade diese Typen so unheimlich Macho wären, dass man sie am laufenden Band schlagen wollte. Dass Miguel mit solchen Typen rumhing, wunderte mich nicht. Er war nicht wählerisch, was seine Gesellschaft anging. Was irgendwo eigentlich auch ganz nett war, da er sich ohne Vorurteile auf Menschen einließ. Ich hatte ja den Verdacht, dass es ihm einfach nur egal war, wen er mit seiner Redeflut ersäufen konnte.

Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sich jemand unserer Gruppe näherte.

Es war Pascal, der sich sofort zu mir gesellte. Ich nickte ihm zu.

„Donnie...“ Er spielte auf meinen Nick an. „Ich nehme mal an von Donnie Darko, oder?“

Ein breites Grinsen schlich sich auf mein Gesicht, der Junge verstand mich.

„Mhm...“ Pascal strich sich durch seinen imaginären Bart und starrte nach oben, dann unvermittelt zu mir mit einem offenen Lächeln. „Passt zu dir.“

Schweigen. Ich beobachtete wieder meine Füsse beim Vor- und Zurückschwingen, linste aber ein paar mal zu Pascal, der einfach an die Decke starrte, als würde er über etwas nachdenken. Ich fand es nett, dass er einfach hier blieb, obwohl man mit mir nicht reden konnte.

„Ich mag den Film. Also ich fand ja Grandma Death einfach geil und was mich immer total fasziniert hat, waren diese Notizzettel an der Kühlschranktür. Ich weiß gar nicht warum, aber irgendwie sind die mir am Besten in Erinnerung geblieben.“ Jetzt schaute er wieder zu mir, etwas Forschendes lag in seinem Blick. Ich strich mir unruhig meine dunklen, kinnlangen Haare zurück, die sofort wieder in mein Gesicht fielen. Ich fand es unangenehm, wenn man mich so anstarrte.

„Du mochtest das Ende, hab ich recht? Ab dem Zeitpunkt als ´Mad World´ einsetzt.“

Ich senkte den Blick und nickte. Sah man mir so etwas etwa an?

„Ich bin ja so gut. Nenn mich Gott!“ Pascal lachte und umarmte mich. Er schien sich ja wirklich zu freuen, dass er richtig lag. „Ich hab ja gestern noch die ganze Zeit überlegt, was du an dem Film mögen würdest... Find ich geil, dass ich richtig lag.“

Ich starrte wieder auf meine Schuhe. Was für ein Idiot... über sowas machte man sich doch keine Gedanken. Er ließ mich wieder los und plapperte einfach weiter.

„Also, wenn ich den Film gemacht hätte... irgendwie, ich hätte gewollt dass dieses dicke, asiatische Mädchen... nich so unglücklich is. Sie tat mir so leid.“

Meine Reaktion war nur ein Schulterzucken. Ich hatte mir um das Mädchen nicht viele Gedanken gemacht. Sie war eine unwichtige Nebenrolle.

„Hm... willst du eigentlich noch Zeichensprache lernen?“ Ich war zu irritiert vom Themenwechsel, als mehr zu tun, als ihn doof anzustarren.

„Nun schau nich so geschockt. Ich hab zwar keine taubstumme Schwester, aber n paar Sachen von der Zeichensprache kann ich! Mich hat das schon als Kind total fasziniert, wenn man sich irgendwie anders als mit Gesagtem ausdrücken musste. Ich fand das immer cool. Ich hab auch voll oft so gespielt, als wäre ich stumm.“ Er grinste wieder, schien amüsiert über seine Kindheitserinnerungen. Aber jetzt wusste ich wenigstens, was er von mir wollte. Und irgendwie störte es mich, ich war für ihn also auch nur der komische, stumme Typ.

„Woah, zieh nich so ein Gesicht, Donnie. Das macht nämlich häßliche Falten und das willst du doch nich! Damit schaut dich doch kein Mädchen mehr an.“ Er piekte gegen meine Mundwinkel und war noch näher gerutscht, als sowieso schon. Aufdringlicher Kerl.

Grummelig schlug ich nach seiner Hand. Ich mochte es nicht, wenn man in meinem Gesicht rumtatschte. Womit er aufhörte, nur um mich einfach taktlos zu kitzeln. Oh Gott, ich hasste ihn im Moment dafür. Ich schlug wie bescheuert nach seinen Händen und japste nach Luft. Ich hörte lachen und spürte, wie ich selber lachte, was mir aber nicht wirklich auffiel, da ich viel zu beschäftigt damit war, die Hände abzuwehren. Kitzeln war einfach schrecklich, das war entwürdigend und... kitzelig. Ich fand es schrecklich.

Schließlich hatte er doch noch Erbarmen und ließ mich in Ruhe. Ich schlug ihm noch mit der flachen Hand gegen den Hinterkopf, was sein Lachen endlich zum Verstummen brachte. Er schien mehr Spass an der Kitzelaktion gehabt zu haben als ich. Er rieb sich den Hinterkopf und zog einen leichten Schmollmund, als er mich anguckte. „Ich wollte dich nur etwas aufheitern und so dankst du es mir...“

Ich verschränkte nur meine Arme und starrte ihn trotzig an, was mir nur einen weiteren Knuff in meine schon vom Kitzeln malträtierte Seite einbrachte. Ich boxte ihn dafür gegen die Schulter. Pascal war einfach doof. Ich lachte trotzdem mein tonloses Lachen.

Es gongte zum Pausenschluss und es kam eine träge Bewegung in die Schülermassen. Niemand hatte es sonderlich eilig in die Klassenräume zu kommen. Pascal hatte in einem anderen Gebäudetrakt Unterricht, so trennten sich unsere Wege schon im Pausenraum.

Was mir sofort die Gesellschaft von Miguel einbrachte, der gerade mich als passendes Opfer für seinen Redeschwall auserkoren hatte.

„Wenn du mich fragst, also wenn du mich fragen könntest, also du weiß ja, was ich meine... Also meiner Meinung nach, steht der Typ auf dich. Er flirtet in jedem Fall mit dir und zwar massiv. Ich wusste gar nicht, dass du schwul bist und ich dachte ja der Typ ist der Freund von der Doro. Isser das nicht? Du bist auf sein Flirten eingegangen. Du stehst doch nich auf Kerle? Also ich weiß nich, fänd ich in jedem Fall komisch. Du würdest doch was sagen, wenn du es tätest, oder? Das wäre nämlich nur fair...“

Ab diesem Zeitpunkt hatte ich einfach abgeschalten und beschlossen, Miguel nich weiterzuzuhören. Der Junge hatte einfach eine Vollmeise. Ich war froh, dass wir in der Klasse recht weit voneinaner wegsaßen und er mich nicht weiter mit der Kunst des pausenlosen Redens überwältigen konnte.

Ich setzte mich auf meinen Fensterplatz und beobachtete meine Mitschüler, die nach und nach den Klassenraum betraten. Jedes Gesicht war für mich ein Name und eine kurze damit verbundene Geschichte. Leute, die einen nicht interessierten und unwichtig waren und trotzdem wusste man etwas über sie. Dumme Welt. Kurz fragte ich mich, ob wir vielleicht auch so ein Mädchen in der Klasse hatten, wie diese kleine, dicke Asiatin aus Donnie Darko. Ein unglückliches Mädchen, das nirgendwo Anschluss fand und nicht ernst genommen wurde. Ich betrachtete die Gesichter weiter. Ich wusste es ehrlich gesagt nicht. Ich hatte mich nie viel mit Außenseitern befasst.

Victor und Raphael waren eine der letzten, die das Klassenzimmer betraten. Die beiden waren in meinen zwei sehr stummen Jahren immer bessere Freunde geworden. Irgendwie hatte Raphael wohl schon längst meinen Platz bei Victor eingenommen.

Nächstes Jahr würde ich wahrscheinlich um einen Sitzplaz neben Victor kämpfen müssen, wenn ich einen haben wollte. Aber wer wusste schon, was in einem Jahr war.

Vielleicht würde ich dann neben Miguel sitzen. Immerhin hatte er ja auch Raphael irgendwie an Victor verloren, deswegen hatte ich ihn wohl auch in letzter Zeit oft an der Backe kleben.

Ich war in jedem Fall froh, dass ich kein Mädchen war und meine Freundschaften durch heftiges Gezicke unwiderruflich gestorben waren, sondern einfach nur langsam vergingen. Etwas, wo man niemandem einen Vorwurf machen konnte, sowas passierte mit der Zeit einfach. Dafür bekam man ja neue Freunde.

Das war eines dieser Dinge, die im stetigen Wandeln sind, von denen man ständig erzählt bekam. Die Welt war im Wandel! Und wir in diesem Alter sowieso.

Nächstes Jahr war Abitur angesagt. Der erste, große Speicherpunkt unseres Lebens. Wir würden dann die zweite Zwölfte sein, die hier an der Schule ihr Abitur machte. Jetzt musste ja alles schneller gehen, schneller Abitur, schneller studieren, früher arbeiten gehen und dann hoffentlich früher sterben. Ich fand, es klang nach einem großen Beschiss. Aber mich fragte ja niemand, ich würde ja sowieso nicht antworten können.

Ich stützte meinen Kopf auf meine beiden Hände und starrte an die Tafel, an der es nichts Spannendes zu sehen gab. Mein Blick wanderte auf die Tischplatte und blieb an einem Wort hängen, das man wohl schon vor Jahren in die Schulbank eingeritzt hatte. ´Hallo´ stand da für die Ewigkeit. Etwas, wo man sich nichts bei gedacht hatte, es einfach aus Langweile hat entstehen lassen, hatte Generationen von Schülern, die diese Schulbank definitiv gesehen hat, tagein und tagaus begrüßt und würde es wohl noch ein paar weitere Generationen tun. Ich fuhr es mit einer Hand nach. Dummes Wort.

Eigentlich wurde von mir erwartet, dass ich reges Interesse am Unterricht zeigte, trotz meines kleines Sprachdefizits, wie sie es nannten. Aber ich musste mir keine Sorgen machen, dass ich aufgerufen wurde. Was eigentlich sehr entspannend war. Es reichte, wenn ich einfach nicht im Unterricht schlief, was ich sowieso nicht getan hätte und mitschrieb, was ich sowieso tat, da ich sonst vermutlich einschlafen würde. Wenn man sich beschäftigt, wurde man auch nicht müde im Unterricht.

So gesehen war der Unterricht jetzt angenehmer, dadurch dass ich nicht mehr sprechen konnte. Es war nämlich immer absoluter Horror für mich, vor der ganzen Klasse sprechen zu müssen. Selbst wenn ich den Stoff beherrschte und wusste wovon ich sprach. Aber okay, vielleicht war das mit fünfzehn normal und man bekam erst mit einem gewissen Alter die Ruhe dafür.

Kurz dachte ich mir, dass ich wohl durch diese zwei Jahre Schweigen Defizite aufweisen würde, die schwer wieder auszugleichen waren, wenn ich wieder sprechen konnte. Aber momentan wäre ich schon einfach froh, wenn ich in absehbarer Zeit meine Stimme wieder finden würde.

Ich seufzte und wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Lehrer zu.

Tachion

Ich goss Fett in die Pfanne und fing dann an, die Zwiebeln zu schneiden. Obwohl ich das Messer beim Schneiden immer wieder unter kaltes Wasser hielt, damit meine Augen nicht so tränten, brachte es nicht sonderlich viel, es flossen trotzdem massig Tränen. Was allerdings für die Zwiebel sprach, gute Qualität. Darauf legte meine Mutter immer viel wert.

Mit geübten Handgriffen hatte ich die Zwiebel auch in wunderbar kleine Stücke geschnitten und dünstete sie in dem heißen Fett an. Kurz ließ ich sie ruhen, um aus dem Kühlschrank das frische gekaufte Hackfleisch zu holen, das dann auch gleich leise brutzelnd in der Pfanne landete. Der Speisewein und die getrockneten Tomaten lagen schon bereit und warteten auf ihren Einsatz.

Währenddessen schmiss ich die Nudeln in das kochende Wasser, das ich vorhin schon aufgesetzt hatte.

Mittlerweile hatte ich auch das richtige Timing raus, sodass auch die Soße zeitgleich mit den Nudeln fertig wurde. Spaghetti Bologense, ich wusste gar nicht, wie oft ich das schon gekocht hatte und wie ich fand, beherrschte ich das mittlerweile fast bis zur Perfektion.

Ich mochte es zu kochen. Ich fand es ziemlich entspannend und ehrlich gesagt, verstand ich nicht, wie man nicht kochen konnte. Meine Schwester und ich hatten es beide recht früh gelernt, standen meistens mit in der Küche, wenn meine Mutter kochte und ließen uns immer wieder erzählen, was man tun musste, damit das so und so schmeckte. Sie ließ uns auch recht früh unsere eigenen Versuche machen und seit drei Jahren musste ich auch einmal in der Woche für die ganze Familie kochen, genau wie meine Schwester, die vor einem Jahr damit angefangen hat. Vielleicht hatte meine Mutter einfach darauf hingearbeitet, dass man ihr die Arbeit mit dem Kochen abnahm. Wenn man seit dreißig Jahren jeden Tag kochen musste und das noch nach der Arbeit, würde es mir wohl auch zum Hals raushängen.

Deswegen gab es auch in letzter Zeit immer öfter Aufbackpizza, oder eben so tolle Dinge wie Fertigkartoffelbrei – natürlich Bio! - und Fischstäbchen. Aber ich fand es ganz okay. Wenn ich mit Kochen dran war, machte ich eben, was mir schmeckte.

Im Moment war allerdings alles am Köcheln. Das war die Zeit, die meine Mutter immer nutzte, um damit anzufangen, alles in der Küche sauber zu machen. Das hatte ich mir aber zum Leidtragen meiner Mutter nie zu eigen gemacht. Die Küche glich immer einem Schlachtfeld, wenn ich gekocht hatte. Zum Glück hatten wir mal ausgemacht, wer kochte, musste nicht spülen.

Ich schmeckte die Soße noch ab und machte mich gerade daran, die Nudeln davon abzuhalten komplett zu verkochen. In dem Moment schaute auch meine Mutter in die Küche. Sie lächelte mich an – viele behaupteten ja, dass ich das Lächeln von meiner Mutter habe. Keine Ahnung, ob das stimmte.

„Deck du doch noch den Tisch, ich mach noch den Salat.“

Ich stellte den Topf mit den abgegossenen Nudeln wieder auf die Herdplatte und tat wie mir geheißen. Wir hatten ein eigenes Esszimmer, in dem wir auch die meisten unser Parties veranstalteten. Es war recht groß und hell. Neben einem großen, alten Tisch aus dunkelem Holz, gab es noch die Ablage, in der wir das Geschirr und Besteck aufbewahrten und ein großes, gemütliches Sofa, auf das sich mein Vater oft setzte, nachdem er mit dem Essen fertig war.

Ich mochte den Raum irgendwie, aber man spürte durch und durch, dass es einer der Räume war, der fast nur von meinen Eltern bewohnt wurde. Meine Mutter saß morgens meistens auf dem Sofa und las dort ihre Zeitung, oder sie war auf der Terrasse, die gleich an das Esszimmer anschloss. Es standen Kinderfotos von Jana und mir auf der Ablage, neben einer Stereoanlage aus der man meistens ruhige, klassische Musik hörte oder so Zeug aus den Siebzigern, dem ich noch weniger abgewinnen konnte als der klassichen Musik.

Ich deckte den Tisch nachlässig wie immer und setzt mich dann auf das Sofa.

Ehrlich gesagt fühlte ich mich etwas müde und angeschlagen. Ich glaube, es hing mit dem Traum zusammen oder besser gesagt mit Simone. Es nagte immer noch an mir, dass ich nicht wusste, warum Simone damals mit mir Schluss gemacht hatte.

Sie hatte nachdem ich Dinge wieder bewusst wahrgenommen hatte, schon nicht mehr mit mir gesprochen und ich konnte sie nicht fragen, nicht weil ich stumm war, sondern weil ich vor irgendetwas Angst hatte, keine Ahnung vor was. Bis gestern Nacht wusste ich nicht einmal, dass sie mit meinem Stummwerden wohl direkt zu tun hatte.

Vielleicht sollte ich sie jetzt danach fragen...

Okay, ich wusste, dass ich das nicht tun würde. Es war einfach schon alles zu lange her und ich erinnerte mich ja mittlerweile von alleine. Ich brauchte Simone nicht mehr und ich war auch über sie hinweg. Aber nicht zu wissen, warum sich eine geliebte Person von einem abwandte, gab einem ein Gefühl von Ungewissheit, das an einem nagte. Es fiel einem einfach schwerer einen direkten Abschluss zu machen. Es war jetzt allerdings schon lange genug her, ich wusste, dass ich Simone nicht mehr liebte und es auch nie wieder tun würde.

Wenn sie mir mal noch zufällig in der Stadt über den Weg lief, dann konnte ich an ihr vorbei gehen, ohne dass sich mein Herz dabei zusammenzog und mein Magen sich unangenehm verkrampfte. Hatte lange genug gedauert. Ich war auch sehr erleichtert gewesen, als ich erfahren hatte, dass sie zum Studieren wegziehen würde.

Jana kam telefonierend in das Esszimmer. Sie kaute dabei einen Kaugummi und machte irgendwelche zustimmende Laute, ab und an kam auch ein „Echt?“ oder „Is nich wahr!“ von ihr. Was mir deutlich sagte, dass sie mit einem Jungen sprach. Wenn sie mit einen ihrer Freundinnen telefonierte, war sie meistens diejenige, die das Gespräch anführte. Bei Jungs hielt sie sich immer zurück und tat so, als wäre es das Spannendeste was sie je gehört hatte, was ihr irgend ein Kerl erzählte.

„Okay, ciao, bis morgen.“ Sie legte auf. Während sie geredet hatte, war sie immer wieder auf und ab gelaufen. Scheinbar war es ihr recht egal, dass ich auch in dem Zimmer war und dass ich das Telefonat mitbekam. Aber gut, was Interessantes hatte ich jetzt auch nicht erfahren.

„Victor meint, er nimmt uns ab Morgen mit seinem Auto mit in die Schule!“ Sie strahlte mich begeistert an, als hätte man ihr gerade einfach so Geld geschenkt oder ihr die ewige Liebe geschworen. „Ist das nicht cool? Woah, ich fand Busfahren ja eh immer so ätzend und er meinte, Nathalie könnte auch mitfahren.... Hach, das ist so klasse.“

Sie schien auf irgendeine Antwort von mir zu erwarten. Bei Jana hatte ich manchmal das Gefühl, dass sie einfach vergass, dass ich nicht sprechen konnte.

Ich verdrehte nur die Augen. Ich fand es gar nicht toll, dass sie so begeistert war. Ich wollte nicht, dass meine kleine Schwester und mein bester Freund irgendwie was miteinander zu tun hatten, was nicht mit mir zusammen hing.

Und es störte mich auch, dass sie einfach so telefonierten. Victor hat mich seit Jahren nicht mehr angerufen, okay, wozu auch. Aber was wollte er eigentlich von Jana?! Ich mein, er hätte doch sowieso keine Chance bei ihr. Ich wusste zwar nicht, auf was genau für einen Typ Kerl Jana stand, aber bestimmt nicht auf Victor. Dafür war er einfach zu... zu unhübsch.

Ich hätte gerne etwas zu ihr gesagt.

Gerade im Familienalltag fiel mir auf, wie störend es war, dass ich nicht sprechen konnte. Da konnte man nicht einfach alles über Internet regeln. Und versucht mal mit euren Eltern über einen Zettel zu streiten, das war ein Ding der Unmöglichkeit.

Das hatte mich damals auch am Meisten frustriert. Wenn ich wütend war, konnte ich die Wut nicht rausschreien, wie ich es gewohnt war, keine unnötigen, dummen Streits anfangen, die Grenzen bei meinem Eltern suchen. Ich konnte nur mit Türen schlagen und Dinge um mich werfen. Was mir mit der Zeit auch zu dumm geworden ist, da es doch irgendwie sehr albern war.

Meine Pupertät war schon irgendwie frustrierend gewesen. Aber ich hab ja den leisen Verdacht, dass sie das wahrscheinlich bei allen so war.

Meine Mutter trug das Essen auf und wir setzten uns alle an den Tisch. Mein Vater war nicht da, also zumindest nicht am Tisch. Zuhause war er schon, was daran lag, dass er sich hier auch ein Büro eingerichtet hatte und seine unbezahlten Überstunden dort verbrachte. Derzeit war seine Firma an einem großen Bauauftrag dran und er sollte die Leitung übernehmen, deswegen sahen wir ihn noch seltener als eh schon. Meine Mutter würde ihm wohl nachher das Essen nach oben ins Büro bringen, damit er überhaupt was zu sich nahm. Wenn mein Vater sich mal in etwas reinsteigerte, vergass er die Welt um sich herum und manchmal hatte ich das Gefühl, als würde er seinen Job mehr lieben als irgendeinen Menschen. Vielleicht lag es ja daran, dass er in seinem Job irgendwie seine Erfüllung fand. Er war nämlich einer dieser wenigen glücklichen Menschen, die es geschafft haben ihren Traumjob zu kriegen.

Aber versteht mich nicht falsch. Ich weiß, dass mein Vater uns liebt und er hat uns jetzt auch nicht so vernachlässigt wie es vielleicht gerade geklungen hatte. Als wir jünger waren, haben wir immer viele Ausflüge gemacht und abends hat er uns immer noch eine Geschichte erzählt und zugedeckt. Bei wichtigen Entscheidungen in der Familie traten auch meine Eltern als geschlossene, stabile Einheit auf. Es war alles so klischeehaft, idyllisch, dass es mir manchmal etwas unwirklich vorkam. Aber ich wollte mich nicht darüber beschweren.

Ich aß das Essen auf meinem Teller etwas lustlos. Das Kochen hatte zwar Spass gemacht, aber wirklich Hunger hatte ich heute nicht. Das bemerkte auch meine Mutter, sie musterte mich eine Weile, sagte aber dann doch nichts.

Wenn ich hätte sprechen können, hätte sie mich jetzt bestimmt darauf angesprochen. Aber sie wollte mich wohl heute nicht mit meinem „Problem“ vor den Kopf stoßen.

Was für eine rücksichtsvolle Familie, nicht wahr?

Jetzt war mein Appetit ganz weg und ich stand auf, den halbvollen Teller nicht mehr weiter beachtend, und ging hoch in mein Zimmer. Niemand sagte etwas dazu.
 

Ich setzte mir die großen Kopfhörer auf, die meine Ohren ganz bedeckten und drehte die Musik an meinen Boxen noch etwas lauter. Im Moment wollte ich nur die Musik hören und sonst nichts. Ich saß auf meinem Sessel vor dem PC und hatte die Augen dabei geschlossen. Nur dieses eine Lied lang völlig darin versinken und nichts fühlen.

Als das Lied ausklang, öffnete ich wieder meine Augen und bemerkte ein Blinken unten in meiner Startleiste. Aha, ich war mal wieder wichtig.
 

[18:37] Morty: Guten Abend, der Herr

[18:39] Donnie: oh, hi...

[18:39] Donnie: also irgendwie...

[18:40] Morty: hm?

[18:40] Donnie: dein nick is scheiße

[18:40] Morty: lol >_<

[18:40] Morty: der hat eine lange hoheitsvolle tradition!

[18:40] Donnie: ah, traditionen... an sowas halte ich nich fest.

[18:40] Morty: aber... aber mein schöner nick. ;_;
 

Ich grinste. Ehrlich, Pascal war ja ganz cool, aber seinen Nick fand ich einfach unpassend. Morty, wer nannte sich schon Morty...
 

[18:40] Donnie: nein, nein, der muss weg!

[18:40] Morty: du bist ganz schön radikal XD

[18:40] Donnie: man muss wissen wie man seine prioritäten setzt

[18:41] Morty: ok dann will ich aber einen würdigen nachfolger für meinen wundervollen nick

[18:41] Donnie: hm...
 

Okay, Pascal oder eine Abwandlung davon wäre wohl zu einfallslos, aber ich kannte ihn noch nicht lang genug, um wirklich einen Nick zu finden, der zu ihm passen würde. Irgendwie ärgerte mich das.
 

[18:42] Donnie: ich kenn dich glaub zu schlecht um was gutes zu finden

[18:42] Morty: lol

[18:42] Morty: aber an morty rummeckern

[18:43] Donnie: woher kommt der nick eigentlich?

[18:43] Morty: -drop- lange, dumme geschichte O_o

[18:43] Donnie: jah?

[18:43] Morty: naja, okay, eigentlich war es der erste name, der mir eingefallen is und dumm klang. XD

[18:44] Donnie: pah und mir was von tradition erzählen, also wirklich.

[18:44] Morty: lol

[18:44] Morty: okay, ich weiß was.

[18:44] Donnie: jetzt kommt sicher sowas wie karl heinz, oder so.

[18:44] Morty: bring mich nich auf dumme gedanken -lach-

[18:44] Morty: aber wie wärs mit Frank

[18:44] Donnie: hey, das wäre ja sogar richtig passend

[18:44] Frank: ich wusste, du würdest die Idee mögen

[18:45] Donnie: naja, aber das kaninchen fand ich immer n bisschen gruselig.

[18:45] Frank: muihihi %D

[18:45] Donnie: lol

[18:46] Frank: Irgh, du ich muss off... meine Mutter will irgendwas

[18:46] Frank: kann länger dauern, sorry

[18:46] Donnie: schade

[18:46] Frank: joah ;_; man sieht sich

[18:46] Donnie: ok, bis dann

[18:47] *** "Frank" signed off at Wed Oct 09 18:47:11.
 

Wieder war unsere Unterhaltung sehr kurz ausgefallen. Wir waren wohl beide sehr beschäftigte Menschen... Wie auch immer. Ich drehte die Musik etwas runter und stöpselte die Kopfhörer aus. Die reichten nämlich leider nicht bis zu meinem Bett, wohin es mich jetzt zog.

Ich ging noch auf „Away“ in Trillian, schloss alle Programme bis auf Winamp und legte mich dann schließlich in mein Bett.

Ich hatte den Rücken zur Wand gedreht und hatte so freien Blick aus dem Fenster. Die Vorhänge waren noch offen und mein Zimmer viel zu hell zum Schlafen. Ich schloss etwas genervt von mir selbst die Augen. Zum Glück war die Musik an, sonst hätte ich versucht mich auf meine Gedanken und nicht auf die Stimme des Sängers zu konzentrieren.

Ich drehte mich auf den Rücken und starrte an die Decke. Konnte die Zeit nicht einfach schneller fließen? Es kam mir vor, als wäre sie komplett eingefroren.

Im Moment gab es nur die Musik und meine erbärmliche Einsamkeit. Ich wusste nicht so genau warum, aber ich fühlte mich gerade wirklich verlassen.

Mein bester Freund war mehr an meiner kleinen Schwester interessiert als an mir. Meine Eltern waren sowieso mit sich selbst beschäftigt und von meinen alten Freunden war irgendwie auch niemand mehr übrig geblieben. Am Anfang hieß es noch, klar, Alter, wir halten zu dir und das macht uns doch nichts aus, wenn du nicht mehr sprechen kannst. Aber sie meldeten sich auch immer weniger und seit einem halben Jahr hatte ich gar nichts mehr von ihnen gehört. Den ganzen Leuten, die man eben nicht aus der Schule kannte.

Und auf meine ganzen Internetbekanntschaften hatte ich keine Lust. Sie waren ja toll zum Chatten, aber sie konnten einem keine Nähe geben und ich glaube, das fehlte mir im Moment.

Oder einfach Sex. Ich mein, das konnte mir doch niemand verdenken, oder? Ich hatte seit zwei Jahren keine Freundin mehr. Wie auch... stumm ein Mädchen anbaggern war echt so eine Sache. Und ganz ehrlich, sich eine Freundin übers Internet zu suchen musste nicht sein, zumindest nicht für mich. Vor allem, weil ich den meisten nicht erzählte, dass ich nicht sprechen konnte. Das ging die schließlich nichts an.

Gott, das letzte Mal als ich von einem Mädchen angebaggert wurde, war auf einer komischen Party von Raphael, war jetzt auch schon ein dreiviertel Jahr her, und sie hat echt nicht geschnallt, dass ich nicht sprechen konnte. Dafür war sie um so aufdringlicher gewesen und hatte das scheußlichste Dekoltée, das ich je gesehen hatte. Sie hatte ihre viel zu großen Brüste in ein viel zu enges Shirt gepackt und ich hab eigentlich die ganze Zeit darauf gewartet, dass ihr da etwas rausfiel. Versteht mich nicht falsch, ich finde Brüste toll, auch große, aber nicht wenn man sie so... präsentiert bekam.

Irgendwann ist die Tussi zum Glück mal abgezischt, vermutlich in der Annahme, dass ich der arroganteste Mensch auf Gottes weiter Welt war, weil ich es gewagt habe, kein einziges Wort mit ihr zu wechseln. Frauen...

Langsam wurde es dunkler in meinem Zimmer, die Schatten auf meinem Fussboden länger und das Licht wurde von einem warmen Gold zu einem kühlen Grau an den weißen Wänden. Meine Playlist wiederholte sich sicher schon zum vierten Mal und langsam hing mir die raue Stimme des Sängers zum Hals raus.

Ich würde mir jetzt noch einen runterholen, dann für ein paar Stunden miserabel schlafen, um schließlich mitten in der Nacht bei der schlechten Beleuchtung meiner Nachttischlampe etwas zu schreiben, was ich zum Kotzen finden werde und mich dann fertig machen, um zur Schule zu gehen.

Im Moment fand ich mein Leben wirklich beschissen.

Quantenchromodynamik

Ich schulterte gerade meinen etwas siffigen Rucksack, als es auch schon an der Tür klingelte und Jana an mir vorbei stürmte, um die Tür zu öffnen. Victor. Er stand grinsend mit einem Autoschlüssel in der Hand da. Sein Grinsen galt allerdings mehr Jana, die gerade dabei war ihn überschwänglich zu umarmen und anschließend zu seinem Auto zu rennen. Oh Gott, ich wusste ja nicht, dass meine Laune noch mehr sinken konnte, aber das gerade war irgendwie wie mit einem mentalen Laster überfahren zu werden. Ich war kurz am Überlegen, ob ich einfach meinen Notizblock zücken sollte und den beiden mitteilen würde, dass ich doch lieber den nächsten Bus nehmen würde. Mit dem ich dann zwar zwanzig Minuten zu spät kommen würde, aber das wäre mir eigentlich egal. Anderseits... ich seufzte. Ich sollte mich nicht so anstellen.

Außerdem war ich auf das Auto von Victor gespannt. Immerhin hatte er es sich selber finanziert und mehrere Monate jeden Samstag dafür geschuftet. Was ich recht beachtlich fand, ich wüsste nicht, ob ich so was auf mich genommen hätte, nur für ein Auto und meinen Führerschein.

Das Auto stellte sich als einen etwas älteren, grauen Golf heraus, Drei-Türer, wirkte aber recht gepflegt. Zumindest konnte ich keine Rostflecken erkennen, oder irgendwelche Dellen.

Victor berichtete auch recht stolz, dass er das Auto für den guten Zustand ziemlich billig bekommen hatte. Ein Bekannter von ihm, der mit Gebrauchtwagen zu tun hatte, hatte ihm wohl geholfen. Anscheinend war der Wagen auch irgendwie getuned vom Vorbesitzer und hatte total wenige Kilometer drauf. Was Victor aber am meisten zu freuen schien, war, dass das Radio schon mit dabei war, das wohl separat noch mal an die hundert Euro gekostet hätte.

Irgendwie hob es meine Laune etwas, ihn über das Auto schwärmen zu hören. Ich wusste schließlich ja, wie hart er sich dafür abgerackert hatte.

Ich saß neben ihm auf dem Beifahrersitz und ließ mir gerade das supertolle Radio vorführen. Er hatte gestern noch mit dem schon erwähnten Bekannten hinten im Kofferraum Boxen eingebaut und ich musste zugeben, obwohl das Auto von außen jetzt nicht so der Burner war, irgendwie machte es schon was her.

Jana hatte von hinten aus noch erklärt, wie man am besten zu ihrer Freundin kam und fragte Victor noch über das Auto aus, bis wir endlich Nathalies Haus erreicht hatten und sie ihre Freundin zum Reden hatte, die zum Glück wohl doch interessanter für sie war als Victor.

Ich wusste doch, dass sie kein Interesse an ihm hatte.

An unserer Schule hatten wir einen recht großen Lehrerparkplatz, auf dem noch die meisten Schüler aus der Oberstufe ein Plätzchen zum Parken fanden und so früh morgens und mit so einem kleinen Auto sowieso. Das fand ich eigentlich schon immer toll an meiner Schule, wenn sie eines hatte, dann viel Platz.

Da es regnete, legten wir den Weg ins Schulgebäude rennend zurück und Jana verabschiedete sich mit ihrer Freundin auch gleich, da sie wohl noch von irgendwem die Hausaufgaben abschreiben musste. Ob ich in dem Alter auch so war? Vermutlich schlimmer. Jetzt machte ich die Hausaufgaben eh nicht mehr, aber wer tat das noch in der Oberstufe?!

Als wir das Klassenzimmer betraten, wurde Victor gleich von Raphael und Miguel mit Fragen bestürmt bezüglich des Autos.

Ich ging einfach an meinen Platz, ich wusste ja schon, was an seinem Auto so toll war. Vermutlich würde er den Beiden das Teil auch nachher in der Pause vorführen. Ist zwar eigentlich nicht erlaubt, aber den Lehrern war so was egal, solange man nichts kaputt machte. Generell interessierte es die wenigstens Lehrer, was die Oberstufler so taten. Lag vermutlich daran, dass man doch langsam alt genug sein sollte, um Eigenverantwortung zu tragen.
 

In der Pausenhalle warteten wir noch auf Doro und Julia, wie das andere Mädchen hieß. Diese Woche scheinen wir die beiden nicht mehr los zu kriegen. Sehr zu Freude von Raphael und Victor. Miguel wartete ungeduldig darauf das Auto zu sehen und ich selbst, na ja, ich wollte eigentlich nicht raus auf den Parkplatz, da es immer noch regnete, frei nach dem Motto: Nach mir die Sintflut.

Doro kam auch gerade die Treppe runter, die in den Pausenhof führte und unterhielt sich angeregt mit Pascal. Julia war nicht zu sehen, was mich aber nicht weiter störte, ich fand sie etwas zu unscheinbar, um mich für sie zu interessieren.

Pascal wuschelte dem rothaarigen Mädchen kurz durch die Haare. Irgendwie wirkten die beiden sehr vertraut miteinander. Ob Doro tatsächlich seine Freundin war? Aber anderseits flirtete sie immer recht intensiv mit Raphael, würde sie das wirklich tun, wenn ihr Freund gleich nebenan saß?

Apropos Raphael, der stand gerade heftig winkend neben mir, damit das Mädchen auch ja auf ihn aufmerksam wurde und alle Menschen, die um uns rum standen. Gott, wie konnten Mädchen so einen peinlichen Kerl toll finden?!

Dafür kamen jetzt Pascal und Doro recht zielstrebig auf uns zu. Ich hob leicht meine Hand zur Begrüßung und lächelte dabei zu Pascal, der plötzlich auf mich zugerannt kam und mich stürmisch umarmte. Mir blieb der Atem weg. War der Typ irre? Ich japste nach Luft und drückte den anderen weg.

„Na, hast du mich vermisst?“ Er grinste mich breit an und wuschelte mir durch die Haare, als würden wir uns schon Jahre kennen.

Ich schüttelte den Kopf. Ich fand Pascal sympathisch, aber das er so mit Körperkontakt um sich warf, kam mir immer noch suspekt vor.

„Ach, gibt’s doch zu! Du bist vor Sehnsucht nach mir fast vergangen.“

Ich schaute ihn nur abschätzend an, wobei ich eine Augenbraue nach oben zog. Was hatte er in seinem Frühstück gehabt?! Oder war er einfach immer so? Ich schielte kurz zu Doro, die entweder nichts von dieser Umarmungsaktion mitbekommen hatte oder sich schlicht weg nicht dafür interessierte, da sie sich gerade freundlich lächelnd mit Raphael unterhielt. Vielleicht verhielt er sich ja wirklich nicht auffällig und er war so komisch.

„Jo, kommst du auch mit raus zum Auto?“ Etwas irritiert drehte ich mich zu Victor um, der mich abwartend ansah. Ich dachte an den Regen und daran, dass ich das Auto sowieso in ein paar Stunden wieder sehen würde. Deswegen schüttelte ich einfach den Kopf. Victor war bestimmt eh genug damit beschäftigt mit seinem Auto anzugeben, vor allem vor Doro, die beschlossen hatte, die drei zu begleiten.

„Uhm... okay. Bis nachher.“ Bildete ich mir das ein, oder wirkte Victor etwas enttäuscht über meine Antwort? Aber bevor ich mir weiter darüber Gedanken machte, hatte Pascal schon wieder dafür gesorgt, dass ich ihm meine Aufmerksamkeit schenkte.

„Ich hab was für dich.“ Erst jetzt bemerkte ich, dass er seinen Rucksack dabei hatte, in dem er kurz kramte, um schließlich ein Buch zu Tage zu fördern. „Da, dein Geschenk.“ Grinsend hielt er mir das Buch hin. Neugierig nahm ich es entgegen. ´Gebärdensprache für Anfänger – Der Weg zur nonverbalen Kommunikation´ stand in diesen typischen siebziger Jahreschrift auf einem gelben Cover über einem Bild, auf dem mir zwei Teenager mit Topfschnitt, die komische Handzeichen machten, entgegen grinsten.

„Woah, schau nich so angewidert... es wird dich schon nicht beißen.“

Ich funkelte ihn böse an und hob ihm auffordernd das Buch hin. Er sollte es wieder mitnehmen, ich wollte keine Gebärdensprache lernen, ich würde nämlich bald wieder sprechen können. Warum glaubte mir das eigentlich niemand?

„Du kannst ja mal reinblättern und wenn du es wirklich so beschissen findest, kann es ja in deinem Buchregal verstauben. Aber bitte nimm es. Tu es für mich...“ Er klimperte mich übertrieben mit seinen unattraktiven, langweiligen Männerwimpern an und ich gab mich trotzdem geschlagen. Lässig behielt ich das Buch mit dem Cover zu mir gewandt, so dass es sonst niemand lesen konnte, in meiner linken Hand.

„Klasse!“ Er strahlte mich an und machte Anstalten mich schon wieder zu umarmen. Ich hob sofort abwehrend die Hände nach oben. Ich hatte schon genug Körperkontakt für heute.

„Du, ich hab noch Hunger, ich würd mir gerne was kaufen.“, wurde mir dann recht unvermittelt erklärt. Mein Blick viel auf die lange Schlange unserer Schulmensa, dann schaute ich wieder zu ihm. Das war nicht sein ernst, oder?

„Ich hab aber wirklich Hunger...“ Der arme, arme Kerl. Ich bekam von meiner Mutter immer ein Pausebrot, das ich im Allgemeinen nicht aß, weil ich es scheußlich fand. Zu dem hatte ich in der Schule eigentlich selten Hunger, mir reichte es, wenn ich etwas zu trinken hatte. Trotzdem erbarmte ich mich und machte mich auf den Weg zur Schlange. Pascal folgte mir direkt.

Und jetzt standen wir hier in einer dummen Warteschlange und schwiegen mal wieder, was anderes konnte ich ja auch nicht groß tun.

Plötzlich fing Pascal an leise zu lachen. Irritiert schaute ich zu ihm. Was hatte er denn jetzt schon wieder?! Offenbar bemerkte er meinen Blick, was ihn zu einer Antwort veranlasste.

„Mein Bruder würde ja so abgehen, wenn er sehen würde, wie Doro mit Raphael flirtet.“ Ich musste zugeben, dass ich Pascal nicht folgen konnte. Ich wusste weder, dass er einen Bruder hatte, noch was dieser mit Doro zu tun hatte und was daran so lustig war.

„Doro ist die Freundin von meinem Bruder... ich hab ja den Verdacht, dass sie nur mit Raphi redet, weil Julia total in ihn verschossen is. Die Kleine ist ja so furchtbar schüchtern, hach... die Jugend.“

Ich musste anfangen zu grinsen, vermutlich war Julia nicht viel jünger als er.

„Hey, grins nicht so. Ich hab ihr immerhin ein ganzes Schuljahr weise Lebenserfahrung voraus und dir sogar zwei, du Küken!“

Er war also in der Dreizehnten, die Letzte an unserer Schule. Wieder etwas, was unwiderruflich verschwinden würde. Schade eigentlich. Dreizehn Jahre Schule hatte einen so schön symbolträchtigen Klang. Zwölf wirkte im Vergleich dazu total langweilig. Ich verstand auch gar nicht warum man eigentlich ein Jahr einsparen musste, die Menschen wurden doch sowieso immer älter, wir hatten doch eigentlich mehr Zeit als weniger.

„Setzen wir uns auf die Treppen, oder? Da isses ruhiger.“ Pascal hatte gerade seine zwei Laugensemmel ohne alles gekauft und nickte kurz in die Richtung zu den Treppen, die er meinte. Ich wusste nicht warum, aber bei denen saß immer fast nie jemand, als würden die einfach komplett an der Wahrnehmung vorbei schleichen. Keine Ahnung, ich bin dort auch noch nie gesessen. Ich wusste nicht mal genau in welchen Gebäudetrakt sie einen führte. War mir auch recht egal.

Pascal biss von seinem Laugensemmel ab und hob mir fragend den anderen Semmel hin, ich schüttelte nur den Kopf.

„Du, ich bin morgen in der großen Pause nicht da. Hab erst zur Vierten.“

Tolle Information, krieg ich einen Blumentopf dafür? Aus dem Grund reagierte ich auch nicht darauf, sondern starrte auf das Buch, das ich neben mich auf die Treppe gelegt hatte. Ich könnte es hier vergessen.

„Du kannst das Buch nicht mit deinem Blick verbrennen.“

Leider.

Pascal lachte wieder und legte einfach seinen Arm um meine Schulter und rutschte dichter an mich ran. Mit dem Lachen hatte er zum Glück aufgehört, sonst würde ich mir wirklich Gedanken machen, ob er was vor dem Unterricht geraucht hatte. Er lehnte verschwörerisch den Kopf in meine Richtung.

„Sag mal.“, flüsterte er. „Was hältst du davon, du, ich und eine heiße Verabredung mit deinem DVD-Player morgen?“

Oh Gott, er war so ein Idiot. Ich haute ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf und funkelte ihn amüsiert an. Er musste ja wirklich Selbstbewusstsein haben, um mit so einem dummen Spruch anzukommen.

Pascal rutschte wieder etwas ab und lehnte sich zurück, schaute aber noch immer zu mir. „Hach, das mag ich so an dir. Du kannst einfach nicht Nein sagen.“

Und das war der erste Witz über mein Stummsein, den ich je gehört hatte. Irgendwie, ich glaub, ich mochte Pascals Humor. Ich lächelte kurz.

„Schön, dann ist das abgemacht. Ich brauch noch deine Adresse. Ich nehm mal an, du hast was zum Schreiben griffbereit.“ Er schien sich auch wirklich mit Leuten, die nicht sprechen konnten, auseinander gesetzt zu haben. Zumindest war ihm klar, dass ich immer etwas zu schreiben hatte. Komisch eigentlich, dass wir für unsere Gespräche den Block nicht brauchten. Mit Victor konnte ich eigentlich nur so ´reden´. Aber vielleicht lag es auch daran, dass Pascal für zwei redete.

Aus den Tiefen meiner Hosentasche zauberte ich auch meinen Block und den Kuli hervor und schrieb so leserlich wie möglich meine Adresse auf. Manchmal kotzte es mich wirklich an, dass meine Schrift so krakelig war, immerhin war sie momentan meine einzige Möglichkeit mit Leuten in der freien Wildbahn zu kommunizieren.

„Ich bring die Filme mit und wir sollten mal los, die meisten sind schon oben.“

Irritiert schaute ich mich um, er hatte Recht. Die Pausenhalle war fast leer. Die Pause war also sicher schon ein paar Minuten vorbei. Ich hatte den Gong gar nicht gehört. Vielleicht lag es ja an der Treppe. Dimensionsverzerrt, oder so was. Würde ich unserer Schule ja zutrauen. Wir standen beide auf, meinen Plan von vorhin verfolgend, ließ ich das Buch liegen.

„Donnie...“

Mist. Ich verdrehte die Augen und hob das Buch mit einem schiefen Grinsen auf. Er lächelte nur zurück. „Okay, dann bis Morgen. Ich freu mich.“

Dann machte er sich schon auf den Weg in die entgegengesetzte Richtung.

Ich hätte ja jetzt das Buch liegen lassen können, aber das wäre kindisch gewesen, außerdem war ich langsam wirklich spät dran.
 

Jetzt war auch noch ´June´ off gegangen und ich war um halb zwei die letzte Person, die noch online zu sein schien. Klasse. Hatten die kein Durchhaltevermögen? Ich würde frühestens in zwei Stunden müde werden. Ich wurde schon ein paar Mal gefragt, was ich eigentlich die ganze Zeit tue, wenn ich die Nacht über nicht schlief. Ich antwortete eigentlich immer ´Nichts´, was es ziemlich traf. Meistens las ich irgendwelche schlechten Stories von Hobbyautoren, die dachten ihr Zeug online stellen zu müssen oder schrieb selber an meinen unzähligen Geschichten. Ein paar davon stellte ich auch ab und an online und wartete auf Reviews. Ich war eben auch nur ein gelangweilter Hobbyautor, der Aufmerksamkeit brauchte. Irgendwie musste ich mich doch ausdrücken.

Aber heute war mir überhaupt nicht nach schreiben. Ich hatte den Flow nicht. War vermutlich die mangelnde Übung, aber ich konnte einfach nicht immer schreiben, zumindest nicht immer gut. Und ich hatte auch nicht wirklich Lust dazu.

Mein Blick fiel auf das Buch, das mir Pascal geschenkt hatte. Ich hatte es, als ich von der Schule heimgekommen war, kurz durchgeblättert und dann einfach auf meinem Schreibtisch liegen lassen. Und das was ich gesehen hatte, kam mir affig und primitiv vor. Ich wollte mich so nicht ausdrücken. Ich mein, die Leute auf den Abbildungen verzogen ihre Gesichter einfach so übertrieben, da konnte man sich doch gleich ein Schild umhängen auf dem stand ´Ich bin stumm und mach mich gerne damit lächerlich´.

Trotzdem schlug ich das Buch nochmals auf. Man sollte den Feind zumindest kennen, oder? Und kurz das Einführungskapitel lesen brachte mich ja nicht um. Musste niemand wissen.

Ziemlich schnell hatten meine Augen die Zeilen des Einführungskapitels überflogen und ich verstand wirklich nicht, was Pascal dazu bewegte, sich freiwillig so was beizubringen.

Toll, Gebärdensprache war nicht wie Vokabeln lernen, aber man musste von Land zu Land irgendwelches Zeug beachten, wie man diese dummen Bewegungen machte. Gab es denn nicht mal da eine Weltsprache? Wie dumm war das denn?!

Die Gebärdensprache war doch echt für nichts gut und so was zu lernen lohnte sich doch wirklich nur, wenn man nie wieder sprechen konnte oder zumindest, wenn man Freunde hatte die taubstumm waren. Ob sich Pascal deswegen damit befasst hatte? Vielleicht hatte er einen taubstummen Freund, wenn schon keine taubstumme Schwester. Heute war er ja gar nicht mehr online gewesen, dafür würde er mich ja morgen besuchen kommen. Komisch, dass ich einfach zugestimmt hatte. Aber gut, ich hatte schon seit Ewigkeiten keinen Besuch mehr gehabt, außer Victor, und wenn er da war, klebten meistens Jana und ihre Freundinnen an uns, weil es ja so toll war mit dem stummen Bruder und seinem besten Freund rumzuhängen. Manchmal waren Mädchen echt bescheuert.

Ich klappte das Buch wieder zu, pfefferte es auf den Schreibtisch zurück und beschloss einfach ins Bett zu gehen. Ins Dunkle starren war immer noch besser, als sich mit Gebärdensprache zu befassen.

Primakoff-Effekt

Das ich Pascal am Freitagvormittag doch sah, war mehr ein Zufall. Wir mussten von der Vierten auf die Fünfte den Unterrichtsraum wechseln, da man Chemie ja wohl schlecht in einem normalen Klassenzimmer unterrichten konnte. Der Chemiesaal lag auf dem gleichen Flur, wie der Oberstufenraum, in dem aber immer nur die Leute rumhingen, die in dem Jahr Abitur machten. Ich konnte mir vorstellen, dass es dieses Jahr dort recht eng zuging, da ja immerhin zwei Jahrgänge reinpassen mussten zum Rumlungern.

Da das Wetter weiter vorhatte uns anzupissen, hatten Vic und ich beschlossen, die kleine Pause einfach vor dem Saal zu verbringen. Miguel wollte noch von Andrea die Hausaufgaben abschreiben, da unser Chemielehrer immer ordentlich Terz schob, wenn man die nicht hatte und saß deswegen etwas abseits von uns an der Treppe und schrieb fleißig. Raphael war gerade bei einem Mädchen aus der Zehnten, die er wegen Doro und Julia wohl etwas vernachlässigt hatte.

Victor und ich schwiegen uns beharrlich an. Ich starrte auf die sehr interessant aussehende gegenüberliegende Wand, die sicher schon mal bessere Zeiten gesehen hatte und fragte mich, warum da eigentlich kein hässlicher Schaukasten stand oder miese, selbergemachte Poster von armen, gequälten Schülern hingen. Schlimm fand ich es nicht, aber irgendwie war es sonderbar.

„Donnie!“ Ich legte den Kopf etwas schief, wie kam eigentlich der Schuhabdruck so ganz nach oben an die Wand?

„Hey, du da, ich red mit dir!“ Etwas verdutzt bemerkte ich Pascal, der jetzt direkt vor mir stand und mit seiner Hand vor meinem Gesicht rumwedelte. Klar, er nannte mich ja Donnie. Ich grinste ihn an, was er zum Anlass nahm, mich zu umarmen. Irgh, tat er das jetzt immer?

„Hey, lass ihn!“ Victor hatte einfach Pascal an der Schulter gepackt und weggezogen. Beide schauten sich gerade etwas abschätzend an. Pascal grinste schließlich fröhlich.

„Ich hab Donnie nur begrüßt, der überlebt das schon.“

„Er heißt nicht Donnie, warum nennst du ihn überhaupt so?! Ich mein, denkst du, du kannst ihn verarschen, bloß, weil er nicht spricht, oder was?“, grimmig hatte Victor die Arme verschränkt und sich vor mich gestellt. Er führte sich auf wie mein Bodyguard. Vic schien manchmal das Bedürfnis zu haben, mich zu beschützen, bloß weil ich nicht mehr sprechen konnte.

„Donnie passt zu ihm.“, meinte Pascal schulterzuckend.

„Tut es nicht. Lass ihn in Ruhe, was willst du überhaupt von ihm?“

„Wir sind befreundet.“

„Das wüsste ich doch wohl... lass ihn einfach in Ruhe.“

Okay, das ging mir zu weit. Mich beschützen wollen, schön und gut. Aber er sollte sich wirklich nicht in Dinge einmischen, von denen er nichts wusste.

Ich kramte nach meinem Block und dem Stift und schrieb schnell ´Er ist ein Freund von mir und er darf mich Donnie nennen´ drauf und hielt es Victor einfach vor die Nase. Mit Stirnrunzeln las er den Zettel, ich hoffte, er konnte alles entziffern. Konnte er wohl, er drehte sich zu mir um und schaute mich entrüstet an.

„Das ist nicht dein Ernst?!“

Ich nickte ihn grimmig an. Natürlich war es mein Ernst. Ich konnte auch ohne Victors Hilfe neue Kontakte schließen, ich brauchte ihn sicher nicht als ständigen Dolmetscher, darin war er eh nie sonderlich gut gewesen.

„Du, Donnie, ich muss los. N Kumpel wartet schon auf mich. Wir sehen uns ja dann später noch.“ Pascal winkte mir noch kurz zu und ging einfach. War aber vielleicht auch besser so. Victor starrte mich immer noch sauer an.

Ich kritzelte auf das schon beschriebene Blatt ein ´Wir klären das später im ICQ, ok´ und hielt es ihm hin.

„Klar und dann kommst du nicht online, das war am Dienstag auch schon so.“

Ich tippte noch mal auf das Geschriebene, was soviel hieß, dass ich sicher da wäre und das ich jetzt bestimmt nicht mit ihm weiter streiten würde.

„Wie kommt er dazu, dich Donnie zu nennen?“

Nochmals zeigte ich auf das Geschriebene, ich hatte keine Lust ihm das alles mit der Hand auf schreiben zu müssen.

„Ich will es aber jetzt wissen!“ Mein Gott, wie alt waren wir, fünf? Ich verdrehte meine Augen, blätterte dann aber den beschriebenen Zettel um.

´Das is mein Nick im ICQ, falls du dich erinnerst.´

„Du hast ihm im ICQ?! Wie lang kennt ihr euch denn schon?“ Er benahm sich wie eine übereifrige Mutter, die alles über ihren Sohn wissen wollte. Das ging mir gerade richtig auf den Sack.

´Seit Dienstag.´ Ich hätte gerne noch mehr dazu geschrieben, aber dann müsste ich schneller schreiben und dann konnte man sicher nichts mehr lesen. Ich hasste es, mich auf Zetteln erklären zu müssen.

„Und du triffst dich heute schon mit ihm?!“

´Wo ist dein Problem?! Er ist ein Freund von mir, klar, treff ich mich mit ihm.´ Also bitte, er tat so, als wäre Pascal ein psychopathischer Irrer, der mich zuhause vergewaltigen, dann zerhackstückeln und mein Fleisch anschließend an seine karnivoren Kaninchen verfüttern würde.

„Ich mag ihn nicht.“ Noch immer stand Victor mit verschränkten Armen da, sah aber im Moment eher trotzig als wütend aus. Vielleicht war ihm ja klar geworden, dass er sich kindisch benahm.

Ich empfand unseren Chemielehrer gerade als wahren Segen, als er die Treppe hochgehechelt kam und uns den Saal aufsperrte. Ich hörte wie die anderen aus meiner Klasse über uns tuschelten. War wohl komisch uns beim Streiten zu beobachten und vor allem dauerte es ungleich länger. Aufschreiben, lesen, Antwort bekommen und wieder schreiben.

Ich hasste es wirklich und ich war sauer auf Victor, dass er sich so anstellen musste und überhaupt, ich war sauer auf ihn wegen Vielem. Was dachte er sich eigentlich? So benahm sich doch kein bester Freund. Ein bester Freund sollte sich nicht so aufführen, er sollte sich auch nicht einfach neue Freunde suchen, bloß weil man nicht mehr sprechen konnte und schon gar nicht sollte sich ein bester Freund an meine kleine Schwester ranmachen. Arschloch.

Ich würde heute sicher nicht mit ihm im Auto zurückfahren, da war mir der Bus wirklich lieber, selbst wenn es fast doppelt solang brauchte und mich die Leute im Bus nervten.
 

Ich beobachte die Griessuppe, wie sie von meinem Löffel in meinen noch vollen Teller tropfte. Die Suppe war schon lauwarm und schmeckte dadurch sicher nicht besser.

„Hannes, is alles okay mit dir?“ Meine Mutter klang besorgt.

Ich schaute auf und dann wieder auf die Suppe, die ich in meinen Teller tropfen ließ.

„Er ist heute gar nicht mit Vic zurück gefahren!“, mischte sich Jana ein. Sie klang recht empört über die Tatsache. Dumme Kuh.

„Jana, das tut nicht zur Sache.“, fuhr meine Mutter sie an, sie richtet wieder ihren Blick auf mich. „Oder hattest du Streit mit Victor? Du weißt, dass du...“

Ich stand mit einem Ruck auf, mein Stuhl fiel um. Mein Löffel, den ich in den Teller geschmissen hatte, spritzte Suppe auf die weiße Tischdecke. Meine Mutter verstummte und starrte mich etwas pikiert an, ich wusste nicht, ob es wegen meinem Benehmen war oder der verdreckten Tischdecke. Ich drehte ihr den Rücken zu und verließ das Esszimmer. Ich wollte mit niemand aus meiner Familie über meine Probleme reden, es ging sie einfach nichts an.

In meinem Zimmer schmiss ich mich auf mein frisch bezogenes Bett und starrte einfach in mein Zimmer. Meine Mutter hatte heute Vormittag wohl aufgeräumt. Die dreckigen Klamotten, die auf meiner Couch lagen waren weg und auch die ganzen Gläser, Tassen und Flaschen, die ich hier meistens rumstehen hatte, waren verschwunden. Vielleicht räumte sie ja in meinem Zimmer nur auf, um zu sehen was ich überhaupt machte. Manchmal fand ich meine Notizen bei meinen Geschichten, die im Allgemeinen um und unter meinem Bett rumflogen, fein säuberlich geordnet wieder auf meinem Schreibtisch. Sehr wahrscheinlich hatte sie die Notizen gelesen. Ich schaute zu meinem Schreibtisch, das Gebärdensprachebuch lag neben den beschriebenen Blättern, Kante an Kante zu meinem Schreibtisch. Ich wollte gar nicht wissen, was sie sich dabei gedacht hatte, als sie das Buch gesehen hat. Hoffentlich war sie nicht auf die dumme Idee gekommen, dass ich diesen Scheiß lernen wollte.

Mein Blick blieb an dem schwarzen Monitorschirm hängen. Ich hatte ja gesagt, ich würde mit Victor schreiben, ich hatte aber ehrlich gesagt keine Lust. Trotzdem stand ich auf und ging zum PC, vielleicht kam Pascal noch online, damit ich ihm absagen konnte. Ich hatte wirklich keinen Bock heute noch mit anderen Leuten zu tun zu haben.

Deswegen ging ich auf ´invisible´ in Trillian. Ich hatte es so eingerichtet, dass mich niemand online sah, wenn ich ´invisible´ war. Die Leute, mit denen ich reden wollte, konnte ich ja dann anschreiben, wenn sie on waren.

Die Liste zeigte mir heute ziemlich viele Leute online, vermutlich mussten alle noch ausmachen, was sie zusammen am Abend tun würden. Pascal war nicht on, war ja klar.

Ich überflog die Liste kurz und musste schlucken. ´DarkDestroyer´ war online, das war Victors alberner Nick, für den ich ihn früher oft verarscht hatte, heute würde ich das sicher nicht tun. Generell werde ich mit Victor heute sicher nicht schreiben.

Ich starrte weiter auf den Nick, blinzelte ein paar Mal zwischen durch. Ich würde ihn nicht anschreiben. Ich minimierte Trillian und öffnete meinen Internetbrowser. Vielleicht gab es ja Reviews auf den Schrott, den ich gestern Nacht geschrieben hatte und ich sollte noch ein paar Freunden zurück schreiben, die warteten schon seit Tagen auf eine E-mail von mir. Irgendwo auf meinem PC flog auch noch eine Story von ´June´ rum, die auf einen Beta wartete. Schon ein paar Wochen. Heute war doch der perfekte Tag dafür. Für was auch sonst, der Tag war scheiße.

Ich öffnete etwas wahllos ein paar Ordner, da ich nicht mehr genau wusste, wo ich den Beta-Text gespeichert hatte und fand ihn schließlich dort, wo er bestimmt nicht hingehörte. Er war in meinem Musikordner unter den Buchstaben F gelandet. Weiß der Geier, warum ich den dahin gespeichert hatte. Ich machte einen Doppelklick auf das Dokument und wartete, bis sich OpenOffice bequemte es endlich zu öffnen.

Währenddessen klickte ich mich etwas desinteressiert auf der Seite herum, bei der ich meine Geschichten immer online stellte. Ein Blinken in der Startleiste würde mir schon sagen, wenn das Programm es endlich geschafft hatte, sich zu öffnen. Mein PC war aber auch manchmal langsam. Wenn ich Geld hätte, wofür ich arbeiten müsste, was ich nicht wollte, würde ich mir als erstes einen neuen Computer zu legen. Aber so musste ich eben noch mit dem Teil leben.

Ah, das ersehnte Blinken. Ich klickte drauf und war dann etwas irritiert, als ich feststellte, dass es sich nicht um den Text handelte, sondern um Victor... einen wütenden Victor.
 

[17:49] DarkDestroyer: Ich dachte du wolltest on kommen...

[17:49] DarkDestroyer: ist so typisch, dass du nich on bist

[17:49] DarkDestroyer: warum bist du eigentlich nich mit mir zurückgefahren? ich fand das echt scheiße von dir... du hättest wenigstens was schreiben können

[17:49] DarkDestroyer: weißt du, im moment regst du mich einfach auf.

[17:50] DarkDestroyer: du bist echt ein arschloch!
 

Ich schluckte den Kloß runter, der sich in meinem Hals gebildet hatte. Ich hatte mich eigentlich noch nie mit Vic gestritten und jetzt sowas zu hören, tat wirklich weh. Meine Hände hatte ich von der Tastatur genommen, wo sie nur zitternd gelegen hatten. Fuck.
 

[17:51] DarkDestroyer: ich find es auch total bescheuert das du einfach nich mehr redest.

[17:51] DarkDestroyer: ich versteh es echt nich, du könntest doch sprechen

[17:51] DarkDestroyer: du hast doch gar keinen bock es wieder zu können, oder?

[17:52] DarkDestroyer: wahrscheinlich findest du es einfach geil, weil du dann immer im Mittelpunkt stehst.

[17:52] DarkDestroyer: die ganzen mädels finden es ja sooo geheimnisvoll dass du nich sprichst und voll dramatisch, dass du nich mehr weißt warum

[17:52] DarkDestroyer: weißt du was ich denke, dass is doch alles nur show von dir.
 

Ich spürte wie Tränen auf meine Hände tropften. Fahrig wischte ich sie weg. Fuck. Ein Schluchzer kroch mir den Hals hoch. So eine verdammte Scheiße. Ich konnte sehen, dass er dabei war, wieder etwas zu tippen. Aber mehr konnte ich wirklich nicht ertragen. Hastig schloss ich Trillian und flüchtete mich in mein Bett. Fuck, mein bester Freund hasste mich!

Ich fühlte mich paralysiert, desillusioniert, einfach beschissen. Ich wusste zwar, dass in unserer Freundschaft seit ich stumm war, einiges nicht mehr so lief. Aber ich hatte keine Ahnung, dass er wirklich so über mich dachte.

Und irgendwo war die Angst, dass er Recht hatte. Vielleicht sprach ich ja wirklich nicht mehr, weil ich etwas Besonderes sein wollte und es brauchte im Mittelpunkt zu stehen. Aber kaum hatte ich diesen Gedanke fertig gedacht, fiel mir auf wie absurd er war. Ich würde viel darum geben, wieder sprechen zu können und ich hatte ja nicht mehr Kontakte und Aufmerksamkeit dadurch, eigentlich sogar viel weniger. Fiel das etwa nicht auf? Bekam er Dinge mit, die ich nicht bemerkte?

Und verdammt, ich wusste nicht, dass es so wehtun würde Vic zu verlieren. Ich hätte erwartet, dass unsere Freundschaft heimlich, still und leise in die Brüche gehen würde und man würde sich dann nach ein paar Jahre wundern, wo eigentlich der andere war, aber keinen Verlust spüren. Aber doch nicht durch einen Streit. Es tat weh, als hätte er mich verraten.

Kurz fragte ich mich, ob es sich auch so angefühlt hatte, als sich Simone von mir trennte. Aber ich wusste es nicht. Wie viele Menschen sollte mich dieses dumme, mir unbekannte Erlebnis eigentlich noch kosten? Ich fand es einfach beschissen. Was war mit mir los? Warum schaffte ich es einfach nicht, wieder zu sprechen? War ich wirklich so gestört?

Ich hätte mich sicher noch mehr in mein Selbstmitleid gebadet, wenn ich nicht auf einmal etwas auf dem Flur gehört hätte, Jana.

„...nfach die Tür rechts.“, hörte ich ihre Stimme.

„Danke.“ Fuck, das war definitiv Pascal. Ihn hatte ich völlig vergessen. Scheiße, ich wollte nicht, dass er mich so sah. Wie erbärmlich war das denn? Ich wischte mir hastig über das Gesicht, was nicht wirklich half, weil ich immer noch heulte. Ich atmete ein paar Mal tief durch, wenn er mir nur noch einen Moment gab...

Was er natürlich nicht tat. Mit einem breiten Strahlen im Gesicht riss er die Türe auf, Jana war zum Glück schon in ihrem Zimmer, vor Pascal weinend da sitzen reichte schon völlig.

