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Der Weg zum Glück

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Mein 2-Monats-Vorhaben habe ich diesmal leider nicht ganz einhalten können, aber ich habe echt einen April-of-Doom hinter mir. Gott, so viel Zeug. x_x Und im März bin ich wider erwarten auch nicht zum Weiterschreiben vom nächsten Kapitel geworden. Ist doch mehr los, als man denkt, wenn man heiratet. ;)
Aber jetzt beginnt erst mal das Wochenende, also wollte ich auf jeden Fall die nächstbeste Gelegenheit nutzen, das letzte fertige Kapitel noch mal drüberzulesen und euch nicht länger vorzuenthalten. 2 Monate sind schon lang genug. Ich hoffe, das Warten hat sich gelohnt und es gefällt euch. Ich hätte beim Schreiben gern noch so viel mehr rein gebracht. So viel mehr zwischen Kurogane und Fye, aber auch so viel mehr zwischen den anderen. Es passiert noch sehr viel. Und alles gleichzeitig. Deshalb haben Klayr und ich uns auch von Anfang an entschieden, in diesem Kapitel beide Erzählungen parallel laufen zu lassen. Ich hoffe, dass die Timelines auf die Art gut rüber kommen. Jedenfalls hat die viele Handlung das Kapitel dann plötzlich auch in astronomische Längen schießen lassen (für meine Verhältnisse) und ich finde, so wie es ist, sollte es jetzt auch bleiben.
Ich hoffe, dass ich bald am nächsten Kapitel weiterarbeiten kann, aber solange das Semester läuft, sieht es schwierig aus. Da hab ich echt einfach zu tun. Vor allem mit dem Enspurt meiner Fortbildung nebenher noch. Die Projekte werden jetzt auch immer aufwändiger. Deshalb drückt mir am besten die Daumen, feuert mich an, tretet mir in den Hintern - ganz egal was - damit ich am Ball bleibe. Ich mein - hey! Schaut euch mal den Fortschritt an! Wir sind bei über 90%! Das ist Kapitel 24 von 26! Und wenn ich schon mal ein klein wenig spoilern soll... Kapitel "26" wird der Epilog. Ich seh also auch langsam dem Ende dieses - ja, man könnte schon fast sagen "Lebenswerks" - mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen.

Und euch jetzt erst mal viel Spaß mit Kapitel 24! Komplett anzeigen

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Du bist viel mehr/ Das Herz eines Kindes

Disclaimer: Die Charas gehören (bis auf wenige Ausnahmen) nicht uns, sondern Clamp. Wir wollen kein Geld damit verdienen, sondern nur unterhalten.
 

Erstschreiber des Kapitels: Lady_Ocean

Kapitel: 24/26
 

-~*~-
 

„Im Grunde sind es doch die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben.“

(Wilhelm von Humboldt)
 

-~*~-
 

Du bist viel mehr/ Das Herz eines Kindes
 

Am liebsten hätte Kurogane jetzt gegen irgendetwas geschlagen – eine Mauer, einen Laternenpfahl, irgendwas, wenn seine pochende Schulter es zugelassen hätte. Die Wut in ihm drohte ihn schier zu überwältigen. Wut auf sich selbst, sein dilettantisches Handeln in der Lobby, das es diesem Verbrecher ermöglicht hatte zu fliehen. Wie sollte er Fye noch unter die Augen treten können? Er hatte jämmerlich versagt. Er hatte die Chance gehabt, ihn zu beschützen und diesen Ashura dingfest zu machen, um Fye endlich von seiner Angst zu erlösen, aber er hatte sie vertan.

Sein Blick glitt zurück zu dem Krankenwagen, in den man Fye gebracht hatte. Das Schließen der Türen verriet ihm, dass der Patient jetzt wohl transportfertig war und ins Krankenhaus gebracht werden konnte. Wenige Augenblicke später fuhr der Wagen auch schon los. Kurogane sah ihm eine Weile schwermütig hinterher. Am liebsten wäre er gleich mitgefahren, hätte Fye keine Sekunde mehr aus den Augen gelassen, aber es gab noch eine weitere wichtige Angelegenheit, der er dringend nachgehen musste. Er sah auf die Uhr; selbst bei dieser kleinen Bewegung musste er die Zähne zusammenbeißen. Er gestand es sich nur ungern ein, aber der Schmerz in seiner Schulter wurde immer schlimmer. Dabei hatte er jetzt überhaupt keine Zeit für so was! Wenn er sich beeilte, war er vielleicht noch rechtzeitig im Gerichtssaal. Also riss er sich zusammen. Da musste er jetzt einfach durch. Mit steifen Schritten ging er zu einem der verbliebenen Rettungssanitäter, der bei einem weiteren Krankenwagen gerade ein Protokoll ausfüllte und kritzelte seine Handynummer auf den oberen Rand des Formulars, das empörte „Hey! Was machen Sie da?“ des Arztes gekonnt ignorierend.

„Ich muss weg. Sollte sich am Zustand des Verletzten irgendetwas verändern, benachrichtigen Sie mich sofort.“

Damit machten er auf dem Absatz kehrt und wollte bereits verschwinden, als ihn plötzlich jemand grob packte, ausgerechnet am rechten Arm, und so zum Stehenbleiben zwang. Vor Schreck entwich Kurogane ein markerschütternder Schmerzensschrei, er taumelte einige Schritte zurück und hatte für einige Augenblicke Mühe, das Gleichgewicht zu behalten.

„Sie müssen nirgendwo hin. Sie kommen gefälligst mit, so wie Sie aussehen“, kommentierte der Arzt, der ihn gerade so grob am Gehen gehindert hatte, trocken. Wenn nicht schon das Atmen schmerzhaft genug gewesen wäre, hätte Kurogane ihm diese Dreistigkeit prompt heimgezahlt, aber im Moment hatte er noch immer genug damit zu tun, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Dennoch konnte er nicht hier bleiben. Die Zeit drängte.

„Es gibt Wichtigeres!“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich muss dringend bei einem Gerichtsverfahren aussagen.“

Doch den Arzt schien das wenig zu interessieren.

„Wenn Sie hier weiter so mit ihrem Blut um sich werfen, sagen Sie bald gar nix mehr. Da veranstalten Sie höchstens noch eine Freakshow im Bus und im Gerichtssaal, falls sie es bis dahin schaffen sollten, und ich werde mir bestimmt nicht nachsagen lassen, das toleriert zu haben.“

„Du hast nicht wirklich vor gehabt, in dem Zustand zum Gerichtsgebäude zu fahren?“, hörte er plötzlich Toyas Stimme hinter sich. Er war also auch hier? „Dass du heute nicht aussagen kannst, ist längst geklärt. Lass zuerst deine Verletzungen versorgen. Oder willst du mit dem Anblick deiner Tochter den Schreck ihres Lebens verpassen?“

Kurogane wusste, eigentlich war das ein weitaus weniger wichtiges Argument als das dieses Arztes, aber es traf. Auch ohne Spiegel konnte er sich denken, wie er im Moment aussehen musste: direkt dem Gruselkabinett entflohen.

„Doktor Kyle wird sich erst mal um dich kümmern und wenn deine Schulter versorgt ist, sehen wir weiter.“

Toyas Blick ging hinüber zu dem sadistischen Arzt, der ihn mit seinem Ruck am Arm praktisch bewegungsunfähig gemacht hatte. Kyle also… Den Namen würde er sich merken. Aber…! Er konnte einfach nicht hier bleiben. Tomoyos Zukunft stand auf dem Spiel. Lieber verlor er einen Arm als seine Tochter!

„Stoppen Sie einfach die Blutung und helfen Sie mir, etwas Sauberes überzuziehen. Wenn der Prozess vorbei ist, können Sie mich von mir aus durchchecken.“

„Der Blutverlust beeinträchtigt Ihr Urteilsvermögen stärker, als ich erwartet hatte“, kommentierte Dr. Kyle und machte keinerlei Anstalten, Kuroganes Anweisung Folge zu leisten.

„Kurogane, sei nicht albern!“, pflichtete Toya, langsam deutlich genervt, dem Arzt bei. „Ob du nun zur Verhandlung gehst oder nicht, macht überhaupt keinen Unterschied mehr. Wenn deine Aussage heute überhaupt noch gefordert wird, geht das auch per Videokonferenz. Du gehst jetzt ins Krankenhaus und lässt dich behandeln. Das ist ein Befehl.“

Bei dem letzten Satz hatten Toyas Gesicht und Stimme dieselbe Härte angenommen, die er ihm vor dem Einsatz entgegen gebracht hatte. Doch davon ließ Kurogane sich nicht beirren.

„Du hast überhaupt keine Befugnis, mir Befehle zu erteilen“, erwiderte er desinteressiert. Auch wenn er eigentlich wusste, dass dem nicht so war. Und Toya wusste das genauso.

„Solange du suspendiert bist, gelten für dich die gleichen Regeln wie für jeden anderen Bürger. Also entweder lässt du dich jetzt freiwillig ins Krankenhaus bringen, oder ich weise Dr. Kyle an, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um dich notfalls auch ohne dein Einverständnis dort hin zu schleifen.“

„Wenn meine Abwesenheit in irgendeiner Form negative Auswirkungen auf die Verhandlung hat, mache ich Sie dafür verantwortlich, Toya!“, knurrte Kurogane den Hauptkommissar an, gab dann aber seinen Widerstand auf. Das überhebliche Grinsen im Gesicht des Arztes gefiel ihm gar nicht. So setzte er sich unfreiwillig auf einen Stuhl im Innern des Krankenwagens und ließ es über sich ergehen, transportfertig gemacht und ins Krankenhaus geschleppt zu werden. Wenigstens konnte er so ein besseres Auge auf Fye haben, ging es ihm durch den Kopf. Doch die Sorge um seine Tochter verringerte das kein Stück.
 

Im Gerichtssaal war ein heilloses Durcheinander entstanden, als Yuuko die Botschaft überbracht hatte, dass die Hauptperson, um die es in der heutigen Verhandlung gehen sollte, nicht anwesend sein würde. Nachdem die Umstände erklärt und die ersten Ergebnisse der Auswertung des Beweismaterials eingesehen waren, schlug die Stimmung jedoch schlagartig in Sorge um. Yuukos eigenmächtiges Handeln wurde von ihrem Kollegen und heutigen Kontrahenten Fei Wong Reed scharf kritisiert, die Armee suchte fieberhaft nach einer Lösung, Kurogane schnellstmöglich von diesem Fall abzuziehen und durch einen Kollegen zu ersetzen. Der Richter, Yukito Tsukishiro, ein noch junger Mann, der vor wenigen Jahren erst sein Amt angetreten hatte und im Fall des Soldaten Stephan Dukari und bezüglich des Sorgerechts für Tomoyo Sugawara verantwortlich war, plädierte für eine Verschiebung des Prozesses. Doch egal, wie diskutiert und überlegt wurde, nun konnte niemand mehr groß etwas an der Situation ändern. Die Vorbereitungen für Kuroganes Einsatz waren bereits in vollem Gange. Es war zu spät, um nun noch einen neuen Spezialisten für diesen Einsatz auszuwählen, davon einmal abgesehen, dass Kuroganes Fähigkeiten die seiner Kollegen deutlich in den Schatten stellten und selbst in der Spezialeinheit der Armee kein besser geeigneter Soldat zu finden war. Eine Verschiebung der Verhandlung wäre vor allem mit Blick auf den Gesundheitszustand der Mutter problematisch. Sie würde in zwei Wochen nach Amerika zurückfliegen müssen und noch einmal so ein Wunder zu bewerkstelligen, innerhalb dieser kurzen Zeit einen neuen Gerichtstermin festzusetzen, war undenkbar. Und das kleine Mädchen so lange in verschiedene Hände zu geben ohne zu wissen, was letztlich aus ihr werden würde, war für das Kind ebenfalls nicht zumutbar, entschied man. So blieb es dabei, dass sich zähneknirschend und mit flauem Gefühl im Magen alle einigten, die Verhandlung wie geplant durchzuführen und dass man auf die Anwesenheit der zentralen Person und die Aussage von Tomoyos Kindergärtner, um dessen Leben bangend, wohl oder übel verzichten musste.

Nachdem dies intern entschieden war, wurden die Zeugen über den veränderten Ablauf informiert. Das Ehepaar Dukari, vor allem die Ehefrau, war außer sich vor Wut, dass Kurogane nicht einmal den Anstand besäße, öffentlich zu seiner Tat zu stehen und sich so feige verkroch. Yuuko hätte ihr gern den Grund für die Abwesenheit mitgeteilt, denn die verletzenden Anschuldigungen der Frau fand sie ungeheuerlich. Doch es war das Beste, wenn keiner der Zeugen die genaueren Details über die Abwesenheit der fehlenden Personen kannte. Vor allem Kuroganes Tochter nicht, die schon bei der Nachricht, dass ihr Vater und ihr Kindergärtner nicht kommen würden, in Tränen ausgebrochen war.

„Nii-chan hat es mir aber versprochen! Nii-chan hat gesagt, dass ich meinen Papa heute wiedersehen kann! Wo ist mein Papa? Ich will zu meinem Papa!“

Sie war kaum zu beruhigen, weder durch Oruha noch Sakura und Shaolan oder irgendeinen der anderen Anwesenden. Auch Yuuko wurde beim Anblick des Kindes schwer ums Herz. Vor allem ihretwegen durfte niemand der hier Anwesenden den Grund für die Abwesenheit erfahren. Dass sie nicht aufgeklärt wurden, schien alle Zeugen zu beunruhigen, doch niemand traute sich, vor Tomoyo weiter zu fragen.

