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100% Sorglospunks!

von

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Der Graf von Atlantis

„Nifeeeeeeeen!“ Easy stürmte in das Büro der Bandmanagerin der Sorglospunks. „Nifen, es reicht. Es ist genug! Es geht nicht mehr!!!“

Nifen seufzte leise, ließ die Maus sinken und wandte sich von dem Bildschirm ab. Ihr neues Neopets-Meisterwerk musste also auf seine Fertigstellung warten, bis die aktuelle Sorglospunks-Krise gelöst war.

„Was ist denn los?“

„Mensch, Easy, renn doch nicht so schnell!“ Jack kam keuchend hinter ihrer Zwillingsschwester hergestürzt, dicht gefolgt von Chris. Damit waren nun alle drei Sorglospunks bei ihrer Managerin versammelt. Ein untrügliches Anzeichen, dass irgendetwas wirklich im Argen liegen musste.

„Abranka!“, begann Easy. „Sie raubt uns noch den Verstand! Man weiß gar nicht mehr, was einen als nächstes erwartet!“

„Na, das schon. Nur was davon nicht“, warf Chris ein.

„Genau! Mal dröhnt Eminem aus dem Wohnzimmer, dann Country. Dann wiederum wird den ganzen Tag nur ‚Star Trek’ oder ‚Babylon 5’ geguckt! Und dann wiederum nur Jane Austen!“, fuhr Jack fort.

„Genau! Ich habe ‚Stolz und Vorurteil’ jetzt zehnmal gesehen! Und ‚Sinn und SinnlichkeitÄ fünf!“ Easy stemmte die Hände in die Hüften

„Vergiss nicht ‚EmmaÄ. Das gab’s schon viermal“, half Chris freundlich aus.

„Oder den BVB! Nichts gegen Fußball, aber alles hat Grenzen!“ Jack schüttelte den Kopf. Die letzte Dekoration des Wohnzimmers, als das Derby gegen Schalke stattgefunden hatte, war wirklich zu viel gewesen! Der Schoko-Zitronen-Kuchen im BVB-Look war ja noch in Ordnung gewesen, nicht aber das dazu passende Geschirr und die gigantischen BVB-Fahnen an den Wänden…

„Und jedes Mal, wenn ich einen neuen Song schreiben will, dann schlägt sie mir irgendwas vor, was damit zu tun hat!“ Easy jammerte lautstark. „Ich will keine Lieder über irgendwelche Städte in Texas oder so singen. Und ich will auch nicht rappen! Bitte nicht!“

Nifen seufzte leise. Sie hatte schon gesehen, dass sich das alles langsam hochgeschaukelt hatte, aber sie war auch der Überzeugung gewesen, dass sich das auch wieder legen würde.

„Ehrlich: Lieber wieder Ace of Base anstatt das jetzt! Bei Ace of Base weiß man wenigstens, woran man ist.“ Jack wirkte vollkommen verzweifelt, was für die Bandvernunft wirklich ungewöhnlich war.

„Und was soll ich eurer Meinung nach tun?“ Nifen musterte ihre drei Schützlinge, während sie gleichzeitig selbst über eine Antwort auf ihre Frage nachdachte.

„Mach, das das aufhört!!!“, kam es von allen dreien im Chor.

Das war definitiv eindringlich. Die Bandmanagerin strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Chibichi, der Teufel und ihr Problemlöser Nummer eins, war gerade mal wieder auf einer Konferenz. Diesmal auf Wolke 7, wo es um irgendwelche wichtigen Besprechungen mit dem Rauschebart ging, weswegen bei ihr immer nur die Mailbox ansprang.

„Okay, ich überleg mir was.“ Nifen winkte den Dreien zu verschwinden, was diese auch schmollend taten. Aber immerhin war dieses Versprechen besser als gar nichts.
 

Sobald die drei Musiker aus ihrem Büro verschwunden waren, lehnte sich Nifen auf ihrem Bürostuhl zurück und stieß sich ab. Während sie sich langsam im Kreis drehte, dachte sich intensiv nach. Was konnte man machen, wenn eine Muse ihre Schützlinge so… misshandelte? Bedrängte? Beschallte? Wie nannte man das eigentlich, was Abranka da tat?

Kurzum: Sie brauchte Hilfe. Und wer konnte da besser helfen als ihr Hell-o-Berry, in dem ein Haufen übersinnliche Rufnummern gespeichert waren?

Und genau dort fand sie eine erste Anlaufstation: die Musenhotline.

Eine Hotline war doch sicher ein guter Start. Sie zuckte mit den Schultern und rief an.

Nach der erwarteten und unvermeidlichen Zeit in der Warteschleife – mit nach zwei Minuten äußerst nervtötend wirkende Harfenmusik – erklang eine äußerst vertraute Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Musenhotline. Guten Tag, Sie sprechen mit Himeka, was kann ich für Sie tun?“

„Hime???“

„Nifen? Wie schön, eine vertraute Stimme am Apparat zu haben.“ Himeka lachte.

„Wie viele Nebenjobs hast du denn?“

„Ach, ich mag die Abwechslung.“ Die junge Hexe am anderen Ende klang gelassen und amüsiert zugleich. „Und die Musenhotline ist immer eine nette Sache. Die meisten Anfragen sind einfach zu bearbeiten und zwischendurch hat man genug Zeit, um Schokolade zu essen oder zu lesen.“

„Und warum dann die Warteschleife?“

„Na, es kann doch keiner mit vollem Mund rangehen.“ Himeka lachte erneut. „Aber genug davon. Wie kann ich dir helfen? Ist etwas mit Abranka?“

„Oh ja. Es ist sogar viel mit Abranka.“ Und dann begann Nifen zu schildern, womit die Muse sie alle malträtierte, wobei aber zumindest die Jane Austen-Verfilmungen bei ihr nicht als Qual zählten, hatte sie doch die meiste Zeit mitgeguckt.

„Mhm… Das klingt wirklich nicht gut. Nein, gar nicht gut…“

Im Hintergrund konnte Nifen hören, wie Himeka in die Tasten haute und offenbar irgendetwas recherchierte.

