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100% Sorglospunks!

von

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Sorglos-Country-Punks

„Ihr habt einen Auftritt!“ Nifen stürmte voller Begeisterung in das Wohnzimmer der bisher eher mäßig erfolgreichen Band mit dem eigenwilligen Namen Sorglospunks.

„Wo ist der Haken?“, erkundigte sich Jack und legte in aller Seelenruhe ihre Zeitschrift über die Heilwirkung von Plüschtieren beiseite. Sie hatte gehofft, dass man auf diesem Wege vielleicht die ganzen Alienplüschkiwiklone in der Wohnung vermarkten konnte.

„Genau. Eine Werwolfhöhle? Ein Weihnachtsmarkt? Was ist es diesmal?“, hakte auch Chris nach und ließ das Poliermittel für seine Gitarre sinken.

Noch nicht einmal Easy sprang vor lauter Begeisterung auf, sondern sah die Bandmanagerin skeptisch an. Nun, verdenken konnte man es der Band wirklich nicht. Nifens Durchforsten ihrer Spammails und ihrer Nicht-Spammails trug manchmal etwas seltsame Blüten... Aber andererseits hatte einer der auf diesem Wege organisierten Aufträge ja schon zu dem ersten – mittlerweile mit rund 4.000 Klicks sogar relativ berühmten – Youtube-Video geführt. Noch etwas dieser Art war definitiv erstrebenswert.

„Oh, nichts weiter. Es ist ein kleines Scheunenfest rund hundert Kilometer von hier“, lautete Nifens Antwort.

Nun, das war an sich nichts Schlimmes. Hundert Kilometer von hier? Scheunenfest? Klang nach irgendeinem kleinen Kaff mitten im Nirgendwo. Gut, Easys Begeisterung für Landluft konnte das ja nur entgegenkommen... Und die Band konnte einen weiteren Auftritt definitiv gebrauchen, war der letzte doch schon wieder eine Weile her. Mal ganz abgesehen davon, dass sich das finanzieller Hinsicht ganz gut machen würde. Ergo schubste ich ein paar Motivationswölkchen los, um die Band ein wenig auf die Beine zu bekommen. Allerdings nicht, ohne Nifen einen skeptischen Blick zuzuwerfen.

„Wer wird da unser Publikum sein? Sprechende Kürbisse?“, fragte Jack gerade giftig.

„Oh, nein, richtige Menschen.“ Nifen lächelte fröhlich. „Ihr seid allerdings nicht der Headliner, sondern die Vorband...“

„Und für wen?“, kam von Chris sofort die neugierige Gegenfrage. Vorbands waren bekannterweise auch schon unglaublich berühmt geworden.

„Mhm und Mhm“, nuschelte Nifen.

„Was?“

„Chuck & Chuck.“

„Sagt mir nichts.“ Chris zuckte mit den Schultern.

„Ist auch nicht weiter wichtig. Hauptsache, euch hören Leute. Also: Wollt ihr?“, fuhr Nifen schnell fort.

„Okay.“ Jack zuckte mit den Schultern und sah, wie auch die anderen beiden Bandmitglieder nickten.

„Fein. Dann seid in fünf Minuten abfahrbereit. Das ist nämlich der Haken: Ihr spielt heute Abend.“
 

Eine hektischen Aufbruch, bei dem erst das Schlagzeug vergessen wurde, dann die Triangel, dann die überlebensnotwendige Gitarrenpolitur und schlussendlich das Bandmaskottchen, sowie eine hektische Autofahrt später, bei der wiederum rund jede Autobahnraststätte und später dann jeder zweite Supermarkt angesteuert werden mussten, weil irgendjemand etwas Überlebensnotwendiges brauchte, erreichte der – geliehene – Bandbulli den Bauernhof, auf dem das Scheunenfest stattfinden sollte.

„DAS sind Chuck & Chuck?“ Jack starrte mit offenem Mund auf das riesige Plakat, das die Seitenwand der Scheune schmückte.

„Oh“, entfuhr es Chris, während Easy einen Lachanfall bekam.

„Das machen wir auch mal, ja? Ja, ja, ja, ja?“

„Vergiss es!“ Jack stemmte empört die Hände in die Hüften. „Ich renne mit Sicherheit nicht als überdimensionales Küken durch die Gegend!“

Denn exakt das war das Bühnenoutfit von Chuck & Chuck: mannsgroße, knallgelbe und äußerst flauschige Kükenkostüme. Und da sie nur eine Zweimannband waren, spielten sie nahezu alle Instrumente selber, was akut an die jungen Jahre von Bob Dylan erinnerte.

„Ich find’s cool!“ Easy lachte über das ganze Gesicht, während ihre Zwillingsschwester noch immer fassungslos den Kopf schüttelte und Chris zu überlegen begann, ob der Auftritt als Vorband für so etwas nicht doch eher negative Auswirkungen auf ihre künftige Karriere haben würde. Vermutlich schon.

