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Ai No Kiseki

Wunder der Liebe
von

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Aussprache

Obwohl ihre Tante unbedingt wissen wollte, was mit Michiru los gewesen war – offenbar hatte Mrs. Kaiou bei ihr angerufen und ihr erzählt, was für eine hilfsbereite Nichte sie doch habe – erzählte Haruka nichts. Sie hatte Michiru versprechen müssen, zu schweigen, und wenn Haruka etwas versprach, dann hielt sie es auch. Sie mochte ein schwieriger, dickköpfiger und launischer Mensch sein, aber immer aufrichtig und fair.

Am Tag nachdem Michiru Haruka ihr Geheimnis gestanden hatte, kam sie sie am Nachmittag besuchen. Haruka, die sich ohnehin gelangweilt hatte, freute sich darüber. Sie erklärte Michiru ein Computerspiel, das Lemmings hieß.

Es war recht warm draußen, allmählich wurde es Frühling. Michiru trug einen engen, kurzen roten Rock, ein weißes T-Shirt mit einer leuchtend gelben Sonne als Aufdruck und eine rote kurze Jacke. Haruka selbst hatte ein weißes T-Shirt und Jeans an.

„Waren deine Eltern sehr wütend auf dich?“ fragte Haruka, während sie sich auf die Kante ihres Schreibtisches setzte und zusah, wie Michiru die kleinen Lemminge über den Bildschirm laufen ließ.

Michiru lächelte und schüttelte den Kopf. „Nein, zum Glück nicht“, sagte sie. „Auch über Nerissa haben wir nicht mehr gesprochen. Ich glaube, sie waren einfach froh, daß ich wieder heimgekommen bin. Und im Nachhinein schäme ich mich auch dafür, daß ich einfach weggerannt bin. Ich hab mich ziemlich albern benommen.“ Sie grinste. „Und ich hoffe, daß sie nie rauskriegen, daß ich dich besucht habe, anstatt in meinen Kunstunterricht zu gehen. Aber ich mußte einfach kommen. Ich wollte mich noch mal bedanken wegen gestern abend.“

„Kein Problem“, sagte Haruka, und dann: „He! Paß auf, was du machst! Deine Lemminge fallen ja alle ins Wasser! Du kannst das nicht, laß mich mal!“ Sie nahm Michiru ungeduldig den Joystick aus der Hand und steuerte die kleinen Wichte sicher über eine wacklige Hängebrücke ans andere Ufer. „Siehst du, so muß man das machen.“

„Danke für den Tip, aber so schlau bin ich auch“, sagte Michiru und nahm den Joystick wieder an sich. „Ich war nur abgelenkt, weil ich mich mit dir unterhalten habe. ... Ah, was ist das!? Wie soll ich über diese Mauer kommen!?“

„Sprengen, Michiru, sprengen“, erklärte Haruka geduldig. „Schau, du drückst hier auf diese Taste, dann wählst du den Sprengstoff aus, klickst auf einen Lemming und läßt ihn die Mauer sprengen, damit du vorbei kannst.“

Mißmutig tat Michiru wie ihr geheißen. „Was soll das!“ schimpfte sie. „Wieso ist jetzt Game Over?“

„Du Dummchen!“ grinste Haruka. „Du hast nicht auf das Symbol für Sprengen, sondern für Selbstzerstörung gedrückt!“

Fassungslos sah Michiru zu, wie die Lemminge einer nach dem anderen explodierten. Das Spiel war beendet. „Ich weiß schon, warum ich Computerspiele nicht mag“, murmelte sie.

Haruka stellte ihr das Spiel wieder ein. „Stimmt das eigentlich, was ich gestern vermutet habe?“ fragte sie. „Ich meine, daß Nerissa die ganze Zeit eifersüchtig auf mich war?“

Michiru lächelte ein wenig. „Ja, das kann man so sagen. Ich hab ihr gesagt, daß das albern ist und daß du nicht lesbisch bist, aber sie hat einen ziemlichen Dickschädel. Aber... zu mir ist sie immer sehr lieb und zärtlich.“ Sie grinste.

„Ich kann mir zwar nicht vorstellen, daß sie zur Abwechslung auch mal nett ist, aber wenn du es sagst, glaube ich dir das“, sagte Haruka.

