Kapitel 6
In der ersten Zeit nach Mikaels Ankunft fiel es mir zunehmend schwer, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, doch der Schwede war, ganz wie ich es erwartet hatte, eine große Hilfe für mich. Trotz seines jungen Alters von etwas über 20 Jahren war er aufmerksam, wissbegierig und schnell von Begriff, weshalb er mir schon bald als unverzichtbar erschien. Doch dies hatte auch andere Gründe.
Ich hatte es mir zum Ziel gesetzt, etwas über ihn herauszufinden, ihn besser kennen zu lernen, ihn zum Lachen zu bringen. Das war in der Tat ein schwieriges Unterfangen. Da eher hätte ich eine Horde Kleriker zum Satanismus bekehrt. Alles, was ich – und auch die anderen – von Mikael erhielten, waren forschende Blicke. Seine Miene blieb so kalt wie Eis, weshalb ich ihn insgeheim "Eisprinz" nannte. Doch manchmal, wenn er mir direkt in die Augen sah, glaubte ich, ein leidenschaftliches Glühen darin aufflackern zu sehen. Aber wenn ich genauer hinsah, war es verschwunden.
So vergingen die Monate und der Winter verging mit Eis und Schnee. Mikael schien bei diesem Wetter aufzublühen, ich jedoch fror wie ein Schneider. In einer dieser Nächte arbeiteten wir lang und hart, bis in den Tag hinein, doch es wurde nicht wirklich wärmer. Nun herrschte auch tagsüber Frost, was mir extrem aufs Gemüt schlug und mir eine unglaubliche innere Kälte bescherte. Ich lief schon fast mit Dauergänsehaut durch die Gegend. Als Südländer war ich dieses Wetter einfach nicht gewohnt.
"Komm, lass uns für heute aufhören", forderte ich Mikael auf, nachdem wir den ganzen Tag geackert hatten.
"Ist gut", stimmte er mir zu. "Dann gehe ich jetzt nach Hause, wenn du erlaubst."
Ein leichtes Seufzen verließ meine Lippen, was mir einen fragenden Blick einbrachte. "Du bist ein hoffnungsloser Fall, Mikael, weißt du das?", erklärte ich und zuckte die Achseln. "Was meinst du, würdest du noch einen Becher mit mir heben? Du bist eingeladen." War das zu offensichtlich? Den ganzen Tag über hatte ich rotiert, sodass ich mich jetzt nicht entspannen konnte, und einfach Unterhaltung, Ansprache und Nähe brauchte. Seine Nähe. Aber ich hatte Zweifel, ob er darauf eingehen würde. Bisher hatte er meine Zuneigung gescheut und meine Einladungen immer abgewiesen. Mit flehendem Blick sah ich ihn an. 'Bitte, lass mich heute nicht allein.'
"Wenn du mich so nett bittest, kann ich unmöglich nein sagen, Vittorio." Das kam für mich so überraschend, dass ich mein Gegenüber erst einmal fassungslos anstarrte. "Ernsthaft?", fragte ich nach.
"Ernsthaft. Ich mache keine Scherze." Sein Gesicht blieb unbewegt und doch hatte ich das Gefühl, dass da etwas war… So eine Ahnung, dass er ebenfalls nicht allein sein wollte.
"Gut, dann lass uns gehen."
Ich ging ihm voraus zu meiner Wohnung. Diese schließt im Übrigen direkt an die große Halle an und ist ziemlich geräumig. Ich hatte mir schon immer viel Mühe damit gegeben, es mir gemütlich zu machen. Aus diesem Grund hatte ich auch schon immer Blumen im Wohnzimmer stehen, vorzugsweise rote Rosen. "Nimm Platz", forderte ich meinen Gast auf und deutete auf das Sofa. Ich ging zum Schrank, in welchem ich Becher und natürlich Blut aufbewahrte, und füllte zwei Gefäße mit der roten Flüssigkeit.
Vorsichtig balancierte ich die Becher zum Sofa und reichte Mikael einen. "Hier, bitte sehr." Mit einem freundlichen Lächeln sah ich ihn an, doch ich bekam keines zurück.
