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Ai No Kiseki

Wunder der Liebe
von

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Michirus Geheimnis

„Haruka, hörst du mir überhaupt zu?“ Mrs. Tenô sah sie ärgerlich an. „Dr. Tomoe hat mir berichtet, daß sich dein Verhalten in der Schule kein bißchen gebessert hat! Das muß sich ändern, hast du verstanden? Dr. Tomoe sagte außerdem...“

„Der Alte kann aber auch nicht dichthalten“, murmelte Haruka gereizt vor sich hin, ohne von ihrem Manga aufzusehen, in dem sie gerade las.

Mrs. Tenô schnappte entrüstet nach Luft. „Haruka!“ donnerte sie. „Was ist das für eine Ausdrucksweise! Du hast deinen Direktor gefälligst mit etwas mehr Respekt zu behandeln! Ist das klar?“

Entnervt klappte Haruka den Manga zu und warf ihn auf den Wohnzimmertisch. Sie ging zur Glastür und öffnete sie.

„Haruka, was soll das schon wieder?“ schimpfte die Tante ärgerlich. „Und sieh mich an, wenn ich mit dir spreche! Hat man dir im Internat keine Manieren beigebracht! Bleib sofort stehen! Wo willst du hin?“

„Raus“, fauchte Haruka kurzangebunden. „Hier kotzt mich alles an!“

„Haruka!“ tobte Himeko Tenô, aber Haruka knallte die Glastür hinter sich zu und verschwand aus dem Sichtfeld ihrer Tante.

Draußen blieb sie einen Moment lang stehen. Es dunkelte bereits. Und es war kühl. Haruka fröstelte leicht. Sie trug nur eine blaugrüne Hose, ein dunkelblaues Hemd und ein blaugrünes Sakko.

Ihr Blick fiel auf das große Nachbarhaus, wo die Kaious lebten. Es brannte Licht im Wohnzimmer. Kurz entschlossen ging Haruka in den Nachbargarten hinüber. Vielleicht konnte sie ja bei Michiru bleiben, bis sich ihre Tante wieder einigermaßen beruhigt hatte.

Mrs. Tenô betonte stets, daß sie es für sehr gut hielt, daß Haruka und Michiru sich angefreundet hatten. Sie pflegte zu sagen, daß Michiru einen guten Einfluß auf Haruka ausübte. Damit ging sie Haruka nicht nur tierisch auf die Nerven, sie hatte auch unrecht. Michiru war recht angetan von Haruka Freiheitsdrang und ihrer burschikosen Art, und sie hätte niemals etwas dagegen gesagt. Sie liebte es, wenn Haruka sie auf dem Motorrad mitnahm, und sie genoß es, wenn Haruka sie nach der Schule mit dem Cabriolet nach Hause fuhr. Natürlich, sehr oft war das nicht gerade. Dafür sorgte schon Nerissa mit ihrer besitzergreifenden Art. Sie sorgte überhaupt dafür, daß Haruka und Michiru sich nicht allzu oft sahen. Manchmal, wenn Michiru nicht gerade Geigenunterricht oder ihre Zeichenstunde oder ihr Schwimmtraining hatte, kam sie kurz vorbei, jedoch nur selten und nie für länger als eine halbe Stunde. Erstens war sie fast täglich mit Nerissa zusammen, und dann schien sie Harukas Freiheitsdrang und ihren Wunsch, alleine zu sein, zu respektieren. Ansonsten hatte Haruka kaum Kontakt mit jemandem. Die Mädchen aus der Schule mieden sie, und wenn es ihre Nachmittage in Kameda´s Garage nicht gegeben hätte, wäre sie wohl völlig vereinsamt.

Der Wintergarten der Kaious war offen; Haruka brauchte nur hineinzugehen und an die Schiebetür des Wohnzimmers klopfen. Eine Frau in Mrs. Tenôs Alter saß auf einem Sessel mit hoher Rückenlehne und stand auf, als sie das Klopfen hörte. Haruka sah sofort, daß es Michirus Mutter war.

Mrs. Kaiou war eine kleine und zierliche Frau mit großen meerblauen Augen und langen türkisfarbenen Locken. Sie trug eine einfache schwarze Stoffhose und einen weißen Pullover.

„Ja, bitte?“ fragte sie, nachdem sie die Schiebetür geöffnet hatte. Fragend sah sie Haruka an.