„Also, den Symptomen nach, ist sie a) nicht ausgelastet genug und braucht b) dringend neue Anregungen, zum Beispiel durch einen Ortswechsel.“

„Okay… Heißt das etwa, unsere Muse braucht Inspiration?“

„Ja, so in etwa kann man das nennen. Auf Fachidiotisch heißt das Deinspirations-Langeweile-Syndrom, kurz DeLaSy.“

„Unsere Muse langweilt sich mit uns???“

„Na ja, wann hattet ihr das letzte Konzert?“

„Vor zwei Wochen.“

„Wann hat Easy den letzten Song geschrieben?“

„Vor zwei Wochen. Aber sie sitzen ja täglich dran.“

„Auch eine Muse kann ein Burn-Out- oder Bore-Out-Syndrom bekommen. Wobei es bei ihr noch nicht so weit ist. Das ist gerade eben ein DeLaSy. Das ist wirklich kein großes Problem. Beschert ihr einfach einen Tapetenwechsel. Macht einen Ausflug, unternehmt was. Spielt ein großes Konzert, geht zu einem Bandwettbewerb oder einem Songcontest. Da gibt es viele Möglichkeiten.“

„Mhm… Auf jeden Fall Danke.“

„Wenn noch etwas ist, ruf einfach wieder an.“

„Ja, klar. Bis dann.“

Nifen legte auf und verschränkte die Arme im Nacken. Jetzt fehlte nur noch eine Idee, was sie machen konnten, um das DeLaSy ihrer Bandmuse zu behandeln.
 

Die Antwort kam wie so oft per E-Mail. Nifen hatte die Sorglospunks vor einer Weile bei der Über- und Unterirdischen Musikervereinigung angemeldet und erhielt nun den wöchentlichen Newsletter. Normalerweise stand da immer lauter langweiliges Zeugs drin, aber dieses Mal gab es einen echten Volltreffer. Zwei Minuten und einen Ausdruck später sauste sie ins Wohnzimmer und rief gegen den Film-Lärm aus: „Wir gehen nach Atlantis!“

„Wir tun was?“ Die Sorglospunks-Brigade, die das Sofa belegt hatte und auf höchster Lautstärke versucht, einen Film zu gucken, während aus den hinteren Räumlichkeiten lautstarke Countrymusik dröhnte.

Nifen seufzte, bedeutete Jack, den Ton abzustellen, und rief dann noch einmal: „Wir gehen nach Atlantis!“

„Auswandern? Super!“ Chris war sofort begeistert.

„Nein, natürlich nicht Auswandern.“ Die Bandmanagerin schüttelte angesichts dieser Bemerkung empört den Kopf. „Ich habe euch doch gestern erst erklärt, dass wir Abranka helfen müssen, damit sie zu ihrer Inspirationsform zurückfindet und dass sie dafür einen Tapetenwechsel braucht.“

„Und wir ansonsten Gefahr laufen, alles an Countrymusik und jeglichen Song von Eminem auswendig zu kennen, schon klar“, winkte Jack ab und schwieg dann artig, damit Nifen fortfahren konnte.

„Und es gibt eben diesen Wettbewerb in Atlantis.“ Sie hielt diesen Ausdruck hoch. „Der Graf von Atlantis lädt engagierte Bands ein, sich an der Ausschreibung zur Komposition einer neuen Hymne zu beteiligen. Das Vorgehen ist recht einfach. Wir fahren hin, spielen vor dem Auswahlkomitee vor, kommen in die Endrunde, Abranka inspiriert Easy zu einer tollen Hymne und dann gewinnen wir das Ding. Und haben wieder eine normale Muse.“

„Jedenfalls, wenn es glatt läuft.“ Chris’ Augenbrauen wanderten nach oben. „Bei uns läuft schließlich nie etwas glatt.“

„Ja, aber selbst wenn wir direkt in der ersten Runde rausfliegen, haben wir es versucht“, setzte sich Jack energisch für den Wettbewerb ein.

„Genau! Und so lange kann uns Abranka nicht beschallen!“ Easy sprang auf.

„Wann geht’s los?“ Chris fackelte nicht mehr lange.

„Ich melde euch noch online an und dann können wir sofort aufbrechen. Easy, fängst du Abranka ein?“ Nifen strotzte nur so vor Tatendrang.

„Geht klar!“ Sofort salutierte die Songwriterin und Frontfrau eifrig.

„Äh, und wie kommen wir nach Atlantis?“, fragte Chris kleinlaut, was jedoch in der euphorischen Aufbruchsstimmung unterging.
 

Abranka war nicht ganz so begeistert von dem Ausflug gewesen war, aber schließlich mit dem Versprechen, mit einem MP3-Player vollgestopft mit Musik und ihrem BVB-Trikot versorgt zu werden überzeugt worden, dass sie die Sorglospunks natürlich begleitete. Wahrscheinlich hätte sie es sich sowieso nicht nehmen lassen, ihre Schützlinge zu unterstützen. Aber gerade Nifen wollte auf Nummer sicher gehen. Nicht nur wegen Abrankas nervigem DeLaSy, sondern auch weil die Muse immerhin quasi das Ass im Ärmel dieser Band war.

Der Weg nach Atlantis war eigentlich recht einfach. Im WWWB-Markt gab es schließlich einen Fahrstuhl, der nicht nur in den Himmel und Hölle führte. Zu seinen anderen Zielorten gehörte auch Atlantis und somit mussten die Sorglospunks mitsamt dem Bollerwagen, auf dem sie ihre Instrumente transportierten, nur einsteigen und dann ging es auch schon los.
 

Atlantis sah etwas anders aus, als die fünf es erwartet hatten.

„Sollte es hier nicht überall von Wasser so wimmeln? Immerhin ist Atlantis untergegangen?“, fragte Easy und sah sich mit großen Augen um.

„Ähem…“ Nifen deutete nach oben auf den scheinbar blauen Himmel. „Das da oben ist eine Kuppel über der du das Meer siehst. Und das sind keine Vögel sondern Fische. Von daher sieht das hier schon ziemlich versunken aus.“

„Oh. Cool!“

„Wo müssen wir denn hin?“, erkundigte sich Jack und blickte sich neugierig um. Die hellblauen und hellgrünen Häuser sahen eher mittelalterlich denn hypermodern aus, auch wenn gerade hinter dieser gewaltigen Kuppel ziemlich viel Technik – oder potenziell auch Magie – stecken musste.