Das Grinsen wich sofort aus seinem Gesicht, als er mich sah. Was musste er mich so entsetzt ansehen, noch nie einen heulenden Kerl gesehen?

Ich wischte mir wieder über die Augen. Konnten die dummen Tränen denn nicht endlich aufhören? Es war so unendlich erniedrigend. Ich wäre am liebsten auf der Stelle gestorben.

„Ich... du... Donnie... “ Es schien Pascal wirklich aus der Fassung zu bringen, mich so aufgelöst vorzufinden, sonst würde er nicht so stammeln. Wenn ich sprechen könnte, hätte ich ihn angeschrieen und rausgeschmissen, da war ich mir sicher.

Aber so ließ ich jetzt eine Umarmung seinerseits über mich ergehen. Er hatte sich neben mich gesetzt und drückte mich nun fest an sich, fuhr mir dabei über den Rücken. Er murmelte irgendwelche beruhigende Sachen, die vermutlich nicht viel Sinn machten. Aber ich hörte nicht darauf was er sagte, der sanfte Tonfall tat gut und die Umarmung war wie Wasser für einen Verdurstenden. Als ich spürte, dass die Schluchzer endlich nachließen, drückte ich ihn dann allerdings etwas von mir, was er sofort verstand und Abstand nahm.

Ich fuhr kurz durch meine Haare und atmete mehrmals tief durch. Okay, jetzt würde ich nicht mehr heulen, zum Glück. Ich schaute zu Pascal, der sich gerade suchend in meinem Zimmer umsah.

„Du hast ja gar keinen Fernseher hier.“, stellte er enttäuscht fest.

Keine Fragen, kein lästiges Nachbohren... ich wusste nicht, ob ich mich darüber freuen sollte. Interessierte es ihn einfach nicht? Oder hatte er wirklich soviel Feingefühl, nicht nachzufragen? Möglicherweise wusste er auch einfach, dass er keine Antwort bekommen wurde, auch nicht schriftlich.

Ich zeigte etwas zittrig auf meinen PC, der mir einen Fernseher sehr gut ersetzte.

„Ah, verstehe... sieht dir ähnlich. Gut, dann legst aber du die DVD ein. Ich muss ja zugeben, dass ich und Technik ein sehr schlechtes Verhältnis zueinander haben. Ich hab es sogar schon mal geschafft eine CD im Laufwerk explodieren zu lassen...“ Während er redete, kramt er in seinem Rucksack, der mir vorhin nicht aufgefallen war. Vermutlich war mein Blick viel zu verschwommen gewesen von den Tränen. So ein Scheiß. Mir wurde leicht übel, bei dem Gedanken, dass ich gerade vor Pascal geheult hatte. Gleich beim ersten Besuch. Der dachte doch jetzt bestimmt, ich bin nervlich voll kaputt.

„Was hälste von dem Film?“ Er hielt mir eine gebrannte DVD unter die Nase, auf der fast unleserlich ´Kung Fu Hustle´ stand. Also wenn das Pascals Schrift war, hatte ich Mitleid mit seinen Lehrern. Sauklaue wäre noch eine schmeichelhafte Bezeichnung. Selbst ich schrieb im Vergleich dazu richtig hübsch und leserlich.

Von dem Film hatte ich mal gehört, aber nie gesehen. Deswegen zuckte ich nur mit den Schultern.

„Kennste ihn denn schon?“, fragte Pascal weiter. Er schien ja sehr erpicht auf den Film zu sein.

Ich schüttelte den Kopf. Er grinste.

„Dann isses jetzt genau das Richtige.“ Mir wurde die Scheibe in die Hand gedrückt und ich sah mich genötigt, den Film einzulegen. Meine Bewegungen waren noch ziemlich fahrig und ich drückte dreimal daneben, bis ich den Knopf zum Öffnen meines Laufwerks traf.

Schließlich schaffte ich es auch noch den Film zum Laufen zu bringen, ich regelte noch schnell die Lautstärke und setzte mich dann wieder zu Pascal aufs Bett, von dem aus man den bequemsten Blick auf den Monitor hatte.

Pascal hatte sich mit dem Rücken an die Wand gelehnt und zog mich nun einfach an sich, so dass mein Kopf an seiner Schulter lag. Er sagte nichts dazu, sondern schaute einfach den Film. Meinen fragenden Blick ignorierte er. Ich wusste, dass ich hätte wegrutschen können, aber im Moment tat es einfach gut, etwas wie Zuneigung zu bekommen. Es beruhigte meine noch leicht flattrigen Nerven. Auch wenn ich mir etwas schwul vorkam. Aber es kriegte ja niemand mit außer Pascal.

Ich rukelte noch etwas hin und her, bis ich bequem saß und richtete meine Konzentration nun wieder auf den Film. Schlecht war er nicht, irgendwie sogar sehr lustig, auch wenn er nicht gerade viel Niveau besaß. Aber er schlug trotzdem jeden Teenie-Film oder Chicflip um Längen. Ab und an konnte mich der Film sogar zu einem Grinsen hinreißen. Und ich war froh, dass ich an dem Abend nicht alleine mit mir selbst sein musste. Das wäre nämlich in einem Desaster ausgeartet.

Neutrinooszillationen

Ich stand vor dem Zigarettenautomaten und warf passend das Geld für eine Packung Gauloises ein. Mein Schulbus würde erst in einer Stunde kommen, die Zeit musste ich mit etwas überbrücken. Als ich das Haus verlassen hatte, war meine Mutter gerade mal im Bad. So entging ich wenigstens dem widerlichen Pausebrot, das sie mir immer machte. Und Jana.

Vor allem Jana, auf sie hatte ich keine Lust. Sie hätte mich nur angegiftet, wenn ich zur normalen Zeit zur Bushaltestelle gegangen wäre. Mich mit dummen Fragen gelöchert und mir dann vermutlich Vorwürfe gemacht, dass ich so fies zu Victor wäre.

Nach dem Wochenende konnte ich so was wirklich nicht ertragen.

Ich setzte mich auf die kühle Bank des Wartehäuschens und zündete mir eine der frischgekauften Kippen an. Würde wohl nicht die letzte heute Morgen sein. Ich blies den Rauch in die Luft und wünschte mir, dass mich die Zigarette etwas wärmen konnte. Die letzten Tage war es wirklich widerlich kalt geworden und selbst meine Winterjacke, die ich, vorausschauend wie ich bin, heute angezogen hatte, half nicht viel gegen die Kälte an meinen Händen und meiner Nase.

Pascal war am Freitag nach zwei weiteren Filmen und angenehmen Schweigen nach Hause gegangen. Leider hatte er das restliche Wochenende keine Zeit mehr, er schien irgendetwas zuhause mithelfen zu müssen. Was ich Schade fand, die Ablenkung hätte mir gut getan.

Ich hatte mich das restliche Wochenende nicht getraut in Trillian einzuloggen, aus Angst, dass mir Victor wieder schreiben würde. Was zwar irgendwie sehr erbärmlich war, aber ich hatte wirklich nicht den Mumm dazu.

Ich fühlte mich ausgelaugt und extrem unausgeglichen.

Die Zigaretten und die kühle Luft taten aber gut, ich fühlte mich schon etwas ruhiger und ein klein wenig lebendiger. Ich hätte wohl am Wochenende mal mein Zimmer für einen Spaziergang verlassen sollen, dann würde es mir jetzt auch besser gehen. Stattdessen war ich in meinem überheizten, stickigen Zimmer geblieben und hatte Gedankenpingpong mit mir gespielt und verloren, ehrlich, haushoch verloren.

Ich kam mir vor wie ein Versager und das Gefühl war echt nicht angenehm.

Die zweite Zigarette wurde angezündet, gierig zog ich daran. Mit dem Rauchen hatte ich wegen Simone angefangen. Erst nur, wenn wir weg waren und getrunken hatten, aber irgendwann hatte sich das Rauchen einfach in meinen Alltag geschlichen und jetzt war ich vermutlich an einer Stelle, an dem ich jeden gönnerhaft loben würde, wenn er mir sagt, dass er nicht rauchte. Ich hatte noch keine Versuche gestartet aufzuhören, meine Stimme ruinieren konnte es ja nicht mehr. Vielleicht würde ich es ja irgendwann sein lassen, aber sicher nicht bald. Ich war auch noch lange nicht in dem Alter, in dem man groß auf seine Gesundheit achten musste, fand ich.

Ich kramte mit der Kippe im Mundwinkel meinen MP3-Player aus dem vorderen Fach meines Rucksacks und ließ mich die restliche Zeit von der Musik einlullen bis der Bus da war.

Im Bus ging ich automatisch nach hinten, wo wie immer Miguel und Raphael saßen. Sie wohnten beide eine Ortschaft weiter, was der Grund war, warum Victor sie auch nicht gefragt hatte, ob sie bei ihm mitfahren wollten. Zuviel Umweg.

Beide waren überrascht mich zu sehen, grüßten mich dann aber und ließen mich dann schließlich in Ruhe oder ignorierten mich, je nach dem wie man es sehen wollte. Ich glaube, die beiden konnten noch nie viel mit mir anfangen, auch nicht als ich noch sprechen konnte.
 

Erleichtert stellte ich fest, dass Victor noch nicht im Klassenzimmer war und kurz keimte in mir die Hoffnung, dass er heute gar nicht mehr kommen würde. Aber kurz vor Unterrichtsbeginn, betrat er den Klassenraum, schmiss seinen Rucksack auf den Platz neben mir und ging dann direkt zu Raphael. Kein Wort zu mir, nicht mal einen Blick.

Fuck, mir war schlecht.

Als der Lehrer das Klassenzimmer betrat, setzte er sich mit einem ziemlichen Widerwillen auf seinen Platz neben mir und schwieg verbissen und grimmig. Ich hatte mir schon das ganze Wochenende überlegt, wie es sein würde, ihn am Montag wieder zu treffen. Am liebsten hätte ich mich ja davor gedrückt, aber ich war kein Schulschwänzer. Ich hätte erwartet, dass er mich wieder wütend anblafft, oder einfach so tat, als wäre nichts gewesen, aber mit diesem Schweigen hätte ich nicht gerechnet. Victor war nicht der Typ Mensch, der Probleme einfach weg schwieg. Deswegen tat es umso mehr weh, einfach ignoriert zu werden.

Wie konnte man wegen so einem dummen Streit einen Menschen verlieren, der so wichtig für einen war?! Ich spürte ein Brennen hinter meinen Augen, dass ich mehr schlecht als recht wegblinzeln konnte. Einfach ablenken und nicht dran denken.

Ich hatte den Unterricht schon lange nicht mehr so aufmerksam verfolgt, wie an dem Tag und meine Notizen sahen aus, als würde ich aus jeder Stunde einen ganzen Tausend-Seiten-Roman schreiben wollen.

Als es zur Pause klingelte, sackte mein Herz noch mal tiefer. Es war entwürdigend. Victor stand wieder ohne ein Wort an mich auf und ging zu seinem neuen, besten Freund Raphael, zusammen mit Miguel verließen sie das Klassenzimmer. Ich dackelte ihnen halbherzig nach. Ich wusste nicht, mit wem ich sonst hätte mitgehen sollen. Ich hatte noch nie eine Pause alleine verbracht und wollte auch nicht damit anfangen. Die Drei schien es allerdings nicht sonderlich zu interessieren, ob ich ihnen nachlief, oder nicht. Sie ignorierten mich komplett, selbst Miguel, der sonst keine Gelegenheit ausließ jemand mit seinem Geschwätz voll zu labern. Ich fragte mich, was Victor ihnen wohl erzählt hatte, über uns. Und stellte fest, dass ich es eigentlich gar nicht wissen wollte.

Da es draußen immer noch regnete und sie offensichtlich nicht zum Rauchen raus wollten, gingen sie zu ihrem Stammplatz in der Pausenhalle. Ich ließ mich etwas abseits von ihnen auf die Bank nieder, die gleiche wie schon am Freitag, und beobachtete die anderen. Vermutlich schaute ich dabei ziemlich grimmig, aber es war mir egal.

Ich war wirklich erleichtert, als ich Pascal sah, auf den ich wohl irgendwie indirekt gewartet hatte. Es war wirklich eine Wohltat, als er sich neben mich setzte, kurz durch meine Haare wuschelte und mich freundlich angrinste.

Er machte irgendeine affige Handbewegung, mit der ich nichts anfangen konnte, bis ich erkannte, dass er Gebärdensprache verwendete. Vermutlicht hatte er mich deswegen nicht verbal begrüßt. Angewidert zeigte ich ihm einen Vogel. Ich hatte wirklich besseres zu tun, als den Schrott zu lernen... Das er jetzt aber damit anfing, gab meiner Laune den Rest.

Pascal grinste auf Grund meiner Reaktion. „Hätte ja sein können, immerhin lag das Buch nicht in deinem staubigen Bücherregal!“

Ich zuckte mit den Schultern und mein Blick suchte wieder Victor, der sich mit Raphael unterhielt. Sie lachten und kurz bemerkte ich, wie Raphael zu mir rüberschielte. Ich wusste nicht, ob sie sich über mich lustig machten, über den stummen Blender, der nur in den Mittelpunkt wollte. Ich konnte es mir gut vorstellen.

Die Magenschmerzen, die ich schon die letzten zwei Tage hatten, verstärkten sich und ich wollte nur noch raus. Raus aus der Pausenhalle, weg von allen Leuten und weg von Victor.

Pascal war mir dabei völlig egal und auch, ob ich eine Pause alleine verbringen müsste. Ich stand auf und steuerte den nächsten Ausgang an. Draußen blieb ich dann einfach im Nieselregen stehen und atmete tief durch. Ich hätte gerne eine Zigarette, aber die Packung hatte ich im Klassenzimmer gelassen.

„Dicke Luft, hm?“ Erschrocken drehte ich mich zu Pascal um, ich hatte nicht damit gerechnet, dass er mir folgen würde. Ich starrte ihn leicht überfordert an, ich wusste nicht wie ich auf die Frage reagieren sollte. Er lächelte mich freundlich an und zog mich dann in eine kurze Umarmung, die mir irgendwie unangenehm war, deswegen drückte ich ihn von mir. Pascal sagte nichts dazu. Vielleicht verstand er auch einfach, dass ich gerade keinen Bock hatte, dass mir jemand zu nahe kam.

Wir gingen zu dem riesigen Baum, an dem wir uns letzten Dienstag das erste Mal getroffen haben und setzten uns auf die Bank.

Dann Schweigen und immer wieder ein paar vereinzelte, gesammelte, dicke Tropfen, die von den Blättern tropften und einen trafen. Heute störte es mich nicht.

„Ließt du eigentlich?“, durchbrach Pascal schließlich die Stille. Ich spürte seinen Blick auf mir, deswegen zuckte ich nur kurz mit den Schultern und starrte weiterhin auf einen unbestimmten Punkt vor mir. Es war zwar nett, dass er das Thema auf etwas unverfängliches lenken wollte, aber mir war gerade wirklich nicht nach einem „Gespräch“.

„Hm... bin ich Schuld an eurem Streit?“, kam es nun unvermittelt von ihm. Meine Hände krallten sich in meine Jacke. Hätte er nicht bei dem anderen Thema bleiben können? Ich schluckte. Streit mit Victor. Ich hatte noch nie wirklich Streit mit Victor. Wie konnte aus so einer Lappalie eine Freundschaft kaputt gehen? Ich bemerkte gar nicht, dass ich mir auf die Lippen biss und ich mich immer mehr verkrampfte. Ich blinzelte immer wieder Tränen weg, ich konnte die Schluchzer nur gerade so unterdrücken. Ich wusste, wenn sich erstmal einer aus meiner Kehle ringen würde, wäre es zu spät und ich würde vor Pausenende sicher nicht mehr aufhören zu heulen. Und weinend könnte ich Vic und den anderen nicht unter die Augen treten, nicht das sie mich beachtet hätten, aber bemerkt hätten sie es. Was demütigend genug wäre.

Gott, Pascal musste denken, ich wäre voll die Pussy, soviel wie ich rumheulte. Aber er schien nicht so ein Problem damit zu haben, vielleicht verstand er auch einfach, dass er mich in einer dummen Zeit erwischt hat.

Meine Mutter hätte mir sicher erklärt, dass Pascal eine hohe emotionale Intelligenz hatte und deswegen gut auf Menschen eingehen kann und ihre Reaktionen leicht verstand. Mir hatte sie schon oft vorgeworfen, dass ich für so etwas zu ignorant war und ich mich um die Gefühle anderer nicht scheren würde. Vielleicht hatte sie recht damit.

„Als ich mal Zoff mit Jan hatte, hat mir mein Bruder mal erklärt: Ja, jede Freundschaft hat mal ihre Höhen und Tiefen, ich soll mir nicht so den Kopf drum machen. Ich hätte ihm damals am liebsten dafür geschlagen... okay, wenn ich es mir recht überlege, würde ich ihn heute immer noch dafür schlagen. Ich find es immer total dämlich, wenn man mit irgendwelchen dummen Sprüchen ankommt und dann denkt, damit is alles gut.“ Ich merkte wie er den Kopf schüttelte, vermutlich voller Empörung über Leute, die so was machten. Und in dem Moment war ich froh, dass er nicht zu ihnen gehörte. Ich lächelte leicht, hielt aber den Blick immer noch auf den Boden gerichtet. Komischer Kauz.
 

„Wie geht es dir heute, Johannes?“ Frau Doktor Schwelstein lächelte mich freundlich an und musterte mich aufmerksam durch die Gläser ihrer modischen Brille. Sie sah heute genauso aus wie letzte Woche und die Woche davor und sie kam mir vor, als war sie einfach in der Zeit fest gefroren.

´Beschissen!´ Ich unterstrich das Wort noch und schob das Blatt ruppig zu ihr.

„Warum?“ Sie schien sich nicht weiter um die vulgäre Ausdrucksweise zu kümmern.

´Warum kann ich noch nicht sprechen?!´

Sie seufzte, als sie das Geschriebene gelesen hatte. Ich hatte die Frage schon lange nicht mehr gestellt. Vielleicht weil ich angefangen hatte zu resignieren. Aber jetzt wollte ich es wissen! Als ich damals zu ihr gekommen war, wurde mir gesagt, dass es sich vielleicht in ein paar Wochen wieder von alleine legt, das Stummsein. Ein paar Wochen, klar, zwei Jahren waren auch nur ein paar Wochen, ein paar Wochen zuviel.

„Das weißt du. Warum fragst du wieder danach?“

Musste sie alles so verdammt analytisch sehen?! Ich wollte wieder sprechen und nicht über meine Probleme schreiben müssen.

Scheiße noch mal.

´Wissen Sie wie beschissen es ist nicht sprechen zu können?!´ Sie hatte doch gar keine Ahnung, sie kannte das alles nur theoretisch. Warum war sie eigentlich meine Therapeutin? Ganz offensichtlich konnte sie mir doch nicht helfen.

„Nein, aber du bist nicht der erste, stumme Patient, den ich behandle.“ Ihre Stimme war reservierter, als sonst. Sie hielt nicht viel von Fragen, die sie als Person betrafen.

Wir schwiegen uns an.

Wobei ich versuchte sie mit Blicken aufzuspießen. Ich hatte mich schon lange nicht mehr so unausgeglichen gefühlt, ich wollte endlich Dampf ablassen und sie war im Moment mein einziges Zielobjekt.

Heute war ein schrecklicher Tag gewesen. Victor hatte mich weiterhin ignoriert, Pascal war nicht in der Pause gewesen und heute Nachmittag war niemand, absolut niemand on gewesen, dem ich mein Leid hätte klagen können, genau wie gestern schon.

Heute war einer dieser toten Tage, an denen man mit nichts und niemanden kommunizieren konnte und man auch nichts daran ändern konnte, vielleicht auch nicht wollte.

„Gibt es einen bestimmten Grund, warum du wieder sprechen willst?“

´Ihnen ist schon klar, dass das eine echt bescheuerte Frage ist, oder?!´

Wieder ein Seufzen von ihr. Sie schien sich heute sehr geplagt von mir zu fühlen. Geschah ihr auch recht, ich fühlte mich mindestens genauso mies, weil ich hier sein musste. Wenn es wenigstens was bringen würde, aber seit Jahren keine Resultate. Wie viel Freunde sollte ich noch verlieren, bis ich wieder sprechen konnte? All zu viele hatte ich nämlich nicht mehr davon.

„Ich meine einen aktuellen Anlass: Streit, Probleme, ist was passiert in der Familie?“

Ich verschränkte bockig meine Arme und schaute demonstrativ weg. Ich wollte nicht mit ihr darüber schreiben. Davon würde ich auch nicht anfangen zu sprechen.

„Wenn du dich mir nicht mitteilst, kann ich dir nicht helfen, Johannes.“ Ihr Tonfall war ernst und eindringlich geworden. So sprach sie nur, wenn sie schon leicht genervt von mir war. Was man aber erst wissen konnte, wenn man sie schon ein paar Jahre kannte. Sie wollte ihre Arbeit machen, aber ihre Arbeit erwies sich als zu bockig. Das mochte sie nicht.

„Ich denke, wir sind kurz davor, dass Problem zu finden. Konntest du dich wieder an etwas erinnern?“ Themawechsel. Ein Thema mit dem sie mich immer locken konnte. Es war, als würde sie einem kleinen Kind einen Lolly anbieten. Natürlich griff ich zu.

´An meine Ex-Freundin.´

Eigentlich hätte ich gerne noch etwas weiter geschmollt, aber das Thema war wichtig.

„Simone? War sie auch da?“

Ich nickte. Erstaunlich, dass sie sich den Namen meiner Ex-Freundin gemerkt hatte. Ob das wohl auch in ihren Akten stand? Ich merkte kurz einen Hauch von Bewunderung, man konnte sagen was man wollte, diese Frau machte ihre Arbeit so gründlich wie möglich.

„Kannst du mir die Erinnerung kurz aufschreiben?“

Sie schob mir ein neues Blatt hin. Ich schrieb sehr kurz gefasst meine Erinnerung hin; Simone, die zwei Freunde von ihr, der Alkohol, gute Stimmung.

Das Blatt wurde aufmerksam gelesen. Ihre Stirn hatte sie dabei leicht gerunzelt, als müsste sie sich besonders konzentrieren. Dann nickte sie schließlich und legte das Blatt auf die geschlossene Mappe vor sich.

„Waren dir die zwei Freunde von Simone bekannt?“

Ich schüttelte den Kopf. Sie machte sich eine Notiz.

„Du hast keinen Kontakt mehr mit ihr, oder?“

Ich verneinte abermals und konnte sehen, wie meine Psychologin wieder etwas aufschrieb.

„Geht es dir deswegen so schlecht? Wegen der Erinnerung an Simone?“

Erst wollte ich den Kopf schütteln, anderseits ging es mir wegen dieser Erinnerung auch nicht übermäßig gut. So zuckte ich mit den Schultern. Mein Blick wanderte auf die silberne Wanduhr, die Sitzung war sowieso gleich zu ende. Es würde sich gar nicht mehr lohnen näher auf irgendwelche Probleme von mir einzugehen. Sie war meinem Blick kurz gefolgt, schaute dann auf ihre fein gearbeitete Armbanduhr und nickte.

„Ich denke, wir machen gerade wirklich Fortschritte.“ Sie lächelte ehrlich. Und das obwohl ich heute so eine Nervbratze gewesen war. Sie musste es ernst meinen, aber ich wollte mir keine Hoffnungen machen. Es war nur frustrierend, wenn man doch nicht so schnell vorankam, wie einem gesagt wurde. Deswegen reagierte ich gar nicht auf das Gesagte.

Sie erhob sich und reichte mir ihre zierliche Hand, die ich kurz drückte.

„Dann sehen wir uns ja nächste Woche wieder.“

Nicken und gehen.

Neutretto

Mein Atem ging schwer und ich spürte mein Herz rasen. Das konnte echt nicht gesund sein in meinem Alter. Ich schälte mich etwas zittrig aus den schweißnassen Decken und stolperte durch mein dunkles Zimmer Richtung Tür. Der kühle Boden tat gut unter meinen Füßen ebenso das kalte Wasser, das ich mir im Bad ins Gesicht spritzte.

Ich musterte mein Spiegelbild kritisch. Ich sah aus wie ein Gespenst, viel zu blass und die Augenringe viel zu tief. Meine Haare hingen strähnig in mein Gesicht und ich zitterte. Erbärmlicherweise fühlte ich mich noch beschissener, als ich aussah.

Als ich mich nochmals über das Waschbecken beugte, um mir etwas Wasser ins Gesicht zu spritzen, spürte ich, wie mir alles hochkam und ich schaffte es gerade noch, den Klodeckel aufzureißen und in die Toilette zu kotzen, anstatt in das Waschbecken. Da hätte meine Mutter auch echt Terz geschoben.

Ich hatte mich mal total besoffen und unser ganzes Bad voll gereihert. Sie hat es mich am nächsten Morgen komplett putzen lassen, obwohl es mir da dreckig wie Sau ging. Und sie ließ mich dann auch drei Wochen nirgendwo mehr hin. Das brauchte ich nicht noch mal.

Ich drückte die Spülung, zog mir mein Schlaf-Shirt und meine Boxershort aus und stieg in die Badewanne, ließ warmes Wasser ein. Ich brauchte gerade wirklich etwas, das meine Nerven beruhigte. Ich fühlte mich auch etwas besser, als mich das warme Nass umgab und schloss die Augen. Das Zittern hatte nachgelassen und langsam hatte ich auch das Gefühl mich wieder unter den Lebenden zu befinden.

Ich blieb solange in der Wanne liegen, bis das Wasser zu kühl dafür wurde. Meine Finger waren schon total schrumpelig und irgendwie fühlte sich meine ganze Haut schwammig an, aber das Bad hatte gut getan. Ich trocknete mich etwas nachlässig ab, band mir das Handtuch um die Hüften und huschte in mein Zimmer, um mir dort frische Schlafklamotten über zuziehen. Ich blickte auf mein Bett, ich wollte mich nicht wieder reinlegen. Vermutlich roch es auch total nach meinem Angstschweiß.

Träume in denen ich qualvoll ums Leben kam, taten mir einfach nicht gut.

Kurzerhand schmiss ich einfach das ganze Zeug von meinem Sofa auf den Boden und ließ mich auf der Couch fallen. Ich hatte die Stehlampe, die neben dem Sofa stand, angemacht und starrte ihn das gelbe Halbdunkel.

Hoffentlich war bald Tag, manche Nächte waren einfach unerträglich.
 

Ich hatte eine Morgenlatte. Herrlich... Für was war so was überhaupt gut? Und warum hatten Mädchen nie so einen peinlichen Scheiß?! Die wussten gar nicht, wie gut sie es hatten.

Ich lauschte in die Stille unseres Hauses. Es war noch niemand wach, also hatte ich vermutlich nicht allzu lange geschlafen. Ein Blick auf meine Uhr, die über dem Schreibtisch hing, bestätigte mir meine Vermutung. Aufstehen müsste ich frühestens in einer halben Stunde. Wieder eine Nacht rumgebracht, zum Glück.

Ich durchwühlte den Kleiderhaufen vor meinem Sofa nach sauberen Klamotten, während sich meine Erektion von alleine verflüchtigte. Es war immer wieder erstaunlich, wie schnell sich dieser Wäscheberg anhäufte. Hoffentlich würde sich das ändern, wenn ich ausgezogen war. Ich hatte nämlich keine Lust, jede Woche meine Dreckwäsche zu meiner Mutter zu bringen. Vor allem nicht, wenn ich wie geplant weit weg ziehe. Vermutlich war das der Grund, warum alle Studenten ihre Studienzeit als die geilste empfanden. Weil sie dann endlich ihre Familie los hatten. Gott, ich wünschte, ich wäre schon Student. Vielleicht hatte ja Abi in der 12. wenigstens so seine Vorteile...

Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und fuhr meinen Computer hoch. Der Unterricht würde in zweieinhalb Stunden anfangen, mit dem Bus brauchte ich eine halbe Stunde zur Schule. Die restliche Zeit musste ich noch killen und um an der Bushaltestelle rum zu sitzen war es einfach zu kalt.

Es würde zwar niemand online sein, aber wenigstens konnte ich Musik hören. Ich stöpselte meine Kopfhörer ein, drehte die Lautstärke etwas hoch und schloss kurz die Augen. Das war fast so gut wie schlafen, man konnte jedenfalls an nicht viel denken. Das war klasse. Ich hatte nämlich keine Lust auf Denken.

Ich drehte die Musik noch ein bisschen lauter, die richtige Musik zum Aufwachen, schnell und laut. Ich spürte, wie sich meine Lebensgeister langsam regten, die wohl schon die letzten Tage einfach geschlafen hatten. Wer konnte es ihnen verdenken?! Ich wippte mit dem Fuß zum Takt mit und ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, eigentlich hätte ich schon viel früher darauf kommen können, mal wieder anständige Musik zu hören, Musik zu der man sich bewegen konnte.

Lautlos sang ich den Text mit, den ich noch von früher auswendig kannte. Damals hatte ich allerdings laut mitgesungen, mitten im Stimmbruch, meine arme Familie. Die Peinlichkeit konnte ich mir ja jetzt zum Glück ersparen.

Konzerte... eigentlich, warum war ich schon seit Jahren auf keinem mehr? Früher war ich jeden Monat mindestens einmal auf einem und sei es nur ein kleines von irgendeiner Lokalband. Musik war live einfach am intensivsten. In der Menge pogen, sich zum Rhythmus bewegen, mit anderen Leuten die Musik genießen. Das war Leben.

Jemand tippte mir auf die Schulter, erschrocken drehte ich mich auf meinem Sessel um. Vor mir stand meine Mutter, die mich besorgt anschaute. Natürlich war ihr aufgefallen, dass es mir nicht gut ging. Schließlich war sie eine gute Mutter, sie beobachte ihre Kinder Tag ein, Tag aus, um jede Veränderung zu registrieren und bei mir war sie immer besonders sorgfältig.

Ich setzte die Kopfhörer ab und drückte bei Winamp auf Stopp. Immerhin war offensichtlich, dass sie mit mir sprechen wollte.

„Hannes, was ist denn in letzter Zeit mit dir los?“ Und sie sah noch besorgter aus. Ich zuckte mit den Schultern. Was sollte denn los sein? Mein bester Freund hasste mich, ich konnte nicht sprechen und werde es auch bestimmt nicht in näherer Zukunft wieder können und ich konnte mit niemanden darüber reden.

„Ich merk doch, dass was nicht stimmt... Du warst wieder die ganze Nacht wach, ich hab dich gehört, wie du baden warst. Irgendwas ist doch nicht in Ordnung.“

Ich griff nach einem Zettel und einem Stift, die zuhauf auf meinem Schreibtisch rumlagen.

´Selbst wenn, was willst du machen? Mich noch einen Tag mehr zur Schwelstein schicken?´ Schön und gut, dass sie sich Sorgen machte, aber was sollte sie schon groß machen und was sollte es bringen, ihr zu sagen, warum ich schlecht drauf war?! Es ging sie einfach nichts an.

„Hannes! Jetzt bist du unfair, du weißt, dass es zu deinem Besten ist!“

Ich schnaubte verächtlich, schon klar, zu meinem Besten. Vielleicht wollten meine Eltern auch kein schlechtes Gewissen haben müssen wegen ihrem verrückten Sohn.

„Mit dir kann man überhaupt nicht reden!“ Und damit verließ sie das Zimmer, aufgebracht und enttäuscht, wie ich sie kannte. Natürlich kann man mit mir nicht reden, dass ist doch der Knackpunkt der ganzen Scheiße! Dumme Kuh.

Ich würde heute am liebsten Schwänzen, das gute Gefühl von der Musik war weg und würde vermutlich heute auch nicht wieder kommen, und ich fühlte mich fast noch beschissener als heute Nacht. Anderseits, wenn ich nicht in die Schule gehen würde, müsste ich zuhause bleiben bei meiner Mutter. Da war Schule vielleicht besser, wenigstens wollte da niemand über meine Probleme reden, da wollte überhaupt niemand mit mir reden. So ein Fuck.
 

Die letzte Reihe im Bus, sie war besetzt. Aber nicht von Miguel und Raphael. Irgendwelche Zehntklässler saßen dort, auf unseren Plätzen. Als hätten sie nur darauf gewartet, dass Victor sich sein Auto leisten konnte und sie unseren Platz im Bus einnehmen konnten. Und mich hatte man nicht bedacht, ich war auch nur einer und eigentlich müsste ich ja auch bei Victor im Auto sitzen, wenn alles noch normal wäre.

Ganz vorne in der ersten Reihe war neben einem dicken Mädchen mit lauter Sommersprossen noch ein Platz frei, widerstrebend stellte ich mich einfach in den Gang und hielt mich am Griff fest. Heute war nicht mein Tag, meine Woche und offensichtlich auch nicht mein Jahr. Das ich vor Silvester noch anfangen würde zu sprechen war utopisch. Ich könnte schon von Glück reden, wenn ich denn bis nächstes Silvester überhaupt sprechen könnte.

Wenn man saß bemerkte man gar nicht, wie sehr ein Bus eigentlich ruckelte. Immer wieder stieß ich gegen die Leute, die sich vor und hinter mir befanden und mich mies gelaunt ignorierten. Vielleicht hätte ich mich doch neben dieses hässliche Mädchen setzen sollen, aber der Platz war mittlerweile schon besetzt und ich sowieso einige Meter weiter im Bus geschubst worden. Ich hatte Busfahren noch nie in meinem Leben als solch eine Tortur empfunden und hoffte, dass wir so schnell wie möglich in der Schule waren.

Es gab aber einen Vorteil, wenn man im Bus stehen musste, man war ziemlich früh auch wieder aus dem Scheiß Gefährt draußen. Ansonsten beobachtete ich nämlich wie die Schülermengen Richtung Schulgebäude floss, je nach Wetter unterschiedlich schnell, aber immer in Gruppen und nur ein paar vereinzelte Leute alleine. Ich hätte nie erwartet, dass ich mal plötzlich zu einen von denen gehören würde. Nie. Es gab Leute, denen war es in die Wiege gelegt worden, die konnten nicht mit anderen Menschen und niemand wollte mit ihnen können. Aber ich gehörte definitiv nicht zu solchen Personen. Ich hatte stets Freunde gehabt und kam mit den meisten Leuten einwandfrei aus und immer gab es auch Leute, die mit mir befreundet sein wollten.

Aber irgendwie ließen die sich alle nicht mehr blicken, die standen wohl alle nicht auf den wortkargen Typ.

Klasse, jetzt wurde ich langsam richtig verbittert. Als hätte ich nicht genug Probleme am Hals. Ich verdrehte etwas genervt von mir selbst die Augen und beschleunigte dann mein Gehtempo, da es wirklich beschissen kalt geworden war. Winter... wie ich diese Jahreszeit hasste. Ich fror sowieso schon recht schnell und keine Jacke konnte daran etwas ändern. Diese Jahreszeit gab mir gerade wirklich den Rest.

Wie ein geprügelter Hund betrat ich das Klassenzimmer und setzte mich an meinen Platz. Jetzt hieß es einfach ausharren und überleben. Es konnte ja einfach nicht mehr schlimmer werden.

„Hey, Hannes, du... also, wenn es dir recht ist - also sag halt, wenn nicht - also jedenfalls, also der Vic würde gerne neben den Raphi und deswegen, also wir würden halt die Plätze tauschen, ich sitzt jetzt jedenfalls neben dir.“ Miguel, der gerade mit Raphael und meinem ehemals besten Freund das Klassenzimmer betreten hatte, grinste mich etwas verunglückt an. Wenn er nicht so ein gutmütiger Kerl wäre, hätte er sich wohl dagegen gewehrt neben mir sitzen zu müssen. Aber so...

Ich seufzte, mühte mir auch so was wie ein Grinsen ab und starrte wieder aus dem Fenster. Miguel war immerhin besser als alleine sitzen. Das wäre nämlich die Krönung der Erbärmlichkeit geworden. Und soweit war ich einfach noch nicht.
 

„Donnie, also ohne dir nahe treten zu wollen, du siehst beschissen aus.“ Pascal musterte mich von oben bis unten. Ich winkte nur ab. Wäre ja auch bescheuert, wenn man mir nicht ansah, wie es mir ging. Das erspart nämlich viel Erklärarbeit und so. Wie auch immer...

Pascal und ich hatten uns wieder auf die komische, dimensionsverzerrte Treppe gesetzt und ich starrte auf meine dreckigen Chucks, definitiv die falschen Schuhe für das Wetter.

„Hm... ich seh schon, heute ist nicht so dein gesprächiger Tag.“ Ich bemerkte aus dem Augenwinkel, wie er ein Buch aufschlug, das er mitgenommen hatte und in dem er jetzt konzentriert las. Ich schaute ganz auf, immerhin musste ich wissen, ob er mir nicht wieder irgendeinen Dreck über Gebärdensprache schmackhaft machen wollte. Überrascht stellte ich fest, dass es einfach spanische Vokabeln waren.

„Ich hab Spanisch vierstündig... weiß der Geier warum.“ Er seufzte. Vermutlich hatte er mein Interesse bemerkt und mich deswegen mit dieser überflüssigen Information beglückt. Beobachtete der Typ mich eigentlich die ganze Zeit? Hm... irgendwie ein gruseliger Gedanke, aber wenigstens verstand er mich auch ohne die bekloppten Zettel.

„Naja, wir schreiben heute noch n Vokabeltest und ich hab nicht gelernt...“

Ich zog die linke Augenbraue hoch, was soviel hieß wie ´Ach, so was aber auch.´ Pascal grinste kurz.

„Hey, ich war beschäftigt! Ehrlich! Da war dieses Konzert und mein Bruder plant doch seine Party und Doro hat auch noch ganz nötig meine Hilfe gebraucht.“ Es stank nach fauler Ausrede, er lernte genauso ungern wie ich. Ich klopfte ihm nur kurz auf die Schulter, um ihm zu zeigen, dass wir von der gleichen Sorte Lernfauler waren.

„Da fällt mir ein... Wenn du magst, kannst du auch auf die Party von meinem Bruder kommen. Der alte Sack wird zwanzig und will seinen baldigen Scheintod ganz groß feiern.“ Pascal strahlte über das ganze Gesicht, den schien das richtig zu freuen. Aber ich wusste nicht so recht, irgendwie war mir nicht nach Party zumute. Deswegen zuckte ich nur mal mit den Schultern, das war unverbindlich, hoffte ich.

„Komm, das wird total genial und ich kann dir auch ein paar echt scharfe Mädels vorstellen! Mein Bruder kennt aus mir unerfindlichen Gründen Tonnen davon. Und es wird viel Alkohol geben, gute Musik und natürlich mich! Du kannst doch nicht Nein sagen wollen!“ Er klimperte mit seinen Wimpern und wirkte damit etwas tuntig. Trotzdem seufzte ich ergeben und nickte schließlich, ich sollte es mir mit Pascal nicht auch noch versauen. Sonst würde ich sogar noch meine Pausen alleine verbringen müssen.

„Cool, klasse. Also die ist Samstagabend. Wenn du willst, kann ich dich auch abholen. Ich muss da eh noch Mark und seine Freundin holen, da liegst du richtig auf dem Weg.“ Ja, das Leben ist ein großer, roter Ballon und wir sind eine glückliche Welt. Woher hatte Pascal eigentlich immer soviel Enthusiasmus?!

Ich lächelte ihn halbherzig an und zuckte mit den Schultern. Es war ja toll, dass er sich freute, aber eine Party mit unbekannten Leuten brachte immer viele Probleme mit sich. Und wie ich schon erwähnt hatte war das Mädchenaufreißen für mich derzeit auch nicht das einfachste.

„Ach, sei nicht so pessimistisch. Immerhin wirst du jetzt nicht gleich die Hölle auf Erden in Form eines Vokabeltests durchmachen.“ Und eine Umarmung. Mist, Körperkontakt. Warum tat Pascal so was auch immer?! Vielleicht war er ja wirklich schwul, wie Miguel das behauptet hat. Normal kann das ganze Umarme echt nicht sein.

„Okay, ich muss los. Wir sehen uns morgen.“ Damit hatte er mich auch schon losgelassen und war in den Massen verschwunden. Ich seufzte. Unterricht... neben Miguel. Womit hatte ich das verdient?! Ergeben machte ich mich auch auf den Weg in unser Klassenzimmer. Vielleicht war ich ja auch irgendwo selber Schuld an meiner Misere. Ich war in letzter Zeit wirklich kein guter Freund für Vic und das konnte ich nur sehr begrenzt auf den Mutismus schieben. Ich war nicht erst seit gestern stumm und es hatte funktioniert. Vielleicht hat es mich ja gestört, dass bei Vic nun richtig das Leben losging. Er hatte coole Freunde, ein geiles Auto und wie es aussah würde es auch bald mit einem Mädchen klappen, meiner Schwester. Arschloch. Okay, möglicherweise war ich etwas abweisend zu ihm, weil mich das alles ankotzte. Bei mir ging gar nichts. Ich trat einfach auf der Stelle und schien damit den Boden unter mir einzutreten. Anstatt weiter zu kommen, versank ich.

„Hey, ich hab dich heute wieder mit dem Pascal rumhängen sehen. Seid ihr jetzt Freunde, oder so was? Isser jetzt eigentlich schwul? Weil mit der Doro isser ja jetzt wirklich nich zusammen. Wäre auch komisch gewesen, oder, ne? Weil, ich glaub der Raphi landet demnächst bei der Doro, die fährt voll auf ihn ab. Oder was meinst du? Wäre aber typisch Raphi, der kriegt immer die Guten. Der is ja letztens bei der Natascha gelandet. Ich mein, bei der Natascha! Das is doch voll derbe.“ Erstaunlich wie Miguel von Thema zu Thema springen konnte und wenig darauf achtete, ob der Gesprächsverlauf nur irgendeinen Sinn machte. Vermutlich war ihm völlig egal, was er sagte, Hauptsache er konnte reden.

Ich zog meinen Collegeblock zu mir her und kramte einen Kuli aus meinem Rucksack.

´Doro hat schon n Freund.´

Klar, Miguel war im Gespräch schon viel weiter. Er war gerade dabei die Titten von Angelika anzupreisen, die wohl besonders toll aussahen, wenn sie rannte. Wer auch immer Angelika war. Ich schob ihm meinen Block hin. Erst jetzt schien ihm aufgefallen zu sein, dass ich überhaupt etwas geschrieben hatte.

„Echt? Mit wem? Doch mit Pascal? Aber was will die dann vom Raphi?!“ Erwartungsvoll schaute er mich an und schwieg dabei. Ich war verblüfft. Miguel konnte auch mal ruhig sein.

´Mit Pascals Bruder und Doro is nich scharf auf Raphi.´

„Woher weißte das denn?!“ Anscheinend konnte man Miguels Redefluss stoppen, wenn man ihm irgendwelche ´interessanten´ Infos gab. Wie praktisch.

Ich unterstrich Pascal zur Antwort.

„Ah, von dem... Also isses nich seine Freundin? Aber okay, das erklärt, warum er bei den Mädels so viel abhängt.“ Und nachdenklich hatte Miguel in seinem Redestopp inne gehalten, er schien sich wirklich intensiv mit diesem höchst komplexen Gedanken auseinander zu setzen oder er dachte einfach wieder an Angelikas Brüste. Wer wusste das schon.

Zum Glück kam dann auch schon unser werter Herr Schöble, der nichts mehr hasste, als Leute die seinen Unterricht durch Geschwätz störten und mit den Leuten auch nicht all zu nett umging. Aber hey, Geschichte war ja auch so ein wichtiges Fach, das man keine Sekunde verpassen sollte! Wie auch immer...

Imaginäre Ruhemasse

Hier saß ich nun auf einer Couch, die ihre besten Jahre schon längst hinter sich gelassen hatte in einem Keller, der mit Menschen nur so voll gestopft war. Das also war die Party von Jonas, so hieß der Bruder von Pascal. Hier waren wirklich verdammt viele Leute und ich habe mir sagen lassen, dass die sich auf alle Etagen im Haus verteilt haben. Pascal saß neben mir und beide starrten wir etwas benommen in die Menschenmasse vor uns. Dumpf nahm ich war, dass Musik lief und wohl auch ein paar Leute dazu tanzten. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass es der ramschige Partykeller von Pascals Familie war, hätte ich es für einen abgefuckten Szeneladen gehalten. Einfach total cool. Würde ich mich im Moment nicht so gut fühlen, wäre ich neidisch. So was wie einen Partykeller würde es bei mir in der Familie sicher nie geben. Was nicht nur daran lag, dass wir überhaupt keinen Keller hatten.

Pascal reichte mir wieder den Joint. Ich nahm einen tiefen Zug und gab ihn wieder zurück. Hey, klar, Finger weg von Drogen und Alkohol und so, schon klar. Aber manchmal war irgendwie die Zeit dafür und ganz ehrlich, nach den letzten Tagen hatte ich ein bisschen chillen echt bitter nötig.

Ich war ja überrascht, wie viele Leute zu uns herkamen und nach einen Gespräch suchten. Gut, die meisten waren Freunde von Pascal. Irgendwie schien Pascal genau den gleichen Freundeskreis, wie sein Bruder zu haben. Was vielleicht daran lag, dass Jonas nur ein Jahr älter war als sein kleiner Bruder und sie sich zu dem verdammt ähnlich waren. Die könnten fast so was wie Zwillinge sein, wobei Jonas noch eine Spur cooler war. Eben ein Jahr Lebenserfahrung mehr, oder so.

Auf der Party hier, kannte ich neben Pascal eigentlich nur Doro. Okay, kennen war übertrieben, aber ich wusste wie sie hieß. Sie hatte mich auch enthusiastisch begrüßt und mich gefragt, wo der Rest meiner Freunde war. Hm, schien ihr noch nicht aufgefallen zu sein, dass der Rest meiner Freunde aus Pascal bestand.

„Kommt zu Mami!“ Jemand warf sich auf uns. Mir blieb die Luft weg und ich dachte mir blieb das Herz stehen. Völlig überfordert starrte ich auf die Person, die quer über mir und Pascal lag und uns begeistert anstrahlte. Es war ein Mädchen, dass auf eine Unbenennbahreweise total spleenig aussah.

„Ich bin Guybrush Threepwood, ein mächtiger Pirat!“ Sie brach in lautes Lachen aus, rammte mir dabei ihren spitzen Ellenbogen in den Bauch, um schließlich einfach von uns runter zu rollen und auf dem Boden weiter zu lachen.

„Oh Gott, Lisa, ich dachte schon der mächtige Le Chuck hat uns in die Hölle der sieben Meere geschickt!“ Pascal streckte dem lachenden Mädchen eine Hand hin und zog sie hoch. Anscheinend auch eine Bekannte von ihm. Wenn er mehr so Freunde, wie sie hatte, verstand ich, warum er so war, wie er war. Lisa ließ sich neben mir nieder, so dass ich zwischen ihr und Pascal eingekeilt war. Herrlich.

„Holde Dame, darf ich vorstellen, den werten Herrn Donnie! Nicht wundern, er ist etwas wortkarg.“ Ja, Pascal war ein toller Erklärbär. Hm, Pascal als Bär... Er wäre sicher ein Panda, der den ganzen Tag Pizza ass. Er wäre ein wundervoller Bär.

Erst jetzt bemerkte ich, dass mich Lisa mit einem etwas benommen Blick musterte. Die war auch nicht mehr ganz nüchtern.

„Du, der sieht gar nicht aus wie ein Donnie. Der sieht aus wie ein junger Kurt Cobain!“ Mir wurde durch die Haare gewuschelt und in die Seite gepiekt. Oh Gott, das Mädchen war die weibliche Version von Pascal! Vielleicht eine Zwillingsschwester von der ich nichts wusste?! Okay, sie sahen sich nicht ähnlich, aber sie mussten ja keine eineiigen Zwillinge sein, konnten die auch nicht, oder? Ich fühlte mich etwas verwirrt.

„Ah, Honey, schau dir seine Augen an, die sind doch so was von Donnie.“ Pascal packte mein Kinn und schob mein Gesicht in ihre Richtung. Ich musste sie angucken, wie ein verunglückter Karpfen.

„Hm, unter Drogen, schon klar. Aber wirklich putzig.“

Ich beschloss mich auch mal am Gespräch zu beteiligten und kramte aus meiner Hosentasche meinen kleinen Kommunikationsblock und einen Stift.

´Pascal wäre ein toller Panda´ Ich war überrascht, wie gut das Schreiben geklappt hatte. Gut, ich hatte vier Mal neu angesetzt und ich konnte mich erst nicht mehr erinnern, wie alle Buchstaben aussahen, aber es hatte geklappt. Lisa lachte.

„Jungs, ihr seid ja echt schon fertig, oder?“ Der zweite Joint dieses Abends war aufgeraucht. Möglicherweise hatte sie mit ihrer Feststellung recht.

„Ich wäre aber wirklich ein toller Panda! Und ich hätte Luft in meinen Füssen, dann könnte ich übers Wasser gehen, wie Jesus. Ich wäre der Panda Jesus!“

„Ich bin Guybrush Threepwood, ein mächtiger Pirat! ARRR!“

„Ich zittere.“

Alles Verrückte. Ich fühlte mich wohl. Irgendwie war das alles nicht mehr so schlimm mit Vic und dem ganzen anderen Stress. Endlich war mal wieder alles, wie es sein sollte. Zufrieden ließ ich mich nach hinten fallen und versank etwas mehr in der Gammelcouch. Ich lauschte dem Wortgefecht der beiden und langsam wurde es zu einem angenehmen Rauschen, das mich einlullte. Sie redeten über nichts bestimmtes, über nichts Wichtiges und die ganze Welt. Es war angenehm ihnen zu zuhören. Mitreden konnte ich nicht, es war aber auch nicht nötig. Einer der Beiden sagte schon das Wichtige und manchmal konnte ich ihnen auch nicht mehr ganz folgen. Insider-Witze, die lustig klangen, aber einfach nicht nachvollziehbar waren.

„Donnie! Komm, wir machen Futtersuche!“ Ich war kurz überrascht, als sich das Gespräch in meine Richtung bewegte. Aber ich stellte fest, dass Essen jetzt genau das Richtige wäre. Ich hatte einen Mordshunger.

Unten im Keller war wohl so was wie die Tanzarena, Futter gab es erst eine Etage höher. Ich kannte mich in dem Haus sowieso nicht aus, deswegen stolperte ich an Lisa gelehnt einfach Pascal hinterher, der ihre Hand hielt. Vielleicht war Lisa ja seine Freundin. Sie wirkten vertraut, zumindest nach meinen Maßstäben. Hm... anderseits, nach meinen Maßstäben müsste ich auch annehmen, dass ich mit Pascal zusammen wäre. Ich sollte meine Maßstäbe mal überdenken. Definitiv. Ich mein, wer will den schon mit einem Panda zusammen sein? Ich schüttelte den Gedanken ab und versuchte mich zu orientieren. Ich glaube, wir hatten die Küche gefunden. Zumindest war unter einer dicken Schicht Müll so etwas wie ein Spülbecken und ein Herd zu erkennen. Ich bezweifelte, dass wir hier ernsthaft etwas Essbares finden würden, aber anscheinend kannte Pascal die Küche besser, als ich. Also eigentlich war klar, dass er die Küche besser kannte, immerhin war das ja seine Küche. Ob die wohl immer so aussah? Meine Gedanken wurden von einem Teller Chili con Carne mit einem Stück Baguette unterbrochen. Essen! Pascal hatte mir den Teller in die Hand gedrückt und mich dann in irgendeinen anderen Raum mit Couch geschoben. Ich vermute mal das Wohnzimmer. In dem Raum selber waren kaum Leute, aber dafür standen viele auf der angrenzenden Veranda. Es muss echt krass sein, so viele Leute zu kennen. Selbst zu meinen besten Zeiten, hätte ich es nicht auf die Hälfte der Partygäste gebracht.

Ich tauchte den Löffel in das Chili und probierte. Schmecken tat es. Um genau zu sein, schmeckte es einfach fantastisch. Ich könnte den ganzen Topf leer essen! Schnell hatte ich das Zeug weggelöffelt. Mehr! Wo war noch mal die Küche gewesen?

Ich schaute mich um und hatte keinen Schimmer, welcher dieser doofen Türen zur Küche ging. Ich beschloss einfach zu suchen. Schließlich war ich ja ein großer Abenteurer.

„Donnie, wo willst du denn hin?“ Verwirrt drehte ich mich um. Ah, Pascal. Ich hob den Teller hoch zur Antwort.

„Er is wie Silent Bob nur ohne Bart und Bauch!“ Lisa lachte wieder. Sie wurde von Pascal geboxt, der allerdings mitlachte. Silent Bob? Silent Bob wie Jay und Silent Bob aus Dogma? Hm... na ja, solange ich nicht Jay war. Eigentlich wäre ich lieber Loki. Leute erschießen, Feuer und Schwefel regnen lassen. Ich grinste, ja, das wäre eine feine Sache.

Ein Vollstreckungsengel.

Ich torkelte durch das Wohnzimmer auf eine Türe zu und stieß dabei gegen diverse Dinge und Menschen. Tja, der Weg des Chili war hart und beschwerlich, oder so ähnlich. Tatsächlich hatte ich es sogar geschafft, die Küche zu finden. Sie hatte sich hinter Tür Zwei verborgen. Tür Eins war ein Gang gewesen. Wer machte für einen Gang eigentlich eine extra Türe? Total nutzlos.

Ich setzte mich vor den großen Chilitopf und löffelte einfach direkt daraus. Wäre doch auch viel zu umständlich, da noch den Umweg über ein Teller zu nehmen. Ein großer Vollstreckungsengel wie ich hatte das definitiv nicht nötig.

„He, lass noch was übrig!“ Irgendwer wollte mich beiseite schieben. Ich zückte meinen mächtigen Löffel des Chilis, um zu verdeutlichen, dass das mein Chili war. Ein Kerl, der verblüffende Ähnlichkeit mit Pascal hatte, schaute mich entsetzt an. Ich erinnerte mich: das war Jonas, das Geburtstagskind. Ich grinste ihn verpeilt an und bedrohte ihn weiterhin mit dem Löffel. Dann wurde ich einfach ausgelacht, allerdings lachte ich mit. War das dann noch auslachen? Jedenfalls ließ er mir mein Chili. Fand ich nett, Jonas war wirklich ein klasse Kerl. Ich aß genüsslich weiter, so sollte das Leben sein.

Wieder wurde ich gestört beim Essen. Hier waren definitiv zu viele Menschen im Haus. Lisa hatte sich neben mich gesetzt und beobachte mich dabei, wie ich aß. Irgendwie war das nicht allzu angenehm. Ich hörte auf und schaute fragend auf.

„Es ist voll faszinierend wie du isst.“ Ihre Augen leuchteten, als würde sie das ernst meinen. War auf der Party überhaupt wer nicht bekiffen oder total betrunken? Irgendwie bezweifelte ich das.

„Iss weiter, ich werd dich auch nicht stören.“

Misstrauisch zog ich den Topf näher zu mir hin und löffelte weiter mein Essen, ich schaute allerdings immer wieder prüfend zu ihr. Wer wusste schon, was die im Schilde führte. Vielleicht suchte sie auch nur nach einer Strategie mir mein Chili zu klauen.

„Ey, Lisa, na haste du unseren Donnie gefunden?!“ Pascal hatte sich nun auch zu uns gesellt und jetzt starrten sie mich beide an. Mist, gegen zwei konnte ich mein Essen nicht verteidigen.

„Er ist voll faszinierend.“ Lisa hatte immer noch dieses Leuchten in den Augen.

„Und furchtbar niedlich.“ Pascal grinste mich an. Hm... klang schwul.

„Er passt super zu dir, Pascal.“ Jeah, ich wusste es, falscher Film. Ich sollte weniger rauchen. Ich schob fragend meinen Chilitopf zu ihnen, vielleicht ließen sie mich dann in Ruhe. Wetten, es war nur das Chili Schuld, dass die mich jetzt belagerten. In jedem Fall ging ihr Plan auf. Außerdem fühlte ich mich plötzlich ziemlich satt. Eine Couch wäre jetzt toll. Hinlegen und all das Essen verdauen. Anderseits sah der Küchentisch auch nicht schlecht aus. Ich schob etwas von dem Verpackungsmüll beiseite und was da sonst noch lag und bettete meinen Kopf auf meine Arme. Nur kurz die Augen zu machen und wir alle wissen, wohin das führt...
 

Mah, kaum hatte ich meine Augen geschlossen, wurde ich auch schon wieder wach gerüttelt. Konnte man hier nicht mal in Ruhe schlafen?!

„Hey, du kannst noch nicht schlafen, draußen is Slalom saufen!“ Slalom was? Ich schaute ihn ehrlich verwirrt an. Wenn es das war, was ich dachte, dass es sein würde, wäre es in meinem Zustand vielleicht nicht wirklich ratsam, anderseits... Ich war Loki, der Vollstreckungsengel!

„Uh, weißt du noch, letztes Jahr? Du hingst nach dem Slalom saufen zwei Stunden kotzend über dem Klo!“, erinnerte sich Lisa lachend.

„Und konnte mich an nichts mehr erinnern...“, fügte Pascal hinzu. In dem Fall ein wichtiges Detail.

„Oh, da war was...“ Lisa zuckte grinsend mit den Schultern. Keine Ahnung was das bei ihr hieß. Die Frau hatte eine Körpersprache mit der ich gar nichts anfangen konnte.

„Aber hey, was is ne Party bei der man sich noch an alles erinnern kann?!“

Und somit wurde beschlossen, das wir am Slalom saufen teilnehmen und ich konnte nicht mal widersprechen, weil ich mich viel zu dusselig fühlte, um meinen Block aus der Hose zu kramen und etwas zu schreiben. Tolle Vorraussetzung, oder?

Ich muss sagen, ich erinnerte mich noch daran, dass wir nach draußen gegangen waren, dann kamen noch ein paar komische Sequenzen, die aus lustigen Farben, Gesichtern und Geräuschen bestanden aber nicht wirklich Sinn ergaben und mehr wusste ich tatsächlich nicht mehr. Was natürlich viele Gründe haben könnte, zum Beispiel, dass ich einfach auf dem Rasen vor dem Haus eingepennt bin und einfach nicht mehr wusste, was passiert war oder das ich einen Blackout hatte. Ja gut, es gab nur zwei mögliche Gründe und der erste schied aus.

Aber mir war doch klar gewesen, dass es auf einem totalen Aussetzer hinaus laufen würde, oder? Nichts was ein Vollstreckungsengel nicht in den Kauf nehmen würde, dachte ich mir vermutlich dabei oder ich dachte mir zu dem Zeitpunkt gar nichts mehr. War auch nicht so wichtig.

Warum der erste Grund meiner mangelnden Erinnerung ausschied, lag daran, dass ich nicht auf einem taunassen Rasen aufwachte. Es war natürlich nicht schwer zu erraten, wo ich aufgewacht war. Ich war ja eigentlich schon froh, dass es nicht neben dem Klo war oder in der Badewanne, bedeckt mit meiner eigenen Kotze, oder irgendwo anders im Badezimmer. Den Geschmack von Kotze hatte ich zum Glück auch nicht im Mund. Vielleicht hatte ich gar nicht gekotzt, hoffentlich.

Aber mit meinen Schlafplatz hätte es mich wirklich schlimmer treffen können. Mein Kopf lag auf etwas warmes, weiches, das mir vom Liegegefühl irgendwie bekannt vorkam. Ich öffnete langsam die Augen und sah... Brüste. Hübsche, kleine Frauenbrüste in einem hellblauen BH. Ich blinzelte irritiert. Kein Wunder, das es so gemütlich gewesen war. Nichts geht über Frauenbrüste als Kissenersatz! Ich schloss die Augen wieder und kuschelte mich etwas mehr an die Brüste, solche Momente sollte man auskosten. Außerdem war ich mir ziemlich sicher, dass ich noch lange nicht nüchtern war. Ich durfte das also.

Als ich das nächste Mal die Augen öffnete, lag es daran, dass ich von irgendwas näher gezogen wurde, aber gleichzeitig weg von den Brüsten. Keine tolle Sache. Grummelig drehte ich mich nach der Ursache meines erneuten Erwachens um.

Das war der Moment, bei dem ich beschloss, dass ich gar nicht wissen wollte, an was ich mich nicht mehr erinnern konnte. Neben mir lag Pascal. Genauer gesagt lag ich zwischen Pascal und Lisa in einem großen Bett und ich hatte als einziger nur eine Boxershort an. Hrm... das könnte der richtige Zeitpunkt sein, in dem ich aus dem Bett springe, hysterisch werde, um meine nicht vorhandene Jungfräulichkeit trauere und mir wilde Sexphantasie mit Lisa, Pascal und mir ausmalte. Aber ehrlich, es war zu früh am Morgen und noch zu viel Alkohol in meinem Blut. Ich schob Pascal von mir weg und setzte mich auf, um mich überhaupt zu orientieren. Also vermutlich befand ich mich im Zimmer von Pascal. Sah auch irgendwie nach ihm aus: Möbel, die nicht zusammen passten, komplettes Chaos im ganzen Zimmer, bunte Drogenposter und irgendwo waren sicher meine Klamotten. Außerdem hatte ich Durst und mir war immer noch etwas schwummerig. Deswegen kroch ich unbeholfen aus dem Bett und torkelte unkoordiniert durchs Zimmer auf der Suche nach meiner Kleidung. Irgendwie hatte mein Körper noch nicht so Bock auf mich. Also wenn der jetzt noch so im Arsch war, dann konnte gar nichts passiert sein. So betrunken kriegt niemand einen hoch, nicht mal ich, Pascal bestimmt auch nicht und Lisa schon gar nicht.

Ich nickte mir selbst zu und entdeckte dabei meine Hose, die direkt vor mir lag. Der Versuch im Stehen das Teil anzuziehen gestaltete sich als problematischer, als gedacht. Nach dem ich nur stark schwankend in das eine Hosenbein kam, beschloss ich mich auf das Bett zu setzen, um in das andere Hosenbein zu schlüpfen. Hinfallen musste nämlich jetzt echt nicht sein.

Ich beschloss, dass die Hose reichte, um durch das Haus zu schleichen und etwas zu trinken zu finden. Werden schon nicht mehr so viele Leute unterwegs sein.

Tatsächlich lag das ganze Haus in Stille. Die Ruhe nach dem gigantischen Tornado, der durch dieses Haus gefegt war. Selbst die Bilder im Gang hingen nicht mehr gerade, eines lag auch in den Armen einer der Partygäste, der einfach auf dem Gang eingeschlafen war. Direkt vor dem Badezimmer, wie ich feststellte. Toll...

Ich beschloss, dass es in der Küche auf jeden Fall Wasser geben würde. Ich wusste zwar nicht mehr sicher, wo die Küche in diesem riesigen Haus war, aber ich hatte den Verdacht, dass sie sich weiter unten befand.

Die Treppe gab kein besseres Bild ab, als der Gang. Zwei umgeschmissene Blumentöpfe, die fröhlich ihre Erde über die Holzstufen verstreut haben, daneben die halbtoten Pflanzen. Pascals Mutter wird sich freuen. Abgehängte Bilder, aber dafür keine Alkoholleichen. Treppen waren ja auch wirklich nichts zum Schlafen.

Nach dem ich eine Gästetoilette, auf der ich auch gleich pissen war, eine Abstellkammer, den Keller und den Windfang gefunden hatte, offenbarte sich dann hinter Tür Nummer Fünf die Küche. Mein Vater würde über die Architektur dieses Haus wohl nur laut schreien. Da schien nichts durchdacht. Okay, es war ein altes Bauernhaus, das ausgebaut worden war, die sahen meistens so aus, aber ich würde nie in so einem Gebäude wohnen wollen.

Die Küche sah immer noch so verwüstet aus, wie gestern, was allerdings nicht anders zu erwarten war. Wer hätte denn auch sauber machen sollen? Selbst mein Chilitopf stand noch genau an der Stelle, an dem ich ihn gestern hatte stehen lassen. Jetzt musste ich nur noch ein sauberes Glas und den Wasserhahn finden. Aber hier etwas Sauberes zu finden schien mir ein Ding der Unmöglichkeit. Ich würde hier jämmerlich verdursten!

„Morgen...“ Pascals fast Zwillingsbruder schlurfte an mir vorbei zu einem Getränkekasten, den ich bis dahin noch gar nicht bemerkt hatte. Gut, es gab nur noch Fanta, aber es war immerhin Flüssigkeit und Jonas schien es zumindest wieder unter die Lebenden holen.