Die Verhandlung wurde schließlich mit einiger Verzögerung eröffnet. Zuerst wurde das Gutachten besprochen, welches die Untersuchungsergebnisse der Armee beinhaltete. Anschließend sollte der Tathergang anhand der Zeugenaussagen noch einmal rekonstruiert werden. Dafür wurden zuerst zwei Kollegen von Kurogane und dem Verstorbenen Stephan Dukari vorgeladen, die das Verhältnis der Einsatzmitglieder und speziell das zwischen dem Verstorbenen und Kurogane als seinem Vorgesetzten beschreiben sollten.

„Dukari war kein schlechter Kerl“, begann der erste. „Er war vielleicht manchmal etwas hitzköpfig, aber nicht im negativen Sinne. Also nicht gewalttätig oder so.“

„Er trug sein Herz einfach auf der Zunge. Und wenn er etwas tat, dann mit voller Überzeugung“, fügte der andere Kollege bei. Der erste nickte bestätigend.

„Er war ein richtiger Idealist“, bestätigte der erste Sprecher. „Viele von uns haben ihn dafür bewundert. Dass er immer genau wusste, was er wollte und das auch durchgezogen hat.“

„Was denken Sie, woran könnte es gelegen haben, dass er so ein schlechtes Verhältnis zu Herrn Sugawara hatte?“, fragte Fei Wong Reed.

Beide verzogen wehleidig die Gesichter, ein resigniertes Seufzen klang leise durch das Zimmer.

„Hauptmann Sugawara und er sind sich relativ ähnlich, würde ich sagen. Auch der Hauptmann ist absolut prinzipientreu. Und sie waren wohl beide nicht sehr kompromissbereit, wenn es Meinungsverschiedenheiten gab“, erinnerte sich der zweite Kollege. „Aber ihre Art, wie sie das zum Ausdruck brachten, war grundverschieden. Egal um wen oder was es ging, Dukari wollte Meinungsverschiedenheiten immer ausdiskutieren und versuchen, andere von seinem Standpunkt zu überzeugen. Der Hauptmann hingegen ist kein Mann großer Worte. Er wehrt solche Debatten meistens ab. Vor allem, wenn Dukari mit irgendeiner Beschwerde zu ihm kam.“

„Wie oft kam das in etwa vor?“, hakte Reed weiter nach.

„Anfangs noch eher selten. Doch in den letzten Monaten wurde es immer häufiger. Fast schon täglich, könnte man sagen“, überlegte der erste Soldat laut und sah zu seinem Kollegen hinüber, der bestätigend nickte.

„Wie genau reagierte Herr Sugawara denn auf die Gesprächsversuche von Herrn Dukari? Hatten Sie das Gefühl, dass er Herrn Dukari gegenüber strenger oder kompromissloser war als bei anderen Mitgliedern Ihrer Einheit?“, hakte der Anwalt weiter nach.

„Hm…vielleicht. Irgendwo hatten wir schon das Gefühl, dass der Hauptmann bei Dukaris Diskussionsversuchen langsam die Geduld verlor. Im Grunde war es immer das Gleiche: Er verwies ihn auf den Rangunterschied und dass Entscheidungen über die Mannschaftsführung bei ihm liegen“, berichtete der Soldat weiter.

„Denken Sie, dass Herr Sugawara eine persönliche Abneigung gegen Herrn Dukari entwickelt hatte?“

„Vorstellbar ist es schon. Also ich an seiner Stelle hätte mich jedenfalls nicht sonderlich gefreut, wenn ich in seiner Haut gesteckt hätte“, antwortete der zweite Soldat.

„Dann wäre es also vorstellbar, dass Herr Sugawara in einer Handgreiflichkeit die Beherrschung verloren und – aus dem Affekt oder vielleicht sogar vorsätzlich – seine Dienstwaffe gezogen und geschossen haben könnte?“, hakte Reed weiter nach.

„Einspruch, euer Ehren“, unterbrach Yuuko ihn an dieser Stelle. „Es geht hier um rein subjektive Einschätzungen und Spekulationen. Das ist keine Argumentationsgrundlage, um den Vorfall vom 6. Oktober ausreichend begründen zu können.“

„Einspruch stattgegeben. Bitte bleiben Sie näher an den Fakten, Herr Reed“, stimmte Richter Tsukishiro ihr zu.

Ein wenig zerknirscht fügte er sich der Entscheidung des Richters, ließ seinen letzten Gedanken fallen und wandte sich mit einer neuen Frage an die beiden Soldaten: „Um welche Themen ging es dem Soldaten Dukari konkret, wenn er Herrn Sugawara um ein Gespräch ersuchte? Kennen Sie Beispiele?“

Kurzes nachdenkliches Schweigen folgte, bis sich der zweite Soldat wieder zu Wort meldete.

„Dukari war mit Teilen des Trainingsplans und der Mannschaftsaufstellung nicht zufrieden. Dass wir so ein hohes Pensum im waffenlosen Kampftraining haben zum Beispiel. Er meinte, heutzutage, wo jeder so leicht an Schuss- oder Schlagwaffen herankommt – gerade dort, wo unsere Einsätze häufig stattfinden – müsste der Umgang mit Waffen und Technik viel stärker im Mittelpunkt stehen. Und dann gibt es natürlich auch Spezialisierungen innerhalb der Mannschaft. Dukari selbst wollte eigentlich zu den Scharfschützen, ist aber der Überwachung zugeteilt worden. Das war sehr bitter für ihn.“

„Denken Sie, dass Herr Sugawara in dieser Entscheidung parteiisch vorgegangen ist?“, wollte Reed weiter wissen.

„Ich erhebe Einspruch gegen diese Frage“, meldete sich an der Stelle Yuuko zu Wort. „Noch in der Ausbildung befindliche Rekruten besitzen nicht die Kompetenz, diese Entscheidung zu beurteilen. Außerdem geht aus dem Protokoll eindeutig hervor, dass diese Entscheidung von Herrn Sugawara auf Grundlage der Trainingsergebnisse getroffen worden war.“

„Verehrte Kollegin, die Tests, die dieser Entscheidung zugrunde lagen, liegen bereits knapp zwei Jahre zurück, was Sie ebenfalls dem Protokoll entnehmen können. Da uns im Moment keine aktuellen Zahlen vorliegen, ist eine Einschätzung aus erster Hand an dieser Stelle von großer Bedeutung.“, konterte Reed und sah zum Richter herüber, dessen Entscheidung abwartend.

„Einspruch abgelehnt. Die Frage ist zulässig“, stimmte Tsukishiro dem Anwalt zu. Ein triumphierendes Lächeln halb unterdrückend, wandte er sich zurück zu den beiden Soldaten: „Nun?“

Etwas zögerlich setzte der erste Soldat schließlich an: „Ich denke zwar, dass es mir nicht zusteht, die Entscheidung des Hauptmanns zu beurteilen, aber ich finde schon, dass es vielleicht die richtige Entscheidung war. – Also, ob Dukari in der Spionage gut aufgehoben ist, das weiß ich nicht, aber zumindest was die Scharfschützen angeht, haben wir zwei wirklich talentierte Kollegen im Jahrgang.“

„Die liefern jedes Mal die besten Ergebnisse bei den Schusstrainings, von Anfang an und ohne Ausnahme“, pflichtete sein Kollege ihm bei.

Das dezente Grinsen im Gesicht Reeds gefror zu einer steinernen Maske.

„Und Sie? Sind sie selbst zufrieden mit Ihren Positionen und finden diese gerechtfertigt?“, wandte er sich nun direkt an die beiden Soldaten.

„Ich kann mich nicht beklagen. Ich habe die Position bekommen, die ich wollte“, antwortete der erste.

„Na ja, ich hatte mich eigentlich für Cyberangriffe und Netzwerksicherheit beworben, aber das hat leider nicht geklappt. Aber ich bin in den Informationssektor gekommen, also zumindest nicht so weit weg von meinem ursprünglichen Ziel. Dass wir vom IT-Bereich trotzdem mit der ganzen Truppe zusammen so viel hartes Geländetraining haben, war aber schon bitter, vor allem im ersten Jahr.“

„Dann können Sie Herrn Dukaris Unzufriedenheit in diesem Punkt nachvollziehen?“, fragte Reed nach.

„Ja, das schon. Das war öfters mal Thema bei uns in der Arbeitsgruppe.“

„Und hat außer Herrn Dukari niemand versucht, mit dem Hauptmann darüber zu reden?“

„Doch, schon. Aber er hat sich halt nicht auf einen Kompromiss eingelassen, also haben wir es dann aufgegeben.“

„Bis auf Herrn Dukari?“

„Genau.“

„Aber Sie sprachen von ‚aufgegeben’. Dann würden Sie sich nach wie vor wünschen, das Training würde stärker an die Bedürfnisse der jeweiligen Einheit angepasst, ja?“

„Na ja, ein Stück weit wenigstens. Ich verstehe ja, dass im Ernstfall alle topfit sein müssen. Man weiß nie, was wo passiert. Aber dennoch, ja“, gab der Soldat zu.

„Vielen Dank. Das wäre alles“, beendete Reed seine Befragung.

„Möchte die Anwältin Frau Ichihara noch eine Frage an die Zeugen richten?“, wandte sich Richter Tsukishiro nun an Yuuko.

„Ja, eines würde ich gern fragen.“ Damit wandte sie sich den beiden Soldaten zu: „Abgesehen von den Ansichten über die Gestaltung des Trainings; gibt es außer Herrn Dukari noch weitere Mitglieder in der Sondereinheit, bei denen es in der Vergangenheit eindeutigen Spannungen zu Spannungen mit Herrn Sugawara gekommen war?“

„Nein…eigentlich nicht“, antwortete der erste Soldat nachdenklich.

„Und in der IT-Abteilung?“, wandte sich Yuuko an den zweiten Soldaten.

„Nein, bei uns eigentlich auch nicht. Unverständnis und teilweise Unzufriedenheit, ja. Aber keine ernsthaften Spannungen“, antwortete der zweite.

„Keine Probleme, trotz Unzufriedenheit?“, hakte Yuuko nach.

„Bisher haben sich die Entscheidungen des Hauptmanns halt wirklich noch nie als schlecht erwiesen. Deshalb gibt es einfach keinen Grund“, erklärte er.

„Und es ist ja auch nicht so, dass man gar nicht mit ihm reden kann“, ergänzte der erste. „Wenn man nach Gründen für eine Entscheidung fragt, bekommt man normalerweise auch eine Antwort. Man muss halt bloß einen günstigen Zeitpunkt abpassen, nach dem Training oder beim Essen zum Beispiel. Dukari hatte dafür echt kein Gespür. Er ist immer zu den ungünstigsten Zeiten zum Büro des Hauptmanns gegangen. So gesehen war es wohl kein Wunder, dass der Hauptmann ihm nie zugehört hat…“
 

Kuroganes Krankenwagen war währenddessen im Krankenhaus angekommen. Während der Fahrt hatte man ihm ein Betäubungsmittel verabreicht, das den Schmerz in seiner Schulter wesentlich erträglicher gemacht hatte und die Schusswunde notdürftig gereinigt und versorgt. Zum Ausgleich des Blutverlusts hatte Dr. Kyle ihm eine Kanüle gelegt und an eine Nährlösung angeschlossen. Solange man nicht wusste, wie stark die Schulter verletzt war und wo genau die Kugel feststeckte, konnte man ihm keinen Druckverband anlegen.

Vom Krankenwagen wurde er geradewegs in einen Rollstuhl bugsiert und zum Röntgen gefahren. Kurogane hatte dagegen protestiert, dass er problemlos allein laufen konnte, doch die Schmerzmittel in Kombination mit dem Blutverlust hatten wohl ausreichend dafür gesorgt, dass sein Protest inzwischen von niemandem mehr ernst genommen wurde. Aber im Grunde war das auch zweitrangig. Er wollte es nur schnell hinter sich bringen, damit er sich endlich nach Fye erkundigen konnte.

Das Röntgenbild zeigte, dass die Kugel wie durch ein Wunder keine Knochen oder Sehnen zerstört hatte. Allerdings saß sie ziemlich tief und war von seinem Schlüsselbein gestoppt worden, das davon eine Fraktur davongetragen hatte. Zumindest kein Bruch. Ober er nun Glück oder Pech gehabt hatte mit dem Schuss, war Ansichtssache. Fünf Zentimeter weiter links und die Kugel wäre von der schusssicheren Weste abgefangen wurden und hätte wahrscheinlich überhaupt keinen Schaden angerichtet. Zehn Zentimeter weiter oben und sie hätte auch seinen Kopf treffen können. Oder Fyes, wenn er nicht schnell genug gewesen wäre.