In diesem Augenblick beantwortete das lautstarke Dröhnen von Technomusik durch die schmalen Gassen Jacks Frage.

„Immer der Musik nach“, sagte Nifen fröhlich und marschierte vorne weg. Abranka lenkte ihre Wolke neben ihr her und nach kurzer Diskussion, wer jetzt für den Bollerwagen verantwortlich war, folgten auch die drei Sorglospunks.
 

Ihr Weg führte sie durch die hübschen Straßen hinauf über einige Treppen, die dankenswerterweise mit schicken, hölzernen Aufzügen ausgestattet waren, deren Funktionsweise sie schnell herausgefunden hatten, nachdem sie den Bollerwagen noch die erste Treppe hochgewuchtet hatten. Am Ziel ihres Weges stand ein gewaltiges Tor, an dem sie das erste Mal einen Eindruck der Bewohner von Atlantis bekamen. Die Leute sahen normal aus. Menschlich eben, was in der Erlebniswelt der Sorglospunks schließlich nicht unbedingt selbstverständlich war. Eine große Menschenmenge drängte sich vor dem Tor, hinter dem sich der Kiesweg zum Schloss erstreckte. Alle besaßen sie langes, sorgfältig gepflegtes Haar und alle trugen bodenlange Gewänder in zumeist blauen und grünen Farbtönen. Vereinzelt gab es jedoch auch gelbe oder rote Farbkleckser.

„Dürfen wir mal durch?“, rief Jack über die Menge hinweg. „Wir wollen auch vorspielen!“

Mit neugierigem Raunen machten ihnen die Leute Platz und ließen sie zu der Torwache hindurch, die nach der Anmeldenummer fragte und diese in einem tragbaren Computer kurz kontrollierte, ehe sie die Band hindurchwinkte. Dort klebte ihnen eine zweite Torwache jeweils einen dicken, knallroten Aufkleber mit dem Bandnamen und ihrer Registrierungsnummer auf den Bauch.

„Offenbar sind alle reichlich gespannt auf dieses Ereignis“, meinte Chris.

„Klar, das geht um die Nationalhymne. Was denkst du denn? Wenn Deutschland auf einmal eine neue Hymne bekommen sollte, würden die Leute doch garantiert auch neugierig sein.“ Easy schüttelte den Kopf.

„Ja, aber die würden nicht vor dem Bundestag oder dem Schloss Bellevue campieren“, grinste Jack.

„Sicher?“ Easy zog eine Augenbraue hoch. „Ich würd’s tun.“

„Das glaub ich dir sofort!“

Schnatternd und gut gelaunt marschierten sie durch den weitläufigen Park, dessen Bäume und Büsche in verschiedene Fisch- und Muschelformen geschnitten worden waren, auf das türkisleuchtende Schloss zu.

An dem Tor erwartete sie erneut eine Wache, die sie in den Wartesaal eskortierte, in dem bereits ein gutes Dutzend anderer Bands wartete. Rock und Pop waren dort ebenso vertreten wie Klassik, Techno und Heavy Metal. Eine äußerst bunte Mischung an äußerst bunten Interpreten, unter denen die Sorglospunks kaum auffielen. Nifen runzelte die Stirn. Nicht Aufzufallen war nicht unbedingt eine gute Sache. Aber im Zweifelsfall stachen sie sicher durch ihre Musik hervor.

Und während die anderen Bands, Sängerinnen und Sänger nervös waren, spielten die Sorglospunks in Ruhe eine Runde Karten und frotzelten herum.

„Äh, welche Songs sollen wir eigentlich spielen?“, fragte Chris urplötzlich. Sie waren als nächstes an der Reihe und so langsam sollten sie sich darüber vielleicht Gedanken machen.

„‚Talent’!“, rief Nifen sofort.

„Fehlen noch zwei.“ Jack grinste. „Ich bin für den ‚Rote-Faden-Song’!“

„Und ich für… für… den ‚Anti-Mathe-Song’!“ Easy war schließlich immer gegen Mathe.

„Und ich für ‚Post it, Baby’.“ Chris gab seinen Vorschlag als letzter ab, weswegen Nifen diesen Song schlichtweg zu ihrer Alternative erklärte, falls sie noch einen vierten Song brauchen sollten.

„Schaffen wir noch eine Runde?“, fragte Jack und mischte die Karten erneut.

„Ach, sicher.“ Easy grinste und sah sie auffordernd an.
 

Eine Viertelstunde später standen sie vor dem Komitee und sortierten ihre Instrumente. Nifen lehnte an der Tür und musterte kurz die zehn Personen, die dort saßen. Drei jungendliche Atlanter, drei mittelalte Atlanter, drei alte – nahezu greise – Atlanter und dazu noch eine junge Frau, die durch ihr schickes, erkennbar teures Kostüm auffiel und mit einem äußerst prüfenden Blick die drei Sorglospunks musterte. Die Muse schwebte neben Nifen und maß mit einem ebenfalls äußerst aufmerksamen Blick die Runde.

„Herzlich Willkommen in Atlantis.“ Die junge Frau ergriff das Wort, was aufgrund ihrer herausstechenden Erscheinung wenig überraschend war. „Mein Name ist Siroya. Wie ihr sicher schon in den Ausschreibungsunterlagen gelesen habt, bin ich die Sprecherin des Grafen von Atlantis. Leider ist es ihm nicht möglich, an der ersten Ausscheidungsrunde teilzunehmen, daher übernehme ich seine Funktion. Jeder der hier Anwesenden hat eine Stimme. Die Atlanter werden entscheiden und nur, falls es Zweifel an der sinnhaftigkeit dieser Entscheidung gibt, werde ich eingreifen.“ Siroya lächelte und strich sich über das perfekt frisierte, weißblonde Haar. Diese Frau hatte Macht – und sie genoss es.