„Find ich übrigens cool, dass du gekommen bist.“ Er nickte mir zu, trank noch mal einen Schluck und verließ dann einfach wieder die Küche. Irgendwie unhöflich, er hätte zumindest „Bis dann“ oder so was sagen können. Aber jetzt wusste ich wenigstens, wie ich meinen verfrühten Tod durch Verdursten verhindern konnte.

Ich nahm mir eine Flasche Fanta und ging wieder nach oben. Wenn ich nämlich noch mehr Leuten begegnen sollte, wollte ich zumindest ganz angezogen sein und oben war nun mal noch mein T-Shirt, hoffte ich zumindest.

„Donnie!“ Pascal grinste mir total verpennt entgegen, als ich das Zimmer betrat. Er lag jetzt ausgestreckt auf dem Bett und hatte die schlafende Lisa somit ganz an den Rand des Bettes gedrängt. Noch drei Zentimeter und sie würde einfach runterfallen. Aber bei den vielen, blauen Flecken, die sie eh schon von der Party hatte, würde das gar nicht mehr auffallen.

Ich hob kurz die Fanta Flasche hoch, um meine glorreiche Beute zu präsentieren und zu erklären, wo ich war.

„Woah, Trinken...“ Mir wurde eine durstende Hand entgegen gestreckt. Aber sich aus dem Bett erheben, wollte Pascal sich dann wohl doch nicht. Ich öffnete die Falsche und trank erstmal selbst einen großen Schluck daraus. Das stand mir auch zu, wie ich fand. Immerhin hab ich mich durch Müllberge gewälzt und große Brüder dafür besiegt. Während ich trank, wurde ich von gierigen, durstigen Augen beobachtet.

Na ja, ich war ja nicht so, dass ich andere lange leiden lassen wollte. Ich reichte ihm die Flasche, die er mit etwas zittrigen Händen entgegen nahm. Sein Körper schien wohl auch noch nicht die ganzen Gifte abgebaut zu haben, die ihm gestern zu geführt wurden. Er setzte sich langsam auf und setzte zum Trinken an. Ich hoffte, dass mir noch etwas übrig blieb. Der Typ trank wie ein Kutschgaul. Tatsächlich war die Flasche halb leer, als er sie wieder absetzte. Zum Glück war überhaupt noch etwas drin, da ich immer noch Durst hatte.

„Woah, erinnerst du dich noch an irgendwas von gestern?“ Pascal hielt sich den Kopf und sah noch leidender aus, als ich mich fühlte. Ich schüttelte den Kopf, was ein unangenehmes Schwindelgefühl hervorrief. Ich sollte mich besser wieder hinsetzen und von dort aus mein T-Shirt suchen. Warum konnte man T-Shirts nich einfach orten? Das wäre doch die Erfindung schlecht hin! Die Marktlücke sollte ich mir merken.

„Ah, das is gut...“ Er ließ sich wieder nach hinten fallen und war einfach wieder eingepennt. Einen gesunden Schlaf hatte er ja. Aber vielleicht war schlafen in unserem Zustand immer noch das Beste was man machen konnte. Irgendwie fühlte ich mich auch wieder ziemlich müde... Ich mein, es war ja erst zehn Uhr morgens. Vermutlich hatten wir erst drei, vier Stunden geschlafen. Mit Sicherheit konnte ich das allerdings nicht sagen.
 

Als ich wieder aufwachte war es später Nachmittag und ich lag alleine im Bett. Was mir ganz recht war. Allerdings konnte ich mich nicht rühren ohne dass mir etwas wehtat. Was zur Hölle hatte ich eigentlich gemacht? Mich von bissigen Chiwawas bewerfen lassen? Und warum konnte ich nicht mehr betrunken genug sein, dass mir nichts weh tat? Heute Morgen war ja ein richtiger Genuss dagegen gewesen.

Und ich hatte einen Geschmack im Mund als wäre dort eine Mäusefamilie gestorben und zehn Jahre drin verrottet. Ich wollte eine Zahnbürste, ich wollte etwas zu trinken. Ein Blick auf das Nachtkästchen verriet mir allerdings, dass mir jemand Heimtückischerweise die Fanta geklaut hatte. Ich seufzte deprimiert, ich wollte nicht aufstehen. Die Schmerzen waren viel zu groß dafür. Selbst meine Hände taten irgendwie weh.

„Unser Donnieröschen is aufgewacht!“ Das Zimmer würde von meinen beiden „Bettgefährten“ gestürmt. Als hätte ich nach ihnen geklingelt. Vielleicht gab es hier ja Kameras im Zimmer, oder ich war einfach nur paranoid.

„Gott, war der mies.“ Ich konnte Lisa nur zustimmen. Pascals Wortwitze schrammte ja nicht mal mehr die unterste Skala der miesen Wortwitze.

„Ach komm, du bist doch nur neidisch auf meinen genialen Humor.“ Sein Selbstvertrauen war natürlich wieder unerschütterlich. Das war doch nicht natürlich, soviel Selbstvertrauen zu haben, oder?

„Genauso neidisch, wie auf deine behaarten Beine.“

Das waren die Gespräche, die man unbedingt mit einem gigantischen Kater führen wollte. Mein Kopf wummerte und ich verfluchte mich, dass ich heute Morgen nicht mehr getrunken hatte oder gestern weniger. So ein Mist.

„Er sieht fertig aus.“, stellte Lisa in all ihrer Genialität fest. Sie selber schien das Leben in Person zu sein, okay, das spleenige, nervige Leben in Person, aber zumindest lebendig. Ich war neidisch. Dafür wirkte Pascal gerechterweise so angedatscht wie ich. Er grinste zwar so bedeppert wie immer, aber seine tiefen Augenringe und die übernatürlich blasse Haut sprachen Bände.

„Donnie braucht nur ein anständiges Mittagessen!“

Allein schon bei dem Wort wurde mir schlecht. Vielleicht lag es auch daran, dass mein Körper einfach den restlichen Alkohol irgendwie loswerden wollte. Auf jeden Fall schlich sich meiner Kehle der unwiderstehliche Drang zu kotzen nach oben.

Ich sprang für meine Verhältnisse ziemlich schnell auf und rannte Richtung Bad, das hoffentlich nicht mehr belagert wurde. Dabei hielt ich mir die Hände vor dem Mund und betete zum fliegenden Spaghettimonster, dass ich es noch bis zur Toilette schaffen möge. Tat ich nicht, aber ich erwischte zumindest noch das Waschbecken. Wie entwürdigend. Normalerweise ertrug ich meinen Kater immer zuhause mit einem Eimer neben meinem Bett und dem Fernseher, der auf fast stumm geschaltet war. Das hier war definitiv die falsche Umgebung, um mich auszukurieren.

„Hey, geht’s wieder?“ Mir wurde ein Arm, um die Schulter gelegt und fürsorglich die Haare aus dem Gesicht gewischt. Vermutlich klebte die Kotze eh schon dran, was es eigentlich noch schlimmer machte. Danke, Pascal.

Ich schüttelte leicht den Kopf. Mein Magen war noch nicht leer genug, um Entwarnung zu geben.

„War vielleicht doch etwas viel gestern.“ Wieder die fachkundige Meinung von Lisa. Beide schauten sie mich nun mitleidig an und ich wünschte sie in die Hölle. Ich wollte gestern nur noch schlafen, ich wollte kein Slalom saufen, soweit ich wusste. Die hätten mich einfach auf dem Küchentisch schlafen lassen sollen. Mir kroch der unangenehme Geruch von Magensäure in die Nase und mir kam es wieder hoch, ein weitere Schwall halbverdautes Chili ergoss sich in das Waschbecken. Angeekelt wichen Pascal und Lisa zurück. Die Situation war nur noch als demütigend zu beschreiben. Echt, nie wieder Alkohol oder irgendwas. Nie wieder. Ehrlich, zumindest nicht in den nächsten drei Tagen.

Als ich mich dann endlich ausgekotzt hatte, bekam ich die Gelegenheit mir die Haare zu waschen, während er das Waschbecken ordentlich putzte. Lisa war währenddessen tatsächlich zum Mittagessen verschwunden. Was mir recht war. Je weniger Menschen jetzt in meiner Nähe waren, desto besser.

„Soll ich dich heimbringen lassen? Meine Mutter ist wieder da, die würde dich fahren. Ich würd ja selber fahren, aber irgendwie trau ich meinen Fahrkünsten noch nicht.“

Ich war gerade dabei mir die Haare trocken zu rubbeln, schüttelte aber gleich den Kopf. Wenn ich in dem Zustand nachhause kommen würde, würde ich nie wieder zu Pascal kommen dürfen. Meine Mutter dachte vermutlich sogar noch, dass ich nur ab und an ein bisschen Alkohol trinken würde und nur Zigaretten rauchen würde. Ich musste ihr Weltbild nicht noch mehr erschüttern und der schlimmste Teil des Katers war jetzt sowieso vorbei.

Ich zog mir mein T-Shirt über, dass Pascal mir vorhin gebracht hatte. Anscheinend hatte es unter dem Bett gelegen. Na ja, zumindest war es im Gegensatz zu mir nicht voll gekotzt. Was für ein Lichtblick. Wenigstens war ich vorzeigbar, deswegen zwang mich Pascal nach unten zu gehen, wo seine ganze Familie noch am Küchentisch sah. Partygäste waren außer Doro, Lisa und mir keine mehr zu sehen. Aber ich hatte die Vermutungen, dass die zwei Mädels hier Stammgäste waren.

„Du bist also Johannes! Pasi hat ja schon soviel über dich erzählt! Aber du bist ja noch viel entzückender, als ich dachte.“ Ich wurde in mütterliche Arme geschlossen und hatte Angst zu ersticken. Ich wurde allerdings noch rechtzeitig los gelassen. Pascals Mutter war eine Erscheinung, sie hatte feuerrote Haare in einer modischen Frisur, sah Jahre jünger aus, als sie sein könnte und schien den ganzen Raum auszufüllen. Sie strahlte mich an, als wäre ich ihr verlorener Sohn.

„Mama!“ Pascal klang peinlich berührt. Etwas, was ich niemals erwartet hätte. Ich grinste. Selbst Pascal konnte sich für seine Familie schämen.

„Aber er ist doch einfach hinreißen, dass musst du doch zu geben!“

„So was kannst du nicht einfach sagen!“

„Warum denn nicht?“

„Weil du meine Mutter bist!“

Ich schaute mich Hilfe suchend um. Irgendwer musste die doch wieder still kriegen, oder? Sein Vater nickte mir nur zu und bearbeitete sein Schnitzel weiter. Anscheinend war ich nicht weiter spannend für ihn.

„Ach, die streiten sich ständig, einfach nicht beachten.“ Jonas bot mir den Stuhl neben sich an. Während Pascal noch immer mit seiner Mutter darüber debattierte, wie man sich gebührlich gegenüber den Freunden der Nachkommen verhält. Wer gewann, konnte ich allerdings nicht genau sagen, da Pascal seine Mutter einfach in einen anderen Raum zog.

„Willst du was?“ Jonas zeigte auf den Topf am Tisch. Ich verneinte aber nur. Das Essen roch zwar gut, aber ich traute meinen Magen nicht mal ein Glas Wasser zu.

Ich saß schweigend am Tisch vor einem leeren Teller, während um mich herum so wahnsinnig banale Familiegespräche wabberten. Jonas unterhielt sich mit seinem Vater über irgendein Gartenhäuschen, dass sie wohl renovieren wollten. Doro und Lisa unterhielten sich über Doros ganz frischen Dreads. Super spannend, fast so toll, wie Gespräche über Schuhe. Wo blieb eigentlich Pascal? Der war schon ziemlich lang mit seiner Mutter streiten.

Ich zeichnete das Holzmuster des Tisches nach und wünschte mir, das Pascal tatsächlich eine taubstumme Schwester hätte. Wenigstens hätte ich mit ihr zusammen schweigen können. Warum musste er überhaupt so jemand erfinden?

„Du, Donnie, mein Dad kommt gleich. Willst du mir noch deine ICQ-Nummer geben? Ich würd mich wahnsinnig freuen.“ Irritiert schaute ich zu Lisa, die jetzt aufgestanden war, kramte aber dann meine Block und den Stift hervor. Kurz kritzelte ich ihr meine Nummer und meinen Nick hin. Sie wusste vermutlich nicht einmal, dass ich eigentlich Johannes hieß. Sie nahm den Zettel entgegen und schien kurz die Nummer zu überprüfen, als könnte sie sehen, ob sie tatsächlich existiert. Sie wirkte zufrieden und steckte den Zettel ein.

„Super, ich schreib dich dann gleich an und wehe du autorisierst mich nicht!“ Sie beugte sich vor und kam mir noch einen kurzen Kuss auf die Wange, winkte den anderen und war dann verschwunden. Perplex schaute ich ihr nach. Sie war definitiv ein mächtiger Pirat. Ich schüttelte den Kopf. Was für ein Unsinn.

„Hast du gar keinen Hunger, Johannes?“ Heute war ich wirklich nicht der Schnellste, was mir sicher niemand verübeln konnte. Aber ich hatte aus lauter Irritation über Lisa nicht bemerkt, dass Pascal und seine Mutter wieder am Tisch saßen.

Ich schüttelte den Kopf. Nicht zu Antworten, wäre nämlich sehr unhöflich gewesen. Sie lächelte kurz und sagte dann nichts mehr. Ich wusste nicht was Pascal zu ihr gesagt hatte, aber es hat dafür gesorgt, dass sie nicht mehr mit mir redete. Ob das gut war, konnte ich noch nicht sagen. Eigentlich machte seine Mutter einen ganz netten Eindruck, also man könnte sicher eine schlimmere Mutter haben.

„Ich hab auch keinen Hunger mehr, sollen wir hoch in mein Zimmer? Ich kann uns auch noch einen Tee machen.“ Tee klang zwar total pussy, aber das war das Einzige was ich meinem Magen zutraute. Ich nickte kurz und wurde dann einfach wieder nach oben geschleift. Ich fragte mich, warum wir überhaupt runter gegangen waren. Irgendwie eine sehr sinnlose Aktion. Und, dass Lisa nicht mehr da war, hatte Pascal anscheinend auch nicht registriert. Ich war einfach nur verwirrt. Denken war heute sowieso nicht meine Stärke.

Es kam mir auch sehr entgegen, dass wir dann nur auf dem Bett lagen und von dort aus Fernseh guckten. Ich wusste zwar nicht mehr was, aber es war sicher nicht sonderlich anspruchsvoll.

Pascals Zimmer war irgendwie die lebendige Version von meinem. Überall lag Zeug rum, es hingen jede Menge Poster und Bilder an den Wänden. Die Vorhänge bissen sich fürchterlich mit seinem großen, flauschigen Teppich auf dem Boden. Aber das Zimmer wirkte sympathisch. Es passte auf jeden Fall zu Pascal. Der übrigens einfach wieder weggedämmert ist. Obwohl Richterin Salesch gerade dabei war ihre Hochspannende Urteilsverkündung zu machen. Ich schaltete den Fernseher aus. Echt nur Mist.

Er hatte sich zusammen gerollt und umarmte ein Kopfkissen, während er leise schnarchte. Fast schon putzig. Ich piekste ihn in die Seite. Es war immerhin schon halb sieben und vielleicht sollte ich doch langsam mal nachhause oder zumindest bescheid sagen, dass ich übernachten würde. Übernachten wäre mir allerdings lieber. Allein der Gedanke, das Bett wieder verlassen zu müssen, die anstrengend viele Treppen nach unten zu gehen und auch noch in ein Auto zu steigen, machten mich groggy.

„Hrm?“ Pascal schaute mich derbe verpennt an, wischte sich Haare aus dem Gesicht und lächelte, als wäre er immer noch bekifft.

„Weißt du, wie toll das ist, wenn man aufwacht und jemand neben einem liegt?“ Er drehte sich auf den Rücken und grinste zu mir hoch. Ich verdrehte nur die Augen. Er konnte so ein Idiot sein.

´Kannst du bei mir Zuhause anrufen?´ Zum Fernsehgucken hatte ich den Block auf den Nachttisch gelegt, da er manchmal wirklich sehr unbequem zum Draufrumliegen war.

„Klar, was soll ich sagen?“ Hilfsbereit wie immer, der liebe Pascal.

´Jana soll morgen mein Schulzeug bringen, ich penn hier.´ Also ich nahm mal an, dass das schon okay war. So gastfreundlich, wie die Familie war. Außerdem hatte ich wirklich keine Lust nach Hause zu gehen. Vielleicht war es dort auch einfach zu still. Wenn ich bei Pascal war, war ich wenigstens irgendwie abgelenkt, was ich im Moment ganz gut fand.

„Hey, übernachten! Find ich klasse. Kannst auch ein T-Shirt von mir haben.“ Ich wusste doch, dass Pascal sich freuen würde. Na ja, wieso auch nicht?

„Okay, ich hol nur schnell das Telefon.“ Er wirkte ja wieder relativ regeneriert, so flink wie er auf den Füssen war. Vielleicht hätte ich auch noch mal schlafen sollen. Ich schloss die Augen und lauschte in das fremde Haus. Tatsächlich war es viel lauter, als unseres. Vielleicht lag es ja daran, dass es ein Holzhaus war und die hellhöriger waren, aber mir kam es insgesamt lebendiger vor. Ich hörte aus dem Nebenzimmer das leise Lachen von Doro und Jonas, der wohl auf seinem Bass spielte. Von unten war undeutlich der Fernseher zu hören. Und man konnte Pascal hören, der die Treppe wieder hoch gerannt kam. Anscheinend hatte er das schnurlose Telefon gefunden. Während er wählte, grinste er einmal kurz zu mir. Das Grinsen machte mir Angst, wollte ich wirklich noch bei ihm übernachten? Allerdings fühlte ich mich sogar zu kaputt, um aufzustehen, also hatte sich das erledigt.

„Hallo, hier ist der Pascal. - Ja, der Freund von Johannes. - Er wollte fragen, ob er noch übernachten könnte. - Jana könnte die Schulsachen morgen mit in die Schule bringen, meinte er. - Sie wollen noch meine Eltern sprechen? - Klar, ich geb Sie ihnen gleich.“ Er deckte die Hörmuschel ab.

„Deine Mom will noch kurz meine sprechen, ich bin gleich wieder da.“ Und weg war er wieder. Sah meiner Mutter aber wirklich ähnlich, dass die so was noch bei Eltern abcheckte. Gut, sie kannte Pascal nicht, aber ich fand es etwas übertrieben. Ich war immerhin keine elf mehr. Aber zumindest durfte ich hier schlafen. Fand ich gut. Ich kuschelte mich etwas tiefer in das Bett. War wirklich gemütlich hier. So richtig zum Wohlfühlen.

„So, is gebongt. Darfst morgen mit mir und Doro in die Schule fahren.“ Was für eine Begeisterung, er schreckte mich damit aus meinem Dämmerschlaf auf. Was er wohl bemerkte, da er in seinem Schrank nach einem Schlaf-Shirt suchte.

„Guck mal, ist das nicht schick?“ Oh Gott, es war eine Ausgeburt der Scheußlichkeit. Er hob mir ein riesiges, quietschgelbes T-Shirt mit einem rosa Elefanten entgegen. Ich konnte nichts anders tun, als einfach nur entsetzt gucken. „Ach, das passt perfekt zu deinen entzückenden Äuglein.“ Das ich abwehrend die Hände hochhielt, ignorierte er. Er packte einfach mein T-Shirt und zog es mir über den Kopf.

„So und jetzt anziehen.“ Ich sah schon, Widerstand war zwecklos. Ich nahm die Geschmacklosigkeit entgegen und stülpte sie mir über. Ich fühlte mich wie in einem gelben Kartoffelsack. Aber zumindest Pascal schien sich zu freuen. Ich strampelte noch meine Jeans von meinen Beinen und rollte mich wieder im Bett zusammen. Ich wollte echt nur noch schlafen.

„Willst du noch...“, war das Letzte, was ich noch mitbekam.

Positronen-Emissions-Tomographie

Mir blinkten die grünen Digitalziffern von Pascals Wecker entgegen, 4:13. Für meine Verhältnisse hatte ich wirklich lange geschlafen, aber vermutlich brauchte selbst mein Körper mal Erholung, vor allem nach dieser Geburtstagsparty. Der Raum wurde von einem fahlen Licht beherrscht, das sich seinen Weg durch die Vorhänge gebahnt hatte. Man konnte Umrisse im Zimmer ausmachen, aber mehr noch nicht. Ich legte mich auf den Rücken und schaute an die Decke, sah irgendwie nicht anders aus, als meine. Mein Blick fiel zur Seite auf Pascal. Er hatte mir den Rücken zugewandt, umarmte sein Kissen und schien tief und fest in seiner Traumwelt zu schlummern. Es sah irgendwie lächerlich aus, passte aber zu ihm. Aufstehen würde er jedenfalls sicher erst, wenn sein Wecker klingen würde, was erst um 7:05 war, wie mir der Wecker mitteilte. Um die Uhrzeit war mein Vater bereits außer Haus und der Rest der Familie würde schon ein Weilchen beim Frühstück sitzen. Das war der Vorteil meiner Familie, wenn man kaum schlief, fiel es nicht weiter auf, da jeder bei uns früh aufstand.

Allerdings stand ich nun vor dem Problem, was ich drei Stunden lang tun sollte. Klar, sich eine Weile lang im Bett rumwälzen war immer eine Option, aber auf Dauer wirklich verdammt langweilig und irgendwie frustrierend, da man schließlich wusste, dass man nicht wieder einschlafen würde. Wenn ich zu Hause gewesen wäre, wäre ich jetzt aufgestanden, duschen gegangen und hätte mich an den PC gesetzt. Ich glaube aber, das würde hier nicht so gut kommen.

Ich schaute wieder an die Decke, beobachtete dann den Wecker, wie es 4:17 wurde, überlegte mir, ob ich mir die Haare mal wieder färben lassen sollte – vielleicht blau? - entschied mich dagegen, starrte wieder an die Decke und ignorierte Pascal, der irgendwas Undeutliches murmelte. Wieder ein kurzer Blick auf den Wecker, 4:19. Okay, so konnte ich die Zeit nicht tot kriegen, keine Chance. Ich musste irgendwas tun.

Nach reichlicher Überlegung entschloss ich mich, erst mal auf die Toilette zu gehen, da ich tatsächlich aufs Klo musste. Außerdem hatte ich Durst, irgendwie war ich immer noch dehydriert. Als ich mich aus dem Bett erheben wollte, drehte sich plötzlich Pascal zu mir um.

„Wie viel Uhr?“, fragte er verpennt und rollte sich dann aber ohne eine Antwort zu erhalten gleich wieder zusammen, um weiter zu schlafen. Ich schüttelte leicht irritiert den Kopf. Komischer Kerl.

Das Badezimmer war wie jedes andere Badezimmer in Deutschland der Mittelschicht. Großteils weiß gekachelt, großer Spiegel, Badewanne, eine Toilette und ein Fenster. Super unspektakulär, wüsste ich es nicht besser, würde ich behaupten, wir würden in meinem Bad stehen. Nur das wir eine bessere Duschbrause hatten, wie ich mit einem Kennerblick feststellte, und weniger Zeug auf den Ablagen. Chaotenfamilie.

Ich spritzte mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht, ich sah schon wieder viel zu blass aus. Zum Glück lag es diesmal nur an einer berauschenden Party und nicht an Träumen bei denen ich qualvoll ums Leben gekommen bin. Meine Wangen röteten sich leicht von dem kalten Wasser. Hey, so sah ich fast wieder menschlich aus. Ich strich mir meine Haare aus dem Gesicht und musterte mich nochmals eingehender. Früher hatte ich mehr Farbe im Gesicht, aber früher war ja sowieso alles anders gewesen. Aber das war wohl der Lauf der Dinge, das sich alles unweigerlich verändert und man nichts dagegen tun konnte, manchmal konnte man ja nicht mal die Richtung bestimmen.

Das Bett knarrte leise, als ich mich wieder auf meine Seite legte. Pascal schlief immer noch, seine Decke anschmusend und leise vor sich hinschnarchend. Und ich, ich starrte in das Halbdunkel seines Zimmers und meine Gedanken fingen wieder an zu kreisen.

Immer wenn ich zu viel Zeit zum Nachdenken hatte, kamen die schlechten Gedanken, die, die man in der Ablenkung des Alltags einfach verdrängen konnte, aber nicht im Moment. Ich kniff die Augen zusammen, ich wollte nicht nachdenken. Nicht wenn ich einem fremden Bett lag, neben jemand, den ich kaum kannte, aber der im Moment der einzige Mensch war, der überhaupt mit mir klarzukommen schien. War ich wirklich so kompliziert, dass man sich nur von mir abwenden konnte? Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keinen Bock darauf, auf den ganzen Mist.

Ich stand wieder auf und ging zu dem einzigen Regal im Raum. Es war mit allem möglichen Kram voll gestopft und schien völlig überladen. Es standen einige Bücher darin, die ich nicht kannte, Comics, die ich nicht lesen würde, Actionfiguren, die ich lächerlich fand und es gab viel Staub, den meine Mutter nie geduldet hätte. Pascal war so völlig anders, als ich, in jeder Hinsicht. Aber vermutlich war es genau das was ich brauchte. Ich schaute kurz zu ihm. Es hätte mich schlimmer treffen können und bei ihm war ich mir sicher, dass er nicht irgendwann hinter meiner kleinen Schwester her sein würde. Ich wusste nicht genau, woher ich diese Gewissheit nahm, aber er schien mir einfach nicht der Typ dafür zu sein. Riesen Pluspunkt für ihn.

Ich nahm mir ein Buch aus dem Regal, irgendwas von Terry Pratchett. Ich bildete mir ein, schon mal von ihm gehört zu haben, aber ich hatte nie das Bedürfnis besessen, mir ein Buch von ihm zu holen. Mit dem Buch setzte ich mich wieder ins Bett. Mittlerweile war es hell genug, dass, wenn man angestrengt schaute man sogar was lesen konnte. Es war zwar nicht sonderlich gesund für die Augen, aber es war sicher auch besser, als sich mit lästigen Gedanken rum zu schlagen.
 

Der Morgen bei Pascal verlief genau, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Total hektisch. Alle schienen gleichzeitig in das Bad zu wollen, das Frühstück war nur ein Toast, der beim Zusammensuchen von Schulsachen gefuttert wurde und dann verbrachte Pascal noch fünf Minuten damit, seinen Autoschlüssel zu finden, obwohl wir wohl sowieso schon zu spät dran waren.

Ich war soviel Hektik nicht gewohnt, aber im Grunde war ich nur ein stiller Beobachter. Schließlich musste ich nichts vorbereiten oder tun. Einfach nur da sein und beobachten.

Doro und Pascal unterhielten sich angeregt im Auto, ich hatte nicht zugehört, um was es ging. Ich schaute zu, wie die Häuser und Bäume an mir vorbei zogen. Die Gegend kam mir bekannt vor, allerdings sah hier jedes Kaff gleich aus.

„Donnie? Hörst du mir zu?“, erst jetzt realisierte ich, dass jemand mit mir sprach, Doro. Ich wandte mich ihr zu, um zu zeigen, dass ich jetzt geistig da war. Sie lächelte kurz. Sie hatte ein verdammt hübsches Lächeln.

„Silvester, kommst du da auch? Jonas will das ganz groß aufziehen und seine Band tritt auf und letztes Jahr war das schon voll der Kracher.“, wurde mir begeistert geschildert. Silvester? Stimmt, das war ja auch bald, in zwei, drei Monaten? Wie die Zeit verging. Dass ich dieses Jahr noch reden würde, war vermutlich ein Ding der Unmöglichkeit. Ich zuckte unverbindlich mit den Schultern, keine Ahnung, ob Pascal bis Silvester überhaupt noch mit mir befreundet war, bei dem Freundesverschleiß, den ich gerade hatte.

„Es gibt auch ´n gigantisches Feuerwerk, das wir auf einem Hügel in der Nähe veranstalten!“

Ich lächelte kurz, das war kein Ja, aber auch kein Nein. Ich würde es mir überlegen.

„Deine Freunde könnten auch mit!“

Wen meinte sie, Pascal?! Ich nahm mal an, der war sowieso schon da, mehr Freunde hatte ich ja nicht.

„Du kannst doch nicht einfach irgendwelche Leute einladen, Doro.“, mischte sich Pascal schließlich ein. Wie sensibel und feinfühlig von ihm, vermutlich dachte er daran, wie ich heulend im Schulhof rumsaß. Na klasse.

„Donnie is doch nich irgendwer.“, beschwerte sich Doro und war somit abgelenkt von mir.

„Ich meinte doch nicht Donnie, ich meinte die Anderen.“

Das Gespräch schaffte es, sich auf Victors Wagen zu lenken. Ich hatte keine Ahnung, wie das passiert war, aber plötzlich redeten sie von tollen Soundanlagen im Auto und das die von Victor besonders toll war. Super Thema. Hoffentlich waren wir bald da.
 

Der restliche Montag verlief überragend unspektakulär. Jemand hatte mir einfach mein Schulzeug auf den Platz gestellt. Miguel und ich schwiegen uns an, da es selbst Miguel mal zu langweilig wurde, nur Monologe führen zu können.

Zuhause überschüttete mich meine Mutter mit Fragen über die Party, die ich mit Nicken und Kopfschütteln beantworten konnte.

„Gab es denn dort Alkohol?“ Nicken.

„Und hast du auch was getrunken?“ Kopfschütteln. Hey, so war Lügen wirklich einfach.

„Aber andere Drogen gab es nicht, oder?“ Kopfschütteln, was dachte sie auch? Das wir den ganzen Abend total bekifft verbracht haben? Also bitte, als würden wir Jugendlich in unserem Alter so was tun... Wie auch immer.

„Und die Leute waren nett?“

Ich verdrehte nur meine Augen und zeigte dann nach oben. Immerhin wusste sie genug über die Party. Es war zwar großteils gelogen, aber ich dürfte nie wieder weggehen, wenn sie wüsste, dass ich mir einen Filmriss angesoffen habe und so bekifft war, wie ein alter Schamane. Nein, es gab auch einfach Dinge, die Eltern nichts angingen.

„In einer halben Stunde gibt’s dann Essen.“ Sie schaute mir noch nach, wie ich die Treppen nach oben schlurfe, vermutlich mit einem mütterlich besorgten Blick. Vielleicht war ihr auch klar, dass ich gelogen hatte, aber was sollte sie machen? Wenn ich einfach nicht mehr sagen wollte, musste sie das akzeptieren.

Ich schaltete meinem PC an und beobachtete ihn ungeduldig beim Hochfahren. Ich war ja mal gespannt, ob mich Lisa wirklich geaddet hatte. Wäre irgendwie cool... okay, sie war etwas komisch, aber sie hatte auch verdammt weiche Brüste, das war ein nicht zu verachtender Aspekt.

Als sich mein Trillian bequemt hatte online zu gehen, blinkte mir auch gleich eine Nachricht entgegen. Allerdings von ´June´, von der ich seit ein paar Tagen nichts gehört hatte. Vermutlich wollte sie wissen, wie weit ich mit dem Betalesen war. Mist, das hatte ich total vergessen bei all dem Scheiß in letzter Zeit. Aber sie verstand das sicher, hoffte ich.
 

[14:03] June: Hi Donnie!

[14:04] Donnie: tach...

[14:04] June: kann es sein, dass ich dich schon geaddet habe?

[14:04] Donnie: öh... ja, ich hab dich seit ner weile im icq O_o

[14:05] June: uhm...

[14:05] June: ich hab deine nummer doch erst seit gestern
 

Badusch! Ich hasste unglaublich zufällige Zufälle, in Geschichten kamen die immer so unrealistisch rüber. Im echten Leben auch.
 

[14:05] Donnie: Lisa?

[14:05] June: natürlich, wer sonst?

[14:05] Donnie: ich kenn dich nur als june.

[14:06] June: dann bist du wirklich der donnie?!

[14:06] Donnie: sieht so aus...

[14:06] June: krass O_o

[14:06] Donnie: jub

[14:07] June: ich wusste gar nicht, dass du nich reden kannst.

[14:07] Donnie: naja, ich geh damit jetzt auch nich unbedingt hausieren

[14:07] June: schon klar, aber cool

[14:08] Donnie: das ich stumm bin?

[14:08] June: quatsch, nee, das du in der nähe wohnst, wusst ich gar nicht

[14:09] Donnie: ich auch nicht.

[14:09] June: du bist der einzige schreiberling, den ich hier kenne, woah.

[14:10] Donnie: jeah... übrigens hab ich deine story noch nich gebetat, sorry.

[14:10] June: lol schon okay, musstest ja auf parties XD

[14:10] Donnie: und mit hübschen mädchen rumhängen, ja, das hat auf jeden fall Priorität.

[14:11] June: sollte das sowas wie ein kompliment werden?

[14:11] Donnie: möglich.

[14:11] June: uh, ich fühl mich geschmeichelt.
 

Ich musste grinsen. Wenn June Lisa war, war Lisa vielleicht gar nicht so spleenig, wie ich zunächst dachte und June hübscher, als ich immer erwartet habe. Ich hatte mir June immer als ein leicht übergewichtiges Mädchen mit vielen Sommersprossen vorgestellt, keine Ahnung wieso. Ihre Geschichten wirkten irgendwie so.
 

[14:12] Donnie: haste auch allen grund dazu.

[14:12] June: ich bin immer noch ganz erstaunt, wie klein die welt doch ist...

[14:12] Donnie: nicht nur du

[14:12] Donnie: da geht man nichts ahnend auf ne party von jemand, den man kaum kennt und schon trifft man internetfreunde, schlimm ist das.

[14:12] June: ja, ganz fürchterlich
 

Okay, über was redete ich sonst mit June? Ich hatte keine Ahnung was ich jetzt schreiben sollte. Es war schon etwas komisch, mit jemand zu schreiben, den man sonst nur übers Internet kannte. Irgendwie veränderte sich da schon etwas. Vor allem, wenn es so zufällig war. Aber immerhin wusste ich, dass ich mit ihr gut klar kommen würde und von der Party her, dass sie mich wohl auch in Echt nicht so schlecht fand. Ich hatte ja das Gefühl gehabt, dass sie im Internet eine leichte Schwärmerei für mich hegte, aber so was immer ignoriert. Wie gesagt, ich hatte es nicht nötig, mir eine Freundin übers Internet zu suchen. Jetzt sah die Sache schon anders aus. Wenn mir was Kluges einfallen würde, dass ich schreiben könnte.

Ich beschloss aber, mir erst mal eine Kippe anzuzünden. Da Pascal Nicht-Raucher war und ich meine Kippen vergessen hatte, hatte es auch seit Samstag nichts mehr zu rauchen für mich gegeben. Eine Zigarette war bestimmt genau das, was mir gefehlt hatte.

Ich nahm einen langen Zug von meinem kleinen Suchtmittel und wartete darauf, dass June ein neues Gesprächsthema aufwarf, oder zumindest irgendetwas schrieb.
 

[14:17] June: tja...

[14:17] Donnie: hm?

[14:18] June: ich glaub, ich bin dabei, den schock noch zu überwinden

[14:18] Donnie: verständlich...

[14:18] June: weißt du was?

[14:19] Donnie: ich kann meinen Ellbogen nicht mit meiner zunge berühren?

[14:19] June: wir könnten uns doch heute treffen

[14:19] Donnie: uhm...

[14:20] June: über icq schreiben is doch doof, wenn man sich sehen kann.
 

Aber für mich bedeutete das, dass das Gespräch ungleich mühsamer war. Aber das wollte ich ihr jetzt so nicht sagen. Wäre auch ganz schon armselig, oder? Also wenn ich das Internet echten Treffen vorziehen würde, bloß, weil es für mich einfacher war.
 

[14:20] Donnie: wo denn treffen?

[14:20] June: weiß nich, bei pasi?

[14:20] Donnie: pascal?!

[14:21] Donnie: is das nich unhöflich, sich da selber einzuladen.

[14:21] June: quatsch, ich bin ständig bei ihm, er freut sich sicher. XD
 

Ich runzelte etwas irritiert die Stirn und aschte in den sauberen Aschenbecher auf meinem Schreibtisch. Okay, Lisa war einfach komisch.
 

[14:21] Donnie: wenn du meinst. O_o

[14:21] June: ich ruf mal bei ihm an und frag ihn, wenn das okay is?

[14:22] Donnie: tu das

[14:22] June: mehr begeisterung hier!

[14:22] Donnie: jeah, tu das!

[14:22] June: das wollte ich hören... afk telefonieren
 

Meine Mutter rief von unten. Es gab Essen. Musste sie immer so ein schlechtes Timing haben? Ich seufzte. June würde in einer halben Stunde sicher immer noch on sein. Ich ging kurz auf ´Away´, drückte meine Zigarette aus und begab mich nach unten, wo es schon nach Blaukraut und Putenfilet roch. Naja, wenigstens war es kein Fertiggericht.
 

[14:39] June: re

[14:46] Donnie: re

[14:47] June: pasi meint, die busse von dir zu ihm fahren komisch

[14:47] Donnie: öhm, kann sein, keine ahnung

[14:47] June: er würde dich demnächst mal abholen, er is gerade noch bei nem freund

[14:48] Donnie: das is natürlich praktisch

[14:48] June: find ich auch

[14:48] June: ich muss aber los, sonst verpass ich den nächsten bus

[14:48] June: bis dann

[14:48] Donnie: bis dann O_o

[14:49] *** "June" signed off at Mon Oct 21 14:49:11.
 

Ich schüttelte leicht irritiert den Kopf. Wenn wir uns nicht bei Pascal treffen würden, würde ich ja behaupten, ich hatte gleich ein Date mit Lisa. Aber dem war ja nicht so. Eigentlich war ich ganz froh, dass Pascal da sein würde, der war zumindest gut darin, die Stimmung aufzulockern, falls alles in depressives Schweigen verfiel. Was mir, zugegebenermaßen, in letzter Zeit des Öfteren passierte. Ich seufzte. Auf was hatte ich mich da eigentlich eingelassen? Anderseits kam ich auch endlich mal wieder aus dem Haus raus und war abgelenkt. Also sollte mir das eigentlich ganz recht sein. Ich wusste nur nicht, ob ich wirklich schon wieder Lust auf Gesellschaft hatte. Irgendwie war ich das alles nicht mehr so gewohnt, jeden Tag Leute sehen und dann auch noch nach der Schule. Aber ich sollte der Letzte sein, der sich darüber beschwert.

Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück und starrte an die Decke. Vielleicht war ja die Zeit da, für neue Freunde, für eine neue Freundin? Sehr wahrscheinlich sogar. Wenn man keine Freunde mehr hatte, war immer die Zeit für neue Freunde gekommen. Kam ich mit Pascal klar? Konnte ich mit ihm befreundet sein? Vermutlich besser als mit irgendjemand sonst. Eigentlich hatte es mich ganz gut erwischt mit ihm. Und Lisa, Lisa kannte ich ja eigentlich schon, zwar nur virtuell, aber die Unterschiede konnten nicht so groß sein.

Da ich nicht wusste, wann Pascal kam, beschloss ich mir die Zeit noch damit zu vertreiben, dass ich im Internet rumschlich. Von einem Forum zum Nächsten, stand überall nichts Neues oder immer das Gleiche. Ich seufzte, das Internet war auch nicht mehr das, was es einmal war.

Quark-Gluon-Plasma

Wir saßen in dem gemütlichen Wohnzimmer von Pascals Familie. Man konnte hören, wie seine Mutter laut in der Küche werkelte, aber das schien weder Lisa noch Pascal zu stören. Sie waren in einem unsinnigen Gespräch vertieft, bei dem ich mich nicht beteiligen würde, selbst wenn ich es könnte.

„Ich find ja, dass WiiFit voll die Inovation ist, wenn die nicht so teuer wäre...“, lamentierte Lisa. Tz.... Wii, was dämlicheres hätten die auch nicht erfinden können. Wenn man sich bewegen möchte, sollte man auch bereit sein dafür rauszugehen. Und die ganzen, fetten Kinder würden sich wegen sowas sicher auch nicht mehr bewegen. Die würden sich das vermutlich nicht mal kaufen. Für was war das Zeug dann überhaupt gut?!

„Die Miriam hat die WiiFit.“ Toll für die Miriam. Wer war überhaupt Miriam? In der letzten, halben Stunde, die ich hier gesessen bin, sind mindestens sieben verschiedene Mädchennamen gefallen, kein einziger von einem Typ. Langsam bekam ich Zweifel, dass Pascal überhaupt Kerle kannte, außer mir natürlich. Irgendwie hätte ich es Pascal nicht zu getraut, dass er so einen guten Schlag bei den Mädels hatte.

„Glaubst du, die lässt mich auch mal an das Teil ran?“ Große Aufregung seitens Lisa.

„Sollte man das nicht regelmäßig machen, damit das Sinn macht?“

„Ich will doch nur mal testen, wie toll sie ist.“

Pascal lachte und Lisa boxte ihn dafür. Irgendwie hatte ich mir das etwas anders vorgestellt heute. Ich fühlte mich etwas außen vor. Es war fast so, als wäre ich überhaupt nicht hier, nicht mal in ihren Gedanken.

Als hätte Pascal so einen dämlichen Johannes-Gefühls-Sensor schaute er lachend zu mir rüber.

„Was hälst du denn von der WiiFit?“ Das war nicht sein Ernst, oder? Ich steckte mir symbolisch den Finger in den Hals, um meine Meinung dazu zu verdeutlichen und er brach wieder in Gelächter aus.

„Was hast du denn gegen die Wii?“ Lisa bekam nur ein abwertendes Schnauben. Die Wii war es nicht mal wert, auf einer meiner kostbaren Zettel geschrieben zu werden.

„Ich wusste gar nicht, dass ihr schreibt.“, kam dann ein diplomatischer Themenwechsel von Pascal, der längst fällig war.

„Pascal, Donnie ist begnadet! Er schreibt wie ein junger Gott.“, ihre Augen leuchteten richtig, als sie das erzählte und ich kam nich umhin ein bisschen stolz auf mich zu sein. Gut, sie übertrieb maßlos, aber immerhin mochte sie meine Sachen. Anstandshalber wurde ich aufgrund des Lobes etwas rot. Pascal beobachtete uns beide amüsiert.

„Über was schreibt denn unser junger Gott so?“ Ich war mir nicht sicher, ob sich Pascal nicht gerade über Lisa und mich lustig machte.

´Endzeit´ kritzelte ich auf meinen Zettel und zeigte ihn den Beiden. Immerhin wollte ich mich nicht schon wieder aus einem Gespräch drängen lassen.

„Es ist so genial.“ Langsam wurde es etwas zu viel mit den ganzen Lob. Ich räusperte mich peinlich berührt. Und immer noch hatte unser Optimist der Runde ein amüsiertes Grinsen im Gesicht.

„Okay, ich will mich nicht blamieren, aber was soll ich mir unter Endzeit vorstellen?“ Ich dachte an das Bücherregal in seinem Schrank, Pascal laß ganz anderes Zeug.

„Ach, sowas postapokalyptisches, unsere Welt nach einer großen Zerstörungen, die auf noch ne größere Zerstörung wartet.“, erklärte Lisa für mich. Ich hätte es vielleicht ein bisschen anders beschrieben, aber prinzipiell traf es das ganz gut.

„Das klingt... deprimierend.“ Pascal runzelte leicht skeptisch die Augenbrauen. Er würde mein Zeug nicht mögen, stellte ich in dem Moment fest.

„Ach was, so wie er es schreibt, ist es voll faszinierend.“ Lisa schaute mich entzückt an und irgendwie fand ich sie im Moment auch kein Stück nerdig. Ich lächelte sie an.

„Oh Gott, er ist so niedlich.“ Und plötzlich hing sie mir um den Hals. Ihre weichen Brüste drückten leicht gegen meinen Körper und ich wusste nicht, wie ich auf den überraschenden Körperkontakt reagieren sollte. Ich wurde allerdings auch gleich wieder losgelassen und breit angelächelt. Lisa stand auf mich. Irgendwie ungewohnt, dass mich mal wieder ein Mädchen toll fand. Ich mein, das letzte Mal war das der Fall bei Simone und danach hatte ich keine Stimme mehr. Aber Lisa war ja nicht Simone, zu dem konnte ich ja nicht nochmal stumm werden.

„Sag mal...“ Lisa wurde von einem Handyklingen unterbrochen. Sie verdrehte genervt die Augen und kramte das Handy aus ihrer Hosentasche.

„Hi, Dad.“, meldete sie sich mit wenig Begeisterung. „Bei Passi – Muss das denn jetzt sein? - Nein. - Ach, komm schon. - Frag doch Bobby, ob er dir hilft! - Egal, vergiss es, ich komm ja schon.“ Sie legte wieder auf und seufzte.

„Jungs, ich muss euch schon wieder alleine lassen. Eric will irgendeine Überraschung für seinen Ehegatten machen und ist zu unfähig.“ Lisa schüttelte verärgert den Kopf und erhob sich.

„Will er wieder Reizwäsche kaufen und du musst beraten?“ Pascal lachte und bekam dafür einen Hieb auf den Kopf. Ich war etwas irritiert, aber beschloss es einfach zu ignorieren. Das hatte bestimmt alles seine Richtigkeit so.

„Naja, ich muss jedenfalls los.“ Sie umarmte kurz Pascal und gab mir dann einen Kuss auf die Wange. „Vermisst mich, ihr Süßen.“ Sie winkte noch und war dann weg samt ihren Brüsten. Irgendwie Schade.

„Ihre Väter sind total cool, aber komisch.“ Pascal ließ sich weiter in das Sofa sinken und streckte sich. Okay, jetzt hatte ich wenigstens seine ganze Aufmerksamkeit, war auch nicht schlecht. Mit ihm zusammen rumhängen war nämlich ganz okay, wenn er nicht totalen Unsinn redete.

„Ich find die Zwei ja furchtbar putzig, aber manchmal startet Eric total die verrückten Aktionen, weil er denkt, so ihr Eheleben aufzupeppen. Keine Ahnung... Eric is eigenwillig, aber cool.“

Lisa hatte also tatsächlich zwei Väter. Das erklärte zumindest, warum sie so komisch war. Unter solchen Umständen konnte man doch nur spleenig werden, oder?

„Naja, egal...“ Pascal hatte wohl bemerkt, dass ich mit dem Thema nicht viel anfangen konnte. Er schaute kurz zu mir, brach aber sofort den entstanden Blickkontakt ab. Pascal fuhr sich durch seine Haare. Ich verstand nicht genau, was mit ihm los war. Aber gerade war er komisch.

„Uhm... und... hm...“, stammelte er vor sich hin. Er schien verzweifelt nach einem neuem Gesprächsthema zu suchen. So kannte ich Pascal gar nicht. „Zoggst du?“

Ich blinzelte verwirrt. Zoggen? Ich? Ich, der nicht mal in Minesweeper gewinnen konnte? Ich schüttelte den Kopf.

„Oh, hm... Echt nicht? Du bist der erste Kerl, den ich kenne, der nicht zoggt.“ Pascal wirkte ehrlich überrascht und ich fühlte mich verarscht. Wollte er mir damit sagen, ich wäre nicht normal, bloss weil ich keinen Bock auf Computerspiele oder Konsolen hatte?!

„Also... also es ist voll okay, wenn du nicht zoggst. Ich mein, dafür schreibst du ja, dass ist sowieso viel cooler.“

Ich zog eine Augenbraue nach oben und schaute skeptisch. Schreiben war cool? Seit wann das denn? Wenn Victor wüsste, dass ich Geschichten schreiben würde, würde er mich einfach auslachen. Pascal seufzte.

„Sorry, du bringst mich gerade voll aus dem Konzept.“, er lächelte entschuldigend. Ich wusste allerdings nicht, was ich getan hatte, dass es Pascal irritieren würde. Gerade Pascal konnte doch nichts erschüttern. Aber gerade schien genau das der Fall zu sein. Er machte nervös irgendwelche Figuren mit seinen Fingern, seufzte schließlich nochmal und schaute mich wieder an.

„Okay, also... es... ich... Es wäre doof, wenn du es irgendwie hinten rum erfährst, vor allem weil ich so etwas nicht ab kann. Jedenfalls, ich bin schwul...“ Ich wurde abwartend angeblickt. Einmal Blinzeln, zweimal Blinzeln. Miguel hatte Recht gehabt?! Oh mein Gott! Irgendwas schrie nach Weglaufen, aber ich blieb nur sitzen und starrte Pascal an.

„Also, keine Sorge, ich weiß, dass du hetero bist. Ich werd mich nicht an dich ranmachen, oder so. Ich wollte einfach nur, dass du es weißt... Also ich mag es nicht, wenn zwischen Freundschaften unnötige Geheimnisse stehen, du verstehst doch sicher was ich meine, oder?“ Pascal schaute mich flehend an. Wie sollte ich denn jetzt reagieren? Ich kramte nach meinem Block.

`Is okay, ich komm damit klar.´, kritzelte ich so unleserlich wie möglich auf das Blatt. Es war gelogen. Klar, man sollte immer tolerant sein. Aber es war doch irgendwie komisch, wenn es jemand in unmittelbarer Nähe war.

Pascal hatte die Augen leicht zusammen gekniffen, als er versuchte das Geschrieben zu lesen. Schien aber tatsächlich zu erkennen, was ich geschrieben hatte. Prüfend schaute er mich noch mal an. Vermutlich glaubte er mir das nicht ganz. Pascal durchschaute so etwas bestimmt. Mist, Pascal war ehrlich und ich log ihn an.

´Willst du ne Story von mir lesen?´, schrieb ich leserlicher unter das Vorige, auch um seinen Blick auszuweichen. Vielleicht schlug ich es vor, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Aber Pascal hatte es vermutlich wirklich nicht verdient, dass ich die Flucht ergriff, oder? Immerhin meinte er ja, dass er mich nicht anbaggern würde.

„Uhm... klar, warum nicht?!“ Pascal versuchte zu grinsen, aber ich merkte, dass er immer noch unsicher war. Okay, verständlich irgendwo.

´www.inba.de´, schrieb ich ihm auf. Die Seite auf der ich eigentlich alles hochlied. Ich war dort schon mehrmals ´Lieblingsgeschichte der Woche´, worauf ich ziemlich stolz war. Immerhin gab es dort an die 20 000 Geschichten und auch viele begabte Autoren, allerdings noch mehr unbegabte. Trotzdem, ich mochte die Seite.

„Klar, du hast ja das Zeug online. Dann müssen wir hoch, also zu meinem PC, wegen dem Internet. Also...“ Pascal brach ab. Es war ihm wohl selbst aufgefallen, dass er dummes Zeug redete, einfach nur um was zu sagen. Er hatte Angst. Ich glaubte, er wartete darauf, dass ich jeden Moment weg lief. Womit er gar nicht so unrecht hatte. Anderseits, wenn ich jetzt gehen würde, war ich der Einsamkeit komplett ausgeliefert. Immerhin war Pascal momentan der Einzige, der wirklich Kontakt mit mir suchte. Und wenn er mich wirklich in Ruhe lassen würde mit seinem Homo-Kram war doch alles in Ordnung, oder? Ich brauchte eine Zigarette. Ich hatte mir auch eine Packung in die Hosentasche gesteckt, da ich eigentlich nie das Haus ohne Kippen verließ.

Ich stand auf, um an die Zigarettenpackung ranzukommen. Pascal hatte sich auch rasch erhoben. Vielleicht, um mich vom Gehen abzuhalten. Als er die Zigaretten in meiner Hand sah, entspannte er sich ein bisschen.

„Ach, du willst eine rauchen? Meine Mutter mag das im Wohnzimmer nicht, aber auf den Zimmern ist das okay. Jonas muss auch immer in sein Zimmer, um zu rauchen.“ Er lächelte nochmal und ich hatte das Gefühl, als wollte er unbedingt mit mir auf sein Zimmer. Ich schaute auf die Zigarette in meiner Hand und dann wieder zu Pascal. Gott, ich machte mich unnötig verrückt. Er würde jetzt sicher nicht, einfach über mich herfallen, oder so was.

Ich machte eine Geste, das er den Vortritt hatte. Ich wollte endlich eine rauchen und von sich aus schien Pascal nicht nach oben zu gehen. Dumme Situation.

Oben zündete ich mir gleich meine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. Pascal hatte währenddessen seinen PC eingeschaltet, der sich nun laut brummend hochfuhr. Dagegen schnurrte mein PC wie ein Kätzchen. Er starrte auf seinen Monitor und vermied es in meine Richtung zu schauen. Ich saß auf dem Fensterbrett und rauchte zum offen Fenster hinaus. Pascal war Nichtraucher, ich musste sein Zimmer nicht total voll qualmen, auch wenn er es mir erlaubt hatte. Die Zigarette beruhigte mich aber in jedem Fall etwas. Ich mein, was hatte sich nun geändert? Eigentlich nichts, oder? Ich blickte zu ihm rüber. Er war gerade dabei irgendwelche total unsinnigen Programme weg zu klicken, die vermutlich nur Arbeitspeicher frassen und sonst nichts taten. Plötzlich wurde der Monitor schwarz, der PC piepte kurz und Pascal fluchte leise. Ich konnte nicht anders, ich musste einfach grinsen. Pascal hatte es wirklich nicht so mit Technik.

„Hat der PC öfter, weiß nich an was es liegt.“, erklärte er kurz und startete das Teil wieder neu. Ich kniff die Lippen zusammen, um mir das Grinsen zu verkneifen und nickte wissend. Sollte ihm zumindest das Gefühl vermitteln, dass ich solche Probleme kannte. Aber nur von der Zeit, als ich gar keine Ahnung von PCs hatte und mir die immer nach und nach wegen mangelender Pflege verreckt sind.

„Du lachst über mich! Ich sehs doch!“ Pascal schaut mich anklagend an, schien das aber nicht ernst zu meinen. Ich grinste ihn an und bekam ein leichtes Lächeln zurück. Langsam entspannte sich die Situation. Was sehr angenehm war, ich kam mit einem unsicheren Pascal nicht klar.

„Wie hieß die Seite nochmal? Imba.de?“ Er hatte sich wieder ganz seinem PC zu gewandt und tippte die falsche Internetaddresse ein. Ich schüttelte nur den Kopf, schnippte die aufgerauchte Zigarette aus dem Fenster und ging zu ihm rüber. Ich blieb auf Abstand, nicht das er sich irgendwelche komische Vorstellungen mit uns machte, oder sowas. Aber als er bemerkte, dass er die falsche Addresse eingegeben hatte, überließ er mir bereitwillig die Tastatur. Ich ging schnell auf die richtige Seite und loggte mich dort auch gleich ein. So fand man nämlich die eigenen Geschichten am schnellsten.

Pascal schaute interessiert auf den Monitor. Ich bemerkte, wie sein Blick kurz auf meinem Profilbild hängen geblieben war. Peinlich, das Foto war schon ein paar Jahre alt, damals hatte ich noch feuerrote Haare, ein vermehrtes Interesse an Palis und eine Stimme. Ich sah auf dem Foto aus wie ein verkappter Punk. Allerdings hatte ich auch keine aktuelleren Bilder von mir. Seit ich nicht mehr reden konnte, gab es auch keine Fotos von mir. Von dieser Zeit wollte ich nichts dokumentiert haben.

Ich klickte schnell auf meine Storys, so dass er das Bild nicht allzulange anschauen konnte. Fremden Leuten aus dem Internet eine frühere Persönlichkeit von sich selbst zu zeigen, war okay, aber man wollte es niemand zeigen, den man wirklich kannte. Jemand, der wusste, dass man diese Person in Internet nicht war, sondern nur ein trauriger Abklatsch davon.

„Uff, du hast ja ne ganze Menge geschrieben.“, stellte Pascal fest, als sich die Liste meiner Geschichten vor ihm aufreihten. Es waren vielleicht an die zwanzig, aber viele waren recht kurz. Meine längste Geschichte umfasste momentan vielleicht hundert Seiten und an der schrieb ich schon an die drei Jahre. Ich zuckte nur mit den Schultern. Es gab viele Leute, die bedeutend mehr geschrieben hatten, als ich.

„Kannst du mir denn eine empfehlen?“ Ich konnte sehen, wie er ein paar Titel las und nichts damit anfangen konnte. Ich schrieb definitiv nicht das, was Pascal sonst las. Aber immerhin schien er prinzipiell Interesse an einer Geschichte zu haben, deswegen klickte ich auf eine Kurzgeschichte, die ich besonders mochte, da sie mein erster „Liebling der Woche“ war.

„Jenseits von Eden?“, las er den Titel vor. „Hey, ich kenn ein Lied, das heißt so!“ Ich schüttelte leicht den Kopf, was ihm sagen sollte, dass ich den Titel nicht von einem Lied hatte.

„Was bedeutet denn das Sternchen da oben in der Ecke?“ Er schien wohl das Lesen noch hinauszögern zu wollen. Ich klickte das Sternchen für ihn an und ihm wurde mitgeteilt, dass er sich nun im Archiv der „Liebling der Woche“ befand.

„Ah, du wurdest sogar schon ausgezeichnet? Und ich dachte Lisa übertreibt nur in ihrer Schwärmerei. Naja, wenigstens lohnt sich ja dann das Lesen. Eigentlich les ich ja total ungern Texte am PC...“ Er griff nach der Maus, auf der noch meine Hand lag und ich zuckte zurück. Ich wollte auf keinen Fall, dass er mich berührte. Ich bemerkte seinen verletzten Blick und ignorierte ihn. Er klickte den Text an und ich setzte mich auf sein Bett. Die einzig andere Sitzmöglichkeit, außer dem Schreibtischstuhl und dem verdammten unbequemen Fensterbrett. Pascal sagte nichts zu meinem Rückzug und fing einfach an die Geschichte zu lesen. Vielleicht wollte er sich auch einfach von mir und meinem Verhalten ablenken. Ich verhielt mich jetzt nicht super nett, aber immerhin war ich auch nicht einfach abgehaut. Ich fand, dass sollte man honorieren. Pascal las stattdessen. Es war komisch jemand dabei zu beobachten, wenn er eine Geschichte las, die man selbst geschrieben hatte. Die Regungen im Gesicht, die Reaktionen. Er hatte die meiste Zeit die Stirn gerunzelt und wirkte hoch konzentriert. Aber ob ihm die Geschichte gefiel, konnte ich nicht sagen.

Ich schaute zu seinem Bücherregal und entschied, dass ich das Buch von gestern weiterlesen würde. Es war nämlich ganz lustig gewesen und ich wollte Pascal nicht beim Lesen beobachten. Ich stand kurz auf, was Pascal dazu veranlasste sich zu mir umzudrehen. Als würde er immer merken, wenn ich irgendetwas tat. Ich zeigte auf sein Bücherregal.

„Nimm dir ruhig was...“ Das hatte ich auch vor, ich zog das Buch von heute Morgen raus. Erst im Licht konnte ich sehen, was für ein absurd komisches Cover es hatte. Bücher mit solchen Covern würde ich nie kaufen, immerhin war ein fliegender Elefant darauf. Aber wie gesagt, eigentlich war es ganz lustig.

„Ah, das ist klasse! Einer meiner Lieblinge von Pratchett.“

Ich setzte mich auf das Bett und suchte die Seite, an der ich stehen geblieben war. Stellte aber schnell fest, dass ich lesen im Sitzen verdammt unbequem fand. Würde es komisch kommen, wenn ich mich jetzt auf Pascals Bett legte? Gut, ich hatte sogar darin geschlafen, aber da wusste ich noch nicht, dass er schwul war. Ich hätte nie und nimmer mit ihm in einem Bett geschlafen, wenn ich das gewusst hätte. Auch wenn ich nicht mit bekommen hatte, dass er mich irgendwie begrabscht hatte, oder was ähnliches... Ich tat es schon wieder, ich machte mich mit dem Thema total kirre. Ich würde mich jetzt auf das Bett legen und lesen und Pascal würde jetzt nicht plötzlich auf die Idee kommen, dass er mich nun nageln will. Basta.

Pi-Meson

Die Fahrt zu mir nach Hause verlief im Schweigen. Pascal konzentrierte sich auf die Straße und ich beobachtete das vorbeiziehende Panorama. Leise lief eine CD von Pascal, ich kannte die Band nicht, war irgendwas Deutsches. Ich hörte selten deutsche Musik. Er trommelte zum Takt der Musik auf sein Lenkrad. Eigentlich wirkte Pascal ganz entspannt, aber wenn er es wirklich wäre, würde er einfach mit mir reden.

Der ganze Nachmittag war sehr schweigsam ausgefallen. Pascal saß irgendwie die meiste Zeit am PC und erklärte, er müsste etwas für ein Referat machen und ich hatte auf seinem Bett gelegen und gelesen. Ab und zu hat er mir wirkliche absurde Dinge für sein Referat vorgelesen, um mir zu verdeutlichen wie dämlich dieses Thema doch war. Wenn das Outing nicht gewesen wäre, wäre der Nachmittag wirklich angenehm gewesen. Aber so hing ihm ein fader Geschmack nach.

„Das ist dein Haus, oder?“ Irritiert schaute ich nach draußen, wir standen tatsächlich vor meinem Haus. Also war die Fahrt auch schon zu Ende. Ich löste den Gurt, nahm meinen Rucksack und stieg aus.

„Bis morgen dann.“, hörte ich noch, als ich die Tür hinter mir zu schlug. Ich drehte mich kurz um und merkte wie Pascal mich anstarrte. Ich hob meine Hand zur Verabschiedung, alles andere wäre einfach zu unhöflich gewesen. Als Reaktion bekam ich ein leichtes Lächeln und ein Winken, als er wegfuhr. Ob Pascal wohl auf mich stand?

Ich ging ins Haus und machte das Licht im Flur an. Es hatte während der Autofahrt angefangen zu dämmern. Meine Schuhe kickte ich in die Garderobe und meine Jacke warf ich auf das unnütze Tischchen im Gang. Wetten morgen würden die Schuhe ordentlich neben den anderen stehen und die Jacke in der Garderobe hängen.

Ich rannte die Treppen hoch in mein Zimmer, mein Körper brauchte etwas Bewegung. Außerdem hatte ich keine Lust darauf, dass mich einer aus meiner Familie abfing. Zur Zeit schauten mich meine Eltern ständig besorgt an und Jana war außerordentlich giftig zu mir wegen der Victor-Sache. Total zum Kotzen.

Ich schmiss mich auf mein Bett, angelte nach der Fernbedienung meiner HiFi-Anlage und erweckte sie zu elektronischem Leben. Ich regelte die Lautstärke einen Deut zu hoch und genoß den wummernden Bass. Eigentlich hatte ich gehofft, damit meine Gedanken übertönen zu können, aber ganz gelang es mir nicht. Hat es eigentlich nicht schon eindeutige Zeichen gegeben, dass Pascal schwul war? Selbst Miguel war es aufgefallen. Hatte er wirklich mit mir geflirtet? Sowas bekam man doch mit, oder? Anderseits, wenn mir ein Mädchen so um den Hals gefallen wäre und ständig an mir rumgefummelt hätte, wäre es mir eindeutig klar gewesen. Aber bei einem Typ erwartet man das doch nicht. Immerhin wurde man nicht alle Nase lang von Kerlen angegraben. Hoffentlich war Pascal klar, dass er null Chancen hatte. Klar, er war ein supernetter Kerl, aber ich war jenseits davon schwul zu sein. Und ich hatte auch echt keinen Bock darauf, dass jemand dachte, ich wäre vom anderen Ufer und das passierte doch zwangsläufig, wenn man mit Schwulen rumhing, oder? Gott, dann wäre ich der stumme und schwule Typ an der Schule, schlimmer könnte es ja gar nicht werden!

„Hannes!“, erschrocken fuhr ich hoch. Jana stand vor mir und schaute mich abwartend an. Ich hatte sie gar nicht bemerkt. Vielleicht hätte ich die Musik doch leiser machen sollen, was jetzt meine Schwester für mich erledigte.

Sie setzte sich neben mich auf mein Bett und lächelte mich kurz an. Was wollte sie denn? Ich dachte, sie spielt noch immer Victors kleiner Racheengel.

„Du...“, fing sie gedehnt an. Sie wollte doch was. Ich kniff die Augen kritisch zusammen. Geld würde sie sicher keines von mir bekommen, da sollte sie schon lieber unsere Eltern anschnorren.

„Es waren ja schon lang keine Freunde von dir mehr da....“ Okay, sie wollte keine Geld, aber das wäre mir im Moment lieber gewesen. Freunde...