„Ich geb ja zu, daß sie schwierig ist, aber ich mag sie so wie sie ist“, meinte Michiru. Sie stockte, dachte eine Weile nach und sagte dann: „Nerissa ist ein Jahr älter als ich. Wir haben uns kennengelernt, als sie von der Schirakawa High an die Mugen Gakuen Schule gewechselt hat und wir zusammen den jüngeren Schülern aus der Mugen Gakuen Elementary School Schwimmunterricht gegeben haben. Wir hatten viel Spaß zusammen und haben uns gleich auf Anhieb echt prima verstanden. Natürlich hatte ich keine Ahnung, daß sich daraus später „mehr“ entwickeln würde. Aber Nerissa, sie hat es gespürt.“

„Weil sie in dich verliebt war?“

„Ja, auch. Sie sagt, daß sie mit der Zeit ein Gespür dafür bekommen hat, wer lesbisch ist.“

„Und sie hatte recht“, bemerkte Haruka.

Michiru lächelte. „Na ja, so kann man das nicht sagen. Ich war fünfzehn damals, und wenn ich behaupten wollte, ich hätte gewußt, daß ich auf Frauen stehe, wäre das gelogen. Ich fand Frauen zwar schon immer irgendwie attraktiver und anziehender als Männer, aber trotzdem wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, daß ich lesbisch sein könnte. Aber dann...“

„... dann hast du dich in Nerissa verliebt, richtig?“ fragte Haruka belustigt.

„Genau“, sagte Michiru. „Ich fühlte mich zu ihr hingezogen auf eine ganz seltsame Art und Weise. Bis ich gemerkt habe, daß ich sie liebe, hat es eine Weile gedauert. Sie hat mir zuerst gesagt, was sie empfindet. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Es ist, als wäre es gestern gewesen. Wir waren auf dem Nachhauseweg von der Schule, als es angefangen hat zu regnen. Nerissa kannte einen Pavillon im Kayuzu-Park, wo wir uns unterstellen konnten. Das war vielleicht romantisch! Der weiße Pavillon war umrankt von Rosen, und während der Regen auf das Dach prasselte, saßen wir nebeneinander auf der weißen Bank. Und plötzlich sah Nerissa mich an und sagte zu mir: Michie, ich muß dir was sagen. Ich hab mich in dich verliebt. Zuerst wußte ich nicht, was ich denken sollte. Ich war total durcheinander und hab sie nur sprachlos angesehen. Da hat sie sich zu mir gebeugt und mir einen Kuß gegeben. Und in diesem Augenblick habe ich gemerkt, daß ich sie auch liebe.“ Sie schwieg, in Erinnerungen versunken, während die Lemminge wieder mal alle ins Wasser purzelten und ertranken.

Haruka lachte. „Eigentlich mach ich mir nichts aus romantischen Geschichten, aber die gefällt mir“, meinte sie.

„Dann findest du also nichts dabei, daß ein Mädchen ein Mädchen liebt?“ fragte Michiru zögernd, fast ängstlich.

Haruka sah sie an. „Was ist dein Problem?“ fragte sie. „Na ja, zugegeben, zuerst war mir der Gedanke etwas ungewohnt und fremd, aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.“

„Dann findest du es also nicht anormal?“ fragte Michiru weiter. „Ich kenne einige, die so denken.“

„Anormal...“, überlegte Haruka, „na schön, ich würd vielleicht nicht gerade sagen, daß es was normales, alltägliches ist, aber anormal, nein. Wenn, dann bin eher ich anormal. Sagt jedenfalls Tante Himeko.“ Sie grinste.

Michiru schüttelte heftig den Kopf. „Nein, du bist ganz sicher nicht anormal! Ich mag dich, wie du bist. Wenn du anders wärst, dann wärst du nicht Tenô Haruka.“

„Das stimmt allerdings“, mußte Haruka zugeben, und sie mußten beide lachen.

Es klopfte an die Tür und Sakura, das Tagesmädchen, kam herein. „Verzeihung, Miss Tenô“, sagte sie, „aber Ihre Tante hat mich angewiesen, hier sauberzumachen.“

Haruka schaltete den Computer ab. „Ist gut, Sakura, Sie können anfangen“, meinte sie und folgte Michiru auf den Flur hinaus. „Jetzt wird man sogar aus seinem eigenen Zimmer geschmissen!“

„Wollen wir nicht in die Stadt fahren? Mit dem Motorrad?“ bettelte Michiru.

