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Kannst du es fühlen?

Atemu x Yugi
von

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Prolog

Inspiration:The Gravity of Life (FF von Polarstern)

Hinweis 1: Keine Ahnung vom japanischen Schulsystem, also hab ich das saarländische genommen, so wie ich es kenne

Hinweis 2: Verwendung der Anime- Namen (sprich: Bakura = Hikari)
 


 

Prolog
 

Yugi sah trübsinnig aus dem Fenster der Passagiermaschine, die sie von Ägypten nach Hause brachte. Er sah auf die weißen Puderwolken hinab und registrierte nur am Rande, dass der Himmel einen seltsamen, kitschigen Rosaton angenommen hatte.

Er war noch sehr aufgewühlt von dem Duell, das er erst kurz zuvor bestritten hatte. Tränen hatte er mittlerweile keine mehr, doch er fühlte sich leer und ausgelaugt.

Diese Leere hatte auch einen bestimmten Grund: er hatte gerade seinen besten Freund verloren.

Und er vermisste ihn so sehr, dass es schmerzte. Es fühlte sich so an, als würde er innerlich zerrissen. Sein Herz, seine Eingeweide, einfach alles. Langsam, schmerzvoll.

Als hätte jemand Spaß daran, ihn zu zerbrechen.

„Du vermisst ihn jetzt schon, stimmt’s?“ erkundigte Téa sich mitfühlend.

Sie saß auf dem grauen Sitz neben ihm.

Überhaupt kam es Yugi so vor, als sei die ganze Welt urplötzlich einfach nur noch grau und trist. Er reagierte nicht auf ihre leise Stimme, deutete noch nicht einmal an, ob er sie überhaupt gehört hatte.

Téa konnte ihn nur allzu gut verstehen. Sie hatte auch nicht gewollt, dass Atemu sie verließ, hatte ihn auch zurückhalten wollen, aber Joey hatte sie daran gehindert. Und er hatte ja Recht gehabt – dennoch war es ihr schwer gefallen.

Wenn der Pharao dieses Spiel nicht verloren hätte, hätte er weitere 3.000 Jahre hier im Diesseits verbringen müssen, und zwar ohne seine Freunde, ohne Yugi, denn welcher Normalsterbliche konnte schon von sich behaupten, so lange zu leben?

Téa versuchte sich damit zu trösten, dass er nun wieder mit seinen Freunden vereinigt war, mit Mahad, Mana und Seth.

Auch Atemu wird es schwer gefallen sein, sie zu verlassen, aber es war seine Bestimmung, sein Schicksal gewesen. Der einzige Grund, weshalb er überhaupt noch im Diesseits verweilt war, war ja seine Vorahnung, dass sein ärgster Gegner wieder auftauchen und die Welt bedrohen würde.

Und dann hatte Yugi ihn wiedererweckt, just zu dem Zeitpunkt, als auch Bakura wieder aktiv wurde.

Yugi wusste nicht genau, wie er nun ohne den Pharao leben sollte. Er versuchte sich daran zu erinnern, wie sein Leben war, bevor der Ältere aufgetaucht war, doch beim besten Willen gelang ihm dies nicht.

Sein Kopf fühlte sich so leer an, er war nicht sicher, ob überhaupt noch Gedanken vorhanden waren, die er hätte ordnen können. Vielleicht hätte er sonst eine Lösung gefunden, doch er wollte gar nicht darüber nachdenken, das wäre so, als würde er Atemu aus seiner Gedankenwelt ausschließen, ihn einfach vergessen wollen, und das würde er nicht zulassen.

Er fühlte sich losgelöst von seinem Körper, keine Gedanken, keine Gefühle, nur schwarze Leere umfing seine Seele.

So bekam er auch nicht mit, dass sie längst in Domino gelandet waren. Plötzlich spürte er einen leichten Druck auf seiner Schulter.

Es dauerte eine Weile, bis Yugi wieder zurück fand und er sah Téa fragend an.

Téa nahm ihre Hand von seiner Schulter. „Wir sind da.“ Yugi nickte zaghaft und folgte ihr dann.

Der neue Referendar

1. Der neue Referendar
 

Ein halbes Jahr später.
 

Yugi saß in der letzten Reihe, wie immer, wenn sie Mathe hatten.

Seit einem halben Jahr waren sie alle in der 12. Klasse und hatten nun ein Kurssystem, was zur Folge hatte, dass der Mathe- Grundkurs das einzige Fach war, das sie vier noch zusammen hatten. Auch die sonstigen Pflichtfächer hatten sie nicht zu viert, da jeder durch die Wahl unterschiedlicher Fächer seinen individuellen Stundenplan hatte.

Er hatte sich die hinterste Reihe ausgesucht, weil er sich dort gut hinter seinen Vordermännern verstecken konnte und es nicht weiter auffiel, wenn er nicht aufpasste.

Und er war seit geraumer Zeit in jedem Fach nur körperlich anwesend. Er hatte es satt, weiterhin zur Schule zu gehen, wollte sich nur noch zu Hause verkriechen, hatte an nichts mehr Spaß, erst recht nicht mehr an Duell-Monsters.

Er hatte das Deck, das er gemeinsam mit Atemu zusammengestellt hatte, in die unterste Schublade seines Schrankes verbannt.

„Hör mal, Alter, so kann es doch nicht weitergehen!“ meinte Joey in der Fünfminutenpause ärgerlich zu ihm.

„Seit Atemu weg ist, verschließt du dich ganz vor uns. Außerdem sind deine Zensuren voll im Keller, wenn du so weitermachst, kannst du eine Ehrenrunde drehen. Dabei warst du doch früher einer der Klassenbesten.“

„Versteh uns nicht falsch, wir vermissen ihn auch.“ warf Téa ein. „Aber du solltest mit irgendjemandem über deine Gefühle reden. Vielleicht fällt es dir dann auch leichter, dem Unterricht zu folgen. Wir machen uns echt große Sorgen. Dein Abitur steht auf dem Spiel.“

„Mit uns kannst du doch reden!“ meinte Tristan ernsthaft.

Doch alles, was die drei ernteten, war ein gelangweilter Blick.

Ein Blick, mit dem er auch die Lehrer beachtete.

Nur dem Wohlwollen einiger Lehrer, die seine Leistungen von früher noch kannten, war es zu verdanken, dass er nicht schon nach dem ersten Halbjahr in der 12 auf Grund einer 00 auf dem Zeugnis eine Klassenstufe zurückgestuft worden war. Doch wenn er sich nicht bald fing, würden auch diese Lehrer nichts mehr tun können, da sein Zeugnis nur so von vieren und fünfen wimmelte, auch in den Wahlfächern.

„Wir haben auch einen guten Freund verloren! Vergiss das nicht!“ rief Joey aufgebracht. „Aber wir reißen uns zusammen! Wir wollen dir Halt geben, aber zum Dank ignorierst du uns!“

Yugi starrte nur den Lehrer an, der die Tafelanschrift wieder abwischte.

„Mann, Yugi! Denk nach!“ Er fühlte, wie Joey ihm einen leichten Schlag auf den Hinterkopf versetzte, aber es war Yugi total egal. Ohne Atemu hatte sein Leben doch eh keinen Sinn. Seinetwegen könnte Joey ihn auch gleich erschlagen. Er hatte keine Lust mehr, zu leben.

„Joey, Tristan, würdet ihr euch bitte wieder nach vorne drehen?“ bat der Lehrer und setzte dann seinen Unterricht fort.
 


 

Nach der Stunde packte Yugi schnell seine Sachen weg.

Danach hatte er Leistungskurs Geschichte, das einzige Fach, das ihn noch etwas reizen konnte, neben Ägyptisch, da er es sehr interessant fand, was in Japan zu der Zeit geschehen war, als Pharao Atemu gelebt hatte.

Da er seinen Freunden entfliehen wollte, drängte er sich an den anderen Schülern vorbei zu seinem Versteck auf dem Pausenhof, denn nun war erst einmal große Pause.

Doch Joey war heute sehr schnell gewesen, denn zum ersten Mal hatte er Yugis Versteck ausgemacht, indem er ihm wie ein leiser Schatten gefolgt war. „Ach hier gammelst du immer rum!“

Yugi wandte ihm demonstrativ den Rücken zu, darauf gefasst, nun den Rest der Pause Joeys Standpauken ungehört über sich ergehen zu lassen.

Nach der Pause begleitete Joey Yugi sogar noch bis zu dem Raum, in dem Yugi nun Geschichte haben würde und redete unentwegt auf ihn ein, obwohl er wusste, dass Yugis Ohren auf Durchzug standen.

Als es zum zweiten Mal klingelte, verabschiedete er sich, ohne überhaupt eine Erwiderung zu erwarten. Yugi betrat den Raum und setzte sich auf seinen Platz.

Hier hatte er leider keinen der hinteren Plätze mehr ergattert, da er gleich zur ersten Stunde zu spät gekommen war und da war ihm nur noch ein Platz in der zweiten Reihe direkt am Mittelgang geblieben.

Der Junge packte Buch und Heft aus und hob auch nicht den Kopf, als der Lehrer eintrat, sondern beschäftigte sich eingehend mit seinem Mäppchen.

„Wir haben zum neuen Halbjahr einen neuen Referendar. Er wird für die Einzelstunde freitags den Unterricht übernehmen. Das ist Herr Yamito.“ stellte der Lehrer vor.

„Hallo.“ grüßte der Referendar die Klasse und Yugi blieb fast das Herz stehen.

Diese Stimme kannte er doch! Oder war es nur Einbildung? Sein Herzschlag setzte wieder ein und begann, heftig gegen seinen Brustkorb zu hämmern. Vorsichtig hob er den Kopf.

Vorne, neben Herrn Shimizu, stand der Referendar und ließ den Blick über den Kurs schweifen.

Er hatte eine große Statur, war schlank, hatte eine schwarze Igelfrisur mit pinken Spitzen und einigen blonden hoch stehenden Strähnen und unverkennbar violette Augen. Er trug Bluejeans, ein schwarzes Hemd und eine blaue Jeansjacke – also genau die Farben, die Yugi bedingt durch seine Schuluniform immer trug.

Yugi klappte der Unterkiefer herab. Vor ihm stand Atemu, gar kein Zweifel!

Am Liebsten hätte er laut gejubelt und gejuchzt, während er noch immer leicht ungläubig zusah, wie der Referendar durch den Mittelgang, nur eine Handbreit an ihm vorbei, schritt, um sich auf einen Stuhl hinter der Klasse zu setzen, um selbst dem Unterricht zu folgen.

Nicht nur Yugis Augen folgten ihm, sondern er drehte den ganzen Körper mit, um den Referendaren genau beobachten zu können. Doch dann fiel ihm auf, wie dämlich es aussehen musste, dass er den anderen so offen anstarrte und er drehte sich blitzschnell wieder nach vorne.

Er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen und Fragen begannen in seinem Kopf aufzublühen als hätte jemand ein Feuerwerk entzündet.

Wieso war er noch immer hier?