"Danke." Er nahm den Becher und hob ihn mir zuprostend entgegen. So stieß ich mit ihm an und trank, wobei mein Blick über den Becherrand hinaus nach seinem suchte. Er war so schön, dass ich glaubte, mir würde das Herz zerspringen. Als mein Trinkgefäß leer war, stellte ich es auf dem Tisch ab und fragte: "Noch einen?"
"Nein, vielen Dank", lehnte er ab und schaute sich dann neugierig in meiner Wohnung um. Interessiert verfolgte ich seine Blicke, die durch den Raum schweiften. 'Wundervoll', ging es mir durch den Kopf, als ich ihn so beobachtete. Sein Profil, sein langes, goldenes Haar, einfach alles an ihm war traumhaft schön. Wie sehr wünschte ich mir, ihm nahe zu kommen, ihn zu berühren…
Ein leichtes Zittern durchlief meinen Körper bei dem Gedanken, wie sich wohl seine Haut anfühlte. Mikael bemerkte es und schaute mich fragend an. "Ist dir kalt?", frage er und klang dabei sogar leicht besorgt. Dieser Klang in seiner Stimme ließ mich erröten.
"Mir ist in letzter Zeit immer kalt", gab ich zu. "Dieser Winter ist nichts für mich. Ich mag es warm. Nicht so zugig und kühl."
"Dann brauchst du etwas, das dich aufwärmt."
"Und was sollte das sein?", fragte ich skeptisch, jedoch auch ein kleines bisschen hoffnungsvoll. 'Bitte, sag, dass du mich in den Arm nimmst und wärmst.'
"Na, etwas warmes Blut zum Beispiel würde schon helfen. Aber in diesem Winter ist sogar das kalt", antwortete Mikael gelassen. Leicht enttäuscht wandte ich meinen Blick ab.
"Habe ich etwas Falsches gesagt?", fragte er vorsichtig und kam mir ein Stück näher.
"Nein, alles in Ordnung", gab ich zurück und versuchte ein Lächeln, doch es tat weh, was er gesagt hatte. Ob er sich dessen überhaupt bewusst war? Wie sehr ich mich nach ihm verzehrte? Ich wollte nichts so sehnlich wie seine Aufmerksamkeit, seine Zuneigung, ja, vielleicht sogar seine Liebe. Ich schlang meine Arme um mich und rieb meine Oberarme mit den Händen. "Abgesehen davon, dass ich immer noch leicht friere."
"Ich hole dir eine Decke. Sag mir nur, wo ich eine finde, dann bekommst du sie sofort", bot mir mein Gast an, doch ich winkte ab. "Es ist gut, wirklich. Ich werde mich ohnehin bald zu Bett begeben, also mach dir bitte keine Umstände."
"Nun, wenn das so ist, werde ich mich zurückziehen und dich ruhen lassen, mein Fürst. Ich wünsche dir einen angenehmen, erholsamen Schlaf." Damit stand er auf und verneigte sich leicht vor mir.
"Nein!", fuhr ich auf.
"Nein, was?" Verwirrt blickte er mich an.
"Bleib noch ein wenig", bat ich ihn fast schüchtern und konnte ihm nicht in die Augen sehen. "Ich… möchte nicht allein sein."
Er nickte und setzte sich wieder zu mir. "Wie du befiehlst, mein Fürst."
'Oh, verdammt, warum tust du mir das an? Kapierst du nicht, was ich dir sagen will? Warum kannst du nicht von dir selbst aus bleiben, weil du gern bei mir bist? Hasst du mich so sehr, dass du nur hier bleibst, weil ich es befehle?' Ich biss mir auf die Unterlippe um die aufsteigende Traurigkeit in mir zurück zu kämpfen und fand schließlich meine Selbstbeherrschung wieder.
"Ich habe dich verletzt, mit dem, was ich gesagt oder getan habe", stellte Mikael fest und schaute mich traurig an.
Ich schüttelte nur den Kopf. "Nein, das hast du nicht. Ich bin nur froh, dass du hier bleibst, das ist alles", lächelte ich zart und tastete vorsichtig nach seiner Hand.