„Mein Motorrad scheint es dir ja angetan zu haben! Also gut, gehen wir. Ich hab ohnehin keine Lust, noch länger hier herumzustehen, sonst kommt am Ende noch Tante Himeko und hält mir wegen irgendwas eine Strafpredigt.“

„Ich kenne eine gemütliche Teestube in der Stadt, laß uns da eine Tasse Tee trinken und ein Stück Kuchen essen. Die haben die besten Torten, die du dir vorstellen kannst!“

Haruka fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Torten“, murmelte sie. „Ah, ich sehe, du hast mich durchschaut. Ich habe eine Schwäche für sowas!“

„Na, dann sind wir ja schon zwei! Los, worauf warten wir, laß uns gehen!“
 

Die Teestube lag in der Fußgängerzone, so daß sie das Motorrad auf einem Parkplatz abstellen und zu Fuß gehen mußten. Als sie sich an einen Tisch gesetzt und bestellt hatten, lehnte sich Michiru aufatmend zurück.

„Puh“, meinte sie, „jetzt kann ich mir mal wieder so richtig den Bauch vollschlagen“, seufzte sie. „Wetten, daß ich hinterher mindestens drei Kilo zugenommen habe?“

Haruka warf einen Blick auf die dicken Tortenstücke mit der Schlagsahne, die die Bedienung eben zu ihrem Tisch brachte. „Ich glaube, wenn ich das gegessen habe, kannst du mich nach Hause rollen“, stöhnte sie. „Diese Sahnetorten sahen alle so lecker aus, da hab ich mir von jeder gleich ein Stück bestellt. Ich würde sagen, das war ein Fehler.“

„Ich hätte dich vorwarnen sollen“, meinte Michiru und schmunzelte. „Aber ich habe auch zu viel bestellt, als ich das erste Mal hier war. Ich glaube, das geht jedem so.“

Sie warteten, bis die Bedienung ihnen den Tee eingeschenkt hatte und fingen dann an zu essen.

„Lecker“, murmelte Michiru mit vollem Mund.

„Köstlich“, stimmte Haruka zu und schob sich ein großes Stück Sahnetorte in den Mund.

Sie aßen schweigend, ganz versunken in den Anblick all der leckeren Kuchen- und Tortenstücke auf der Servierplatte. Daher ließ es sich nicht vermeiden, daß sie ein Gespräch mitbekamen, das am Nachbartisch geführt wurde, an dem zwei ungefähr vierzehn oder fünfzehn Jahre alte Mädchen saßen.

„Hä?“ schrie eines der Mädchen. „Ob ich ihn geküßt habe?“

Ihre Freundin sprang entsetzt auf. „Serena! Mußt du denn so schreien! Sei doch leise!“ zischte sie. „Also, was ist? Hast du Darrien nun geküßt oder nicht?“

„Äh... wie soll ich sagen... äh... ähem...“

Die Freundin lachte. „Schon klar. Du bist viel zu verlegen. Und das bedeutet, du hast ihn nicht geküßt! Hab ich recht?“

„Na ja, also, äh...“

„Natürlich nicht. Das wäre auch zu früh. Du bist schließlich noch viel zu jung. Außerdem hast du Prüfungen und mußt bestimmt viel lernen.“

Serena grinste. „Ja, ich hab Prüfungen... und muß viel lernen... was ist mit dir, Lita? Du bist doch schon älter als ich. Hast du denn schon jemanden geküßt?“

Lita zögerte. „Versprichst du mir, daß du es niemandem erzählst?“

„Hm.“

„Also ganz ehrlich?“

„Hm.“

„Es gibt da einen Jungen, in den ich ganz fürchterlich verliebt bin“, flüsterte das Mädchen namens Lita. „Aber geküßt hab ich ihn bis jetzt noch nicht.“

Serena starrte sie an. „Was? Warum nicht? Wenn du ihn so fürchterlich gern hast, warum küßt du ihn dann nicht?“

„Ganz einfach“, antwortete Lita mit leuchtenden Augen. „Weil es ein schönes romantisches Erlebnis sein soll. Man will seinen Geliebten küssen! Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort! Und dann will man ihn sein ganzes Leben lang in Erinnerung behalten. Das ist ganz normal. Jedes Mädchen denkt so.“

Als Lita die letzten Sätze gesagt hatte, verfinsterte sich Michirus Gesicht, und sie ließ ihre Gabel sinken und starrte auf den halb aufgegessenen Käsekuchen auf ihrem Teller.