Wieso hatte er einen eigenen Körper?

Wieso war er plötzlich Lehrer? An seiner Schule?

Und ausgerechnet für Geschichte!

Aber er hatte doch gesehen, wie Atemu das Tor durchschritten hatte und das gleißend weiße Licht betreten hatte.

War es überhaupt Atemu?

Er war an ihm vorbei gegangen, ohne ihm mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als den anderen Schülern auch.

Dabei waren sie doch die besten Freunde! Aber er war so froh, dass Atemu wieder da war, dass er nun wusste, dass es seinem Freund gut ging.

Dennoch beschloss er, sich erst einmal zurückzuhalten und abzuwarten, was der Andere tun würde.

„Die freiwilligen Essays, die ihr über die Geschichte schreiben solltet, könnt ihr natürlich auch Herrn Yamito zur Korrektur abgeben.“ fuhr der Lehrer fort, doch Yugi konnte gar nicht anders, als ständig an den jungen Mann zu denken, der nun während der gesamten Geschichtsstunden hinter ihnen sitzen würde.
 


 

Nach dem Unterricht packte Yugi seine Sachen betont langsam weg, während die anderen Schüler schon aus dem Saal stürmten.

Auch dieses Mal hatte er dem Unterricht nicht folgen können, er war zu aufgeregt bei dem Gedanken gewesen, dass Atemu ihn von hinten beobachten könnte.

Als Yugi endlich aufstand war er mit den beiden Erwachsenen und einer Mitschülerin, die Herrn Shimizu noch eine Frage stellte, alleine. Er ging nach vorne und überlegte fieberhaft, wie er ein Gespräch mit Atemu anfangen sollte, denn dieser machte keinerlei Anstalten dazu.

Normalerweise fiel es ihm nicht schwer, mit einem alten Freund zu reden, aber er wollte sich nicht blamieren, wenn Shimizu zufällig mithören würde.

Draußen auf dem Gang wurde er plötzlich von Atemu überholt. Yugi war ihm wohl zu langsam gewesen.

Er drehte noch nicht einmal den Kopf, als er an Yugi vorbeiging, als würden sie sich gar nicht kennen.

Yugi blieb kurz stehen, um ihm nachzusehen. Offensichtlich war ihm noch etwas eingefallen, weshalb er sich beeilen musste.

Yugi seufzte. Die erste Gelegenheit, wieder mit ihm zu sprechen, hatte er ungenutzt verstreichen lassen.

Er beschloss, die anderen auf dem Schulhof aufzusuchen und ihnen davon zu berichten.

Vermutlich musste er sie dort suchen, wo sie sich früher immer in den Pausen getroffen hatten, bei den dreien hatte sich in dem halben Jahr wahrscheinlich nichts gravierend geändert. Und tatsächlich, sie standen an ihrem Stammplatz und unterhielten sich.

Yugi lächelte und trat schnell auf sie zu.

Als Joey sah, dass Yugi sich endlich mal wieder nach einem halben Jahr der Abwesenheit zu ihnen gesellte, unterbrach er das Gespräch und sah Yugi freundlich lächelnd an.

„Er ist wieder da! Er ist Geschichtsreferendar an unserer Schule!“ platzte es freudig aus Yugi heraus.

„Moment mal! Von wem redest du da?“ hakte Joey sichtlich verwirrt nach und auch Téa und Tristan sahen neugierig drein.

„Atemu! Er unterrichtet hier!“ verkündete Yugi die neue Nachricht.

Joeys Gesicht verfinsterte sich. „So ein Schwachsinn! Ich glaube, du drehst jetzt völlig durch! Du solltest dir Hilfe suchen, ich will dich nicht irgendwann in der Klapse besuchen müssen!“

„Aber er ist es wirklich!“ Yugis Lächeln wich von seinem Gesicht. Wieso wollte Joey ihm nicht glauben?

„Wer sollte es sonst sein? Er sieht so aus wie er, hat die gleiche Stimme und kleidet sich auch so!“

„Atemus Kleidung hatte sich wohl eher nach deiner Kleidung gerichtet!“ warf Tristan ein.

„Selbst wenn deine Beschreibung stimmt, wer sagt denn, dass er es wirklich ist? Hat er denn irgendwas zu dir gesagt?“ kam Téa ihm entgegen, doch Yugi schüttelte den Kopf.

„Ich glaube dir alles, Yugi, aber das sicherlich nicht!“ rief Joey aufgebracht. „Ich bin zwar froh, dass du wieder mit uns redest und deinem Lächeln vorhin nach zu urteilen, sind deine Gefühle noch nicht gänzlich abgestorben, aber das geht jetzt eindeutig zu weit!“

„Ihr werdet es ja sehen!“ erwiderte Yugi ärgerlich. Ihm stiegen Tränen der Wut und der Verzweiflung in die Augen.

Warum, verdammt noch mal, wollten ihm seine Freunde nicht glauben? „Téa hat doch morgen Geschichtsgrundkurs bei Shimizu? Wenn Shimizu sein betreuender Lehrer ist, wird er sich auch den Unterricht des GKs ansehen!“

Yugi machte auf dem Absatz kehrt und lief davon. Er suchte wieder die von Pflanzenranken überwucherte Bank am anderen Ende des Schulhofs auf, die so selten benutzt wurde, dass es der Hausmeister noch nicht einmal für nötig hielt, sie von dem Gewächs zu befreien.

Der Junge hockte sich auf das marode Holz, zog die Beine an und umfasste sie mit beiden Händen. Er versuchte, sich zu beruhigen und seine Situation objektiv zu überdenken.

Wenn sich jemand anderes über ein halbes Jahr so verhalten hätte wie er und dann mit einer solchen Nachricht angerannt käme, hätte er ihm geglaubt?

Nein, vermutlich nicht, er hätte ihn für geistesgestört erklärt. Yugi atmete tief durch und schloss die Augen.

Mit dieser Erkenntnis war auch seine Wut allmählich verraucht. Er legte den Kopf auf seine Knie und wartete auf das Klingelzeichen.
 


 

Yugi hatte nun als nächstes Englisch – auch einer seiner LKs.

Neben seinem Buch, dem Heft und dem einsprachigen Wörterbuch packte er auch seinen Notizblock aus.

Sobald der Unterricht angefangen hatte, machte er sich Gedanken für einen Geschichtsessay, den er in der nächsten Stunde bei Atemu, nein, er musste sich korrigieren: bei Herrn Yamito abgeben würde.

Vielleicht würden sie so ins Gespräch kommen.

Erst einmal musste er ein Thema ausknobeln. Doch da er nicht aufgepasst hatte, wusste er nicht genau, bei welchem Thema sie überhaupt waren. Er hatte zwar immer fleißig mitgeschrieben, aber ohne überhaupt zu registrieren, worum es eigentlich ging.

Heimlich zog er nun unter dem Tisch sein Geschichtsheft aus der Tasche, bedacht darauf, von der Lehrerin nicht gesehen zu werden. Er blätterte kurz und überflog das Geschriebene, stellte aber fest, dass er nicht viel damit anfangen konnte – es ging um den Angriff auf Pearl Harbor und seine Folgen.

Er beschloss, dass er sich ein Thema aussuchen würde, dass nicht zum momentanen Unterricht gehörte, und was würde sich besser eignen, als sein Lieblingsthema Ägypten?

Wenn er Atemus Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte, dann musste er sich ein Thema überlegen, bei dem er sich bestens auskannte, um sich keine Fehler zu leisten und sich keiner Blöße zu unterziehen.

Nachdem er das für sich geklärt hatte, steckte er das Heft wieder weg und richtete kurz seine Aufmerksamkeit auf den Unterricht. Schnell schrieb er ein paar Vokabeln ab und begann dann mit seinen Stichpunkten zu seinem Essay.

Er hatte schon eine halbe Seite mit engen Notizen versehen, als ihm siedend heiß klar wurde, wie peinlich es ihm vor Atemu wäre, die Stufe wiederholen zu müssen. Seine ständige geistige Abwesenheit im letzten Halbjahr war sicherlich keine Glanzleistung gewesen.

Wenn er sich nun nur in Geschichte anstrengen würde und die anderen Fächer weiterhin schleifen ließ, wäre das kein allzu großer Unterschied zu vorher und Joey würde Recht behalten. Und da Shimizu sicherlich nicht auch den nächsten Leistungskurs Geschichte übernehmen würde, stünden die Chancen sehr schlecht, Atemu noch so häufig zu sehen, wenn er sitzen blieb, wie jetzt.

Hastig klappte er den Block mit den Notizen zusammen.

Er schnappte sich die Kopie mit dem englischen Text, der schon zum größten Teil vom Kurs besprochen worden war und las ihn jetzt zum ersten Mal durch. Den Rest der Doppelstunde richtete er seine Aufmerksamkeit ganz auf die Lehrerin und deren Unterricht, wobei ihm nur allzu deutlich wurde, dass er einiges, was er im vorherigen Halbjahr verpasst hatte, würde nachholen müssen.

Und das vermutlich in allen Fächern, wobei Englisch noch das kleinste Problem war, da schon vor der 12. Klasse sämtliche Grammatik abgehakt war und es fast nur noch um Textverständnis und Vokabeln ging. Die Grammatik wurde nur noch wiederholt und er wusste, dass es im Abitur hauptsächlich darauf ankam, einen Text zu verstehen, Fragen dazu zu beantworten und seine eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen.

Er war froh, kein naturwissenschaftliches Fach als Leistungskurs gewählt zu haben, denn da stünde er jetzt vermutlich vor einem großen Problem, denn diese mussten sicherlich viel auswendig lernen, außerdem bauten die Themen – außer vielleicht in Biologie – sicherlich aufeinander auf.

Aber seine Fächerkombination hieß auch, dass er in Mathematik würde ins Mündliche gehen müssen. Während er nach dem Unterricht einpackte, verzog er darüber das Gesicht. Aber da Téa ein Mathegenie war, würde sie ihm das bis zum Abi sicher noch alles beibringen können und ihn auch als Test abfragen. Denn Aufgaben stumm an der Tafel vorrechnen für die Mitschüler und vorrechnen und alles mündlich erklären, was man tat, das war ein großer Unterschied, befürchtete er.

Yugi schwenkte sich seinen Rucksack auf den Rücken und verließ den Klassenraum. Draußen wurde er schon ungeduldig von Joey und Tristan erwartet.

„Ich glaube, du hattest Recht.“ kam Joey gleich zur Sache.

„Recht gehabt womit?“ entgegnete Yugi und sah von Joey zu Tristan und wieder zurück.

„Wir hatten doch gerade Politk-LK.“ begann Tristan. „Wir haben einen neuen Referendar.“

„Jep, er scheint wirklich Atemu zu sein, selbst wenn er uns nicht kannte. Oder vielleicht erkannte. Wie dem auch sei, er ist wohl Politik- und Geschichtsreferendar. Hat bei uns hinten drin gesessen, ab nächste Woche Donnerstag übernimmt er den Unterricht für die Einzelstunde.“ erzählte Joey während sie den Gang entlang schlenderten, sich für das Gespräch extra Zeit nehmend.