Sie war den Sorglospunks von der ersten Sekunde an unsympathisch. Sie hatte eine äußerst arrogante und selbstgefällige Art, die das absolute Gegenteil der Musiker aus dem Schwabenland darstellte.

„Ihr könnt beginnen.“

Kurz darauf klangen die ersten Töne von ‚Talent’ durch den Raum.
 

„Mit ganz viel Geld kauf’ ich Talent,

denn Gott hat leider Gottes verpennt,

mir welches mitzugeben!“
 

Nifen sah, wie der Song zwar den Jury-Mitgliedern des normalen Volkes gefiel, jedoch auch, dass Siroya den Mund missbilligend verzog. Vermutlich war ihr das zu selbstironisch oder zu frech.

Auch die nächsten zwei Songs konnten sie offenbar nicht überzeugen, obwohl die restliche Jury bereits begeistert mitwippte und die Band längst adoptiert hatte. Selbst als sie einen vierten Song forderte – erst nach kritischem Blick auf die Neun, die eigentlich die Entscheidung treffen sollten –, war sie offenbar nicht zufriedenzustellen.

„Liebe Sorglospunks, wir wissen euren Einsatz sehr zu schätzen. Aber leider, leider passt eure Musik…“

Am anderen Ende des Raumes wurde eine Tür mit solcher Wucht aufgestoßen, dass sie mit einem ohrenbetäubenden Knall gegen die Wand schlug. Hereingestürmt kam eine regelrechte Albtraumgestalt.

Mit aufgerissenen Kulleraugen starrten die Sorglospunks und ihre Crew auf diese Person. Die Flügeln waren das, was einem als erstes ins Auge sprang: Sie haben eine gewaltige Spannweite von sicherlich vier Metern, eine Höhe von sicher zwei Meter fünfzig, der eine Flügel besaß schwarze Federn, der andere war schneeweiß gefiedert. Dazu kamen ein nachtschwarzes Outfit, schwarze Haare, die bis zu den Kniekehlen reichten, und hellrote Spitzen hatte, rotglühende Augen, und spitze Elfenohren, die aus dem dichten Haar herausragten. Als er den Mund öffnete, blitzend viel zu weiße und äußerst spitze Vampirzähne auf.

„Nein, nein, nein! Siroya, ich will sie! Sie sind weiter!“ Erst die Stimme verriet, dass diese Badfic-Gestalt ein Mann war.

„Aber Graf… Das…“

„Doch, doch, doch! Diese Band kommt in die nächste Runde!“ Ein wenig außer Atem blieb der Graf von Atlantis vor den Sorglospunks stehen, die jetzt einer nach dem anderen den Mund wieder zumachten. Er stemmte die Hände in die Hüften und funkelte seine Sprecherin an.

„Natürlich.“ Siroya nickte leicht, aber der Blick, mit dem sie die Sorglospunks bedachte, war alles andere als freundlich. Und so wie sie danach den Grafen ansah, war da irgendetwas im Busch.

Nifens Sinn für einen guten Plot und eine dramatische Handlung sprang sofort an. Bei den anderen machte sich die Sorglospunks-Lebenserfahrung breit: Sie ahnten, dass sie auf dem besten Wege waren, in irgendwelche Schwierigkeiten zu geraten.
 

Es waren nur eine Handvoll Teilnehmer in die zweite Runde gekommen. Etwas, das aber angesichts der harten Hand von Siroya wenig überraschend war. Immerhin wären die Sorglospunks ja auch fast rausgeflogen. Und dieser Umstand war es, der die fünf dazu brachte, Kriegsrat zu halten.

Das erste Mal seit Wochen war Abranka wieder voll bei der Sache.

„Wir müssen es hier möglichst weit schaffen!“, war die Kampfansage der Muse. „Schon allein, um es dieser komischen Frau zu zeigen.“

„Und weil wir den Grafen auf unserer Seite haben“, fügte Easy hinzu.

„Der irgendwie komisch aussieht…“, ergänzte Jack, was für kurzes Schweigen sollte. Dann gab es reihum ein fröhliches Achselzucken.

Mit einem „Kann der ja auch nix zu“ wischte Easy diesen Gedanken direkt bei Seite.

„Wie geht es nun weiter?“, fragte die Muse, die zuvor von Nifens Erläuterungen des ganzen Prozederes äußerst wenig mitbekommen hatte.

„Als nächstes spielen die Bands vor einem großen Publikum einen Song und wer dort von der Menge mittels Jubelpegel weitergewählt wird, darf im großen Finale seine Version der Hymne ebenfalls vor großem Publikum vorspielen“, erklärte Nifen.

„Wer entscheidet bei der letzten Runde?“

„Wieder das Volk.“

„Du meinst theoretisch.“ Jack zog demonstrativ beide Augenbrauen hoch und wackelte damit. „Denn seien wir mal ehrlich: Diese Siroya hat hier alles fest im Griff. Vielleicht sogar den Grafen.“

Düsteres Nicken war die Antwort.

„Wir müssen Atlantis vielleicht retten?“, fragte Chris leise und bekam nur bedeutungsvolle Blicke als Antwort. Die Sorglospunks waren schließlich nicht gerade bekannt dafür, dass sie sich vor ihrer Verantwortung drückten. Und sie hatten das Herz am rechten Fleck.

Aber erst würden sie erst einmal mehr von Atlantis kennenlernen. Denn schließlich war es eine dumme Idee, sich Hals über Kopf in irgendetwas hineinzustürzen ohne die wesentlichen Fakten zu kennen.. Was allerdings nichts daran änderte, dass sie das meistens doch taten.
 

Da der nächste Auftritt erst am morgigen Tag stattfinden sollte, nutzten sie die Zeit, um sich in der Stadt umzusehen.

Atlantis entpuppte sich wirklich als äußerst faszinierend und verbarg unter ihrer blauen und grünen Oberfläche einen Haufen interessanter Dinge.

So war das atlantische Stadtmuseum wirklich ein Juwel und das nicht nur im Hinblick auf spannende Geschichten aus der Vergangenheit, sondern auch bezüglich technischer Errungenschaften – wohlgemerkt der Vergangenheit –, die im heimischen Schwabenland ihresgleichen suchten.