„Und ich weiß nicht, du könntest doch mal wieder... welche einladen. Ich mein, du hängst doch sowieso viel zu viel alleine rum und das macht doch keinen Spass und so...“ Mit „welche“ meinte sie einzig und allein Victor und ihre Sorge um mich war nur eine vorgeschobene Lüge. Ich war sauer. Das konnte doch echt nicht wahr sein, oder? Hatten gerade alle Bock mir ins Knie zu ficken?! Ich packte sie am Arm und zerrte sie ohne Erklärung auf den Flur, um ihr dann meine Zimmertüre vor der Nase zuzuschlagen und abzuschließen. Ich hätte ihr natürlich sagen können, dass ich keine Freunde mehr hatte und das sie besser die Finger von Victor ließ. Er würde sie sowieso einfach hängen lassen, wenn nicht mehr alles so glatt lief. Er war einfach nichts für sie und sie war auch viel zu jung. Wie alt war sie? Dreizehn, vierzehn?

Sie schlug wütend gegen meine Tür. Anscheinend war das Gespräch nicht so verlaufen, wie sie wollte.

„Mach auf, du Aas!“, brüllte sie.

Bei dem Ton würde ich das bestimmt nicht tun. Ich ging zu meiner Anlage, drehte die Musik bis zum Anschlag auf, legte mich ins Bett und stellte mir vor, dass das Hämmern gegen die Türe zur Musik gehörte. Bildete ich mir das ein, oder kam jetzt zu dem Geschrei meiner Schwester noch die Stimme meiner Mutter dazu?

Und plötzlich war alles still und dunkel. Toll, die hatten mir den Strom abgedreht. Dachten die, davon würde es besser werden oder machten sie sich einen Spass daraus, den beschissenen Tag noch beschissener zu machen? Ich mein, heute morgen dachte ich noch, ich hätte einen neuen Freund gefunden, jemand, mit dem man wirklich gut auskam und dann war der plötzlich schwul. Und dann fing meine Schwester auch noch mit Victor an. Wenn das nicht beschissen war, wusste ich auch nicht. Was wollte sie von Victor? Er hatte einem Mädchen doch gar nichts zu bieten, außer ein schäbiges Auto.

„Johannes, öffne die Tür.“, drang die Stimme meiner Mutter dumpf durch die Tür. Einen Scheiß-Dreck würde ich tun.

„Komm schon, was ist denn los?“ Sollte ich denen jetzt Zettelchen unter der Türe durchschieben und erklären, dass mein ganzes Leben ein riesiger Beschiss war?

„Wir machen uns doch nur Sorgen...“ Meine Mutter klang etwas verzweifelt. Um was machten sie sich denn Sorgen? Durfte man nicht mal in Ruhe schlecht drauf sein? Die taten gerade so, als würde ich mir was antun wollen. Als hätte ich sowas schon mal gemacht. Bloss weil ich nicht sprach, war ich doch nicht der totale Psycho!

Sie klopfte gegen die Türe, rief noch ein paar Mal meinen Namen, dann kam nur noch ein resigniertes Seufzen und ich hörte, wie sie ihren Posten vor meiner Türe verließ. Ein bisschen später ging mein Licht wieder an und meine Geräte gaben Geräusche von sich, die klar machten, dass sie wieder unter Strom standen. Wie human, ich bekam meinen Strom wieder. Ich knipste die HiFi-Anlage aus und machte meinen PC an. Ich wollte mich ablenken, ich wollte schreiben. Schreiben konnte man doch immer noch am besten, wenn man seine Seele am liebsten auskotzen würde. Außerdem hing ich gerade an einer Stelle in der ein wichtiger Charakter brutal umgebracht wurde, das wollte man echt nur schreiben, wenn man Aggressionen und Frust verspürte.

Ich öffnete die betreffende Datei und ging nebenher online. E-mails checken, Foren durchgucken und vielleicht war jemand online mit dem man sich neben dem Schreiben unterhalten konnte. In der Regel machte ich immer noch etwas neben her, wenn ich schrieb. So blieb das Hirn gut durchlüftet und man vergrub sich nicht zu sehr in den Text. Ich brauchte meinen Abstand beim Schreiben, je länger ich am Stück an etwas schrieb, desto wirrer und unsinniger wurde es.

DarkDestroyer war online, Frank auch. Beide Autsch.

Und ich wurde auch gleich angeblinkt, allerdings von June. Komisch, sie hatte ich völlig vergessen, vermutlich hatten wir einfach noch nicht genug miteinander zu tun, als das ich mir Gedanken um sie machen würde.

[18:39] June: hi donnie!

[18:39] Donnie: tach

[18:40] June: und is noch was spannendes passiert als ich weg bin
 

Das konnte man wohl sagen. Ob sie wusste das Pascal schwul war? Vermutlich.
 

[18:40] Donnie: mehr oder minder

[18:40] June: hm, pascal hats mir erzählt

[18:40] Donnie: was?

[18:40] June: das er sich geoutet hat

[18:40] Donnie: achso...
 

Mist, da hatten wir das Thema schon. Okay, June wusste Bescheid. Sie wusste auch, das ich Bescheid wusste. Tolle Vorraussetzungen für eine Unterhaltung.
 

[18:40] June: und?

[18:40] Donnie: hm?

[18:40] June: was hältst du davon?
 

Was war das denn für eine dämliche Frage. Ich seufzte. Was hielt ich davon? Gar nichts, ich fand es total beschissen. Aber ich glaube, dass ich bei Lisa an der falschen Person war, um ihr das zu erklären. Immerhin war sie Tochter eines Schwulenpaars.
 

[18:41] Donnie: is n bisschen komisch

[18:41] June: naja, pascal sagt bei jedem gleich was sache is

[18:41] June: der hatte nämlich schon derbe stress mit sowas O_o

[18:42] June: deswegen macht er gleich klaren tisch wenn er sich anfreundet

[18:42] Donnie: verstehe
 

Also eventuell verstand ich es. Wenn Pascal sich vor jedem outete, hatte das sicher nichts mit mir zu tun. Zumindest würde es nicht zwangsläufig heißen, dass er scharf auf mich war. Irgendwie ein bisschen beruhigend.
 

[18:42] June: und keine sorge, pascal macht keine hetero jungs an

[18:43] Donnie: uhm... okay

[18:43] June: doch, pascal is echt voll in ordnung

[18:43] Donnie: kann sein...
 

Ich hatte keine Lust auf das Gespräch. Keine Ahnung was Lisa damit bezwecken wollte. War mir auch egal. Ich wollte nicht über Pascal reden, ich wollte mich einfach von dem ganzen Tag hier ablenken.
 

[18:43] Donnie: du, ich bin ziemlich kaputt

[18:43] Donnie: ich würd mich mal hinlegen

[18:44] June: jetzt schon?

[18:44] Donnie: ja, ich fühl mich angeschlagen

[18:44] Donnie: keine ahnung...

[18:44] June: okay O_O

[18:44] June: dann leg dich besser mal hin, nich das du noch krank wirst...

[18:44] Donnie: mach ich

[18:45] June: gute besserung

[18:45] Donnie: danke

[18:45] Donnie: bis dann

[18:45] June: ciao
 

Ich loggte aus und schaute auf die geöffnete Datei. Stimmt ja, brutaler Mord an einem meiner Hauptcharaktere wäre angesagt. War jetzt genau das Richtige. Ich las mich wieder in die Geschichte ein und begann zu schreiben. Es tat gut, sich auf etwas anders konzentrieren zu können und dabei trotzdem nicht viel denken zu müssen. Wenn ich schrieb dachte ich vielleicht nicht viel, ich wusste es nicht genau. Aber es tat gut und meinen Lesern schien es zu gefallen, was wollte man mehr? Ich identifizierte mich nicht mit meinen Charakteren und ich würde jeden auslachen, der dachte, von meinen Geschichten auf mein Leben Rückschlüsse ziehen zu können. Aber ich verarbeitete meinen emotionalen Stress mit Schreiben. Andere machten Musik oder zeichneten, ich schrieb. Nicht das männlichste, aber man konnte sich nicht aussuchen, wo die eigenen Talente lagen.

Ich schaute kurz auf die Uhr an meinem PC. Kurz nach Acht. Viel zu früh, um so zu tun, als würde man schlafen. Allerdings musste ich sowieso noch unter die Dusche. Wenn ich etwas nicht abkonnte, war es mangelnde Körperhygiene. Klar, ich rasierte mir jetzt nicht jeden Tag die Bartstoppel weg, aber schlecht riechen tat ich nie!

Unter der Dusche holte ich mir noch einen runter. Und ich dachte mir, dass Lisa vielleicht nicht so eine schlechte Option war. Immerhin, sie hatte weiche Brüste und sie stand auf mich. Das waren doch gute Vorraussetzungen, oder?

Als ich im Bad fertig war, setzte ich mich in Boxershorts auf mein Bett und zündete mir eine Zigarette an. Es war ziemlich schnell dunkel geworden und die einzige Lichtquelle in meinem Zimmer war die Glut der Zigarette. War vielleicht besser so. Ich hörte den PC in seinem Standbymodus leise surren und meine Atemzüge. Und ich hatte das Gefühl, das wars. Nicht auf eine positive Art, es war, als würde ich am Ende stehen. Ich wusste nicht von was, aber es war definitiv ein Ende. Ich wünschte, ich könnte jetzt einfach schlafen. Wenn man schlief, dann war alles okay. Ich schaute kurz zu meinem PC. Ich könnte noch einen Film gucken, mir irgendwie die Zeit vertreiben, bis ich einfach wegdämmerte, weil es nicht mehr anders ging. Klang nach einer guten Option.

Ich stand von meinem Bett aus, drückte die Zigarette in dem Aschenbecher auf meinem Schreibtisch aus und holte meinen PC aus seinem Standbymodus. Ich entschied mich einfach eine Serie zu gucken, die ich noch nicht kannte. Serien dauerten lange und man könnte Nächte damit zubringen welche zu schauen. War vielleicht im Moment das Beste für mich. Ablenkung.

Solares Neutrinodefizit

Ich hatte die Nacht kaum geschlafen, aber den Inhalt meiner Zigarettenpackung drastisch reduziert. Ich fühlte mich nicht besser, aber zumindest hatte ich die Nacht rumgebracht. Manchmal war das das Einzige, das zählte.

Müde gähnend schlürfte ich ins Bad. Meine Mutter würde in einer halben Stunde aufstehen, zu meiner Zimmertüre gehen und kurz lauschen, ob ich schon wach war. Ich hatte keinen Schimmer, warum sie das immer tat. Aber ich wusste, das sie dann beunruhigt war, wenn sie merkte, dass ich schon wach war. Ich hatte nie erzählt, dass ich Probleme mit dem Schlafen hatte, auch nicht meiner werten Psychologin. Es war auch nicht wichtig, fand ich. Aber vermutlich machte sich meine Mutter trotzdem Sorgen. Mütter...

Ich putzte mir die Zähne, spritze mir Wasser ins Gesicht, ignorierte mein Spiegelbild und ging dann nach unten in die Küche. Ich brauchte Kaffee, eine Zigarette und was zwischen die Zähne. Sonst würde ich heute gar nicht funktionieren.

Einen Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich noch eine Viertelstunde hatte, bevor jemand im Haus wach war. Ich trank noch meinen Instantkaffee fertig und ging dann nach oben, um mich umzuziehen und meinen Rucksack zu holen.

Als ich das Haus verließ, hörte ich noch kurz das Weckerklingeln meiner Eltern. Ich atmete tief durch. Mir war jetzt schon kalt, Scheiß Wetter. Ich steckte meine Hände in die Jackentasche und lief in einem recht flotten Tempo Richtung Haltestelle. Nicht das noch einer meiner Eltern auf die Idee kam, mich abzufangen, um mit mir zu reden.

An der Bushaltestelle schaute ich nach einem Bus, der früher fuhr. Zwei Stunden in der Kälte sitzen klang nämlich wirklich nicht prickelnd. Tatsächlich würde in circa zehn Minuten ein Bus kommen. Fand ich super, in dem Bus hätte ich auch sicher meine Ruhe vor Miguel. So früh würde von denen niemand aufstehen.

An der Bushaltestelle stand außer mir, einem Kerl mit Mantel und Hut und einer älteren, ausländischen Frau niemand. Ungewohnter Anblick, normal war die Bushaltestelle dicht bevölkert von jungen Menschen.

Ich kramte aus dem vorderen Fach meines Rucksacks die Zigarettenpackung raus. Zehn Minuten waren noch genug Zeit, um noch eine zu rauchen. Ein Blick in die Packung sagte mir, dass ich gerade die vorletzte Kippe angezündet hatte. Ich schaute zu den Wartenden, sie sahen nicht so aus, als würde der Bus gleich kommen. Ich hatte keine Uhr, deswegen konnte ich nicht genau sagen, wann der Bus kam. Der Zigarettenautomat war vielleicht so 400 m weit weg. Es sollte zeitlich schon noch klappen, mir Kippen zu kaufen. Eine Zigarette würde mir heute in der Schule nämlich nicht reichen. Ich fühlte mich wie ausgekotzt und unruhig.

Außerdem täte mir etwas Bewegung gut, da wurde einem warm. Ich sprintete zum Automaten und war froh, dass ich diesmal genug Geld dabei hatte. Als ich mich umdrehte und wieder Richtung Haltestelle ging, sah ich den Bus, wie er an mir vorbei fuhr. Scheiße. Ich fing an zu rennen, verdammt, ich war mir sicher, dass ich noch ein paar Minuten Zeit gehabt hätte. Ich sah, wie der Kerl mit dem Hut und die Ausländerin einstieg. Wie sich die Bustüre schloß und dann wie er wieder wegfuhr. Ich hörte auf zu rennen und blieb auf halber Strecke zwischen Zigarettenautomat und Haltestelle stehen, versuchte wieder zu Atem zu kommen. Meine Kondition war ja so dermaßen mies. Vielleicht sollte ich nicht soviel rauchen. Meine Kippe hatte ich beim Rennen auch noch verloren. Vermutlich lag sie jetzt in einer Pfütze, völlig aufgeweicht. So ein Scheiß.

Der ganze Tag war doch schon zum Scheitern verurteilt.

Als der Bus endlich kam, könnte ich schwören, dass ich mir die Lippen schon blau gefroren hatte und kurz vor dem Verlust ein paar Zehen stand. Aber frierend an der Bushaltestelle sitzen war immer noch besser gewesen, als sich zuhause meiner Familie zu stellen.

Ich war zur Abwechselung der Erste, der in den Bus einstieg. Ich peilte meinen gewohnten Stammplatz an und bemerkte, dass es für mich unmöglich war, an ihn ran zu kommen. Es sei denn ich hätte Raphael und Miguel erklären wollen, dass es asozial war, sich über zwei Sitzplätze zu lungern. Und mit denen wollte ich ganz sicher nicht reden, also schreiben. Ich vermutete, dass es sogar Absicht war. Die wollten mich nicht mehr bei sich haben. Klasse, ich hatte auf die nämlich auch keinen Bock.

Jemand drückte sich gegen meinen Rücken und ich stellte fest, dass noch mehr als ich in den Bus wollten. Ich setzte mich auf den erst besten, freien Platz und ignorierte meinen Nebensitzer. Ich könnte euch nicht mal sagen, ob ich neben einem Mädchen oder einem Kerl saß. War mir aber auch völlig Schnuppe. Ich drehte die Musik meines MP3-Players lauter und blendete damit die hirnentleerte Unterhaltung der zwei Tussis hinter mir aus. Ich mein, wenn zum Henker interessiert es, dass sie Kleidergröße Fötus trug und ihr Freund sie trotzdem fett fand?

Den Weg vom Bus in das Schulgebäude nahm ich in einem eiligen Schritttempo, ich war nämlich immer noch recht durchgefroren von der langen Warterei. Die Wärme im Bus hatte nur dafür gesorgt, dass meine Zehen unangenehm angefangen hatten zu kribbeln.

Im Unterricht belästigte mich mein Körper dann auch noch mit heftigen Kopfschmerzen und ich hatte das Bedürfnis meinen Kopf einfach immer wieder auf meinen Tisch zu schlagen. Ich mein, wenn man Feuer mit Feuer bekämpft, konnte man sicher auch Kopfschmerzen mit mehr Kopfschmerzen bekämpfen. Vielleicht würde auch einfach eine Zigarette helfen, aber die Klassenuhr sagte mir, dass wir erst in einer Stunde Pause hatten.

Meine Finger zitterten, wenn ich den Stift aufsetzte, ließ es etwas nach. Ich beschäftigte mich einige Minuten mit dieser wirklich interessanten Tatsache. Wenn ich den Stift nur hielt, war das Zittern sogar schlimmer, legte ich ihn beiseite war es nur ein leichtes Zittern. Eigentlich sollte ich mir Gedanken machen, dass meine Hände so am Zittern waren. Aber ich wusste ja an was es lag. Zu wenig zu essen, zu wenig Schlaf, zu wenig Koffein und zu wenig Nikotin. Mein Leben schien aus Mangel an allem zu bestehen. Deprimierend.

Ich bettete meinen Kopf auf meine Arme und schloss die Augen. War mir egal, was der Lehrer dazu sagte, ich war voll am Ende. Tatsächlich ließen die Kopfschmerzen leicht nach, einfach weil ich die Augen geschlossen hatte. So ließ es sich sicher bis zur Pause aushalten.

Jemand rammte mir seinen Ellenbogen in die Seite, Miguel. Benommen schaute ich zu ihm. Ich glaub, ich war kurz weggedöst. Miguel nickte in die Richtung des Lehrers, der mich gerade missgelaunt anschaute.

„Johannes, wenn sie sich schon nicht am Unterricht beteiligen, sollten sie wenigstens geistig anwesend sein.“, wurde mir mitgeteilt.

Ich legte meinen Kopf einfach auf die andere Seite, so dass ich nicht mehr in seine Richtung schaute. Der sollte sich freuen, dass ich überhaupt körperlich anwesend war.

„Johannes!“ Mah, der konnte mich kreuzweise. Tatsächlich ging der Lehrer auch, ich schaute kurz auf und sah, dass er etwas im Klassenbuch vermerkte. Super. Ich hatte wohl keine totale Narrenfreiheit. Was soll´s, die würden mich schon nicht von der Schule schmeißen, weil ich im Unterricht geschlafen habe. Die Kopfschmerzen pochten wieder gegen meine Schädeldecke. Heute müsste schon ein Wunder geschehen, damit der Tag auch nur ansatzweise okay werden würde. Und ich war mir sicher, dass dieses Wunder nicht geschehen würde.

Ich war so erleichtert, als endlich der Pausengong erklang. Ich fischte meine Zigaretten aus meinem Rucksack und stand auf. Während ich zur Türe ging, holte ich mir gleich die erste Kippe raus und lief promt in jemand rein.

„Bist du jetzt auch noch blind geworden, oder was?“ Ich zuckte zusammen, Victor. Er klang so derbe angepisst. So als hätte ich Scheiße gebaut, nicht er. Ich blickte auf und hätte gerne was erwidert, aber er ist einfach weiter gegangen. Raphael und Miguel links und rechts von ihm. Miguel blickte sich kurz zu mir um. Ich wusste nicht, ob es Mitleid war, oder ob er sich einfach mein wohl recht entsetzen Gesichtsausdruck merken wollte. Fuck.

Ich steckte mir die unangezündete Kippe in den Mundwinkel und lief so nach unten in die Pausenhalle. Rauchen in der Schule war nur im Raucherzimmer, eine Eigenheit dieser Schule, die aber auf die Oberstufte beschränkt war, und draußen an einer bestimmten Stelle erlaubt. In der Regel merkten sich die Lehrer die Typen, die da rauchten und hatten die dann oft mehr auf den Kieker.

Ich durchquerte die Pausenhalle, um in die Raucherecke draußen zu kommen. Ich hoffte, dass Victor und sein Anhang heute keinen Bock auf Zigaretten hatten. Aber vermutlich war es ihnen zu kalt draußen, konnte ich zumindest nur hoffen.

Ich atmete mehrmals tief durch und genoß die klare, kalte Luft, als würde sie mein Hirn durchlüften. Dann zündete ich mir die Zigarette an. In der Schule rauchen war zwar halbstark, aber das war mir im Moment egal. Immerhin musste ich noch drei weitere Schulstunden irgendwie überleben und ohne Nikotin ging das echt nicht. Ich zitterte immer noch, aber diesmal, weil mir kalt war, nahm ich zumindest mal an.

„Hey, Donnie.“ Pascal. Der nicht auch noch... Ich drehte mich nicht mal zu ihm um. Meine Kopfschmerzen hatten doch gerade erst etwas nachgelassen. Er stellte sich trotzdem neben mich.

„Hast du Hunger?“ Er hielt mir einen Semmel hin. Ich schaute kurz auf den Semmel, dann zu ihm, schüttelte den Kopf. Vielleicht wäre es ganz gut gewesen, wenn ich etwas essen würde, aber ich wollte mir nichts von Pascal schenken lassen. Am Ende bildete er sich noch was drauf ein.

„Hm, okay.“

Ich nahm einen tiefen Zug von meiner Zigarette und hatte meinen Blick auf einem unbestimmten Punkt vor mir gerichtet. Nur nicht zu Pascal schauen.

„Du hast wohl heute nicht so Bock auf mich, oder?“ Er klang niedergeschlagen. Ich schüttelte trotzdem den Kopf. Es war einfach zu viel.

„Pass auf dich auf.“, kam es noch leise von ihm, dann ging er. Ich bekam eine leichte Gänsehaut, schaute ihm aber nicht nach, als er ging. Konnte das Gefühl aber nicht vertreiben, dass ich mich verlassen fühlte. Vielleicht war es doch besser gewesen, als er noch neben mir stand. Verdammt.

Ich rauchte die Zigarette zu ende und zertrat sie dann unter meinen Füssen. Selbst Lisa meinte, dass er sich nicht an mich ranmachen würde. Ich machte mich doch nur unnötig verrückt. Selbst wenn er auf mich stand, wenn er mich nicht begrabschte oder mich anmachte, war das doch egal, oder? Ach Scheiße. Die Kopfschmerzen nahmen wieder zu und die kalte Luft änderte rein gar nichts daran.

Als ich die Pausenhalle betrat war ich allerdings erstmal überfordert. Überall Geräusche, Leute und viel zu wenig Luft. Warum war mir dieser Geräuschpegel früher noch nie aufgefallen?

Ich schaute mich um, lauter Gesichter, die mir irgendwie bekannt vorkamen und dann doch nicht. Ich konnte Raphael ausmachen, stand in der Warteschlange bei der Schulmensa und redete mit einem Mädchen. Von Victor und Miguel war keine Spur. Pascal sah ich allerdings auch nicht, er saß nicht auf der dimensionsverzerrten Treppe, in der Warteschlange war er auch nicht und ich hatte keinen Schimmer, wo er sich sonst rumtrieb, wenn er mir nicht gerade Gesellschaft leistete. Aber mir sollte ja aufgefallen sein, dass ich verdammt wenig über ihn wusste.

„Oh, hi, Donnie. Ganz alleine unterwegs?“ Doro war direkt in mich reingelaufen und lachte mich gerade an. Verdammt hübsch. Und sie wusste bestimmt, wo ich irgendwie jemand finden konnte, der mit mir Zeit verbringen würde. Ich holte meinen Block und den Stift raus und kritzelte ein `Hast du Pascal gesehen?´ drauf.

„Du suchst Passi? Ich denk, der is im Oberstufenraum, wenn er nicht hier irgendwo is.“ Hm, klar, hätte ich auch so drauf kommen können. Die meisten in der Oberstufe hielten sich während der Pause und den Freistunden im Oberstufenraum auf. Ich lächelte kurz, um ihr zu sagen, dass ich ihr für die Auskunft dankbar war.

„Wir sehen uns ja dann.“ Sie klopfte mir auf die Schulter und wuselte davon, anscheinend hatte sie gerade wieder jemand entdeckt, der sich über ihre Anwesenheit freute. Ich schaute ihr nach. So ein Mädchen konnte auch echt nur ein Typ wie Jonas abkriegen, sprich cooler Musiker, mit vielen Freunden. Ich war weit davon entfernt, sowas zu sein.

Sollte ich noch in den Oberstufenraum? Die Pause ging noch zehn Minuten. Wäre also eigentlich genug Zeit, allerdings müsste ich dafür vier Stockwerke hoch. Aber ich würde dann nicht alleine rumhängen. Wenn ich überhaupt in den Oberstufenraum durfte. Und wenn Pascal nicht da war? Dann würde ich mich total blamieren, weil ich da dumm rumstehen würde. Okay, allein rumhängen oder Zeit mit Suchen verplembern?

Ich würde so zumindest von den vielen Menschen hier wegkommen. Die Blamage mich vor den Oberstufenraum zu stellen und auf Pascal warten zu müssen, blieb mir übrigens erspart. Ich traf ihn auf dem Weg nach oben. Er unterhielt sich gerade mit irgend einem Typ auf der Treppe. Pascal lächelte ihn an und ich musterte den Kerl genauer. Groß, helle Haare, breite Schultern und eine recht markante Nase. Stand Pascal auf solche Typen? Der war auf jeden Fall das komplette Gegenteil von mir. Pascal hatte mich bemerkt, er nickte mir kurz zu. Das lenkte auch die Aufmerksamkeit von dem großen Typen auf mich. Er sagte kurz leise etwas, was ich nicht verstand und bekam ein Nicken zur Antwort.

„Joh, Passi, wir sehen uns dann ja morgen Abend.“ Und eine Wahnsinnsstimme hatte der. Auf die wäre ich sogar neidisch, wenn ich noch reden könnte.

„Geht klar, ich sag Jonas auch noch bescheid.“

Der Blonde verabschiedete sich mit einem Winken und verschwand dann die Treppen hoch. Pascal wandte sich zu mir um, wieder ein Lächeln. Aber es wirkte weniger echt, als sonst. Daran war ich allerdings selber schuld. Ich hatte schon wieder total Scheiße gebaut, als ich meinte, dass ich ihn nicht in meiner Nähe haben wollte.

„Na, besser drauf?“ Es klang auch gespielt heiter. Er wusste genau, wo das Problem lag, versuchte aber so zu tun, als wäre nichts. Ich zuckte mit den Schultern und mühte mir ein Grinsen ab. Ich konnte es mir nicht auch noch mit Pascal versauen. Das ging einfach nicht. Ich war kein Mensch, der es aushielt, wenn er viel zu viel alleine war. Ich war nicht dafür gemacht, einsam zu sein.

„Is wohl nicht so dein Tag...“ Kurzes Schweigen. Nein, heute war echt nicht mein Tag.

„Ich war gerade aufm Weg zum Lehrerzimmer, willste mit? Also ich muss was superlangweiliges mit dem Mertens besprechen, aber du könntest mir beim Warten Gesellschaft leisten.“

Und ich war erstaunt, wie wenig nachtragend Pascal war. Er tat tatsächlich so, als wäre einfach gar nichts passiert. War überhaupt etwas passiert? Klar, ich hatte mich wie ein Arschloch aufgeführt. Und er war schwul. Vielleicht war er auch nur so nachsichtig, weil er auf mich stand. Ich nickte trotzdem kurz. Ich wollte nicht alleine rumhängen müssen. Dafür stand ich sogar vor dem Lehrerzimmer rum.

„Du, morgen hat die Band von Jonas n Auftritt. Hast du Bock mit zu kommen? Die Musik würde dir sicher gefallen, die machen so Indie Rock. Und die Stimmung ist immer total genial.“ Morgen? Morgen war Mittwoch, also unter der Woche. Meine Eltern standen nicht so drauf, wenn ich unter der Woche abends weg war. Aber hey, wer war ich denn, dass ich mir noch was von meinen Eltern sagen ließ? Außerdem würde ich wirklich gerne mal wieder auf ein Konzert. Allein der Gedanke daran, schien den miesen Tag etwas netter zu machen. Ich nickte und grinste. Es war ernst gemeint, ich würde mich freuen.

„Oh, du warst aber schnell zu überreden. Cool. Weißt du wo das ´blueIN` is? Da spielen die, so ab acht.“ Das Grinsen in seinem Gesicht war diesmal echt. Vielleicht hatte ich es mit Pascal ja noch nicht komplett versaut. Und das `blueIN´ kannte ich tatsächlich. Ich war mit Simone damals oft gewesen, beliebter Club hier in der Gegend, und die Busanbdingungen waren richtig gut. Alles klasse Vorraussetzungen mal wieder ein bisschen Spass in mein Leben zu bringen. Ich grinste zu Pascal und ich bemerkte wie er kurz seine Hand nach mir ausstreckte, sie aber dann doch wieder sinken ließ.

„Das wird sicher klasse, Lisa kommt auch.“ Lisa. Klar, sie war ja nie weit, wenn Pascal in der Nähe war. Dann kannte ich schonmal zwei Leute mit denen ich rumhängen konnte und eine davon war sogar hetero. Das konnte nur gut werden.

Als Pascal noch mit seinem Spanischlehrer geredet hatte, begleitete er mich noch zu meinem Klassenzimmer, dass auf dem Weg lag und verabschiedete sich mit einem kurzen Winken. Er ging ganz klar auf Abstand, was ich eigentlich ganz gut fand. Das viele Umarme und Gedrücke mochte ich sowieso nicht.

Betazerfall

Doktor Schwelstein war noch nicht da, als ich den Raum betrat und mich auf meinen Platz setzte. Das kam manchmal vor. In der Zeit schaute ich mich immer um. Ich kannte den Raum mittlerweile viel zu gut. Wie oft war ich hier schon gewesen? Seit mehreren Jahren jede Woche einmal. Am Anfang hatte ich sogar zwei Sitzungen die Woche. Und es hatte sich nichts verändert, selbst die Pflanze im Regal war noch immer so groß, wie vor zwei Jahren, wie auch immer das möglich war.

„Hallo, Johannes.“ Ich schaute über meine Schulter zu Doktor Schwelstein, die gerade eingetreten war. Ich hob nur kurz die Hand zum Gruß.

Sie setzt sich mir gegenüber hinter den Schreibtisch und öffnete meine Akte, die schon dagelegen hatte. Sie schob mir ein paar Blätter und Stifte zu und lächelte mich kurz an.

„Wie geht es dir heute?“, kam wieder die Routine-Frage.

´Ging schon mal besser.´, antwortete ich wahrheitsgemäß.

„Deine Mutter hat mich angerufen.“, ihr Tonfall war ernst und es wirkte so, als hätte sie das Telefonat besorgt. Ich verdrehte nur die Augen. Es war wieder so typisch meine Mutter, sie versuchte sich in Dinge einzumischen, die sie nichts anging. Es ging sie nichts an, dass ich nicht genug schlief, es ging sie nichts an, was ich mit meiner Psychologin besprach und es ging sie nichts an, wenn es mir nicht gut ging.

„Du weißt warum?“ Natürlich wusste ich warum, ich wollte aber nicht darüber schreiben.

´Ich bin schwul.´ So. Bei diesem Thema musste sie mich einfach mit meiner Familie in Ruhe lassen. Provokation war bei Psychodocs doch alles. Aber es würde mich wirklich interessieren, was sie dazu sagte. Immerhin hatte man dafür doch Psychologen, oder? Um mit ihnen über Dinge zu sprechen, die einen beschäftigten. Und das Pascal schwul war, beschäftigte mich wirklich.

Ich schob ihr den Zettel zu und beobachtete sie genau beim Lesen. Sie runzelte leicht die Stirn und schien den Satz nochmal zu lesen. Sie hatte bestimmt mit allem gerechnet, nur damit nicht. Irgendwoher kannte ich dieses Gefühl.

Sie blickte skeptisch zu mir und dann wieder auf das Blatt, um schließlich doch mich anzuschauen.

„Wie kommts du darauf?“, sie klang leicht irritiert.

´Haben sie ein Problem damit?´ Hatte ich ein Problem damit? Natürlich hatte ich ein Problem damit. Deswegen wollte ich ja mit ihr darüber sprechen.

„Das nicht, ich bin nur etwas... verwundert.“ Es klang sogar ehrlich. Konnte man so lässig auf ein Outing reagieren? Sie lächelte mich an und ich hatte das Gefühl, als hätte sie es sowieso schon durchschaut. Vielleicht deswegen diese Gelassenheit.

`Warum?´

„Nun... du hast dieses Thema noch nie angedeutet. Gibt es denn einen aktuellen Anlass dafür?“ Sie wusste was Sache war. Sie nahm es nicht mal ernst, sondern war schon wieder in ihrem Psychologending und versuchte es zu analysieren. Was hatte ich auch anderes erwartet? Aber vielleicht war es auch gut so.

´Ein Fr...` Ich strich das Geschriebene wieder durch. ´Ein Bekannter.´ Ich wollte Pascal nicht als Freund bezeichnen. Wir kannten uns doch auch noch gar nicht lang genug dafür.

„Er ist schwul?“, versicherte sich Frau Doktor Schwelstein.

Ich nickte.

„Und das beschäftigt dich?“

Ich nickte wieder.

„Schläfst du deswegen so schlecht in letzter Zeit?“ Und ich ärgerte mich, manchmal konnte man bestimmten Gesprächsthemen nicht ausweichen, nicht bei Frau Schwelstein.

Ich schüttelte aber wahrheitsgemäß den Kopf. Nein, deswegen schlief ich nicht schlecht und ich hatte auch nicht erst seit letzter Zeit miese Schlafangewohnheiten. Ich konnte nicht all meine Probleme auf Pascals sexuelle Orientierung schieben.

Frau Schwelstein schaute mich an und ich hatte das Gefühl, als versuchte sie meine Seele zu scannen. Sie lächelte kurz, aber sie machte das nur, dass ich mich beruhigt fühlte. Funktionierte nicht.

„Deine Mutter hat mit mir telefoniert und ich mache mir ehrlich gesagt Sorgen um dich.“ Und sie sah gerade so alt aus, als wäre ich wieder einer dieser Patienten bei denen einfach alles nicht besser wurde, sondern nur schlechter.

Ich zuckte zur Antwort nur mit den Schultern. Sollten sie sich doch Sorgen machen, es war immer noch mein Leben und das verbrachte ich so, wie ich es wollte. Zumindest versuchte ich das.

„Ich glaube, es gibt bei dir ernsthafte Zeichen für Depressionen.“

Ich runzelte die Stirn. Was sollte das? Ich hatte keine Depressionen. Bloß weil ich nicht sprach und wenig Schlaf brauchte, war ich doch nicht depressiv. Depressive Menschen hingen doch nur zuhause rum und versuchten sich umzubringen. Ich hatte ganz bestimmt keine Depressionen! Ich schüttelte vehement den Kopf und bekam nur ein Seufzen zur Antwort.

„Ich sag nicht, dass es schwere Depressionen sind, für die du in eine psychiatrische Klinik musst. Aber wenn man nichts macht, könnten es sich zu solchen entwickeln.“

Ich schluckte. Sie redete nur Quatsch. Ich war nicht verrückt, mir ging es gut. Ich stand auf und setzte mich wieder. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Sie musste von diesem absurden Gedanken abkommen. Aber wie könnte ich sie davon überzeugen?

´Ich hab keine Depressionen!` Ich unterstrich das keine extra noch. Das musste sie doch verstehen. Frau Doktor Schwelstein lächelte nur kurz, es wirkte traurig.

„Vielleicht hast du eine falsche Vorstellung von Depressionen. Wenn man depressiv ist, heißt das nicht unbedingt, dass man ständig traurig und alleine ist. Du fühlst dich bei Depressionen oft kaputt, als wäre die eigene Batterie leer oder hast Angst vor verschiedenen Dingen, wie zum Beispiel Schlafen, manche Leute haben auch Angst unter Menschen zu gehen. Man fühlt sich auch oft vom Alltag und seinen Mitmenschen überfordert und reagiert schlecht auf sie, ob man will oder nicht. Du weißt doch, was ich meine, oder?“ 


`Ich bin nicht verrückt.` Bei dem Satz fühlte ich mich wie ein trotziges Kind, aber ich wollte das klarstellen.

„Das behauptet doch niemand.“ Sie hatte ihre geduldige Stimme aufgesetzt. Eine Stimme, die man für Kleinkinder verwendet. Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Das Thema war für mich gegessen. Als hätte ich nicht schon genug Probleme, Depressionen war wirklich das Letzte was ich jetzt gebrauchen konnte.

„Ich würde sagen, wir beenden die Sitzung für heute.“ Das würde ich doch auch sagen. Ich erhob mich sofort, um endlich dieses beschissene, gleichbleibende Zimmer zu verlassen.

„Bis nächste Woche.“, hörte ich noch ihre Stimme, als ich die Tür hinter mir schloss. Als würde die nächste Woche irgendwas an meinem Problemen ändern. Vermutlich kam sie dann wieder mit diesem unsinnigen, dämlichen Thema an. Am Ende wollte sie mir noch irgendwelche Medikamente aufschwatzen. Ich hatte jetzt schon keinen Bock mehr auf nächste Woche. Das hatte Frau Schwelstein schon lange nicht mehr geschafft.

Als ich zuhause ankam, erwartete mich schon meine Mutter. Sie stand in der Türe, hatte ein Geschirrtuch in der Hand und einen besorgten Blick. Sie wollte sicher wissen, wie es in der Sitzung gelaufen war.

Ich zog meine Schuhe und meine Jacke aus und beachtete sie dabei nicht.

„Hannes?“ Ihre Stimme war viel zu leise, als hätte sie vor etwas Angst.

Ich schaute auf, es war eine Auffordung, das sie weiter reden könnte.

„Hat Frau Schwelstein mit dir gesprochen?“

Was war das für eine Frage? Natürlich hatte sie mit mir gesprochen, was dachte sie was wir die Sitzungen über machten, uns anschweigen? Ich nickte aber nur, ich war einfach viel zu müde, um wütend zu sein oder aufbrausend zu reagieren. Der Tag war wirklich eine Ecke zu viel für mich.

„Und was meinte sie.“ Also hatte meine Psychologin meiner Mutter nichts über ihre grandiose Erkenntnis zu meiner psychischen Lage erzählt. Wenigstens etwas.

Ich kramte meinen Block raus. ´Depressionen.` Ich hielt ihr das Geschriebene hin und konnte beobachten, wie sie blasser wurde, als durch gesickert war, was das hieß.

„Oh.“ Sie wirkte weniger überrascht, wie ich meine Mutter kannte, hatte sie sich mit diesem Thema schon auseinander gesetzt. Sie kannte sich mit psychischen Krankheiten wahrscheinlich so gut aus, wie Frau Schwelstein. Damals als ich stumm geworden war, hatte sie sich über alles Mögliche informiert. War ja schließlich ihre Aufgabe.

Ich zuckte nur mit den Schultern. Was sollte ich groß dazu sagen. Gerade ich.

„Das wird schon wieder.“ Sie lächelte und machte einen Schritt auf mich zu für eine Umarmung. Vermutlich hatte sie bemerkt, dass mir das Thema zu setzte. Anderseits war sie auch daran Schuld, dass Frau Doktor Schwelstein überhaupt damit angefangen hatte. Ich wich ihrer Umarmung aus und ging nach oben. Ich konnte heute einfach keine Nähe ertragen. Mir war klar, dass ich meine Mutter mit diesem Verhalten verletzte und sie sicher nur mein Bestes wollte, aber es war einfach alles zu schwierig heute. Mein Kopf wummerte.

In meinem Zimmer ließ ich mich einfach auf mein Bett fallen, ich hatte nicht einmal mehr genug Energie mir Musik anzumachen. Mein Körper schrie nach Schlaf und trotzdem lag ich nur da und starrte auf das Muster meiner Bettwäsche. Blaue Punkte auf hellgrünen Grund. Anspruchsvoller als eine Unebenheit auf der Tapete und wenn man heulte konnte man zumindest das Muster noch einigermaßen erkennen.

Ich wachte mitten in der Nacht wieder auf. Mit einem ekligen Geschmack im Mund und einem Gefühl von Schwindel. Ich fühlte mich, als würde ich selbst im Liegen umfallen können. Vermutlich streikte mein Körper, weil ich den ganzen Tag zu wenig gegessen hatte. Aber Hunger hatte ich im Moment auch nicht. Ich stand vom Bett auf und lehnte mich gegen meine Zimmerwand, weil ich sonst einfach umgefallen wäre. Aber ich wollte aus meinen Klamotten raus. Sie stanken nach kaltem Rauch und Schweiß. Ich überlegte kurz, ob ich noch unter die Dusche wollte, aber ich traute mir den Weg ins Bad nicht zu. Ich sollte besser auf meinem Körper achten, so konnte das echt nicht weiter gehen.

Ich zog mir ein Schlafshirt über und legte mich wieder in mein warmes Bett. Zum Glück schlief ich gleich ein, vielleicht konnte ja mein Körper so wieder ein bisschen Kräfte sammeln.
 

Ich wachte von einem wirren Traum auf, in dem sich Simone und Pascal um Bambus gestritten hatten, weil sie super mächtige Pandabären waren. Aber immerhin war ich in dem Traum nicht gestorben, das war eine erhebliche Verbesserung zu den Nächten davor.

Einen Blick auf meinem Wecker teilte mir mit, dass ich verschlafen hatte und zwar gewaltig. Wir hatten kurz nach zehn. Wenn ich mich beeilte, würde ich den Bus um halb elf bekommen und zumindest noch zwei wundervolle Stunden Englisch haben. Ich hatte mal so gar keinen Bock. Eigentlich war ich kein Schulschwänzer. Aber wenn nicht mal meine Mutter darauf bestand, dass ich in die Schule ging, musste ich auch wirklich fertig aussehen und ich fühlte mich auch so. Wie von einer Kuh verdaut und mehrmals wiedergekäut. Widerlicher Gedanke.

Anderseits, falls ich wirklich heute Abend ins ´blueIN´wollte, müsste ich noch in die Schule gehen. Meine Mutter war recht streng in der Hinsicht. Wer zu fertig für die Schule war, war auch nicht fit genug für eine Party. Irgendwo hatte sie ja auch recht damit.

Also erhob ich mich aus meinem Bett, einigermaßen zufrieden stellte ich fest, dass mir nicht mal schwindelig wurde. Der Schlaf schien mir wirklich gut getan zu haben. Erstaunlich. In den Badezimmerspiegel schaute ich aber trotzdem nicht, außerdem musste ich mich beeilen, wenn ich den Bus noch kriegen wollte.

Ich zog mir in meinem Zimmer noch frische Klamotten über, sprühte etwas Deo unter die Achseln, um zumindest angenehm zu riechen und verschwand dann in meinen gefütterten Parka eingemummelt aus dem Haus.

Das Verlassen des Hauses gab mir ein Gefühl von Sicherheit und Routine zurück. Es war einfach so normal, so als wäre alles in Ordnung.
 

Nun stand ich hier, vor dem ´blueIN´und wartete auf Lisa. Sie hatte mich heute Nachmittag noch angeschrieben, dass wir uns vor dem Laden treffen würden, um sieben. Wir durften sogar der Band beim Aufbauen zu gucken. Wuhu.

Lisa war allerdings noch nicht da, auch sonst noch niemand. Pünktlichkeit war hier offensichtlich niemands Stärke. Ich wäre vermutlich auch noch nicht hier, wenn meine Busse nicht so dumm fahren würden.

„Ey yo, du bist doch ein Kumpel von Passi, oder?“ Irritiert drehte ich mich um und vor mir stand Blondie. Na klasse. Das pure, sonnige, glückliche Leben. Der musste sich sicher keine Gedanken um Depressionen machen. Gott, den Typ mochte ich einfach nicht.

Ich nickte trotzdem, wäre auch dumm was anderes zu behaupten.

„Ach, genau, du bist der, der nich sprechen kann. Donnie?“ Oh, er konnte sich an mich erinnern. Ich fühlte mich geehrt. Wieder nur ein kurzes Kopfnicken. Wer mich länger kennt, würde wissen, dass ich gerade einsilbig war.

„Ich bin der Martin. Ich sing bei N13.“ Er lächelte charmant und ich hatte das Gefühl, als würde es mir hochkommen. War ja klar, dass er Sänger war, bei der Stimme.

„Willst du mit reinkommen? Die anderen kommen sicher auch bald.“ Hm, schwierige Frage. Wenn ich mit reinkommen würde, hätte ich es warm, anderseits müsste ich seine ätzend freundliche Anwesenheit ertragen und ich wollte mich mit Lisa ja schließlich draußen treffen. Aber es war warm. Das war wirklich ein entscheidender Faktor. Ich beobachte meinen Atmen, wie er kleine, weiße Wölkchen vor meinem Gesicht bildete und entschloss mich dazu, dass ich Martin in der Wärme eines Raumes sicher besser finden würde.

Also wieder ein Nicken.

„Cool. Machst du eigentlich auch Musik?“ Und schon wurde ich in ein Gespräch verwickelt, zum Glück war der Martin schlau genug, mir Ja-Nein-Fragen zu stellen. Ich schüttelte den Kopf. Ich mochte Musik, ich liebte sie, sie war manchmal meine Luft zum Atmen, aber ich selbst war nur begrenzt musikalisch. Ich konnte ein wenig Gitarre spielen, aber wirklich nur die absoluten Basics. Falls ich sie noch konnte, ich hatte schon recht lange nicht mehr gespielt.

„Hey, ich hätte jetzt darauf gewettet, dass du viel mit Musik zu tun hast. Du hörst zumindest welche, oder?“ Was für eine bescheuerte Frage. Jeder hörte Musik!

Ich nickte mit gerunzelter Stirn und Martin lachte. Machte er sich etwa über mich lustig? Ich hätte draußen warten sollen. Jetzt saßen wir nämlich hier im Warmen auf einer leeren Bühne und die Mitarbeiter schauten uns schon komisch an. Voll der Mist. Ich hatte die letzten Tage einfach zu viel geforeren, da wurde ich mit Wärme bestechlich.

„Ich hol mir n Bier, bis die anderen kommen. Willst du auch eines?“ Hm, der versuchte sich doch einzuschleimen. Aber ich fand Alkohol jetzt eine gute Idee und wenn ich auch noch eingeladen wurde. Ich lächelte kurz.

„Spezielle Wünsche?“

Ich schüttelte den Kopf. Bier war Bier, da machte es wirklich keinen Unterschied, welche Sorte man nahm. Während Martin mich von seiner Anwesenheit erlöste, schaute ich mich im ´blueIN´ um, viel hatte es sich in den zwei Jahren nicht verändert. Es war immer noch groß, dunkel und gepflegt abgefuckt. Das letzte Mal war ich mit Simone hier gewesen, ein paar Tage bevor ich stumm geworden war. Irgendwie wurde mir mulmig bei dem Gedanken. Vielleicht hätte ich nicht herkommen sollen. Allerdings hatte ich Angst mit mir alleine zu sein. Alleine sein bedeutete nämlich gleichzeitig zum Denken zu kommen.

Martin reichte mir ein Becks und wir stießen miteinander an. Dann saßen wir schweigend auf der Bühne und beobachteten die wenigen Gäste, die mittlerweile gekommen waren. Eine Uhr über der Theke sagten mir, dass wir schon eine halbe Stunde hier saßen. Jetzt konnte doch endlich mal jemand kommen, den ich kannte, oder? Tatsächlich betrat wenig später Jonas und Doro den Club und kamen zielstrebig auf uns zu. Anscheinend gab es Bandequipment auszuladen, aber nach meiner Hilfe fragte zum Glück niemand. Ich setzte mich an den Rand der Bühne und schaute dabei zu, wie Jonas, Doro und Martin wie verrückt rumwuselten und Instrumente aufstellten, Kabel an irgendwelche Boxen anschlossen und keine Ahnung, was sie da sonst noch so taten. Es kamen dann auch noch zwei andere Typen dazu, die wohl zur Band gehörten und Freunde von Jonas. Ein paar grüßten mich, aber ich nahm an, das lag nur daran, weil ich auf der Bühne saß oder sie mich von der Party wieder erkannten. Keine Ahnung.

„Ah, Donnie. Ich soll dir von Passi sagen, dass er etwas später kommt. Hab ich total verschwitzt.“, wurde mir von Jonas zu gerufen. Toll, erst kam Lisa nicht zum verabredeten Zeitpunkt, jetzt verspätete sich auch noch Pascal. Ich fühlte mich etwas hängen gelassen.

Blauverschiebung

„Oh, du bist schon hier?“ Lisa umarmte mich kurz und ich schaute zur Uhr. Sie war eine dreiviertel Stunde zu spät und tat jetzt so, als wäre es eine Überraschung, dass ich schon hier war. Also um genau zu sein, war Lisa schon seit einer Viertelstunde hier. Aber sie hatte wohl besseres zu tun, als zu mir zu kommen. Sie hatte lauter Leute begrüßt, sich mit ihnen unterhalten und ich schien völlig unwichtig zu sein. Was war heute los? Wollte mich heute einfach jeder nerven?

Wenn es hier keinen Alkohol geben würde, wäre ich spätestens jetzt gegangen. Aber irgendwie hatte ich das Bedürfnis mich einfach so richtig zu besaufen. Nachvollziehbar, oder? Außerdem hatte es auf der Party von Jonas offensichtlich auch funktioniert, sich das Leben schön trinken.

„Hey, Donnie, Miriam wartet auf mich, würdest du mich entschuldigen?“ Und weg war Lisa wieder und ich war irritiert. Es wirkte so, als würde Lisa einfach jeden hier kennen. Als würde jeder jeden kennen, nur ich war die Ausnahme. Ich konnte ihr nur noch fassungslos nachgucken. Alkohol.

Ich ging zur Theke, kramte nach meinem Geldbeutel und checkte den Inhalt. Ich hatte genug Kohle dabei, um mich bis kurz vor die Besinnungslosigkeit zu saufen. Jeah. Musste nur noch meine Bestellung an den Barkeeper bringen. Ich zückte meinen Stift, zog einen Bierdeckel, der auf dem Tresen lag zu mir her und notierte meine Bestellung darauf. Ich schob das einfach dem Barkeeper zu, der zwar etwas irritiert schaute, aber mir dann mein Bier reichte. Bier war wenigstens billig. Ich lächelte noch kurz, gab ihm sein Geld und wandte mich wieder der Bühne zu. Mittlerweile sah alles recht fertig aus, der Ton wurde noch mal gecheckt, die Stimmen mit Bier und Zigaretten geölt. Pascal sollte doch auch mal kommen, oder?

Wenn nicht bis in einer halben Stunde sich irgend jemand für mich interessierte, würde ich einfach gehen. Ich hatte sicher besseres zu tun, als in einem Club rumzuhängen, in dem niemand mit mir reden wollte. Okay, genau genommen, hatte ich nichts besseres zu tun, außer mich in Mitleid zu ersäufen, aber langsam wurde das wirklich zu einer sympathischen Alternative.

Ich setzte mich auf einen Barhocker und behielt weiter die Bühne im Auge. Es stand schon wartendes Publikum davor. Anscheinend hatte Jonas Band sogar eine Art Fangemeinde, aber das war auch nicht anders zu erwarten, oder? Ich sah Lisa, wie sie sich mit einem Kerl unterhielt, der offensichtlich mit ihr flirtete. Irgendwie hätte ich nicht erwartet, dass es Typen gab, die auf so spleenige Leute wie Lisa stehen würden. Anderseits hatte sie sich heute richtig raus geputzt und sogar sowas wie eine Frisur. Es fiel eigentlich kaum auf, dass sie sonst wie ein Nerd wirkte. Vielleicht sprach sie deswegen nicht mit mir, weil sie jemand besseres gefunden hatte.

Ich trank mein Bier in wenigen Schlücken leer und bestellte mir ein WodkaBull. Das zog wenigstens mehr rein, kostete aber mehr.

„Test, Test! Könnt ihr uns hören?“ Das letzte wurde von einem langen Quietschen überlagert und Jonas sprang wieder von der Bühne, um mit irgendeinem Kerl, der wohl den Ton regelte, zu reden.

Ich schaute kurz zur Uhr, war auch schon Acht. Eine Stunde hier schon völlig verplempert. Ich bestellte mir noch mal WodkaBull und endlich schien der Alkohol etwas zu bewirken. Ich fühlte mich dusseliger und etwas leichter. Darauf hatte ich gewartet. Ich lächelte leicht und schaut wieder Richtung Bühne. Hm, Sicht schon leicht verschwommen. Vielleicht hatte ich es doch ein bisschen übertrieben, gerade schien der Alkohol richtig in mein Blut zu drücken und langsam Macht über meinen Geist zu erlangen. Fand ich super, das war cool. Ich grinste noch breiter.

„Hey, Donnie! Komm, du musst vor zur Bühne!“ Und schon wurde ich von Lisa, die sich heimtückisch von der Seite angeschlichen hatte, zur einer Menschenansammlung vor der Bühne geschleift. Yeah! Alle schauten gespannt auf die Bühne und ich spürte die aufgeregte Stimmung die eine Menge immer kurz vor einem Konzert erfasste. Das Gefühl, dass einen leben ließ. Vielleicht war es das, was ich all die Jahre vermisst hatte.

Jonas Band betrat die Bühne, begeistertes Jubeln aus der immer größer werdenden Menge. Ich hätte nicht erwartet, dass N13 so beliebt war.

„So... wir fangen auch mal an.“ Martin lächelte sympathisch und stellte das Mikro noch auf seine Höhe ein. Ich hörte Mädchen neben mir kreischen. Was musste es bloß für ein Gefühl sein, auf der Bühne zu stehen?

Und dann fing das Konzert wirklich an und ich erinnerte mich. Es war unglaublich. Der Bass vibrierte durch meinen Körper, die Musik füllte einfach alles in mir aus. Die Leuten, um mich herum schien es nicht anders zu gehen. Wir wurden zu einer Masse, die einfach nur für diesen Augenblick, für die Musik lebte. So gut hatte ich mich wirklich ewig nicht mehr gefühlt. Ich ließ mich in der Musik fallen und genoß einfach da zu sein.

„Super Musik, oder?“, brüllte mir Lisa ins Ohr. Ich schaute in ihre Richtung und grinste breit zur Bestätigung. Sie lächelte zurück. Es war offensichtlich, sie stand auf mich. Heute war wirklich ein wundervoller Abend. Wie konnte ich eigentlich jemals was Scheiße finden? Leicht klopfte etwas in meinem Hinterkopf, dass mir sagte, dass es durchaus Grund gab, aber die wieder einsetzende, laute Musik verhinderte jeden weiteren, nutzlosen Gedanken.

Ich stand ausgepowert am Tresen, als mich jemand antippte. Die Band machte gerade eine Pause, sie würde immerhin den ganzen Abend spielen, da konnte man nicht erwarten, dass sie die ganze Zeit durchspielten. Ich fühlte mich leicht durchgeschwitzt, durstig und furchtbar lebendig. Als ich mich umdrehte, lächelte mich Pascal vorsichtig an.

„Hi! Tut mir leid, dass ich zu spät bin, musste noch was erledigen.“ Er wirkte unruhig bei der Erklärung. Seit er sich vor mir geoutet hatte, wirkte er in meiner Anwesenheit immer leicht angespannt. Aber im Moment war es mir egal. Ich grinste breit.

„Du bist total besoffen, hm?“

Ich nickte debil. Jub, hatte er super erkannt. Er schüttelte leicht lächend den Kopf. Lisa klopfte ihm auf die Schulter und sie umarmten sich zur Begrüßung. Anscheinend war er wirklich erst zu mir gekommen. Nett von ihm, dass er mich gleich zu erst begrüßt hat. Anders als andere Personen hier. Ich schaute kurz zu Lisa, legte den Kopf schief. Dafür sah sie heute toll aus.

„Donnie, es ist ein Freund da, den ich schon lange nicht mehr gesehen hab. Kann ich dich hier mit Lisa alleine lassen?“ Klar, ich mit Lisa allein. Klang super. Ich nickte wieder nur. Er winkte noch kurz und verschwand dann in Richtung Bühne.

Lisa und ich standen schweigend am Tresen, ich nippte an meinem nächsten WodkaBull, auf das mich Lisa eingeladen hatte.

„Hey, Lizzie! Wusste gar nicht, dass du heute auch da bist?“ Und schon wieder wurde mein Mädchen von einem Kerl angegraben, der auch noch von ihr überschwänglich umarmt wurde. Hm... egal.

„Jörg! Lange nicht mehr gesehen! Wie gehts?“ Blablabla. Nerviger Smalltalk. Ich wandte mich mehr der Bühne zu und merkte dabei nur aus dem Augenwinkel noch, wie Lisa einfach mit dem Typ verschwand. War ja klar. Ich nahm wieder einen Schluck aus meinem Getränk und entdeckte Pascal an der Bühne. Er unterhielt sich mit dem zweiten Gitarrist von N13. Ein Typ, der, soweit ich das beurteilen konnte, wahnsinnig talentiert war und laut Martin nicht regulär in der Band spielte, sondern nur wenn er mal da war. Pascal schien sich gut mit ihm zu verstehen. Der Typ wuschelte ihm gerade durch die Haare und handelte sich einen Knuff von Pascal ein.

„Hey, Donnie!“ Ich verdrehte die Augen. Martin. Den hatte ich mir immer noch nicht sympathisch getrunken.

„Wen beobachtest du denn?“ Der war aber auch neugierig. Er schaute angestrengt in die Richtung, in die ich sah. „Ah, Pascal hat den Lars gefunden. Die beiden waren ja mal zusammen. Find ich cool, dass die sich immer noch so gut verstehen.“

Zusammen? Mit dem? Ich schaute Lars genauer an. Er war allerdings leicht verschwommen, was entweder an ihm lag oder dem Alkohol in meinem Blut. Mist. Er sah aber anders aus, als ich. Total anders als ich. Seine Haare waren bunter, glaub ich und er war größer und sowieso ganz anders. Beruhigend, eventuell. Warum verstanden die sich so gut? Vielleicht hatten die ja doch noch was miteinander.

„Wie fandest du uns?“ Ich schaute zu Martin. Sollte ich lügen, nur um ihn ein bisschen zu ärgern. Würde das den überhaupt ärgern? Ich grinste und hob den Daumen. Viel zu betrunken, um mich mit diesem Thema eingehend zu beschäftigen.

„Hey, freut mich. Man sieht ja auf der Bühne immer gar nicht, wer da unten steht, wegen dem dummen Licht. Da ist immer nur so dunkle Menge vor einem.“

Ich nickte, hörte aber kaum noch zu. Ich war schon ein schlechter Zuhörer, wenn ich nicht betrunken war und gerade reichte meine Konzentrationsspanne nicht länger als ein paar Sekunden. Ich schaute wieder zu Pascal und Lars. Was fand er an dem Lars eigentlich? War doch nur so ein langer Lulatsch, der toll Gitarre spielen konnte. Der konnte bestimmt gar nicht schreiben und erzählte sicher auch nur langweilige Dinge. Auch wenn Pascal lachte und sich in seiner Gegenwart sehr wohl zu fühlen schien. Er ging mit ihm auf jeden Fall ungezwunger um, als mit mir. Ach Mist.

„Du, ich muss wieder Backstage. Willst du mit?“ War Martin heute mein persönlicher Aufpasser, oder was? Ich schüttelte den Kopf und wandte mich wieder dem Tresen zu. Irgendwie fühlte ich mich benommen und wieder etwas down. Vermutlich würde das weggehen, wenn ich noch einmal ein Bier trank. Ich nickte mir selbst zu und hatte das Gefühl, als würde ich ein Selbstgespräch mit mir selbst führen. Wenigstens konnte es keiner hören. Kurz linste ich über meine Schulter nochmal zu Pascal und Lars und fing einen kurzen Blick von Pascal auf. Ah, er erinnerte sich wenigstens noch daran, dass ich existierte. Ich fühlte mich geehrt und starrte wieder in meine Bierflasche, die mir gerade hingestellt worden war. Frust in Alkohol ersäufen war eigentlich nichts für mich, aber wenigstens bekam heute niemand was davon mit. Ich wurde von hinten umarmt und zuckte erschrocken zusammen.

„Hey, ich bin´s nur.“, Lisa lachte mich an und ließ mich wieder los, stand aber noch dicht bei mir. Ich roch ihr fruchtiges Parfum und bemerkte ihre Hand auf meinem Arm. Ich könnte euch nicht sagen, wie ich reagiert hätte, wenn ich heute nicht so neben der Spur gewesen wäre, aber in diesem Moment hielt ich es für eine prickelnd gute Idee. Ich beugte mich zu ihr vor, legte meine Hand in ihren Nacken, zog sie näher zu mich und gab ihr einen Kuss. Keiner dieser schüchternen Anfängerküsse, sondern einen richtigen. Immerhin stand Lisa doch auf mich, die sollte sich darüber freuen. Stattdessen schob sie mich weg und grinste verunglückt.

„Du, Donnie, dass muss nich sein, okay?“ Sie ging noch etwas auf Abstand. Fuck.

Ich drehte mich wieder zum Tresen und nahm einen großen Schluck von meinem Bier. Fuck. Konnte mich jemand an Ort und Stelle erschießen? Aber bitte, sofort! Fuck. Lisa klopfte mir noch auf die Schulter und verabschiedete sich. Argh. Ich war mir doch so sicher gewesen. Ich trank mein Bier in schnellen Zügen leer und hob schon meinen Bestellbierdeckel für das nächste. Aber plötzlich merkte ich heftige Proteste seitens meines Körpers. Ich drückte mich durch die Menge Richtung Toiletten und war echt froh, dass ich noch einer dieser widerlichen Kloschüsseln erreichte, um zu kotzen. Ich hörte irgendwelche Typen hinter mir reden, aber was sie sagten, keine Ahnung. Mir war schwindelig, immer noch schlecht und ich wünschte mir nur noch zu sterben.

„Hey, komm, ich bring dich heim.“

Ich schaute von der Kloschüssel auf und vor mir stand Pascal, der mich ernst anschaute. Ich musste echt beschissen beieinander sein, wenn selbst Pascal mal ernst war. Ich fühlte mich nicht mal in der Lage aufzustehen. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich meine ganze Kraft ausgekotzt.

„Ich helf dir hoch.“, er griff mir unter die Arme und ich fühlte mich noch erbärmlicher. Aber an ihm geklammert, kam ich sogar wieder auf die Beine. Er manövrierte mich nach draußen und ich nahm mitleidige Gesichter war, die uns folgten. Draußen übergab ich mich noch in die Büsche, die beim Parkplatz wuchsen und hätte mich am liebsten einfach daneben gesetzt. Ich wollte keinen Schritt mehr gehen, sondern nur noch schlafen. Aber Pascal zog mich einfach weiter und verfrachtete mich dann auf die Rücksitz seines Autos.

„Soll ich dich heimbringen oder willst du lieber zu mir?“ Ich zeigte auf ihn. Nach hause wollte ich definitiv nicht. Da war nur wieder meine Mutter, die ständig besorgt guckte und meine nervige Schwester. Ich schloss die Augen und legte mich auf die Rückbank. Ich war so fertig.

Ich hatte auch keine Ahnung mehr, wie wir zu Pascal gekommen waren und hoch in sein Zimmer. Ich wusste nur, dass wir da jetzt standen und ich völlig unfähig war, überhaupt noch was zu tun.

„Du willst doch nicht in den vollgekotzen Klamotten schlafen!“, nörgelte Pascal, während er versucht, mir das T-Shirt übers Gesicht zu ziehen. Was er sogar irgendwie schaffte. Ich ließ mich gegen ihn fallen. Ich war viel zu müde zum Stehen.

„Donnie, mach es mir doch nicht so schwer.“ Ich merkte, wie Pascal seufzte und mich wieder von sich schob. Er drückte mich aufs Bett und zog mir die Schuhe und Socken aus. Ich fühlte mich ein bisschen wie ein kleines Kind, war aber viel zu dicht, um das selbst zu machen.

„Kannst du die Hose selbst ausziehen?“ Ich schaute benommen an mir runter und schüttelte den Kopf. Ich fühlte mich motorisch nicht in der Lage, so etwas kompliziertes wie einen Knopf zu öffnen. Auch wenn es komisch war, als Pascal an meiner Hose rumnestelte. Er schaute dabei allerdings so konzentriert, dass ich nicht das Gefühl hatte, dass er irgendwelche Hintergedanken dabei hatte. Er zog mir die Hose von den Beinen und brachte meine Klamotten ins Bad. Ich kroch währenddessen unter die Decke. Sein Bett war irgendwie weicher, als meines, gemütlicher. Auf jeden Fall fühlte ich mich wohler darin.

„Du, ich werd auf dem Sofa unten pennen, ist das okay?“ Pascal stand im Türrahmen und ich wünschte, er hätte bei dem Satz gelächelt. Aber er sah nur müde und erschöpft aus. Ob es wohl an mir lag? Und alles kam wieder, der komplette Frust und Ärger der letzten Wochen, das Gespräch mit meiner Psychologin heute, Lisas Reaktion auf meinen Kuss. Es überschwemmte mich förmlich und ich konnte nur immer wieder meinen Kopf schütteln. Ich wollte das alles wieder los werden und ich wollte nicht alleine in einem dunklen, fremden Raum sitzen mit diesem Gefühl, das nur auf etwas schlimmes lauerte. So ein Mist. Ich wusste nicht was ich tun sollte, wie ich überhaupt mit diesem unbändig verzweifelten Gefühl umgehen sollte.