„Habt ihr denn mit ihm geredet?“ erkundigte Yugi sich.

„Du meinst, außerhalb des Kurses? Nein, aber Joey hat ihn in unsere Diskussion hineingezogen. Kamata war nicht sonderlich begeistert darüber, aber er war echt gut.“ erklärte Tristan. Kamata war der Lehrer und bei den Schülern schon immer unbeliebt gewesen.

Er blieb stehen. „Hör mal, wir müssen uns bei dir entschuldigen.“

Yugi nickte. „Schon gut.“

„Wir müssen nur irgendwie herausfinden, weshalb er noch hier ist und was er überhaupt noch von uns weiß. Vielleicht ist sein Gedächtnis ja schon wieder gelöscht worden, als er in diesem Grab durch das Tor gegangen ist.“ Joey mit nachdenklichem Gesichtsausdruck war sehr selten.

„Vielleicht ist er aber einfach nur Atemus Wiedergeburt.“ sprach Tristan einen Gedanken laut aus.

„Wir werden ihn jedenfalls näher kennen lernen. Basta. Punkt. Aus.“ erklärte Joey.

„Aber nicht so auffällig.“ Von Joey schwante Yugi böses.

Joey schnaubte. „Ich will ja nicht irgendwann von den anderen als Lehrerfreund verschrien werden. Nein, das wird schon unauffällig über die Bühne gehen. Außerdem wirst größtenteils du das machen müssen.“

Er legte kumpelhaft einen Arm um Yugis Schultern. „Immerhin hattest du von uns immer den besten Draht zu ihm.“
 


 

Am Nachmittag, nachdem Yugi mit Mittagsessen fertig war, packte er wieder seinen Block aus, um weiter an seinem Essay zu feilen.

Er hatte sich entschlossen, Pharao Atemu nicht zu erwähnen, schließlich wurde der in keinem Geschichtsbuch erwähnt, sondern sich an die altbekannten Könige zu halten. In seinem Zimmer standen genug Bücher über Ägypten herum, die ihm helfen konnten.

Außerdem hatte auch sein Großvater eine beachtliche Sammlung an Büchern und sonstigen Forschungsergebnissen zu Hause, die er sicherlich würde benutzen können. Den Anfang machte er mit Ramses III.

Nach einer Stunde war sein vierseitiger Essay fertig und er konnte sich seinem Geschichtsheft widmen, um das Verpasste nachzuholen. Er las es sich durch und ging danach runter zu seinem Großvater in den Spieleladen.

Während er Regale einräumte erzählte er Großvater nebenbei von seinem Schultag. Er hatte seinem Großvater schon lange nicht mehr geholfen und ihm auch ebenso lange nichts mehr erzählt.

Sein Großvater wusste zwar nicht, was während des letzten halben Jahres in seinem Enkel vorgegangen war, aber er unterbrach ihn nicht sondern freute sich über dessen Redeschwall.

Yugi erwähnte auch den neuen Referendaren, ging aber nicht näher darauf ein.

Die Türglocke schellte und als Yugi den Kopf hob, sah er, dass Téa den Verkaufsraum betreten hatte.

Als sie ihn entdeckte, ging sie geradewegs auf ihn zu. „Hallo!“

Téa blickte auf die Ware in seinen Händen hinab. Sie wusste nicht, was sie nun sagen sollte.

Yugi ließ ihr Zeit und verstaute das, was er in der Hand hielt.

„Ich habe gerade davon gehört.“ rückte Téa schließlich heraus. „Ich will mich persönlich bei dir entschuldigen. Mit so etwas habe ich, um ehrlich zu sein, nicht gerechnet. Ich hätte dir gleich glauben sollen.“

Yugi wusste sofort, wovon sie sprach und winkte ab. „Ich glaube, ich hätte mich genauso verhalten. Es ist mir ja selbst nicht gerade leicht gefallen, es zu glauben, als ich ihn selbst gesehen hatte.“

„Sind wir wieder Freunde?“ fragte Téa hoffnungsvoll und hielt ihm die Hand hin.

Yugi ergriff sofort ihre Hand. „Waren wir es irgendwann nicht?“ lächelte er.

Téa erwiderte das Lächeln zaghaft. „Ich bin gespannt, ob ich ihn morgen auch mal sehen werde.“
 


 

Am Freitagmorgen fühlte Yugi sich wie gerädert. Er hatte fast nicht geschlafen. Dementsprechend war er extrem müde, als er frühstückte.

Er war so nervös, als müsse er heute selbst seine erste Unterrichtsstunde halten. Dabei war es unwahrscheinlich, dass Atemu, Herr Yamito, wirklich noch nie eine Unterrichtsstunde gehalten hatte. Er hatte es wahrscheinlich schon während des Studiums tun müssen, um sich überhaupt zu qualifizieren und er wusste auch nicht, ob er nicht im Laufe der Woche in einer anderen Klasse den Unterricht gehalten hatte.

Am Vortag hatte Yugi sich eingehend alle Themen der vergangenen Stunden angeguckt und sich so gut vorbereitet, als hätte er eine Prüfung. Er wollte Herrn Yamito helfen, denn er ging davon aus, dass es die anderen in dem Kurs ausnutzen würden, dass er noch keine Namen kannte und dass er ein Frischling war.

Yugi selbst wollte sich so oft wie möglich melden. Vielleicht würde der Referendar sich dann auch seinen Namen schneller merken können.

Was es womöglich erleichtern würde, mit ihm ins Gespräch zu kommen und ihn näher kennen zu lernen.

Sein erster Essay, den er ihm am Vortag in die Hand gedrückt hatte, hatte ihm nicht zu einem Gespräch verholfen, denn es hatten ihm noch einige andere ihre Essays in die Hand gedrückt, er war regelrecht belagert gewesen, vor allem von Mädchen.

Am Rande hatte er mitbekommen, dass Herr Yamito offensichtlich schnell zum Mädchenschwarm avanciert war, und das nicht nur in ihrem Kurs.

Er war sehr gespannt, wie Herr Yamito sich als Lehrender geben würde.

In seinen Vorstellungen war Yamito nicht besonders streng und hatte noch nicht die Härte von älteren Lehrern und das Einschläfernde der alten Lehrer. Aber er würde sich bestimmt sehr gut in seinem Fach auskennen und ein offenes Ohr für seine Schüler haben. Soweit die Vorstellung.

Hastig verließ er das Haus. Jetzt galt es erst einmal, zwei Stunden Bio und zwei Stunden Japanisch über die Bühne zu bringen.

Einziger Lichtblick war wohl, dass er wenigstens Japanisch zusammen mit Téa hatte, so konnten sie sich noch etwas unterhalten. Er hatte sich vorgenommen, sie zu fragen, wie sie sich Atemu als Lehrer vorstellte. Wahrscheinlich würde für die Erörterung dieser Frage heute viel Zeit drauf gehen. Pausen mit allen dreien seiner Freunde und in seinem Kopf.
 


 

Als er in die Schule kam, hetzte er gleich zum Biologie-Hörsaal. Hastig kramte er sein Heft hervor, um alles noch mal durchzugehen. Er hatte sich zwar alles gestern Abend im Bett angesehen, aber sicher war sicher.

Es war sehr viel Zeit für die Geschichtsvorbereitung draufgegangen, deshalb war es spät geworden, bis er sich hatte auf Biologie konzentrieren können.

Und seine Vorahnung bewahrheitete sich: Er wurde mündlich abgefragt.

Im Gegensatz zur Erwartung der Lehrerin beantwortete Yugi alle Fragen. Die Lehrerin verbarg erst gar nicht ihr Erstaunen darüber, hatte er die beiden letzten Male, als sie ihn an die Reihe genommen hatte, nur fünfen kassiert. Diesmal bekam er eine 11 und er seufzte erleichtert.

Wenn das mal kein gutes Ohmen für den Rest des Tages war.

Er ging wieder zu seinem Platz und machte sich daran, die Blutgruppenaufteilung, die Besonderheiten und die Vererbung abzupinseln.

In der großen Pause traf er dann auf die anderen. Er war sehr hibbelig, was auch die anderen spürten.

Auf Nachfrage von Téa antwortete er: „Ich fühle mich, als müsste ich in der fünften Stunde Unterricht halten.“

Joey lachte. „Mach dir doch darum keinen Kopf! Ihr teilt euch doch nicht mehr euren Körper. Außerdem wird er das schon meistern!“

Somit war das Gespräch schon auf dem Thema, das sie auch für diese Pause nicht mehr loswurden.
 

In Japanisch beruhigte Yugi sich allmählich und er wurde gelassener.

Während zwei seiner Mitschüler einen Dialog aus der Lektüre vorlasen, döste er vor sich hin.

Die Nacht war für ihn keineswegs erholsam gewesen. Er war erst um eins eingeschlafen, mindestens fünf mal zwischendurch wach, wovon er einmal, seinem Gefühl nach zu urteilen, bestimmt eine Stunde wach gelegen hatte. Und dann heute Morgen wieder um 7 Uhr aufstehen.

Zum Glück wohnte er im Zentrum von Domino, also hatte er keinen allzu langen Schulweg.

Nach der zweiten Schulhofpause ging er ausnahmsweise gleich beim ersten Schellen hoch in den zweiten Stock. Normalerweise hatten es sich die Oberstufenschüler angewöhnt, sich erst zum zweiten Klingeln zu bequemen, das Schulgebäude zu betreten, das war cooler.

Außerdem war so gut wie kein Lehrer wirklich pünktlich, die hielten alle noch im Lehrerzimmer Kaffeekränzchen.

Als Yugi am Saal ankam, war noch kaum jemand da. Die Mitschüler die da waren, standen in kleinen Grüppchen zusammen und unterhielten sich über das Gesprächsthema Nummer eins dieser Pause: die Erwartungen an den neuen Referendaren.

Der war auch pünktlicher, als Shimizu normalerweise, hatte diesen aber im Schlepptau. Er sperrte den Klassensaal auf und ließ die Schüler an ihm vorbei eintreten. Yugi betrat als einer der Letzten der ersten Schülerwelle den Saal. „Ähm, warte mal.“ Er drehte den Kopf. War er gemeint?

Herr Yamito hielt ihm eine Hand voll Blätter hin. „Könntest du die verteilen?“

Yugi nahm die Blätter entgegen und warf einen Blick darauf.

Es waren die Essays, die er zurückgeben wollte. Der Referendar war schnell, er hatte scheinbar alle innerhalb eines Tages korrigiert.

Als er wieder aufblickte um noch etwas zu sagen, hatte Herr Yamito sich schon der Tafel zugewendet.

Yugi seufzte innerlich, stellte seinen Rucksack an seinen Platz und begann mit dem Austeilen.

Dann betrachtete er seinen eigenen Essay. Er hatte gesehen, dass auch Yamito mit Rotstift korrigierte, doch in seinem Essay fand er keine Korrekturen, nur ein Plus als Bewertung, worüber er sich sehr freute, denn für die Essays gab es nur drei Bewertungen: Minus, Kringel und Plus.