Wer trat schon als Vorband für Küken auf?

„Äh... Habt ihr ein Problem mit einem Countryoutfit?“, ließ sich Nifen in dem Moment vernehmen.

„Country???“ Jack wirbelte herum. „Wir sind Punks!“
 

Eine große Packung nervenberuhigender Schokolade sowie eine Megapackung Kaffee zwecks Aufmunterung später war die Band umgezogen – im Countryoutfit. Chris rückte missmutig seinen Cowboyhut zurecht, während Jack an ihren Stiefeln zerrte.

„Die drücken“, moserte sie herum, während sich Easy vor dem Spiegel in ihrer kleinen Umkleide drehte.

„Der Rock ist toll!“, jubelte sie und bewunderte den Fransenwirbel aus Türkis und Silber. Immerhin war wenigstens einer der Sorglospunks glücklich und zufrieden.

„Okay... Jack, kannst du zwischendurch ein bisschen Mundharmonika spielen? Das macht den Sound etwas mehr countryig“, schlug Nifen vor, was dafür sorgte, dass Jacks Laune noch mehr in den Keller sackte.

„Wir sind Punks!“

„Na und? Punk heißt auch, rebellisch zu sein – und wie kann man am besten gegen irgendwelche Schubladen rebellieren, indem man sich nicht anpasst und nicht das tut, was von einem erwartet wird?“, entgegnete Nifen.

„Hä?“, kam es daraufhin von Chris, der damit zum Ausdruck brachte, was auch die beiden weiblichen Bandmitglieder dachten.

„Also“, seufzte Nifen und zupfte an ihrem Jackett. „Es ist doch an sich ganz einfach: Ihr seid Punks. Sorglospunks, aber immerhin Punks. Die Leute dort drüben in der Scheune erwarten Punks – und das ist vermutlich nicht gerade die Musikrichtung, die die meisten von ihnen bevorzugen. Ihr könnt jetzt ihre Erwartungen ganz simpel über Bord werfen, indem ihr ihnen auch eine andere Seite von euch präsentiert, oder aber ihr könnt mit exakt diesen Erwartungen konform gehen und jegliche Rebellion fallen lassen.“

Meine Augenbraue wanderte nach oben. Also, das nannte man mal geniale Manipulation. Geht raus und seid Punks, dann seid ihre sture Kommerzpunks – oder geht raus und macht ein bisschen auf Country, dann seid ihr rebellische Punks, die ihre Punkmusik für ein Publikum aufgeben. Ähm, ja.

„Vielleicht. Wenn wir Lust drauf haben“, lenkte Jack ein und in ihren Augen glitzerte es wissend. „Wir verkaufen uns schließlich nicht. Wir haben noch nicht einmal dem Teufel unsere Seelen verkauft und dessen Angebot war besser. Also machen wir das auch nicht bei irgendwelchen dummen Countryfans.“

„Genau!“ Easy wusste zwar nicht genau, worum es ging, aber Jacks Worte klangen gut.

Nifen seufzte. „War ja nur ein Vorschlag, Mädels. Haut sie von den Socken, ja?“ Damit war also eine mögliche Anpassung der Band an irgendwelche Regeln, die jenseits ihrer eigenen lagen eindeutig von der gedanklichen Testliste zu streichen. Wieder ein Punkt, der bei der Auswahl einer möglichen Plattenfirma zu berücksichtigen war. Die drei würden sich wohl kaum jemals in irgendetwas reinreden lassen – was die Auswahl an möglichen Interessenten vermutlich drastisch reduzieren würde. Hey, aber punk sorglos! Irgendwie wurde das schon.
 

Jack entschied sich schlussendlich doch, bei den ‚Melancholischen Tomaten’ anstelle ihres Schlagzeugsolos mit der Mundharmonika loszulegen und riss damit die Zuschauer – die übrigens alle das klassische Cowboy-Countryoutfits mit entsprechenden Stiefeln, Hüten und Hemden trugen – vollends mit. Easy ließ sich sogar darauf ein, den Refrain gefühlte zweihundertmal zu dem Mundharmonikasound zu bringen – und das Publikum klatschte begeistert mit und sang schließlich sogar aus vollem Hals.

Genauso großartig kam ‚Looking for Kaffee’ an, bei dem Chris schließlich den Refrain derart lautstark mitsang, dass Easy ihm schließlich sogar das Mikro überließ und sich selbst die Mundharmonika krallte. Zwar geriet die Melodie dadurch etwas daneben, aber das machte nichts, war die Stimmung doch schließlich einfach perfekt.

Entsprechend war die Band nach ihrem knapp 45minüten Auftritt vollkommen außer Atem und fiel in dem Backstagebereich vollkommen kaputt auf die einsame durchgesessene Couch.