„Sie sind mir auch ein toller Soldat“, meckerte Dr. Kyle vor sich hin, während er mit einer Pinzette die Kugel aus der betäubten Schulter entfernte. „Drohen einem Mörder heldenhaft mit Ihrer Waffe und werfen sich mitten in die Schusslinie.“

‚Ja, bohr in meinen Wunden!’, dachte Kurogane brodelnd und schwieg verbissen. Das Schlimme war ja, dass dieses Schandmaul von Arzt recht hatte. Er hatte sich im entscheidenden Moment total idiotisch verhalten. Wie ein verschüchtertes Kind. Es kam ihm gerade selbst bizarr vor, dass man ihn einst als bestem Absolventen seiner Einheit befördert und ihm damit auch die Verantwortung über die Ausbildung der Rekruten übertragen hatte. Vielleicht wäre alles reibungsloser verlaufen, wenn jemand anders den Auftrag übernommen hätte. Vielleicht wäre Fye dann jetzt nicht in solch einem Zustand. Er hatte ganz recht damit gehabt, ihm nicht zu vertrauen, was Ashura betraf…

„So, fast wie neu!“, riss Dr. Kyle ihn mit einem Klopfer auf den Rücken aus seinen Gedanken. Auch wenn er ein ganzes Stück abseits der Wunde zugeschlagen hatte, konnte er den dumpfen Schmerz bis in seine Schulter hinauf pulsieren fühlen.

Fleischer… Der hatte eindeutig den Beruf verfehlt! Wenigstens war Kurogane die Kugel jetzt los, die Schusswunde war versorgt und genäht und er hatte einen anständigen Verband umgelegt bekommen. Sein rechter Arm ruhte in einer Armschlinge, was seine Schulter deutlich entlastete und ihm das Bewegen im Allgemeinen erleichterte.

„Gut, dann gehe ich jetzt“, entschied Kurogane und stand schwankend aus seinem Rollstuhl auf – oder versuchte es zumindest, denn Dr. Kyle erhob sich augenblicklich mit ihm, packte ihn an der Schulter – Gott sei Dank diesmal an der linken – und drückte ihn wieder nach unten.

„Sie stehen nicht auf, bevor ich das Okay dafür gebe. Und das kriegen Sie erst, wenn Sie nicht mehr rumtorkeln wie ein Besoffener.“

Na wunderbar…
 

„Stephan konnte keiner Fliege etwas zuleide tun“, berichtet Frau Dukari mit brüchiger Stimme, sich immer wieder die Tränen aus den Augenwinkeln tupfend. Sein Mann, der dicht neben ihr stand und einen Arm um die Taille seiner Frau gelegt hatte, musste ebenfalls schlucken und blickte mit glasigen Augen von den Anwälten zum Richter und wieder zurück.

„Er… Er war ein fröhlicher, lebhafter Junge und hatte viele Freunde. Niemals wäre er von sich aus handgreiflich geworden. Er hätte sich höchstens verteidigt.“

„Wie erklären Sie sich das schlechte Verhältnis zwischen Ihrem Sohn und seinem Vorgesetzten? Hat er Ihnen etwas darüber erzählt?“, fragte Fei Wong Reed.

„Nun“, begann sie naserümpfend, sich noch einmal die Tränen wegtupfend, „er war meinem Sohn gegenüber jedenfalls sehr parteiisch. Er hat ihm seinen Karriereweg verbaut, seinen Traum zerstört, er hat ihm nie zugehört, ja, nicht mal zu Wort kommen lassen! Und generell muss er die Soldaten in der Kaserne wohl wie kleine Kinder behandelt haben. Sie sind zwar noch in der Ausbildung, aber sie sind erwachsene Menschen und vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft. Die kann man doch nicht so gängeln!“

„Wissen Sie, was konkret Ihrem Sohn an den Regeln missfallen hat?“, fragte Reed weiter.

„Ich weiß leider nicht viel über die Ausbildung, denn vieles unterliegt natürlich der Geheimhaltung und daran hat er sich stets gehalten“, begann sie stolz, doch dann wechselte ihr Tonfall wieder in den bitteren Klang von zuvor zurück. „Aber er hat mir erzählt, dass sie die Kaserne abends nur an einigen Tagen in der Woche verlassen durften und dann bis Mitternacht oder noch früher wieder zurück sein mussten. Auch die Anzahl und Art der privaten Gegenstände, die man mit in die Kaserne nehmen durfte, war stark eingeschränkt und wurde immer kontrolliert. Wie bei Kindern. Und der allgemeine Umgangston muss auch sehr barsch gewesen sein. So kann man doch nicht mit erwachsenen Menschen umgehen!“ Ein Naseschnäuzen, noch einmal tupfte sich die aufgewühlte Frau die Tränen aus dem Gesicht. Dann schüttelte sie energisch den Kopf und blickte zu Fei Wong Reed und Richter Tsukishiro zurück.

„Und mal ganz abgesehen davon – Herr Sugawara hat doch ausreichend bewiesen, wie gewissenlos er ist. Wenn es ihm in irgendeiner Form nahegegangen wäre, was mit unserem Sohn passiert ist, hätte er doch wenigstens psychologische Hilfe in Anspruch genommen, aber wie Sie selbst gesagt haben, liegt überhaupt kein psychologisches Gutachten von einem Facharzt vor. Es war ihm also völlig egal, dass er einen Menschen getötet hat. Einen Menschen, für den er verantwortlich gewesen ist. Unseren einzigen Sohn!“
 

Nachdem man Kurogane auf sein Zimmer gebracht hatte, musste er für einige Zeit weggedöst sein. Jedenfalls lag plötzlich ein Teller mit Brot, Obst, Gemüse und Joghurt sowie eine Tasse Tee vor ihm, als er die Augen wieder öffnete. Wann ihm das gebracht worden war, hätte er beim besten Willen nicht sagen können. Wie lange war er wohl weg gewesen? Ein Blick auf die Uhr im Zimmer sagte ihm, dass es maximal eine halbe Stunde gewesen sein konnte. Wo man Fye wohl hingebracht hatte? Ob er wieder bei Bewusstsein war? Ob er zu ihm gehen konnte? Erneut versuchte er aufzustehen, doch seine Beine fühlten sich noch immer wackelig an. So würde der Doktor ihn sicher nicht herumlaufen lassen. Er musste zu Kräften kommen. Da kam ihm die Mahlzeit gerade recht. Hunger hatte er sowieso, irgendwo zwischen diesem Mischmasch aus Übelkeit und Flattern im Magen jedenfalls.
 

Die Kollegen von Stephan Dukari waren erneut in den Zeugenstand geladen worden. Yuuko wollte auch sie zum Umgangston in der Kaserne befragen.

„Ich finde, es ist nicht anders als in anderen Kasernen oder Regimentern“, nannte der eine seine Einschätzung.

„In wie vielen Regimentern haben Sie schon gedient?“, wollte Yuuko genauer wissen.

„Meinen Grundwehrdienst habe ich in einer ziemlich abgelegenen Kaserne auf dem Land abgeleistet. Dann habe ich mich zu den Bodentruppen versetzen lassen. Da ging es ein wenig strammer zu. Also die Befehle waren schärfer und als Rekrut hatte man sich eine Hinterfragung oder gar eine gegenteilige Meinung gar nicht erst erlauben brauchen. Verglichen damit ist meine jetzige Einheit ein bisschen…flexibler. Während des Trainings und der Arbeit natürlich nicht, aber danach hat man manchmal Gelegenheit, mit den Vorgesetzten ein wenig ins Gespräch zu kommen.“

„Und wie stehen Sie dazu?“, wandte Yuuko anschließend das Wort an den anderen Soldaten.

„Der IT-Bereich ist ein bisschen speziell. Ich habe außerhalb meiner Abteilung noch nicht so viel gesehen und weiß nicht, wie es anderswo aussieht. Aber wenn mir Diskussion und Fachsimpelei mit Kollegen am wichtigsten gewesen wären, wäre ich an der Universität geblieben“, meinte er schulterzuckend.
 

Kurogane riskierte einen vorsichtigen Blick in den Flur hinaus. Bis auf ein paar Schwestern war niemand zu sehen. Gut. Möglichst entspannt wirkend, verließ er sein Zimmer und ging den Gang hinunter. Er musste sich noch immer konzentrieren, um sicher laufen zu können, aber es ging schon besser als zuvor. Dass man ihn in eines dieser Krankenhausjäckchen gesteckt hatte, störte ihn ein wenig, denn er wollte nicht wie ein Patient behandelt werden. Bei der erstbesten Gelegenheit war er hier eh weg. Allerdings – wenn man stattdessen den frischen Verband an seinem Oberkörper gesehen hätte, würde wahrscheinlich die nächstbeste Schwester versuchen, ihn in sein Zimmer zurückzuscheuchen. Wenn er Glück hatte, erkannten sie ihn vielleicht auch gar nicht so schnell als den neuen Patienten mit der Schussverletzung an der Schulter. Mit viel Geduld und Seife hatte er es endlich geschafft, sein Gesicht von Himawaris Make-up zu befreien, so dass er endlich wieder das Gefühl hatte, sich selbst im Spiegel zu erblicken. Von der befremdlichen Haarfarbe und den Augenbrauen einmal abgesehen.

Wo war nun Fye? In der Notaufnahme? Und wenn ja, wo genau? Oder in einem der Operationssäle? Er wusste ja nicht einmal, welche Verletzungen genau er erlitten hatte und wie man ihn jetzt behandeln musste. Es blieb ihm wohl doch nichts anderes übrig, als nach seinem Aufenthaltsort zu fragen und zu hoffen, dass er Auskunft erhielt.

„Hier wurde vor anderthalb Stunden ein schwer verletzter Mann eingeliefert, Mitte zwanzig, ziemlich schmächtig, blonde Haare. Er heißt Fye D. Flourite. Können Sie mir sagen, wo ich ihn finde?“, sprach er die Schwester am nächstbesten Infoschalter an, den er finden konnte.

„Sind Sie ein Angehöriger?“, fragte die Schwester zurück und musterte misstrauisch Kuroganes Krankenhaushemd.

„Ich bin der, der ihn knapp dem Tod entrissen hat, also sagen Sie mir endlich, wo er ist. Ich hab keine Lust, das ganze Krankenhaus abzusuchen“, antwortete Kurogane ungeduldig.

Mit einer Mischung aus Erstaunen und Skepsis musterte die Schwester Kurogane erneut und antwortete schließlich knapp: „Ich werde sehen, was ich tun kann. Bitte warten Sie solange im Aufenthaltsraum.“

Widerwillig gehorchte er der Frau und ließ sich auf einem Stuhl in dem gläsernen Raum nieder, von dem aus er sie gut im Blick hatte. Die Schwester sah ihm so lange nach, bis er sich gesetzt hatte, dann begann sie, an ihrem Computer zu arbeiten, ein Telefonat zu tätigen und weiter auf den Tasten des Computers herumzutippen. Kurogane wurde misstrauisch. So schwer konnte es doch nicht sein, Fyes Aufenthaltsort aus der Datenbank herauszusuchen. Und dass sie ihm diese Information gab, hieß ja noch lange nicht, dass er einfach mitten in den Operationsraum hineinplatzen konnte oder wollte. Nein, das hier gefiel ihm nicht. Und sein Bauchgefühl trog ihn bei so etwas in der Regel nicht. Besser, er machte sich allein auf den Weg und suchte weiter. Doch kaum dass er den Raum verlassen hatte und den nächstbesten Fahrstuhl ansteuerte, lief er der Person in die Arme, die er im Moment am wenigsten sehen wollte.

„Hat Ihr Gedächtnis etwa auch Schaden genommen? Ich habe Ihnen noch keine Erlaubnis erteilt, hier herumzuspazieren“, kam der erwartet kühle Kommentar. Auch das noch. Kurogane warf einen hasserfüllten Blick auf die Krankenschwester, doch diese hatte ihm gerade den Rücken zugewandt. Mit Absicht, so viel war sicher!

„Um IHR Gedächtnis ein wenig aufzufrischen: Die Bedingung war, dass ich problemlos laufen kann“, giftete Kurogane zurück.

Dr. Kyle ging nicht darauf ein, griff nach Kuroganes linker Hand, setzte sein Stethoskop auf und überprüfte den Puls am Handgelenk. Nach einigen Sekunden ließ er beides wieder sinken.

„Nun gut, dann laufen Sie von mir aus hier rum, aber übertreiben Sie es nicht. Ich habe genug andere Patienten, um die ich mich kümmern muss. Operationssaal drei unten im Erdgeschoss im Ostflügel. Aber stören Sie die Kollegen nicht bei ihrer Arbeit.“

Damit ließ er Kurogane stehen und ging weiter seines Weges. Ein bisschen verdutzt sah Kurogane dem wehenden Kittel des Arztes nach. So viel Entgegenkommen hätte er von ihm am wenigsten erwartet. Nun, Kurogane hatte die Information, die er wollte. Der Rest konnte ihm egal sein. Sein eigenes Zimmer lag ebenfalls im Ostflügel, so dass es nicht lange dauerte, bis er den richtigen OP-Saal gefunden hatte. Die rote Lampe über den Türen leuchtete. Anscheinend wurde Fye noch immer behandelt. Was hätte er jetzt darum gegeben, dort drin bei ihm sein zu können! Doch Kurogane wusste, dass er damit niemandem einen Gefallen getan hätte. Er musste hier warten. Warten und hoffen, dass der Rettungssanitäter mit seiner ersten Einschätzung am Einsatzgebiet richtig gelegen hatte und die Ärzte dort drinnen gerade nicht um sein Leben kämpften.

Erschöpft ließ er sein Gesicht in seiner linken Hand verschwinden. Was sollte er nur tun, wenn er ihn nun doch verlieren sollte? Wenn er zu spät gekommen war? Warum war er sich erst sicher, was er wollte, als es vielleicht schon zu spät war?
 