Außerdem wurde jeder Essay im Notenbuch vermerkt.

Nach und nach trudelte auch der Rest der Schüler ein.

Herr Yamito stellte sich noch einmal namentlich vor und begann dann gleich mit dem Unterricht.

Yugi folgte jedem seiner Sätze aufmerksam.

Herr Yamito war sehr gelassen, falls er nicht doch nervös war, so ließ er es sich in keinem Fall anmerken.

Als Herr Yamito die Überschrift für das heutige Tafelbild anschrieb, war Yugi etwas überrascht von der eigentlich ganz gut lesbaren Schrift; er hatte, nun ja, neuzeitliche Hieroglyphen erwartet.

Nach der Stunde, während deren Yugi sich häufig gemeldet hatte, wie erwartet war die Mitarbeit der anderen dürftig gewesen, ging Yugi nach vorne, um seinen neuen Essay – diesmal über Tut-ench-Amun – abzugeben.
 


 

„Habt ihr schon gehört, nächste Woche fällt Sport aus, da Atemu dann sein Einstandsduell hat.“ erzählte Joey auf dem Weg zur Turnhalle. „Der arme Gegner.“

„Wisst ihr denn, wer der Gegner sein wird?“ wollte Yugi wissen und betrat die Umkleidekabine.

„Das wird am Montag in der ersten großen Pause ausgelost.“ erklärte Tristan. „Wenn er Glück hat, darf er gegen den Direktor antreten.“

„Zu blöd, dass er gegen einen Lehrer antreten muss, Yugi oder ich wären bessere Gegner.“ erklärte Joey und begann, sich umzuziehen.

„Ich glaube, mir ist lieber, wenn ich ihm mal zugucken darf. Bisher haben wir uns immer zusammen duelliert.“ erwiderte Yugi und zog seine Sportsachen an.

„Ja, aber dann könnte er doch trotzdem gegen mich antreten.“ beharrte Joey.

Nachdem der Lehrer ihn darum gebeten hatte, nahm er sich das Netz mit den Fußbällen und trug es mit sich in die Halle.

„Seien wir doch ehrlich: du hättest sowieso keine Chance!“ belehrte Tristan ihn.

Wenn es um das Duellieren ging, war Joey noch nie realistisch gewesen. OK, er war viel besser als noch ganz am Anfang, aber jeder würde ein reines Monsterdeck schlagen können.

„Na warte!“ rief Joey und warf einen der Bälle auf Tristan, dem dieser geschickt auswich. „Wie dem auch sei, hat es einer der Lehrer je in einem Turnier weit gebracht? Nein. Also wäre jeder Schüler ein besserer Gegner für den Pharao als einer unserer ach so tollen Lehrer.“

„Ich muss Joey ausnahmsweise zustimmen!“ mischte sich ihre Mitschülerin Masayo kichernd ein. „Herr Yamito wird sowieso gewinnen!“ Die anderen Mädchen um sie herum stimmten in ihr Kichern ein.

„Ach, am Besten, ihr gründet einen Fanclub!“ fauchte Joey sie ärgerlich an.

Masayo blinzelte. „So schlecht ist die Idee gar nicht mal!“

Joey verdrehte genervt die Augen. „Versteh einer die Frauen!“

Was er nicht mitbekam war, dass Masayo ihn noch immer anstarrte, als ihre Freundinnen sich schon längst abgewandt hatten und sich auf die Holzbänke entlang der Wand setzten.
 


 

„Mathe ist ja noch komplizierter, als ich gedacht habe!“ stöhnte Yugi montags.

Er hatte nicht geahnt, dass alles, was er erst noch wiederholen musste, auch für das Thema relevant sein würde, das sie gerade durchnahmen. Es wurde Zeit, dass er sich nach einem Nachhilfelehrer umsah.

„Ach, keine Sorge, das schaffst du schon! Du warst doch früher so gut! Und das Angebot mit der Nachhilfe steht noch!“ beruhigte Téa ihn.

Ihr war von Anfang an klar gewesen, dass er Hilfe gebrauchen könnte, nachdem er quasi ein halbes Jahr verpasst hatte.

Yugi sah sie an. „Am Besten, wir fangen heute Mittag an! Sonst schiebe ich es nur vor mir her!“

„Klar, du kannst nach der Schule gleich mit zu mir kommen! Meine Mutter freut sich sicherlich, wenn sie für einen mehr kochen kann.“ erklärte Téa.

Yugi schüttelte den Kopf. „Ich will deiner Mutter keine Umstände bereiten!“

„Ach Unsinn, sie kocht doch so gerne! Je mehr Leute sie verköstigen kann, desto besser!“ lächelte Téa.

„Wenn wir noch etwas von der Verlosung mitbekommen wollen, sollten wir uns mal ranhalten!“ mischte Joey sich leicht verärgert ein.

„Es hat doch gerade erst geklingelt. Die werde schon nicht gleich am Anfang der Pause in den Lostopf greifen, dann wäre ja die Spannung futsch!“ erwiderte Tristan.

„Wie will man denn während einer 15minütigen Pause Spannung aufbauen?“ fragte Joey skeptisch.

„Indem man ankündigt, dass Yugi den Gegner ziehen wird und der noch nicht da ist!“ erläuterte Tristan und zwinkerte Yugi zu.

Yugi blieb stehen. „Weißt du etwas, das ich nicht weiß?“

„Sag nur, du weißt das noch gar nicht?“ wollte Téa erstaunt wissen. Als sie Joeys verwirrtes Gesicht sah, fügte sie hinzu: „Aber du scheinst nicht der einzige zu sein, der nichts davon wusste!“

„Sagt mal, wo habt ihr denn eure Augen, wenn ihr morgens ans schwarze Brett geht?“ stichelte Tristan.

„Noch halb zu!“ konterte Joey. „Außerdem interessieren mich nur die Freistunden!“ Er sah Yugi an.

„War heute nicht am schwarzen Brett.“ erklärte dieser kleinlaut.

Er sollte Atemus Gegner auslosen. Ihm wurde etwas flau im Magen.

Alle Schüler der Schule würden ihm dabei zusehen. Und wie viele Schüler besuchten diese Schule? Annähernd 1.000.

Wenn er sich duellierte hatte er manchmal ebenso viele Zuschauer, oder sogar mehr, aber dann war er wenigstens abgelenkt, er konzentrierte sich dann alleine auf das Duell.

Aber bei den letzten Turnieren hatte er immer noch Atemu bei sich gehabt, der ihm die Nervosität genommen hatte. Selbst wenn er auch heute neben Yugi stehen würde, helfen konnte er ihm diesmal nicht.

Yugi, Téa, Tristan und Joey betraten die große Aula und blickten zur Bühne hoch. Der Direktor, Herr Shimizu und Herr Yamito standen schon dort und überblickten die Menge.

Joey kämpfte eine Schneise durch die Schülermenge, die anderen drei brauchten ihm nur noch zu folgen.

Als der Direktor Yugi entdeckte, winkte er ihn zu sich auf die Bühne.

Yugi war noch immer nicht wohl bei der ganzen Sache, aber er fügte sich in sein Schicksal.

Er begrüßte den Rektor, der ihm gleich zuflüsterte, dass er erst auf sein Zeichen warten sollte, bis er seine Hand in die Lostrommel steckte.

Der Junge stellte sich neben Shimizu und warf einen Blick auf Atemu.

Dieser schien aber nur Augen für die Schülermenge zu haben, von denen er sicherlich nicht allzu viele kannte, doch die Lehrerkollegen und potentiellen Gegnern würdigte er keines Blickes.

Yugi war sich nicht so sicher, ob das daher rührte, dass er die meisten Kollegen schon kannte, oder aber daher, dass er sich sicher war, jeden der Lehrer schlagen zu können.

Plötzlich, als hätte er auf ein Stichwort gewartet, drehte Atemu sich um.

„Hallo, Yugi!“ Er lächelte ihn freundlich an und zwinkerte ihm zu.

Yugi wurde vor Verlegenheit etwas rosa im Gesicht.

Dass der Referendar sich schon seinen Namen merken konnte.

Auf der anderen Seite waren seine Duelle ja oft genug im Fernsehen übertragen worden.

Doch ob der Neue sich so sehr für das Duellieren interessierte, wusste er nicht.

Yugi musste sich immer wieder vor Augen halten, dass er vermutlich gar nicht Atemu war und ganz andere Interessen haben könnte. Er grüßte zurück.

Der Rektor ergriff das Mikrophon, mit dessen Hilfe er zunächst die lauten Schüler zur Ordnung rief. Er kündigte die Auslosung an und gab Yugi dann ein Zeichen. Dieser trat vor und traute sich gar nicht, in die Gesichter vor der Bühne zu sehen, dafür war er zu nervös.

Langsam und bedächtig zog er den Loszettel aus der Trommel und reichte ihn dann an Rektor Kamekura weiter. Dann stellte er sich wieder vor den braunen Samtvorhang, neben Shimizu und Yamito.

Kamekura entfaltete das Stück Papier und warf einen Blick darauf. Danach las er laut vor: „Die Gegnerin ist Frau Haruna Shibata.“

Yugi hatte von der Bühne aus alle Lehrer im Blick. Einige männliche Lehrer hatten schon bei dem Wort ‚Gegnerin’ lange Gesichter gezogen und jetzt konnte er erkennen, wie eine Lehrerin einen kleinen Freudentanz aufführte.

Er verzog das Gesicht. Haruna Shibata war eine sehr schöne, schlanke Frau mit langen schwarzen Haaren und ebensolchen Wimpern. Sie könnte glatt als Modell arbeiten und zum Leidwesen der Schüler wusste sie dies auch. Ihr ständiger Begleiter waren nämlich Schminkkoffer, Maniküre- und Pediküreset.

Ihren Schülern hingegen konnte sie nichts beibringen, denn sie wusste nicht, wie man da machte.

Sie war auch noch sehr jung, erst das zweite Jahr an dieser Schule, also kaum älter als Herr Yamito selbst.

Er drehte den Kopf, um zu sehen, was sein alter Freund von diesem Los hielt, aber dessen Miene war unergründlich.

„Er hat noch nicht einmal mit der Wimper gezuckt!“ berichtete Joey ihm später, als Yugi die Bühne verlassen hatte. „Das kann ja was werden! Hoffentlich quatscht sie nicht allzu viel bei dem Duell!“

So gut die Lehrerin auch aussah, so nervig und penetrant war ihre Stimme, denn sie war sehr hoch und schrill.

Téa nickte zustimmend.

„Ich hab jetzt Geschichte. Shimizu hält Shibata zwar noch ein Gespräch, aber Yamito ist weg. Ich wette, er geht schnurstracks zu unserem Saal. Vielleicht hält er heute unsere Stunde.“ meinte Yugi schon fast hoffnungsvoll.