Pascal setzte sich neben mich auf das Bett, legte seinen Arm um mich und zog mich näher an sich. Ich wusste nicht warum, aber diese Umarmung sorgte dafür, dass ich endgültig ausklinkte und einfach los heulte. Ich heulte normalerweise nicht vor Anderen, aber heute war einfach alles anders. Und Pascal schien mir auch im Moment der einzige Mensch, bei dem ich es überhaupt ertragen könnte, zu weinen. Er strich mit seiner Hand über meinen Rücken und hatte seinen Kopf gegen meinen gelehnt. Es war, als würde er sagen, es sei okay. Das einzig gute Gefühl im Moment. Ich war wirklich froh, dass ich ihn hatte.

Spin-Statistik-Theorem

Am nächsten Tag wachte ich von dem Piepsen eines Computers auf. Pascal hatte seinen PC angeschaltet und saß nun davor. Ein Blick auf den Wecker sagte mir, dass es Nachmittag war. Ich hatte leichte Kopfschmerzen und Durst, aber sonst ging es mir körperlich überraschend gut.

Ich setzte mich auf, woraufhin sich Pascal zu mir drehte, er lächelte.

„Na, endlich wach?“ Das Lächeln wirkte ehrlich und ich erinnerte mich an gestern Abend. Ich wollte mich entschuldigen, einfach für alles. Ich schaute ihn an, ihn und sein Lächeln. Ich wollte Entschuldigung sagen. Es aussprechen, um klar zu machen, wie wichtig es mir war. Ich stand auf, stellte mich vor ihn. Sag es. Sprich es aus. Ich öffnete den Mund, es müsste doch möglich sein. Ich versuchte dieses eine Wort hochzuwürgen. Es kratzte im Hals und das einzige was dabei rauskam, war ein komischer, erwürgter Laut. Das konnte es doch nicht sein. Ich versuchte es nochmal, aber nichts als dieser komischer Ton. Ich wollte es doch wirklich, ich wollte sagen, dass es mir Leid tat. Das es mir Leid tat, wie unfair ich ihm gegenüber war und wie froh ich war, dass er trotzdem für mich da war. Und es wollte einfach nicht funktionieren. Nichts, als dieser tote Laut wollte aus meiner Kehle.

Pascal umarmte mich nur als Reaktion, er drückte mich ganz fest und ich fühlte mich irgendwie geborgen und wohl. Auch wenn es sich eigenartig einfühlte, wenn ich daran dachte, dass er schwul war. Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder enttäuscht war, als er mich wieder losließ.

„Du hast geschlafen wie ein Murmeltier, da dacht ich mir, dass ich dich heute mal ausschlafen lasse.“, erklärte mir Pascal. Sozial von ihm, auch wenn ich mir überlegen musste, wie meine Mutter dafür eine Entschuldigung schrieb. Dafür fühlte ich mich so ausgeruht, wie lange nicht mehr.

„Übrigens, ich hatte da eine absolut geniale Idee!“ Er strahlte mich wach und begeistert an. Ich war neugierg, was Pascal unter genial verstand. Stolz zeigte er auf ein Notebook, das neben seinem PC stand. „Der gehört Jonas, aber der verwendet den nie. Also könnten wir damit schreiben! Über Internet und so.“ Die Idee war wirklich gut, deswegen nickte ich nur. „Ich wusste, du würdest das toll finden. Auf dem doofen Papier schreiben ist doch eh bloße Verschwendung.“

Wie recht er hatte, vor allem bei meiner Handschrift. Ich schaute dabei zu, wie Pascal den Laptop zu summenden Leben erweckte und das Gerät mit gerunzelter Stirn anschaute.

„Uhm... irgendwie...“ Er klickte ein bisschen rum. „Das Internet geht nicht, aber ich hab keinen Schimmer warum.“ Ich grinste leicht. Es war wirklich putzig zu beobachten, wie hilflos Pascal war, wenn er vor einem PC saß. Ich beugte mich über ihn und drückte einen kleinen Knopf neben dem Startknopf. Damit aktivierte man in der Regel das W-Lan.

„Oh, jetzt geht es.“, kam es peinlich berührt von Pascal, der etwas rot um die Nase war. Ich grinste ihn nur an und nahm kurz seinen irritierten Blick wahr. Er machte mir dann aber Platz, damit ich mich ins ICQ einloggen konnte. Irgendwie war ich nicht überrascht, dass auf dem Rechner kein Instant Messenger wie Trillian oder Miranda war. Ich hatte das Gefühl, dass keiner in dieser Familie irgendwie technisch versiert war. Meine Kontakte wurden geladen und ich klickte „Frank“ an.
 

[14:33] Donnie: so...

[14:33] Frank: war doch eine tolle Idee von mir, ne?

[14:33] Donnie: ja, total genial

[14:33] Donnie: gott, der abend gestern...
 

Ich wollte mit Pascal darüber reden, warum ich gestern Nacht so im Arsch war. Ich war echt froh, dass er auf die Idee mit dem Laptop gekommen ist.
 

[14:34] Donnie: das mit lisa war ja mal voll die bescheuerte idee gewesen...

[14:34] Frank: was meinst du?

[14:34] Donnie: hab doch versucht sie zu küssen
 

Das er das nicht mitbekommen hat? Ich hatte eigentlich gedacht, jeder hat das mitgekriegt, genau wie meine tolle Kotzaktion auf der Toilette. Ich schaute zu Pascal rüber, der gerade tippte.
 

[14:34] Frank: und was is passiert?

[14:35] Donnie: naja, bin abgeblitzt...

[14:35] Donnie: aber sie war je eh nicht so mein fall
 

Kaum hatte ich die Nachricht abgeschickt, wurde ich in die Seite geboxt. Pascal schaute mich empört belustigt an. „Lisa ist toll!“ Ich verdrehte die Augen und er lachte einfach nur. Vielleicht war ich ja nicht bei Lisa gelandet, aber zwischen mir und Pascal schien es wieder okay zu sein.
 

Ich trat noch meine Zigarette aus, bevor ich das Haus betrat. Kaum hatte ich die Türe hinter mir geschlossen, tauchte auch schon Jana im Gang auf.

„Papa will mit dir reden.“, meinte sie knapp und ging die Treppen hoch. Ich runzelte irritiert die Stirn, mein Vater wollte selten irgendwas mit mir besprechen. Ich zog langsam meine Schuhe aus, ich hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache und versuchte das Gespräch herauszuzögern. Aber ich hatte noch nicht mal meinen Parka ausgezogen, als mein Vater schon im Türrahmen stand.

„Was sind das denn für Klamotten?“, er klang verärgert und gestresst. Anscheinend hatte er nicht so einen tollen Tag.

´Von Pascal´, kritzelte ich ihm auf den Block. Meine waren ja schließlich voll gekotzt, damit wollte man nicht unter Leute.

„Aha.“ Die Antwort schien meinem Vater nicht so zu gefallen. Er nickte aber in die Richtung des Wohnzimmers, wo ich schon meine Mutter auf der Couch sitzen sehen konnte. Was wollten die machen, Familiengespräch oder so einen Scheiß?

Ich setzte mich auf das gegenüberliegende Sofa und schaute zwischen meiner Mutter und meinen Vater her, die wohl sowas wie ein stummes Zwiegespräch führten. Schließlich schaute meine Mutter mich direkt an.

„Die Schule hat angerufen.“

Aha. Spannend. Ich fragte mich warum. Wegen heute konnte es ja nicht sein, immerhin hatte ich ja noch genug Zeit mich zu entschuldigen.

„Wegen ungebührlichen Verhalten im Unterricht.“, klärte mich mein Vater auf. Ungebührliches Verhalten? Ich schaute irritiert. Die meinten aber nicht das Rauchen, oder? Deswegen hatte die Schule noch nie Terz gemacht.

„Du sollst geschlafen haben.“ Und es klang, als hätte ich das größte Verbrechen der Menschheit begangen. Ich war kurz, wirklich nur kurz, im Unterricht eingenickt und deshalb stressten sie mich so? Das war an dem Tag doch echt nachvollziehbar.

„Und heute warst du gar nicht in der Schule.“, fügte meine Mutter hinzu. Hm, wäre mir gar nicht aufgefallen. Meine Eltern wechselten einen bedeutungsschwangeren Blick miteinander. Ich hasste es, wenn sie sowas taten.

„Wir denken, dass du dich mit den falschen Leuten abgibst.“, kam es schließlich von meinem Vater und ich dachte mir nur: WTF?! Ich hätte ehrlich gesagt so ziemlich alles erwartet. Das sie sich Gedanken, um mögliche Depressionen machen, dass sie besorgt sind, dass ich zu wenig schlafe und immer noch nicht sprach. Das es auffällig war, dass man von meinen ehemaligen Freunden gar nichts mehr hörte oder sah. Immerhin war Victor bis vor kurzem fast noch jeden zweiten Tag hier gewesen. Das ich mich von der Familie immer mehr isolierte. Aber der Gedanke, dass ich mich mit den falschen Leuten abgeben würde, fand ich völlig absurd. Momentan gab ich mich sowieso nur mit Pascal ab und er war ja wohl in Ordnung, oder? Vielleicht meinten sie aber noch meine alten Freunde.

`Wen meint ihr?´ Ich reichte meinen Block zu meinen Eltern.

„Den Jungen, der letztens da war.“, antwortete meine Mutter prompt. Also meinten sie wirklich Pascal. Ich runzelte die Stirn. „Uns wurden.. komische Sachen über ihn erzählt.“ Komische Sachen? Meinten sie damit, dass Pascal schwul war?

„Er soll einen zweifelhaften Ruf auf der Schule genießen und mit Drogen zu tun haben.“, führte meine Mutter ihren vorigen Satz näher aus. Ich schüttelte nur total perplex den Kopf. Das klang, als wäre Pascal ein Schläger, der auf dem Schulhof Drogen an kleine Kinder verkaufte. Sie wussten anscheinend gar nicht, dass er schwul war. Noch ein Grund, warum ich ihr Verhalten nicht nachvollziehen konnte.

´Woher habt ihr diesen Unsinn?´, schrieb ich mit zittriger Hand auf den Block, der mir wieder zurück gereicht worden war.

„Das erzählt man sich wohl in der Schule.“, gab meine Mutter zu. Also nur komische Gerüchte und deswegen machten die so einen Aufstand? Ich zog meine Augenbrauen verärgert zusammen. Ich hätte nicht erwartet, dass meine Eltern soviel auf Geschwätz geben würden.

„Nimmst du Drogen?“, fragte mein Vater harsch und ich hatte wirklich Mühe, dem ganzen Gespräch einen Sinn abzugewinnen. Ich schüttelte nur den Kopf.

´Pascal hat nichts mit Drogen zu tun.´ Also nicht so weit ich wusste und wenn man mal von dem Hasch absah, aber das zählte nicht, fand ich. Es gab doch heutzutage kaum jemand, der nicht schon mal gekifft hatte.

Mein Vater runzelte nur die Stirn. Ich hatte das Gefühl, dass er mich nicht glaubte. Aber es wäre typisch meine Eltern, wenn sie für meine Probleme irgendwelche absurden Theorien hatte, Hauptsache niemand in meiner Familie hatte damit zu tun, einschließlich mir.

„Hast du heute die Schule geschwänzt, weil du gestern mit Pascal weg warst?“ Mein Vater klang sehr unversöhnlich und er schien sich ziemlich auf Pascal eingefahren zu haben. Ich schüttelte wieder meinen Kopf. Ich war heute nicht in der Schule, weil ich einfach kaputt war von dem ganzen Scheiß in den letzten Tagen und ich bei Pascal so gut geschlafen habe, wie lange nicht mehr.

„Red doch keinen Unsinn!“, er klang aufgebracht. Mein Vater war in der Regel ein ruhiger Mensch, aber bei viel Stress hatte er sein Temperament nicht immer im Griff. Da war ich wie er. Ich war genauso sauer. Ich wusste nicht, was meine Eltern für ein Problem hatten. Aber ich war mir sicher, dass Pascal nicht Schuld daran war. Ich stand abrupt auf und verließ einfach den Raum.

„Johannes!“, rief mir mein Vater streng nach. Als hätte er noch irgendwie Einfluss auf mich und meine Erziehung. Ich packte meinen Parka und verließ wieder das Haus.

Wenn ich mich in mein Zimmer verzogen hätte, hätten die mir wieder sich den Strom abgestellt. Ich ging zur Bushaltestelle, setze mich auf die Bank dort und rauchte eine. Ich musste runter kommen. Warum legten es meine Eltern darauf an, dass ich nicht mit ihnen auskam? Wie kamen die auf diesen bescheuerten Anschuldigungen? Früher waren sie nicht so. Da war irgendwie alles noch harmonischer. Ich seufzte.

Ich zündete mir noch eine Zigarette an und rieb mir dann die Hände. Wenn ich nicht ein bisschen aufpasste, würde ich mir wirklich eine derbe Erkältung zu ziehen. Vielleicht gab es ja ein Zusammenhang zwischen kaltem Wetter und beschissenen Ereignissen. Sollte man echt mal untersuchen. Aber ich fühlte mich etwas ruhiger, vermutlich hatte die Kälte mein Gemüt runtergekühlt. Ich ging wieder nach Hause. Wo hätte ich auch sonst hingehen sollen?

Niemand belästigte mich, als ich mich aus meiner Jacke schälte und nach oben ging. Anscheinend war das Thema vom Tisch. Zumindest für heute. Ich ging ins Bad, um zu duschen. Vielleicht fühlte ich mich ja dann besser oder wenigstens nicht mehr so tot.

Ich ließ mich in mein Bett fallen und starrte an die Decke. Der Geruch von frisch gewaschener Bettwäsche um gab mich. Wahrscheinlich hatte meine Mutter ein schlechtes Gewissen und wollte mir etwas gutes tun. Normalerweise musste ich mein Bett nämlich selbst beziehen. Sollte die Eigenständigkeit fördern, oder so. Aber ich hatte manchmal meine Zweifel, ob meine Eltern wirklich einen eigenständigen Sohn haben wollten. Immerhin schienen sie mir alles aus der Hand nehmen zu wollen, um es dann auf andere abzuwälzen. Selbst mit meinen Problemen machten sie das so. Vielleicht wollten sie auch nicht einsehen, dass sie einen komischen Sprössling hatten. Aber wer konnte es ihnen verdenken? Selbst ich wollte nicht einsehen, dass ich eventuell ein kleines bisschen seltsam war. Oder depressiv? Alles sträubte sich in mir bei dem Gedanken, dass ich zu einer dieser Loser gehören sollte, die mit Depressionen durchs Leben schlichen. Gut, ich hatte kaum noch Freunde und ich war in letzter Zeit nicht gut drauf, aber das war doch normal? Das würde sicher sofort wieder verschwinden, wenn ich wieder reden konnte.

Manchmal fragte ich mich, wie wohl meine Stimme klingen würde, wenn ich sie benutzen könnte. Ich konnte es mir überhaupt nicht vorstellen. Ich wusste nicht einmal mehr, wie sie geklungen hatte. Zu dem war ich mitten im Stimmbruch, als ich in unfreiwilliges Schweigen verfiel. Doktor Schwelstein hatte mir erklärt, dass sich meine Stimme vermutlich nie ganz von dem langen Schweigen erholen würde. Das ich mir da keine Illusionen machen sollte, ich würde wohl klingen wie ein halbtoter Rabe, der dazu noch sehr kurzatmig war. Aber das würde ich gerne in Kauf nehmen. Immerhin würde meine Stimme immer noch besser klingeln, als meine Handschrift aussah.

Mein Blick ging durchs Zimmer, kurz blieb er am PC hängen. Ich hätte on gehen können, aber ich hatte keine Lust auf irgendwelche Kontakte. Ich hatte heute genug mit Menschen zu tun gehabt.

Schließlich entschloss ich mich dazu zu schreiben. Schreiben war eine gute Sache, wenn man so schlecht schlief wie ich. Wenn es dunkel im Zimmer war und man nur die leisen, dumpfen Nachtgeräusche hörte, schienen einem die Wörter einfach nur so zu zufliegen. Man musste nur geschickt genug sein, sie einzufangen.

Ich hatte viele angefangene Geschichten, aber ich wollte etwas neues und kurzes. Etwas was vermutlich zu persönlich war, als das ich es jemals online stellen würde. Aber davon hatte ich viel. Ich hasste es, wenn in Geschichten zu viel von meiner Persönlichkeit zu tragen kam.

Die leisen Klack-Geräusche beim Schreiben waren fast so beruhigend, wie Nikotin. Klack. Klack. Klack. Ich blickte ab und an auf die Uhr. Weit nach Mitternacht und meine Gedanken schienen in die Geschichte gekotzt zu haben. Es war alles viel zu wirr und unstrukturiert, um wirklich etwas zu werden, was jemand lesen wollte. Möglicherweise wollten Leser auch gerade das, aber von mir würden sie es nicht bekommen. Ich löschte den Text, an dem ich nun drei Stunden gesessen hatte und ersetzte ihn mit einem kurzen Wort. Moppelkotze. Ich fühlte mich zufrieden, nicht glücklich, nicht ausgeglichen, aber zufrieden. Ich hatte viel zu lange nichts mehr geschrieben. Ich schloss das Dokument und verneinte, als ich danach gefragt wurde, ob ich die Datei speichern will.

Ich öffnete meinen Internetbrowser und suchte nach Ablenkung. Keiner meiner ´Freunde´ war noch online, zum Glück.

Irgendwie hatte ich Lust darauf, etwas zu lesen. Am besten furchtbar dilettantisch geschrieben mit flachen Inhalt. Etwas, dass man niemals in gedruckter Form erwerben könnte. Internetschund. Wenn man es las, hatte man immer das Verlangen es besser zu schreiben. Was meistens nicht allzu schwer war. Hier ein paar Klischees raus, da ein bisschen logische Handlung einfließen lassen und man hatte aus einer guten Idee eine gute Geschichte gemacht. Manchmal war ich überrascht, wie wenig Hobbyautoren das tatsächlich zustande brachten. Aber immerhin wollten sie kein Geld damit verdienen, also was es prinzipiell ziemlich egal, wie gut oder schlecht sie schrieben.

Und ich war froh über die Ablenkung.

Nach dem ich das fünfte Kapitel einer absoluten miesen Geschichte angefangen hatte und überrascht war, wie vorhersehbar eine Story sein konnte, entschloss ich mich dazu zu schlafen. Immerhin würde mein Wecker in knapp drei Stunden klingen, wenn er denn dazu kam.

Pentaquarks

Ich hatte einen Plan, zumindest irgendwie. Vielleicht sollte man es eher als Trotzverhalten bezeichnen, aber das klang zu sehr nach Kleinkind. Deswegen nannte ich es Plan. Der Plan hatte etwas mit Pascal und indirekt mit meinen Eltern zu tun.

„Du hast ja heute viel Gepäck dabei“, stellte Pascal lachend fest. Ich grinste ihn an, stellte meine Sporttasche vor ihm ab. Ich hatte ihn am Parkplatz der Schule abgefangen, Teil meines Plans. Ich kramte meinen Block raus.

`Ich bin das Wochenende über bei dir.´ Er wusste zwar noch nichts davon, aber deswegen hatte ich es ihm ja jetzt geschrieben.

„Bist du?“, fragte Pascal verwundert. Ich nickte und grinste ihn breit an. Als ich heute Morgen aufgestanden war, nach dem ich noch drei Stunden geschlafen hatte, hatte ich beschlossen, dass ich das Wochenende nicht daheim verbringen wollte. Pascal war vielleicht schwul, aber wenigstens nervte er mich nicht mit komischen Anschuldigungen oder irgendeinem anderen Schwachsinn.

„Aber ich mach ganz unspannende Dinge“, wurde ich aufgeklärt. Ich winkte mit der Hand ab. Es war mir egal, was Pascal machte, solange ich zu ihm kommen konnte. Ich war mir mittlerweile ziemlich sicher, dass er sich nicht an mir vergreifen wollte. Immerhin hatte er ja genug Gelegenheiten dazu gehabt und verstreichen lassen.

„Bist du sicher? Ich werde an meinem Referat arbeiten“, stellte Pascal klar. Ich nickte nochmals. Ich hatte nicht vor, ihn von der Arbeit abzuhalten. Immerhin musste ich selbst ein bisschen was für die Schule machen. Gerade weil ich nicht sprechen konnte, sollte ich zumindest in den Klassenarbeiten einigermaßen gut abschneiden. Und da sich Schulstoff nicht alleine lernte, wollte ich dieses Wochenende damit verbringen, mich zumindest etwas mit dem Stoff der nächsten Chemie-Klausur zu beschäftigen. Ich hoffte nur, ich konnte mich irgendwie auf sowas langweiliges konzentrieren. Derzeit fiel es mir ziemlich schwer, mich mit etwas anderem zu befassen, als mit meinem total bekloppten Leben.

„Na dann, bist du herzlich willkommen, denk ich.“ Pascal hatte die Stirn gerunzelt und wirkte einfach immer noch etwas überrumpelt. Er hatte nicht Nein gesagt, aber manchmal war ich mir nicht mal sicher, ob Pascal überhaupt wusste, wie man Nein sagte.

Ich lächelte ihn an und wuschelte ihm aus einem Impuls heraus durch seine Haare. Ich wusste, dass es an mir war, auf Pascal zuzugehen, wenn ich wirklich wollte, dass unsere Freundschaft wieder normal wurde.

Er boxte mir gegen meinen Oberarm. Ich rieb mir den Arm und war zufrieden. Im Moment schienen alle Probleme so weit weg. Möglicherweise hatte meine Psyche auch auf den Verdrängungsmodus umgeschaltet. Egal was es war, ich war froh darüber.

Der Schulgong störte mich im Moment, aber man konnte nicht alles haben.

„Ich würde sagen, dann packen wir dein Zeug mal in mein Auto und wir treffen uns nach der Sechsten hier.“

Ich nickte, zufrieden darüber, dass mein Plan funktioniert hatte. Auf Pascal war eben Verlass.
 

„Hi, Donnie!“ Doro winkte mir zu und kam näher. Ich lächelte nur kurz zur Begrüßung.

„Passi is noch nicht da?“, fragte sie und ich schüttelte den Kopf. Wenn Pascal hier gewesen wäre, würde ich sicher nicht in der Kälte stehen, sondern in seinem Auto sitzen. Doro schaute sich suchend um, als erwarte sie, dass Pascal plötzlich hinter einem Busch hervorgesprungen kam.

„Mah, wetten der baggert gerade noch den Typ aus seinem Bio-LK an und lässt uns deswegen in der Kälte warten.“ Sie mummelte sich mehr in ihre Jacke ein und starrte missmutig Richtung Schuleingang. Irgendwie löste der Satz ein unangenehmes Gefühl in meinem Magen aus. Vielleicht kam ich doch noch nicht so gut damit zurecht, dass Pascal schwul war und... Typen anbaggerte. Es klang so absurd. Aber anbaggern gehörte wohl dazu, oder?

Doro und ich froren noch etwas im Schweigen, bis Pascal dann tatsächlich mal auftauchte, mit Martin im Schlepptau. Martin hatte aber nicht Bio-LK, oder? Ich runzelte die Stirn.

„Ey, Passi, weißt du, wie kalt es hier draußen ist?“, rief Doro ihnen entgegen.

Wir bekamen irgendeine lauwarme Erklärung für deren Verspätung und quetschen uns währenddessen in den Dreitürer. Ich hatte sogar die große Ehre vorne sitzen zu dürfen. Auf der Rückbank unterhielten sich Doro und Martin über irgendwas Belangloses. Ich schielte skeptisch nach hinten zu Martin. Ich fragte mich, warum er mitfuhr.

„Wir holen unterwegs noch die Babsi ab, für die Bandprobe“, erklärte mir Pascal, der gerade irgendwo durch die Stadt fuhr. Ich schüttelte irritiert den Kopf. Ich fühlte mich etwas überfordert mit den ganzen Namen und ich war überrascht, dass das Auto so voll gepackt werden sollte.

„Die haben am Freitag bei uns immer Bandprobe. Wenn du willst, kannst du zu gucken. Aber wenn ich das richtig verstanden hab, bestehen die Proben daraus viel Bier zu trinken und sich zu sagen, wie toll sie sind.“

„Hey, wir sind toll!“, kam es von der Rückbank.

„Ruhe auf den billigen Plätzen.“ Pascal lachte und Martin bewarf ihn von hinten mit einem kleinen Papierkügelchen. Kaum zu glauben, dass die beiden laut Gesetz schon erwachsen waren. Ich beobachtete sie skeptisch.

„Lass das, ich muss mich auf die Straße konzentrieren.“ Pascal bog in eine kleine Seitengasse ein und hielt an.

Als sich Babsi zu uns ins Auto quetschte, erinnerte ich mich auch wieder grob an sie. Sie war die Drummerin. Kein Wunder, dass ich erst nicht wusste, wer sie war, Drummer waren immer so im Hintergrund.

„´N Neuer?“, fragte Babsi mit einem Kopfnicken zu mir vor. Wenigstens beruhte das Nicht-erinnern auf Gegenseitigkeit.

„Das is Donnie“, kam es knapp von Doro, als wäre damit alles gesagt.

„Ach der.“ Babsi schien mich also doch zu kennen. Aber wenigstens war ich somit als Gesprächsthema erledigt. Bloß weil ich nicht sprechen konnte, hieß das nicht, dass ich es mochte, wenn man von mir in der dritten Person sprach, während ich anwesend war. Auf der Rückbank lachten sie, knufften sich und schienen sich einfach zu verstehen. Ich fühlte mich ein bisschen neidisch. Die Drei hatten irgendwie alles, was ich in letzter Zeit verloren hatte. Ich fühlte mich fremd und mir wäre es lieber gewesen, wenn nur ich mit Pascal im Auto gewesen wäre.

Ich war recht erleichtert, als wir endlich bei Pascal angekommen waren. Ich kletterte aus dem kleinen Auto und klappte für die anderen meinen Sitz vor. Doro lächelte mich dankend an.

Pascal hatte währenddessen meine Tasche, in dem auch seine Klamotten von gestern drin waren, aus dem Kofferraum geholt.

„Kommt Lars heute eigentlich?“, fragte Pascal ganz nebenbei Martin, der den Kopf schüttelte und was davon meinte, dass Lars schon wieder unterwegs war. Ich war erleichtert, wenn dieser Lars nämlich hier gewesen wäre, hätte Pascal sicher nur Augen für ihn gehabt. Bestimmt.

Jonas begrüßte seine Band und sie verschwanden irgendwo in den Keller. Ich hatte ja eigentlich erwartet, dass wir ihnen Gesellschaft leisten würden, aber stattdessen gingen wir in die Küche.

„Meine Mutter hat gerade noch ihren Töpferkurs, aber sie hat bestimmt schon was zu essen gemacht.“ Pascal hob einen Deckel von einem der Töpfe auf dem Herd hoch und es dampfte heraus. „Magst du Reis?“, wurde ich gefragt. Ich nickte nur. Reis war okay. „Ah, es gibt Geschnetzeltes dazu. Ein echter Mann braucht Fleisch, findest du nicht auch?“ Die Frage schien eher rhetorisch. Er war schon dabei, Teller aus einem der Küchenschränke zu holen und uns aufzuschöpfen. Das Essen war zu meiner Freude auch noch warm. Wir setzten uns damit ins Wohnzimmer auf die Couch und aßen es, während der Fernseher lief. Meine Mutter hätte mich dafür getötet, aber sowas von. Da schmeckte das Essen gleich nochmal ein bisschen besser.

Der Tag hatte echt totales Potential zum besten Tag dieser Woche zu werden, wobei man ja sagen musste, dass die Konkurrenz nicht allzu stark war.

Von unten hörte man dumpf das Schlagzeug, was aber eher nach wenig Motivation klang.

„Die feiern heute nochmal ihren tollen Auftritt, normal proben die etwas intensiver.“ Anscheinend war es Pascal aufgefallen, dass ich versucht hatte, dem Schlagzeug zu lauschen. Was voraussetzen würde, dass er mich ständig beobachtete. Irgendwie beunruhigend, dieses vermehrte Interesse an mir.

„So ...“ Pascal stellte seinen Teller auf den Couchtisch und streckte sich. „Ich weiß nicht, was du jetzt machen willst, aber ich muss mich an mein Referat setzen.“

Ich nickte. Schließlich hatte ich auch Zeug zu lernen, nicht mal wenig. Ich hatte in den letzten Wochen aus verständlichen Gründe, die Schule etwas schleifen lassen. Vielleicht waren meine Eltern deswegen auch angepisst. Normal war ich nämlich etwas besser, was schulische Leistungen anging.

Wir gingen nach oben in Pascals Zimmer. Auf dem Schreibtisch stand noch das Notebook von Jonas. Praktisch. Pascal saß schon vor seinem PC und wartete ungeduldig darauf, dass er sich hochfuhr. Das Teil brauchte auch wirklich lang. Ich grinste und tippte ihm auf die Schulter. Er drehte sich zu mir um und ich nickte Richtung Notebook.

„Ach so, klar, bedien dich.“ Pascal wirkte heute etwas zerstreut. Ich wusste nicht warum, er war lässig wie immer, aber gedanklich schien er nicht ganz da zu sein, zumindest nicht bei mir.

Ich nahm mir den Laptop und legte mich damit auf Pascals Bett. Und ich war mir mittlerweile sicher, dass Pascal die Finger von mir lassen würde. Ich war vermutlich nicht mal sein Typ.

Ich kramte aus meinem Rucksack mein Schulzeug raus, während das Notebook hochfuhr. Ich hatte nämlich wirklich vor zu lernen.

„Sollen wir schreiben?“, fragte Pascal, während sein Blick immer noch am Monitor klebte. Er war verzweifelt dabei, irgendwelche Programme zu schließen und andere zu öffnen. Ich hätte jetzt nicken können, aber das hätte er nicht gesehen. Ich loggte mich stattdessen einfach ein.

´Frank´ war noch nicht online.

Ich zog meine Chemiemitschriften, die als lose Blätter in meinem Block rumflogen, zu mir. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es noch etwas dauern würde, bis Pascal es geschafft hatte, seinen PC dazu zu bewegen, irgendwas für ihn zu tun.
 

[14:47] Frank: willst du was über Mendelsohn wissen?

[14:47] Donnie: ich denke eher nicht...

[14:47] Frank: XD

[14:47] Frank: was machst du?

[14:47] Donnie: Chemie, schreib nächste woche ne arbeit

[14:48] Frank: du lernst?!

[14:48] Donnie: kommt manchmal vor
 

Der Nachmittag verging einfach mit belanglosem Reden und mehr oder minder fleißigem Lernen. Es war richtig angenehm. Ich konnte mich auf meinen Stoff konzentrieren und mich auch irgendwie mitteilen. Ich hatte fast das Gefühl, als könnte ich wieder sprechen. So entspannt hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Es war eine gute Idee gewesen, mich bei Pascal einzunisten und mal weg von meiner Familie zu kommen.

Pascals Familie war auch bedeutend angenehmer. Ich konnte nicht den Finger darauf legen, aber ich würde sagen, sie waren im Umgang einfach herzlicher. Und hier belästigte mich auch niemand mit besorgten Blicken, oder vorwurfsvollen..

„Johannes, ich wusste gar nicht, dass du heute auch da bist!“ Ich wurde von Pascals Mutter begeistert angestrahlt. Ich lächelte leicht irritiert. Ich war es nicht gewohnt, dass man sich so über meine Anwesenheit freute.

Wir waren zum Essen gerufen worden und hatten seit Stunden das erste Mal das Zimmer verlassen. Lernen konnte einnehmend sein.

„Warte, ich deck dir noch auf.“ Die Frau des Hauses verschwand in der Küche und holte Teller und Besteck für mich. Sehr zuvorkommend. Ich setzte mich neben Pascal an den Tisch, sein Vater nickte mir kurz zu, während er in einer Zeitschrift was las und Jonas saß noch nicht am Tisch. Sein Vater wirkte auch nicht allzu gesprächig, das machte ihn sympathisch.

„Ich hoffe, du magst chinesisch.“ Pascals Mutter stellte einen riesigen, schwarzen Wok auf den Tisch, aus dem es fleißig dampfte. Ich lugte hinein. Irgendwelche Nudeln mit irgendwelchem komischen Gemüse. Meine Mutter kochte eigentlich nie chinesisch, aber bis jetzt hatte mir hier noch alles geschmeckt, also wollte ich dem Essen mal eine Chance geben. Ich nickte kurz.

„Sehr schön.“ Sie lächelte mich an.

„Ich dachte, du wolltest Lasagne machen...“ Pascal sah weniger begeistert aus. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass er jemand war, der an seinem Essen nörgelte. Ich war leicht überrascht.

„Die hatten kein Hackfleisch mehr da“, wurde ihm erklärt und Essen verteilt.

„Hrm...“ Pascal schaute etwas unzufrieden auf sein Essen in der Schale und ich grinste. Wenn man Pascal mit seiner Familie erlebte, wirkte er gleich nochmal anders. Heute war ein guter Tag, wenn ich die vorigen völlig ignorierte. Was im Moment super lief.

Ich fühlte mich wohl hier, Pascal und seine Mutter bezogen mich sogar immer wieder in die Gespräche ein und ich kam mir mal nicht so unzulänglich vor, wie sonst. Ich brauchte nicht mal meinen Block. Schien eine besondere Gabe, dieser Familie zu sein. Aber wenn ich mir Pascals Vater anschaute, er hatte auch kaum mehr gesagt, als ich. Und das hieß ja wirklich mal was. Vielleicht wussten sie ja einfach mit schweigsamen Leuten um zu gehen.
 

„Mah, ich hab keinen Bock mehr auf Schulkram.“ Wir saßen wieder oben in Pascals Zimmer und er hatte gerade seinen PC ausgeschaltet. Ich hatte schon nach dem Essen beschlossen, heute nichts mehr für die Schule zu machen und Pascal hatte mir erlaubt, dass ich den Fernseher, der in seinem Zimmer stand, anzuschalten. Es lief zwar nichts Anspruchsvolles, aber das erwartete man ja auch nicht, wenn man das Teil anschaltete. Außerdem wollte ich mein Hirn etwas ausdampfen lassen von der ganzen Lernerei.

Pascal ließ sich neben mich auf das Bett fallen. Es war immer noch ein beruhigender Abstand zwischen uns, also war es okay, wenn wir auf dem gleichen Bett lagen. War ja nichts dabei, oder? Ich schaute kurz zu ihm rüber, er bemerkte wohl meinen Blick und grinste in meine Richtung. Fühlte sich kurz komisch an, aber das Gefühl verflüchtigte sich schnell wieder.

Wir konzentrierten uns beide auf irgendeinen Film, der lief und ich pennte einfach irgendwann weg. Ich bekam nicht einmal mehr das Ende des Films mit.

Am nächsten Morgen wurde ich von Pascal geweckt, der schon voll angezogen war und wohl gerade frisch geduscht hatte, da seine Haare nass waren. Ein Blick auf den Wecker sagte mir, dass es jetzt elf war. Solange hatte ich sicher seit Monaten nicht mehr geschlafen. Ich fühlte mich richtig ausgeruht. Ein seltenes Gefühl.

„Es gibt Frühstück“, erklärte mir Pascal. Deswegen hatte er mich wohl geweckt. Ich rappelte mich im Bett auf und stellte fest, dass ich in meinen Klamotten geschlafen hatte und das die jetzt ziemlich knittrig aussahen. Naja, damit konnte ich leben. Ich fragte mich, ob Pascal im selben Bett geschlafen hatte. Ich schaute auf die andere Seite des Bettes, zerwühlt sah es schon aus. Allerdings sah mein großes Bett daheim auch immer so aus, als würde nicht nur ich darin schlafen. Ich schlief nämlich sehr unruhig. Pascal stand schon in der Tür und wartete, dass ich ihm folgte.

Ich gab ihm Bescheid, dass ich noch ins Bad wollte und ich alleine runter finden würde. Der Blick in den Spiegel war mal nicht so niederschmetternd wie gewohnt. Ich hatte etwas mehr Farbe im Gesicht als sonst, zumindest kam es mir so vor. Ich grinste mein Spiegelbild an und es grinste zufrieden zurück.

Wir hingen den Samstag eigentlich nur rum. Ich hatte mich gegen Mittag mal dazu aufgerafft, noch mal den Stoff von gestern anzugucken und Pascal hatte mal probeweise was von seinem Referat vorgetragen. Klang alles noch etwas unausgereift, aber er hatte noch bis Montag Zeit. Naja, vielleicht sollte er sich etwas ranhalten.

Irgendwann saßen wir beide unten im Wohnzimmer auf dem Sofa, ich mit Zetteln auf meinem Schoß, die ich seit einer halben Stunde nicht mehr angerührt hatte und Pascal, der irgendwelche Sachen aus Büchern raus schrieb. Plötzlich hielt er inne und schaute mich an. Ich bemerkte seinen Blick erst nicht, da ich auf die Terrasse gestarrt hatte, auf der sich gerade eine Katze an einen Vogel ran schlich. Sowas war wie eine Tierdoku nur ohne diese Erklärbärstimme.

„Einen Cent für deine Gedanken.“ Pascal grinste bei dem Satz. Ich schaute ihn verwirrt an, er hatte mich gerade in dem Moment, als die Katze zum Sprung angesetzt hatte, aus meiner Beobachtung gerissen.

„Ist es nicht komisch, dass du nicht einfach sagen kannst, was du denkst?“ Er schaute mich so an, als würde er zum ersten Mal bemerken, dass ich ein Problem hatte. Ich runzelte missgelaunt meine Stirn. Es war verdammt scheiße, nicht sagen zu können, was man dachte. Es nicht direkt sagen zu können, allerhöchstens aufzuschreiben. Besonders beschissen war es, wenn man irgendwelchen Anschuldigungen ausgesetzt war und man sich gegen sie nicht wehren konnte. Gerade eben war es auch total bekloppt, dass ich das alles nicht zu ihm sagen konnte. Machte er den Scheiß mit Absicht?

„Ich mein, das ist hart, oder?“ Pascal hatte meinen Blick bemerkt und versuchte nun zu retten, was noch zu retten war. Aber bei dem Satz fühlte ich mich noch mieser. Ich nickte aber. Das traf es, es war hart, ungerecht, anstrengend und total zum Kotzen. Ich fühlte mich etwas deprimiert, aber anders als bei Doktor Schwelstein. Mir kam es so vor, als würde Pascal das eigentliche Problem viel deutlicher sehen, als es die Frau je getan hatte. Vielleicht war es für sie auch schwerer, weil sie mich isolierter von meiner Umwelt wahrnahm und ich irgendwie nie ganz freiwillig zu den Sitzungen gegangen war.

Pascal schwieg jetzt aber auch wieder und hing wohl etwas seinen Gedanken nach, ich war mir sicher, dass sie mich betrafen. Mich und mein Schweigen.

Dann lächelte er mich offen an. „Wenn alles schief läuft, zwing ich dich dazu, Zeichensprache zu lernen und dann reden wir so!“

Ich schlug ihm auf den Hinterkopf und wusste nicht, ob ich beleidigt, verärgert oder amüsiert sein sollte. Aber vielleicht war es ja wirklich so einfach...

Zeitparadoxa

„...“, schwieg ich in den Hörer einer Telefonzelle. Ich war gerade von Frau Doktor Schwelstein gekommen, die mich darüber aufgeklärt hat, dass es mir rein gar nichts bringt, nicht in die Therapie zu gehen, Probleme hatte ich trotzdem. Als wüsste ich das nicht selbst, aber ich hatte eben keine Lust, mir das jede Woche anzuhören. Sie konnte sowieso froh sein, dass ich mal wieder gekommen war.

„Donnie?“, fragte Pascal unsicher. Wer sonst? Mein Schweigen war doch unverkennbar.

„...“ Ich kam mir etwas doof vor, aber ich wollte wenigstens kurz Bescheid sagen, dass ich vor hatte doch noch bei ihm einzufallen. Ich wollte nämlich erst mal nicht nach Hause.

„Uhm... willst du kommen?“

Ich kratzet am Hörer was ein „Ja“ bedeutete. Ein bisschen musste man sich ja verständigen können am Telefon.

„Soll ich dich abholen?“

Zweimal Kratzen, also Nein.

„Oh, okay... ich bin jedenfalls daheim, komm einfach vorbei. Meine Mutter kocht auch sicher noch mal extra was für dich.“ Ich konnte Pascals Grinsen hören. Er fand es sehr lustig, dass seine Mutter so vernarrt in mich war. Aber was soll man sagen, sie war ja auch eine coole Mom.

Mittlerweile wusste ich sogar, wie ich mit dem Bus zu Pascal kam, aber er holte mich meistens trotzdem ab oder nahm mich gleich nach der Schule immer mit. War mit dem Auto auch nicht allzu weit, musste man zugeben. Aber von der Innenstadt aus war es leichter, einfach mit dem Bus zu fahren. Außerdem wollte niemand bei dem Wetter gerne Auto fahren. Es schneite, als würde ein Verrückter Schnee wie Puderzucker über die Stadt verteilen, kalten, nassen, ekligen Puderzucker.

Ich legte mir den Schal wieder enger um den Hals, zog die Mütze mehr in mein Gesicht und verließ dann die Telefonzelle. Sofort wurde ich von diesem dämlichen, weißen Zeug angeweht und ich merkte, wie meine Hose, die immer etwas am Boden schleifte, langsam aber sicher sich mit Feuchtigkeit vollsaugte.

Ich stapfte missmutig zum Busbahnhof und hoffte, dass der nächste Bus zu Pascal in den nächsten fünf Minuten kam, sonst würde Pascal einen Schneemann begrüßen dürfen. Ich wollte jetzt etwas warmes, heißen Kakao oder einfachen einen Tee. Ich mochte Tee eigentlich nicht, aber er wäre warm. Hm, ob Pascals Mutter mir wohl einen Kakao machen würde? Mit so kleinen Marshmallows drin. Ich sollte mal fragen. Der Bus sollte schnell kommen.

Ich überlegte mir kurz, ob ich mir eine Zigarette anstecken sollte, aber mit Handschuhen war das immer total bekloppt, außerdem mochte es Pascal nicht, wenn ich nach Rauch roch. Prinzipiell war es mir ja egal, ob er meinen Geruch mochte oder nicht, aber wenn ich schon ständig bei ihm rumhing, sollte ich vielleicht etwas kooperativ sein.

Der Busfahrer schaute so missmutig, wie seine Fahrgäste. Mich würde es auch ankotzen bei dem Wetter so ein Gefährt fahren zu müssen, aber immerhin bekam er Geld dafür. Ich trat in den Bus und hätte mich beinahe total auf die Schnauze gelegt, da der Boden im Bus nass war und meine Schuhe einfach nicht für so Wetter gemacht war.

Ich fing mich an einem Sitz ab und bemerkte ein Kichern weiter hinter im Bus. Vielleicht hätte Pascal mich doch abholen sollen. Aber dann hätte er sich bestimmt gewundert, dass ich in der Stadt war. Er wusste nichts von der werten Frau Doktor, die mein Hirn wieder in Ordnung bringen sollte. War ja auch nicht weiter wichtig.

Ich setzte mich in eine freie Bankreihe und legte meinen Rucksack neben mich. Ich wollte definitiv nicht, dass sich einer dieser nasse, vollgeschneiten Leute neben mich setzten. Am Ende waren die noch krank und steckten mich an. Ich hatte erst eine Erkältung hinter mir, ich brauchte nicht schon wieder eine.

Zum Glück lag die Bushaltestelle nicht weit von Pascals Haus weg, noch mehr Draußen könnte ich nämlich nicht mehr ertragen. Ich hatte kaum die Klingel berührt, als mir auch gleich die Türe geöffnet wurde. Pascals Mutter. Sie konnte von der Küche aussehen, wenn jemand von dem Gartentor zur Haustür ging.

„Johannes! Endlich bist du da! Ich dachte schon, die Busse fahren bei dem Wetter nicht mehr und du sitzt irgendwo fest.“ Ich fühlte mich etwas adoptiert, lächelte aber zur Begrüßung. Bestimmt würde sie mir gleich warmen Kakao anbieten, hoffentlich. Warmer Kakao.

„Dann kann ich ja jetzt beruhigt los.“ Erst jetzt bemerkte ich, dass sie schon einen Mantel und Stiefel trug. Kein Kakao? „Ich hab dir Essen hingestellt, dass du dir warm machen kannst.“ Naja, wenigstens etwas. Ich schaute ihr wohl etwas bedröppelt nach, aber wer würde das nicht in meinem Fall? Ich hatte mich schon so auf das warme Getränk gefreut. Vielleicht sollte ich Pascal fragen.

Ich zog meine Schuhe und mein Jacke aus, stopfte meinen Schal und die schwarze Mütze in einen Jackenärmel und schlüpfte in die Hausschuhe für Gäste. Ich war hier mittlerweile schon so oft gewesen, dass ich mich manchmal fühlte, als würde ich nach Hause kommen und nicht in das Haus eines Freundes.

„Jo, Alter, was geht?!“ Ich schaute Pascal entsetzt an und der lachte laut. Er saß vor seinem PC und schaute auf Youtube ein seltsames Video an. Erklärte vielleicht seinen komischen Sprachgebrauch. Ich mein, Alter?! Alter, aus der Sprache war selbst ich schon rausgewachsen. Ich schüttelte den Kopf.

„Du, ich würd gern noch in die Stadt, hast du Bock?“ , er strahlte mich begeistert an und ich fragte mich, was er in der Stadt wollte. Ich kam da gerade her, da war Schnee, Schneematsch und Leute, die mit beidem Zeug bedeckt sind. Ich seufzte.

„Der Weihnachtsmarkt ist doch und ein Kumpel von mir macht da heute nen Stand.“ Weihnachtsmarkt? Das war nicht sein Ernst?! Ich hätte gerne den Kopf geschüttelt, aber das konnte ich Pascal und seinem begeisterten Blick nicht an tun.
 

Deswegen stand ich hier, es war kalt, nass und hier waren verflucht viele Menschen. Aber was hatte ich erwartet, es war Weihnachtsmarkt. Ich hatte Weihnachtsmärkte schon immer gehasst, seit ich nicht mehr sprechen konnte noch mehr.

„Excuse me! Excuse me!“, ein junger Typ stand vor mir und ringte mit seinem Englisch um meine Aufmerksamkeit. Warum ich? Sah ich aus, als wäre ich eine wandelnde, englische Informationssäule, oder was?

„Do you understand me?“ Der Typ sprach extra langsam und deutlich und ich fühlte mich, wie ein Grenzdebiler. Verdammt, ich konnte Englisch.

Ich sollte mir ein „Fuck you all!“-Schild um den Hals hängen, damit jedem klar war, dass ich keinen Bock hatte, überhaupt angesprochen zu werden. Ich wäre nicht so pissig, wenn das nicht schon der Fünfte wäre, der mich auf Englisch ansprach. Ich verstand nicht warum, hier waren soviele Menschen, viel zu viele für meinen Geschmack, warum mussten die ausgerechnet mich belästigen?

Vermutlich weil ich etwas nichtstuend vor einem Stand mit Hanfartikeln rumstand. Pascal war gerade mit dem Verkäufer, den schon erwähnten Kumpel, in ein Gespräch vertieft. Ich kannte den Typ nicht und er war mir auch nicht sympathisch genug, dass ich ihm überhaupt Aufmerksamkeit schenken wollte.

Ich schaute demonstrativ in eine andere Richtung und sah plötzlich etwas, dass meine Laune jenseits tief der Hölle zog. Victor. Klar, ich sah ihn jeden Tag in der Schule. Aber da hing ihm nicht meine kleine Schwester um seinen Hals und himmelte ihn an, während er etwas bestimmt häßliches aus Glas für sie kaufte.

Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Was fiel dem Spast eigentlich ein, sich an meine Schwester ranzumachen?! Das war echt zu viel. Ich stapfte in ihre Richtung. Ich war auf 180! Mich scheiße behandeln und dann noch meine Schwester anmachen. Das war dieser mistige kleine Tropfen, der die schon viel zu volle Tonne komplett zum Überlaufen brachte.

Sie hatten mir den Rücken zu gewandt und waren deshalb etwas überrascht, als ich Victor an der Schulter packte. Ich hätte ihnen ja schon von weiten zu gerufen, dass ich Vic gleich die Hölle heiß machen würde, aber war mir ja leider nicht möglich.

„Jo?!“, rief Jana etwas erschrocken und wich von Victor ein Stück zurück. Ich konnte sehen, wie sie rot wurde und das macht alles noch schlimmer. Verdammte Scheiße, mein Schwester konnte nicht ernsthaft in diesen Gorilla verliebt sein!

„Was willst du denn?“, fragte Vic und seine Stimme klang schon so aggressiv, wie ich mich im Moment fühlte. Ich wollte Blut sehen und zwar seines! Normal war ich sicher kein gewalttätiger Mensch, aber es kochte einfach alles hoch. Ich packte ihn an seiner Jacke und zog ihn näher zu mir her. Es sah vermutlich etwas doof aus, da Victor einfach ein Stück größer und breiter als ich war, aber das war mir egal. Ich hätte ihm gerne Drohnungen entgegen geschleudert, aber man konnte ja nicht alles haben.

Er schubste mich allerdings mit meiner Leichtigkeit weg, die mich wirklich tierisch ankotze. Musste der Typ auch noch stärker sein als ich?! Aber aus Stahl war er nicht, ich holte zu einem Schlag aus, der für sein Gesicht bestimmt war, wurde aber plötzlich von jemand festgehalten.

Wütend drehte ich mich um.

Ich sah Pascal, der mich völlig abgehetzt und geschockt anschaute. Ich riss meine Hand von ihm los und wollte wieder zu Victor, der von Pascals Erscheinen so überrascht war wie ich.

„Spinnt ihr, oder was?“ Okay, er klang aufgebracht. Etwas, was man sich bei ihm eigentlich gar nicht vorstellen konnte. Er packte mich wieder und zog mich ein Stück von Victor weg, an dessen Hand sich meine Schwester klammerte. Allein der Anblick! Ich wollte Victor zu Brei zermatschen.

„Was soll der Scheiß?!“ Das war an mich gerichtet. Pascal hatte die Augenbrauen wütend zusammen gezogen und sein Griff war fast eine Spur zu fest. Ich versuchte mich aus den Griff zu winden, aber anscheinend war auch Pascal stärker als ich. So ein Fuck. Ich wollte mein Prügelei!

„Du kannst dich nicht einfach mit einem Freund kloppen! Ist bei dir jetzt alles durchgeschmorrt?!“ Tz, als wäre Victor noch ein Freund von mir. Pascal wusste doch, dass ich nichts mehr mit dem Gorilla zu tun hatte. Ich schnaubte verachtend.

„Woah, weißt du eigentlich wie verdammt anstrengend du sein kannst? Manchmal kann ich echt verstehen, dass andere Leute sich von dir ans Bein gepisst fühlen! Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Victor nicht versucht hat, mit dir klar zu kommen. Aber ganz ehrlich, einfach machst du es einem mit keinem Stück!“

Das traf mich wie ein LKW in voller Fahrt. Ich schaute Pascal entsetzt an und er wirkte immer noch verärgert. Was sollte der Scheiß? Sollte Pascal mir nicht zur Seite stehen und Victor erklären, was er für ein Wichser war? Ich fühlte mich verarscht und angepisst.

Die Leute, die um uns rumstanden und dämlich glotzen machten es nicht besser. Victor und Jana standen auch nur da und schauten peinlich berührt. Echt, ich wollte nur noch weg hier und weg von Pascal, das der mir so in den Rücken fiel und ich dachte, er wäre ein Freund.

Wenigstens hatte er mich los gelassen. Ich wandte mich von den dreien ab und wollte einfach zur nächsten Bushaltestelle, damit ich keinen von denen mehr sehen musste.

Ich hörte, wie Pascal mir nach lief, leider konnte ich nicht schneller gehen, da ich mich sonst vermutlich astrein auf die Fresse gelegt hätte bei dem dämlichen Schneematsch überall.

„Jetzt sei mal nicht so eingeschnappt.“, meinte Pascal. „Ich sag dir nur, wie es ist...“

Danke, fick dich ins Knie. Ich wurde von allen hängen gelassen, nicht andersrum! Konnte ich was dafür, dass ich nicht mehr sprechen konnte? War es meine Schuld, dass mir deswegen alle Freunde davon liefen? Ganz bestimmt nicht, oder? Ich ging verbissen weiter ohne in seine Richtung zu sehen.

„Jetzt schmoll nicht so, ich bring dich heim.“

Pah, als würde ich noch wert auf seine Gesellschaft legen. Ich würde ganz bestimmt nicht bei ihm mitfahren. Er hatte mich wieder am Arm gepackt und ich sah mich gezwungen stehen zu bleiben. Pascal zog mich einfach in eine Umarmung, wie jedes Mal, wenn ich völlig am Rad drehte. Ich hätte ihn wegschubsen können, weil ich wütend auf ihn war und ich mich verraten fühlte. Aber irgendwie konnte ich nicht. Ich war auch nicht mehr sauer, ich fühlte mich schlichtweg nur noch Elend. Das war einfach zu viel Stress. Ich ließ mich etwas gegen ihn fallen und genoß es kurz, dass mich Pascal wohl trotz allem mochte.

War ich wirklich so ein anstrengender Kerl, wie er sagte? Gut, in den letzten zwei Jahren war ich vielleicht wirklich nicht der einfachste Charakter gewesen, aber wer würde sich denn in meiner Situation nicht verändern? Aber vielleicht war ich auch ein bisschen unfair gewesen, gegenüber meinen ehemaligen Freunden. Weil ich dachte, dass sie das einfach wegstecken können, dass ja nicht sie das Problem hatten, sondern ich. Immerhin war ich derjenige, der nicht mehr sprechen konnte. Ach, ich hatte keine Ahnung.

„Komm, wir fahren zu mir.“ Er strich mir kurz über den Rücken, ich nickte langsam und löste mich dann von ihm. Manchmal fragte ich mich, was wäre, wenn ich Pascal nicht hätte, der mich ständig wieder auf den Boden holte und dafür sorgte, dass ich gar nicht erst völlig abdrehen konnte.
 

Als wir bei ihm ankamen, war es schon kurz nach neun und ich wollte nur noch in das weiche, kuschelige Bett kriechen und mich von dem Tag erholen. Die letzten Wochen waren bei mir bedeutend besser gelaufen und seit ich am Wochenende immer bei Pascal übernachtete, schlief ich erstaunlicherweise auch um einiges besser. Ich wusste nicht genau, an was es lag. Aber vielleicht hatte es damit zu tun, dass einfach jemand da war, wenn man von einem beschissenen Traum aufwachte. Damit das Pascal und ich mittlerweile in einem Bett schliefen, kam ich klar. Er lag auf seiner Seite und ich auf meiner und niemand musste sich was dabei denken. Man konnte ja auch mit einem Mädchen in einem Bett schlafen ohne das da jetzt was lief, also warum nicht auch mit Pascal?!

Ich hatte mir mein Schlafshirt angezogen und war unter die warme Bettdecke gekrochen. Ich wusste nicht genau warum, aber ich fühlte mich irgendwie nervlich flattrig. Vermutlich immer noch wegen der Begegegnung mit Victor und Jana. Allein bei dem Gedanken wurde es mir etwas flau im Magen, auch weil ich daran denken musste, was Pascal gesagt hatte. Selbst für ihn war ich schwierig? Ich hatte manchmal das Gefühl, dass er der einzige war, der überhaupt einfach mit mir klar kam. Aber offensichtlich war es nicht so einfach für ihn, wie ich immer gedacht hatte.

Pascal hatte auch in seine Schlafklamotten gewechselt und legte sich neben mich ins Bett.

„Willst du noch fernsehen?“

Ich schüttelte den Kopf, ich wollte eigentlich nur noch schlafen. Pascal knipste das Licht aus und wir lagen stillschweigend in seinem Bett. Ich hörte wie er langsam ein und aus atmete. Ich spürte, wie er sich etwas anders hinlegte und ich hatte das Bedürfnis nach einer Umarmung. Das war irgendwie peinlich, aber Pascal würde das sicher verstehen, oder?

Ich tippte ihn zögerlich an und er drehte sich zu mir um, ich konnte seinen fragenden Blick förmlich durch die Dunkelheit spüren. Ich robbte einfach zu ihm und legte etwas unbeholfen meine Arme um ihn. Ich spürte kurz, wie er sich anspannte, vielleicht wusste er nicht, was er davon halten sollte, aber schließlich legte er auch einfach seine Arme um mich und zog mich etwas näher an sich.

Ich spürte seinen Atmen an meiner Wange und fühlte mich von ihm völlig eingelullt. Er strich mit einer Hand über meinen Rücken und ich wusste, dass das mit der Umarmung eine gute Idee gewesen war. Ich lächelte zufrieden.

Ich drückte mich etwas näher an ihn und hörte nun sein Herz schlagen. Anders zu seinen ruhigen Bewegungen schlug dieses ziemlich heftig, was mich irgendwie überraschte. Er wirkte gar nicht so, als würde ihn die Situation nervös machen. Seine Atemzüge waren so ruhig und ich merkte, wie ich versuchte mich ihrem Rhythmus anzupassen. Seine Finger malten immer noch Kreise auf meinem Rücken und ich fühlte mich wie benommen von der ganzen Atmosphäre. Es war ein angenehmes Gefühl jemand so nah zu sein. Ich lauschte seinen Atemzüge und fühlte mich einfach ausgeglichen.

Konstituentenquarkmasse

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, pennte Pascal natürlich noch und ich stellte fest, dass ich eine Morgenlatte hatte. Jeah, Mutter Natur sagte mir, dass ich noch alles funktionierte und ich nach wie vor nicht impotent war. Super! Die Morgenlatte war mir ehrlich gesagt scheiß egal. Ich fühlte mich irgendwie gut und ausgeruht. Der Tag konnte kommen! Das wollte mal was heißen. Ich sammelte meine Klamotten zusammen, stellte fest, dass die Morgenlatte die Höflichkeit besessen hatte, sich wieder rar zu machen und ging dann ins Bad.

Als ich fertig war, ging ich direkt nach unten. Ich wusste, dass Pascals Mutter schon wach war und beschloss, dass ich mit ihr frühstücken würde. Ich fand sie wirklich nett und sie schien sich immer über meine Anwesenheit zu freuen. Das kam nicht mehr häufig vor in den hiesigen Zeiten.

Ich lächelte sie an, während ich mich an den kleinen Tisch in der Küche setzte.

„Morgen, Johannes!“, sie strahlte mich an wie die aufgegangen Sonne höchstpersönlich und ich fühlte mich etwas von ihrer guten Laune angesteckt. Sie stellt mir auch gleich einen Kaffee vor die Nase. Ich hatte mittlerweile schon oft genug übernachtet, dass sie wusste, was ich für Vorlieben hatte. Sie setzte sich zu mir an den Tisch und schmierte sich ein Marmeladenbrötchen.

„Übrigens, ich hab gestern noch deine Mutter angerufen.“

Ich zuckte erschrocken zusammen und starrte sie etwas ungläubig an. Sie hatte was?! Warum? Oh Gott, ich hoffte, meine Mutter hat nicht irgendeinen Schrott erzählt und ich dürfte nie wieder hier her kommen.

„Ja, Pascal hat mich darum gebeten noch bei ihr anzurufen, dass sie weiß, dass es dir gut geht. Bei dem Wetter passiert ja allerhand. Ich hab ihr auch versichert, dass ich höchstpersönlich dafür sorgen werde, dass du heute brav in die Schule gehst.“ Sie zwinkerte mir dabei zu und sie kam mir im Moment nicht wie eine Mutter vor, sondern wie jemand, der übersorgliche Mütter so zu belächeln fand, wie ich.

„Sie macht sich viele Sorgen, kann das sein?“ Jetzt wirkte sie aber ernst. Ich nickte nur zur Antwort. Meine Mutter macht sich wirklich über jeden möglichen Unsinn Sorgen, aber das war wohl ihre Art. War vielleicht besser, als eine Mutter, der man scheißegal war.

„Naja, Mütter wollen halt immer wissen, was in ihren Sprösslingen vorgeht.“ Sie seufzte, lächelte aber dabei. Ich war etwas erleichtert, dass das Gespräch wohl in harmlosen Bahnen abgelaufen war und meine Mutter nicht irgendwelche komischen Verbote ausgesprochen hatte. Allerdings konnte sie in letzter Zeit nicht an viel meckern. Meine Noten hatten sich in den letzten Wochen stark verbessert, ich war nicht mehr die ganze Nacht wach und ich aß sogar wieder mit ihnen am Tisch, wenn ich denn mal da war. Und in die Schule ging ich auch wieder jeden Tag, dafür sorgte auch Pascal. Manchmal kam er mir ja vor, wie mein ganz persönlicher Betreuer in schweren Zeiten, aber es funktionierte. Ich fühlte mich in letzter Zeit wirklich besser und der Blick in den Spiegel morgens tat auch nicht mehr weh.

„Morgen...“, nuschelte Pascal, der gerade total verpennt und mit verstruppelten Haaren in die Küche kam. Er war so ein krasser Morgenmuffel, wie ich sonst keinen kannte. Ich grinste ihn an und merkte, wie er mich noch verpeilter anschaute als sonst, um dann sofort den Blickkontakt abzurechen. Er war leicht rot im Gesicht. Uhm okay, was war das denn jetzt?

Er wirkte den ganzen Morgen noch fahriger als sonst, erst kriegte er den Kühlschrank nicht auf, weil er nicht in der Lage war den Griff richtig zu fassen, dann wäre ihm beinahe die Milchtüte aus der Hand gerutscht und beim Brötchenschmieren, sah es eher so aus, als würde er ein Butter-Brötchen-Massaker anrichten. Ich hatte fast schon Mitleid mit der Teigware.

„Schlecht geschalfen, Spatz?“, fragte seine Mutter schließlich besorgt, der natürlich aufgefallen war, wie neben der Spur er heute war.

„Nee...“, murmelte er und ich bermerkte einen kurzen Seitenblick, mit dem ich nichts anzufangen wusste.

„Da trink einen Tee, nicht das du mir krank wirst! Johannes, willst du auch einen?“ Ich schüttelte den Kopf. Ich mochte Tee nicht sonderlich und schon gar keine Tees, die mich vor dem Krankwerden bewahrten. Am Ende würde ich ja noch was gesundes zu mir nehmen, das ging ja gar nicht.

„Is Jonas bei Doro?“

„Die ganze Woche über, ihre Eltern sind gerade nicht da und sie machen Haussitting.“

Familiengespräche, ich schaute aus dem Fenster. Zum Glück schneite es nicht mehr, lag schon genug von dem Zeug rum. Ich war einfach ein Sommerkind, mit Winter konnte ich schlichtweg nichts anfangen.

„Fuck, wir müssen los!“, fluchte Pascal beherzt und verschwand hastig aus der Küche. Ich hörte, wie er die Treppen hochrannte und schaute auf die Küchenuhr. Hm, normal fuhren wir erst in einer Viertelstunde los, aber bei dem Wetter war es wohl klüger, sich etwas früher auf den Weg zu machen. Ich lächelte seiner Mutter zu und wir saßen noch gemütlich am Tisch, während Pascal oben in seinem Zimmer wütete. Vermutlich auf der Suche nach seinem Schulzeug.

Ich zog mir meine Schuhe und die Jacke an und Pascal stürmte an mir vorbei, wieder zurück und ich wusste, warum er in der Schule immer so wach war. Wer morgens soviel rannte, konnte gar nicht mehr müde sein.

„Bist du fertig?“ Er schaute mich gehetzt an, während er noch in seinen Mantel schlüpfte, und ich nickte einfach nur. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, Pascal war morgens wirklicht nicht zu gebrauchen.
 

„Ist klar, wenn man es eilig hat, sind nur Schleicher vor einem!“, maulte er und wir betrachten weiter die Rückansicht eines roten Toyotas. Ich musste aber sagen, bei den Strassenverhältnissen konnte man niemand dieses Schleichtempo wirklich übel nehmen.