Der Tathergang musste noch einmal genauestens ergründet werden. Aus den Akten war nur Folgendes bekannt: Der Vorfall hatte sich am Freitag vor dreieinhalb Wochen ereignet, als die Rekruten nach Arbeitsende bis 23 Uhr Ausgang erhalten hatten. Stephan Dukari hatte mit einigen Kollegen eine Kneipe im nahe gelegenen Ort besucht und dort gemeinsam den Abend ausklingen lassen. Bis auf ihn waren alle pünktlich in die Kaserne zurückgekehrt. Dukari selbst hatte noch ein wenig bleiben und in Ruhe sein Bier austrinken wollen, wie er den Kollegen mitgeteilt hatte. Seine Laune war an dem Tag nicht besonders gut gewesen. Er war wieder einmal mit Kurogane zusammengeraten. Diesmal war es so schlimm gewesen, dass Kurogane ihm sogar eine Verwarnung ausgesprochen hatte, ihn in eine andere Einheit versetzen zu lassen, wenn er sein Verhalten nicht änderte. Seine Freunde hatten ihm in der Bar ein paar Bier spendiert, ihn mit ein wenig kollegialem Zusammenhalt aufzuheitern versucht, doch es hatte nicht viel geholfen. Die Unzufriedenheit wich nicht aus Dukaris Gesichtszügen und immer wieder kreisten seine Gespräche um die „Zustände“ in der Kaserne, wie er es nannte. Seine Kollegen beschrieben ihn jedoch alle als „deprimiert“, nicht „wütend“. Laut Aussage der Gruppe, mit der er zusammen in der Kneipe gewesen war, hatte er bis zu deren Abschied auch nicht besonders viel getrunken, war zwar angetrunken, aber im Besitz seines Urteils- und Handlungsvermögens gewesen. Die nach dem Vorfall durchgeführte Blutuntersuchung hatte jedoch einen Blutalkoholgehalt von fast 3 Promille ergeben, was sich mit den Aussagen der Soldaten keinesfalls decken konnte. So wurde der Barkeeper vorgeladen, welcher an jenem Abend in der Kneipe Dienst gehabt hatte.

„Ich erinnere mich an den jungen Mann. Er war öfters mit seinen Kollegen in meinem Lokal. Als er das letzte Mal da war, wirkte er wirklich sehr niedergeschlagen. Er hat nicht viel gesprochen und auch nicht viel getrunken. Dabei haben ihm seine Kollegen das Bier sogar spendiert“, erinnerte sich der Mann.

„Wie viel hatte Herr Dukari denn getrunken?“, wollte Reed wissen.

„Hm… Anfangs so drei, vier Bier vielleicht? Vielleicht waren es auch fünf. Ich weiß es nicht genau. Sie waren ja eine ganze Weile da und weil seine Kollegen alles auf ihre Rechnungen genommen haben, kann ich nicht genau sagen, wer von ihnen nun was getrunken hat. Aber hemmungslos betrunken hat er sich jedenfalls nicht. Nur…nachdem seine Kollegen gegangen waren, hat er sich noch einiges bestellt.“

„Erinnern Sie sich, was er danach noch getrunken hat?“

„Er hat die Reste vom Bier ausgetrunken und sich dann noch ein paar Whiskey bestellt. Vier Gläser, in einer halben Stunde etwa.“

„Warum sind Sie sich da plötzlich so sicher, obwohl Sie kaum noch sagen können, wie viel Bier Herr Dukari zuvor mit seinen Kollegen getrunken hatte?“, fragte Reed skeptisch.

„Ich bin kurz nach dem Vorfall ja schon einmal dazu befragt worden, also wollte ich auf Nummer sicher gehen und habe die Abrechnung von dem Abend noch mal rausgesucht. Ich habe sie auch dabei, falls Sie sie brauchen“, antwortete er und holte einen zusammengefalteten kleinen Zettel aus seiner Tasche hervor.

„Warum haben Sie diese Information nicht dem Ermittlerteam gemeldet?!“ Fei Wong Reed war sichtlich nicht der einzige, den diese plötzliche Information überraschte.

„Ich wusste ja nicht, dass es bei der Befragung damals um eine SO heiße Sache ging!“, verteidigte sich der Mann. „Da kamen so ein paar Leute, die irgendwas meinten von wegen ‚Untersuchung’ und so und wollten eben von mir wissen, was die Soldaten ein paar Tage vorher in der Kneipe so gemacht und getrunken hätten und Ende. Das erlebt man immer mal wieder als Barkeeper. Dass der junge Mann an dem Abend gestorben ist, weiß ich doch selbst erst seit ein paar Tagen, seit ich die Einladung zu dieser Verhandlung im Briefkasten hatte!“

Beide Anwälte schwiegen daraufhin. Die Reaktion des Mannes war durchaus nachvollziehbar. Angelegenheiten innerhalb der Armee, noch dazu in Sondereinsatzteams, wurden stets mit höchster Verschwiegenheit behandelt. Dass der Mann sich danach überhaupt die Mühe gemacht hatte, die entsprechende Rechnung herauszusuchen und aufzuheben, war schon ein großes Glück.

„Vielen Dank für Ihre Umsichtigkeit. Könnten Sie uns bitte die Rechnung zeigen?“, unterbrach Yuuko die unangenehm schwere Stille. Ein Mitarbeiter der Untersuchungskommission nahm das Schriftstück entgegen.

„Ist Ihnen am Verhalten von Herrn Dukari eine Veränderung aufgefallen, nachdem seine Kollegen gegangen waren?“, fragte Yuuko anschließend.

„Nun… Ab dem dritten Glas ist er langsam redselig geworden. Er erzählte mir, dass man ihn ungerecht behandelte, dass sein Chef ihn nicht leiden konnte und ihm seine Zukunft verbaute und ähnliches. Er hat ziemlich geschimpft. Die anderen Gäste sind durch seine Beschwerden auch langsam unruhig geworden. Nach dem vierten Whisky hielt ich es für das Beste, ihm keinen weiteren Alkohol auszuschenken, denn er sah wirklich nicht mehr gut aus. Da fing er an aggressiv zu werden und mich zu bedrängen, dass ich meinen Job machen soll und dass ich ihm nicht vorzuschreiben habe, was er zu tun habe und so.“
 

Ein Adrenalinschub durchfuhr Kurogane, als die rote Aufschrift über den Türen zum OP-Saal erlosch. Um ein Haar wäre er wieder umgekippt, so schwindelig wurde ihm, als er plötzlich aufsprang, doch er kämpfte das Gefühl nieder und war bald wieder Herr seiner Sinne. Es dauerte noch eine gefühlte weitere Ewigkeit, bis sich die beiden OP-Türen öffneten und ein Ärzteteam mit Fye – es war tatsächlich Fye! – herauskam und geradewegs an ihm vorbeilief. Kurogane bemühte sich, mit den Ärzten Schritt zu halten.

„Wie geht es ihm?“

Einer der Weißkittel musterte ihn kurz, bevor er schließlich antwortete: „Gut sicher nicht. Durch zahlreiche innere und äußere Verletzungen hat er sehr viel Blut verloren, eine Fraktur am Jochbein, drei gebrochene Rippen, Quetschungen an Magen und Darm, Milzruptur und ein oder mehrere Schädel-Hirn-Trauma 1. bis 2. Grades erlitten. Von seinem psychischen Zustand ganz zu schweigen, nach dem, was er durchlitten haben muss.“

Kurogane wurde übel, als der Arzt all das herunterratterte. Besorgt fiel sein Blick auf das verbundene rechte Auge des Blonden. Der Arzt hatte nichts dazu gesagt. Sollte er fragen…?

„Sind Sie ein enger Vertrauter des Patienten?“, unterbrach der Arzt Kuroganes Gedanken.

„Ja…“, antwortete er unsicher.

„Dann bleiben Sie besser bei ihm. Eine nahestehende Person kann er mehr als gebrauchen, wenn er aufwacht.“
 

„…Das war echt nicht einfach, ihn festzuhalten und zur Tür raus zu bringen. Als der Chef ihm gedroht hat, ihn rauszuschmeißen, wenn er sich nicht benimmt, ist er richtig ausgetickt. Normalerweise ist das kein Problem für uns, denn wenn die Leute erst mal so dicht sind wie der, haben die meisten kaum noch Kontrolle über ihren Körper. Aber der war ja Soldat. Der war echt gut, das hat man gemerkt. Da waren mein Kollege und ich beide heilfroh, als draußen gerade sein Vorgesetzter ankam, um ihn abzuholen. Und plötzlich ist er auch wieder ruhig geworden, als er seinen Boss erkannt hat“, beendete der kräftig gebaute Mann, der an jenem Abend Stephan Dukari wegen seines zunehmend schlechten Benehmens rauswerfen musste, seine Erklärung.

„Wie wirkte Herr Sugawara auf Sie, als er Herrn Dukari abgeholt hat?“, fragte Yuuko den Mann.

„Ziemlich nüchtern, würde ich sagen. Also jetzt nicht im alkoholischen Sinne. Einfach…neutral halt“, versuchte er, den Eindruck aus seinen Erinnerungen zu rekapitulieren. „Er war ruhig und meinte irgendwas von wegen, dass Herr Dukari sich an die die Zeit halten soll und am nächsten Tag noch eine Trainingseinheit anstand oder so was.“

„War Herr Sugawara nicht gestresst oder genervt, als er seinen Kollegen abholen gekommen ist? Hat er vielleicht irgendeinen provozierenden Kommentar gemacht?“, hakte Fei Wong Reed nach.

„Nicht, dass es mir aufgefallen wäre… Er wirkte wirklich ruhig. Also falls er angespannt war, hat er sich das zumindest nicht anmerken lassen“, antwortete der Türsteher nachdenklich.

„Sind Sie sich sicher? Herr Sugawara musste nachts halb zwölf extra los, um seinen Rekruten abzuholen, mit dem er am Abend vor dem Ausflug Streit gehabt hatte und der als einziger nicht zur vorgeschriebenen Uhrzeit in der Kaserne zurück war. Wie hätte er da so ruhig bleiben sollen?“, fragte Reed kritisch.

„Einspruch, Euer Ehren“, unterbrach Yuuko die Befragung. „Die Art der Fragestellung des ehrenwerten Herrn Kollegen ist zu suggestiv. Er schränkt die Aussage des Zeugen ein.“

„Einspruch stattgegeben“, entschied Richter Tsukishiro. „Halten wir also die Fakten bis hierhin noch einmal fest. Herr Domeki, verlesen Sie bitte noch einmal das bisherige Protokoll.“
 

Das leise Piepen des EKG-Monitors war das einzige Geräusch, welches die gespenstische Stille im Zimmer durchbrach. Hin und wieder kam eine Schwester herein, um Fyes Zustand zu überprüfen, aber die meiste Zeit über war Kurogane allein mit ihm und bewachte seinen Schlaf. So sehr er sich auch wünschte, dass Fye endlich die Augen öffnen möge, so hatte er gleichzeitig Angst vor diesem Moment. Schuldgefühle lasteten auf ihm. Die Schuld, Ashura entkommen lassen zu haben. Die Freiheit, die er Fye hatte geben wollen, nicht eingelöst zu haben. Und die Schuld darüber, nicht ehrlich mit sich selbst gewesen zu sein. Wenn er jetzt so darüber nachdachte, wunderte ihn Fyes seltsames Verhalten der letzten Tage nicht mehr. Dass er auf Oruhas Besuch so empfindlich reagiert hatte. Dass er sich danach so zurückgezogen hatte. Seine schroffe Antwort auf Oruhas Bemerkung zu seiner „neuen Liebe“ musste wie ein Dolchstoß für diesen zerbrechlichen Menschen gewesen sein.

Wann hatte Fye wohl angefangen, sich in ihn zu verlieben? Als er die Nachricht von Chiis Entführung mit nach Hause gebracht hatte und Kurogane sich für seinen vorangegangenen Wutausbruch entschuldigt hatte? Nach dem Motorradunfall? Oder noch früher? Und seit wann fühlte er selbst sich eigentlich so zu dem anderen hingezogen? Er hatte lange gedacht – oder sich eingeredet? – es wäre einfach sein Beschützerinstinkt gewesen, dass er den Blonden so nah bei sich haben wollte. Aber hatte er ihm damit wirklich nur helfen, ihn beruhigen wollen? Hatte es sich nur deshalb so gut angefühlt, weil es Fye ein wenig beruhigen konnte? – Nein, gestand er sich ein. Es war damals schon mehr gewesen. So sehr der Blonde ihm zeitweise auch auf die Nerven gegangen war, mit seinen gespielten Albernheiten, seinen Ausflüchten, so sehr hatte es ihn auch beschäftigt. Diese dunkle Seite, die der andere mit aller Macht zu verstecken versucht hatte und die ihn doch so sehr zusetzte, hatte Kurogane nie losgelassen. Und obwohl Fye ihn anfangs ganz offensichtlich aus allem hatte heraushalten wollen, wollte Kurogane einfach nicht nachgeben und die Wahrheit erfahren, wollte ihm helfen.

Kurogane dachte an Fyes Geständnis zurück, an diese verzweifelte, gebrochene Gestalt, als er ihm das erste Mal von Ashura erzählt hatte. Allein bei dem Gedanken daran verkrampfte sich sein Magen wieder. An dem Abend hätte er ihn am liebsten umarmen und nie wieder loslassen wollen. Auch jetzt spürte er es wieder, dieses Bedürfnis, den anderen zu berühren, bei ihm zu bleiben, ihn nie wieder loszulassen.