Haruka räusperte sich. „Entschuldigen Sie bitte, ich bin Tenô Haruka, die Nichte von Mrs. Tenô. Ich wollte zu Michiru.“

„Michiru ist nicht Zuhause“, sagte Mrs. Kaiou. Sie seufzte und bat Haruka herein. „Bitte, nehmen Sie doch Platz. Kann ich Ihnen etwas anbieten?“

Haruka setzte sich auf die gepolsterte Bank vor dem grünen Kachelofen. „Nein, danke“, sagte sie. „Wenn Michiru nicht da ist, gehe ich besser wieder. Ich wollte Sie nicht stören.“

„Ach, das macht nichts.“ Michirus Mutter setzte sich neben sie. „Wissen Sie, Michiru spricht viel von Ihnen, und ich freue mich, daß sie sich angefreundet haben. Michirus Freundschaft mit dieser Goku Nerissa ist mir schon lange ein Dorn im Auge. Miss Goku übt einen schlechten Einfluß auf meine Tochter aus.“

Haruka stöhnte innerlich. Sie war nicht hierhergekommen, um sich jetzt auch von Mrs. Kaiou die guten Seiten ihrer Freundschaft mit Kaiou Michiru aufzählen zu lassen.

„Aber ich mache mir etwas Sorgen“, fuhr Mrs. Kaiou bedrückt fort. „Sie müssen wissen, daß Michiru eine sehr gute Schülerin ist, und daß ihr kein Fach Probleme bereitet. Aber in letzter Zeit hat sie überhaupt nicht gelernt, sondern all ihre freie Zeit mit Miss Goku verbracht. Daher sind ihre schulischen Leistungen stark zurückgegangen. Dr. Tomoe hat angerufen und uns mitgeteilt, daß unsere Tochter neuerdings recht schlechte Leistungen im Unterricht erbringt und ihre Zensuren in einigen Fächern in Richtung ausreichend und befriedigend tendieren.“

„Der Alte kann’s halt nicht lassen“, murmelte Haruka beim Gedanken an Dr. Tomoe.

Überrascht sah Michirus Mutter sie an. „Was haben Sie gesagt?“

„Ach, nichts wichtiges.“

„Na ja, als Michiru heute von ihrem Schwimmtraining nach Hause kam, hatten sie und mein Mann deswegen einen schlimmen Streit. Er hat ihr verboten, Miss Goku weiterhin zu treffen, sollten ihre Leistungen in der Schule nicht besser werden. Die beiden hatten einen schrecklichen Streit. Dabei ist ihrem Vater die Hand ausgerutscht. Und dann... dann ist Michiru weggelaufen und noch nicht wieder zurückgekommen.“

Haruka war einen Moment lang sprachlos. Sie hatte immer gedacht, sie sei die Einzige, der laufend sowas passierte.

„Wie lange ist sie schon weg?“ fragte sie.

Mrs. Kaiou warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Zwei, drei Stunden. Ich mache mir langsam wirklich Sorgen. So ist sie doch sonst nicht! Mein Mann ist sie suchen gegangen, aber bisher ohne Erfolg.“

„Und Sie haben wirklich keine Ahnung, wo sie sein könnte?“

„Leider nicht. Sie hat ihren Zeichenblock mitgenommen. Vielleicht wollte sie wieder einen Sonnenuntergang malen. In letzter Zeit ist sie häufiger abends weggegangen, um an ihrem neuen Bild weiterzuzeichnen. Es ist ein sehr schönes, aber auch trauriges Bild. Ich habe es gesehen. Die Sonne geht unter, und man sieht die hellen Lichter einer Stadt aufleuchten...“ Sie schluckte und man sah ihr an, daß sie am liebsten geweint hätte.

Sonnenuntergang... die Lichter einer Stadt... Harukas Gedanken jagten sich. Sie runzelte die Stirn. Sie wußte jetzt, wohin Michiru gegangen war.

„Ich glaube, ich weiß jetzt, wo sie ist“, sagte Haruka und stand auf. „Machen Sie sich bitte keine Sorgen mehr, Mrs. Kaiou. Ich werd gleich mal nachsehen gehen.“

Hoffnungsvoll begleitet Mrs. Kaiou sie zur Tür. „Ich hoffe, Sie finden sie!“ sagte sie.

„Bestimmt“, versicherte Haruka. Sie ließ Mrs. Kaiou zurück und ging, um ihr Motorrad zu holen. Wenig später befand sie sich auf dem Weg zu der Stelle, an der sie Michiru vermutete: Dem Hügel, von dem aus sie vor ein paar Wochen gemeinsam den Sonnenuntergang betrachtet hatten.
 

Michiru selbst wirkte wie ein Teil eines Gemäldes. Sie lehnte an dem Geländer, und die untergehende Sonne strahlte sie mit ihrem rotgoldenen Lichtschein an. Ihre Wangen wiesen deutlich die Spuren von Tränen auf, und sie hielt ihren Zeichenblock im Schoß. Sie trug ein langes, violettes T-Shirt, einen langen orangenen Rock und ein dunkles Sakko.