Wenn er eines schon am Freitag in Yamitos erster Stunde erkannt hat, dann die Tatsache, dass Yamito besser unterrichtete als die Schlaftablette Shimizu. Und dieser sollte die Schüler gut durchs Abi bringen!

Yugi runzelte die Stirn. Er kannte Shimizu schon so lange als weniger guten Lehrer, dass die Freitagsstunden bei Yamito schon jetzt bei ihm als Lichtblick galten.

Als er zum Geschichtssaal kam, war dieser schon aufgeschlossen und zu seinem Leidwesen musste er feststellen, dass Herr Yamito sich schon einen Stuhl genommen und ihn an die Rückwand des Saales gestellt hatte.

Yugi setzte sich seufzend.
 


 

Am nächsten Morgen lief Yugi in zügigem Tempo über den Lehrerparkplatz zum Haupteingang.

„Hey, Yugi! Hattest du die ersten beiden Stunden auch frei?“ Yugi drehte den Kopf und sah gerade noch, wie Herr Yamito einen Schlüsselbund wegsteckte. „Sind wohl heute beide etwas spät dran!“

„Ja, ich war heute noch im Krankenhaus.“ Als er Yamitos verwirrtes Gesicht sah, setzte er hastig hinzu: „Ich habe Medizin für meinen Großvater geholt.“

„Ach so.“ Yamito nickte. Er schien sich schon Sorgen gemacht zu haben.

„Tut mir Leid, Yugi, ich muss ganz schnell zum Lehrerzimmer! Man sieht sich!“ rief er und rannte schon im Sauseschritt die Treppe hoch.

Da es eh bald klingeln würde, folgte Yugi ihm, allerdings in einem sehr gemächlichen Tempo.

Téa erwartete ihn schon im Foyer. „Na, du Langschläfer! Gut geschlafen?“

Yugi lächelte. „Du brauchst gar nicht neidisch zu sein! Dank Ägyptisch habe ich heute bis zur zehnten Stunde Unterricht, während du nach der 7. schon faulenzen kannst!“ erklärte er.

Aber nicht einmal in Kunst würde er sich ausruhen können, denn heute würde die Lehrerin sicherlich wieder ein Bild analysieren.

„Ich hab ja gleich noch Geschichte.“ meinte Téa fröhlich.

Yugi zog eine Augenbraue hoch. „Darüber scheinst du dich ja sehr zu freuen!“ stellte er fest.

„Ja, seit Herr Yamito dabei ist! Nur leider wird er bei uns wohl nie unterrichten.“ erwiderte Téa seufzend.

„Das wirst du schon überstehen!“ grinste Yugi frech.
 


 

Der Ägyptischkurs war sehr klein und vor allem auf Yugis Drängen entstanden. Er hatte einen Lehrer, der Halbägypter war, überredet, einen solchen Kurs anzubieten.

Ursprünglich hatten auch Téa, Tristan und Joey daran teilnehmen wollen, aber dann waren Joeys Philosophiekurs, Tristans Informatikkurs und Téas Klavierstunden auf die gleiche Uhrzeit gefallen und so kam es, dass der Kurs nur 5 Teilnehmer hatte.

Da Herr Al Faysal sich über jeden, der Ägyptisch lernen wollte, gefreut hatte, hatte er beschlossen, den Kurs dennoch stattfinden zu lassen. Er war auch einer jener seltenen Exemplaren von Lehrern, die sich um die Schüler kümmerten und einem auch etwas beibringen konnten, ohne gleich mit der Brechstange anzusetzen.

Der Lehrer trat ein. „Wir haben ab heute einen neuen Schüler.“

Yugi hob den Kopf und ihn traf fast der Schlag.

Hinter seinem Lehrer stand kein geringerer als Herr Yamito.

„Einige von euch werden ihn sicherlich kennen. Das ist Herr Yamito.“ stellte er vor und dieser nickte zur Begrüßung in die Runde.

Yugi konnte es kaum fassen, als Herr Yamito sich dann auch noch auf den freien Platz neben ihm setzte.

„Hallo, Yugi.“ flüsterte er und lächelte dabei verschmitzt.

Er nahm Heft und Stift aus der Tasche und legte es vor sich auf den Tisch. „Als ich hörte, dass es hier einen Ägyptischkurs gibt, habe ich Herrn Al Faysal überredet, dass ich daran teilnehmen kann. Ich bin nämlich ein kleiner Ägyptenfan. Deshalb fand ich deine Ägyptenessays bisher auch sehr ansprechend.“ Er zwinkerte seinem Nachbarn zu.

Yugi nickte. Also zumindest eine Parallele zu Atemu.

„Du kannst froh sein, dass du mir diese Essays abgegeben hast, ich glaube, Shimizu wäre nicht sonderlich begeistert über Essays, die nichts mit dem durchgenommenen Thema zu tun haben.“ erklärte er weiter.

„Herr Yamito, würden sie bitte an die Tafel kommen.“ Es war keine Frage sondern ein Befehl.

„Wie?“ Herr Yamito sah äußerst verwirrt drein.

„Sie scheinen sich ja sehr gut mit Ihrem Nachbarn zu verstehen, aber Sie haben mich gebeten, Sie wie alle anderen Schüler zu behandeln. Und als Ihr Lehrer kann ich es nun einmal nicht dulden, dass Sie meinen Unterricht stören. Also werden Sie jetzt an der Tafel ein kleines Diktat schreiben.“ erläuterte Al Faysal.

„Oh.“ Ohne einen weiteren Kommentar stand Herr Yamito wieder auf und ging zur Tafel. Dort nahm er sich ein Stück Kreide und stellte sich in Position.

Da er so was noch aus seiner Schulzeit kannte, ging er davon aus, dass der ganze Kurs mitschreiben musste und so klappte er die Tafel auf, um auf der Rückseite zu schreiben. Dabei machte er, wie Yugi fand, kein allzu glückliches Gesicht.

Sie alle hatten nun schon ein halbes Jahr Ägyptisch, wie das bei Atemu aussah, wusste er nicht.

Wenn es tatsächlich seine erste Stunde war, dann war es mehr als gemein, ihn vor der Klasse vorzuführen, denn dann würde seine Anschrift sicherlich nur so vor Fehlern strotzen.

Der Lehrer begann, den vorgesehenen Text vorzulesen und in der eifrigen Stille war zu hören, wie Herr Yamito die Kreide leise über die Tafel führte. Nach dem Diktat klappte Herr Yamito den Tafelflügel wieder nach vorne und setzte sich wieder auf seinen Platz.

„Jeder korrigiert den Text seines Nachbarn, d.h. du, Yugi, kommst an die Tafel, um Herrn Yamitos Text zu korrigieren.“ erklärte Al Faysal und sah Yugi erwartend an.

Diesem wurde augenblicklich flau im Magen. Er sollte den Text seines Geschichtslehrers vor der Öffentlichkeit verbessern? Und, fast genauso schlimm, Herr Yamito würde sich sein Heft vornehmen?

OK, seine Geschichtsessays gab er auch immer dem Referendar ab, aber die waren fein säuberlich und möglichst fehlerfrei herausgearbeitet.

Bei einem Diktat, auf das er nicht im Geringsten vorbereitet gewesen war, sah das schon weitaus anders aus.

Zögerlich stand er auf und nahm von Herrn Al Faysal ein Stück rote Kreide entgegen.

Er wagte gar nicht, sich umzudrehen und Herrn Yamito anzusehen.

Der Junge ging den Text vor sich durch und unterstrich die Fehler, derer gar nicht einmal so viele vorhanden waren. Hatte er sich Ägyptisch schon selbst beigebracht oder war er zuvor Schreibweise und Aussprache mit Herrn Al Faysal durchgegangen?

Als er fertig war, legte er die Kreide beiseite und setzte sich wieder.

Herr Al Faysal ging nun ebenfalls Herrn Yamitos Text durch, um sicherzugehen, dass Yugi keine Fehler übersehen hatte und unterstrich zwei falsche Wörter.

Als Herr Yamito Yugi wieder sein Heft zuschob, hatte er genau die beiden Wörter, bei denen Yugi auch an der Tafel die Fehler übersehen hatte, unterstrichen. Da Yugi es ebenfalls falsch im Kopf gehabt hatte, hatte er auch Herrn Yamitos Fehler nicht als solche erkannt.

„Du bist gut!“ erklärte Herr Yamito anerkennend nickend.

Und als könne er Yugis Gedanken lesen, fügte er hinzu: „Keine Sorge, alles was hier passiert, wird sich nicht auf unseren gemeinsamen Geschichtsunterricht auswirken.“

Damit wandte er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Lehrer.
 


 

„Hatten Sie denn schon mal Ägyptischunterricht?“ fragte Yugi nach dem Unterricht, froh wieder Zeit zum Sprechen zu haben, denn nach dem Diktat hatte keiner der beiden mehr sonderlich große Lust verspürt, noch mehr Zorn des Lehrers auf sich zu ziehen.

„Sie haben doch bei dem Diktat schon ganz gut mitgehalten.“ lobte er. Oder war er ins Fettnäpfchen getreten und die Wortwahl war total daneben? Er biss sich auf die Unterlippe.

„Hier, Herr Yamito, meine Unterlagen.“ Ihre Mitschülerin Naoko hielt Herrn Yamito ihr Heft hin und sah ihn erwartungsvoll lächelnd an. „Damit Sie alles nachholen können.“

„Danke, aber Yugi hat mir schon sein Heft gegeben.“ lehnte Yamito ab.

Yugi riss die Augen auf. Er hatte dem Referendar keineswegs sein Heft gegeben.

„Ach so.“ Das Mädchen zog enttäuscht von dannen, nicht ohne Yugi noch einen giftigen Blick zugeworfen zu haben. Doch was konnte der denn dafür?

„Entschuldige, dass du herhalten musstest.“ Herr Yamito seufzte.

„Die ganzen Mädels … Herr Yamito hier, Herr Yamito da - ich muss dem Einhalt gebieten. Nichtsdestotrotz könntest du mir dein Heft geben.“ Er lächelte leicht.

Yugi schien es, als wüsste Atemu genau, dass er ihm nichts abschlagen konnte. Er reichte ihm sein Heft.

Herr Yamito schloss seine Tasche und hängte sie sich über die Schulter. „Um auf deine Frage zurückzukommen: Ich habe versucht, mir Ägyptisch mit Hilfe einer CD-Rom anzueignen.“

Sie verließen den Klassensaal als letztes. „Dann habe ich aber bemerkt, dass das nicht so ganz das ist, was ich mir darunter vorgestellt habe. Selbststudium ist nicht so ganz mein Fall. Eigentlich müsste man dabei am Ball bleiben, wenn man nur hier und da mal was lernt, weil man immer vorschiebt, keine Zeit zu haben, dann klappt das nie. Und genauso war das auch bei mir. Da mache ich jetzt lieber professionellen Unterricht mit.“ erklärte Yamito ganz offen.