Da waren der Wasserlüfter, der salziges Meerwasser durch die schützende Kuppel brachte und in wertvollen Süßwasserregen verwandelte, die Energiekristallleuchter, die Licht ausstrahlten, das dem der Sonne glich, und schließlich die Kakaopäppelmaschine, die für das perfekte Wachstum der atlantischen Kakaopflanzen Sorge trug.

„Hey, hier steht etwas über den Grafen!“, rief Easy aus, als sie sich in dem Raum über den Ursprung Atlantis’ umsahen.

„Cool!“ Jack und die anderen flitzten aufgeregt zu ihr hinüber.

Glaubte man dieser Zeittafel, war Atlantis von dem Grafen im Jahre 6.000 vor Christi gegründet worden, einer Zeit, in der die alten Ägypter noch im Sand gespielt hatten. Atlantis war eine blühende Kultur gewesen, die jedoch mehr und mehr den Neid ihrer Nachbarn auf sich gezogen hatte. Krieg folgte auf Krieg. Um die Stadt in Sicherheit zu bringen und endlich ein friedliches Leben für die Bevölkerung zu ermöglichen, entschied sich der Graf, der zuvor stets eine goldene Maske und ein gewaltiges Gewand aus weißen Federn getragen hatte, einen Deal mit den Göttern zu machen. Er veränderte sich und wurde zu dieser Fangirly-Albtraumgestalt, in der er den Sorglospunks begegnet war. Zu dieser Zeit trat auch der erste Sprecher des Grafen in Erscheinung, der das Volk in der Stunde der Not zusammenhielt, während die ganzen technischen Finessen der Atlanter genutzt wurden, um die Stadt im Meer zu versenken und durch die gewaltige Kuppel vor den tödlichen Wassermassen zu schützen.

Das war der Beginn des unterseeischen Zeitalters von Atlantis.

„Also, ich finde diese Grafen-Sache reichlich seltsam“, stellte Nifen fest.

„Denkst du auch, dass er kaum 8.000 Jahre alt sein kann? Und dass die Kleidung wirklich perfekt ist, um den Leuten vorzugaukeln, dass es immer noch der gleiche Graf ist, obwohl da jemand anderes in den Klamotten steckt?“, grinste Abranka.

„Exakt.“ Nifen erwiderte das Grinsen.

„Aaaaaaaber, das ist ja kaum etwas, das rechtfertigen würden, dass wir uns hier in irgendetwas einmischen“, warf Jack ein, die die Nase gestrichen voll davon hatte, ständig irgendwen oder irgendwas zu retten.

„Schauen wir mal.“ Chris zuckte mit den Schultern. Allen Fünfen war jedoch ein eher ungutes Gefühl gemeinsam.
 

Am Abend machten Sorglospunks und Crew es sich in der Taverne „Zum Hammerhai“ gemütlich, in der sie auch ihre Zimmer gemietet hatten. Der Gastraum war rustikal, aber sehr gemütlich eingerichtet und bei dem guten Essen ließen die Fünf ihrer Fantasie freien Lauf. Diese Spekulationen über den Grafen reichten von einem tatsächlichen Unsterblichen – einem Halbgott vielleicht – über einen machtbesessenen gräflichen Familienclan – der irgendwann eine geheime Gräfin hervorgebracht hatte – bis hin zu einer intriganten Sprecherdynastie.

Eine in einen dunkelblauen Mantel gehüllte Gestalt am Nebentisch lauschte ihrem Gespräch mit wachsender Neugier und als Jack schließlich seufzend sagte: „Wetten, dass Atlantis doch gerettet werden muss?“, da traf sie eine Entscheidung.

Die unheimliche Gestalt beugte sich zu dem Sorglospunks-Tisch hinüber und fragte mit dumpfer Stimme: „Wollt ihr die Wahrheit wissen?“

Kurz wurden einige skeptische Blicke ob der Unterbrechung und dieses Angebots gewechselt, dann sagte Easy mit einem strahlenden Lächeln: „Klar doch! Kaffee gefällig?“

„Immer.“ Der Fremde drehte seinen Stuhl und gesellte sich der ausgelassenen Runde hinzu.

Nachdem er seine Tasse Kaffee bekommen hatte, Easys Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren und akute Neugier die restlichen Vier überflutet hatte, begann er zu sprechen.

„Was ich euch nun erzähle, geschieht unter dem Siegel der absoluten Verschwiegenheit. Ich erzähle es auch nur, weil ich mitbekommen habe, dass ihr viele Dinge begreift und äußerst erfinderisch seid.

Der Graf von Atlantis ist längst nichts mehr als eine armselige Galionsfigur in einem albernen Outfit. Ein Junge, der von klein auf für diese Rolle erzogen und ausgebildet wurde, um diese später als Halbwüchsiger und Erwachsener zur Zufriedenheit der Sprecherdynastie zu erfüllen.“

Schweigen senkte sich über den Tisch, das sich hart und unwirklich von dem fröhlichen Lärm um sie herum abhob. Niemand schenkte ihnen Beachtung und schien etwas von der Bedeutung dieses Gesprächs zu erahnen.

„Siroya ist es, die diese Stadt beherrscht, nicht der Graf. Und Siroya herrscht nicht zum Wohle des Volkes, sondern nur zu ihrem eigenen.“

„Wieso? Den Leuten hier geht es doch nicht schlecht“, warf Jack ein und deutete auf die ausgelassenen Menschen um sie herum.

„Niemand darf Atlantis verlassen. Ken Bürger, kein Besucher – niemand. Denn Atlantis soll Siroyas eigene kleine Welt bleiben. Weil sie weiß, dass sie den Stadt nicht mehr halten könnte, wenn Einflüsse von außen ungefiltert und unkontrolliert zu uns vordringend würde. Sie kontrolliert alle Wareneinfuhren und jegliche Kommunikationsverbindungen nach außen.

Was uns einst schützte, ist nun unser Gefängnis geworden.“

„Aber, wir laufen hier doch herum! Und die anderen doch auch alle!“, rief Chris aus, der bereits Böses ahnte.