„Sag mal, wir machen an Heiligabend immer noch eine kleine Afterbescherungsparty. Hast du Bock zu kommen?“ Er schaute kurz in meine Richtung, aber wie vorher, brach er den Blickkonakt gleich wieder ab. Also hatte die Umarmung heute Nacht doch etwas zwischen uns geändert. Ich hatte mir nicht soviel dabei gedacht, aber vielleicht hätte ich das tun sollen. Es war idiotisch zu denken, dass da überhaupt nichts dabei war. Ich erinnerte mich an seinen schnellen Herzschlag, für ihn war das mehr gewesen, oder?

„Also, ich weiß nicht, ob deine Eltern, das erlauben. Wir machen das seit drei Jahren immer, da kommen halt nach der Bescherung bei uns noch ein paar Freunde vorbei. Es ist mehr ein gemütliches Beisammensein, als eine Party. Kannst dir ja noch überlegen.“

Ich nickte nur, da musste ich wirklich erst meine Eltern fragen. Bei solchen Familienfeiertagen konnten sie heikel sein. Allerdings konnte ich ja argumentieren, dass es zur Zeit sehr gut in der Schule lief. Er schaute kurz in meine Richtung, ich lächelte ihn an, er schaute irritiert weg und ich grinste. Eigentlich war es lustig, Pascal mal ein bisschen foppen zu können.

„Ich würd mich auf jeden Fall freuen.“, er räusperte sich und wir starrten wieder den Toyota vor uns an.
 

Als ich das Klassenzimmer betrat, hatte es gerade zur Stunde gegongt, aber der Lehrer war noch nicht da. Ich ging an meinen Platz und mein Rucksack lag dort. Hm, da hatte wohl jemand mitgedacht. Ich schaute kurz in Victors Richtung, aber er blickte demonstrativ in eine andere Richtung. Also hatte sich da soweit nichts geändert. Ich kramte meinen Block und mein Mäppchen raus und mir fiel ein kleiner Zettel entgegen. Oh, geheime Botschaften, cool.
 

Hi, Bruderherz!

Ich hab Mama und Papa nichts gesagt, wegen gestern. Fänd es gut, wenn das irgendwie unter uns bleiben würde. Vic tut es übrigens leid.
 

Alles Liebe,

deine Schwester
 

Ich knüllte den Zettel zusammen und schnippste ihn in mein Mäppchen. Kurz schaute ich wieder zu Victor, den ich gerade noch erwischte, wie er den Blick von mir abwandte. Ich war etwas irritiert. Aber gut, wenn Jana Pascal und mich nicht bei unseren Eltern angeschwärzt hatte, könnte ich auch damit leben meine Klappe zu halten, im übertragenen Sinne.

Der Lehrer betrat das Klassenzimmer und er hatte Plätzchen dabei. Es war die letzte Schulwoche vor den Ferien, in den meisten Fächern schauten wir Filme, zündeten Kerzen an oder aßen Plätzchen und Kuchen. Ich hoffte für den Lehrer es waren leckere Plätzchen.

„Können wir noch Kaffee dazu machen?“, fragte jemand aus der Klasse.

Also gab es die nächsten zwei Stunden keinen Unterricht, sondern Kaffeekränzchen. Sollte mir recht sein. Miguel neben mir stand auf und ging zu Raphael und Victor rüber. Der Lehrer reicht mir den Teller mit den Plätzchen und ich nahm mir zwei weg. Sahen ganz passabel aus. Ich nickte ihm zu und er ging weiter.

Ich schaute aus dem Fenster und bemekte, dass es schon wieder schneite. Sollte ich heute wieder zu Pascal? Ich war mir nicht ganz sicher, ich würde einfach nicht übernachten. Ich wollte sowieso nochmal mit Jana reden, aber das ging auch heute Abend.

Ein Räuspern riss mich aus meinen Gedanken, Victor stand vor mir. Er konnte froh sein, dass ich heute so gut drauf war, sonst wäre ich sicher gleich wieder auf ihn los. Aber wie er jetzt so stand, etwas verlegen und mit einem unhübsch verpackten Geschenk in der Hand, konnte ich nicht mal richtig wütend sein.

„Hier für dich, aber erst an Weihnachten aufmachen, okay?“ Er reichte es mir und ich sah, dass seine Hand leicht zitterte. Ich nahm es entgegen und nickte irritiert. Dann ging er wieder an seinen Platz. Ich schaute das Geschenk in meinen Händen an, ich hatte keine Ahnung was es war. Am liebsten würde ich es jetzt gleich aufmachen, aber das käme jetzt auch blöd. Ich schaute unsicher in seine Richtung, aber wurde wieder ignoriert.

Ich wollte jetzt eine rauchen. Normal machte ich das, bevor ich in die Schule ging, aber ich vermied es bei Pascal daheim zu rauchen. Ich nickte kurz dem Lehrer zu, zeigte zur Tür und ging dann. Da er ja sowieso keinen Unterricht machte, war es wohl okay, dass ich nach draußen ging.

Auf dem Gang lief ich auch noch meiner Englischlehrerin über den Weg, die mich erfreut anlächelte.

„Johannes! Ich hab mir ihre Arbeit durchgesehen, sie waren ja hervorragend! Ich hab sie aber erst nach den Ferien fertig korrigiert. Aber ich freu mich, dass sie jetzt mehr Ambitionen zeigen.“ Mit diesen Worten rauschte sie wieder davon, ein Zimtgeruch hing ihr nach und ich grinste. Ich sagte doch, ich konnte Englisch! Tz...

Ich zündete mir meine Kippe an und schaute nach oben. Alles weiß, der Himmel, die Schneeflocken, die Gebäude. Naja, alles sehr winterlich.

Victor war wieder auf mich zugegangen. Vielleicht sogar wegen der Sache von gestern, der Moralpredigt von Pascal, oder hatte Jana da ihre Finger im Spiel? Ich musste definitiv mit ihr reden.

Ich seufzte und fühlte mich irgendwie etwas freier. Wenn vor einigen Wochen alles den Ausguss meines Lebens runterging, so schien es tatsächlich richtig aufwärts gehen. Hey, jetzt müsste ich nur noch sprechen können und ich wäre richtig zufrieden.

Als ich fertig geraucht hatte, ging ich in die Pausenhalle. In zwanzig Minuten war sowieso Pause, da lohnte es sich gar nicht mehr, nach oben ins Klassenzimmer zu gehen. Ich sah vereinzelt Schüler in der Halle rumstehen. War ich wenigstens nicht der einzige, der dem „Unterricht“ nicht beiwohnte. Ich beschloss mich auf die dimensionsverzerrte Treppe zu setzen. Eigentlich schon krass, dass es erst zwei Monate her ist, seit ich Pascal kannte. Mir kam es viel länger vor, aber es war ja auch viel passiert in letzter Zeit. War vielleicht ganz gut, nur Veränderung konnte im Endeffekt auch eine Verbesserung bringen. Späte Erkenntnis.

„Hey, so im Gedanken?“ Ich zuckte erschrocken zusammen, ich hatte Pascal nicht bemerkt. Ich drehte mich zu ihm und lächelte kurz. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass er eigentlich auch noch im Unterricht sein müsste.

„Hab gerade Freistunde und Julia hat mir gesagt, dass du hier unten alleine rumsitzt.“ Hatte er ein Stalkerimperium um mich herum aufgebaut? Kurz fühlte ich mich gegruselt, aber ich wusste, dass er es nicht auf eine verrückte Psychoart meinte. Ich holte meinen Block raus.

´Ich würde heute wieder kommen.´, setzte ich ihn in Kenntnis. Aber als Pascal es gelesen hatte, schüttelte er nur kurz den Kopf.

„Das geht heute nicht...“ Er sagte selten „Nein“, aber ich hatte Pascals Zeit nicht allein für mich gepachtet. Sowas musste ich akzeptieren. Normal sagte er mir aber warum. Ich runzelte die Stirn, er wich meinem Blick aus. Ich knuffte ihn in die Seite, ich mochte einen Pascal, der mir auswich nicht. Er schaute irritiert in meine Richtung, dann seufzte er.

„Du bist manchmal so... so...“ Pascal beendete den Satz nicht, sondern schüttelte nur wieder seinen Kopf. Ich grinste.

´So unglaublich?´, half ich nach.

„Irritierend! Du bist manchmal so unglaublich irritierend!“ Er schaute mich an, als wäre es das erste Mal, dass er mich sehen würde, grinste dann aber zurück. Hatte er wirklich was vor, oder wollte er mich heute einfach nicht sehen?

Ich seufzte und ließ mich gegen die Wand in meinem Rücken sinken. Wir schwiegen uns etwas an. Die Pausenhalle füllte sich gerade recht schnell und der Geräuschpegel stieg immens an. Ich würde nochmal gerne raus zum Rauchen. Ich steckte den Block wieder ein und holte im Gegenzug meine Zigarettenpackung raus. Ich tippte Pascal an, der gedankenverloren in die Menge vor uns schaute und hob ihm die Zigaretten vor die Nase.

„Hm, ich könnte auch mal ein bisschen frische Luft vertragen.“

Draußen gesellten sich Doro und Julia zu uns. Da beide Raucher waren, standen sie öfter mit uns hier draußen. Anscheinend waren Raphael mittlerweile für die beiden uninteressant geworden, zumindest hingen sie nicht mehr miteinander rum.

Ich hörte nur halb zu, während sich die drei unterhielten. Es war immer etwas komisch, wenn Leute dazu kamen. Dann war es für mich eigentlich unmöglich mich noch groß an Unterhaltungen zu beteiligen. Das konnte man vielleicht damit vergleichen, wenn man das erste Mal in einen vollen Chatraum kam. Die Gespräche gingen so schnell von statten, dass es einem unmöglich war, so schnell zu tippen. Ich konnte hier nicht schnell genug schreiben, als das ich mich sinnvoll mit einbringen konnte. Manchmal stellte ich mir vor, wie es wäre, wenn ich wieder sprechen könnte. Hätte ich überhaupt viel zu sagen gehabt?

„Was macht ihr beiden heute noch so?“, fragte Julia. Die Frage war indirekt an mich gerichtet und sorgte dafür, dass ich wieder zuhörte. Pascal warf mir kurz einen Blick zu. Was machst du heute noch so, Pascal?

„Ich wollte heute noch zu Ben.“, erklärte er schließlich. Ben? Ben kannte ich nicht mal, aber das hieß nicht viel. Ich kannte vermutlich nicht mal die Hälfte von Pascals Freundeskreis, zumindest machte ich mir nicht die Mühe mir alle Namen zu merken. Aber Doro´s Grinsen fand ich suspekt.

„Ben?“ Ihr Blick bei dieser Frage! Das war dieser Da-geht-doch-was-Blick, der mich im Bezug auf Pascal immer total irritierte. Noch immer fiel es mir schwer, mir vorzustellen, dass Pascal wirklich was mit Kerlen am Laufen hatte.

„Benjamin, der Ex von Miriam.“ Pascal verdrehte nur die Augen.

„Achso, der... wie langweilig.“ Doro wurde in die Seite geboxt und sie lachten.

Die Pause war schließlich aus und ich beschloss, dass ich mich auch mal wieder im Klassenzimmer blicken lassen sollte. Immerhin hatten wir jetzt wieder einen anderen Lehrer und ich nahm nicht an, dass wir bei allen Kekse essen würde.
 

Ich lag auf meinem Bett und schrieb. Das Schreiben hatte ich in den letzten Wochen vernachlässigt, aber man hatte auch nicht immer den Flow und die Zeit. Gerade hatte ich ihn. Es sollte eine Kurzgeschichte werden und ein Geschenk. Ich verschenkte zu Weihnachten eigentlich nie etwas, aber wie ich Pascal kannte, würde er mir etwas schenken und ich käme mir doof vor, wenn ich nichts für ihn hätte. Es klopfte zaghaft an der Türe und ich wusste, dass es Jana war. Sie hatte mir vorher beim Essen schon gesagt, dass sie nachher noch mit mir reden wollte.

„Kann ich reinkommen?“, fragte sie vorsichtig. Ich nickte nur und räumte das Geschriebene bei Seite. Ich wollte nicht, dass sie es las.

„Ich dachte, wir könnten ein bisschen reden.“ Sie schaute mich abwartend an und ich hatte wie so oft, wenn ich mit ihr redete, das Gefühl, als erwarte sie, dass ich etwas sagen würde.

„Also, naja, du weißt schon, wegen Vic und mir.“ Jana wurde rot. Victor wäre ihr erster Freund, soweit ich wusste. „Das lief ja alles etwas doof gestern. Aber, ich weiß nicht, vielleicht könnt ihr euch ja wieder vertragen?“ Sie schaute mich hoffnungsvoll an und ich musste leicht schmunzeln. Sie führte wirklich als einzige eine Konversation mit mir, als dachte sie, ich würde ihr tatsächlich antworten können. „Ihr kennt euch doch schon so lange, ich mein, du kennst ihn schon länger als mich...“ Deswegen hatte der Streit mit ihm auch umso mehr weh getan. Ich schaute auf meine Bettdecke, weil ich ihren erwartungsvollen Blick gerade nicht ertragen konnte. Victor und ich hatten schon zusammen im Sandkasten gespielt, da konnten wir noch nicht mal richtig reden.

„Ich hab auch mit Vic geredet, er meint, von ihm aus, wäre das kein Problem... Also weißt du, ich fänd es einfach schön, wenn ihr euch wieder verstehen würdet. Ich mag ihn nämlich wirklich...“ Bei dem letzten Satz nahm das Rot in ihrem Gesicht etwas zu. Ich fühlte mich, als wäre es ihr tatsächlich wichtig, dass ich ihr die Zustimmung für diese Beziehung gab. Ich dachte an das ungeöffnete Geschenk, dass mir Victor gegeben hat und ich sah meine Schwester, wie sie total verknallt vor mir saß. Ich seufzte. Was sollte man da sagen?

´Ich dachte immer, dass du auf hübschere Jungs stehst.´, schrieb ich ihr auf. Ich mein, Jana war wirklich ein hübsches Mädchen, das auf ihr Aussehen achtet und Victor war... naja, wie sein Name, er war nicht das, was sich Mädchen als ihren ersten Freund vorstellten.

„Auf solche Jungs wie Pascal?“ Sie lachte und ich war irgendwie verstört. Pascal sollte hübsch sein? Gut, er war nicht häßlich, aber bei Weitem doch nicht gutaussehend, oder? Ich schüttelte den Kopf. Wenn Jana auf Typen wie Pascal stehen würde, würde sie nur einige Enttäuschungen in ihrem Liebesleben einheimsen.

„Ich find Pascal ist nett.“, meinte sie schließlich. „Aber in Victor war ich schon verknallt, als ich noch ein kleines Mädchen war.“ Als wärst du jetzt kein kleines Mädchen mehr... Mir kam Jana noch viel zu jung vor, um sie so reden zu hören. Aber wenn ich mich zurück erinnerte, fiel mir tatsächlich auf, dass Jana oft um uns rumrannte, wenn Victor da war. Sie ständig Aufmerksamkeit von uns wollte und heulend zu meiner Mutter gerannt war, wenn ich gesagt hatte, dass sie doof wäre und sie nicht mit uns spielen dürfe.

„Er ist mir wirklich wichtig.“ Sie schaut mich ernst an und ich wusste, dass ich ihr als Bruder nicht alles kaputt machen durfte. Vielleicht war ich im Moment sauer auf Victor, aber eigentlich wäre ich froh, wenn ich mich wieder mit ihm verstehen würde. Man möchte eine jahrelange Freundschaft nicht einfach wegwerfen.

Ich lächelte sie an und sie umarmte mich. Etwas, was sie schon lange nicht mehr getan hatte.

Rutherfordsches Atommodell

Ich hatte das Buch für Gebärdensprache vor mir aufgeklappt liegen. Ich hatte nicht vor, es wirklich zu lernen, aber ich wollte Pascal heute abend auf der Party ein bisschen überraschen. Vorhin hatte meine Mutter Jana und mich dazu gezwungen mit ihr den Weihnachtsbaum zu schmücken und momentan war das Essen am Kochen. Deswegen hatte ich noch ein bisschen Zeit, mich auf die Afterbescherungsparty vorzubereiten. Ich war ja froh, dass ich tatsächlich hindurfte. Mein Vater war eigentlich dagegen, vor allem, weil wir morgen Mittag bei meiner Oma eingeladen waren, die ihren 80iger feierte. Aber meine Mutter hatte sich überraschenderweise für mich eingesetzt. Ich glaubte, es lag auch an dem Telefonat mit Pascals Mutter. Die beiden verstanden sich irgendwie, zum Glück. Auf jeden Fall dachte meine Mutter nicht mehr, dass Pascal ein Schläger und Dealer war. Wo auch immer sie das Gerücht her hatte.

Ich runzelte die Stirn und versuchte mir die Handzeichen einzuprägen. Sah irgendwie alles einfacher aus, als es tatsächlich war. Ich konnte mich in der Spiegelung des Fensters sehen und kam mir etwas albern vor. Aber ich würde nur einen Satz lernen und das musste reichen. Das machte ich auch nur Pascal zuliebe!

Ich hörte ein leises Klingeln von unten und verdrehte die Augen. Als Kind hat man uns immer erklärt, dass das Christkind klingelt, wenn es Geschenke gab. Meine Mutter würde uns vermutlich auch noch in zehn Jahren zur Bescherung klingeln.

Ich packte meine wenigen Geschenke für meine Eltern und Jana zusammen und ging nach unten. Unser Wohnzimmer wurde nur von dem Weihnachtsbaum und Kerzen auf dem Wohnzimmertisch beleuchtet, auf dem auch noch Gesangsbücher und Plätzchen lagen und eine Flöte. Unter dem Baum lagen schon ein paar Geschenke, die das „Christkind“ gebracht hatte und ich legte meine dazu.

Jana betrat mit meinem Vater im Schlepptau den Raum und wir waren endlich vollzählig. Jetzt würden die obligatorischen Weihnachtslieder folgen, dann dürften wir unsere Geschenke auspacken und uns dann brav ins Esszimmer begeben und das Festmahl essen, dass meine Mutter heute gezaubert hat. Ich mochte vielleicht keinen Weihnachtsmärkte, keine Weihnachtslieder und die ganzen Werbungen mit Weihnachtsmännern regte mich auch auf, aber ich musste sagen, Heiligabend mit meiner Familie mochte ich.

Nach dem wir „Alle Jahre wieder“, „Oh du fröhliche“, „Stille Nacht“ und „Jingle Bells“ hinter uns gebracht hatten, ging es ans Geschenke auspacken. Meine Ausbeute war ein neuer, super High-Tech-MP3-Player mit dem man sogar Videos gucken konnte und vermutlich ein kleines Vermögen gekostet hat und von Jana gab es eine CD, das neue Album von einer Band, die ich ganz cool fand. Ansonsten gab es noch Geld von den Verwandten, das übliche. Ich konnte also zufrieden sein. Meine Eltern bekamen von Jana und mir Karten für ein Musical, dass hier gerade angelaufen war und Jana schenkte ich ein Buch, dass sie sich ausdrücklich gewünscht hatte und Schokolade dazu. Mir hatte mal jemand gesagt, dass sich jedes Mädchen über Schokolade freute, da machte Jana sicher keine Ausnahme.

Doch, ich war gerade wirklich irgendwie glücklich.

Nach dem Essen brachte ich noch mein Zeug nach oben, erst da fiel mir wieder Victors Geschenk ein. Ich hatte es mir auf das Regal gelegt, damit ich nicht ständig in die Versuchung kam es zu öffnen. Aber jetzt war ja Heiligabend.

Ich stellte mich auf Zehenspitzen und fischte das Geschenk aus dem obersten Fach meines Regals. Es war immer noch häßlich verpackt und ich hatte keinen Schimmer, was drin war. Etwas ungeduldig riss ich das Papier weg und war erstaunt, als ich das Geschenk sah. Es war... das tollste Geschenk das er mir hätte machen können. Ich lächelte das zerkratzte, alte Spielzeug an und strich darüber. Als wir klein waren, hatten wir uns immer gestritten, wer damit spielen durfte. Da es Victor gehörte, durfte ich es nur haben, wenn er einen großzügigen Tag hatte und die waren selten. Ich fühlte mich wirklich ganz schrecklich sentimental gerührt, als ich es sah. Ich merkte, dass ich kurz davor war zu heulen. Das Geschenk bedeutete wahnsinnig viel für mich und auch für Victor. Das wusste ich. Vorsichtig, als würde dem Spielzeug jetzt einfallen, nach all den Jahren doch noch kaputt zu gehen, stellte ich es auf mein Nachttischchen.

Dabei fiel mein Blick auf meinen Wecker. Mist, ich wollte eigentlich schon bei Pascal sein. Ich packte meinen Rucksack, schaute nochmal zu dem Geschenk von Victor, um sicher zu gehen, dass es noch da war, und rannte die Treppen runter. Meine Mutter und mein Vater saßen beide noch im Wohnzimmer und unterhielten sich leise.

Meine Mutter hatte mir versprochen mich noch zu Pascal zu fahren, also tippte ich kurz auf die Schulter.

„Ah, du willst los?“ Sie lächelte und ich ignorierte, wie mein Vater leicht verägert die Augenbrauen zusammenzog. Er hielt immer noch nichts von Pascal und war auch nicht begeistert, dass ich an Heiligabend nicht die ganze Zeit zuhause war.
 

„Ich hol dich morgen um elf wieder ab, okay? Ich wünsch dir viel Spass, Schatz.“ Sie lächelte mich warm an und umarmte mich kurz. Fehlte nur noch, dass sie mir durch die Haare wuschelte, dann würde ich mich wieder fühlen, wie ein Grundschulkind. Aber sie meinte es ja nicht so. Ich winkte ihr noch hinterher, als sie wegfuhr.

Ich klingelte an der Tür und ein gut gelaunter Pascal öffnete mir.

„Hey, schön das du da bist!“, er zog mich kurz in eine Umarmung. Als er mich los ließ, sah ich meine Chance, ihm mein tollen Gebärdensprachesatz vorzuführen. Ich versuchte mich an die Gestik aus dem Buch zu erinnern und ahmte sie langsam nach. Pascal beobachte mich aufmerksam dabei.

„Du wünschst mir frohe Weihnachten?“, fragte er leicht ungläubig.

Ich nickte. Hey, er hatte mich verstanden. Ich war ja so gut. Ehrlich, ich war ein bisschen stolz auf mich. Pascal lachte begeistert und umarmte mich nochmal. „Woah, dass ist ja sau cool! Ich hätte nicht gedacht, dass du das Buch echt nochmal anguckst!“ Er freute sich, Ziel erreicht. Allerdings erwiderte er etwas in Gebärdensprache und ich schüttelte nur irritiert den Kopf.

´Nur der eine Satz und nur für dich.´ Er las es sich durch und ich wusste nicht, ob es vielleicht kurze Enttäuschung war, was man in seinen Augen sehen konnte, aber schließlich lächelte er wieder. „Danke.“ Ich hatte den Eindruck, als wollte er noch etwas sagen, aber stattdessen trat er nur beiseite um mich ganz ins Haus zu lassen.

„Wir feiern im Keller unten.“, erklärte er mir, während ich meine Schuhe auszog. „Wir haben sogar einen Weihnachtsbaum, naja, Bäumchen... zumindest hängen Kugeln dran und eine Lichterkette.“ Er räusperte sich und grinste verlegen.

Den Partykeller, den ich noch von Jonas Geburtstag kannte, sah tatsächlich irgendwie weihnachtlich aus. Was vermutlich daran lag, dass hauptsächlich mit Kerzen und dem sehr... kümmerlichen Baum beleuchtet wurde und man so nur wenig vom restlichen Raum sah.

Aber es war wirklich ein gemütliches Beisammensein. Neben Jonas und Doro, waren nur noch die Leute aus der Band da und noch eine Freundin von Doro, die ich nicht kannte. Ich lächelte schüchtern in die Runde.

„Lisa wäre auch gekommen, aber die ist bei ihrem ominösen Freund eingeladen.“, erklärte mir Pascal und reichte mir eine Tasse Punsch. Ich nahm den Punsch entgegen und setzte mich damit auf das Sofa, dass ich noch vom letzten Mal kannte. Das Lisa einen Freund hatte, wusste ich schon seit einer Weile. Die sind wohl kurz nach dem Kuss zwischen uns zusammen gekommen. Vermutlich bin ich auch deswegen so bei ihr abgeblitzt. Keine Ahnung. Ich hatte mit Lisa eigentlich nur noch wenig Kontakt. Aber Pascal meinte, dass es ihm ähnlich ging. Anscheinend war der Freund von ihr sehr einnehmend. Naja, wenn sie glücklich war.

„Uhm, dein Geschenk ist übrigens noch nicht da.“ Pascal hatte sich neben mich gesetzt und machte wieder lustige Figuren mit seinen Fingern. Anscheinend tat er das öfter, wenn ihm etwas unangenehm oder peinlich war. Aber immerhin, ich wusste, dass er ein Geschenk für mich hatte. „Also ich weiß auch nicht, eigentlich hätte es schon da sein sollen... keine Ahung. Sorry.“ Er schaute mich an, als wäre er Schuld, dass es nicht rechtzeitig hier war. Ich winkte ab, ich konnte damit leben, wenn ich mein Geschenk später bekommen würde.

„Wir gehen rauchen, kommt noch wer mit?“, fragte Doro in die Runde. Ich hatte den ganzen Abend noch kein Nikotin, fand ich eigentlich ganz gut. Ich nickte und stand auf.

„Warte, ich komm mit.“ Pascal erhob sich auch und wir gingen zu Viert nach oben auf die Terrasse. Die Mädels setzten sich auf eine kleine Bank unter dem Dach, wir blieben direkt an der Terrassentüre stehen. Als ich meine Zigaretten aus meinem Rucksack rausholte, fiel mir auch wieder mein Geschenk ein. Ich holte die Blätter raus und hob sie Pascal hin. Neugierig nahm er es entgegen.

„Das dritte Omlette?“, fragte er irritiert.

Ich grinste und nickte. Okay, der Titel war komisch, aber ich hatte mir Mühe gegeben und ich hoffte, es war mal eine Geschichte nach seinem Geschmack. Ich steckte mir eine Zigarette an und wartete auf seine Reaktion. Ich sah wie seine Augen kurz über die Zeilen flogen und sich ein kleines Lächeln auf sein Gesicht schlich.

Doro stürzte sich plötzlich von hinten auf ihn und schmiegte sich an ihn.

„Mir ist kalt.“, erklärte sie und strahlte Pascal mit ihrem bezauberenden Lächeln an. Er wuschelte ihr kurz durch die Haare.

„Was ist das?“, fragte sie neugierig, während sie die Blätter anlinste und ich merkte kurz, wie ich nervös wurde. Sicher hielt mich Doro für total den Freak, wenn sie erfuhr, dass ich schrieb. Mädchen standen nicht auf Typen die Geschichten schrieben.

„Ein Geschichte für mich.“, erklärte Pascal und lächelte dabei immer noch. Irgendwie, ich nahm einen tiefen Zug von meiner Zigarette, die Situation machte mich etwas ... unruhig.

„Ihr seid so süß, wisst ihr das?“ Argh, ich nahm nochmal einen tiefen Zug, Pascal wollte zu einer Antwort ansetzen, aber Doro redete gleich weiter. „Ja, ich weiß, dass Donnie nicht schwul ist. Aber als ich euch das erste Mal gesehen habe, fand ich euch schon putzig. Nimm mir das nicht übel, Donnie. Hey, wir Mädels stehen auf Typen, die sensibel wirken.“ Sie zwinkerte mir zu, ich schüttelte trotzdem nur den Kopf und bließ den Rauch nach oben. Oh Gott, war das peinlich.

„Pascal?“ Lars steckte den Kopf nach draußen, der nicht auch noch. Das wurde ja immer schlimmer. „Irgendwas stimmt mit der Heizung nicht, Jonas meinte, ich soll dich holen.“

„Klar... ihr kommt ja sicher ohne mich klar.“ Damit verschwand er mit Lars und ließ mich mit Doro und ihrer Freundin, die mich beide angrinsten, alleine zurück. Ich fühlte mich etwas... hängen gelassen. Ich wäre ihm ja nach, aber ich hatte mir meine Kippe erst angezündet und wollte sie jetzt fertig rauchen. Ich brauchte das Nikotin gerade dringend.

„Weißt du schon was du nach dem Abi machst?“, fragte Doro in das Schweigen. Ich schüttelte den Kopf, so genaue Vorstellungen hatte ich da nicht. „Wir müssen das ja bald wissen.“ Sie seufzte, als hätte ich sie auch noch keinen Schimmer, was sie machen möchte.

„Wir haben gerade so komische Studienberatungen. Ich muss aber sagen, dass die mich mehr irritieren, als mir zu helfen.“

„Geht mir auch so.“, hörte ich heute zum ersten Mal, die Stimme von der anderen. Die war ja fast so still, wie ich und sie konnte sprechen. Hm...

„Hast du schon mal an Germanistik gedacht? Ich mein, weil du schreibst und so.“ Ich schüttelte heftig den Kopf. Germanistik war eigentlich das Letzte, was ich machen wollte. Da konnte man gleich Philosophie studieren und sich beim Arbeitsamt melden.

„Ich drück die kurz aus.“ Doro verschwand irgendwo hin in die Dunkelheit.

„Und... gehörst du zur Band?“, fragte das schweigsame Mädchen. Wollte die Konversation mit mir betreiben? Ich schüttelte den Kopf. Wie kam sie auf die Idee? Sah ich aus wie ein Musiker, oder was? Hm, wenigstens hielt die mich nicht für schwul.

„So, da bin ich wieder, sollen wir rein?“ Ich hob zur Antwort noch kurz meine fast fertig gerauchte Kippe hoch. Damit sollte ich nicht ins Haus.

„Achso, klar, da hinten auf dem Tisch ist der Aschenbecher...“

Meine Zigarettenstummel gesellte sich zu Doro ihren und wir gingen wieder in das warme, helle Haus. Pascal kam uns auf halber Strecke entgegen.

„Oh, ihr seid schon fertig, ich hätte mich jetzt nochmal zu euch gesellt.“, er grinste mich an und ich lächelte zurück. Er wäre extra für mich nochmal raus in die Kälte gekommen, irgendwie... cool.

„Was war?“, fragte Doro neugierig wie sie war.

„Ach, da war was komisch eingestellt und du kennst ja Jonas, kein Plan von irgendwas.“ Pascal verdrehte die Augen und Doro lachte.

In jedem Fall war der Partykeller jetzt wirklich mollig warm und vermutlich spätestens in einer halben Stunde super stickig. Wir setzen uns wieder auf das Sofa und ich ließ mir einen weiteren Punsch einschenken. Es gab zwar auch Bier, aber gerade war ich mehr in Punsch-Stimmung. Ich ließ mich etwas mehr ins Sofa sinken. Der warme Punsch und die Temperatur des Raumes machten mich etwas träge, aber auf eine angenehme Art. Pascal ging es wohl ähnlich, er saß auch nur da und nippte etwas an seinem Bier. Aus einen Impuls heraus lehnte ich mich an ihn. Seine Schulter sah einfach recht einladend aus. Er zuckte allerdings erschrocken zurück und stand dann auf.

„Ich setz mich rüber, okay?“ WTF?!

Dann saß er bei Lars und ich war nicht gewillt, ihm nachzulaufen. Ich war eigentlich nur total verwirrt. Was sollte das? Ich runzelte die Stirn. Ich hatte mich doch nur gegen ihn gelehnt. Das hatte ich auch schon bei anderen Freunden gemacht, da war doch nichts dabei. Irgendwie lief der Abend echt nicht so, wie ich mir das gedacht hatte. Verdammt.

Ich trank den Punsch in wenigen Schlücken leer, mehr aus dem Impuls heraus, etwas zu tun zu haben, als das ich wirklich viel Alkohol trinken wollte. Ich stand auf und holte mir ein Bier aus dem Kasten, der unter dem Baum stand.

Pascal blieb weiterhin bei Lars sitzen und sie unterhielten sich. Mit gesprochnen Wörtern, miteinander und ohne Block und ohne komische Distanz, die plötzlich wieder zwischen mir und Pascal war.

Ich setzte mich wieder auf das Sofa und nippte an dem Bier, schmeckte okay, wenigstens etwas.

„Hey, ich hab dir noch gar nicht fröhliche Weihnachten gewünscht!“ Martin lächelte und setzte sich neben mich. Er schien immer darauf zu lauern, dass niemand um mich herum war und ich echt schlechte Laune hatte. Ich schaute kurz abwertend in seine Richtung. Fröhliche Weihnachten am Arsch. Ich beobachte weiter finster, wie sich Pascal und Lars prächtig unterhielten. Hrm...

„Du knabberst wieder an der Lars-Pascal-Sache?“ Oh, gut beobachtet, Mister Watson. Aber ich würde ein Scheiß tun und das zugeben. Ich schüttelte den Kopf.

„Hm, weißt du, Lars hat es damals total mit ihm verkackt...“ Als wollte ich das hören und es sah für mich nicht so aus, als hätte Lars irgendwas bei Pascal verkackt. Ich mein, wenn man die beiden da so sah... „Merkt man nicht mehr so, liegt aber Pascal, der ist halt Null nachtragend.“ Das war wahr. Selbst bei mir hatte Pascal schon viel Geduld bewiesen. Aber er sollte es nicht bei Lars tun. Ich hatte keinen Schimmer was da zwischen den beiden vorgefallen war, ich wollte es nicht genau wissen. Aber ich wünschte Pascal wäre bei Lars nachtragend. Etwas erschreckender Gedanke.

„Ich war ja überrascht, als ich die beiden wieder miteinander reden gesehen hab. Ich wäre da bedeutend ungnädiger gewesen...“ Martin schüttelte leicht den Kopf. „Mich hat ja mal ne Exfreundin voll verarscht, das is schon Jahre her, aber wenn ich die heute noch sehe, krieg ich noch Aggros. Keine Ahung, wie Pascal sowas hinkriegt, ich könnte es nicht.“

Und plötzlich hatte Martin eine neue Facette, er war nicht komplett perfekt. Wui. Fand ich gut, ich grinste kurz in seine Richtung, er nahm gerade ein Schluck von seinem Bier.

„Hm, Bier ist leer. Soll ich dir auch n neues mitbringen?“, fragte er zuvorkommend wie Martin nun mal war. Ich nickte und beobachtete wieder Pascal. Er schaute kurz in meine Richtung, aber sofort wieder weg. Verdammt noch mal, was hatte ich denn gemacht? Ich fühlte mich, als hätte ich etwas verwerflichs getan und wurde nun dafür bestraft. Aber ich hatte keinen Schimmer was.

Hypothetisches Teilchen

„Oh, da ist ja mein kleiner Johannes!“ Meine Oma kniff mir, wie noch vor zehn Jahren, in die Wange und ich bekam einen feuchten Schmatzer auf die Wange. Au Mann. Mein Kopf dröhnte und mein Magen machte Revolte. Aber meine Oma wurde nur einmal Achtzig und mein Vater würde mich köpfen, wenn ich wegen der „Party“ gestern heute nicht mitgekommen wäre.

Ich setzte mich an den gedeckten Tisch und hoffte, ich würde ab jetzt in Ruhe gelassen werden. Wir waren keine übermäßig große Familie, aber ich fand, die wenigen Verwandten, die ich hatte, reichten schon völlig.

„Hey, ich geb dir fünfzig Euro, wenn du ein Wort sagst!“, das war Onkel Josef, auch Sepp genannt und den Witz brachte er auf jeder Familienfeier, seit ich nicht mehr sprechen konnte. Darüber lachten konnte ich noch nie. Ich starrte ihn nur finster an.

„Nagut, vielleicht für hundert?“ Haha, ich lach mich tot. Er klopft mir auf die Schulter und setzte sich zum Glück weg. Ich legte meinen Kopf auf meine verschränkten Arme auf den Tisch und schloss die Augen. Ich brauchte ein Aspirin und ein Bett in das ich mich verkriechen konnte, um da still vor mich hinzuleiden.

Ich sollte echt die Finger von Alkohol lassen, anscheinend war ich mittlerweile total unfähig die richtige Menge einzuschätzen. Ich hoffte nur, das Martin gerade auch so litt, wie ich. Gut, nach dem Abend war er mir sympathischer, aber ich wollte nicht der Einzige sein, der so einen krassen Kater hatte.

Der Abend war wirklich ein Reinfall für mich gewesen. Pascal hatte nicht mehr mit mir geredet und ich wusste immer noch nicht warum. Wenn er ein Problem hatte, könnte er es mir doch sagen. Nein, stattdessen musste er mir diesem Lars rumflirten. Und egal, was Martin gesagt hat, die haben geflirtet, nichts anderes. Allein bei dem Gedanken wurde mir noch mehr schlecht, als eh schon. Warum lud er mich ein, wenn er mich dann ignorierte? Und was dachte er sich eigentlich dabei, sich so gut mit seinem Ex zu verstehen?! Sowas tat man nicht.

Ich fühlte mich hundsmiserabel und diese Geburtstagsfeier hier machte es auch nicht besser. Gleich würde es Essen geben und ich hatte keinen Schimmer, wie ich es schaffen sollte nichts davon zu essen ohne dabei unhöflich zu wirken.

Ich hörte Stühle rücken, dass heißt, es hatten sich jetzt alle gesetzt und es ging „offiziell“ los. Mein Vater hatte sich neben mich gesetzt und zischte mich jetzt schlecht gelaunt an.

„Setz dich richtig hin, so benimmt man sich nicht.“ Der hatte leicht reden, sein Kopf fühlte sich schließlich nicht so an, als würde jemand darin Hochhäuser sprengen. Au Mann...

Ich richtet mich aber etwas in meinem ungemütlichen Stuhl auf und schaute auf die Tischdecke. Zu mehr war ich wirklich in der Lage. Nie wieder Alkohol! Ein guter Vorsatz für das neue Jahr, oder? Als würde ich mich daran halten. Das wäre genauso, wie wenn ich sagen würde, ich würde mit dem Rauchen aufhören. Total lächerlich.

„Nina, Robin, setzt euch wieder an den Tisch!“, rief meine Tante aufgebracht und ihre Kinder rannten schreiend um den Tisch. Konnten die nicht ihre Klappe halten? Scheißgören. Ich stützte meinen Kopf auf meine Hände. Gah, jetzt hatte sich Nina hinter meinem Stuhl „versteckt“. Ich war kurz davor, dieses Kind mit meiner Gabel zu bedrohen, wenn es da nicht gleich verschwinden würde!

Zum Glück für dieses dumme, kleine Kind hatte meine Tante, sie endlich eingefangen und packte sie wieder auf ihren Stuhl, genau wie ihren Bruder. Wie konnte man sich freiwillig nur Kinder anschaffen? Ich würde mir das nie und nimmer antun. Währenddessen hatte meine Mutter mit meiner Oma zusammen, dass Essen aufgetragen.

Das Fiese war ja, dass das Essen verdammt gut roch und ich wusste, dass es wohl noch besser schmecken würde. Das Weihnachtsessen bei meiner Oma war immer mit Abstand, dass Beste was das Jahr über zu futtern gab und ich konnte es nicht essen. Argh.

Frustriert starrte ich auf die dampfenden Schüsseln mit Essen und spürte ein ungenehmes Ziehen in meinem Magen. Woah, Pascal würde leiden dafür, dass ich wegen ihm dieses tolle Festmahl nicht zu mir nehmen konnte. Er würde ja SO leiden. Und es war definitiv seine Schuld, wenn er nicht den ganzen Abend an Lars geklebt hätte, hätte ich mich auch nicht so mit Martin betrunken.

„Hast du keinen Hunger, Johannes?“, fragte meine Oma besorgt, der natürlich aufgefallen war, dass ich mir nichts auf mein Teller getan habe. Ich schüttelte den Kopf, ich hatte wirklich keinen Hunger. „Aber Junge, du musst doch essen, du bist sowieso schon so dünn und blass.“ Danke Oma, das wollte ich jetzt hören. Ich schüttelte noch mal den Kopf und versuchte dabei entschuldigend zu lächeln.

„Du isst jetzt was.“, bestimmte mein Vater, der wohl gar nicht einsah, dass das eine total schlechte Idee war und schöpfte mir einfach was auf mein Teller. Ich schaute verzweifelt den vollen Teller an und spürte, wie der Geruch bei meinem Magen nur noch heftige Proteste hervorrief. Fuck.

Ich stand hastig auf, dabei fiel mein Stuhl donnernd um und ich rannte Richtung Badezimmer, mit den Händen vor meinen Mund gepresst. Bitte, lass es mich wenigstens bis ins Bad schaffen!

Ich riss die Badezimmertüre auf, und ließ mich vor der Toilette fallen und kotzte mir meinen Mageninhalt aus, der vermutlich hauptsächlich aus Bier und Punsch bestand. Erstaunlicherweise fühlte ich mich danach wirklich etwas besser. Ich zog die Spülung und zog mich am Fensterbrett hoch, um zum Waschbecken zu torkeln und mir den Mund auszuspülen.

Mein Vater stand im Türrahmen und ich wusste, dass er einfach nur stinksauer war. Ich hatte es verkackt.

„Hausarrest, die ganzen Ferien über und Internetverbot.“ Seine Stimme war ruhig, weil er nicht im Haus seiner Mutter laut werden wollte, aber das machte es nicht besser. Ich schaute ihn entsetzt an. Hausarrest? Ich war doch viel zu alt für sowas. Aber ich hatte keine Zweifel daran, dass er den durchsetzen würde. Immerhin hatte er sich eine Woche lang für die Feiertage freigenommen und er würde drauf achten, dass ich daran nichts rütteln konnte.

Er schüttelte den Kopf und wandte sich dann wieder ab. Verdammter Mist. Ich folgte ihm und spürte den Blick meiner Verwandten auf mich, die alle etwas mitleidig guckten.

„Ach, Johannes, wenn ich gewusst hätte, dass du krank bist, hättest du doch nicht kommen müssen, mein armer Junge!“ Meine Oma war aufgestanden und schob mich in das angrenzende Wohnzimmer zu einem Sofa. „Leg dich hin und ruh dich ein bisschen aus.“ Sie lächelte ihre faltiges Lächeln und ich bekam ein schlechtes Gewissen. Ich hätte mich echt nicht so betrinken sollen.

Aber das Liegen tat gut, ich schloss die Augen und blendete die Geräusche aus dem Nebenzimmer aus. Schließlich dämmerte ich weg.
 

Ich kratzte mich am Kopf und schaute auf meinen PC. Was machte man damit, wenn man kein Internet hatte? Da waren diese Teile doch total nutzlos. Mein Vater hatte mir heute morgen das Kabel gezogen und meine Suche nach ungesichterten Wlan-Verbindungen war leider verdammt erfolglos.

Ich fühlte mich etwas schwammig. Ich hatte komisches Zeug geträumt, glaube ich, wichtiges Zeug. Aber ich konnte mich einfach an nichts konkretes erinnern. Simone kam wieder drin vor und ich wusste, dass es was mit diesem bekloppten Stummsein zu tun hatte. In letzter Zeit hatte ich nicht mehr davon geträumt und auch nicht mehr an Simone gedacht. Es war einfach in den Aufregungen des Alltags untergegangen. So dämlich wie das klang.

Ich runzelte die Stirn. Okay, Simone war immer ein guter Anfang, naja, wie man das sehen wollte. Ich schüttelte den Kopf, es machte alles keinen Sinn, an was ich mich erinnern konnte. So ein Mist.

Ha, ich hatte eine geniale Idee. Ich würde mir jetzt eine Liste mit Stichpunkten anlegen. Beim Geschichten schreiben, sortierte ich mich da auch so.

Ich öffnete OpenOffice und wartete, bis sich ein neues Textdokument geöffnet hatte. Was wusste ich noch alles?
 

Mit Simone auf einem Konzert

Treffen Kumpels von ihr

Komische Typen

Alkohol
 

Ich runzelte die Stirn, mir fielen die Namen der Kerle nicht mehr ein. Es waren gute Freunde von Simone gewesen, aber keine Typen, die was von ihr wollten. Und wir hatten nach dem Konzert noch viel gefeiert. Was war dann? Ah, ich erinnerte mich mit einem Grinsen.
 

Ich mach mit Simone rum

Typen sind weg?
 

Aber wo hatten wir rumgemacht? Es war glaube ich, keine gemütliche Umgebung. Hatte was mit Sträuchern und Steinen im Rücken in Erinnerung. Also draußen. Oh Gott, hatte ich krasses in meiner frühen Jugend gemacht. Ich schüttelte den Kopf mit einer leichten Röte im Gesicht. Das würde ich mittlerweile definitiv nicht mehr tun. Klang zwar spießig. Aber allein der Gedanke, nein Danke.

Was hatte ich heute geträumt? Das war das wichtige, da war der Knackpunkt, ich spürte es. Das andere davor war eher langweilig und unwichtig. Ich seufzte.
 

Simone und ich

Simone ist wichtig?

Sex

Fall ins Wasser
 

Dann nichts mehr. Soweit hatte ich geträumt. Ich checkte es nicht. Was sollte mir das sagen? Das war doch wieder so abstrakter Traumdeuter-Scheiß mit dem ich noch nie hatte was anfangen können. Ich wusste auch nicht, wie viel tatsächlich so passiert war, wie ich es geträumt hatte. Das Konzert hatte es gegeben, dass wusste ich, aber beim Rest? Aber es hatte mit meinem Stummsein zu tun, das wusste ich einfach. Aber was hatte Wasser damit zu tun? Wo kam das überhaupt her? Das Wasser machte einfach keinen Sinn.

Ich gab mich geschlagen, ich kam da heute nicht weiter. Ich speicherte das Dokumente unter bla.odt auf meinem Desktop ab und ließ mich dann in mein Bett fallen. Ich wollte mit jemand über den Traum reden und irgendwie ärgerte ich mich, dass ich erst im nächsten Jahr wieder einen Termin bei Doktor Schwelstein hatte. Die konnte bestimmt was damit anfangen und dann würde das mit dem Sprechen funktionieren, oder?

Vielleicht half es ja was, wenn ich zum Ort des vermeintlichen Geschehens gehen würde. Naja, konnte ich ja machen, wenn mein Hausarrest aufgehoben war. Was auch erst im nächsten Jahr war. Ich fühlte mich gerade, als könnte ich rein gar nichts tun. Das Gefühl machte mich wahnsinnig. Hausarrest und Internetverbot?! Wie bescheuert war das denn...

Irgendwie verspürte ich leichte Aggressionen gegen meinen Vater. Da kriegt man das ganze Jahr gar nichts von ihm mit und dann musste er einem gegen Ende so nerven. Klasse Papa, echt toll.

Schon erstaunlich, wie einen so Kleinigkeiten die Ferien total verderben konnte. Ich stand wieder von dem Bett auf. Ich fühlte mich rastlos, genervt und gelangweilt. So wurde das alles nichts, ich musste mich echt ablenken.

Ich ging nach unten in das Wohnzimmer, niemand zu sehen. Gut, das hieß, das war jetzt mein HD-ready, BlueRay-ready und Xbox3-ready Flachbildfernseher. Zumindest für die nächsten Stunden. Das war das Familiengeschenk gewesen und eigentlich hatte es wirklich Stil.

Ich flänzte mich auf das Ledersofa und schaltete das HighTech-Teil an. Normal war ich nicht so der Typ dafür, der viele Fernseh guckte, aber ich hatte ja wirklich nichts zu tun und bei so einem Fernseher, musste man sich einfach mal einen Nachmittag davor legen und es bewundern. Deswegen legte ich eine neue BlueRay-Disc ein. Ich war froh, dass mein Vater eine Vorliebe für Kriegsfilme hatte, deswegen konnte ich jetzt auch was schön heftiges gucken. Irgendwie wollte ich was destruktives. Zufrieden beobachtete, wie knallhart sympathische Nebenrollen wegbombt wurden und ich fühlte mich etwas ruhiger, auf jedenfall weniger gelangweilt.
 

Etwas hatte ja der Hausarrest, er sorgte dafür, dass ich endlich mal wieder zum Schreiben kann. Zwei Tage vor der Glotze hängen war einfach genug, deswegen hatte ich beschlossen mich wieder kreativ zu betätigen. Das letzte was ich geschrieben hatte, war die Geschichte für Pascal gewesen und die war nicht das, was ich sonst so schrieb. Es war also auch nichts das ich online stellte, sie war nur für ihn gewesen. Ich hoffte, er hatte sie überhaupt gelesen. Ich hatte mir Mühe gegeben. Sowas tolles hat er von Lars bestimmt noch nie bekommen. Wie auch immer...

Ich wollte mal wieder etwas schreiben, dass ich hochladen konnte. Manchmal konnten Leser sehr unleidlich werden, wenn man nicht regelmäßig was hochlied. Sie müssten dann zwar noch bis Januar warten, aber dann gab es besonders viel.

Auf jeden Fall löschte ich gerade mit ein paar Sätzen eine ganze Familie aus und freute mich darüber. Das war richtig anspruchsvoll zu beschreiben, das ging nicht mit zwei Sätzen. Ein Klopfen an meiner Türe riss mich aus meinem Schreibfluss. Ich speicherte kurz, während meine Türe geöffnet wurde. Konnte ja schlecht „Herein“ rufen.

„Tach...“ Da stand Pascal und grinste mich an. Sofort fühlte mich etwas angepisst. Nach vier Tagen ohne Kontakt kam er erst auf die Idee vorbei zu kommen? Warum kam er überhaupt? Ich verspürte den kurzen Impuls ihn rauszuschmeißen. Ich mein, er hatte mich ignoriert, da hätte ich auch das recht ihn meines Haus zu verweisen, oder? Er hatte ja auch keinen Grund gehabt.

„Uhm...“ Er schaute etwas unschlüssig und kurz dachte ich, er geht wirklich, ohne das ich was sagen musste. Dann betrat er das Zimmer doch, als hätte er sich zu einem Entschluss durch gerungen.

„Ich hab dein Geschenk mit dabei... Hab ja die letzten Tage nichts von dir gehört und da dachte ich mir, ich bring es dir vorbei.“, erklärte er schließlich und holte ein schmales Geschenk hervor. Versuchte er mich gerade milde zu stimmen, oder was? Ich nahm das Geschenk trotzdem entgegen und packte es langsam auf. Man konnte schon am Gewicht und der Form erkennen, dass es ne DVD war. Ich war nur gespannt was für eine.

Das Cover war bunt, es war ein fetter Panda darauf zu sehen und darüber stand Kung Fu Panda. Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Das war nicht der Art von Film, die ich gerne schaute.

„Und was sagst du?“

Ich schaute immer noch auf das Cover. War die DVD wirklich für mich gedacht? Irgendwie hatte ich nicht das Gefühl. Wenn ich ehrlich war, ich war etwas enttäuscht. Immerhin, ich hatte ihm eine Geschichte geschrieben...

„Hey, ich wollte, dass du auch mal was zum Lachen hast! Der Film ist echt toll, ich hab den im Kino gesehen und du kannst dich echt nur scheckig lachen!“

Ich fühlte mich voll verarscht. Das war nicht sein Ernst, oder? Und ich dachte eigentlich, dass Pascal mich irgendwie kannte. Er nahm mir die DVD aus der Hand und ich hoffte, das er mir jetzt verkündete, dass das nicht wirklich mein Geschenk war und mir nun ein anderes gab.

„Ich hatte gedacht, dass wir den vielleicht gucken. Soll ich ihn einlegen?“ Ohne meine Antwort abzuwarten machte er einen Schritt auf meinen PC zu. Ich stellte mich dazwischen. Erstens wollte ich diesen Film nicht sehen und zweitens hatte ich wirklich Angst um meinen Computer, immerhin wusste ich was Pascal immer mit seinem anstellte. Ich merkte, wie ich gerade richtig sauer wurde. Der Film war wirklich sein Ernst.

„Was ist denn?“, fragte er mich verständnislos. Ich griff zu dem Block und dem Stift, der auf meinem Schreibtisch lag. ´Du bist ein Idiot.´ Und das meinte ich genau, wie ich es schrieb. Ich packte ihm am Arm, kritzelte ihm noch ein ´Verschwinde!´ hin und zog ihn zur Tür. Ich wollte ihn im Moment echt nicht sehen.

„Warum das denn jetzt?“ Er verstand es wirklich nicht.

´Weil du mich im Moment ankotzt!´ Und ich dir das am liebstens ins Gesicht sagen würde. Aber es ging nicht, ich konnte ja nicht mal schnell genug schreiben, um meine Wut richtig auszudrücken. Verdammte Kacke. Ich war so angepisst von der Situation und vor allem von Pascal, der immer noch nicht wusste, was Sache war.

„Warte mal, wo liegt dein Problem? Gefällt dir das Geschenk nicht?“ Er runzelte die Stirn. Wenn ich reden könnte, würde er nicht so ruhig bleiben können. Dann hätte ich ihn nämlich angeschrieen oder schon längst rausgeworfen. Stattdessen musste ich mich über meinen Schreibtisch beugen und den Scheiß aufschreiben.

`Du hast doch keine Ahnung!!!´, warf ich ihm vor. Er tat immer so, als würde er alles verstehen. Aber offensichtlich verstand er rein gar nichts, der Idiot. Überhaupt nichts.

„Von was?!“

´Allem! Mir! Idiot!!!´ Ich spürte, wie meine Wangen glühten vor Wut und ich beim Schreiben leicht zitterte. Warum konnte man mit dem Kugelschreiber nicht schneller schreiben?!

„Ich versteh kein Wort, Donnie...“

Ich schnaubte abfällig und wütend. Dann wusste er wenigstens, wie ich mich gefühlt habe, als er mich ignoriert hat. Ich hatte auch keinen Schimmer, warum er das getan hat.

„Komm, beruhig dich und sag mir dann, was los ist.“ Ich hatte keine Lust mich zu beruhigen und ich hatte kein Lust auf sein Psycho-Gelaber.

´Du hast mich einfach ignoriert, um dann mit Lars rumzuhängen!!!´ War Lars denn soviel besser als ich? Ich schaute ihn durchdringend an, während er las. Verstand er es jetzt? Er schüttelte den Kopf.

„Ich hatte meine Gründe, außerdem hab ich Lars lange nicht mehr gesehen.“ Jetzt klang er auch nicht mehr ganz so ruhig, das brachte mir etwas Genugtuung, es war unerträglich mit jemand zu streiten, der einfach nicht wütend wurde.

´Was für Gründe denn?!´ Müssen ja tolle Gründe sein, so toll, dass ich sie nicht verstehen konnte. Ich bebte am ganzen Körper. Ich hatte mich schon lange nicht mehr so aufgeregt. Und Pascal tat so, als wäre nichts.

„Du willst wissen warum?“ Seine Stimme hatte einen aggressiven Unterton und plötzlich war ich nicht mehr sicher, ob ich das wirklich wissen wollte. Er wartete aber meine Reaktion gar nicht ab.

„Ich sag dir, warum. Weil ich dich nicht mehr ertragen habe! Deine ignorante Art, wie du ständig Andeutungen machst und dir rein gar nichts dabei denkst! Was glaubst du, wie ich mich da fühle, hm? Ich hatte einfach keinen Bock mehr auf deine dummen Spielchen. Ich lass sowas einfach nicht mit mir machen!“

Ich starrte ihn nur völlig entsetzt an. Ich wusste nicht wie ich darauf reagieren sollte. Langsam dämmerte mir aber auf was er hinaus wollte.

`Du stehst auf mich...´, teilte ich ihm meine schockierende Erkenntnis mit.

„Verdammt, was dachtest du denn?!“ Pascal schaute mich nur fassungslos an und fuhr sich durch seine Haare. Er schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Du machst es einem so verdammt schwer von dir los zu kommen. Das ist nicht fair. Das ist richtig Scheiße!“

Ich schüttelte nur den Kopf. Mir war nicht klar gewesen, dass er wirklich auf mich stand. Es hatte nie wirklich den Eindruck auf mich gemacht. Klar, hatte ich mir da Gedanken darum gemacht, aber alles hatte dagegen gesprochen. Fuck, wie konnte ich so blöd sein?!

´Entschuldigung.´ Mir schien das das Einzige zu sein, was ich noch sagen konnte. Pascal las sich das Wort durch und er atmete tief durch, schaute mich dann unvermittelt an.

„Meinst du das ehrlich?“, seine Stimme klang unsicher, als würde er mir das nicht ganz glauben. Aber ich nickte. Es tat mir wirklich leid. Ich hätte mich definitiv anders verhalten, wenn mir klar gewesen wäre, was Sache war. Er schaute mich forschend an, als wollte er in meinem Augen nochmal die Bestätigung sehen, wandte dann aber schließlich den Blick ab und fuhr sich schon wieder durch die Haare.

„Wie wär´s wenn wir jetzt den Film gucken, du darfst auch die DVD einlegen...“ Er lächelte kurz, aber man sah, dass ihm der Streit noch zu schaffen machte. Allerdings wirkte er für den Moment besänftigt. Ich nahm die DVD, die während unseres Streits auf dem Schreibtisch gelandet war und legte sie ein. Egal, ob ich den Film mochte oder nicht. Es war auf jeden Fall etwas, dass uns ablenkte. Und genau das brauchten wir jetzt.

Wir saßen beide wieder auf meinem Bett mit dem Rücken zur Wand und starrten konzentriert auf den Monitor, naja, mehr oder weniger konzentriert. Ich linste immer wieder zu ihm rüber. Er war tatsächlich so begeistert von dem Film, wie er mir erzählt hatte und ich konnte mich nicht mal ansatzweise darauf konzentrieren. Ich mein, Pascal stand auf mich. Das musste ich wirklich erst noch verdauen. Es war anders, als er mir mitteilte, dass er schwul war. Eigentlich hatte das keinen Bezug auf mich gehabt, damals. Aber jetzt, das ging mich ja direkt etwas an, wenn er auf mich stand, oder? Ich merkte aber selbst, dass es mich eher faszinierte, als abschreckte. Eigentlich war es doch irgendwo ein Kompliment, wenn sogar Typen einen attraktiv fanden. Allerdings wusste ich nicht wirklich, wie ich nun damit umgehen sollte. Ich war froh, dass wir noch nebeneinander sitzen konnten und es irgendwie okay war. Aber es war definitiv seltsam.

Wie das wohl für Pascal war? Es muss richtig beschissen sein, wen man auf jemand stand, der ständig um einem rum war und man chancenlos war. Wenn ich in seiner Lage gewesen wäre, hätte ich den Kontakt schon längst komplett abgebrochen.

Pascal schaute kurz mit einem Grinsen in meine Richtung. Das Grinsen kam vom Film, irgendwas lustiges war passiert. Er bemerkte meinen forschenden Blick. Ich wollte rausfinden, wie er sowas aushielt. Sein Grinsen wurde zu einem unsicheren Lächeln, dann schaute er wieder den Film.

Ich mochte es, wenn er mich anlächelte. Es war ein ehrliches Lächeln und es hatte immer eine beruhigende Wirkung auf mich. In dem Moment war mir auch klar, dass Pascal vermutlich gar nicht so chancenlos war, wie ich selbst immer gedacht hatte. Allerdings hatte ich nicht vor, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, nicht jetzt.

Ich lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf den Film, der tatsächlich nicht so schlecht war, wie ich gedacht hatte. Gerade erzählte das alte, weiße Eichhörnchen, oder was das für ein Tier war, dem Panda etwas über deine Drachenrolle. Dann kam eine Stelle, die ich wirklich lustig fand.

Ich wandte mich Pascal zu, der immer noch in den Film vertieft war und packte einen Finger von ihm mit dem Wuxi-Fingergriff. Pascal schaute mich nur total perplex an und versuchte seinen Finger wegzuziehen. Ich grinste fies und wackelte mit dem kleinen Finger. Ich hätte jetzt gerne gesagt: „Du weißt was passiert, wenn ich den Finger krümme?!“ Aber das verstand man sicher auch so.

„Du bist so doof.“, meinte Pascal leicht amüsiert und zog schließlich doch seinen Finger weg. Ich grinste ihn nur breit an. Er schüttelte leicht den Kopf und boxte mich gegen die Schulter. Die Anspannung des Streits war weg und ich war wirklich froh, dass Pascal vorbei gekommen war. Ehrlich.

Hertzsprung-Russell-Diagramm

Ich stand im Badezimmer und putzte mir die Zähne. Ich hatte heute Nacht nur wirres Zeug geträumt, fliegende Pandas und Pascal war ihr Anführer und zusammen wollten sie einen magischen Bambusstab klauen, oder so ähnlich. Zur Zeit träumte ich echt oft von Pandas...

Von Simone und DEM Ereignis hatte ich nichts mehr geträumt. Ich war da immer noch kein Stück weiter. Was zum Henker hatte Wasser damit zu tun?

Ich spuckte den Zahnpastaschaum ins Waschbecken und spülte mir den Mund aus. Kurz blickte ich in den Spiegel, um zu kontrollieren, das mir keine weißes Zeug mehr im Gesicht hängt. Dann fiel es mir wieder ein. Die Typen, die Kumpels von Simone, die hatte mir über den Zaun vom Freibad geholfen. War vermutlich ne saublöde Aktion, aber wir waren in dem Freibad gewesen. Also war wirkliches, echtes Wasser im Spiel gewesen? Nicht diese metaphorische Traumscheiße? Hm... änderte das was? Nicht wirklich, ich verstand es immer noch nicht. Kein Mensch wurde von ein bisschen Wasser stumm. Vielleicht war es ja verseucht und ich war jetzt ein Stummmutant oder total bescheuert? Ich schüttelte den Kopf.

Erstmal frühstücken. Mit leeren Magen ließ sich sowieso nicht denken und Frühstück war eine wichtige Grundlage für den Tag und so. Ich schlürfte nach unten, ein Blick auf die Küchenuhr sagte mir, dass wir kurz nach Zehn hatten. Langsam bekam ich das mit dem lange Schlafen wirklich hin.

„Morgen, Schatz.“, begrüßte mich meine Mutter mit einem Lächeln. Sie saß am Frühstückstisch und trank ihren Tee, neben ihr die Zeitung.

Ich hob die Hand zum Gruß und setzte mich zur ihr an den Tisch. Ich hatte das Gefühl, dass sie sich in letzter Zeit nicht mehr soviele Sorgen um mich machte. Zumindest schaute sie mich nicht immer mit diesem besorgten, mütterlichen Blick an.

„Ich hab vorhin nochmal mit Irene telefoniert.“ Meine Mutter war aufgestanden und hatte die Kaffeemaschine eingeschaltet. Sie selbst mochte keinen Kaffee, wusste aber, dass ich sonst kaum in die Gänge kam. „Sie haben definitiv keinen Platz im Haus mehr, wegen heute.“

Irene war die beste Freundin und meiner Mutter und sie feierten nun seit knapp zwanzig Jahren immer Silvester gemeinsam. Dieses Jahr war geplant, dass wir zu ihnen fahren. Naja, das meine Eltern und Jana zu ihnen fuhren. Ich hatte schon vor Wochen schon gesagt, dass ich an Silvester bei Pascal sein würde. Nur hatte der überraschende Hausarrest die Sachlage verändert. Mein Vater hatte dann in all seiner väterlichen Weisheit entschieden, dass ich einfach zu Irene und ihrer Familie mit sollte. Naja, hätte er das besser mit Irene abgesprochen. Die hatte jetzt nämlich angeblich keinen Platz mehr. Wobei ich ja glaube, das meine Mutter da ihre Finger im Spiel hatte. Sie wollte wohl, dass ich zu Pascal ging. Ich hatte mittlerweile das Gefühl, dass sie ihn irgendwie mochte oder zumindest wusste, dass es irgendwie an Pascal lag, das es mir besser ging. Außerdem, wer feierte mit siebzehn noch mit seiner Familie zuhause Silvester? Ich machte das schon seit drei Jahren nicht mehr...

„Ich finde allerdings, du solltest an Silvester nicht alleine sein.“ Sie stellte mir eine Tasse Kaffee hin, mit zwei Löffel Zucker und viel Milch, sowie ich ihn am liebsten trank. Ich lächelte sie an. Manchmal konnte meine Mutter richtig cool sein. Sie wuschelte mir durch meine Haare und ich versuchte verzweifelt sie wieder richtig hinzustreichen. Manchmal...

„Ich bring dich nachher zu Pascal, okay? Und keine Sorge, ich regel das schon mit deinem Vater.“ Ich grinste. Eigentlich hatte ich mir schon einen langweiligen Spieleabend und ein mickriges Feuerwerk, mickrig weil die Tochter von Irene Angst vor Feuer hatte, eingestellt. Aber das war doch eine ganz passable Entwicklung der Dinge, oder? Hm...

Ich hatte Pascal seit seinem Besuch vor ein paar Tagen nicht mehr gesehen und eigentlich war das auch gut so. Nicht, weil ich jetzt wieder plötzlich was gegen Pascal hatte, sondern gerade deshalb, weil ich nichts dagegen hatte. Das war etwas verwirrend.