Yugi nickte. Er konnte sich auch nicht vorstellen, genug Disziplin zu haben, eigenständig eine Sprache zu lernen. „Waren sie denn schon mal in Ägypten?“

„Schon mehrfach. Es ist faszinierend, immer nur von einem Land zu lesen und sich dann irgendwann selbst dort vorzufinden. Das Land ist faszinierend.“ entgegnete Yamito. „Und selbst?“

Sie verließen das Schulgebäude und Yugi begleitete ihn noch über den Lehrerparkplatz. „Ja, einmal. Wir haben uns die Grabstätte eines Pharaos angesehen.“

Yugi zog es das Herz zusammen, als er daran dachte. Er warf dem anderen einen Blick zu. Unglaublich, wie ähnlich sich die beiden sahen. Und offensichtlich waren auch die Interessen ähnlich.

Yamito hielt an und Yugi besah sich die beiden Autos, bei denen sie nun standen; ein roter Toyota und ein blauer Mitsubishi.

Doch dann fiel ihm etwas auf, das er zuvor übersehen hatte, denn dazwischen stand ein Motorrad, auf das Herr Yamito nun zuging.

„Sie fahren Motorrad?“ Yugi runzelte skeptisch die Stirn.

„Ja.“ Bei genauerer Betrachtung konnte man seine Jacke tatsächlich als Motorradjacke identifizieren.

Plötzlich hatte er einen Helm in der Hand und wandte sich Yugi wieder zu. „Du bist wohl auch der Meinung, dass das doch viiiiel zu gefährlich ist?“ Er grinste. „Das macht doch den Reiz aus.“

„Hm.“ machte Yugi nur und beäugte das Gefährt kritisch.

Yamito setzte seinen Helm auf, saß auf und startete den Motor. „Man sieht sich.“

Er klappte das Visier runter und brauste schon davon.

Yugi sah dem Referendar gedankenverloren nach.

Natürlich war er etwas besorgt, den man las ja oft von toten Motorradunfallopfern. Viel zu wenig Blech drum herum. Und dann noch im Winter, da war es doch noch gefährlicher.

Aber es war wohl eine Leidenschaft von Herrn Yamito.

Er schüttelte seufzend den Kopf und sah auf die Uhr, wobei er feststellte, dass er rennen musste, wenn er seinen Bus noch erreichen wollte.
 


 

„Na, schon gespannt auf das Duell?“ Téa und Yugi waren gerade vor dem Japanischraum angekommen und mussten warten, bis die Lehrerin kommen würde.

„Naja, seine Art, sich zu duellieren kenne ich ja im Grunde schon. Er wird nur ein komplett anderes Deck haben. Darauf bin ich mehr gespannt.“ erklärte Yugi. „Und ob er die Geschichtsstunde halten wird oder ob er die Zeit lieber nutzt, sich auf das Duell vorzubereiten.“

„Es ist doch nur ein reines Freundschaftsduell. Wieso sollte er sich da vorbereiten?“ wollte Téa wissen.

„Man merkt doch, dass du kaum Erfahrung hast. Man muss sich auf jedes Duell gewissenhaft vorbereiten. Aber die Wetten stehen sowieso zu seinen Gunsten. Keiner traut der Shibata einen Sieg zu.“ Yugi folgte der Lehrerin in den Klassenraum und ging zu seinem Platz.

Téa schnaubte. „Gerade weil Shibata in allem schlecht ist, was sie anpackt, wird es für Yamito doch ein Leichtes sein, sie auch ohne Vorbereitung zu schlagen.“

„Ich weiß nicht so recht. Selbst ich als erfahrener Duellant würde mich vorbereiten wollen.“ erklärte Yugi und sah Téa an, die schon irgendwas schrieb, sobald sie ihr Heft auf dem Tisch hatte und noch ehe die Lehrerin ihren Unterricht begonnen hatte. Er lehnte sich neugierig zu ihr rüber, um lesen zu können, doch sobald er eine günstige Position erreicht hatte, blätterte Téa um.

Der Junge hatte nur noch erkennen können, dass ein loses Blockblatt in dem Heft lag, dass sie eifrig beschrieben hatte. „Und Atemu sicherlich auch.“

„Ja, vielleicht, aber es ist ja nicht so, dass er wieder die Welt retten muss. Er sollte es mal locker angehen und sich aus Spaß duellieren.“ Téa wandte den Kopf in Yugis Richtung.

Dieser verzog das Gesicht. „Jedes Duell ist Training für den Ernstfall. Außerdem, wer sagt denn, dass wir nicht auch Spaß am Duellieren hatten, wenn die Existenz der Welt auf dem Spiel stand?“

„Und dieses ‚Spaß haben’ ist wirklich nicht nur eine Floskel für Joey gewesen?“ kam die Gegenfrage postwendend.

„Nein, natürlich nicht. Er war oft zu verkrampft. Wenn er lockerer war, klappte es viel besser.“ erläuterte Yugi. „Sicherlich, Atemu und ich haben uns oft den Kopf zerbrochen, aber während der Duelle waren wir hochkonzentriert und hatten trotzdem Spaß dabei. Es ist wie beim Hochleistungssport. Große Konzentration und Anstrengung, aber mindestens ebenso viel Spaß. Oder nimm deine Klavierstunden. Geht es dir da nicht genauso? Du hast doch sicherlich auch bei den schwersten Stücken Spaß.“

Téa nickte. „Ja, kann sein. Aber er hatte doch sicherlich auch gestern genügend Zeit.“

Yugi wiegte den Kopf. „Naja, ich weiß nicht, wie schwer es ist, den Unterricht für einen Leistungskurs vorzubereiten. Shimizu wird ihm kaum alles vorkauen.“
 


 

Joey drängte ein paar 5. und 7.Klässler mit dem Ellbogen zur Seite. Diese murrten, wurden aber von ihm ignoriert. Immerhin wollte er einen guten Blick auf das Duell haben.

Die drei anderen folgten ihm, aber weniger rabiat und entschuldigten Joeys Verhalten.

Selbst bei dieser klirrenden Kälte und Schnee war der schuleigene Sportplatz proppenvoll. Es wimmelte nur so von Schülern, die sich dieses Duell um keinen Preis entgehen lassen wollten.

Die Kontrahenten standen in der Mitte des Feldes. Frau Shibata schien sich noch einmal eingehend mit ihrem Deck auseinanderzusetzen, wohingegen Herr Yamito es wieder vorzog, die Schüler rings umher zu betrachten.

„Hat er die Geschichtsstunde denn gehalten?“ erkundigte Téa sich.

„Ja, hat er.“ entgegnete Yugi und warf einen Blick auf Yamito.

„Er scheint das Duell nicht ernst zu nehmen.“ stellte Tristan fest.

„Wieso sollte er auch?“ entgegnete Téa. „Das Duell wird kurz sein.“

Yugi sagte nichts dazu. Er beobachtete Herrn Yamito und versuchte, aus dessen Verhalten schlau zu werden.

Es passte so gar nicht zu dem Bild, das er sich von Atemu gemacht hatte.

Mittlerweile hatte Joey angefangen, mit Téa und Tristan zu diskutieren, ob er das Duell nun ernst nahm, oder nicht. Er hatte Atemu in Schutz genommen. Joey sah Yugi an. „Sag du doch auch mal was!“

„Ich weiß nicht… Atemu hat sich immer auf alle Duelle vorbereitet. Auch wenn er immer mich gegen Téa und Tristan hat spielen lassen. Vielleicht ist er es ja auch gar nicht.“ sprach er seine Vermutung aus.

Seine Freunde sahen ihn schweigend an. Das war sogar wahrscheinlicher, als sie wahrhaben wollten. Sie alle hatten einen sehr guten Freund verloren.

Ein Knacken ertönte aus den Lautsprechern und der Direktor ergriff das Wort. Er begrüßte alle Schüler und auch die Teilnehmer, bevor er das Duell, nachdem das Deck gemischt worden war, für eröffnet erklärte.

Frau Shibata brachte den ersten Zug an und Yugis Aufmerksamkeit wurde in den Bann des Duells gezogen.

Schon nach ein paar Zügen war klar, was Yugi geahnt hatte. Yamitos Deck war ganz auf Ägypten ausgelegt: Steinerne Pyramide, Wandelnde Mumie, Pharaonengrab.

Obwohl Yamtio seit seinem ersten Zug hochkonzentriert war, schien es nicht so, als wolle er das Duell schnell beenden.

Allerdings hatte Yugi nicht damit gerechnet, zwei alte Bekannte auf dem Feld zu sehen.

„Greif an, Ägyptischer Schwarzer Magier!“ rief Herr Yamito und sein Monster fügte dem Gegner einen beträchtlichen Schaden zu.

Yugi riss die Augen auf. Der Ägyptische Schwarzer Magier sah Mahad viel ähnlicher, als es Yugis normaler Schwarzer Magier tat. Auch war er nicht violett sondern sandfarben gekleidet.

Bei seinem nächsten Zug rief Herr Yamito dann das Ägyptische Schwarze Magiermädchen auf und nun war klar, dass Yamito nur darauf gewartet hatte, seine besten Karten zu zeigen und zu vereinigen.

Ab diesem Zeitpunkt war das Duell so gut wie gelaufen.

„Das war ein guter Zug, Mann! Aber ich habe auch nichts anderes erwartet.“ meinte Joey und sah gespannt dem Ende des Duells entgegen, das auch gleich folgte.

Nun kamen die Schüler in Feierlaune.

Niemand hätte es dieser Schreckschraube von Lehrerin gegönnt, zu gewinnen, aber mit Yamito als Sieger waren alle einverstanden.
 


 

„Das war ein gutes Duell, am Freitag.“ begann Yugi montags vor der Geschichtsstunde ein Gespräch mit Herrn Yamito.

Dieser wandte sich Yugi etwas verblüfft zu.

„Findest du? Ich habe mich schon zwei Jahre lang nicht mehr duelliert. Ich hatte eher das Gefühl, als sei ich eingerostet. Dabei duelliere ich mich eigentlich gerne.“

„Und warum haben Sie sich dann zwei Jahre nicht mehr duelliert?“ fragte Yugi verwundert.

Doch dann rief er sich in Erinnerung, dass auch er als leidenschaftlicher Duellant es geschafft hatte, nach Atemus Abschied über ein halbes Jahr nicht sein Deck anzurühren.

Und auch nachdem er nun glaubte, Atemu wieder gefunden zu haben, hatte er sich nicht mehr duelliert.

Herr Yamito sah ihn eine Weile stumm an, als müsse er überlegen, was er sagen sollte.

„Ähm, Entschuldigung, wenn die Frage zu privat ist, dann müssen Sie natürlich nicht antworten.“ stammelte Yugi verlegen und wurde deshalb etwas rot im Gesicht.

„Nein, schon gut. Wir haben nur ein paar Zuhörer.“ Sie saßen gemeinsam in einem anderen Klassenraum als sonst, weshalb Yugi diesmal direkt vor dem Referendar saß und warteten, dass Shimizu endlich eintraf. Der war zu spät.