… Ach, was sollte es! Wenn er von Anfang an ehrlich zu sich selbst gewesen wäre, hätte Fye es vielleicht geschafft, ihm das nötige Vertrauen entgegenzubringen, statt sich diesem Ashura direkt vors Messer zu liefern. Um ein Haar wäre es zu spät gewesen. Um ein Haar hätte er ihn unwiederbringlich verloren, und das nur wegen seiner Feigheit.

Vorsichtig rückte Kurogane seinen Stuhl ein Stück näher Richtung Mitte des Bettes und schob Fyes Decke ein wenig zurück, so dass die blasse Hand des Blonden zum Vorschein kam. Das Handgelenk war von roten Striemen und blauen Flecken übersät, die Fingernägel zerbrochen und blutunterlaufen. Kuroganes Magen verkrampfte sich einen Moment, als die Szene unten im Keller von CyberCom erneut in seinem Kopf aufflackerte. Vorsichtig umschloss er die geschundene Hand mit seiner eigenen linken.

Es tat ihm so leid…
 

„Warum waren Sie überhaupt so spät auf dieser abgelegenen Straße unterwegs? Ein Bus oder Taxi wäre viel sicherer gewesen“, fragte Fei Wong Reed Sakura und Shaolan.

„Wir wollten den Heimweg noch für einen kleinen Spaziergang nutzen. Das Wetter war so schön und wir gehen da öfter lang, auch nachts“, erklärte Shaolan sachlich. Ihnen hatte halt einfach der Sinn nach einem Spaziergang gestanden.

„Die Natur ist sehr schön und es war immer sehr friedlich“, ergänzte Sakura.

„Sie laufen nachts öfter allein über diesen Feldweg, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie gefährlich das sein könnte?“, wiederholte Fei Wong in ungläubigem Tonfall.

„Einspruch, euer Ehren. Besagter Feldweg birgt keine offensichtlichen Gefahren. Das zeigen Fotos, Satellitenbilder und auch die persönliche Inspektion eines Polizeibeamten. Den Zeugen einen Vorwurf wegen fahrlässigen Verhaltens zu machen, ist übertrieben“, widersprach Yuuko.

„Einspruch stattgegeben“, gab Richter Tsukishiro ihr recht. „Bitte beschreiben Sie uns, wie Sie das Zusammentreffen mit Herrn Dukari und Herrn Sugawara erlebt haben.“

„Der Mann, Herr Dukari, ist uns schon von Weitem aufgefallen. Er hat stark geschwankt und wurde von Kurogane – ich meine, Herrn Sugawara, gestützt. Er hat auch die ganze Zeit lallend gesprochen. Ich habe nicht viel verstanden, aber ich glaube, es war etwas wie ‚keinen Spaß gönnen’, ‚wie kleine Kinder’ und ‚kann alleine laufen’ und ähnliches. Sakura ist vorsichtshalber ein Stück hinter mir gelaufen, als wir näher kamen. Herr Sugawara sah nicht aus, als ob er etwas getrunken hätte, aber der andere Mann hat uns Angst gemacht-“

„Ich erhebe Einspruch, euer Ehren. Die Aussage von Herrn Li ist aufgrund seiner Bekanntschaft mit dem Angeklagten eindeutig parteiisch. Wir sollten diesen Teil der Anhörung überspringen“, wandte Reed ein.

„An welcher Stelle genau sehen Sie Parteilichkeit, verehrter Herr Kollege?“, fragte Yuuko den anderen Anwalt.

„Die Beschreibung des Herrn Dukari schreit doch förmlich danach. Was daran ist bitteschön nicht parteilich?“, fragte Reed zurück.

„Die Beschreibung deckt sich mit dem Ergebnis der Blutprobe, ist also durchaus nicht unrealistisch. Herr Sugawara hatte nachweislich keinen Alkohol getrunken an jenem Tag und die Alkoholmenge, die Herr Dukari zu jenem Zeitpunkt im Blut hatte, brauche ich Ihnen sicher nicht noch einmal zu wiederholen, da wir dies gerade erst besprochen hatten“, ermahnte Yuuko ihn.

„Ich stimme Frau Ichiharas Argumentation zu“, entschied der Richter. „Bitte fahren Sie fort, Herr Li. Und behalten Sie dabei immer im Gedächtnis, dass Sie unter Eid aussagen und eine unvoreingenommene Aussage äußerst wichtig für die Verhandlung ist.“

„Dessen bin ich mir bewusst“, antwortete Shaolan mit ernstem Blick. Nachdem das geklärt war, nahm Yuuko den vorherigen Gesprächsfaden wieder auf: „Was ist passiert, als Sie sich begegnet sind?“

„Wie gesagt, Sakura lief ein bisschen hinter mir und wir versuchten, möglichst zügig vorbei zu kommen, weil Herr Dukari uns ein bisschen Angst gemacht hat“, wiederholte Shaolan.

„Was genau hat Ihnen Angst gemacht?“, wollte Yuuko wissen.

„Er hat so intensiv zu uns herüber gestarrt, als wir näher gekommen sind. Ich kann den Grund zwar nur vermuten, aber ich denke, er ist wohl auf Sakura aufmerksam geworden. Jedenfalls hat er mir nicht direkt ins Gesicht geschaut“, überlegte Shaolan laut.

„Ist es möglich, dass diese Blicke, bedingt durch den stark angetrunkenen Zustand von Herrn Dukari, nur Zufall gewesen sind? Bei einer Blutalkoholkonzentration über 0,8 Promille lässt bei den meisten Menschen die Kontrolle über den Körper bereits nach“, wand Fei Wong Reed ein.

„Das wäre möglich, ja“, gestand Shaolan ein.

„Laut Protokoll begann Herr Dukari, Frau Sakura Kinomoto zu belästigen. Können Sie den genauen Hergang beschreiben?“, fragte Yuuko, ungeachtet der kurzen Unterbrechung, weiter. Diesmal war es Sakura, die das Wort erhob: „Wir wollten gerade an ihnen vorbei gehen, als Herr Dukari mich ansprach. Er sagte: ‚Hey Süße, Lust auf ein bisschen Spaß? Der kleine Hänfling hat doch nichts zu bieten.’ Wir haben nicht reagiert und uns beeilt weiterzukommen, aber da hat er nach meinem Handgelenk gegriffen und wollte mich zu sich ziehen. Shaolan ist dazwischen gegangen und hat ihm gesagt, dass er mich loslassen soll. Da hat er Shaolan gepackt, zu Boden geschleudert und ihm gedroht. Er hat gesagt: ‚Du Grünschnabel hast hier gar nichts zu melden!’ Da hat…Herr Sugawara sich dann eingemischt und hat sich zwischen uns und den Soldaten gestellt. Ich bin zu Shaolan gegangen, um ihm hoch zu helfen. In der Zeit hat Herr Dukari Herrn Sugawara angeschrien und ihm vorgeworfen, dass er ihn wie ein Kind behandle und ihm sämtlichen Spaß verderbe. Dass…dass er gesehen hätte, dass ich mich eigentlich mit ihm vergnügen wollte…“

Sakura war zum Ende hin immer leiser geworden und ein deutlicher Rotschimmer hatte sich auf ihre Wangen gelegt. Shaolan drückte Beistand spendend ihre Hand.

„Das klingt alles sehr schlimm, was Sie da beschreiben“, kommentierte Reed trocken, „aber wie kommt es, dass Sie sich nach über drei Wochen noch so genau an all die Einzelheiten erinnern? Sogar an einzelne Dialoge?“

Sakura nickte stumm. Dann sprach sie weiter: „Ich hatte so große Angst. Ich weiß nicht, ob ich jemals vergessen werde, was der Mann in der Nacht gesagt hat…“

Sie rang mit Worten, sah sichtlich verloren aus. Yuuko kam ihr zu Hilfe: „Da auch Sie vereidigt aussagen, werden Ihre Aussagen hier nicht angezweifelt. Können Sie uns erzählen, was passiert ist, nachdem Herr Sugawara dazwischen gegangen ist?“

Sakura nickte, atmete noch einmal tief durch und sprach weiter: „Herr Dukari hat angefangen, Herrn Sugawara von sich weg zu schubsen und sah aus, als würde er eine Schlägerei anfangen wollen. Also er hatte die Hände zu Fäusten geballt. Da hat Herr Sugawara ihm eine Ohrfeige gegeben und ihm gesagt, er ist Soldat und ein Vorbild für sein Land, also soll er sich zusammenreißen. Herr Dukari war dann plötzlich ganz still und hat ihn nur seltsam angesehen. Herr Sugawara hat sich kurz zu uns umgedreht und uns gesagt, wir sollen hier verschwinden, da sind wir schnell weitergelaufen. Ein wenig später…später haben wir dann einen Schuss gehört. Das war einfach furchtbar. Wir haben uns umgedreht, aber in der Dunkelheit konnten wir niemanden mehr sehen. Shaolan hat gesagt, dass wir schnell die Polizei rufen müssen. Die nächste Polizeiwache war nicht weit weg, also sind wir gerannt, so schnell es ging, und haben dann dort einen Polizisten informiert.“

Damit endete Sakuras Bericht. Sie sah erschöpft aus, Tränen in den Augen. Die Erinnerung an jene Nacht hatte all die Ängste erneut in ihr aufgewühlt. Und jetzt, wo sicher war, dass durch diesen einen Schuss tatsächlich ein Mensch gestorben war, fühlte es sich umso schlimmer an.
 

„Herr Sugawara?“, riss ihn plötzlich jemand aus seinen Gedanken. Schnell zog Kurogane seine Hand zurück, sich im gleichen Moment dafür scheltend, warum er sich gerade aufführte wie ein kleiner Junge, den man bei etwas Verbotenem erwischt hatte. Die Hand zurück auf Fyes legend, drehte er seinen Kopf ein Stück um.

„Ja?“

Die Person an der Tür kam ein Stück näher. Es war ein Polizist, mit einem Klemmbrett unter dem Arm.

„Können wir kurz den Ort wechseln? Ich benötige eine Protokollaussage von Ihnen zu den Ereignissen bei CyberCom am heutigen Vormittag“, nannte er sein Anliegen.

Kuroganes Blick glitt zurück zu Fyes unruhig schlafendem Gesicht, das sich trotz der Störung kein Stück verändert hatte.

„Geht das nicht auch hier?“, fragte Kurogane müde. Jetzt, wo ihn der Vormittag wieder einholte, fühlte er sich unendlich erschöpft. Und er wollte keinesfalls verpassen, wenn Fye die Augen öffnete.

„Ich halte es für keine gute Idee, den Verletzten unnötig zu stören und ihn beim Aufwachen als erstes Einzelheiten über den Vorfall hören zu lassen“, wandte der Polizist ein. Widerwillig gestand Kurogane sich ein, dass er damit recht hatte. Mit einem letzten vorsichtigen Druck an Fyes Hand löste er ihre Verbindung wieder, erhob sich und folgte dem Mann aus dem Zimmer.
 

„Im Gespräch mit Herrn Sugawara und bei der Besichtigung seiner Wohnverhältnisse konnte ich keine Indizien dafür feststellen, dass er seine Tochter nicht kindgerecht erzieht“, fasste Herr Saito seine Eindrücke vom Besuch im Hause Sugawara am vergangenen Tag zusammen. Nachdem der Tathergang rekapituliert worden war, wandte man sich dem dritten und letzten Punkt auf der heutigen Tagesordnung zu: Kuroganes Eignung als alleinerziehender Vater und die Sicherheit seiner Tochter. „Das Kind hat zwei Zimmer mit vielen Spielsachen, auch Bücher, ernährt sich gesund – was auch das ärztliche Gesundheitsgutachten bestätigt, welches das Jugendamt in Auftrag gegeben hat. Dem schriftlichen Bericht sind einige Fotos von Zeichnungen des Kindes beigelegt.“

An der Stelle machte Herr Saito eine kurze Pause, um den Anwesenden Zeit zu geben, entsprechende Bilder aus ihren Mappen herauszusuchen. Dann sprach er weiter: „Ein Kinderpsychologe hat mir bestätigt, dass ein Kind, welches im Elternhaus sehr viel Leid erfährt, keine solchen Bilder zeichnen würde.“
 

„Sie standen dem Entführer Auge in Auge gegenüber und haben die geladene Waffe, die der Kollege Ihnen zugespielt hatte, entsichert und gezielt. Warum haben Sie nicht geschossen?“, fragte der Polizist für die Protokollaussage.

Erschöpft vergrub Kurogane sein Gesicht in der linken Hand, den Ellbogen auf den Tisch gestützt.

„Ich weiß es immer noch nicht genau“, gestand er kraftlos. „Das Einzige, was mir in dem Moment durch den Kopf ging, war der Gedanke, dass ich ihn hätte töten können.“

Ein wenig skeptisch hob der Polizist den Kopf.

„Sie sind dafür ausgebildet worden, in besonders gefährlichen Einsätzen aktiv zu sein. Ich nehme an, dass Sie schon viele Male in die Situation gekommen sind, auf einen Menschen zu schießen, um größeres Unglück zu vermeiden?“

„Ja, natürlich“, bestätigte Kurogane genervt.