Pascal war das, was ich nie haben wollte, aber einen neugierig machte, wenn man es plötzlich haben konnte. Das war, als wäre man fest davon überzeugt nie einen iPod haben zu wollen, aber wenn man dann einen gratis angeboten bekommt, sagte man auch nicht Nein, oder? Na gut, nur das man in dem Fall keinen iPod bekam, sondern einen Kerl.

Ein Kerl, verdammt! Na gut, Pascal, er war zumindest nicht irgendein Kerl. Es lag nur daran, dass es Pascal war. Vielleicht hatte er mich ja angesteckt, also ich hatte nur an ihm Interesse, weil ich Chancen hatte. Im Prinzip war das doch dann ansteckend, das Schwulsein, oder?

Ich schüttelte leicht irritiert meinen Kopf und biss in mein Marmeladenbrötchen, dass ich mir gerade gestrichen hatte. Ich war erstens nicht schwul und zweitens war sowas nicht ansteckend. Und wenn jetzt jemand damit ankam, dass es normal war, wenn man sowas am Anfang verleugnet, verstand er es nicht. Ich stand auf Mädchen, ich hatte gerne Sex mit ihnen und daran würde Pascal auch nichts ändern. Bloß weil ich ihn gerade... interessant fand.

Ich sollte mir keine Gedanken darum machen, unsere Freundschaft war doch okay so, wie sie war. Und bloß weil Pascal schwul war und auf mich stand, sollte ich das nicht als eine Einladung sehen und ihn ausnutzen. Wenn man davon absieht, dass ich nicht mal wusste, ob ich das wollte.

Vermutlich schon, wenn ich mir Gedanken darüber machte.

Wobei ich ja sagen musste, dass ich ihn nicht wirklich als gutaussehend empfand. Es war etwas komisch zu erklären. Ich fand ihn rein äußerlich nicht anziehend. Selbst wenn er ein Mädchen gewesen wäre, wäre er nicht mein Fall gewesen. Braune Haare, Durchschnittsgesicht und dann war er auch noch größer als ich. Gut, es war kein Kunststück größer als ich zu sein, aber meine Freundinnen waren immer kleiner gewesen. Ich fand rein gar nichts an ihm sexy. Außer seine Art mit mir umzugehen...

„Ich würde dich in einer Stunde fahren, okay?“ Meine Mutter stand schon an der Spüle und tat irgendwelche Hausfrauendinge. Ich nickte kurz und ging wieder nach oben. Ich sollte noch duschen und mich ein bisschen rausputzen. Immerhin war das eine wirklich große Party. Wenn ich das richtig verstanden hatte, war sie größer als die von Jonas Geburtstag, was ich mir kaum vorstellen konnte. Auf jeden Fall freute ich mich auf die Feier und das angesagte riesige Feuerwerk.
 

„Ah, ein neues Opfer ist eingetroffen!“ Martin lachte in ein irres Comic-Bösewicht-Lachen und ich fragte mich kurz, ob ich nicht sofort wieder in das Auto meiner Mutter steigen sollte, um doch mit z Irene zu kommen. Martin hatte mir die Türe geöffnet, anscheinend herrschte im Haus schon geschäftiges Treiben. Also nicht die Party, die würde erst in sechs Stunden los gehen. Aber so eine große Party musste ja vorbereitet werden und anscheinend wurde ich gerade dafür eingespannt.

Martin schob mich einfach in das Haus, wo ich die aus der Band sah, wie sie einen kleinen Bandbereich im Wohnzimmer aufbauten. Dafür musste das Sofa und eine Kommode in den Gang ausweichen. Immens was die hier veranstalten und was Pascals Eltern da erlaubten.

„Seht mal, wenn ich vor der Türe aufgegabelt habe!“ Kurz schaute Doro auf und winkte mir zu. Babsi war zu beschäftigt ihr Schlagzeug richtig einzustellen und endlich sah ich auch die Person, wegen der ich eigentlich hier war.

„Oh Donnie, du bist doch gekommen! Ich dachte du hast Hausarrest.“ Pascal kam auf mich zu und schien sich wirklich zu freuen, umarmen tat er mich trotzdem nicht. Er hielt mich auf Abstand. War vielleicht besser so, aber nur vielleicht. Ich lächelte ihn an. Immerhin war ich hier.

„Naja, du kannst mir helfen, die Boxen und Verstärker nach oben zu tragen. Ich dachte schon, ich müsste das alleine machen.“ Er ging einfach und ich war überrascht. Normal hatte eine Begrüßung mit Pascal immer etwas mit Körperkontakt zu tun oder zumindest mit Nähe, aber nichts.

Wir gingen nach unten in den Kelller, wo schon im Gang die Boxen und die Verstärker standen. Die waren ja schon wirklich fleißig gewesen.

„Nimm die Verstärker, die sind etwas handlicher.“, erklärte er und ich fühlte mich immer noch irritiert. Pascal war gefühlsmäßig noch nie soweit weg. Das hatte ich nicht erwartet. Ich beobachtet wie er sich einer der großen Boxen nahm und damit die Treppen wieder hoch ging. Vielleicht sollte ich auch mal was nützliches tun. Ich packte die Verstärker und ging auch nach oben. Solange ich das Zeug nicht anschließen musste, war ja alles okay.

„Einfach darüber.“, erklärte mir Doro, die gerade den Mirkofon-Ständer aufstellte. Pascal war schon wieder auf den Weg nach unten. Mensch, musste der die ganze Zeit weglaufen. Ich beeilte mich, ihm nach zu kommen. Manchmal konnte es einem Pascal echt schwer machen.

„Kannst du die Box tragen? Dann nehm ich noch die andere und wir haben es hier unten endlich mal geschafft.“ Ohne auf meine Antwort zu warten, war er auch schon wieder unterwegs nach oben. War der auf der Flucht oder was? Ich hatte doch nicht vor ihn zu beißen. Also eventuell... also, nein, ich wollte ihn nicht beißen. So ein Schwachsinn.

Die Box war wirklich unhandlich und sperrig, ich hoffte nur, dass es mich nicht unelegant auf die Schnauze haute. Würde mir gerade noch fehlen. Ich schaffte es allerdings mit meiner immensen Geschicklichkeit tatsächlich unbeschadet oben anzukommen.

„Du siehst aus wie eine Box auf zwei Beinen!“ Martin lachte und ich wollte ihn mit etwas großem Schwerem bewerfen, aber ich glaube, das würde man mir übel nehmen. Ich stellte das Teil mit einem Ächzen ab und funkelte Martin missgelaunt an.

Irgendwo im Haus klingelte ein Telefon und ich sah nur noch, wie Pascal wieder verschwand. Hey, Halt! Du kannst mich doch nicht mit Martin alleine lassen!

„Wir machen die Bettenlager!“ Martin hakte sich bei mir ein und zog mich einfach nach oben. Bettenlager? Das klang wie Zeltlager nur mit Betten. Was für ein sinnloser Gedanke.

„Also wir müssen hier einfach alles an den Rand schieben, damit die Leute hier Platz haben ihre Isomatten auszurollen.“, wurde ich in die anspruchsvolle Aufgabe eingewiesen. Das Zimmer sah aus wie eine Bastel-Nähkammer. Ich vermutete mal, dass war der Hobbyraum von Pascals Mutter.

Wir schoben einen Schreibtisch beiseite und stellten Kisten, die rumstanden darunter. Das war es dann auch schon. Musste aber auch gemacht werden. Ich wusste gar nicht, dass man für eine Party soviel vorbereiten musste.

„Martin?“ Jonas schaute suchend in den Raum. Wir blickten beide auf, gerade hatten wir überlegt, was wir mit der Nähmaschine machen sollten. Also viel mehr hatte Martin laut nachgedacht und ich stand nur da und hatte genickt oder den Kopf geschüttelt.

„Ah, da bist du, wir wollen los. Einkaufen.“

„Kriegst du das noch alleine hin?“, fragte Martin und ich nickte geistesabwesend. So komplex war die Arbeit ja nicht.

„Wir sind so in einer Stunde, oder so, wieder da.“, erklärte mir Jonas noch kurz und ich gab wieder nur ein Nicken zur Antwort. Ich schaute mich in dem Zimmer um und seufzte. Eigentlich war ich nicht hergekommen, um dumme Nähmaschinen vor Betrunkenen zu verstecken. Ich wollte eigentlich nur zu Pascal und der verschwand die ganze Zeit. Und jetzt gingen auch noch die anderen, ich mein, selbst Martin war weg und der hing mir sonst immer an der Backe, wenn ich mal alleine rumstand. Ach Mann. Ich hob die Nähmaschine vom Schreibtisch und stellte sie einfach hinter ein paar Kisten. Da würde ihr schon nichts passieren. Ich fand, damit war meine Arbeit getan. Ich würde jetzt Pascal finden und mich an ihn heften, ob er wollte oder nicht.

Er saß auf der Couch im Gang, die normalerweise im Wohnzimmer stand, und legte gerade das Telefon auf.

„Au Mann... so ein Stress.“ Er seufzte und ließ sich nach hinten in das Sofa fallen. Ich setzte mich neben ihn. Jetzt würde er mich nicht mehr los werden.

„Es haben sich gerade noch ein paar gemeldet, die jetzt doch übernachten wollen, wegen den glatten Straßen und so.“ Pascal schüttelte kurz den Kopf. „Egal, notfalls stapeln wir, oder was meinst du?“

Ich zuckte nur mit den Schultern. Was meinte ich? Ich war etwas eingenommen von seinem Grinsen und ich wusste, dass dieses Grinsen sonst nie so eine Wirkung auf mich hatte. Mist. Ich wich seinem Blick aus.

„Ich frag mich, warum denen das erst kurz vor der Party einfällt. Die wissen doch, wie das Wetter im Winter ist... da ist es immer glatt!“ Er überging es, dass ich es diesmal war, der keinen Augenkontakt aufbauen konnte. Ob es für ihn wohl auch so war in letzter Zeit? Es war wirklich komisch, jemand so nahe bei sich zu haben und trotzdem das Gefühl zu haben, als lägen Welten zwischen einem. Ich schaute ihn an. Er war nicht attraktiv, aber wenn er lässig in dem Sofa saß und sich über Gäste aufregte, wirkte er anziehend. Vermutlich einfach, weil meine verflixten Hormone mit mir durchgingen und ich Pascal mochte. Also mögen im Sinne von, er war mir wichtig und ohne ihn würde ich vermutlich einfach eingehen. Ich rutschte etwas nervös auf der Couch hin und her. Mir war der Gedanke unangenehm, oder vielleicht traf es befremdlich besser. Ich stand einfach nicht auf Kerle. Wenn ich Martin ansah, sah ich eine geschwätzige Nervensäge, wenn ich mir Victor anschaute, war das der unhübsche Kerl, der meine Schwester... arg. Nein, nicht über Victor nachdenken. Raphael, der Kumpel von Victor, der war für einen Typ bestimmt gutaussehend, ich fand aber, er war nur ein Frauenheld, der eine Spur zu sehr auf sein Aussehen achtete. Bei Pascal war das anders.

Vielleicht lag es ja daran, dass wir uns mittlerweile so gut kannten und er in so manchen Abgrund meiner Seele schauen durfte. Es herrschte ein gewisses Vertrauen zwischen uns. Aber der Umstand das Pascal schwul war, hatte irgendwie alles verändert. Das war irritierend.

„Wenn der Martin noch bei uns pennt und die Julia mit der Tanja auf dem Sofa, sollte das mit dem Platz alles hinhauen.“ Ich hatte ihm nicht zu gehört und schaute nur verwirrt. Martin sollte bei uns im Bett schlafen? Bei uns... wie das klang. Okay, Martin war stockhetero und sowie ich das mitbekommen hatte, nie wirklich lange Single, aber ich wollte ihn definitiv nicht in meinem Bett haben. Ich schüttelte den Kopf.

„Nicht gut?“, fragte Pascal, der sich tatsächlich den Kopf darüber zerbrach, wie er die doofen Leute hier überall unterbringen konnte. Merkte er gar nicht, was in mir vor ging? Verdammt.

„Vielleicht könnten wir auch...“

Sein Mund öffnete sich und schloss sich wieder und ich schaute fasziniert auf seine Lippen. Ich fühlte mich etwas unkonzentriert. Das war echt kein Zustand. Ich beobachtete ihn, wie er das Gesagte immer noch mit Gesten unterstrich. So ging das einfach nicht.

„Donnie?“ Pascal hatte wohl bemerkt, dass ich null bei der Sache war. Ich grinste ihn kurz an und merkte, dass mich sein Lächeln unruhig machte. Verflucht, ich hätte es wissen müssen!

„Was hälst du davon, wenn...“ Es ging nicht mehr. Ich beugte mich zu ihm, er hatte aufgehört zu reden und schaute mich irritiert an. Ich fühlte mich völlig planlos und irgendwie verwirrt, trotzdem wusste ich genau was ich wollte. Eine seltsame Mischung und ein seltsames Gefühl, als meine Lippen, die von Pascal berührten. Seine Lippen waren trocken und schmeckten nach nichts. Und bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, wurde ich weggestoßen. Scheiße. Ich starrte ihn entsetzt an und bekam nur ein ebenso schockierten Blick zurück. Pascal brach als erster den Blickkontakt ab.

„Also sorry, das geht gar nicht...“ Er schüttelte leicht den Kopf und stand auf. Verdammt, ich verstand es nicht. War das jetzt eine Abfuhr gewesen? Das konnte doch nicht sein. Das machte überhaupt keinen Sinn. Er hatte selbst gesagt, dass er auf mich stand. Warum wehrte er mich dann ab? Ich wollte ihn fragen, was das sollte. Ihn fragen mit gesprochnen Worten.

„Du, ich werd noch ein paar... Dings... Ach, egal, du kannst hier sitzen bleiben.“ Eine absolute Abfuhr und er schaute mich nicht mal dabei an. Ich beobachtete wie er die Treppen hoch ging und ich hätte am liebsten geheult. Was zum Henker war falsch gelaufen?

Quark-Antiquark-Paare

„Hat eigentlich wer den Jack Daniels für den Steffen gekauft?“ Doro lief an mir vorbei, bepackt mit Essen, neben ihr Julia, die auch eine hohe Futterpyramide vor sich her balancierte.

„Wer ist Steffen?“, kam es von Martin, der schon seinen zweiten Bierkasten reintrug.

Ich saß einfach da und beobachtete sie. Die letzte halbe Stunde hatte ich damit verbracht mir den Kopf zu zermattern, was da passiert war. Pascal war in der Zeit nicht mehr aufgetaucht und ich war nur dagesessen, unfähig irgendetwas zu machen oder es zu verstehen.

Er lief an mir vorbei und ignorierte mich, nahm Martin den Getränkekasten ab.

„Steffen hat heute Geburtstag...“, erklärte er ihm dabei und lächelte, so als wäre rein gar nichts gewesen. Es bildete sich ein Kloß in meinem Hals.

„Das sagt mir jetzt viel.“ Martin verdrehte die Augen und marschierte wieder nach draußen, um neues Zeug anzuschleppen. Niemand schien zu bemerken, dass ich hier einfach saß und kurz vorm Heulen war. Ich wurde von niemanden dazu aufgefordert mit zu helfen und ich fühlte mich gerade furchtbar fremd unter den Leuten hier.

Gerade als die endlich mal ihr ganzes Zeug ins Haus gebracht hatten und ich dachte, ich würde jetzt ein bisschen Ruhe um mich haben und vielleicht damit auch in meinen Gedanken, klingelte es an der Türe und die Situation verschlechterte sich nochmals um einige Stufen.

Jonas öffnete die Türe und es standen ein paar Typen davor, die meisten kannte ich nicht, aber den einen kannte ich.

„Lars, Alter, doch im Lande?“ Jonas boxte Lars gegen die Schulter und dieser lachte sein dunkles Lachen. Wenigstens war seine Stimme zu kratzig, als das sie toll klingen würde.

„Sicher, kann doch nicht die Party des Jahres verpassen!“ Haha, Schleimer. Fick dich ins Knie. „Wo iss´n der Pascal? Würd ihm gerne Hallo sagen.“ Und er grinste dabei, als sei Hallo ein Synonym für Ficken. Wie konnte so ein Typ Pascal küssen dürfen? Er war... er passte überhaupt nicht zu ihm, nur schien das jeder zu ignorieren.

„In der Küche. Er freut sich sicher, dich zu sehen.“ Jonas lächelte und irgendwo war das der Punkt, dass es zuviel wurde. Ich wollte hier echt nicht mehr bleiben. Ich erhob mich von dem Sofa und ging zur Gaderobe, um in meinen Mantel und die Schuhe zu schlüpfen.

Bescheuert nur, dass mich niemand abholen konnte und heute keine Busse fuhren. Aber das war mir egal, ich würde die zehn Kilometer eben laufen. Das war mir lieber, als hier noch länger zu bleiben. Das war doch alles nur Scheiße, total gequirlte Scheiße.

Ich stapfte mit verbissener Entschlossenheit die Hauptstraße entlang. Ich kannte den Weg, den ich gehen musste, ziemlich gut, immerhin hat mich Pascal schon oft hier entlang gefahren. Es war noch nicht richtig dunkel, also würde ich wohl die ersten zwei Kilometer noch bei Licht schaffen. Was ich doch für ein wahnsinniges Glück hatte. Ich merkte, das ich zitterte. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass es so scheiße kalt war oder weil ich mich so elend fühlte. Vermutlich eine Mischung aus beidem. Ich brauchte eine Zigarette. Ich blieb einfach stehen und frimmelte die Kippen aus meiner Hosentasche raus. Meine Finger wurden kalt, als ich die Handschuhe auszog, um mir die Kippe richtig anzünden zu können. Aber das konnte ich in Kauf nehmen.

Ich ging weiter mit der Kippe im Mund und bildete mir ein, dass mir das Laufen gut tat. All diese wundervolle, verfickt, kalte Luft, die meine Nase und Wangen einfror. Einfach herrlich, zum Flauschen und Liebhaben. Genau wie ich.

Es hupte und ich ignorierte es, hörte aber wie ein Auto neben mir stehen blieb. Trotzdem ging ich weiter. Eine Autotür wurde geöffnet.

„Donnie!“

Ich beschleunigte mein Tempo etwas. Ich würde heim laufen, komme was wolle. Ich musste mir nicht noch eine verkorkste Party antun, davon hatte ich in letzter Zeit echt zu viele. Und das die Party nur verkorkst werden konne, war ja klar.

„Komm, bitte warte... wir müssen reden.“ Pascal musste dicht hinter mir sein, seine Stimme war leise und klang erschöpft. Ich blieb stehen. Reden? Wie denn und was? Es war doch alles geklärt, ich war abgeblitzt, warum auch immer, und damit hatte sich einfach alles erledigt, was es zwischen uns je gegeben hatte.

„Du willst doch nicht ernsthaft heim laufen.“ Oh doch, und ob ich das wollte! Na gut, eigentlich war meine Motivation nicht so groß, wie ich es gerne hätte. Aber es war heute auch scheiße kalt. Ich zog an meiner Zigarette, ich bemerkte wie meine Hand zitterte. Scheiße war das alles, eine verfluchte Scheiße.

Ich drehte mich um und ging ohne Pascal anzusehen zu seinem Auto. Bevor ich einstieg, trat ich noch meine Zigarette aus und ließ mich dann auf den Nebensitz fallen. Gut, sollte er sein „Gespräch“ bekommen. Da war ich ja mal gespannt.

Er setzte sich hinter das Steuer und startete den Wagen. Wir schwiegen uns an, während er auf einem Feldweg umdrehte und wieder in Richtung seines Hauses fuhr. Wäre auch zu nett gewesen, wenn er mich einfach heim gebracht hätte. Wobei ich mich fragte, warum er das nicht getan hatte. Dann hätte er mich los gehabt und das wollte er doch, oder nicht?

Er hielt vor dem Haus und immer noch herrschte Schweigen im Auto. Da er keine Anstalten machten auszusteigen, blieb ich auch erst mal sitzen. Immerhin wollte er reden und das war mir hier im Auto im Dunkeln lieber, als drinnen, wo überall Leute waren.

„Was denkst du dir eigentlich?“ Er schaute mich unvermittelt an und ich hätte mir gewünscht seinen Gesichtsausdruck im Dunklen erkennen zu können. Ich wusste nicht, ob er wütend war oder irritiert oder was ganz anderes, seine Stimme verriet es nicht. Und die Frage? Was hatte ich mir gedacht? Nicht viel, aber ich hatte es für eine gute Idee gehalten, irgendwie.

„Jo, du stehst nicht auf Kerle...“ Er sagte es in einem Tonfall, der einfach nur unheimlich weh tat. Klar, ich stand eigentlich nicht auf Kerle, aber Pascal war einfach eine Ausnahme. Verstand er das nicht? Verstand ich es? Au mann, beschissene Situation.

„Es... es... weißt du, ich hab mich schon öfter in Heteros verguckt. Das passiert mir halt einfach, aber ich denk mir dann nicht, ja, den pol ich um, weil sowas geht nicht. Ich versuch halt einfach wieder davon loszukommen, das geht normal immer... Aber du...“ Pascal hatte bis jetzt seine Hände mit den Lenkrad umklammert und stur gerade ausgesehen. Er blickte kurz in meine Richtung, ich konnte aber nicht mehr als ein Schemen erkennen. „Wenn ich dir sage, ich bin schwul und steh auf dich, dann wäre es doch normal, dass du etwas Abstand nimmst und mir klar machst, dass ich keine Chancen habe. So macht man das! Man kuschelt sich nicht nachts an einen! Weißt du eigentlich, wie ich mich gefühlt habe? Ich dachte, ich sterbe gleich oder werde wahnsinnig, oder beides! Das war so hart...“ Er schüttelte leicht den Kopf und ich beobachtete ihn nur. Mir war nicht klar gewesen, dass es so eine Tortur war von mir umarmt zu werden. Ich hatte mir wirklich im Allgemeinen nicht viel bei Pascal gedacht... Ich schluckte. „Die letzten Tagen... ich war immer wieder davor, einfach alles hinzuschmeißen. Ich dachte ja, dass du endlich damit aufhörst, jetzt wo dir auch mal klar geworden ist, dass ich auf dich stehe... Aber du machst alles nur noch schlimmer!“

Er ließ das Lenkrad endlich los und ließ sich mit einer hilflosen Geste mehr in seinen Sitz fallen. Ich hätte gerne etwas gesagt und dieses abartige Schweigen im Auto gekillt. Es war fast unerträglich und ich konnte nicht mal sein Gesicht sehen, ich konnte ihm nicht einmal etwas schreiben, weil es hier so dunkel war. Ich hörte wie er atmete und diesmal beruhigte es mich nicht. Ich fühlte mich völlig aus der Bahn geworfen. Irgendwie, ich wollte was daran ändern, ich streckte meine Hand nach ihm aus, um wenigstens so Kontakt mit ihm aufzubauen. Vielleicht würde das die Situation entschärfen. Warum zum Teufel konnte ich nichts sagen? Es war wichtig. Ich berührte seine Hand und er schlug sie einfach wieder weg. Er schaute zu mir.

„Was glaubst du, was passiert wäre, wenn ich den Kuss erwidert hätte? Du machst dir doch gar kein Bild davon, was es für Konsequenzen hat, wenn du einen Kerl küsst. Wie weit würdest du gehen? Küssen, klar, da ist nicht viel dabei... Aber ich mein, wenn du nicht auf Typen stehst, kannst du nicht weiter gehen. Das hat so keinen Sinn!“

Scheiße. Totaler Bockmist. Ich schüttelte den Kopf. Er redete völligen Blödsinn und ich konnte es ihm nicht klar machen. Schlimmer konnte die Situation doch nicht werden, oder?

„Ich will mir keine Hoffnungen machen, wenn es einfach keine Chance gibt...“

Und wieder Stille. Sie erfüllte das kleine Auto und wurde schwerer und schwerer. Ich hatte das Gefühl, als würde sie mich einfach völlig erdrücken und mir die Luft nehmen. Ich musste raus aus dem Auto, ich musste eine rauchen. Und vor allem musste ich weg von Pascal, der mit hängenden Schultern da saß und vor sich hinstarrte. Er war vollkommen von dem überzeugt, was er gesagt hatte und nichts würde daran ändern. Ich konnte alles nur noch schlimmer machen und ehrlich, dass war ein verflucht beschissenes Gefühl.

Ich öffnete die Autotür, nahm meinen Rucksack und ging zielstrebig Richtung Garten. Ich spürte wie mir etwas warmes über die Wangen lief und wusste, das ich weinte. Zum Glück konnte es Pascal und auch sonst niemand sehen. Dunkelheit hatte wohl auch seine Vorzüge. Ich stellte mich in den Garten etwas außerhalb des Terrassenlicht und zündete mir mit zittrigen Fingern eine Zigarette an. Von drinnen hörte ich Leute und konnte sehen, wie die Party schon im vollen Gange war. Beste Party des Jahres? Auf jeden Fall nicht für mich. Ich drehte dem ganzen den Rücken zu und nahm einen tiefen Zug von meiner Kippe. Ich beobachtete wie der Rauch mit meinem Atmen vermischt nach oben stieg. Man sah vereinzelt Sterne und noch immer liefen mir ein paar Tränen über die Wange. Wie pathetisch.

„Woah, Fuck, ist es kalt hier!“ Martin. Natürlich, wer sonst, wenn nicht Martin?! Ich hoffte er sah meine Tränen nicht, das wäre der pure Horror. Ich nickte aber und rauchte weiter. Martin stand mit einer Bierflasche neben mir. Er war Nichtraucher, ich fragte mich, was er hier draußen in der Kälte machte.

„Vorhin kam die Tanja, kennst du sie?“ Er hatte meine Tränen nicht bemerkt und schien wirklich einfach nur mit mir reden zu wollen. Was mich nach wie vor immer wieder irritierte. Allerdings musste ich zu geben, dass ich ihn mittlerweile etwas mehr leiden konnte und ich damit leben konnte, mit ihm zu reden. Ich schüttelte den Kopf. Eine Tanja kannte ich tatsächlich noch nicht.

„Hm, stimmt, klar. Die Tanja war ein halbes Jahr in Neuseeland, woher hättest du sie auch kennen sollen.“ Er nahm einen Schluck von meinem Bier und wir schwiegen etwas. Ich fragte mich, warum er mir von Tanja erzählte. Er erzählte immer wieder mal von Mädchen, aber nur wenn es Ex-Freundinnen waren und er hatte wirklich verflucht viele davon.

„Ich war in sie in der Siebten total verknallt. Ey, die war die erste, die Titten hatte!“ Martin boxte mir in die Seite und grinste mich an. Vollidiot. Ich schaute ihn nur skeptisch an. „Aber die hatte immer andere Typen, wirklich, all die Jahre. Voll krass. Oder ich hatte jemand. Komische Sache, oder?“

Ich zuckte mit den Schultern. So eine Situation war doch völlig banal im Vergleich zu meiner. Und Martin konnte sich ja wirklich nicht beschweren, vielleicht hat er ihr ja nachgehechelt, aber einsam war er sicher nie gewesen. Ich beobachtete wie er seine Bierflasche mit einem großen Zug leerte. Heute hatte ich nicht vor, mich total zulaufen zu lassen. Ich wusste noch nicht, was ich machen wollte, aber nicht saufen. Guter Vorsatz für das neue Jahr, oder nicht?

„Komm, lass uns was singen! Ich hab Bock was zu singen... muss doch für meinen Auftritt nachher üben, oder so.“

Singen? Martin, dir war schon klar, dass du hier neben einem Stummen stehst?! Wir können nicht singen! Zum Glück. Ich hasste singen, hatte ich noch nie gemocht. Martin schien diesen Umstand aber einfach zu ignorieren. Er hakte sich bei mir ein und fing an irgend ein Weihnachtslied zu singen und dabei zu schunkeln. Ich musste zwangsläufig mit Schunkeln. Au Mann. Und Martin hatte nach wie vor eine wahnsinnig gute Stimme.

„Martin! Hier bist du!“ Er wurde von einem Mädchen von hinten umarmt und er drehte sich lachend um. Ich tippte mal auf Tanja. Sie sah völlig anders aus, als ich erwartet hätte. Sie war... nicht dünn. Gut, sie hatte ein hübsches Gesicht, aber ihre Figur... Ich kannte ein paar von Martins Ex-Freundinnen und die waren alle ausnahmslos, zierlich, dünn und unauffällig. Tanja war das komplette Gegenteil davon.

„Tanja, das ist Donnie. Donnie, das ist Tanja!“ Wurden wir einander vorgestellt. Sie schaute kurz in meine Richtung und lächelte verpeilt, dann klebte ihr Blick wieder an Martin. Ich war völlig uninteressant und sie war es auch für mich. Zumindest hatte Martin zu singen aufgehört und unterhielt sich nun mit ihr. Ich zündete mir noch eine Zigarette an und ließ mir dabei von Tanja eine abschnorren. Was soll´s.

„Ist euch nicht kalt?“ Ich zuckte zusammen, als ich Pascals Stimme hörte. Was wollte er hier draußen? Ich vermied es zu ihm zu gucken und tat so, als wäre ich sehr damit beschäftigt zu rauchen.

„Ich musste doch Donnie hier trösten, der stand hier so einsam und verlassen da, den Tränen nahe!“ Martin hatte einen dramatischen Tonfall aufgesetzt, der die ganze Szene ins Lächerliche zog. Ich starrte ihn trotzdem total entsetzt an. Pascal wusste bescheid. Der verstand das. Fuck. Ich wollte mich in Luft auflösen oder Martin strangulieren. Gott, wie konnte er sowas vor Pascal sagen?!

„Oh...“ Pascal schaute zu mir, ich konnte seinen Blick förmlich spüren. Er suchte bestimmt nach Anzeichen, die das Gesagte bestätigten. Und ich war mir sicher, dass er trotz der Dunkelheit sehen konnte, dass meine Augen vom Weinen gerötet waren. Ich zog wieder an meiner Zigarette, nur nichts anmerken lassen. Tu so, als hättest du ihnen gar nicht zu gehört. Das passierte mir ständig.

„Wir würden rein, ich frier mir sonst noch was wichtiges ab.“ Martin klopfte mir auf die Schulter und verschwand einfach so nach drinnen, mit Tanja im Arm. Das war nicht sein Ernst! Er hatte mir den Scheiß eingebrockt und machte nun die Fliege.

Wir standen kurz im Schweigen da und ich rauchte meine Zigarette weiter. Er sagte nichts, stand aber greifbar nahe. Warum ging er nicht einfach? Ich schaffte es schon alleine, eine Zigarette zu ende zu rauchen. Er wartete allerdings, bis ich die Kippe wegschnippte.

„Wir sollten auch mal wieder ins Warme, findest du nicht?“ Seine Stimme klang sanft. Vermutlich hatte er Mitleid. Das wäre so typisch Pascal... Er wollte den armen Donnie nicht weiter verletzen, weil er heulend in seinem Garten stand. Ich folgte ihm trotzdem.

Drinnen umfing uns sofort Wärme und Lärm. Pascal bugsierte mich durch die Menschenmenge Richtung Treppen, weg von den Leuten. Ich spürte seinen Hand auf meinen Rücken und fragte mich, ob es das letzte Mal war, dass er mich überhaupt berührte.

„Pascal! Ich hab schon die halbe Party nach dir durchwühlt!“ Lars kam uns von den Treppen aus entgegen getorkelt. Er ignorierte mich total und schob sich zwischen Pascal und mich. Viel mehr schmiegte er sich an Pascal ran und ich konnte nur befangen einen Schritt beiseite machen. Sollte ich jetzt einfach verschwinden?

„Warum hast du mich gesucht?“, fragte Pascal, suchte aber dabei meinen Blick. Er wollte also nicht, dass ich mich wieder davon machte. Wollte er nochmal reden?

„Weiß nicht, ich dachte, wir könnten reden. Über uns... du weißt schon, weil du ja auch gerade solo bist.“ Lars grinste ihn dabei selbstbewusst an und ich merkte, wie mir schlecht wurde.

„Du, Lars, ich hab keine Zeit für dich, ich muss mich um Donnie kümmern.“ Pascal schob Lars einfach weg und dieser blickte mich irritiert an. Als hätte er mich jetzt erst bemerkt.

„Das ist nicht dein Ernst, oder?“, fragte er leicht fassungslos und ich musste sagen, ich dachte mir gerade dasselbe. Er zog mich Lars vor?

„Nein, mein August. Natürlich, ist das mein Ernst...“ Pascal verdrehte die Augen und zog mich mit sich. Lars blieb einfach stehen und schaute uns nach. Abgeblitzt, oder? Pascal schien heute nicht mit Liebenswürdigkeit für seine Verehrer um sich zu werfen. Aber warum hatte er Lars abblitzen lassen? Die letzten Male, als ich sie miteinander gesehen habe, hatten sie sich besser verstanden, als Pascal und ich es vermutlich jemals tun würde.

Pascal schob mich in sein Zimmer und drückte mich auf sein Bett. Dann ging er in die Hocke, um mit mir auf Augenhöhe zu sein. Er schaute mich eindringlich an und diesmal hielt ich den Blick stand. Hier war Licht, hier konnte ich mich verständigen. Pascal seufzte und brach den Blickkontakt ab, um sich dann neben mich zu setzen.

„Ich werd aus dir nicht schlau...“, gab er zu und schaute mich dann wieder ernst an. Ich holte meinen Block und den Stift aus der Hose.

´Warum ist er abgeblitzt?´

„Wer, Lars?“ Ich nickte kurz. „Er... er hat seine Chance schon vor Jahren vertan.“ Pascal schüttelte kurz den Kopf. Er schien nicht weiter darüber reden zu wollen. Ich war ehrlich gesagt erleichtert. Vielleicht war Pascal ja nicht nachtragend, aber er war wenigstens nicht dumm genug, sich immer wieder verarschen zu lassen.

„Hast du wirklich geheult?“ Eine ungewohnt unsensible Frage von Pascal, ich nickte aber mit einer leichten Röte im Gesicht. „Wegen mir?“

Ich schluckte. Natürlich wegen ihm, wegen wem sonst? Leider fiel mir kein blöder Spruch ein, wie es Pascal immer tat, um etwas abztun.

´Sex?´ Das war das erste was mir eingefallen war. Gott, warum musste das so dumm sein? Ich strich es wieder durch. Aber darum ging es doch, oder? Pascal dachte nicht, dass ich von ihm mehr wollte, als nur einen Kuss. Ich wusste tatsächlich nicht, ob ich mehr wollte, aber ich würde dem ganzen zumindest eine Chance geben. Die Zeit würde es zeigen, oder?

´Was ist nun mit uns?´ Ich hatte etwas Angst vor der Antwort. Trotzdem hielt ich ihm den Block hin. Ich sah wie sein Blick über das Blatt flog und er dann anfing zu grinsen. Warum grinste er? Hätte ich das vorige vielleicht stärker durchstreichen sollen? Dann war sein Ausdruck wieder ernst.

Pascal seufzte und ich wurde nervös, die Antwort war immerhin alles entscheidend.

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht...“

Vielleicht war das die beste Reaktion, die ich bekommen konnte. Es war nicht mehr so hoffnungslos wie vorher im Auto. Er schien vielleicht doch darüber nachzudenken. Ich lehnte mich leicht gegen ihn und hoffte, er würde mich nicht schon wieder zurückweisen. Er blieb sitzen. Dachte er gerade über uns nach? Er nahm meine Hand, die direkt neben seiner lag und drückte sie leicht. Ich schaute kurz zu ihm und spürte plötzlich seine Lippen auf meinen. Zögerlich und schüchtern. Als hätte er Angst, dass ich nun den Kuss abbrechen würde. Ich drückte seine Hand. Seine Lippen waren immer noch trocken und schmeckten nach nichts, aber er war mit keinem Stück mit dem ersten Kuss zu vergleichen. Dieser Kuss hier und jetzt war so viel bedeutender.

Ich schaute ihn leicht benommen an, als sich unsere Lippen wieder voneinander trennten. Ich spürte ein Kribbeln in meinem Bauch und lächelte ihn leicht an. Er erwiderte das Lächeln und fuhr mir durch die Haare, um dann seine Stirn gegen meine zu lehnen.

Bose-Einstein Kondensat

Wir hörten von unten Musik heraufdringen. Die Band hatte angefangen. Pascal seufzte und nahm etwas Abstand zu mir.

„Ich denke, wir sollten wieder zu den anderen. Die vermissen uns sicher schon.“

Ich schaute ihn immer noch an wie ein Mondkalb. Wie, wo, was? Denken? Irgendwie fühlte ich mich, als wäre ich gedanklich noch nicht ganz da. Pascal lächelte mich an und wuschelte mir durch die Haare. Ich sah ihm etwas verpeilt nach, als er aufstand und zur Türe ging.

„Komm, wir wollen doch nicht den Auftritt verpassen.“ Wollen wir nicht? Ich hätte hier noch eine Weile sitzen bleiben können, hier mit Pascal. Aber er schien das anders zu sehen. Das war jetzt aber nicht wieder eine Abfuhr, oder? Aber wie er so in der Tür stand und mich anlächelte, hatte ich nicht das Gefühl. Ich folgte ihm.

Irgendwie war es komisch. Ich wusste nicht genau, was nun eigentlich passiert war. Naja, doch, eigentlich wusste ich schon was passiert war, aber ich wusste nicht, was das jetzt alles zu bedeuten hatte. Waren wir jetzt irgendwie zusammen? Oh Gott, allein der Gedanke macht mich völlig fertig. Ich mit einem Kerl zusammen? Anderseits war es Pascal. Wobei ich nicht sagen konnte, ob das viel änderte. Ich war nicht schwul, aber wenn ich etwas von einem Kerl wollte, war ich auch nicht mehr hetero. Klar, bi, vielleicht, aber das machte es nicht besser. Ob man jetzt bi war oder schwul, wenn man mit einem Typ zusammen war, dann war man trotzdem für alle eine Schwuchtel. Der Gedanke beunruhigte mich etwas, das musste ich ehrlich zu geben. Ich hatte keinen Bock Ziel von irgendwelchen Spott zu werden, immerhin war ich nicht schwul. Scheiße...

Pascal streifte kurz meine Hand mit seiner, bevor wir das Wohnzimmer betraten und als sich unsere Blicke trafen, wusste ich, das er es irgendwie wert war. Ich lächelte ihn kurz unsicher an, war aber froh, dass er nicht auf weiteren Körperkontakt bestand. Das wäre zu viel gewesen. Ob er das wusste? Wahrscheinlich.

Die laute Musik der Band umfing uns und wir befanden uns in einer tanzenden Menge. Die Stimmung war sogar noch besser, als im Club, auch wenn es weniger Leute waren. Pascal hatte sich seinen Weg nach vorne gebahnt und ich hätte ihn beinahe aus den Augen verloren. Allerdings hatte ich die Vermutung, dass man sich spätestens nach dem Auftritt wieder über den Weg laufen würde.

Ich beschloss deshalb mir ein Bier zu holen. Ich hatte nicht vor mich total zu besaufen, aber ein bisschen was wollte ich auf jeden Fall trinken. Könnte mir auch ganz gut tun.

Die Bierkästen standen in der Küche, wo sich auch einige Leute unterhielten. Aber ich kannte niemand davon, was die die meisten nicht davon abhielt mir zu zuprosten als ich die Flasche öffnete. Was für soziale Menschen. Ich lächelte kurz und ging dann wieder ins Wohnzimmer.

Ich sah Tanja, die neben Pascal ganz vorne stand und begeistert bei der Band mitfieberte oder Martin anhimmelte, wie man das sehen wollte. Pascal drehte sich kurz um, er schien nach mir zu suchen. Ich winkte ihm zu und er lächelte. Das schien zu reichen. Wir mussten jetzt nicht nebeneinander stehen. Eigentlich war ich etwas froh über den Abstand, ich sollte nachdenken. Vernünftig nachdenken, soweit ich das konnte.

Ich nahm einen Schluck Bier. Pascal mochte mich. Ich mochte ihn. Das war schon mal eine tolle Grundlage, irgendwie. Mochte ich Pascal mehr, als nur einen Freund? Ich dachte kurz darüber nach, aber doch, es war recht eindeutig, dass ich ihn mehr mochte. Ich wusste nicht genau warum, es könnte wirklich daran liegen, das er schwul war und das eine gewisse Anziehung ausmachte. Ich war etwas verwirrt. Etwas war eigentlich untertrieben, ich war völlig verwirrt. Aber das war wohl normal in meiner Situation, oder?

Ich schaute zu Pascal, er wippte mit zum Takt und ich konnte nicht anders, als mich dumm verliebt zu fühlen. Und ehrlich, es hätte mich schlechter erwischen können, oder? Pascal war genau das, was mein Leben brauchte. Ich lehnte mich gegen die Wand hinter mir und verbrachte die Zeit damit, Pascal zu beobachten. Ich hätte natürlich auch zu ihm hingehen können, aber im Moment wollte ich ihn mir nur ansehen und sicher gehen, ob alles den richtigen Weg lief. Ich hatte aber ein gutes Gefühl. Es musste einfach passen.

Ein paar Mal suchte er meinen Blick, um mich anzulächeln. Aber er verstand wohl, dass ich gerade meinen Abstand brauchte. Nur jetzt. Die Wand fühlte sich kühl in meinem Rücken an und es tat gut. Hier war es furchtbar heiß und stickig. Aber was konnte man auch erwarten, wenn man in einem geschlossenen Raum voller Menschen war. Wenn man sich die Leute anguckte, könnte man meinen, wir wären wieder im blueIN vor ein paar Wochen. Jonas hätte für diese Party Eintritt verlangen sollen, ich war mir sicher, dass die meisten welchen gezahlt hätten. Als die Musik langsam ausklang, johlte und tobte die Menge.

„So, Leute, ihr hört erst wieder im neuen Jahr was von uns! Immerhin haben der Benno und der Niko ein geiles Feuerwerk vorbereitet und das wollen wir doch nicht verpassen, oder?“ Martin hatte mit einem Mikro in der Hand einfach eine krasse Ausstrahlung. Ich sah seinen Blick, wie er Tanja anstarrte, sie war nicht sein Beuteschema, schien es aber wert zu sein, darüber hinwegzusehen. War es bei Pascal und mir nicht genauso? Naja, zumindest ähnlich.

„Komm, wir müssen uns gute Plätze für das Feuerwerk sichern.“ Pascal stand plötzlich neben mir und ich drehte mich leicht verpeilt zu ihm. Er war doch gerade noch bei Tanja gewesen, oder nicht? Ich ging ihm trotzdem nach, als er in den Garten verschwand, wo sich schon einige Leute angesammelt haben. Anscheinend wussten schon die meisten, wie hier die Party ablief. Soweit ich wusste, feierten die meisten hier schon seit Jahren ihren Rutsch in ein neues Jahr. Konnte ich auch verstehen, es war wirklich cool.

Pascal und ich standen etwas weiter weg von den anderen, aber die Sicht auf den Himmel war frei. Aber man musste auch sagen, dass es schwer war bei einem Feuerwerk einen schlechten Platz zu erwischen. Man musste ja nur den Himmel sehen können.

Es war etwas kalt und ich überlegte, ob ich mir wieder eine Kippe anzünden sollte. Allerdings mochte Pascal den Geruch von Rauch nicht und den Geschmack sicher noch weniger. Ich ließ es bleiben. Ich spürte Pascals Schulter an meiner. Er lehnte sich etwas gegen mich. Ich schaute zu ihm hoch und er lächelte mich an. Ich wandte den Blick ab, irgendwie hatte sich eine ungewohnte Schüchternheit bei mir breit gemacht. Aber es war angenehm, ihn so nah bei mir zu haben und mir war auch komischerweise etwas wärmer, als vorher.

Man hörte weiter weg einen Kirchturmglocke läuten, es war zwölf. Zeitgleich wurden die Raketen gezündet. Die beiden Typen, die das machten, hatten echt was drauf, stellte ich fest. Als ich nach oben in den Himmel schaute.

„Hey, frohes Neues!“ Pascal drückte mich fest an sich und gab mir einen kleinen Kuss auf die Stirn. Ich schaute ihn nur total verblödet an und lächelte debil. Ich hoffe, er verstand auch so, dass ich ihm ein schönes Jahr wünschte.

„Hier seid ihr!“ Martin kam auf uns zu gestürmt und umarmte erstmal Pascal und dann mich, um uns so im neuen Jahr willkommen zu heißen. Danach fühlte ich mich eigentlich, als würde man mich von einer Umarmung zur nächsten weiter reichen. Ich kannte die meisten Leute nicht einmal, die mich da umarmten und mir lachend ein frohes Neues wünschten. Ich lächelte in der Regel etwas verpeilt und hielt immer wieder Ausschau nach Pascal, aber dem schien es nicht anders zu gehen. So war das wohl, wenn man einen großen Bekanntenkreis hatte.

Anstoßen musste man dann natürlich auch noch mit allen. Was wäre Silvester ohne ekligen Sekt? Da wäre ja der ganze Spass weg. Wie auch immer.

Wir torkelten irgendwann gegen fünf beschwipst ins Bett. Ich hatte keine Ahnung, ob jetzt tatsächlich alle einen Schlafplatz gefunden haben. Aber das war mir ziemlich egal, Martin schlief hier nicht im Bett, also war alles in Ordnung.

Pascal legte sich zu mir und ich grinste ihn breit an. Die Party war tatsächlich besser gelaufen, als ich erwartet hätte. Viel besser.

„Woah, ich bin so fertig...“, meinte er mit einem Seufzen und legte seinen Arm über sein Gesicht. Ich fühlte mich ehrlich gesagt auch etwas schläfrig. Ein Blick auf den Wecker verriet mir, dass wir schon irgendwas nach Fünf hatten. Ich fand das war eine Zeit bei der man ohne Schimpf und Schande schlafen gehen konnte.

„Schlaf gut, Donnie.“, murmelte Pascal noch und schaltete das Licht aus. Komischerweise fühlte ich mich jetzt weniger müde. Ich lag hier mit ihm im Bett und irgendwie, es sollte jetzt mehr laufen, konnte das sein? Ich mein, immerhin hatten wir uns geküsst. Vor einigen Stunden. Aber wir hatten uns geküsst und jetzt lagen wir hier im gleichen Bett. Ich merkte, wie ich unruhig wurde und immer wacher. So ein Mist. Schlief Pascal schon? Ich schaute zu ihm rüber. Er lag nach wie vor auf dem Rücken, also war er noch wach. Er schlief nie auf dem Rücken! Spätestens wenn er eingeschlafen war, drehte er sich auf die Seite oder dem Bauch. Erstaunlich, dass ich sowas wusste.

„Donnie?“ Er drehte sich zu mir und berührte meine Wange mit seiner Hand. Ich musste schlucken, es war eine sehr vorsichtige Berührung, die mich einfach total verunsichert. Er strich mir über die Wange und hielt an meinem Hals inne. Die Matratze senkte sich etwas und er kam näher.

Ich spürte kurz seine Lippen auf meinen, dann kuschelte er sich an meine Halsbeuge. Ich legte meine Arme um ihn und nun wusste ich, wie sich Pascal damals gefühlt hatte.
 

Als ich aufwachte lagen Pascal und ich Rücken an Rücken, so wie wir immer aufwachten. Ich streckte mich und gähnte verschlafen. Der Wecker teilte mir mit, dass ich gerade mal fünf Stunden geschlafen hatte, dafür fühlte ich mich aber überraschend fit. Pascal hatte sich wieder in seine Decke eingewickelt und pennte noch immer friedlich. Ich beschloss mal ins Bad zu gehen und dafür zu sorgen, dass ich irgendwie wieder menschlich aussah.

Als ich dann auf den kalten Fließen stand und mein Spiegelbild anschaute, kam mir das von gestern alles so unwirklich vor. Ich hatte Pascal tatsächlich geküsst und wir waren Arm in Arm eingeschlafen? Ich war aber irgendwie beruhigt, dass nicht mehr passiert war. Das klang vielleicht komisch, aber alles andere wäre zu viel gewesen. Ich konnte mich schon kaum an den Gedanken gewöhnen, dass ich von mir aus einen Kerl geküsst hatte. Auch wenn ich mir dann nicht mehr viel dachte, wenn Pascal bei mir war. Ich musste das echt noch mit mir ausmachen.

Ich spuckte die Zahnpaste in das Waschbecken und wusch mir noch kurz das Gesicht. Meine Haare standen wild ab, aber das taten sie immer. Ich hatte irgendwann mal beschlossen, dass das einfach mein persönlicher Style war. Immerhin war es pflegeleicht.

Ich schaute noch mal kurz bei Pascal ins Zimmer, aber er schlief immer noch wie ein Bär. Hatte ich etwa was anders erwartet? Von unten hörte ich aber schon Frühstückgeräusche. Wenigstens waren nicht alle in Pascals Familie Morgenmuffel.

Ich ging nach unten und setzte mich zu Doro neben der komischerweise mal ein Platz frei war. Sonst war der große Familientisch voll besetzt mit fremden Jugendlichen, naja, außer Martin und Lars. Martin winkte mir begeistert zu, sah aber ziemlich fertig aus. Außerdem hielt er sich nur an einem Glas Wasser fest. Ha, er hatte einen Kater und ich nicht. Das munterte mich etwas auf. Lars starrte mich nur kurz missgelaunt auf. Da is jemand schlecht auf mich zu sprechen. Zurecht. Ich verkniff es mir, ihn frech anzugrinsen und schenkte mir stattdessen einen Kaffee ein.

„Wo hast du denn den Pascal gelassen?“, fragte Doro verwundert. Anscheinend hatte sie mich jetzt erst bemerkt. Aber ihre tiefen Augenringe sahen so aus, als hätte sie heute noch gar nicht geschlafen. Also konnte ich das verzeihen. Ich zuckte nur kurz die Schulter auf ihre Frage. Wie sollte ich denn darauf antworten, wenn ich nicht schreiben wollte?

Jonas setzte sich zu uns an den Tisch, anscheinend hatte ich ihm den Platz geklaut, aber er überging das einfach und hatte sich neben irgend einen Typ gesetzt. Manchmal hatte ich ja das Gefühl, dass mich Jonas nicht allzu sehr mochte. Ich konnte aber nicht genau sagen warum, aber solange er nicht fies wurde, war vermutlich alles in Ordnung.

„Wir müssen übrigens nachher noch die Raketenreste einsammeln. Sonst macht der Bauer wieder Terz.“ Man sah die Begeisterung, die Jonas Aussage auslöste. Einige erhoben sich gleich vom Tisch und murmelten was davon, dass sie noch was zu tun hatten. Schon klar.

Mist, wenn ich jemand hätte, der mich fahren würde, hätte ich mich sicher auch aus dem Staub gemacht. Draußen war es nämlich kalt, nass und matschig und das wir dabei über ein Feld stacksen mussten, machte es nicht besser. Ich beschloss mich mit einem weiteren Kaffee und einem Honigbrot mental darauf vorzubereiten.

Nach meinem vierten Scheibe Brot tauchte auch tatsächlich mal Pascal auf, wobei man ihn nur mit viel Wohlwollen als wach bezeichnen konnte. Er hatte noch seine Schlafklamotten an, also ein altes T-Shirt und Boxershorts, und wirkte irgendwie überrascht, dass hier soviele Menschen waren.

„Morgen, Leute.“, murmelte er dann aber und ließ sich einfach neben Martin auf der Bank nieder, neben mir saß ja noch immer Doro und irgend ein Mädchen, das mir nur vage bekannt vor kam.

Ich beobachtete, wie er sich Tee einschenkte. Pascal trank keinen Kaffee, war ihm zu bitter. Selbst seinen Tee trank er nur dann, wenn er schon fast im Zucker ersoff. Zu dem Zucker mit Tee aß er ein Marmeladenbrot, das er Martin geklaut hatte. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass er im Moment dazu in der Lage war, sich selbst eines zu schmieren.

Er kaute langsam auf seinem Brot herum und vermutlich hätte man ihm auch einen Schwamm in die Hand drücken können und er hätte es mit der gleichen Begeisterung gegessen. Mich faszinierte es immer wieder, dass man morgens so neben der Spur sein konnte. Pascal gähnte immer wieder mal zwischen ein paar Bissen. Es sah so aus, als würde er gleich im Sitzen einschlafen. Ich musste grinsen. Es war einfach herrlich ihn zu beobachten.

Phänomen der Dunklen Materie

„Guten Tag, Johannes, ich wünsch dir ein frohes, neues Jahr.“ Frau Doktor Schwelstein schüttelte mir die Hand mit einem Lächeln. Ich nickte ihr kurz zu und wir setzten uns beide auf unsere Plätze. Sie hinter ihren Schreibtisch und ich auf den Patienetensessel. Ich konnte ein leichtes Lächeln auf ihrem Gesicht erkennen, sie schien gut gelaunt zu sein.

„Sie scheinen das Jahr gut überstanden zu haben. Sie sehen wirklich gut aus.“ Und sie meinte es ehrlich. Ich grinste, ja, ich fühlte mich auch besser, als noch im letzten Jahr.

„Gibt es einen speziellen Anlass?“ Es klang wieder wie ihre typische Psychologenfragen, aber ich glaube, es war sogar richtiges Interesse dahinter. Ich nickte. Nun ja, der eigentliche Grund war vermutlich Pascal, aber ich hatte jetzt auch endlich mal die Gelegenheit mit ihr über mein Traum zu reden. Ich war in der Hinsicht nämlich immer noch nicht schlauer geworden.

´Ich bin damals ins Wasser gefallen.´, schrieb ich ihr die Quintesenz des Traums auf. Am Rest gab es ja nicht viel zu rätseln.

„Wann sind sie ins Wasser gefallen?“, sie wirkte etwas irritiert. Vielleicht hätte ich mich präziser ausdrücken sollen. Ich zog wieder das Blatt Papier zu mir. Ich spürte ihren neugierigen Blick auf mir.

´Damals. Mit Simone.´

„Wissen sie das oder haben sie das geträumt?“, fragte sie. Ha, ich wusste doch, dass das nicht das gleiche war. Aber mittlerweile war ich mir sicher, dass ich tatsächlich ins Wasser gefallen war. Im Freibad. Ich verstand aber immer noch nicht, was das mit meinem Schweigen zu tun hatte.

´Beides.´

Ich sah wie sich etwas auf ihrem Zettel notierte und mich wieder anschaute. Sie schien darauf zu warten, dass ich noch mehr sagte, aber eigentlich wollte ich wissen, was sie dazu zu sagen hatte. Es musste doch irgendwas bedeuten, oder?

„Nun, es kommt vor, dass Leute ins Wasser fallen. Sind sie Nicht-Schwimmer?“

Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte schwimmen, nicht besonders gut, aber soweit dass ich nicht unter ging auf jeden Fall. Allerdings musste ich zu geben, dass ich mich nicht daran erinnern konnte, wie ich wieder aufgetaucht war. Aber ich konnte ja schwer ertrunken sein, sonst wäre ich ja nicht hier.

„Hm... weißt du, dein Fall ist nicht ganz einfach.“ Sie räusperte sich und breitete die Akten über mich vor sich aus. Das hatte sie noch nie gemacht. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.

„Uns war der Hergang des Abends durchaus bekannt, aber wir konnten die eigentliche Ursache nicht finden. Eigentlich hatten wir gehofft, dass dadurch das deine Erinnerungen von selbst kommen, du auch auf die Ursache stößt.“

Ich schaute sie perplex an. Wie, sie wussten, was damals passiert war? Sie haben mich über zwei Jahre im Glauben gelassen, sie hätten gar keine Ahnung. Woher wussten sie das überhaupt? Was sollte das alles?

„Du denkst, dass das mit dem Wasser wichtig war oder der Auslöser?“

Ich nickte irritiert mit dem Kopf. Nein, eigentlich, hatte ich keine Ahnung. Aber das war das einzige, was mir in meinem Traum völlig komisch vor kam. Sie notierte sich etwas.

„Du weißt, dass dein Mutismus vermutlich durch ein Trauma ausgelöst wurde, oder?“

Ich nickte, dass hatte man mir alles schon erklärt. Am Anfang mal, es war anscheinend auch nicht weiter verwunderlich, wie ich mich charakterlich und psychisch entwickelt hatte. Alles Symptome des Mutismus. Es zu wissen, machte es allerdings nicht besser und änderte nichts.

„Nun, das Trauma selbst zu wissen, kann natürlich in der Behandlung helfen, aber sie löst nicht sofort das Problem.“, sprach sie weiter. Ich schüttelte nur den Kopf, mir wurde das damals anders erklärt. Ich verstand nicht, warum sie jetzt was völlig anderes sagte.

„Die einzige Möglichkeit dir zu helfen ist unsere Therapie hier. Deswegen haben deine Eltern dich damals hier her geschickt. Es ist nur eine Frage der Zeit. Bei manchen Patienten geht es schneller, als bei anderen. Aber mit den zwei Jahren sind wir noch völlig im Rahmen.“

Ich schluckte. Und warum hatten sie dann alle gelogen? Mir komische Hoffnungen gemacht, um sie dann einfach zu zerschlagen.

´Warum habt ihr das nie gesagt?´ Sie seufzte. Aber sie hatte die Frage erwartet, das merkte man ihr einfach an.

„Es war am Anfang nicht einfach mit dir. Wir wusste nicht, wie wir dich dazu bringen sollten in die Therapie zu gehen.“, gab sie überraschend ehrlich zu.

Ich schüttelte den Kopf, das war alles total absurd. Sie hatten mich belogen, damit ich zu der Therapie ging? Natürlich, war sicher alles zu meinem Besten. Ich fühlte mich enttäuscht. Mir war schon klar, dass ich in meiner psychischen Verfassung nicht ohne Therapie auskommen würde, zumindest früher. Aber meine Eltern hätten doch nicht lügen müssen. Ich hätte es bestimmt irgendwann von alleine eingesehen.

„Aber da du mittlerweile wirklich gute Fortschritte machst, obwohl du im letzten Jahr oft durch deine Abwesenheit glänzt hast, fand ich es an der Zeit mit dir zu reden.“

Danke schön, Frau Schwelstein. Sehr zuvorkommend. Ich ließ mich nach hinten in meinen Sessel fallen. Ich wollte zu Pascal. Ich hatte ihn seit Neujahr nicht mehr gesehen, wegen meines bekloppten Hausarrest, den mein Vater eisern aufrecht erhielt, genau wie das Internetverbot. Gut, wir hatten erst den fünften. Aber ich wollte wieder zu Pascal und weg von der Scheiße hier.

„Ich kann verstehen, dass du jetzt enttäuschst bist. Aber freu dich doch, dass du in letzter Zeit soviele Fortschritte machst. Wer weiß, vielleicht kannst du sogar wieder in diesem Jahr sprechen.“ Sie lächelte mich mitfühlend an. Und ich merkte, wie sich meine Frustation wieder etwas dämpfte. Wenn der ganze Scheiß mir half, wieder zu sprechen, würde ich es wohl weiter in Kauf nehmen.

Was blieb mir auch anderes übrig?!

Ich setzte mich wieder aufrecht in meinen Sessel und versuchte mich mit einem Lächeln. Ich wollte trotzdem noch zu Pascal. Vielleicht konnte ich es organisieren, dass er zu mir kam. Ich wusste zwar noch nicht genau wie, aber das würde sich bestimmt irgendwie lösen.

„War der Traum wirklich der Grund, warum es dir zur Zeit besser geht?“ Sie schaute mich forschend an und ich war mir sicher, dass sie wusste, das mehr dahinter steckte. Ich schüttelte den Kopf mit einem leichten Lächeln.

´Ich bin schwul.´, schrieb ich wieder auf, wie vor einigen Monaten. Mit einem Grinsen, man konnte es als einen kleinen Scherz meinerseits sehen. Sie las es durch und runzelte nur die Stirn, blickte mich dann an.

„Schon wieder?“

Ich musste grinsen auf Grund ihrer Reaktion. Manchmal, da mochte ich meine Psychologin. Ich nickte aber. Gut, ich wusste, dass ich nicht schwul war, aber ich stand definitiv auf einen Kerl.

„Es ist der ... Bekannte von dem du mal erzählt hast, oder?“

Ich nickte, gut, Bekannte traf es wirklich nicht, aber ich hatte ihn damals tatsächlich so bezeichnet. Die Frau hatte ein enormes Gedächtnis und lächelte gerade. So als hätte sie es schon längst gewusst.

„Ich dachte eigentlich, es sei ein Mädchen. Aber er hat auf jeden Fall einen guten Einfluss auf dich.“ Und das war es für sie. Sie war nicht schockiert, nicht wirklich überrascht, sondern einfach zufrieden damit, dass es mir tatsächlich mal besser ging. So einfach konnte das sein? Ich blinzelte und sie lächelte mich immer noch an. Irgendwie fühlte mich etwas erleichtert. Immerhin die erste positive Resonanz auf Pascal und mich.
 

Als ich nach Hause kam, schüttelte ich mir den Schnee von der Mütze und wusste, wie ich Pascal zu mir einladen konnte. Eigentlich war es ja ganz einfach, wenn man erst mal darauf gekommt. Ich schmiss meine Schuhe in die Gaderobe und ging direkt zu Janas Zimmer. Ich wusste nicht, ob sie da war. Aber Victor war noch im Skiurlaub, wie jedes Jahr und die meisten ihrer anderen Freundinnen waren auch unterwegs.

Ich klopfte an ihre Zimmertüre und trat dann ein. Sie lag auf ihrem Bett und schaute fernsehen. Die sollte sich wirklich mal sinnvollere Hobbies suchen, als den ganzen Tag vor der Glotze zu hängen. Ich lächelte aber trotzdem und holte meinen Block raus.

´Kannst du mir helfen?´

Sie wirkte etwas überrascht, als sie das Geschriebene gelesen hatte, nickte aber zur Antwort.

´Würdest du bei Pascal anrufen und fragen, ob er bei mir heute vorbei kommt?´

„Bei Pascal?“

Ich nickte. Das war mein genialer Plan gewesen, wenn ich schon nicht sprechen konnte, musste das halt jemand anderes für mich erledigen. Und mein Vater hatte nicht gesagt, dass ich keinen Besuch haben durfte. Außerdem war der schon wieder arbeiten, der würde gar nicht mitbekommen, dass Pascal hier herkam.

„Uhm, kann ich machen, denk ich.“ Sie schaute etwas irritiert. Sonst telefonierte sie doch auch mit jedem und stundenlang. Ich notierte ihr noch seine Nummer und ich war nicht weiter verwundert, dass unser schnurloses Telefon direkt auf ihrem Nachttisch lag. Das war typisch Jana. Ich beobachte etwas nervös, wie sie die Nummer tippte. Hoffentlich konnte er kommen. Ich wollte ihn sehen.

„Ja, hallo, kann ich den äh... Pascal sprechen? - Ich bin die Schwester vom Johannes.“ Es klang komisch, wie sie meinen Namen voll aussprach. „Hallo, bist du der Pascal? - Ja, der Jo fragt, ob du ihn heute besuchen kommen willst. - Uhm, keine Ahnung. Ich frag mal.“ Sie deckte die Hörmuschel mit ihrer Hand ab und flüsterte mir zu: „Ist es okay, wenn er erst heute abend kommt und übernachtet? Er muss seiner Mutter noch was helfen...“ Ich nickte, klar, Hauptsache er konnte überhaupt kommen. Ich fühlte mich etwas hibbelig. Die letzten Tage waren nicht so schlimm, aber jetzt wollte ich ihn sehen.

„Ja, klar, is kein Ding. Wann kommst du dann? - Ja, das ist super. - Er freut sich auch schon.“ Und aufgelegt. Den letzten Satz hätte sie sich sparen dürfen, der klang doof. Aber eigentlich hatte sie recht, ich freute mich richtig.

„Er meinte, er würde so gegen Neun, halb Zehn kommen.“ Sie schaute mich forschend an. Ich grinste breit, er kam heute tatsächlich noch vorbei. Extra für mich. Gut, ich hoffte, dass es dann mein Vater nicht mitbekam. Er mochte Pascal aus mir unbekannten Gründen immer noch nicht und zum Glück sind sie sich bis jetzt noch nicht über den Weg gelaufen. Aber wie ich meinen Vater kannte, würde er nach dem Essen sowieso wieder in sein Büro gehen und noch weiter arbeiten. Irgendwoher musste ja das Geld kommen.
 

„Und wie lief es heute bei dir, Johannes?“, fragte mein Vater und er wirkte sogar mal ganz gut gelaunt. Ich schaute erstaunt von meinen Salat hoch. Wollte er etwa mit mir reden?