Haruka hatte das Motorrad etwas entfernt abgestellt. Sie trat langsam näher an Michiru an und legte ihr die Hand auf die Schulter. Erschrocken hob Michiru den Kopf.

„Ssschhht“, machte Haruka beruhigend. „Ich bin’s nur.“

Michiru sah sie nur hilflos mit Tränen in den Augen an und schwieg.

„Deine Mutter hat mir erzählt, was passiert ist“, sagte Haruka. „Sie macht sich große Sorgen um dich. Und dein Vater sucht dich schon überall.“

„So?“ sagte Michiru nur. „Sie sollen endlich aufhören, sich in mein Leben einzumischen! Dann müssen sie sich auch keine Sorgen machen! Eigentlich ist ja nur Dr. Tomoe schuld daran. Wenn er nicht meinen Vater angerufen hätte...“

„Tomoe“, knurrte Haruka, „hör mir mit dem auf! Der Alte hat jetzt schon mindestens zum fünften Mal meine Tante angerufen und sich über mich beschwert! Ich halt es kaum mehr aus Zuhause, mit jedem zweiten Wort macht sie mir Vorwürfe!“

„Gut, daß ich nicht die Einzige bin“, erwiderte Michiru lakonisch.

Haruka zwang sie, ihr in die Augen zu sehen. „Was ist los?“ wollte sie wissen. „So bist du doch sonst nicht! Hast du irgendwie die Kontrolle verloren, Michiru?“

„Haruka, hast du eigentlich keinen festen Freund?“ fragte Michiru plötzlich.

Überrascht sah Haruka sie an. „Nein, das... weißt du doch.“

„Aber es gibt doch bestimmt jemanden, den du sehr gern hast?“

„Hm...“

„Wie sieht er aus? Was ist das für ein Junge, der so eine begabte Rennfahrerin wie dich liebt? Ist er wie du? Hat er auch eine... besondere Begabung, Haruka?“

Haruka sah ihr in die Augen. „Warum willst du das so genau wissen?“

„Hast du nicht... auch manchmal den Wunsch, einfach nur ein ganz normales Mädchen zu sein wie die anderen? Sehnst du dich nicht auch manchmal danach, einfach nur glücklich sein zu können?“ fragte Michiru traurig.

„Willst du damit sagen, daß du aus irgendeinem Grund nicht einfach nur glücklich sein kannst?“

Michiru seufzte. „Nein!“

„Ich weiß nicht, was du damit meinst, ganz normal zu sein wie die anderen. Aber ich habe schon das Gefühl, daß ich ganz normal und glücklich bin. Ich habe nie darüber nachgedacht. Ich bin, wie ich bin. Das ist meine Art. Weißt du, Motorradfahren bedeutet alles für mich. Ich kann mir nichts anderes in meinem Leben mehr vorstellen. Außerdem... gibt es für mich wichtigeres als einfach nur glücklich zu sein.“

Überrascht sah Michiru auf. „Etwas wichtigeres? Was denn?“

Haruka kniff die Augen zusammen. „Entschuldige, aber das ist meine Privatangelegenheit“, erwiderte sie schroff. Wie hätte sie Michiru erklären sollen, was sie meinte? Wie hätte sie ihr erklären sollen, daß sie im Grunde ihres Herzens mehr am Glück der Menschen interessiert war, die sie liebte, als an ihrem eigenen. Sie wollte es niemandem sagen. Für sie war es ein Zeichen an Schwäche, so etwas zuzugeben.

„Natürlich“, flüsterte Michiru mit hochroten Wangen. „Das war eine dumme Frage von mir, tut mir leid.“

„Nein, kein Problem. Ist schon in Ordnung, Michiru.“

Michiru schlang die Arme um ihren Körper, um sich zu wärmen. Sie zitterte leicht. „Mir ist kalt“, flüsterte sie.

Haruka nahm sie in den Arm. Sie spürte, daß da noch etwas anderes war, was Michiru bedrückte. „Was ist los?“ fragte sie leise. „Du hast doch was!“

Michiru klammerte sich an sie. „Haruka, bitte... Ruka... ich muß dir etwas sagen. Bitte, hör mir zu und sag mir, was ich machen soll!“

Haruka zog sie mit sich auf eine kleine hölzerne Bank, die im Schatten eines Baumes stand. „Na dann erzähl mal“, sagte sie.