„Momentan noch. Alle Teilnehmer des Wettbewerbs, die bereits ausgeschieden sind, wurden direkt nach ihrem Auftritt in die Kerker gebracht, um dort ihre Erinnerungen auszulöschen. Anschließend werden sie den Genpool von Atlantis auffrischen.“

Stille herrschte, bis er fortfuhr: „Unsere technische Entwicklung ist durchaus auch ein Fluch.“

„Besonders für die unschuldigen Opfer“, ergänzte Nifen mit einem pikierten Gesichtsausdruck.

„Was bedeutet, wir müssen Atlantis retten, wenn wir nicht hier bleiben und unser Gedächtnis verlieren wollen. Na super!“ Jack stöhnte auf. „Warum immer wir?“

„Helft ihr uns?“ Seine Worte klangen bittend. Sein Gesicht jedoch war weiterhin unter der Kapuze nicht zu sehen.

„Welche Wahl haben wir?“ Nifen zuckte mit den Schultern. „Aber eine Frage habe ich noch: Wer bist du?“

Ihr Gegenüber schlug die Kapuze zurück und ließ ein absolutes Durchschnittsgesicht sehen. „Der Graf von Atlantis.“

Seltsamerweise zweifelte an diesen Worten keiner von ihnen.
 

Der Graf von Atlantis stellte sich ihnen als Tammin vor. Tatsächlich war erst einundzwanzig Jahre alt und steckte seit seiner Geburt in diesem Desaster von Zwang, Verhaltensregeln und Lügen fest. Allein die Tatsache, dass er sich am heutigen Tage in die Auswahlzeremonie eingemischt hatte, war gegen jede Regel gewesen und hatte ihm eine unerfreuliche Unterhaltung mit Siroya beschert. Jedoch hatte ihm die Musik der Sorglospunks einfach viel zu gut gefallen, als dass er sich hatte raushalten können. Etwas, das vielleicht das klügste war, das er bisher getan hatte.

Er konnte nicht genau erklären, wann er angefangen hatte, an seinem Dasein und den Dingen, die er tat, zu zweifeln. Er wusste nur, dass diese Lüge nicht gut war. Und dass das Volk etwas anderes verdient hatte. Denn schließlich waren die Atlanter doch reichlich klug und hatten so Vieles auf die Beine gestellt. Da war doch eine Demokratie, wie in den Büchern, die er heimlich im Schloss gelesen hatte, viel besser, oder nicht? Auf jeden Fall war alles besser, als diese knallharte Isolation und die grausame Behandlung ahnungsloser Nicht-Atlanter.

Er hatte es sich angewöhnt, sich aus dem Schloss zu schleichen – was nicht einfach war – und sich unter die Atlanter zu mischen, um sie kennen und verstehen zu lernen und herauszufinden, was dieses Volk wirklich brauchte. Und was Atlantis wirklich fehlte, war Freiheit.

Freiheit war etwas, für das die Sorglospunks absolut waren. Daher war auch Jack kein bisschen mehr missgelaunt, als die Entscheidung feststand, dass sie Atlantis helfen würden. Jetzt hieß es nur noch, einen erfolgreichen Plan zu schmieden.
 

Die Nacht war kurz und der nächste Tag kam schnell. Glücklicherweise waren Sorglospunks und Crew kurze Nächte gewohnt. Dennoch fiel der erste Probelauf für den neuen Song ‚Freiheit’ – der natürlich im Geheimen stattfand – äußerst dürftig aus.

Nifen brachte schließlich das Problem auf den Punkt: „Ihr wisst doch: Ihr seid am besten, wenn ihr improvisiert. Also improvisiert einfach auf der Bühne.“ Sie grinste aufmunternd in die angespannte Runde. „Wer spielt mit mir Karten?“

Und so verbrachte die äußerst nervöse obwohl sonst so sorglose Band die Zeit vor ihrem Auftritt wieder mit einem Kartenspiel.
 

„Sorglospunks! Die Sorglospunks bitte!“, kam viel zu schnell die Aufforderung, dass sie an der Reihe waren und die Bühne betreten sollten.

Die Menschenmenge, die das gewaltige Stadion ausfüllte, in dessen Mitte die kreisrunde Bühne aufgebaut war, war äußerst beeindruckend. Es hätte niemanden überrascht, wenn gut die Hälfte der atlantischen Bevölkerung hier gewesen wäre. Und der Rest hielt sich vermutlich auf den Plätzen der Stadt und in den Lokalen auf, auf deren Leinwände das Spektakel übertragen wurde.

Doch entscheidend war hier die Meinung – der Jubel – des Stadionpublikums. Und Siroya. Diese saß neben dem Grafen von Atlantis wie die alten römischen Kaiser im Kolosseum in einer eigenen Loge und betrachtete von dort das Geschehen. Soweit das aus der Entfernung beurteilbar war, sah sie nichts besonders glücklich aus, als die Sorglospunks die Bühne betraten.

„Hallo Atlantis!“, rief Easy gut gelaunt ins Mikro. Ihre Nervosität war schlagartig verschwunden, als sie den Boden betreten hatte, der die Welt bedeutete. Genauso ging es Chris und Jack. Das hier war schließlich ihr Element – und es war ja auch nicht das erste Mal, dass sie in einer eher prekären Situation auf der Bühne standen und ihr Bestes geben mussten, weil verdammt viel davon abhing.

„Wohooooo!“, jubelten Chris und Jack in ihre Mikros, ehe sie Easy das Feld überließen. Nifen beobachtete insbesondere Siroya von ihrem Platz am Bühnenrand aus, während Abranka ein Inspirationsgewitter bereithielt.

„Wir sind die Sorglospunks und wir haben euch heute ein Lied mitgebracht, das von einem der wichtigsten Dinge der Welt handelt: Freiheit!“ Easy riss die Faust in den Himmel und Jack startete mit einem gewaltigen Schlagzeugeinsatz. Chris ließ die Gitarre aufheulen und sobald die beiden die richtige Melodie aus ihren Soli gezaubert hatten, begann Easy zu singen.
 

„In den Straßen der Welt,

da kann ich sie

sehen und finden.

Woooooaaaaahaaaa finden!
 

Ich weiß,

sie ist hier.

Ich weiß,

sie ist überall.
 