Nachdem Yamito das gesagt hatte, sah Yugi sich unauffällig um und konnte sehen, wie ein Mädchen sich hastig wieder richtig nach vorne drehte und wie die Ohren eines anderen Mädchens knallrot wurden.

Herr Yamito senkte die Stimme zu einem Flüstern herab und beugte sich etwas näher zu Yugi.

„Vor circa zwei Jahren hatte ich einen Unfall.“ Er machte eine kleine Pause.

Als Yugi etwas sagen wollte, kam er ihm zuvor. „Nein, nicht mit dem Motorrad. Jedenfalls habe ich 1 ½ Jahre im Koma gelegen und war anschließend ein halbes Jahr in der Rhea, um alles wieder zu lernen. Ich konnte mich zwar an alles erinnern, meine Schulzeit, mein Studium, aber ich konnte nur unartikuliert sprechen und mich kaum bewegen. Es war ein hartes Stück Arbeit, wieder auf die Beine zu kommen. Deshalb habe ich mich nicht duellieren können.“

Yugi schlug das Herz bis zum Hals, während er hastig im Kopf zurückrechnete. Vor ca. zwei Jahren hatte er das Milleniumspuzzle zusammengesetzt. Sein Herz begann Purzelbäume zu schlagen. Vielleicht…

„Yugi?“ drang eine Stimme wie aus einer anderen Zeit an sein Ohr. „Ist dir nicht gut? Du bist plötzlich blass geworden. Also wenn dich der Unfallausgang geschockt hat – ich lebe ja noch.“

Yugis Aufmerksamkeit fand den Weg zurück zu Herrn Yamito. „Nein, es geht mir gut.“

„Deshalb bin ich mitten im Schuljahr in mein Referendariat eingestiegen. Was gar nicht so einfach war.“ fuhr der Ältere fort. „Aber dafür werde ich gleich ins kalte Wasser geworfen. Frau Asai geht in 6 Wochen in den Schwangerschaftsurlaub, weshalb ich dann gleich eigenverantwortlichen Unterricht übernehmen muss. Da hier die Geschichts- und Politiklehrer so knapp sind, hat man mich vermutlich genommen, um den Personalmangel zu überbrücken.“

In genau diesem Augenblick betrat Herr Shimizu den Klassensaal und entschuldigte sich für die Verspätung.
 


 

In der Fünfminutenpause ging Yugi schnurstracks zum Chemiesaal, wo Joey und Téa gerade Unterricht hatten und erzählte ihnen alles aufgeregt.

„Und du meinst, da gibt es einen Zusammenhang?“ Die beiden hatten aufmerksam zugehört und Joey wiegte nun nachdenklich den Kopf. „Ich weiß nicht so recht…“

„Wir Asiaten glauben doch an die Widergeburt, also die Seelenwanderung von einem Körper in den nächsten. Wieso soll es dann nicht möglich sein, dass die Seele auf Wanderschaft geht, wenn man im Koma liegt? Vielleicht hat sich Herrn Yamitos Seele dann irgendwie im Milleniumspuzzle verfangen.“ Er war die meiste Zeit der Geschichtsstunde sämtlichen Möglichkeiten gedanklich nachgegangen. „Ich werde es jedenfalls herausfinden.“ erklärte er wild entschlossen.

„Und wie willst du das tun?“ harkte Joey nach.

„Er scheint sich ja an nichts zu erinnern. Und die Komaforschung steht auch vor einem Berg mit Fragen.“ gab Téa zu bedenken. „Obwohl es natürlich schon cool wäre, Gewissheit zu haben.“

„Das weiß ich auch noch nicht. Aber ich werde mir etwas einfallen lassen.“ sagte Yugi bestimmt.

Wandertag

kursiv = Gedanken/ Erinnerungen/ Träume
 


 

2. Wandertag
 

Yugi seufzte.

Das ganze Wochenende saß er nun schon abwechselnd über seinem Geschichtsheft, dem Erdkundeordner und seinen Biologieaufzeichnungen. Wie er es hasste, wenn drei Klausuren geballt innerhalb einer Woche abgeharkt werden mussten.

Aber es wurde nicht besser, denn auch in den nachfolgenden zwei Wochen würde er je zwei Klausuren schreiben müssen und noch so nebenbei standen auch im Fußball die Noten an, bevor es nach den Osterferien mit Schwimmen weiterging. Was absolut Sinnfrei war, denn noch war es Anfang März und somit würden sie auch nach der Benotung noch ein paar Wochen mit Fußball verbringen.

Aber der Lehrer war nicht zu überzeugen gewesen, seine Benotungen zu verschieben. Zumal auch der Wandertag blöderweise auf einen Freitag fiel. Außerdem konnte man für eine Fußballprüfung sowieso nicht lernen. Das war das Hauptargument des Lehrers gewesen.

Yugi seufzte abermals. Über seine Sportnote machte er sich keine Gedanken, was ihn, zu seinem eigenen Erstaunen, mehr beschäftigte, war, dass in der Woche des Wandertages die einzige Stunde, die Herr Yamito bei ihnen hielt, auch ausfallen würde.

Es war gar keine Zeit, sich großartig Gedanken hinzugeben, er musste sich eingehend auf die bevorstehenden Klausurwochen konzentrieren.

Nicht einmal, was sie am Wandertag unternehmen wollten, stand schon fest. Darüber würden sie wohl erst nach den Klausuren diskutieren, also alles ganz kurzfristig und ohne richtig Zeit, etwas zu planen.
 


 

Zunächst einmal stand gleich montags die Klausur für den Block I an, was für Yugi bedeutete, Geschichtsklausur.

Herr Shimizu hatte extra den Biologiehörsaal und den Biologiepraktikumssaal für sich reserviert und die anderen Klassen, die dort eigentlich Unterricht haben würden, in andere Räume verfrachten lassen. Der Kurs wurde auf beide Räume aufgeteilt. Damit war es gewährleistet, dass zwischen jedem Schüler ein Sitzplatz und je eine Reihe vor und hinter den Schülern frei sein würden.

Das war eben der Vorteil, wenn man einen Referendar zur Aufsicht hatte, so konnte der sich um den zweiten Teil der Schüler kümmern. Da Muto weiter hinten im Alphabet drankam, hatte Yugi das Glück, im Praktikumssaal von Herrn Yamito beaufsichtigt zu werden.

Herr Yamito verteilte die Prüfungsblätter und ging dann geduldig die Fragen mit den Schülern durch und erklärte hier und da die nicht immer ganz schlüssige Fragestellung von Herrn Shimizu. Dann stellte er sich vorne ans Pult und überblickte den Raum.

Yugi wandte den Blick von ihm ab. Es machte ihn etwas nervös, dass Atemu dort vorne stand und alles genauestens zu beobachten schien.

Aber noch hibbeliger machte ihn der Gedanke daran, dass er die 03 [*] aus dem vorherigen Halbjahr jetzt wieder rausreißen musste.

Ruhig, Yugi! ermahnte er sich selbst. Er atmete ganz tief durch und machte sich dann daran, die Fragen wie gewünscht zu beantworten, allerdings nicht in der Richtigen Reihenfolge, weshalb er ständig blättern musste, was wiederum Herrn Yamitos Aufmerksamkeit auf sich zog, denn als Yugi kurz aufblickte, kreuzten sich ihre Blicke und Yugi wandte sich schnell wieder ab.

Ob der Referendar jetzt wohl dachte, er hätte Schmierblätter mit eingeschmuggelt? Bloß das nicht! Yugi würde so was auch nie tun, da er sich ja selbst testen wollte und wissen wollte, wie viel er in so kurzer Zeit behalten konnte. Selbst als ihm letztes Halbjahr alles so egal gewesen und er nicht gelernt hatte, hatte er es nie in Erwägung gezogen, unter der Bank zu spicken.

Plötzlich stieß sich Herr Yamito vom Pult, an dem er gelehnt hatte, ab, und ging die Reihen auf und ab.

Yugi fühlte sich bei irgendwas ertappt, das er gar nicht getan hatte. Er versuchte, sich wieder auf die Klausur zu konzentrieren, hatte aber das bestimmte Gefühl, dass ihm jemand über die Schulter blickte. Der Junge starrte den Prüfungsbogen an, unfähig, überhaupt klar zu denken.

Kurz darauf erschien Herr Yamito wieder in seinem Blickfeld und Yugi entspannte sich sichtlich.

Doch dann kam ihm der Gedanke, dass ihn genau das nun verdächtig machen konnte und er schielte wieder zu dem Referendaren, der nun an der Fensterbank lehnte und, die Arme verschränkt, alles überblickte.

Etwas beruhigt, dass der Referendar gerade eine hintere Reihe anvisierte, wandte Yugi sich wieder den Fragestellungen zu.

Nach einer Weile war Yugi so vertieft in seiner Arbeit und im fleißigen beantworten der Fragen, dass er erschrocken zusammenzuckte, als plötzlich eine leise Stimme neben ihm auftauchte.

„Entschuldige, darf ich das mal sehen?“ Der Referendar hatte wieder seine Position gewechselt, doch im Gegensatz zu Yugis Empfinden stand er nicht direkt neben ihm, sondern bei dem Mädchen zwei Reihen direkt hinter ihm. Er schielte zu Ikumi hinüber und bemerkte, dass diese sehr blass geworden war.

Stumm reichte sie dem Referendar ihr Heft. Dieser blätterte kurz und behielt das Heft dann in der Hand. „Du kannst den Raum verlassen.“ Ohne ihr das Heft zurückzugeben nahm er seinen Platz am Pult wieder ein.

Yugi riss erstaunt die Augen auf.

Herr Yamito hatte also nicht die ganze Zeit ihn anfixiert sondern musste schon die ganze Zeit Ikumi unter Verdacht gehabt haben. Er hatte eine Schülerin beim Spicken erwischt, das bedeutete nur eins für sie: 00. Yugi sah den Referendar bewundernd an.

Normalerweise beaufsichtigten Referendare nicht eigenverantwortlich eine Klausur und er hatte gleich einen Extremfall zu behandeln. Dass er sie gleich durchschaut hatte.

Nachdem Ikumi ihre Sachen zusammengepackt hatte, verließ sie den Raum, nicht ohne Herrn Yamito noch einen vorwurfsvollen, wütenden Blick zuzuwerfen. Doch dieser ignorierte sie völlig und betrachtete die restlichen Schüler eingehend.

Wenn er aber damit rechnete, dass jetzt irgendjemand hastig seine Spicker verschwinden ließ, dann wurde er enttäuscht. Die anderen Schüler waren wohl alle ehrlich. Oder geschickter.
 


 


 

Am Ende der Klausur gab Yugi sein Heft als letzter ab. Dabei sah er lieber auf das Pult, als dem Referendar ins Gesicht. Er wandte sich ab.

„Ich würde noch gerne mit dir über deinen letzten Essay sprechen, Yugi“, hielt dieser ihn jedoch auf.

Yugi sah unsicher zu ihm auf und blieb am Pult stehen. Er wusste nicht, was er jetzt erwarten sollte.

War sein letzter Essay so schlecht gewesen?