Michiru hob den Kopf und ließ Haruka los, um ihre Frisur in Ordnung zu bringen. Ihre Augen glitten über die wunderschöne Landschaft hinweg. „Vielleicht hat dir meine Mutter ja erzählt, daß mein Vater mir verbieten wollte, Nerissa wiederzusehen“, fing sie zögernd an.

„Ja, hat sie.“

„Na ja, aber... ah, Mist, ich hätt’s dir schon viel eher sagen sollen!“

„Was hättest du mir schon viel eher sagen sollen?“

„Wie Nerissa und ich wirklich zueinander stehen“, murmelte Michiru ohne aufzusehen.

„Das verstehe ich nicht“, wunderte sich Haruka.

Michiru hob den Kopf. Wieder standen Tränen in ihren ausdrucksvollen meerblauen Augen. „Nerissa und ich sind mehr als nur sehr gute Freundinnen, verstehst du? Wir... wir sind zusammen.“

„Wie „zusammen“?“ fragte Haruka verständnislos.

Verzweifelt sah Michiru sie an. „Hm, wir... sind ein Liebespaar“, sagte sie verlegen und drehte den Kopf weh, um die Freundin nicht ansehen zu müssen.

Haruka brauchte einen Moment, um das zu verstehen. Dann breitete sich ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht auf. „Ah, deswegen“, lachte sie.

„Was deswegen?“ fragte Michiru ohne sie anzusehen.

„Deswegen mag Nerissa mich nicht. Sie ist eifersüchtig. Und das ausgerechnet auf mich!“ Haruka konnte nicht anders, sie mußte einfach lachen.

Michiru reagierte nicht. Sie starrte auf das blauweiß gestreifte Deckblatt ihrer Zeichenmappe.

Haruka packte sie an den Schultern und drehte sie zu sich herum. „Hattest du deshalb diesen Krach heute mit deinen Eltern?“ fragte sie.

„Ja und nein“, antwortete Michiru, ihrem Blick ausweichend. Sie war rot geworden. „Ich war wütend, weil mein Vater mir den Umgang mit Nerissa verboten hat. Ich liebe sie. Nur wußte ich nicht, wie ich das meinen Eltern beibringen sollte.“

„Sie wissen es gar nicht?“ fragte Haruka überrascht. „Sie wissen nicht, daß du... daß du lesbisch bist?“

„Nein“, seufzte Michiru. „Sie wissen es nicht.“

Haruka dachte daran, wie ihre Tante in so einem Fall wohl reagieren würde und mußte zugeben, daß Michiru vielleicht sogar recht hatte, wenn sie ihren Eltern nichts darüber verriet, was sie wirklich mit Nerissa Goku verband.

Sie sah Michiru von der Seite an. Wenn sie ehrlich war, fühlte sie sich etwas verunsichert durch das plötzliche Geständnis der Freundin. Aber andererseits fand sie es auch wieder verdammt mutig, sowas zuzugeben. Sie wußte nicht, ob sie selbst den Mut dazu gehabt hätte.

„Haruka“, sagte Michiru in ihre Gedanken hinein, „hast du ein Problem damit?“

Haruka blickte hinauf in den dunklen Nachthimmel, an dem vereinzelt helle Sterne blinkten. Hatte sie ein Problem damit? Sie konnte es nicht sofort sagen. Aber dann erinnerte sie sich daran, daß Michiru eigentlich die Erste war, die richtig nett zu ihr gewesen war. Und die sie verstanden und nicht ständig versucht hatte, sie zu ändern. Und sie wußte, sie hatte kein Problem damit.

„Nein“, antwortete sie, „hab ich nicht. Ich seh nur alles aus einer anderen Perspektive jetzt. Nerissas abweisendes Verhalten, und dein merkwürdiges Benehmen neulich nach dem Motorradausflug.“

Michiru nickte, lächelte und sah ihr zum ersten Mal wieder richtig in die Augen. „Danke, Ruka“, sagte sie schlicht.

Haruka gähnte. „Hör mal, ich bin müde“, sagte sie. „Können wir morgen weitersprechen?“

„Ja“, antwortete Michiru und stand auf. Sie sah aus, als ginge es ihr schon wieder besser. „Ich sollte besser auch nach Hause gehen und mich bei meinen Eltern entschuldigen. Bist du mit dem Motorrad gekommen? Nimmst du mich mit zurück?“

„Klar“, lachte Haruka.

Sie gingen nebeneinander zum Motorrad. Haruka, die einen ganzen Kopf größer war als Michiru, sah auf sie hinunter. Es macht mir nichts aus, daß du auf Frauen stehst, Michie, dachte sie. Du bleibst trotzdem meine Freundin, und ich mag dich, wie du bist.



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