Haruka beobachtete sie aufmerksam. Sie hatte sehr wohl gemerkt, was mit ihr los war. Um die Situation zu entspannen, beugte sie sich zu den Mädchen hinüber und meinte scherzend: „Hört sich etwas kindisch an, vom Küssen zu träumen!“

Die beiden Mädchen sprangen auf und wurden rot. Sie runzelten die Stirn und blickten sie feindselig an.

„Ich finde es unglaublich romantisch!“ schaltete sich jetzt Michiru ein und warf Haruka einen dankbaren Blick zu.

Lita lächelte ihr zu. „Jaaa“, flüsterte sie andächtig, „das denke ich auch!“

„Habt ihr schon mal... vom allerersten Kuß in der Geschichte gehört?“ fragte Michiru amüsiert. „Die ersten Menschen auf der Welt, die sich geküßt haben, waren Adam und Eva.“

Haruka grinste. „Es gibt verschiedene Arten von Küssen. Ein Kuß auf die Hand bedeutet Respekt, ein Kuß auf die Wange Freundschaft. Ein Kuß auf den Mund bedeutet Liebe“, erklärte sie.

Serena starrte sie an. „Oh! Sie wissen aber eine Menge!“

„In Italien hat es einmal ein Gesetz gegeben, das besagte, daß ein Paar, das sich geküßt hatte, heiraten mußte“, fügte Michiru hinzu. „Das war im 15. Jahrhundert.“

„Ziemlich streng“, bemerkte Lita stirnrunzelnd.

Michiru seufzte. „Seinen ersten Kuß... muß man in seinem Herzen bewahren...“ Sie sprach nicht zu Ende, sondern schwieg. Und Haruka ahnte, daß sie jetzt an Nerissa dachte.

Sie wandten sich wieder ihren Kuchen zu. Während Michiru verträumt vor sich hin starrte, hörte Haruka, wie Serena bewundernd und fast sogar ehrfürchtig zu ihrer Freundin bemerkte: „Sie sind schon richtig erwachsen, nicht wahr?“

Erwachsen – vielleicht. Aber im Grunde war es Haruka ganz egal, ob sie erwachsen war oder nicht. Ich bin, wie ich bin, sagte sie sich wieder einmal. Und das ist gut so.

Als Haruka und Michiru die Teestube wenig später verließen, mußte Haruka lachen. „Die beiden waren richtig süß, was?“ grinste sie.

„Ja“, antwortete Michiru einsilbig.

„Weißt du, ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie beneide ich diese unschuldige Jugend!“

„Hm.“

Haruka seufzte und blieb stehen. „Michiru! Du machst dir Gedanken darüber, was Lita gesagt hat, stimmt’s? Daß jedes Mädchen so denkt?“

„Ja“, nickte Michiru. „Ich weiß, es ist albern, aber ich...“

„Es stimmt nicht, was das Mädchen gesagt hat!“ sagte Haruka heftig. „Ich habe nie so gedacht. Küssen... na, ich weiß nicht. Liebe hat nicht immer was mit Gefühlen zu tun.“

Michiru starrte sie an. „Du meinst... Sex?“

„Hm, ja. Du kannst Sex haben, ohne daß du verliebt bist. Ich kenne das.“

„Dann hast du...?“

„Ja. Ich hab dir ja erzählt, daß ich manchmal nachts aus dem Internat abgehauen bin. Da waren diese Bars, und da waren diese Typen. Ich habe mich amüsiert und Alkohol getrunken und bin mir wer weiß wie erwachsen vorgekommen. Manchmal bin ich dann mit einem von ihnen ins Bett gegangen. Für unheimlich cool hab ich mich gehalten. Ich hab auf meine Mitschülerinnen herabgesehen, weil sie noch keine Erfahrungen hatten und immer von der großen Liebe gesprochen haben. Bin mir wahnsinnig toll vorgekommen, wenn mich die Männer angemacht und mir nen Drink spendiert oder mir ne Zigarette angeboten haben. Aber das ist keine Liebe.“

Michiru sah schockiert aus. „Das hätte ich niemals gekonnt!“ rief sie heftig aus.

„Ich weiß. Du bist anders als ich. Und ehrlich gesagt würd ich es auch nicht wieder tun, selbst wenn ich Gelegenheit dazu hätte. Aber damals...“ Sie brach ab.

Michiru sah sie an. Dann hakte sie sich bei ihr ein. „Manchmal“, meinte sie versonnen, „ist es ganz schön kompliziert mit der Liebe und den Gefühlen, was?“ meinte sie lachend.

Haruka grinste. „Ja“, gab sie zu, „da hast du recht!“



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