„Haben Sie zuvor jemals gezögert?“

„Natürlich nicht. Ich weiß, dass das zu meinem Job gehört, verdammt“, erwiderte er etwas bissiger als beabsichtigt. Er wollte sich jetzt nicht damit auseinandersetzen. Er konnte es noch nicht. Doch der Polizeibeamte fragte weiter: „Haben Sie dabei schon einmal einen Kriminellen erschießen müssen?“

„Nein“, antwortete Kurogane sofort. „Bewegungsunfähig gemacht, ja, getötet, nein. Ich habe bei einem Einsatz noch nie mein Ziel verfehlt.“

„Dann…war der Vorfall mit Ihrem Kollegen das erste Mal, dass mit Ihrer Dienstwaffe ein Mensch ums Leben gekommen ist?“, hakte der Polizist vorsichtig nach. An seinem Tonfall konnte man erkennen, dass er sehr wohl wusste, dass er sich hier auf sehr dünnes Eis wagte. Kurogane schloss die Augen und nickte wortlos. Die Bilder ließen ihn einfach nicht los. Seit er vor Einsatzbeginn die Betäubungswaffe ausgehändigt bekommen hatte, tauchten sie immer wieder vor seinem inneren Auge auf.

„…Es liegen keinerlei Informationen einer psychologischen Behandlung vor. Haben Sie nach dem Vorfall keine Hilfe in Anspruch genommen?“, fragte der Polizist ihm nach einigen Augenblicken der Stille.

„Nicht nötig“, antwortete Kurogane knapp, nun wieder mit der gleichen Härte wie zuvor. Sie sollten ihn einfach nur alle in Ruhe lassen und ihn nicht ständig daran erinnern! Dann würde er sich schon von selbst erholen. Aber nein, es musste ja jeder Salz in die Wunde streuen!

„Es ist keine Schande, mit einem Spezialisten darüber zu sprechen. Dafür sind diese Leute da“, kommentierte der Protokollant sanftmütig, schob Kurogane seine Mappe und den Kugelschreiber zu und erhob sich, bevor Kurogane weiteren Einspruch erheben konnte.

„Ich danke Ihnen für Ihre Zeit. Wenn Sie keine Einwände haben, unterschreiben Sie bitte hier. Ich werde das Protokoll dann der Einsatzleitung zukommen lassen“, beendete er die Sitzung.

„Hn.“

Für Kurogane war die Sache damit auch beendet. Er wollte zu Fye zurück. Mehr schlecht als recht, durch den Verband und die Betäubung seiner Schulter kaum zu einer Bewegung fähig, kritzelte er seine Unterschrift unter das Dokument und machte sich auf den Rückweg.
 

„Ich bin mit Herrn Sugawara nicht oft einer Meinung, was die Erziehung von Tomoyo angeht“, erklärte Soma wahrheitsgemäß.

„Inwiefern genau?“, fragte Fei Wong Reed.

„Es sind meist Kleinigkeiten. Er gibt ihr keine geregelten Zeiten vor, wann gespielt und wann aufgeräumt wird. Vor allem das Aufräumen sollte er besser kontrollieren und anleiten, damit Tomoyo dies als normalen Teil des Alltags kennenlernt. Und er will jedes Mal Salz auf ihre Möhren- und Gurkenstücke streuen. Dabei ist in den meisten Nahrungsmitteln heutzutage schon genug Salz enthalten und Kinder sollten lernen, auch den natürlichen Geschmack von Lebensmitteln zu schätzen. Das führt sonst später oft zu ungesundem Essverhalten. Außerdem schneidet er das Gemüse immer in ziemlich grobe Stücke. Nun…“, fügte Soma hinzu und lächelte ein wenig verschmitzt, „es sind, wie gesagt, Kleinigkeiten. Tomoyo bewegt sich viel und isst viel Gesundes. Sie hat gesunde Zähne – sie putzt sie auch immer ordentlich – und kann ohne Probleme abbeißen und kauen. Es ist wohl eher eine Geschmacks- als eine Gesundheitsfrage. Ich persönlich finde kleinere Stücke für kleine Kinder einfach passender und niedlicher.“

Der anfänglich verhalten erwartungsvolle Blick war nach diesem letzten Kommentar wieder aus Reeds Blick gewichen.

„Und ist Ihnen sonst irgendetwas an Herrn Sugawaras Erziehung aufgefallen? Von persönlichen Vorlieben einmal abgesehen. Etwas, wo Sie als erfahrene Kindererzieherin echte Bedenken haben?“, versuchte Reed es noch einmal.

„Echte Bedenken…nein, eigentlich nicht“, antwortete sie, zögerte dann einen Moment und fügte schließlich hinzu: „Zugegeben… Direkt nach seiner Beurlaubung war ich zuerst besorgt. Herr Sugawara hatte mich am selben Tag entlassen – was ich soweit ja auch nachvollziehen kann. Immerhin war es meine Aufgabe gewesen, in seiner Abwesenheit auf Tomoyo aufzupassen. Wenn er nun zu Hause war, brauchte er mich natürlich nicht mehr. Aber… Am ersten Tag seines Urlaubs gab es einen ziemlichen Streit in seiner Wohnung. Ich bin hoch gegangen, um nach dem Rechten zu sehen. Tomoyo war ganz aufgelöst und Herr Sugawara wirkte völlig überfordert. Da habe ich mir natürlich Sorgen gemacht, ob er der Kindererziehung allein gewachsen war. Natürlich hat Herr Sugawara mir nichts erzählt und sich auch nicht helfen lassen, aber ich habe versucht, ein Auge auf die Situation zu halten. Nach ein paar Tagen hatte sich ihr Verhältnis aber schon erstaunlich gebessert. Tomoyo wirkte glücklich und Herr Sugawara war entspannt, wenn ich sie auf der Straße oder im Treppenhaus sah. Und jetzt, wo ich den Grund für seinen plötzlichen Urlaub kenne, wundert es mich auch nicht mehr, dass er die ersten Tage so überfordert war. Da ist es eher erstaunlich, dass sich alles so schnell beruhigt hat…“
 

Kurogane fühlte sich sehr erschöpft, als er zurück in Fyes Zimmer war. An der Tür hielt er kurz inne. Noch immer lag der Blonde so reglos da, wie er ihn verlassen hatte. Wie lange es wohl dauern würde, bis er aufwachte? Laut den Ärzten und der Krankenschwester war er außer Gefahr und brauchte nur noch ausreichend Erholung, bis er wieder zu sich kam. Aber es beunruhigte ihn dennoch. Wie viel Zeit war vergangen, seit die Operation abgeschlossen war? Würde er heute noch zu sich kommen? Oder morgen…? Wie lange es auch dauern würde – Kurogane würde ihn nicht mehr allein lassen. Nie wieder würde er ihn so im Stich lassen.
 

„Sie haben sich die vergangenen vier Tage um Tomoyo gekümmert. Wie würden Sie ihr Verhältnis zu ihrem Vater einschätzen?“, fragte Yuuko Oruha, als diese im Zeugenstand Platz genommen hatte.

„Die erste Nacht hat sie sich die Augen nach ihrem Vater ausgeweint und wollte überhaupt nicht mit mir reden“, erinnerte sich die gebrechliche Frau sorgenvoll. „In den nächsten Tagen ist es besser geworden, aber sie hat immer wieder nach ihm gefragt. Warum sie nicht bei ihrem Vater sein darf, wann sie wieder zu ihm zurück kann. Alles, was ich tat, hat sie mit ihm verglichen. Oder mit ihrem Kindergärtner oder dem Kindermädchen Soma. Vom Essen bis hin zu den Märchen, die ich ihr erzählt habe. Bei allem hieß es: ‚Papa macht das aber so’ oder ‚Soma hat das aber so gemacht’. – Im ersten Moment war ich froh, als ich sie gesund und wohlbehalten in die Arme schließen konnte, aber jetzt weiß ich nicht mehr, ob ich das Richtige getan habe.“

„Sie haben eingangs zu Protokoll gegeben, dass Sie auch persönlich Kontakt mit Herrn Sugawara aufgenommen und ihn getroffen haben. Wie ist das Treffen abgelaufen?“, fragte Yuuko, nachdem Oruha ihre Erklärung beendet hatte.

„Nachdem ich so plötzlich verschwunden war, hätte ich, ehrlich gesagt, nicht einmal damit gerechnet, dass er sich überhaupt auf ein Gespräch mit mir einlässt, geschweige denn meine Bitte akzeptiert, ihn noch einmal treffen zu können“, begann sie. „Begeistert war er natürlich nicht. Weder am Telefon noch als ich dann in der Tür stand. Ich bin ihm aber dankbar, dass er mir dennoch zugehört hat. Ich weiß nicht, inwieweit er meine Entscheidung von damals nachvollziehen kann. Vielleicht weiß er es selbst noch nicht. Alles in allem verlief das Treffen jedenfalls ziemlich ruhig.“

„Gibt es Ihrer Einschätzung nach irgendwelche Einwände dagegen, Herrn Sugawara das Sorgerecht über seine Tochter zu überlassen?“, fragte Yuuko weiter.

„Darüber möchte ich mir lieber kein Urteil erlauben“, antwortete Oruha zögerlich. „Ich hatte zwar bei dem Gespräch keinen schlechten Eindruck von ihm, aber ich weiß einfach zu wenig über die weiteren Umstände. Diese Entscheidung möchte ich dem Jugendamt und dem Gericht überlassen.“
 

Ein kurzes Zucken unter seiner linken Hand ließ Kurogane aus seinem dämmrigen Zustand aufschrecken. Ein tiefer Atemzug, ein gequältes Stöhnen. Mit sichtbarer Anstrengung öffnete sich ein Augenlid, hinter dem eine trüb glimmende mattblaue Iris zum Vorschein kam.

„Was…? Wo…?“, vernahm Kurogane Fyes schwache Stimme, die Angst nicht nur deutlich hörbar, sondern auch in dem plötzlich einsetzenden Zittern, dem Verkrampfen des Körpers zu spüren. Das nicht verbundenes Auge blickte wild umher.

„Sch…“, zog Kurogane seine Aufmerksamkeit auf sich und legte behutsam seine Hand an Fyes kühle Wange.

„Du bist im Krankenhaus. In Sicherheit. Dir kann nichts mehr passieren“, informierte Kurogane ihn.

„…Kurogane?“, fragte der Blonde nach einem Moment. Unsicher, ungläubig. Der Angesprochene nickte zur Bestätigung.

„Dein Gesicht… Dann…war das kein Traum gewesen? Dort, dort unten, bei…“

Das Zittern wurde stärker, sein Körper verspannte sich. Das EKG-Gerät zeigte, wie sich seine Herzfrequenz erhöhte. Kurogane musste ihn aus seinen Gedanken reißen, in das Hier und Jetzt zurückholen.

„Es ist alles gut. Du bist jetzt im Krankenhaus, hörst du? Du bist in Sicherheit“, wiederholte er seine Worte noch einmal, eindringlicher. Mit sanftem Druck auf Fyes Wange brachte er ihn dazu, ihn direkt anzusehen und ergänzte: „Ich werde nicht zulassen, dass dich je wieder jemand verletzt.“

Fye suchte eine Weile Kuroganes Gesicht ab, schweigend. Noch immer irritiert, ungläubig, verängstigt. Halt suchend. Schließlich schien er den Worten langsam Glauben zu schenken – oder er hatte einfach keine Kraft mehr für mehr Aufregung. Jedenfalls war Kurogane froh, als Fyes Gesichtszüge sich etwas entspannten.

„Chii… Was ist mit Chii?“, kam die nächste Frage voller Sorge.

„Ihr geht es gut. Sie ist unverletzt. Steht ein bisschen unter Schock, aber man kümmert sich gut um sie.“

Wo genau das Mädchen jetzt war und ob Seishiro immer noch bei ihr war oder irgendein anderer, das wusste Kurogane gar nicht, aber es war im Moment auch Nebensache. Wichtiger war es, Fye zu beruhigen. Und die kleine Chii war definitiv in guten Händen, so viel war sicher.

Fye schloss erschöpft die Augen, eine Träne stahl sich aus seinem Augenwinkel, erneut musste er tief durchatmen, um die Fassung nicht zu verlieren. Dann öffnete er es wieder und musterte Kuroganes Gesicht erneut.

„Was genau ist passiert?“, fragte er schließlich. Die Anstrengung hinter den Worten war nicht zu überhören.

„Lass uns später darüber reden, wenn es dir besser geht“, wollte Kurogane einlenken, doch der andere blieb hartnäckig.

„Was ist passiert?“, wiederholte er, diesmal eindringlicher. Kurogane gab sich geschlagen.

„Wir haben euch da raus geholt. Yuuko, die Polizei und ich. Deshalb hat man mir dieses neue Gesicht verpasst, damit ich erst mal unbemerkt in die Firma reinkommen konnte.“

„Unmöglich… Er…ist mächtig. Er ist zu gut informiert…!“, hauchte Fye fassungslos und versuchte, sich ein Stück aufzurichten, wurde jedoch durch Kuroganes Hand auf seiner Brust sanft davon abgehalten.

„Ruh dich aus“, ermahnte der Schwarzhaarige ihn sanft. Er zögerte, sah zur Seite. Er wusste, er musste es ihm irgendwie beibringen, aber wie? Er sollte noch ein bisschen warten, auf einen besseren Zeitpunkt. Nur wann sollte der sein?