Da war es wieder! Die Leidenschaft, die für wenige Sekunden in seinen Augen aufflammte, und mir schien, als wolle er mir in diesem Moment förmlich an die Wäsche. Doch dann war er wieder die Ruhe selbst, lehnte sich gepflegt zurück und schaute mir ernst in die Augen. "Ich werde immer an deiner Seite sein, Vittorio, das schwöre ich dir."
Bei diesem Geständnis fing mein Herz an, schneller zu schlagen und ich spürte, wie mir wieder das Blut in die Wangen schoss, als er meine Finger leicht drückte. "Das freut mich", sagte ich leise und blickte ihn schüchtern an. Mein Gott, seit wann war ich so? Dieser Mann brachte mich völlig aus dem Konzept, trotz seiner reservierten Art.
Eine Weile saßen wir so schweigend nebeneinander. Schließlich raffte ich mich auf und fragte ihn: "Mikael, wenn ich dir die Frage stellen darf, wie wurdest du zum Vampir?"
Ich rechnete nicht wirklich damit, eine Antwort zu erhalten, doch endlich, nach einiger Zeit, begann er, zu sprechen:
"Ich war gerade dabei, Arzt zu werden. Es war immer mein Wunsch gewesen, den Menschen zu helfen. Eines Nachts wurde ich jedoch gegen meinen Willen von einem völlig Fremden zum Vampir gemacht. Plötzlich fand ich mich in der gegenteiligen Position. Um zu überleben musste ich den Menschen schaden. Ich war damit völlig überfordert. Während ich noch damit kämpfte, mit der Situation fertig zu werden, wurde der, der mich gebissen hatte, vor meinen Augen gefangen genommen. Die Inquisition hatte uns aufgespürt. Der Anführer war ein besonders übler Kerl, dem es nicht genug war, ihn zu töten. Nein, er quälte ihn, sodass mein Gefährte seinen Peiniger am Ende anflehte, ihn zu töten. Doch dieser kranke Kerl fand Gefallen daran, es mich tun zu lassen. Zuerst weigerte ich mich, doch mein Schöpfer flehte mich an, es zu tun. So stieß ich ihm einen Pflock mitten ins Herz. Ich, der ich immer Leben retten wollte hatte eines genommen. Danach verlor ich fast den Verstand und in dem Chaos, das durch meine wilde Raserei entstand, entkam ich irgendwie. Sie jagten mich. Als Juan mich fand, war ich fast am Ende."
"Von Falkenberg." Mehr sagte ich nicht. Der, der Mikaels Schöpfer so gequält hatte, konnte niemand anderes sein.
"Von Falkenberg? Wer ist das?", fragte Mikael nach.
"Ein Abtrünniger. Sein voller Name ist Emanuel von Falkenberg. Um seine eigene Haut zu retten, lief er zur Kirche über und jagt seither unsereins. Aber jetzt wollen wir nicht von ihm reden." Um Mikael zu trösten, legte ich meine Arme um ihn und streichelte zärtlich über seinen Rücken. "Es tut mir so Leid, Mikael."
"Ist schon in Ordnung. Es ist nicht deine Schuld."
Seine Stimme klang ganz ruhig und gefasst, doch ich spürte, wie er ganz leicht zitterte.
Tatsächlich blieb er fast den ganzen restlichen Tag über bei mir, doch näher kamen wir uns dabei nicht mehr. Stattdessen unterhielten wir uns über dieses und jenes. Bis weit nach Mittag saßen wir zusammen und tranken. Schließlich fielen mir vor Erschöpfung die Augen zu und ich schlief auf dem Sofa an seine Schulter gelehnt ein. Erwacht jedoch war ich am darauffolgenden Tag in meinem Bett. Die Vorstellung, dass er mich dorthin getragen hatte, machte mich unsagbar glücklich.
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So, er wird schon etwas weicher, der gute Mika. ^^
Die Stelle mit seiner Lebensgeschichte ist nicht von mir, sondern von Nanna. Ich hab sie nur meinem Schreibstil angepasst. Also, wenn ihr was zu Mika zu sagen habt, ich denke mal, seine geistige Mutter würde sich auch über Rückmeldungen freuen. ^^
An KleinYugi5000: Ja, Mikael ist ein schwedischer Name. Sogar einer der beliebtesten.