´Ganz gut.´, antwortete ich ihm und hatte damit nicht gelogen. Wenn man davon absah, dass meine Eltern und meine Psychologin mich über zwei Jahre an der Nase herumgeführt hatten. Zu meinem Besten. Ich hatte keine Lust mit meinem Vater einen Streit anzuzetteln, nicht wenn Pascal heute noch vorbei kommen würde.

„Freut micht zu hören.“ Er lächelte mich sogar dabei an, als er das sagte. Er hatte wirklich überraschend gute Laune. Das war etwas ungewohnt. Die letzten Wochen war er wegen seinem Großprojekt und den vielen Überstunden ziemlich gestresst und dementsprechend genervt.

´Ich war heute bei Doktor Schwelstein.´ Wenn er mal gut drauf war, sollte man das für ein Gespräch nutzen. Mein Vater und ich „redeten“ äußerst selten, aus unterschiedlichen Gründen.

„Stimmt ja, du hast Dienstag immer deinen Termin und was hatte sie gesagt?“ Ich bemerkte, wie jetzt auch meine Mutter aufmerksam wurde und die Unterhaltung mit Jana abgebrochen hatte. Alle schauten sie mich erwartungsvoll an.

´Ich mache gute Fortschritte, vielleicht kann ich dieses Jahr schon wieder sprechen.´

Meine Mutter beugte sich zu meinen Vater, der gerade das Geschriebene las.

„Das hast du mir ja noch gar nicht gesagt! Das ist ja fabelhaft!“ Sie strahlte mich an, fast so, als könnte ich schon wieder sprechen. Ich grinste etwas verlegen. Ich war es nicht gewohnt, wenn meine Eltern so überschwänglich waren.

„Das sind ja wirklich tolle Nachrichten. Aber wann genau es so weit ist, wusste sie nicht, oder?“ War ja klar, dass mein Vater alles noch detaillierter wissen wollte. Ich schüttelte den Kopf, das war ja schließlich nichts, dass man auf Knopfdruck plötzlich wieder könnte. Schön wärs.

Jana hatte den Zettel auch zu sich gezogen und durchgelesen, sagte aber nichts. Vielleicht war sie ja sauer, weil ich ihr das vorhin nicht schon gesagt hatte, als ich sie darum gebeten hatte Pascal anzurufen. Sie schaute mich nur wieder seltsam an. Manchmal waren Mädchen einfach komisch.

Das Gespräch lenkte sich aber schnell wieder auf andere Themen. Mein Vater hatte heute wohl die fertigen Pläne an seinen Kunden geschickt. Er musste nur noch darauf warten, dass sie abgesegnet werden. Deswegen die gute Laune. Mir sollte es recht sein.

Ich war irgendwie zufrieden. Jetzt musste nur noch Pascal vorbei kommen und alles war super. Ich fühlte mich etwas hibbelig, weil ich nicht genau wusste, wie es jetzt zwischen uns war. Als er mich an Neujahr verabschiedet hatte, hatte er mich nur umarmt. Den letzten Kuss, den ich von ihm bekommen hatte, war der kurz bevor er eingeschlafen war. Ich hoffte, dass es nicht der letzte Kuss überhaupt war. Ich wusste nicht, wie viel ich von Pascal wollte, aber ich war mir definitiv sicher, dass ich noch mehr Küsse wollte. Es klang irgendwie peinlich, aber man sollte auch ehrlich zu sich selbst sein und das waren die Tatsachen.

Als ich wieder in meinem Zimmer war, konnte ich meinen Blick kaum von dem Wecker wenden. Warum verging die Zeit nicht schneller? Das müsste doch irgendwie gehen, wenn ich nur lang genug starrte. Pascal würde frühstens in einer Stunde kommen und ohne Internet hatte ich keinen Schimmer, wie ich diese Zeit überbrücken sollte. Außer vielleicht damit, dass ich mich total irre machte und nervös im Zimmer rum lief, wie gerade eben. Ich fand allerdings, dass das eine verflucht schlechte Möglichkeit war, Zeit tot zu schlagen.

Ich setzte mich auf mein Bett und schaute mich ratlos in meinem Zimmer um. Ich hatte es gestern schon aus lauter Verzweiflung aufgeräumt, weil mir so langweilig gewesen war. Jetzt war es aufgeräumt, gestaubsaugt, das Bett frisch bezogen, der Aschenbecher geleert und sogar den Monitor hatte ich geputzt. Mir war wirklich verdammt öde gewesen. Hausarrest war wirklich übel.

Victors Geschenk hatte ich auch einen Ehrenplatz in meinem frisch aufgeräumten Regal gegeben, genau in Sichthöhe in der gleichen Reihe in dem auch das Gebärdenbuch von Pascal stand. Gebärdenbuch? Hey, ich könnte doch... nein, eigentlich hatte ich keine Lust darauf. Gebärdensprache blieb einfach scheiße. Allerdings könnte ich Zeit damit rumbringen... aber genauso gut könnte ich auch runtergehen und fernsehgucken, war ähnlich zeitverschwenderisch.

Wenn ich wirklich noch in diesem Jahr reden könnte, war es wirklich nicht nötig, Gebärdensprache zu lernen. Deswegen beschloss ich nach unten zu gehen.

Meine Mutter saß im Wohnzimmer auf der Couch und schaute fernsehen. Ich setzte mich neben sie und bekam dafür ein kurzes Lächeln. Mein Vater arbeitete wohl wieder, anscheinend war das Projekt doch noch nicht so fertig, wie gedacht. Aber das war eigentlich immer so. Kaum hatte er es abgeschickt, bekam er auch schon wieder Anrufe, was man noch alles korrigieren müsste. Dafür bekam er ja auch dementsprechend Geld.

„Möchtest du was spezielles sehen?“, fragte meine Mutter unvermittelt. Gerade hatte die Nachrichten angefangen und berichteten wieder über irgendwelchen brutalen Dinge, die in der Welt statt fanden. Ich schüttelte den Kopf, ich wollte einfach nur, dass die Zeit vorbei ging und Pascal hier war.

Ich deckte mich unseren blauen Wohnzimmerdecke zu und versuchte mich etwas auf den Film zu konzentrieren. Pascal müsste doch bald kommen. Meine Mutter bot mir Erdnüsse an, aber ich schüttelte nur den Kopf. Ich hatte keinen Hunger, ich war ehrlich gesagt etwas nervös. Wie sollte ich mich verhalten, wenn er hier war? Würden wir hoch in mein Zimmer gehen? Was dann? Au Mann. Ich ruckelte etwas hin und her. So schlimm war das damals mit Simone nicht gewesen, oder? Ich wusste es ehrlich gesagt nicht mehr.

Es war etwas peinlich, dass ich zusammen zuckte, als ich die Klingel hörte. Ich sprang aber sofort vom Sofa auf, schmiss dabei die Decke auf den Boden und stürmte zur Türe. Ich konnten den irrierten Blick meiner Mutter schon förmlich im Rücken spüren. Aber das war mir egal. Pascal war endlich da.

Ich riss die Türe auf und strahlte Pascal an, der etwas verlegen lächelte.

„Hi, du!“ Er umarmte mich kurz und unbeholfen und ich fühlte mich wie ein glücklicher Idiot. Okay, ich war entgültig und total in ihn verschossen. Schon krass irgendwie, also das sowas so schnell gehen konnte.

„Hannes?“, rief meine Mutter in den Flur. Sie schien wohl wissen zu wollen, wer mein spätabendlicher Besuch war. Ich beobachtete Pascal, wie er seine Schuhe auszog und seine Jacke an der Gaderrobe aufhing. Er war noch nicht sehr oft hier gewesen. Ich habe es in der Regel vermieden ihn in Kontakt mit meiner Familie treten zu lassen. Irgendwie hatte ich die Befürchtung, dass es komplizierter werden könnte mit meiner Familie und ihm.

„Ich werd mal Hallo sagen.“ Er lächelte mich auf seine typische Pascal-Art an und ich nickte nur. Ich fühlte mich gerade außer Stande überhaupt etwas sinnvolles zu tun, außer ihn anzustarren. Fuck. Ich hatte total verdrängt, wie bescheuert man sein konnte, wenn man verliebt war. Das Schlimme war ja, es fiel einem selbst schon auf, aber man konnte einfach nichts dagegen tun.

Pascal ging einfach in unser Wohnzimmer und begrüßte meine Mutter. Er setzte sich sogar in den Sessel neben der Couch und unterhielt sich mit ihr. Ich stand erst etwas irritiert in der Tür. Eigentlich wäre ich gerne gleich mit ihm nach oben gegangen. Anderseits, meine Mutter schien sich gut mit Pascal zu verstehen und vielleicht war es ganz gut, wenn sie sich mal besser kennen lernen würden.

Ich setzte mich wieder auf das Sofa zu meiner Mutter und beobachtete die Beiden etwas. Meine Mutter saß zwischen mir und Pascal und ich fühlte mich verdammt weit weg von ihm. Aber vielleicht war das auch besser so. Ich wusste immer noch nicht so recht, was jetzt eigentlich war. Gut, er hatte mich umarmt, aber das hatte er früher auch schon gemacht.

Ich versuchte mich etwas abzulenken, in dem ich den Film weiter guckte. Jetzt war Pascal hier und wir kamen immer noch nicht weiter. Irgendwie saßen wir hier sogar fest. Aber er hatte selbst vorgeschlagen, dass wir noch den Film mit meiner Mutter schauen könnten. Warum tat er sowas? Wollter nicht mit mir alleine sein? Hatte er auch Panik?

Fuck. Ich hasste Fragen, die man nicht stellen konnte.

Neutrinolose Doppel-Betazerfall

Ich spürte, wie mir die Knie weich wurden, als wir nach oben in mein Zimmer gingen. Wir hatten uns von unten eine DVD mitgenommen, die wir jetzt bei mir im Zimmer schauten wollten. Nur ich und Pascal. Allein. In meinem Zimmer.

Er schloss die Türe hinter sich und wir standen beide etwas unschlüssig im Raum. Wenn ich hätte sprechen können, hätte ich mich verlegen geräuspert und irgendwas dummes gestammelt. War vielleicht gerade besser, dass ich nicht reden konnte. Wir mussten irgendwas tun. Ich fühlte mich unheimlich dumm.

„Willst du mal die DVD einlegen?“

Ich blinzelte irritiert. DVD? Geniale Idee! Ich nahm ihm die Hülle aus der Hand und setzte mich gleich an den PC. Ich spürte Pascals Blick auf mir und war irgendwie verwirrt und fahrig. Als der PC endlich hochgefahren war, legte ich die DVD ein, wählte erst mal die falsche Option dafür aus und plötzlich wusste ich, wie sich Pascal fühlen musste, wenn er vor einem Computer saß.

Dieser stellte sich gerade hinter mich und ich hätte mich nur ein Stück zurück lehnen müssen, um ihn zu berühren. Ich ließ es. Ich fühlte mich zu unsicher.

„Funktioniert alles?“

Ich zuckte zusammen und drehte mich doch zu ihm um. Vermutlich schaute ich an wie ein verschrecktes Schaf. Wir sollten irgendwas tun, sonst würde ich wahnsinnig werden, da war ich mir sicher.

„Ah, es läuft. Setzen wir uns aufs Bett?“ Pascal lächelte erfreut und schaute dabei auf den Monitor. Mein Retter, mein Held? Eigentlich war er ja der Drache, der mich entführt hatte und dafür gesorgt hat, dass alles komisch war. Ich nickte kurz und stolperte elegant über das Stuhlbein beim Aufstehen. Ich konnte mich zum Glück kurz bevor ich mich wirklich auf die Schnauze legte, am Schreibtisch abfangen. Es wäre auch scheiß peinlich gewesen, wenn ich einfach hingefallen wäre, oder? Ich bemerkte eine amüsiertes Grinsen bei Pascal. Idiot.

Wir saßen beide auf meinem Bett und es war ein gesunder Abstand zwischen uns. Ich konnte mich kein Stück entspannen und saß nach vorne gebeugt auf dem Bett, anstatt mich an der Wand anzulehnen. Ich spürte seine Hand auf meiner Schulter und wie er mich zu sich zieht. Etwas erleichtert ließ ich mich gegen seine Schulter sinken und fühlte mich jetzt irgendwie besser. Er fuhr mir durch meine Haare und mir stellten sich die Nackenhaare leicht auf. Aber als ich zu ihm schaute, hatte er seinen Blick auf den Monitor gerichtet. Dann sah ich, wie er schluckte. Er war nervös, wenigstens war ich damit nicht alleine.

Ich grinste und beugte mich zu ihm, um ihn einen Kuss zu geben. Sonst würde das nichts mehr werden. Ich wollte sicher sein, dass es okay war mit dem Küssen. Es war ein schönes Gefühl, dass er den Kuss erwiderte und mich näher an sich zog. Ich fühlte mich total kribbelig und intensivierte den Kuss. Allerdings schob mich dann Pascal wieder von sich. Langsam nahm ich ihm das echt übel. Er lächelte mich entschuldigend.

„Ich denke, wir müssen das langsam angehen...“

Ich blinzelte ihn an, hatte immer noch ein leichtes Kribbeln in meinen Lippen. Langsam angehen? Ich dachte Küssen war okay, das war doch nicht zu schnell, oder? Verdammt. Pascal fuhr mir durch die Haare und ich hätte ihn am liebsten wieder geküsst. Auch dieser liebevoll verträumter Blick von Pascal schien einen förmlich dazu einzuladen.

„Ich hab darüber nachgedacht, viel nachgedacht. Und ich denke... es könnte eventuell funktionieren, wenn wir das langsam angehen. Also du dich an den Gedanken gewöhnen kannst, dass wir mal mehr machen, als uns zu küssen. Sonst wird das nichts mit uns beiden.“

Ich schluckte bei dem Satz. Mehr als nur zu küssen? Natürlich, dass wurde unweigerlich mal kommen. Vielleicht hatte Pascal recht damit, dass wir uns Zeit lassen sollten. Allein der Gedanke machte mich schwammig verwirrt und das war nicht positiv gemeint.

„Du solltest es mir nur nicht so schwer machen, okay? Ich bin auch nur ein Kerl.“ Er lächelte mich mit einem leichten Rotschimmer auf der Nase an und ich konnte nicht anders, als ihn irgendwie niedlich zu finden. Ich nickte allerdings. Ich würde mir Mühe geben, irgendwie, so weit es ging. Vielleicht wollte er mir auch nur sagen, dass er mir soviel Zeit geben würde, wie es eben braucht. Ich wusste doch, dass Pascal toll war. Aus einem Impuls heraus, umarmte ich ihn. Ich konnte einfach nicht anders.

Mit was ich nicht gerechnet hatte, waren Pascals flinke Finger an meinen Seiten. Er kitzelte mich! Ich japste und versuchte irgendwie seinen Fingern auszuweichen. Aber er war erbarmungslos! Ich hatte keine Chance. Ich konnte mich nur unter ihm winden und hoffen, dass er mit dieser Kitzelfolter aufhören würde.

„Ähm...“

Erschrocken fuhren wir auseinander und starrten Jana an, die plötzlich im Zimmer stand. Wo kam die denn her? Was machte die in meinem Zimmer? Warum hat sie nicht geklopft? Oder hatten wir es überhört? Argh. Auf jeden Fall sollte sie nicht hier in meinem Zimmer stehen und nicht so entgeistert gucken.

„Äh... hi!“ Pascal hatte sich ein gutes Stück von mir weggesetzt und schaute so schuldbewusst, als hätte er mich nicht nur ein bisschen gekitzelt.

„Stör ich?“, fragte sie schließlich und ich konnte geistesgegenwärtig, wie ich war, den Kopf schütteln.

„Nee, Quatsch, wir äh... gucken gerade nur einen Film.“, versuchte Pascal die Situation zu retten, eher erfolglos. Jana hob kritisch eine Augenbraue.

„Ich sehs...“ Sie beäugte uns immer noch mit diesem komischen Blick. Sie wusste es, oder? Ich sollte mit ihr reden, aber ehrlich gesagt, wollte ich das nicht und Pascal schien die Situation auch nicht aufklären zu wollen. Wäre auch alles noch zu früh. Aber wenn sie jetzt zu unserer Mutter rennen würde?

´Was willst du denn?´, fragte ich schließlich. Jana kam nie ohne Grund in mein Zimmer, außer natürlich als Victor noch bei mir zu Besuch war. Und vielleicht konnte ich sie ja so ablenken.

„Mama wollte wissen, ob ihr noch Bettzeug braucht.“ Warum schickte meine Mutter dafür Jana? Aber vielleicht war das besser so, es wäre unangenehm geworden, wenn jetzt hier meine Mutter stehen würde. Mit Jana konnte man reden. Irgendwie.

„Ich denk mal, oder Donnie?“ Pascal schaute mich fragend an und ich nickte nur irritiert. Die Situation war total skurril. Hoffentlich ging Jana gleich.

„Ihr habt doch was miteinander, oder?“ Sie lachte dabei und ich wusste nicht, ob sie das ernst meinte, oder uns einfach nur ärgern wollte. Ich tauschte einen panischen Blick mit Pascal aus und hoffte, dass er wusste, was zu tun war.

„Sicher.“ Argh. Pascal?! Nein! Sie... du.. ich... Ich fühlte mich außer Stande nicht total überfordert zu sein. Ich schaute zu Jana und wartete auf den kommenden Schock.

„Ja, klar.“ Sie glaubte uns nicht? Sie machte sich über uns lustig? Oder nur über mich... Weil Pascal lachte gerade mit ihr. So, als wäre das alles ein ganz großer Witz. Ich verstand überhaupt nichts mehr. Das machte keinen Sinn!

„Ich sag der Mama, sie soll euch noch eine Decke rauslegen.“ Und damit verschwand sie wieder. Ich starrte die geschlossene Türe noch etwas perplex an. Alles völlig absurd. Ich konnte Pascal neben mir erleichtert ausatmen hören.

„Sie weiß es, oder?“, fragte er schließlich.

Ich nickte nur. Es ins Lächerliche zu ziehen war wohl ihre Art damit umzugehen. Aber es hätte alles schlimmer kommen können. Immerhin war nicht meine Mutter reingekommen und es sah auch nicht so aus, als würde Jana petzen wollen.

Pascal ließ sich gegen die Wand fallen und stieß sich den Kopf dabei an. Er verzog sein Gesicht etwas und rieb sich den Kopf. Ich grinste ihn an. Wenigstens war ich nicht der Einzige, der heute exorbitant ungeschickt und bescheuert war.

„Du lachst über mich!“, kam es gespielt empört von ihm und ich grinste nur noch breiter. Ob Pascal überhaupt klar war, wie sehr ich ihn mochte?
 

Ich schenkte mir Kaffee ein und setzte mich zu Pascal an den Küchentisch. Meine Familie hatte schon gefrühstückt und gnädig, wie sie waren uns noch etwas Obstsalat übrig gelassen. Mein Vater war vermutlich wieder weg zum Arbeiten und meine Mutter beim Einkaufen. Was Jana tat, wusste ich nicht genau, aber ich hatte vage in Erinnerung, dass Victor gestern abend von seinem Skiurlaub zurück gekommen ist.

Anders gesagt, Pascal und ich hatte das Haus für uns und ich genoß die Ruhe. Er saß etwas verpennt am Tisch und aß ein Honigbrot, schaute dabei aber immer wieder in meine Richtung und grinste dämlich. So sollte das Leben sein, oder? Ich lächelte zufrieden und nahm wieder einen Schluck vom Kaffee.

„Und was haben wir heute noch so vor?“ Pascal hatte meinen Blick bemerkt und schien jetzt endlich wach genug zu sein, um zu reden. Ich zuckte aber nur mit den Schultern. Also ich für meinen Teil könnte hier auch noch den ganzen Tag sitzen und ihn dämlich angucken. Ich fühlte mich etwas, als hätte man mein Hirn ausgeschaltet. Das einzige was ich brauchte, war Pascal. Es war abartig kitschig, aber woher kam wohl dieser Kitsch immer? Es war sicher nicht meine Schuld, vermutlich lag es an den Hormonen. Die konnten einen ganz schön unfähig machen. Aber wer war ich, dass ich mich jetzt darüber beschweren wollte.

„Ich seh schon, wir haben heute großes vor.“

Wenn er den ganzen Tag auf dem Sofa rumgammeln, als was großes sehen wollte, dann definitiv. Aber ich hatte nicht das Gefühl, als würde es ihn stören, dass wir nichts vor hatten. Man konnte ja auch einfach die Gesellschaft voneinander genießen.

Ich hörte wie die Haustür ins Schloß fiel und ich wusste, dass meine Mutter vom Einkaufen zurück war. Ich hatte eigentlich gehofft, dass wir noch etwas länger, dass Haus für uns hatten. Aber besser meine Mutter, als mein Vater. Man konnte hören, wie sie ihre Autoschlüssel in die Schale in der Gaderobe legte, dann kam sie mit zwei Einkaufstüten bepackt in die Küche. Sie lächelte uns an.

„Pascal, hast du gut geschlafen?“

Ich fragte mich kurz, ob sie es wusste, schüttelte den Gedanken aber schnell wieder ab. Das war einfach eine Frage, die man standardmäßig stellte.

„Ja, super. Danke, dass ich hier übernachten durfte.“ Hm, man könnte fast meinen, dass Pascal so etwas wie Erziehung genossen hatte. Auf jeden Fall gab er sich Mühe, bei meiner Mutter einen guten Eindruck zu hinterlassen und es funktionierte.

„Ach, nach dem Hannes so oft bei euch ist, ist es auch mal schön, wenn du hier bist.“ Und ich hatte wirklich das Gefühl, dass meine Mutter das ernst meinte. Irgendwie beruhigte mich das, wenn sie Pascal mochte, dann würde alles gut werden. Immerhin hatten Frauen angeblich irgendwelche geheimen Kräfte über ihre Ehemänner. Somit müsste meine Mutter meinen Vater bestimmt irgendwann von Pascal überzeugen können, insofern ich sie von ihm überzeugen konnte. Ähm... irgendwie kompliziert. Ich wollte wieder hoch in mein Zimmer und Pascal für mich alleine haben.

Deswegen stand ich auf vom Küchentisch auf und erwiderte den überraschenden Blick meiner Mutter, mit einer Geste, die so viel hieß, dass ich hochgehen würde. Ich möchte Gebärdensprache nicht, aber vermutlich war es normal, dass man sich mit der Zeit in einer primitiven Zeichensprache verständigte.

„Ihr geht in dein Zimmer?“ Klang sie etwa enttäuscht? Okay, wie ich meine Mutter kannte, würde sie Pascal wohl noch gerne eine Weile mit Fragen belästigen. Meine Mutter wollte immer alles wissen, von den Leuten mit denen ich zu tun hatte. Immerhin hatte sie auch schon mit Pascals Mutter telefoniert.

Ich nickte nur zur Antwort und verließ die Küche mit Pascal. Auf der Treppe nahm ich einfach seine Hand. Ich wollte eine Verbindung zwischen uns beiden haben. Ich wusste, dass er mich gerade überrascht anschaute, aber ich ging einfach weiter hoch. Es war doch kein großes Ding, oder?

Als er die Zimmertüre hinter sich geschlossen hatte, zog ich ihn zu mir und gab ihm einen kurzen Kuss. Es war eher aus einem Impuls heraus, aber es war schön, endlich wieder jemand zu haben.

Pascal strich mir ein Paar Haar aus dem Gesicht und lächelte mich an. Allein wie er mich gerade ansah, musste jedem klar sein, dass er mir einfach total verfallen war.

So einfach konnte es gehen, oder?

Ich umarmte ihn und genoß das sichere Gefühl, das eine Umarmung immer ausstrahlte. Endlich war alles mal gut. Ich verdrängte nagende Stimmen, die mir nicht glauben wollten, die darauf pochten, dass das hier so fragil und unsicher war, wie die Hoffnung auf meine Stimme. Es war mir egal. Man konnte sich nicht immer nur Sorgen machen und in Selbstmitleid ertrinken, irgendwie wo war auch einfach eine Grenze.

Ich war fast schon enttäuscht, als sich Pascal aus der Umarmung löste und sich einfach auf das Bett plumbsen ließ. Aber als ich ihn da so liegen sah, lang gestreckt an die Decken starrend, auf meinem Bett, kam ich nicht umhin etwas rot zu werden. Ich war gerade froh, dass er nicht in meine Richtung schaute, das wäre etwas peinlich gewesen. Mein Blick wanderte wie automatisch zu seinen Händen und ich musste schlucken.

Ich wusste nicht genau warum ich erst jetzt daran denken musste, aber vermutlich löste ein Pascal in meinem Bett ein gewisse Assoziation aus. Nicht das gestern noch soviel passiert war, aber ein bisschen... Naja, ein bisschen Gefummel eben. Tolles Gefummel... Argh, egal.

Erst jetzt bemerkte ich, dass sich Pascal wieder aufgesetzt hatte und mich dreckig angrinste. Er wusste ganz genau, an was ich gerade gedacht hatte. Oh Gott... im Moment hasste ich ihn dafür.

Ich drehte mich von ihm weg und ging zu meinem Computer, um über die Peinlichkeit hinweg zu täuschen. Nicht das es funktionieren würde, aber ein Versuch war es ja wert.

Ich schaltete den Computer an, war stolz auf mich, dass ich mich diesmal nicht wie Pascal vor einem PC benahm und stopfte eine Zeichentrickserie in die Playlist, die Pascal gestern noch mitgebracht hatte. Wir würden einen Cartoon-Marathon machen, hatte ich so eben sehr weise beschlossen. Pascal mochte Cartoons. Warum überraschte mich das nicht?

„Sieg für Zim!“, kam es vom Bett und ich drehte mich nur irritiert zu Pascal um, der begeistert auf den Monitor starrte. Zim? Ich verdrehte nur die Augen. Vielleicht doch keinen Cartoon-Marathon. Aber nur auf dem Bett sitzen und ... nichts tun, kam auch nicht so, fand ich jetzt.

Ich setzte mich zu Pascal, der mich sofort zu sich zog und mir einen kurzen Kuss auf die Stirn drückte. Hm... so konnte es echt bleiben.

Der Cartoon war auffallend schräg. Absurd, skurril gezeichnet und einfach nur schärg. Er passte perfekt zu Pascal und ich musste zugeben, der Cartoon gefiel mir. Ich hätte nie erwartet, dass ich in meinem Alter noch anderen Zeichentrick als Simpsons oder Futurama gucken würde. Aber es war auch mal an der Zeit meinen Horizont zu erweitern, oder nicht?

Man sollte immer offen für Neues sein.
 

Ich öffnete etwas verschlafen die Augen, stellte fest, dass mir der Nacken weh tat und ich total unbequem auf Pascal eingeschlafen war, der wohl auch weggedämmert war. Sechs Stunden lang Zeichentrickserien im Original schauen war halt doch ein Stück.

Ich streckte mich träge und merkte, wie sich auch Pascal wieder regte. Er lächelte müde, als er mich sah. Vermutlich war er mindestens so ungünstig gelegen wie ich. Zumindest verzog er etwas das Gesicht, als er sich über den Nacken fuhr.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass wir es erfolgreich geschafft hatten, den Nachmittag zu verpennen. Es war jetzt knapp sechs Uhr. Pascal streckte sich neben mir und versuchte wohl die Verspannung von der schlechten Schlafpostion wegzukriegen. Er erinnerte mich an eine Katze, der erst nach dem Aufwachen auffällt, wie dämlich sie gelegen hatte.

Ich grinste ihn an und mein Grinsen wurde noch breiter, als ich seinen Magen knurren hörte. Er hatte Hunger, was mir entgegen kam. Mir ging es nicht anders und wir hatten das Mittagsessen verschlafen, also konnte man uns das nach sehen.

„Mein Magen droht mir.“, meinte er mit einem kritischen Blick auf seinen Bauch. Pascal konnte so niedlich sein. Ich beugte mich zu ihm und gab ihm einen kurzen Kuss. Es war schön, sowas einfach machen zu können. Ob ich das in der Öffentlichkeit auch machen würde? So wie mit Simone? Offen zu ihm stehen? Als ich ihn so anschaute, könnte ich es mir irgendwo vorstellen. Wo sollte da auch ein Problem sein? Zu so jemand wie Pascal konnte man doch ohne Schande stehen, oder?

„Du schmeckst zwar ganz toll, aber ich glaub mein Magen will was handfesteres.“

Idiot. Ich lächelte trotzdem und stand auf. Gut, würden wir uns halt auf die heroische Suche nach Essbaren machen. Sollte hier ja nicht so schwer sein, vor allem da meine Mutter ja erst einkaufen war.

Unten in der Küche hing ein Zettel am Kühlschrank, der uns mitteilte, dass meine Mutter nochmal los gefahren war, da sie etwas vergessen hatte, was sie unbedingt kaufen wollte. Sollte mir recht sein, solange Essen für uns da war. Ich war nur am Überlegen, was wir essen wollten. Meine Mutter würde vermutlich in einer Stunde sowieso anfangen zu kochen.

Ich entschied mich dafür, dass wir einfach ein paar Brote essen würden. Als ich den Kühlschrank öffnete, spürte ich, wie Pascal ganz dicht hinter mir stand. Er berührte mich noch nicht, war mir aber so nah, dass ich seinen warmen Atmen an meiner Wange spüren konnte. Ich bekam eine leichte Gänsehaut. Seine Nähe irritierte mich auf eine nette Art und Weise.

„Euer Kühlschrank ist ganz schön voll.“, stellte er schließlich fest. War es ihm egal, dass ich ihm so nahe war? Er sollte sich keine Gedanken um den Inhalt unseres Kühlschrankes machen... Er griff an mir vorbei nach unserem Zuckerrübensirup.

„Was ist denn das?“ Er war einen Schritt zurück getreten und musterte die braune Flasche etwas irrritiert. „Zuckerrübensirup?“ Er schüttelte den Kopf, als würde er sich darüber wundern, wie man so etwas haben konnte. Er drehte die Flasche in verschiedene Richtungen und schien fasziniert davon, wie zähflüssig das Zeug war.

Ich ignorierte ihn einfach und holte ein paar Sachen für unsere Brote aus dem Kühlschrank, die ich einfach auf den Küchentisch stellte. Als ich zum Geschirrschrank ging, um uns zwei Teller aus dem oberen Fach zu holen, umarmte er mich einfach von hinten. Etwas erschrocken, hätte ich die Teller beinahe fallen lassen.

„Du riechst toll.“, hörte ich ihn leise sagen und ich wusste nicht, wie ich mit so einem albernen Kompliment umgehen sollte. Jungs sollten keine Komplimente kriegen, sie sollten welche machen. Aber dann gäbe es ja in unserer Beziehung gar keine Komplimente. Eine Beziehung mit Pascal, es klang komisch, aber irgendwie aufregend. Ich mochte den Gedanken.

Aber immer noch etwas peinlich berührt von dem Kompliment schob ich Pascal einfach von mir weg und ging zum Tisch, um ihn fertig zu decken. Immerhin hatte ich Hunger und Pascals Magen auch, sowas sollte man nicht ignorieren.

Bevor er sich allerdings neben mich auf seinen Stuhl setzte, zog ich Pascal einfach zu mir und gab ihm einen Kuss. Er sollte wissen, wie wichtig er mir war und wie sehr ich seine Nähe genoß.

„Johannes!“ Die Stimme war dunkel, laut und wütend und ich schubste Pascal, wie aus Reflex von mir weg. Ich sah noch, wie er erschrocken zurück taumelte und sich an der Theke abfing, bevor mein Vater zu uns stürmte und mich am Kragen packte. Ich schluckte. Verdammte Scheiße. Schlimmer hätte alles gar nicht kommen können. Mein Vater schüttelte mich, während er irgendwas auf mich einschrie. Allzu viel verstand ich nicht, ich war viel zu sehr durch den Wind.

Erst als er mich los ließ und sich zu Pascal drehte, setzte mein Gehirn irgendwie wieder ein.

„Scheiß Schwuchtel! Lass deine dreckigen Finger von ihm! Ich wusste, dass du nur Ärger machst! Ich wusste es!“ Mein Vater brüllte weiter unsinniges Zeug und ich konnte nur zu schauen, wie Pascal nur völlig überfordert den Kopf schüttelte, nichts erwidern konnte. Ich konnte ihm nicht helfen, ich hätte es nicht mal gekonnt, wenn ich sprechen könnte. Ich wusste nicht, was mehr weh tat, die Reaktion meines Vater und meine eigene. Ich schaffte es nicht mal, mich zwischen meinem Vater und Pascal zu stellen.

„Verschwinde aus meinem Haus! So jemand wie dich, will ich hier nie wieder sehen!“ Mein Vater zeigte auffordend nach draußen und Pascal blickte mich hilefesuchend an. Das war zu viel. Ich musste hier weg, weg von meinem Vater und weg von meiner Feigheit. Ich stürmte einfach nach draußen ohne die beiden noch zu beachten. Es ging einfach nicht, ich war dem ganzen Scheiß nicht gewachsen. Ich war der Beziehung mit Pascal nicht gewachsen. Wie hätte ich denken können, dass ich einfach zu ihm stehen könnte? Ich schaffte es nicht einmal vor meinem Vater. Ich war so ein Idiot. Es brannte eine Wut und Enttäuschung in mir, die ich das letzte Mal gespürt hatte, als ich fest stellen musste, dass ich nicht mehr sprechen konnte. Ich war so ein verdammter Vollidiot.

Ich blieb heftig atemend an der Bushaltestelle stehen. Hier war ich auch immer hingeflüchtet, wenn ich früher mit meinem Vater Stress gehabt hatte. Was relativ häufig der Fall gewesen war. Irgendwie hatten wir nie einen richtigen Draht zueinander gehabt und jetzt schien es mir, als wäre er völlig abgekappt.

Ich zitterte und fühlte mich einfach nur total zum Kotzen. Mein Vater war ein Arschloch, ich war ein Idiot und es war einfach alles nur zum Scheitern verurteilt. Ich hörte Schritte, die sich mir näherten. Pascal. Im Moment wusste ich nicht, ob ich ihn überhaupt bei mir haben wollte, war aber irgendwie froh, dass er es war. Ein Blick in sein Gesicht sagte mir, dass er mir nichts übel nahm, dass er mich nicht dafür verabscheute, dass ich nicht zu ihm stehen konnte. Er hatte Verständnis für mich und ich fühlte mich noch miserabler. Ich hatte das nicht verdient... ich war ein Feigling, ein verfickter Feigling, der kein Stück Verständnis verdient hatte.

„Hey...“ Pascal blieb neben mir stehen, einen verletztenden Abstand weit weg von mir. Ich musste mich irgendwie von der Situation ablenken, deswegen griff ich in meine Hosentasche nach den Kippen. Mein Vater hatte es schon immer gehasst, dass ich rauchte. Vielleicht machte ich es ja deswegen.

Ich nahm eine Kippe zwischen meinen Lippen und hielt das Feuerzeug an die Zigarette. Ein Klicken. Nichts. Nochmal an dem Rädchen gedreht und gedrückt, wieder nichts. Das passierte doch jetzt nicht ernsthaft, oder? Ich drehte noch mal panisch an meinem Feuerzeug, merkte wie meine Hand dabei zitterte und wie ich kurz davor war, einfach nur zu heulen. Das Feuerzeug musste doch funktioniern, wenigstens das! Es klickte nochmals und immer noch keine Flamme. Ich wollte was treten, auf was einschlagen. Ich schmiss das Feuerzeug mit voller Wucht auf den Boden.

„Scheiße!“ Und hörte es splittern.

Jetzt war es komplett still, rein gar nichts war zu hören. Ich schaute zu Pascal, der mich nur mit großen Augen anstarrte und mir plötzlich um den Hals fiel. Er küsste mich.

Und ich hätte echt nicht erwartet, dass meine Stimme so beschissen klingen würde.
 


 

Ende.

Quanten-Hall-Effekt

Ich ächzte die Stufen zu unserer Wohnung hoch. Die Einkaufstüten waren schwer und taten schon an den Händen weh. Ich hasste es, wenn ich mit Einkaufen dran war. Bloß weil ich nach dem kleinen Nebenjob im Lager, gleich bei einem Supermarkt vorbei kam, war das doch noch lange kein Grund, mich immer einkaufen zu lassen.

Ich schloss die Wohnungstüre auf und stellte die Einkäufe einfach in die Küche auf die Anrichte. Pascal war noch in der Uni und ich beschloss, mich erstmal ins Wohnzimmer vor den Fernseher zu legen. Wenn ich schon einkaufen musste, könnte er wenigstens das Zeug einräumen.

Ich hatte mir das eigenständige Leben irgendwie anders vorgestellt. Spannender, freier, weniger arbeitsreich. Aber mit einer eigenen Wohnung war man eigentlich nur ständig am Schuften. Warum sagte einem das niemand vorher? Das Pascal ein absoluter Chaot war, machte es nicht besser. Aber eine eigene Wohnung war das wohl wert...

Ich hörte, wie die Türe ins Schloss fiel. Ich wusste auch ohne hinzusehen, dass Pascal jetzt seine Tasche in den Gang schmiss und direkt in die Küche gehen würde, um was zu essen zu suchen. So war das immer.

„Jo?“, rief er aus der Küche. Ich machte mir nicht die Mühe zu antworten, er würde schon von alleine kommen, wenn es wichtig war. Ich war immer noch müde vom Arbeiten. Acht Stunden Zeug durch die Gegend schleppen war nicht so einfach, wie es klang.

„Wo ist der Käse?!“, kam es dann entsetzt aus der Küche. Ich verdrehte die Augen. Käse? Ich wusste nichts von einem Käse.

„Du hast alles gekauft, Kondome, Bier, aber keinen Käse! Wir wollten heute doch Nudelauflauf machen! Das geht nicht ohne Käse...“ Pascal stand jetzt in der Türe zum Wohnzimmer und schaute mich anklagend an.

„Vergessen.“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Ich konte mich tatsächlich nicht daran erinnern, dass ich Käse kaufen sollte, geschweige denn, das Pascal Nudelauflauf haben wollte.

„Wie, vergessen? Sowas vergisst man doch nicht!“

Ich verdrehte nur die Augen. Sollte er sich darüber jetzt künstlich aufregen, ich war zu müde dafür. Also ignorierte ich ihn und schaltete auf einen anderen Sender. Pascal schnaubte nur und stapfte wieder in die Küche. Wenn er seinen Käse haben wollte, sollte er einkaufen gehen. Ich konnte ja nicht alles denken. Man konnte ein paar Geräusche aus der Küche hören, die wirklich so klangen, als würde er sich darüber ärgern, dass es heute keinen Nudelauflauf gab. Pascal konnte wie ein kleines Kind sein, wenn es um sein Essen ging. Wehe, es gab nicht das zu essen, was er wollte.

Mit einem Seufzen ließ er sich dann schließlich neben mich auf das Sofa fallen. Er lehnte sich an mich und wir schwiegen etwas.

„Der Prof heute hat so genervt...“, meinte er schließlich. Man konnte es auch als Entschuldigung für seine Laune sehen. Ich schaute kurz zu ihm und lächelte ihn an. Um ehrlich zu sein, seit ich sprechen konnte, war ich nicht wirklich gesprächiger geworden. Aber das lag Großteil auch an meiner Stimme selbst. Sie klang fürchterlich. Sie war kratzig, schwankte ständig und man könnte meinen, ich wäre noch im Stimmbruch. Zu dem hatte ich oft das Gefühl, als würde mir die Luft fehlen, um viel zu reden. Die zwei Jahre bei der Logopädin hatten das leider nicht groß geändert.

„Deine Mutter hat bei mir angerufen.“ Pascal schaute dabei anklagend in meine Richtung. Er hasste es, dass er meine Anrufe entgegen nehmen musste, da ich mich weigerte zu telefonieren. Es gab einfach Dinge, die man lassen sollte und telefonieren gehörte definitiv dazu. „Sie fragt, ob sie uns nicht mal besuchen könnte. Immerhin hat sie die Wohnung hier noch gar nicht gesehen.“

„Mein Vater.“, gab ich schlicht zurück. Von mir aus hätte meine Mutter schon vor zwei Jahren vorbei kommen können, als ich hier frisch eingezogen war. Aber solange sich mein Vater immer noch aufführte wie die Axt im Wald, wenn es um Pascal ging, hatte ich keinen Bock drauf. Und wenn meine Mutter kommen würde, wäre mein Vater sicher auch dabei.

„Sie meint, er müsste arbeiten und sie würde alleine kommen. Ich hab ihr gesagt, dass sie hier immer willkommen ist.“ Er lächelte mich an und ich schaute mich nur in der Wohnung um. Ich versuchte hier ja alles so sauber wie möglich zu halten, aber das war immer ein ewiger Kampf gegen das Pascalsche Chaos. Und meine Mutter hatte einen kleinen Sauberkeits-Tick, die würde hier sofort mit einem Wischmob durchgehen. Au mann...

„Wann?“ Ich konnte meine Mutter ja schlecht wieder ausladen und vielleicht konnte ich noch etwas in diesem Chaos retten. Irgendwie...

„Nächstes Wochenende.“ Pascal schien sich wirklich zu freuen. Er dachte wohl, der Besuch meiner Mutter würde ablaufen, wie die Besuche seiner Eltern. Er hatte ja gar keine Vorstellung davon. Anderseits hatte ich meine Mutter schon seit ein paar Monate nicht mehr gesehen, das letzte Mal zu Ostern. Allerdings war ich ja mittlerweile auch viel beschäftigter Student und hatte besseres zu tun, als in meinem Elternhaus rumzugammeln.

Ich seufzte, der Besuch würde trotzdem komisch werden. Irgendwie konnte ich mir meine Mutter gar nicht in unserer Wohnung vorstellen. Das hier war mein neues Leben und außer Pascal einer miesen Stimme und komischen Träumen hatte ich nichts davon mitgenommen. Hier wusste niemand, dass ich mal zwei Jahre nicht gesprochen hatte. Ich war nicht der komische, stumme Kerl, der sein Leben kaum auf die Reihe gekriegt hat. Gut, jetzt war ich ein etwas wortkarger Typ, der eine zweifelhafte Beziehung mit seinem Mitbewohner führte. Aber ehrlich, dass war mir um Welten lieber.

„Das wird schon.“ Pascal hatte wohl bemerkt, dass mir der angekündigte Besuch meiner Mutter etwas zusetzte. Er kam mir einen kurzen Kuss auf meine Schläfe. Ich schloss die Augen. Ich mochte die ruhigen Momente zwischen uns.

Die letzten vier Jahre hatten wir viel durchgemacht und manchmal war ich überrascht, dass wir hier überhaupt noch sitzen konnten. Aber es machte mich auch froh, dass wir einfach noch die Anwesenheit des anderen genießen konnten. Es hatte auch andere Zeiten gegeben... Nichts worüber ich noch nachdenken wollte. Oder wie hieß es mal in einem Film mit einem Kung Fu Panda? Das Gestern ist Geschichte, das Morgen nur Gerüchte, doch das Heute ist die Gegenwart und die zu erleben ist ein Geschenk.

Nicht das ich immer danach leben würde, aber es gab Dinge in der Vergangenheit, die konnte man nicht ändern, deswegen sollte man sich nicht mehr darüber ärgern. Zumindest hatte ich das gelernt, als ich meine schweigsamen Jahre hatte. Mittlerweile hatte ich es auch akzeptiert, dass ich nicht wusste, warum ich mal nicht sprechen konnte. Es lag am Wasser, ich war total besoffen ins Wasser gefallen und das wars. Wie kaputt musste man eigentlich sein, dass man deswegen nicht mehr sprechen konnte? Was soll´s...

Im Endeffekt, jetzt wo ich wieder sprechen konnte, vermisste ich manchmal die Entschuldigung schweigen zu können. Meinen Block und den Stift hatte ich nach wie vor in meiner Hosentasche... Irgendwie gab er mir Sicherheit und in manchen Momenten war ich versucht ihn zu verwenden. Dann, wenn ich die irritierten Blicke bemerkte, wenn ich mit jemand sprach. Meine Stimme war wirklich nicht angenehm anzuhören. Es wäre übertrieben zu sagen, ich hasste sie, aber ich hegte gewisse Aversionen gegen meine Stimme. Wäre auch zu schön gewesen, wenn einfach alles gepasst hätte. Zack, Stimme da, Probleme mit meinem Vater gelöst, Victor und ich wieder beste Freunde, ich müsste nicht mehr auf einen Kerl stehen... Klar, Illusionen konnte man sich immer machen. Zu deprimierend.

„Ich geh an den PC...“, meinte ich schließlich. Es kam nichts im Fernsehen, Pascal war so gut wie weggedöst und ich musste noch an meinem Essay über Nonverbale Kommunikation „Ein Blick sagt mehr als tausend Worte?“ arbeiten. Pascal schaute mich etwas verpennt an, nickte dann aber. Kaum war ich vom Sofa aufgestanden, hatte er sich auch schon darauf ausgestreckt. Schien ihm ja sehr nahe zu gehen, dass ich nicht weiter mit ihm auf dem Sofa kuscheln würde.

Ich ging in mein Zimmer, in dem neben meinem Bett auch noch mein PC stand. Es war eher spartanisch eingerichtet, aber dafür schön ordentlich. Ich hatte damals auf ein eigenes Zimmer bestanden. Ich schlief zwar selten in dem Bett hier, aber es war ein gutes Gefühl auch mal für sich sein zu können. Raus aus dem Pascalschen Chaos, das die ganze Wohnung bis auf die Küche und dieses Zimmer hier ergriffen hatte. Selbst das Bad war schwer von der Chaoswelle zu retten.

Ich setzte mich an meinen PC und in solchen Momenten hätte ich genauso gut wieder der Johannes von vor vier Jahren sein können. Vielleicht fühlte ich mich auch manchmal noch so...

Ich gähnte, das Thema des Essays war ja wie auf mich zu geschnitten. Aber es gab Themen mit denen man sich nicht auseinander setzen wollte. Wie war es gewesen, nichts sagen zu können? Manchmal war es schrecklich gewesen, aber für einen Feigling wie mich, war es auch oft eine gute Ausrede gewesen für alles.

Ich schloss die Augen und machte sie wieder auf, um festzustellen das ich immer noch nicht mehr geschrieben hatte. Ich hatte mich tatsächlich dafür entschieden die deutsche Sprache eingehender zu studieren. Aber was hätte ich auch sonst tun sollen? Ich konnte nicht viel mehr als schreiben und ich interessierte mich auch nicht für etwas anderes, also wurde es eben Germanistik. Meine Eltern waren froh, dass ich überhaupt mal anfing zu studieren. Das letze Jahr hatte ich mich mit kleinen Jobs über Wasser gehalten und mich bei Pascal wohnlich gemacht. Und nebenher für ein kleines Magazin immer wieder Artikel geschrieben. Nichts ertragsreiches, aber eine gute Übung für mein Studium.

Ich seufzte, ich hatte keinen Bock etwas zu schreiben. Ich fühlte mich immer noch müde von der Arbeit im Lager und ich hatte heute auch noch nicht viel gegessen. Aber da Pascal völlig außerstande war zu kochen, wäre ich der Depp der Essen machen musste. Ein Blick in mein Portemonnaie sagte mir auch, dass ich nicht genug Geld hatte, um auswärts zu essen. Gah... warum konnte Pascal nicht kochen? Er war immerhin fast dreiunzwanzig!

Es gab Momente, da fühlte ich mich wie eine Haushälterin und nicht wie ein Mitbewohner. Aber er schien gerne im Dreck zu leben und es war offensichtlich mein Problem, wenn ich das nicht konnte. Ich schaute mich in meinem Zimmer um. Es war sauber, gut gelüftet und wie Pascal es ausdrückte, steril. Ich fühlte mich wohl. Wenn ich etwas gemütliches wollte, hatte ich immerhin noch den Rest der Wohnung... wie auch immer.

„Hey, wir haben Post.“ Ich drehte mich mit meinem Schreibtischstuhl zur Tür. Pascal stand mit verstruppelten Haaren und Post in der Hand da. Mir war gar nicht aufgefallen, dass er schon wieder von seinem Mittagsschlaf aufgewacht war und nach der Post unten geguckt hatte, wenigstens das machte er.

„Von Martin.“, meinte er schließlich. Ich schaute den Brief an, den mir Pascal entgegen hielt. Warum schickte uns Martin Post? Eigentlich hatten wir übers Internet Kontakt. Pascal schien genauso irritiert wie ich.

„Vielleicht ist er ja mit Tanja ausgewandert und hat dort kein Internet mehr.“, spekulierte er und wir schauten immer noch den geschlossenen Brief an. Es war komisch, heutzutage Briefe von Freunden zu kriegen. Eigentlich bestand unsere Post nur aus Werbung, Rechnungen und Versandbestellungen.

„Wir sollten ihn öffnen.“, stellte ich fest.

„Wollen wir das?“, fragte er mit einem unsicheren Blick. Man könnte meinen, wir hätten Angst vor einer Briefbombe. Aber wenn Martin schon mal einen Brief schrieb... Ich nickte schließlich, es war ja lächerlich, wie wir uns benahmen.

Ich riss den Umschlag auf und entdeckte ein Kärtchen. Ein weißes Kärtchen mit schnörkeliger Goldschrift und allein die Schrift machte schon klar, was es war.

„Eine Hochzeitseinladung.“, stellte ich erstaunt fest und hielt die Einladung Pascal hin, als ich sie nochmals gelesen hatte.

„Krass, dass die das durchziehen.“, meine Pascal nur anerkennend und verließ mit der Einladung in der Hand wieder mein Zimmer. Ich folgte ihm. Martin wollte heiraten? Er war doch erst... fünfundzwanzig. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass sich Martin tatsächlich langfristig binden wollte. Immerhin hatte er vor Tanja unzählige Beziehungen und Affären und wenn ich meinte, unzählige, meinte ich das auch. Ich war mir nicht mal sicher, ob Martin da so einen genauen Überblick seiner Frauengeschichten hatte. Aber gut, mit Tanja war er jetzt auch solange zusammen, wie ich mit Pascal und bei denen war es bedeutend reibungsloser verlaufen, als bei uns.

Pascal hing die Karte an unser wichtiges Pinboard beim Telefon und die Einladung schien sofort von den anderen Notizen assimiliert zu werden. Chaos. Egal was Pascal anfasste, es wurde chaotisch.

„Irgendwie kann ich mir das gar nicht vorstellen.“ Pascal schüttelte den Kopf. „Ich mein, Martin und Heiraten und er wird einen Anzug tragen! Hast du was davon mitgekriegt?“

Ich schüttelte den Kopf. Von der Verlobung hatte ich gewusst, aber ich hatte eigentlich gedacht, sie würden erst in drei, vier Jahren heiraten. Wenn man es genau nimmt, hatte ich gar nicht erwartet, dass sie wirklich einmal heiraten würden. Gruseliger Gedanke...

„Wir werden alt!“

„Du meinst wohl, du wirst alt.“, gab ich trocken zurück. Ich war noch zwei weite Jahre jünger als er. Beruhigenderweise. Aber man fühlte sich wirklich älter, wenn einer der besten Freunde plötzlich heiratet. Man hatte das Gefühl, als würde man in eine neue Lebensphase eintreten.

„Vielleicht ist sie schwanger.“ Würde die kurze Verlobungszeit erklären.

„Tanja?“, fragte Pascal verpeilt. Wir standen immer noch im Gang und starrten das Pinboard an.

Ich verdrehte die Augen. Natürlich Tanja, wer sonst?!

„Dann würden wir Onkels werden!“

Ich schaute ihn irritiert an und schüttelte nur den Kopf. Manchmal fragte ich mich, was in Pascal Kopf vorging. Er lachte sein typisches Pascal-Lachen und umarmte mich unvermittelt. Er war immer noch so überschwänglich, wie ich ihn kennen gelernt habe. Ich drückte ihn von mir und beendete auch den Kuss, den er mir gab, ziemlich schnell. Nicht dass er noch auf falsche Gedanken kam. Ich war viel zu kaputt, um jetzt mit ihm zu schlafen.

Alltag konnte so desillusionierend sein. Von wegen, jeden Tag Sex und am besten dreimal täglich. Man musste auch an seine körperlichen Möglichkeiten denken und die Zeit und den Gewöhnungseffekt... wie gesagt, desillusionierend.

„Was ist?“, fragte Pascal etwas verwundert über meine Reaktion.

„Ich bin müde und hungrig.“, erklärte ich ihm die Sachlage und ging in die Küche. Das Pascal kochen würde, konnte ich mir nur schwer vorstellen und ich sollte wirklich mal was essen. Mein Körper nahm es mir mittlerweile wirklich übel, wenn ich ihn nicht pfleglich behandelte. Ich setzte Nudelwasser auf und ging dann auf unseren kleinen Balkon, der sich an das Wohnzimmer anschloss. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass ich nicht in der Wohnung rauchte, dafür durfte ich auf dem Balkon machen was ich wollte.

Pascal hatte zwar die Hoffnung gehabt, dass ich das Rauchen aufgeben würde, auch meiner Stimme zu Liebe. Aber meine Stimme war sowieso so verkorkst, da machte das bisschen Rauch auch nichts mehr aus und mit dem Rauchen aufhören war mir einfach zu stressig. Ich hatte genug andere Sachen um die Ohren.

Als ich wieder in die Küche kam, stellte ich überrascht fest, dass Pascal vor dem Herd stand und gerade Nudeln ins Wasser schüttete. Er half mir? Ich lächelte und stellte mich neben ihn.

„Du kochst?“, fragte ich mit einem Grinsen. Ich wusste warum er das machte, aber ich freute mich trotzdem.

„Nur für dich.“ Er lächelte kurz in meine Richtung, konzentriete sich dann aber wieder auf das Umrühren der Nudeln. Seit ihm vor zwei Monaten Nudeln reingebrannt waren, weil zu wenig Wasser im Topf gewesen waren, war er mit den Nudeln besonders akribisch. Vor allem, weil ich ihn den Topf hab auskratzen lassen. Ich sah es nicht ein, mich zu einem Haussklaven machen zu lassen, auf Grund mancher hausmännerischer Defizite bei Pascal. Aber er gab sich ja Mühe. Für mich.

Ich umarmte ihn von hinten und war eigentlich gerade richtig zufrieden. So war das Leben und es war ein gutes Leben mit Pascal. Und vielleicht war heute ja doch noch Sex drin.
 


 

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Das Nachwort ist in meinem Weblog zu lesen, also hier: http://animexx.onlinewelten.com/weblog/24625/345026/
 

Falls ihr noch Fragen stellen wollt, könnt ihr das gerne machen, einen Weblogeintrag kann man ja leicht editieren.
 

Ich hoffe ihr hattet eure Freude an Hintergrundrauschen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (226)
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Von:  Luca191
2011-04-18T11:54:45+00:00 18.04.2011 13:54
Hmmmm, also ich finde die Geschichte echt super klasse. Du hast einen tollen Schreibstil, was das Lesen echt angenhem gestaltet hat. Es war bis zum letzten Kapitel einfach nur klasse.
Aber was ich leider sagen muss, das mich das Ende enttäuscht hat.
Die ganze Zeit wartet man darauf, dass man erfährt, warum er seine Stimme verloren hat und dann doch ein so, wie soll ich sagen, unspektakulärer Grund? Im Endefekt hätte ja dann seine Ex wissen müssen, was denn passiert ist. Und ich denke bei so etwas schwer wiegendem hätten die Eltern von Jo sie auch selber gefragt. Und auch wenn der Epilog ein bisschen was erklärt, hätte ich mit mehr gewünscht. Wie reagiert seine restliche Familie dass er schwul ist.
Er redete von vielen Problemen in der Beziehung, welche? Wie hat sich Beziehung im allgemeinen entwickelt? Wie gesagt, die Geschichte an sich einfach klasse, bis auf das Ende. Nichts für Ungut.
LG Luca

Von:  peggy17
2011-01-11T12:43:16+00:00 11.01.2011 13:43
Ich hab die Geschichte erst vor ein paar Tagen gefunden und sie gefällt mir sehr gut! Der langsame Aufbau war schön und Jos Unwissenheit bzgl. Pascals Gefühlen war wirklich verständlich. Ich liebe Pascal! *g*
Aber schade, dass sich Jo und Victor nicht mehr richtig vertragen haben. Hab zwar nicht erwartet, dass es wie früher wird, aber ein bisschen mehr Versöhnung hätte schon drin sein können ;)
Von:  Pepsi67
2010-09-06T21:53:30+00:00 06.09.2010 23:53
Hab Deine Geschichte entdeckt und in einem Rutsch gelesen, da ich einfach
immer wissen wollte, wie es weitergeht, wann er wieder sprechen kann, an was es gelegen hat,ob er mit Pascal zusammenkommt usw. Eigentlich fand ich ihn auch gar nicht so ignorant sondern durch seine eigene Problemem, die ja für ihn gravierend waren, nicht offen für seine Mitmenschen. Was ich im Übrigen sehr gut verstehn kann. Ein bisserl schade fand ich allerdings schon, dass man nicht noch mehr darüber erfuhr, wie andere darauf reagierten, dass er plötzlich wieder sprechen konnte. Auch hätte ich noch gerne über das Trauma gelesen. Nichts desto trotz hat mir die Geschichte super gefallen und werde deine anderen Geschichten auch noch lesen.
lg, Pepsi
Von:  Litschie
2009-12-05T22:03:11+00:00 05.12.2009 23:03
Also ich finde die Geschichte echt toll, aber du hast noch ziemlich viele fragen offen gelassen. Wieso hat er jetzt eig. seine Stimme verloren? das hab ich noch ned so wirklich verstanden. Aber so an sich, ne echt geile Story, auch wenn du die Kussszenen en bissl mehr ausschmücken hättest können ;3 Ich mochte deine Vergleiche und dein Schreibstil ist auch supi. Ich fand es bemerkenswert wie oft das Wort Fuck und Scheiße drin auftauschte- jetzt ned negativ gemeint ^^
Ach und noch eine brennende Frage: Was sin das den für Kapitelüberschriften? das interessiert mich total *Q* Würd mich über ne Aufklärung freun. Achja, schade, das das Ende so schnell und abrupt kam ôO

MfG und weiter so,
Sachiyo
Von: abgemeldet
2009-12-01T14:50:40+00:00 01.12.2009 15:50
oh man ich bin begeistert. diese geschichte ist er einfach der hammer und ich hab sie echt lieb gewonnen. besonders die charaktere. <3
hach jo und pascal sind einfach herzallerliebst und ich bin wirklich, wirklich froh, dass sie es geschafft haben. die gehören einfach zusammen <3 was mir an deiner geschichte noch außerordentlich gut gefallen hat, war johannes' spitzname: donnie. einfach toll XDDD
die reaktion von seinem vater hat mir wirklich sehr leid getan ... ich hab ja gedacht, dass er sich wieder beruhigt, nachdem er erfährt, dass johannes seine stimme wieder hat, aber dem ist ja leider nicht so :(
pascals familie ist einfach toll XD genauso wie johannes' mutter :)
was mir noch sehr gut gefällt ist, dass du johannes' stumm-sein nicht so in den vordergrund gestellt hast, sondern wirklich pascal und ihre beziehung. das fand ich sehr wichtig :)
dein schreibstil ist auch echt klasse und ich bin wirklich froh, dass ich deine geschichte entdeckt hab! leider ist sie ja schon aus ...
die charaktere sind mir wirklich ans herz gewachsen und damit mein ich nicht nur pascal und donnie! sondern auch die anderen :)
aber ein paar sachen hätte ich dennoch eigentlich ganz gern erfahren: was ist jetzt eigentlich mit jo und victor? nachdem victor ihm das geschenk gegeben hat und jo eigentlich auch nicht mehr abgeneigt war sich mit ihm wieder anzufreunden? und wo ist lisa geblieben? ich fand es doch sehr komisch, dass sie auf einmal nicht mehr aufgetaucht ist, obwohl es vorher schon so vorgekommen ist, als ob sie pascals beste freundin sei... immerhin hast du ja mal erwähnt, dass sie und doro ja schon stammgäste bei pascals familie waren?
ansonsten aber wirklich toll. XD

GLG mizuki

Von:  Beleth
2009-11-29T02:04:24+00:00 29.11.2009 03:04
eine wunderbare geschichte für die es sich lohnt die ganze nacht wach zu bleiben :3

ich hätte da nur bezüglich gabriel eine frage, da er plötzlich auftauchte und ich das gefühl hatte es wäre die rede von raphael.... sind das zwei verschiedene personen? habe ich einfach ein autorkommentar verpasst? bringe ich einfach etwas total durcheinander? (zumindest sind die namen aus der gleichen erzengelkategorie ^^)

jedenfalls vielen lieben dank für diese story. man findet eben noch richtige schätze wenn man auf mexx lange genug sucht

liebe grüße


Von:  felitastic
2009-10-23T17:38:48+00:00 23.10.2009 19:38
Ich mag stumme Menschen! yeah! Die widersprechen nämlich nie, höhö...
Ich fand die Geschichte aber recht anstrengend zu lesen, könnte allerdings auch am eklatanten Mangel von Sphinxen, Drachen, Irrlichtern und Kaffee liegen. Hm. Warte, kam Kaffee vor?
Mit Henning keineswegs zu vergleichen *seufz* Aber: Ennoah rockt!
Von: abgemeldet
2009-05-11T19:07:36+00:00 11.05.2009 21:07
frage...hieß der gabriel nicht vorher raphael?^^'
Von: abgemeldet
2009-05-11T18:58:24+00:00 11.05.2009 20:58
jaja, genauso isses xD erst ist es schrecklich verwirrend, aber dann kann man nichts mehr dagegen tun xD ich kenne das aus eigener erfahrung. als ich meine freundin kennen gelernt habe (sie ist meine erste beziehung und dann auch noch eine homosexuellle xD omg, meine arme mutter) hab ichs auch nich verstanden aber ich wollte ihr auch imme rnah sein xD
das kapitel ist echt super und ich mach mich ma ans weiterlesen!

liebe grüßchen,
*patter, patter* engelchen
Von:  WordlessPoet
2009-04-08T09:24:33+00:00 08.04.2009 11:24
Sooo, nachdem ich gestern bis um halb Vier aufbleiben musste, um dieses Meisterwerk zu ende zu lesen und die Nachbarn es lustig fanden, um halb Acht damit anzufangen, mit Schlagbormaschinen direkt neben meinem Kopf, ihre Wände einzureißen, fühle ich mich jetzt einigermaßen in der Lage einen gebührenden Kommentar zu hinterlassen^^

Dass es ein Meisterwerk ist, habe ich schon erwähnt, also werde ich an anderer Stelle Weitermachen.
Ich liebe die Charaktere, die sind sowas von lebendig und sehr nachvollziehbar. Besonders Jo oder Donnie^^ ( Donnie Darko... Ich hab den Film ja bis jetzt noch nicht gesehen aber das ist anscheinend eine Wissenslücke, die ich schleunigst beheben muss XD), den muss mam einfach liebhaben. An manchen Stellen konnte ich richtig nachfühlen, wie besch**sen es sein muss nichts sagen zu können, besonders, wenn man sich gerne streiten würde, dass die Fetzten fliegen. Mich überkam dann manchmal das Gefühl dass ich ebenfalls gleich platzen müsste, armer Jo.
Andererseits, finde ich es sehr interessant, wie gut man sich doch (teilweise) Verständigen kann, wenn man keine Worte benutzt.
Über Pascal muss man eigentlich nichts sagen, ein richtiges Goldstück, mit dem Herz am rechten Fleck und trotzdem nicht der übermenschliche Gutmensch, ohne Schwächen (solche Menschen gibt es nicht, oder zumindest habe ich noch nie einen zu Gesicht bekommen >.<)
Ich mag auch die Nebencharaktere, davon ist jeder eine Klasse für sich.

Die Story an sich finde ich auch gut gelungen, locker flockig und troz des manchmal ernsten Themas immer mit Witz. Dass sich die Handlung nur langsam entwickelt, stört mich nicht, im Gegenteil, ich bin Fan von geschichten, die langsam erzählen konnen, ohne dabei langweilig zu werden.
Was ich ein bisschen Schade finde, ist, dass man so wenig über die Ursache des Traumas erfährt, allerdings..., wenn ich jetzt so darüber nachdenke, stört es mich nicht wirklich.
Ich wurde nur vom Ende (ohen Epilog) etwas überrascht. Ich hab das letzte Wort gelesen und dachte. "nein, dass kann doch nicht ihr Ernst sein" aber gut, im Endeffekt wars dann doch der August^^ und der Epilog hat dann meine Neugier vollends befriedigt.

Ich bin froh dass ich so lange wach geblieben bin, hat sich echt gelohnt.
In diesem Sinne, sag ich nur noch eines:
Moppelkotze XD

LG WordlessPoet



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