„Was ist los?“

Fye hatte die Unruhe in seinem Gesicht natürlich bemerkt.

„Ashura…ist mir entkommen. Es tut mir leid“, gestand er schließlich. Es war bitter. Bitter, das bodenlose Entsetzen, diese Panik in Fyes Gesicht sehen zu müssen. Und zu wissen, dass er Schuld daran war.

„Ich hatte eine Waffe. Ich hätte schießen können. Ich hätte schießen MÜSSEN. Ich hätte ihn aufhalten können und habe es nicht getan. Ich-“

Fye brachte ihn mit einer kurzen Bewegung seines Armes zum Schweigen.

„Danke“, hauchte er.

„Was?“

Kurogane war verwirrt.

„Du hast mir das Leben gerettet. Und es musste niemand sterben.“

„Besser, er wäre jetzt tot als irgendwohin entkommen!“, widersprach Kurogane. Wie konnte Fye nach all den Qualen, die er durchgemacht hatte, die er jetzt erneut durchlebte, plötzlich so etwas sagen?!

„Bitte sprich nicht so einfach vom Sterben. Ich weiß, dass er viele Menschen auf dem Gewissen hat. Und ich war genauso daran beteiligt. Aber ich will nicht, dass noch jemand meinetwegen stirbt, egal wer“, erklärte Fye brüchig, mit einem Hauch von Verzweiflung in der Stimme.

„Du trägst keine Schuld!“, widersprach Kurogane heftig. „Er hat dich ausgenutzt, deine Gutmütigkeit und- argh!“

Er hielt in der Bewegung inne und griff reflexartig nach seiner rechten Schulter. Die Wirkung des Schmerzmittels war inzwischen so gut wie verklungen und die plötzliche Bewegung hatte einen deutlichen Stich durch seinen Oberkörper gejagt.

Fyes Auge weitete sich.

„Kurogane… Du bist verletzt! Das ist passiert, als du mich gerettet hast, oder? Warum? Warum bringst du dich in solche Gefahr? Was habe ich nur getan? Ich habe dich viel zu tief da mit reingezogen. Ich bin so ein Egoist. Ich habe es überhaupt nicht verdient, dass-“

Weiter kam er nicht, denn Kurogane hatte seine Lippen mit seinen eigenen verschlossen, den erneuten Schmerz in seiner Schulter ob der plötzlichen Bewegung ignorierend. Das Gefühl, welches es in seinem Herzen, in seinem Bauch auslöste, war es allemal wert. Am liebsten hätte er den Kuss intensiviert, mit seiner Zunge um Einlass gebeten, Lippen, Zunge, alles erkundet, Fyes Geschmack kennengelernt, durch sein Haar gestrichen…

Doch die verletzten Lippen des anderen erinnerten ihn nur zu deutlich daran, in welch schwierigem Zustand der fragile Mann sich nach wie vor befand und so ermahnte er sich zur Zurückhaltung. Er spürte kaum eine Gegenreaktion von den Lippen des Blonden, doch die dünnen, kalten Finger, die zittrig nach seiner Hand suchten, waren ihm Zeichen genug.

Als er schließlich den Kontakt ihrer Lippen löste, ging ihrer beider Atem schneller und der Ton des EKG-Geräts verriet, dass sich nicht nur sein Herzschlag deutlich beschleunigt hatte. Weitere Tränen stahlen sich aus Fyes Augenwinkel und verschwanden im Kopfkissen.

„Es war meine eigene Entscheidung. Ich bin nicht gut darin, mich mit Gefühlen auseinanderzusetzen und stell mich manchmal an wie die Axt im Walde. Aber ich weiß jetzt, was ich will. Und ich bereue diese Erkenntnis keine Sekunde. Das einzige, was ich bereue, ist, dass ich es nicht früher verstanden habe“, gestand er dem anderen.

Eine weitere Träne stahl sich durch das inzwischen wieder geschlossene Augenlied des Blonden. Sein Atem und seine Herzfrequenz hatten sich wieder beruhigt. Es folgte keine weitere Reaktion. Ob Fye seine Worte noch gehört hatte, bevor er wieder weggedämmert war? Kurogane wusste, es war ein unpassender Zeitpunkt, das zu denken, aber Fye hatte wirklich lange Wimpern und schön geschwungene Augenbrauen. Vorsichtig zog er sie mit einem Finger nach und tupfte die Tränenspur in seinem Augenwinkel weg.
 

Tränen. Und ein herzzerreißendes „Papaaaaaa!“ Das waren die ersten Reaktionen von Tomoyo, als das kleine Mädchen, sich ängstlich an Somas Hand festklammernd, im Zeugenstand vor dem Richter, den beiden Anwälten und den Geschworenen stehen musste. Überfordert sah man sich an. Wie umgehen mit diesem kleinen Kind? Die Aussage war zu wichtig, als dass man sie hätte auslassen können. Mitleidsvolle Blicke von Yuuko und den Schöffen, Besorgnis im Gesicht von Richter Tsukishiro. Und erstmals Ratlosigkeit auf dem meist harten, zynischen Gesicht von Fei Wong Reed. Yuuko schlug schließlich vor, das Gespräch mit Tomoyo in einen gemütlicher eingerichteten Raum zu verlegen und nur die nötigsten Personen, also beide Anwälte, den Richter und Soma, dabei zu haben. In Anbetracht der Umstände willigte man ein – Tomoyo war ebenfalls einverstanden – und zog um. Ein Mikrofon würde die Unterhaltung aufnehmen und die Schöffen konnten das Geschehen zusätzlich über eine Überwachungskamera mitverfolgen, deren Bild in den ursprünglichen Gerichtsraum umgeleitet wurde. Richter Tsukishiro legte sogar seine schwarze Robe ab, Tomoyo, die auf Somas Schoß sitzen durfte, bekam eine Tasse warme Milch.

Richter Tsukishiro war es schließlich, der als erster das Wort an Tomoyo richtete: „Warum hast du vorhin nach deinem Papa gerufen?“

Sofort wurden Tomoyos Augen wieder glasig.

„Ich vermisse meinen Papa so sehr. Warum kann er heute nicht kommen? Yuuko-san hat versprochen, dass ich ihn heute sehen darf.“

„Das tut mir wirklich leid, mein Liebes. Es gab ein großes Problem und dein Papa ist der Einzige, der helfen kann. Das haben wir dir doch vorhin erklärt“, versuchte Yuuko sie noch einmal zu trösten, ohne zu viel preiszugeben. Es hätte Tomoyo nur noch mehr Angst gemacht, wenn sie die ganze Wahrheit gekannt hätte. Aber man sah dem Mädchen an, dass es mit der Erklärung nicht wirklich zufrieden war.

„Warum sprichst du denn immer nur von deinem Vater? Hast du deine Mama gar nicht lieb?“, wechselte Reed das Thema.

„Doch…schon…“, überlegte Tomoyo unsicher.

„Ist es nicht schöner, bei einer Mama zu sein?“

„NEIN!“, antwortete sie prompt empört. „Mein Papa ist der beste Papa der Welt!“

„Was macht dein Papa denn Tolles?“, fragte nun wieder Yuuko.

„Wir sind zusammen auf den Jahrmarkt gegangen! Und seit Papa zu Hause ist, gehen wir ganz oft zusammen in den Kindergarten. Und am Wochenende gehen wir manchmal in den Park spielen. Manchmal gehen wir auch zusammen mit Fye-nii-chan und Hataki zusammen spazieren. Und-“

„Wer ist denn Hataki?“, unterbrach Reed den immer munterer werdenden Redeschwall des Mädchens verwirrt.

„Der Hund vom Tierheim.“

„Ihr kümmert euch um einen Hund aus dem Tierheim?“, fragte er skeptisch nach.

„Ja. Einmal, da waren wir mit Nii-chan und den anderen Kindern vom Kindergarten im Park spielen, da kam ein großer, böser Hund auf uns zugerannt und hat Nii-chan gebissen. Das war ganz furchtbar! Ich hatte ganz viel Angst. Und eigentlich wollte ich gar nicht mit Hataki spazieren gehen, aber Hataki ist nicht so böse wie der andere Hund. Eigentlich ist er süß.“

Tomoyo schaute ein bisschen angestrengt an die Decke, als würde sie überlegen. „Letzte Woche waren wir gar nicht mit ihm spazieren. Auch Nii-chan wollte plötzlich gar nicht mehr gern spazieren gehen und hat immer ganz traurig geguckt. Ich habe Angst, dass Nii-chan wieder etwas Schlimmes passiert ist…“

Tomoyos Gedanken gingen in eine gefährliche Richtung. Die Erwachsenen wussten, dass dieses Thema schnell gewechselt werden musste.

„Also unternimmt dein Papa sehr viel mit dir, ja?“, fasste Richter Tsukishiro die Aussage auf Yuukos ursprüngliche Frage zusammen.

„Ja!“, bestätigte das Mädchen freudig.

„Aber warum hat dein Papa dich dann in den Kindergarten gebracht? Zu Hause könntet ihr doch noch viel mehr gemeinsam machen“, wandte Reed ein.

„Hm…“, überlegte Tomoyo und ihr Blick wurde traurig. „Ich glaube, Papa war krank. Vielleicht hat er deshalb Urlaub bekommen? Er sah ganz schlecht und traurig aus. Und wenn man krank ist, braucht man viel Ruhe und muss ganz viel schlafen. Also bin ich in den Kindergarten gegangen. Damit Papa wieder gesund werden konnte. Und dann ging es ihm wieder besser! Papa lacht wieder und manchmal ist er den ganzen Tag bei meinen Freunden und mir im Kindergarten und wir spielen alle zusammen und er hilft Nii-chan. Das ist so toll! Am liebsten möchte ich für immer zusammen mit Nii-chan und Papa in den Kindergarten gehen, zu Sakura-chan und Yuzu-chan und Ryu-kun. Ryu-kun sagt manchmal freche Sachen, auch zu Papa, aber eigentlich findet er meinen Papi toll und möchte auch so werden wie er. Ryu-kuns Vater ist nämlich Polizist und beschützt die Menschen und Ryu-kun möchte auch alle beschützen und-“

„Das hört sich wirklich fantastisch an“, unterbrach Reed Tomoyo schließlich, die sich schon wieder in ihrer Euphorie verlor, und machte sich dabei nicht einmal die Mühe, sein Desinteresse zu verbergen. „Aber ist dein Papa denn nie streng mit dir? Vor allem in der Zeit, als er so ‚krank’ war? Hat er dich nie geschlagen?“, fragte Reed ungläubig.

„Nein. Man darf doch niemanden schlagen“, antwortete das Mädchen ganz selbstverständlich.

„Und geschimpft? Er schimpft doch bestimmt manchmal“, versuchte Reed es weiter. Diesmal wurde Tomoyo still, fuhr etwas ertappt zusammen. Alle Augen ruhten auf ihr, doch sie schwieg.

„Wir wollen deinen Papa besser kennenlernen, deshalb ist es wichtig, dass du uns alles erzählst“, erinnerte Richter Tsukishiro sie sanft.

„Na ja…“, begann sie zögerlich. „Einmal hat Papa ganz schön geschimpft. Ich wollte Plätzchen backen, aber Papa wollte nicht. Also wollte ich allein backen. Aber ich konnte nicht an die hohen Schränke kommen, also bin ich auf den Herd geklettert. Da kam Papa ganz plötzlich, hat mich weggezogen und ganz doll geschimpft, weil ich nicht gehört habe…“

„Weil du allein in der Küche backen wolltest? Hast du alles schmutzig gemacht?“

„Ja, aber deshalb hat Papa nicht geschimpft. Er hat gesagt, dass der Herd gefährlich ist und dass ich mir weh tun kann. Und dann hat er ‚Entschuldigung’ gesagt, weil er geschimpft hat.“

„Hast du den Herd etwa an gemacht?“, fragte Yuuko dazwischen, deutlich erschrocken.

„Ja…“, gab sie kleinlaut zu. „Aber ich mach’s nie, nie wieder. Versprochen. Papa hab ich es auch versprochen.“

„Aber dein Papa hätte doch ruhig mit dir backen können. Das ist doch etwas Schönes“, warf Reed ein.

„Ich denke, wann Vater und Tochter was zusammen machen, das sollten wir hier nicht diskutieren. Und wir können ihm auch nicht vorschreiben, wann er welchem Wunsch von Tomoyo nachkommt und wann nicht“, gab Yuuko zu bedenken.

„Das ist wahr“, entschied Richter Tsukishiro. „Es gibt kein Patentrezept für DIE einzig richtige Erziehung.“

„Später hat Papa dann trotzdem mit mir gebacken“, ergänzte Tomoyo leise.

„Hat er das? Kann dein Papa denn gut backen?“, fragte Yuuko.

„Na ja… Also der Teig sah ganz lustig aus, aber wir konnten keine Plätzchen damit machen. Also haben wir dann Nii-chan angerufen und er hat uns gesagt, was wir machen sollen.“

„Das klingt doch schön! Habt ihr noch mehr so tolle Sachen gemacht in letzter Zeit?“, fragte Richter Tsukishiro.

„Ja! Bevor die bösen Menschen kamen, die mich von zu Hause entführt haben, haben Papa und Fye-nii-chan Musik gemacht. Und Papa kann ganz toll singen, aber das wusste ich vorher schon, denn er singt mir abends manchmal Schlaflieder vor, wenn ich nicht einschlafen kann.“

Ein Schlaflieder singender Kurogane Sugawara? Richter wie Anwälten stand bei dieser Offenbarung die Überraschung ins Gesicht geschrieben. Als Tomoyo das bemerkte, schlug sie erschrocken die Hände vor den Mund.