„Ihr ward großartig!“, kam da auch schon Nifen und schwenkte ihre Videokamera. „Diese Version von ‚Looking for Kaffee’ wird euer nächster Clip bei Youtube! Außerdem habt ihr jetzt euer erstes richtiges Livematerial!“

„Cool.“ Easy grinste schwach, war sie doch gerade viel zu erledigt, um jubelnd durch die Gegend zu springen, wie sie es sonst getan hätte.

Die Sorglospunks relaxten noch eine Weile, bis sie sich in die Scheune schlichen und dort an einem der Tische Platz fanden. Erstens gab es hier leckeres Essen und Getränke und zweitens konnte man die potenzielle spätere Konkurrenz um die Chartränge beobachten.

Wie das Plakat bereits angekündigt hatte, spielten Chuck & Chuck wirklich in Kükenkostümen – mit coolen Sonnenbrillen – und einer Bob-Dylan-Instrumentkombination. Trommel auf dem Rücken, Mundharmonika vor der Nase, der eine der beiden spielte Gitarre, der andere eine Fiedel nach bester Westernmanier. Und sie rockten wirklich, zwar countrymäßig, aber sie rockten.

Über Hühner, über Eier, über Kühe, über Ziegen, über Bauernhäuser, über Sonnenuntergänge, über die Wüste, über Westernhelden... Nun, über das, was man von solch einer Band eben erwarten konnte.

„Und wir möchten uns an diesem heutigen Abend bei unseren großartigen Mitstreitern bedanken!“, schallte es nach einer Weile aus dem Mikro. Chuck eins – der mit der Fiedel – hatte es sich geschnappt. „Als kleines Dankeschön möchten wir diese großartige Band zu uns bitten – und hoffen, dass sie mit uns gemeinsam ein kleines Stück improvisieren. Bitte, feuert sie an!“

Und das tat das Publikum. Drei verwirrte Sorglospunks sahen sich erst gegenseitig an, dann Nifen, dann... mich.

Easy sprang schließlich auf und jubelte: „Klar! Wir sind dabei!“

Jack war wenig später auf den Beinen und dann auch Chris, der seufzend seine Pommes Pommes sein ließ. Musik ging schließlich vor.

Keine zwei Minuten später stand Easy neben Chuck eins auf der Bühne und langte nach dem Mikro.

„Ich kenne euer Youtube-Video, also weiß ich, was du kannst“, raunte dieser ganz leise. „Mach einfach genau das: improvisieren. Wir zwei kommen schon mit. Und bei der zweiten Runde vom Refrain bin ich dabei.“ Sprach’s und überließ Easy das Mikro. – Und mir damit die Sache mit der Inspiration. Meine Blitze sausten nur so los und in diesem Fall bezog ich die zwei Megaküken auch mit ein, schließlich sollten diese ja hier kein Desaster auslösen.
 

„Hier sind wir jetzt

In eurer Scheune

Sorglospunks

Hand in Hand

mit Chuck & Chuck!“, stellte Easy als erstes den Refrain vor, damit Chuck eins und Chuck zwei sie auch ganz sicher nicht im Stich ließen. Schließlich bestand so eine Gemeinschaftsmusikaktion ja auch aus mehreren Stimmen!
 

„Mitten durch das wilde

Schwabenland

führte uns unser Weg

Zu einem kleinen,

kleinen Hof!
 

Mitten im großen

Nirgendwo

fanden wir, fanden wir

euren kleinen,

kleinen Hof!
 

Hier sind wir jetzt

In eurer Scheune

Sorglospunks

Hand in Hand

mit Chuck & Chuck!”
 

Easy wirbelte um ihre eigene Achse und ließ ihren Fransenrock fröhlich schwingen. Chuck eins und Chuck zwei hopsten bereits wild über die Bühne und auch Chris ließ sich langsam davon anstecken. Jack hatte dem Schlagzeug eh schon eine Ruhepause gegönnt und gab auf der Mundharmonika alles.
 

„Yeah, wir sind hier!

Haben euch gefunden,

mitten im großen,

großen Nirgendwo!
 

Und in dieser Scheune,

rocken wir los,

punken wir los

countryen wir los!
 

Hier sind wir jetzt

In eurer Scheune

Sorglospunks

Hand in Hand

mit Chuck & Chuck!”
 

Der Abend endete mit einer riesigen Party. Irgendwann wurde Musik aus der Dose aufgelegt und Easy lieferte sich einen lustigen Countrytanz mit Chuck eins, der unter seinem Kükenkostüm gar nicht so übel aussah. Chuck zwei nutzte die Gelegenheit, mit Chris um die Wette zu trinken, und Jack diskutierte mit Nifen heftig über die Gradwanderung zwischen Mainstream, Kommerzpunk und künstlerischer Freiheit. Selbst das Bandmaskottchen Kiwi, das sich direkt nach der Ankunft in die Wiesen verdrückt hatte, ließ sich wieder blicken – mit einem ganz kugelrunden Bauch und großen Augen, die sagten, dass sie in den nächsten Wochen freiwillig keine Ratten mehr sehen wollte.



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