Ohoooooo

Freiheit,

beste Freundin

Freiheit.

Freiheit!
 

Auf den Feldern,

auf den Flüssen

und den Meeren,

da sieht man sie tanzen.
 

Reich mir die Hand.

Ohoooooo.

Reich mir die Hand.

Ja, reich mir deine Hand!
 

Ohoooooo

Freiheit,

beste Freundin

Freiheit.

Freiheit!“
 

Nifen hatte genau gesehen, wie sich Siroyas Gesicht immer mehr verfinstert hatte. Es war genauso, wie sie es vorhergesehen hatten: Die graue Eminenz von Atlantis wollte, dass die Bevölkerung gar nicht erst auf die Idee kam, über gewisse Dinge nachzudenken. Und Freiheit war natürlich ein Thema so brisant wie ein Molotowcocktail.

Siroya hob die Hand und auf der Bühne fiel urplötzlich der Strom aus.

Die Musik klang nur noch dünn und schwach in die Runde und konnte das Stadion ohne die Verstärker und die Mikrofone natürlich nicht mehr füllen. Erste Unmutsbekundungen wurden laut. So hatte sich Siroya das wohl gedacht.

Aber sie hatte nicht mit den Sorglospunks gerechnet. Jeder der Drei zog einen Kristallleuchter hervor, die aus dem Stadtmuseum stammten und die sie sich dort mit gräflicher Erlaubnis ausgeliehen hatten. Schnell erstrahlten die drei Musiker in warmem Licht.

Erster Jubel brandete hoch.

Easy formte die Hände zu einem Trichter und brüllte mit aller Kraft: „Los, singt mit uns! Sagt es nach hinten weiter: Singt mit uns!“

A Capella stimmten die Sorglospunks mit voller Inbrunst den Refrain an.
 

„Ohoooooo

Freiheit,

beste Freundin

Freiheit.

Freiheit!“
 

Kaum hallte der Text sicher durch das Stadion, fügten sie noch die zweite Bridge hinzu, sodass schließlich fast 200.000 Leute aus voller Kehle
 

„Reich mir die Hand.

Ohoooooo.

Reich mir die Hand.

Ja, reich mir deine Hand!
 

Ohoooooo

Freiheit,

beste Freundin

Freiheit.

Freiheit!“
 

schmetterten.

Das war echte Gänsehautatmosphäre.

Als schließlich der Storm auf der Bühne wieder anging und tosender Jubel durch das Stadion tobte, der fast das Jubelpegelmeter sprengte, stand der Graf demonstrativ auf und applaudierte.

Siroya erhob sich ebenfalls, doch wenn Blicke töten könnten, wäre kein Sorglospunk lebendig von der Bühne heruntergekommen.

Phase 1 des Planes war damit ein voller Erfolg. Doch entscheidend war Phase 2. Von diesem Erfolg hing alles ab.
 

Kaum waren die Sorglospunks wieder von der Bühne und unten in den Katakomben verschwunden, da nutzte Nifen ihr Hell-o-Berry, um Himeka anzurufen. Sie brauchten noch Hilfe und zwar Hilfe von einem Technikcrack.

Danach hörten sie sich ihre potenzielle Konkurrenz an und erlebten, wie mehr als einmal der Strom ausfiel, wenn eine Band der Sprecherin des Grafen nicht gefiel. Wie sie es abgesprochen hatten, signalisierte der Graf immer wieder, dass er mit Siroyas Entscheidung nicht einverstanden war und unterstützte demonstrativ die Bands, die ihm tatsächlich gefielen. Somit sah es so aus, als wenn es Siroya kaum gelungen war, diese Ausscheidungsrunde nach ihren Wünschen zu beeinflussen.
 

Der nächste Tag brachte die Entscheidung. Wieder wurde im Stadion aufgetreten und wieder war es zum Bersten gefüllt. Dieses Mal würden nur sicherlich keine Kristallleuchter und ein großes Chorsingen dafür sorgen, dass alles ein gutes Ende fand. Das musste es aber auch nicht. Schließlich hatten die Sorglospunks und der Graf das – hoffentlich – richtige Ass im Ärmel.

Bei der zweiten Band, einer ziemlichen coolen Boygroup, die ihre Version der Hymne mit viel Herzschmerz vortrugen, gab es erstmals eine technische Störung. Dieses Mal beschränkte sich Siroya offenbar nicht allein auf Stromausfälle, sondern ließ auch allerlei andere Raffinessen aus dem Sack. Die Girlgroup danach rutschte auf dem glatten Boden ständig aus, der Rockband danach explodierte der Verstärke.

Nifen nickte in Richtung Tammin. Jetzt war er an der Reihe. Gleichzeitig machten sich die Sorglospunks fertig für ihren Auftritt.
 

„Lass das, Siroya. Du hast verkündet, dass das Volk entscheiden soll. Jetzt musst du damit leben“, sagte Tammin leise zu der Sprecherin und drückte gleichzeitig die Taste auf dem tief in der Tasche seines Kostüms vergrabenen Hell-o-Berry, die die Verbindung zu Himekas Computer weit entfernt von Atlantis herstellte.

„Wer bist du schon?“ Herablassend sah sie ihn an. „Du bist ein kleiner Junge von der Straße, der in einem albernen Kostüm steckt und nur meine Marionette ist. Nichts anderes. Das hier ist meine Stadt! Das hier ist meine Show, das wird meine Hymne! Was haben die da unten schon zu melden? Sie sind nur die Basis meines Lebens!“

„Du vergisst eins, Siroya…“ Der Graf stand langsam auf.

„Und was?“ Mit vor Zorn funkelnden Augen sprang sie auf.

„Dass das Volk am wichtigsten ist.“ Mit einer dramatischen Geste breitete er die Arme aus.

Und tausende Kilometer entfernt von Atlantis drückte Himeka auf die richtige Taste und auf einmal konnten alle Atlanter über die Lautsprecher hören, welche Worte Siroya und der Graf gerade gewechselt hatten.

„Du wagst es?“ Siroyas Stimme überschlug sich und dramatisch mit den Armen gestikulierend schrie sie: „Wachen! Ergreift ihn!“

Die Wächter blickten von Siroya zu dem Grafen und wieder zurück.