„Bitte, bitte, sagen Sie das nicht Papa! Das darf ich eigentlich gar nicht sagen. Ich glaube, Papa schämt sich, wenn andere Leute das wissen. Er hat gesagt, dass das ein Geheimnis ist. Sie verraten mich doch nicht, oder? Oder?“

Gegen Ende hin wurde Tomoyos Stimme regelrecht flehend, verzweifelt.

„Natürlich nicht“, lächelte Yuuko beruhigend und strich ihr einmal durch ihre lockigen Haare. „Versprochen.“

„Sie auch?“, fragte Tomoyo weiter und sah einem nach dem anderen an, inklusive Soma, und war nicht eher zufrieden, ehe sie von jedem ein Ehrenwort erhalten hatte.
 

Die Sonne war längst unter gegangen. Kurogane hatte sich geweigert, noch einmal von Fyes Seite zu weichen. Auch dessen Hand hatte er nur losgelassen, gezwungenermaßen, damit eine Schwester Fyes Gesundheitszustand überprüfen konnte. Das Abendessen hatte man Kurogane schließlich auch in Fyes Zimmer gebracht. Jetzt, wo es vor ihm stand, merkte er, wie hungrig er war. Er hatte seit den frühen Morgenstunden kaum gegessen oder getrunken. Da störte ihn der fade Geschmack jetzt auch nicht weiter. Er hatte gerade erst aufgegessen, als es erneut an der Tür klopfte.

„Herr Sugawara?“, sprach ihn ein junger Mann an. Vielleicht Arzthelfer oder Pfleger. „Telefon für Sie. Eine Frau Ichihara möchte Sie sprechen.“
 

TBC…



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Dankness-is-all
2015-05-10T18:11:20+00:00 10.05.2015 20:11
Bitte schreib gaaaaaaaaaanz schnell weiter, ja? Tomoyo ist so süß! Bei diesem Kapitel hab ich mich eindeutig in sie verliebt. Und ich will unbedingt wissen, wie es zwischen Fey und Kurogane weiter geht. Des weiteren würde ich mich freuen, wenn du mich benachrichtigen könntest, wenn das nächste Kapitel da ist, ich will das so schnell wie möglich lesen und nicht übersehen. Also, eine wirklich hammer Geschichte, bitte, bitte, bitte schreib schnell weiter.
LG, All
Von:  maykei
2015-05-10T13:13:59+00:00 10.05.2015 15:13
Argh! Cliffhanger! Na ja, obwohl ich mir ja schon denken kann, dass zumindes die Gerichtsverhandlung zu Kuroganes Gunsten ausgeht. Auch wenn ich mir schwer vorstellen kann, dass Kurogane zum Militär zurückgeht... zumindest nicht sofort, da scheint ja doch noch einiges in aufzuarbeiten zu sein (außerdem wieder so wenig Zeit für Tomoyo zu haben).Freue mich so über das neue Kapitel, hatte einen Leseflash letztens und bis in die Nacht am Bildschirm geklebt - was war das dramatisch das letzte hochgeladene Kapitel erreicht zu haben. Dieses hier war jedenfalls ein Genuss!

Hahaha, und Dr.Kyle!! Ach, wie schön! Als Kurogane an seinem (offensichtlich) verletzen Arm gepackt wurde, dachte ich schon "und das will Sanitäter sein?!" als dann diese zynische, bildhafte Ausdrucksweise kam, fühlte ich mich schon an ihn erinnert und als ihn Toya dann beim Namen nannte, habe ich regelrecht gejubelt!

Tomoyo ist btw. das süßeste Kind der Welt und es war toll, die Geschehnisse noch mal aus ihrer Perspektive zu hören. Auch Kuroganes Schuldgefühle und warum er Ashura nicht erschießen konnte, wurden hier noch mal deutlich. Dass er sich 'beruhigt' hat, obwohl er keine psychologische Hilfe in Anspruch genommen hat, unterstreicht ja auch, wie gut ihm die Zeit mit seiner Tochter und Fye getan hat.

Auch arme Sakura... das muss voll die traumatisierende Erfahrung für sie gewesen sein... dieser Dukari hat jedenfalls momentan recht wenig Sympathiepunkte bei mir, obwohls natürlich doof ist, dass er tot ist...

Zwischendrin war ich noch mal sehr verwirrt, warum Yukito der Richter war, weil ich ihn als Kollegen von Toya abgespeichert hatte, doch das habe ich mit CrysalisSoul durcheinander gebracht.

Freute mich jedenfalls sehr über das neue Kapitel und bleibe dir diesmal auch nicht so lange einen Kommentar schuldig. Auch der Schreibstil ist sehr fließend und der Wechsel zwischen den Szenen ist stets wie ein weicher, passender Übergang.

LG May

ps. Kurogane in blond.....
Von:  kiala-chan
2015-05-09T11:13:47+00:00 09.05.2015 13:13
So, endlich komme ich auch dazu, einen Kommi zu schreiben.
Erstmal zu deinem Vorwort: du hast geheiratet? Herzlichen Glückwunsch! Ich wünsche dir alles erdenklich Gute und dass du und dein Mann glücklich werdet bzw. bleibt! ^^.
Ich kann einfach nur sagen: wow. Ich bin wirklich beeindruckt von deinem Durchhaltevermögen, dass du das hier durchziehst. Andere würden vielleicht sagen, sie setzen jetzt andere Prioritäten für ihr Leben, aber ich finde es toll, dass du sagst ich ziehe das jetzt durch und diese Geschichte schon als eine Art Lebenswerk bezeichnest ^^
In diesem Sinne: Weiter so! Das letzte Kapitel schaffst du auch noch! *Fähnchen schwing*

Nun aber zum Kapitel: Ich bin immernoch ganz geflasht von so vielen Emotionen und hoffe, ich kann jetzt einigermaßen strukturiert schreiben xD
Tomoyos Aussage war wirklich herzzereißend. Sehr rührend, wie sie an ihrem Vater hängt. Ich glaube, das werden die Leute vom Gericht anerkennen. Die Verhandlung kam für mich auch so rüber, dass ich Kurogane sehr gute Chancen einräumen würde. Ich stelle mal die Vermutung auf, dass es für Feiwan Reed blöd gelaufen ist ^^ Bin trotzdem sehr gespannt, was da noch kommt und wie das Urteil letzten Endes aussehen wird.

Allgemein bewundere ich sehr deinen realistischen und gut recherchierten Schreibstil. Die Szenen mit dem Gerichtsverfahren finde ich, sind genial geschrieben. Großes Lob ^^

Und endlich hat Kurogane über die Beziehung zwischen Fye und ihm nachdenken können. Und ihm wurde auch klar, was Fye wohl für ihn empfindet, schon länger für ihn empfunden hat. Das wurde Zeit! xD Schön, dass da jetzt wohl endlich Klarheit auf beiden Seiten herrscht.
Ich hoffe, Fye wird sich bald wieder erholen und Kurogane kann seine Selbstzweifel überwinden, die ihn jetzt plagen. Aber das wird er schon schaffen, weil es ja nicht seine Art ist sich lange über etwas den Kopf zu zerbrechen, auch wenn das hier schon ziemlich heftig ist. Aber wenn Fye sich erstmal erholt hat, wird es ihm wahrscheinlich auch leichter fallen, das Ganze zu verarbeiten. Ärztliche oder psychologische Hilfe wollte er ja nciht in Anspruch nehmen. Aber das würde auch gar nicht zu ihm passen. Er ist dafür einfach zu sagen wir mal eigensinnig.
Dann wird es wohl, was Ashura betrifft, ein offenes Ende geben? Aber mal sehen, ob und wie Fye schließlich damit umgehen wird.

Hach, nun fehlen also nur noch ein Kapitel und ein Epilog. Das macht mich schon irgendwie traurig, diese Geschichte hat mich eben auch sehr lange begleitet und ich habe sie mehrmals gelesen. Man baut dann schon irgendwie eine emotionale Bindung zu den Figuren auf. Andererseits freue ich mich sehr, dass die FF einen Abschluss bekommt. Das hat sie auf jeden Fall verdient ^^

Also dann, freue mich auf das nächste Kapitel!!

GLG
Jana


Von: abgemeldet
2015-05-05T17:26:15+00:00 05.05.2015 19:26
Hi ^^
Auch wenn du dein 2-Monats-Vorhaben nicht ganz einhalten konntest: Dieses Kapitel war jede Sekunde des Wartens wert!
Und solange die FF nur nicht abgebrochen wird, warte ich notfalls auch noch Jahre >//<

Kyle ist meiner Meinung nach zwar nicht der sympathischste Zeitgenosse, aber in diesem speziellen Fall bin ich ihm wirklich dankbar, dass er Kurogane so konsequent unter seiner Fuchtel behalten hat. Im Gericht hätte wohl nicht nur Tomoyo den Schock ihres Lebens bekommen, wenn er da blutverschmiert und so abgeschafft angekommen wäre.
Toyas Argument kam jedenfalls genau zur richtigen Zeit.
Die ganzen Gedanken und Zweifel die Kurogane beschäftigen finde ich sehr schön dargestellt. Ich hoffe nur, er lässt sich von seinen Selbstvorwürfen nicht zerfressen. Was ich allerdings nicht ernsthaft glaube, dafür ist er nämlich einfach nicht der Typ. Fyes Antwort auf sein "Geständnis" bezüglich Ashura war so typisch, dass ich Fye am liebsten gleichzeitig umarmt und geohrfeigt hätte. Umarmt, weil er sich dafür bedankt hat, dass niemand sterben musste und geohrfeigt, weil wieder alle anderen Personen über sein eigenes Wohl stellt. Das nimmt bei ihm schon Züge an, die auf Dauer definitiv nicht gesund sein können.
Beinahe untergegangen ist in diesem sowieso schon sehr emotionalen Kapitel ist der Moment, auf den zumindest ich schon so lange gewartet habe: Endlich haben beide die Karten auf den Tisch gelegt und ihre Gefühle gestanden!
Auch wenn die Umstände deutlich anders als erwartet sind. Doch diese Vielfalt der Möglichkeiten ist schließlich das Schöne an Geschichten. Ich hoffe jedenfalls, dass es Fye bald wieder besser geht.

Nun zur Gerichtsverhandlung: Tomoyo war die Beste! Der Anklage so den Wind aus den Segeln zu nehmen, hätte wohl niemand anders geschafft. Ausgestanden ist es zwar noch nicht und ich glaube auch nicht, dass Fei Wong sich bereits geschlagen gibt, aber sie hat definitiv einen prägenden Eindruck hinterlassen.
Insgesamt scheint sich die Waagschale momentan durchaus zur Kuroganes Gunsten zu neigen. Und ich weiß, ein "was wäre wenn" bringt nicht viel, aber ich frage mich doch, ob es nicht sogar besser war, dass Kurogane an diesem Verhandlungstag nicht dabei war. Auf ungerechtfertigte Vorwürfe reagiert er ja doch eher grob. Yuuko jedenfalls hatte die Sache voll im Griff.


Ich bin schon richtig gespannt, wie es weitergeht! *^*
Liebe Grüße,
Puffie~
Von:  ryuuka
2015-05-05T17:12:54+00:00 05.05.2015 19:12
Es ist schon seit drei Tagen draußen und ich habe es nicht gesehen!!!!!! Schande über mich! Habs natürlich gleich durchgesuchtet und fand die Szenen kombi Klasse. Es hat nicht wirklich verwirrt, sondern zwischen durch mal ein wenig die Stimmung aufgelockert. Kuroganes Selbstanalyse kam sehr passend, ich fand es lustig, dass er, ebenso wie ich nicht genau sagen konnte, wann er Fai näher gekommen war. Die Zeugenaussage von Tomoyo war herzallerliebst, ich saß bei der einen Stelle wirklich da und habe mir gesagt "Und er hat doch mit ihr gebacken"^^ Jaja, Das werden wohl auf jeden Fall gute Neuigkeiten für Kurogane. Fand es interessant, dass ihr die Schulter mit rein gebracht habt, ich hoffe nur, dass Fais Auge nicht so schlimm verletzt ist wie in TCR. Ach ja und macht Kurogane bitte schnell wieder schwarzhaarig, was anderes kann ihm einfach nicht stehen, schon gar nicht mit dem hübschen Blondie an seiner Seite^^ Freu mich schon auf die nächsten (und leider auch auf die letzten) beiden Kapitel.

Zwei ganz feste Knuddler an euch für so eine tolle Story!

ryuuka
Von:  PeachBunBun
2015-05-04T18:50:12+00:00 04.05.2015 20:50
Ich liebe diese FF so und jedesmal wenn ein neues chapter kommt quieke ich so! *__*
und gott ich hab so geweint in dem Chapter <3 kann das nächste kaum erwarten!!
Von:  kawaii-zombie
2015-05-04T12:32:58+00:00 04.05.2015 14:32
Awwww!!!! Was für ein tolles Kapitel! Bei Tomoyos Zeugenaussage sind mir fast die Tränen gekommen! TvT Die Kleine ist aber auch süß!
Ich kanns gar nicht erwarten, das letzte Kapitel zu lesen!!!
Alles Gute übrigens! ;)


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