„Nein. Wachen, ergreift sie!“ Der Graf deutete auf seine Sprecherin. Seine Flügel und das wehende Haar verliehen ihm eine Größe und Autorität, die Siroya nicht besaß und niemals in den Augen der Atlanter besitzen würde. Auch wenn bis zu diesem Tag immer all ihre Befehle ohne irgendeinen Hauch von Zweifel befolgt hatten, hatte sie doch eines vergessen: Für das Volk vertrat sie die Interessen des Grafen. Er war die Autorität und nicht sie. Denn schließlich hatte die gesamte Dynastie der Sprecher den Grafen als den wahren Machthaber und den Herrscher über Atlantis aufgebaut.

Während die Palastwachen, die keifende und fluchende Siroya abführten, trat der Graf an die Brüstung der Loge und blickte auf sein Volk hinab, das mittlerweile ziemlich unruhig wurde.

„Atlanter! Was ihr gehört habt, ist die reine Wahrheit. Seit Jahrtausenden sind es die Sprecher, die die Macht an sich gerissen und euren ursprünglichen Herrscher zu einer reinen Marionetten degradiert haben. Die ausgeschiedenen Musiker wurden in die Kerker gesperrt und sollen nach Löschung ihrer Erinnerung gezwungen werden, bei uns zu bleiben. Ist das etwa ein Verhalten, das wir dulden können? Ich sage nein! Genauso wenig, wie es sein darf, dass Atlantis abgeschottet ist von aller Außenwelt und für uns alle zu einem Gefängnis geworden ist. Ist das ein Leben, das wir leben sollen? Ich sage nein! Wir werden auch einen Weg finden, unsere Stadt zu schützen, ohne dass wir wie in einem Aquarium leben!

Und ich sage, dass ihr keinen Herrscher braucht, der sich hinter einer komischen Verkleidung versteckt!“ Damit warf er die Flügel ab, zog die Perücke von seinem Kopf, entfernte die Elfenohren und spuckte die Vampirzähne aus. Tammin blickte in die Runde und fuhr fort: „Hier und jetzt soll ein Neuanfang beginnen. Und zwar damit, dass ihr alle entscheidet, welches Lied unsere neue Hymne werden wird!“

Schweigen herrschte, dann begannen die ersten Menschen zu applaudieren und nach und nach fielen alle ein, bis eine Woge des Applauses und Jubels durch ganz Atlantis wogte.

„Als nächstes möchte ich meine guten Freunde die Sorglospunks auf der Bühne begrüßen, die mir sehr dabei geholfen haben, dass ich euch hier und heute die Wahrheit sagen kann.“
 

Die Sorglospunks betraten grinsend die Bühne und winkten fröhlich in die Runde.

„Hallo Atlantis! Es ist toll hier zu sein und es ist toll, euch helfen zu können. Das da oben ist echt ein dufte Typ und euer aller Wohl liegt euch echt am Herzen! Denkt daran, wenn ihr entscheidet, wie es mit euch und eurem Atlantis weitergehen soll!“ Easy hatte wie immer das Wort ergriffen.

„Und jetzt spielen wir für euch unseren Song für Atlantis. Ob er eure Hymne werden wird – ihr entscheidet!“

Damit nickte Easy ihrer Zwillingsschwester und Chris zu, die mit einem ruhigen Beat begannen.

„Unter dem Meer

Tief unter dem Meer

Geschützt, verborgen, versunken

Voller Leben und voller Glück
 

Insel der Freiheit

Insel des Lebens

Insel der Weisheit

Insel des Lichts
 

Atlantis, Atlantis

Hier bist du, mein Atlantis

Atlantis, Atlantis
 

Du beschützt mich

und ich stehe ein für dich

Du bist mein Heim

und ich bin dein Teil
 

Insel der Hoffnung

Insel des Friedens

Insel der Zukunft

Insel der Inseln
 

Atlantis, Atlantis

Hier bist du, mein Atlantis

Atlantis, Atlantis“
 

Der Atlantis-Song der Sorglospunks wurde nicht die neue Nationalhymne. Das Volk liebte den Song zwar, entschied sich jedoch für eine eher traditionell Variante mit Streichern und viel Kampf und Triumph im Text. Dennoch würden die Atlanter die Sorglospunks wohl niemals vergessen. Immerhin hatten sie ihnen geholfen, einen Neuanfang zu machen. Siroya war zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden und musste nun den vielen alten Atlantern als helfende Hand zur Seite stehen. Somit hatte sie die Gelegenheit, viel über das Volk zu lernen.

Atlantis war zu einer Demokratie geworden und man hatte sich entschieden, den Präsidenten der Stadt weiterhin Graf zu nennen. Zu ihrem ersten Präsidenten war Tammin gewählt worden.

Die Sorglospunks kehrten glücklich und zufrieden nach Hause zurück. Natürlich nicht, ohne versprochen zu haben, sich regelmäßig bei Tammin zu melden.
 

„Boah, Home sweet home.“ Jack ließ sich genüsslich auf das Sofa fallen.

„Ist das schön, wieder daheim zu sein!“ Chris tat es ihr gleich und Easy stürzte sich mit einem freudigen Quietschen auf Kiwi, um das Bandmaskottchen kräftig durchzuknuddeln.

„Aber bitte keine bösen Musiküberraschungen mehr, Abranka, ja?“, fragte Jack mit großen Augen.

„Nee, nee…“ Abranka grinste. „Keine Sorge. Mir ist nicht danach.“

Kollektives Aufseufzen erfüllte das Wohnzimmer der Sorglospunks-WG und Nifen grinste breit. Da hatte Himeka ja Recht gehabt. Ein toller, erfolgreicher Ausflug mit einem grandiosen Auftritt und zwei neuen Songs, das DeLaSy war abgewendet und die Welt wieder in Ordnung.

Und während Easy Kiwi ausgiebig knuddelt, summte sie leise vor sich:
 

„Home sweet home,

ja, home sweet home.

Meine Katze ist meine Welt.

Ja, ich bin nur glücklich,

wenn meine Katze da ist

und ich eine Tasse Kaffee hab!“



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