„Es würde mich mal interessieren, woher du deine Informationen über Pharao Atemu hast“, fuhr der Referendar fort. „Soweit ich weiß, gelten alle Hinweise auf ihn als verschollen.“

Yugi war überrascht. Es war zwar sein Plan gewesen, Herrn Yamito mit Atemu zu konfrontieren, aber mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet.

Er hatte es für wahrscheinlicher gehalten, dass Herr Yamito ihn für verrückt erklären würde, da er noch nie etwas von Atemu gehört hatte, dass er wohlmöglich von Yugi enttäuscht war, irgendwelchen Fehlinformationen erlegen zu sein.

Doch wie sollte er auf diese Frage antworten? Er konnte ihm schlecht die Wahrheit erzählen.

Da Yugi schwieg, redete Herr Yamito weiter: „Aus dem Internet?“ tippte er.

„Äh, nein, mein Großvater…“, begann Yugi, wusste aber nicht so recht, was er seinem Lehrer überhaupt erzählen sollte.

„Ach ja, Salomon Muto, nicht wahr? Ich habe schon viel von ihm gehört!“ Herr Yamito lächelte. „Er hat also ein Artefakt gefunden, das auf Atemu hindeutet?“

„Ähm, ja“, Könnte man so sagen. Immerhin war es nur durch das Milleniumspuzzle dazu gekommen, dass Atemu und er sich kennen gelernt und auf die Suche nach seinem Namen gemacht hatten.

„Was hältst du von der These, dass Atemu und der verschollene Pharao User-Ka-Re die gleiche Person waren?“ fragte Herr Yamito weiter. Er bedeutete Yugi, dass sie den Saal verlassen sollten.

„Niemals!“ rutschte es Yugi sofort etwas zu heftig heraus.

„Nein? Und wieso nicht?“ wollte Herr Yamito interessiert wissen. Er sperrte den Saal ab.

„Weil doch alle Hinweise auf User-Ka-Re nur deshalb vernichtet wurden, weil er so ein Tyrann war! Er hat sich unrechtmäßig und mit Gewalt den Thron unter den Nagel gerissen! Deshalb hat sein Nachfolger sogar die Grabkammer von dessen Bediensteten geöffnet und alle Steintafeln, auf denen User-Ka-Re erwähnt wird, zerstört. Deshalb gibt es auch keine Pyramide von User-Ka-Re“, erklärte Yugi aufgebracht. Atemu wäre zu Gewalt und Tyrannei gar nicht fähig gewesen. Außerdem hatte er oft genug die Welt gerettet.

„Ja, aber das erklärt nicht, weshalb du es für unwahrscheinlich hältst, dass sie ein und dieselbe Person waren.“ Herr Yamito spießte Yugi mit seinem Blick auf. So kam es diesem jedenfalls vor.

Er wollte also einen genauen Grund. Yugis Gedanken rasten.

Wie sollte er das Vorgefallene erklären, ohne dass sein Gegenüber ihn für verrückt erklärte?

Der Junge zwang sich zur Ruhe. „Bei den Steintafeln, die eindeutig Pharao Atemu zugeordnet werden, wurde nur sein Name aus dem Stein gekratzt. Bei User-Ka-Re wurden die ganzen Steintafeln abgeschlagen und zerschlagen. Die existieren wahrscheinlich gar nicht mehr. Atemus Taten sind noch überall zu lesen und mir scheint es, als sei er ein guter Pharao gewesen, der auch an seine Untertanen gedacht hat. Er hat nur Kriege geführt, wenn es nicht zu vermeiden war. Die Gesichter der Untergebenen in den Steintafeln von User-Ka-Re wurden ausgeritzt, weil offensichtlich jemand nicht wollte, dass diese im Jenseits weiterleben, was bei den Steintafeln über Atemu nicht der Fall ist. Man weiß zwar kaum etwas über User-Ka-Re, aber er war wohl das genaue Gegenteil zu Atemu.“

Yugi wurde stumm und trottete, den Blick auf den Boden gerichtet, neben dem Referendar her.

„Ich wurde nach ihm benannt“, erklärte Herr Yamito nach einer Weile des Schweigens. „Und der Name des ägyptischen Gottes der Erde als Zweitname. Die Ägyptenfaszination liegt in der Familie.“

Yugi legte den Kopf schief. Wer wurde wie benannt? Irgendwie kam er gerade nicht mit.

Herr Yamito schien seine Verwirrung zu bemerken. „Ich heiße mit vollem Namen Atemu Geb Yamito.“

Jetzt fiel es Yugi wie Schuppen von den Augen. Er hieß genauso wie sein bester Freund? Aber… „Dann gab es schon vor, sagen wir, 25 Jahren Hinweise auf Atemu?“

Herr Yamito nickte. „Meine Eltern waren kurz zuvor in Ägypten gewesen. Dort haben sie den Namen wohl aufgeschnappt. So wurde es mir jedenfalls erzählt“, meinte er und setzte dann hinzu: „24.“

Hatte Yugi schon wieder etwas verpasst? Was sollte er denn mit der einfach in den Raum geworfenen Zahl anfangen? Doch Moment, war das etwa sein Alter?

Er rechnete im Kopf nach. „Mit 19 Abi, 9 Semester Regelstudienzeit, 2 Jahre Koma… Dann müssten Sie doch 26 sein.“

Dass er seine Berechnungen laut ausgesprochen hatte, bemerkte er erst, als Herr Yamito seufzte.

„Als ich 5 war, sind wir nach England gezogen. Dort wird man schon mit fünf Jahren eingeschult, also auch ich. In der Grundschule war ich ein Überflieger, also habe ich die 2. Klasse übersprungen. Zurück in Japan war ich dann immer zwei Jahre jünger, als meine Klassenkammeraden. Das war ganz schön hart. Dafür wäre ich in der 10. fast wegen Mathe und Physik sitzen geblieben.“ Herr Yamito grinste schief. „Was ja nicht weiter tragisch gewesen wäre, so wäre ich näher an meinen Altersgenossen gewesen. Das Studium habe ich in 10 Semestern geschafft. Danach habe ich meinem Vater zuliebe ein Praktikum in seiner Firma absolviert, bis zu dem Unfall, der meine beiden Überfliegerjahre sozusagen wieder ausgeglichen hat. Und jetzt bin ich hier und langweile dich mit meinem Privatleben.“

Yugi winkte ab. „Ist doch einiges in Ihrem Leben passiert.“

Seit der Preisgabe des Vornamens des Referendars wollte er sowieso alles über ihn wissen. Er schätzte die Wahrscheinlichkeit wieder höher ein, dass er doch der Atemu war, den er kannte.

Gerade als sie vor dem Lehrerzimmer ankamen, klingelte es.

„Uh, jetzt haben wir die ganze Pause vertrödelt!“ stellte Herr Yamito fest.
 


 

„Oh Mann, bin ich alle!“ Joey ließ sich stöhnend auf einen der gepolsterten Stühle vor dem Sekretariat fallen.

„War’s denn so schlimm?“ fragte Téa mitfühlend. Die beiden hatten zeitgleich ihre Chemie-Klausur geschrieben.

„Jaha, das sagt genau die Richtige! Du bist in der Schule ja auch ein As!“ begehrte Joey auf und sah hoch, als Tristan an ihren Tisch trat.

Yugi hatte schon vorher in der Sitzgruppe gesessen und Joeys Ansage war in erster Linie an ihn gerichtet gewesen.

Téa verzog das Gesicht. „Ich glaube, diese Klausur habe ich auch in den Sand gesetzt. Die ganzen Redoxgleichungen sind mir zu schwammig. Man kann da ja im Grunde alle Elemente verbinden, rein gleichungsmäßig. Mir ist es lieber, wenn ich weiß, woran ich bin.“

„Jaha, das sagst du jetzt, aber mit Sicherheit hast du wieder eine 14!“ antwortete der Blonde.

„Fragt mich denn auch mal einer, wie’s bei mir gelaufen ist?“ wollte Tristan scherzhaft bis ernst wissen.

„Nein! Was soll denn an Englisch so schwer gewesen sein, dass man damit Probleme gehabt haben könnte?“ erwiderte Joey und knallte sein Chemieheft, dass er in der Hand hatte, um zu nachzusehen, ob er wenigstens die Zeichnungen richtig angelegt hatte, auf den weißen Tisch vor sich.

„Ach so, dann darf ich mich also erst nach der Physikklausur aufregen?“ wollte Tristan daraufhin wissen.

Während zwischen den beiden der schönste Streit ausgebrochen war, wandte Téa sich an Yugi. „Was ist los? Du sagst ja gar nichts!“

„Herr Yamito musste heute hart durchgreifen“, kam Yugi gleich zum Punkt. „Er hat jemanden beim Spicken erwischt und raus geschickt. Er hat das Heft gleich behalten. Wird wohl eine 00 sein.“

„Und wieso bedrückt dich das?“ wollte Téa weiter wissen.

„Sieht es so aus? Nein, es bedrückt mich nicht, er hat vollkommen richtig gehandelt. Aber ich dachte zuerst, er hätte mich in Verdacht“, erklärte er weiter.

Die beiden anderen hatten ihre Kabbelei gleich aufgegeben, als Yugi mit seiner Erzählung begonnen hatte.

Joey sah seinen Freund schief an, doch Yugi kam ihm zuvor. „Nein, natürlich habe ich nicht gespickt. Aber er hat die ganze Zeit mich angeguckt. Ich glaube, er hat einfach nur an mir vorbeigeschaut oder er wollte ihr nicht den Eindruck vermitteln, dass er etwas ahnte. Vielleicht hat er deswegen häufig mich angeguckt, immerhin habe ich direkt vor ihr gesessen. Um sein Vorhaben zu verschleiern.“

Er dachte daran, wie unwohl er sich gefühlt hatte, bei seiner Vermutung, Herr Yamito würde ihn fälschlicherweise verdächtigen. Ihm hatten sich die Nackenhaare regelrecht aufgestellt.

„Und verrätst du uns auch, wer es war?“ Joey beugte sich neugierig vor.

„Nein, werde ich nicht. Das scheint mir nicht richtig“, erklärte Yugi.

Er konnte nicht genau einschätzen, wie sein Freund reagieren würde, aber er konnte sich vorstellen, dass er das Mädchen bloßstellen würde, einfach nur so zum Spaß, anstatt sie in Ruhe zu lassen. Für sie war es wahrscheinlich schon schlimm genug, überhaupt erwischt worden zu sein, da wären Joeys dumme Sprüche fehl am Platz. „Vielleicht wirst du es auch so erfahren, wenn irgendjemand im Kurs nicht seine Klappe halten kann.“

Joey wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch dann nickte er einfach nur.

„Nur noch Erdkunde und für diese Woche sind die Klausuren so gut wie erledigt“, seufzte er nach einer Weile wohlig.

„Ja, wenn man dann nur noch Japanisch schreibt“, stieg Yugi auf das Gespräch ein. „Ich habe noch zwei Lernfächer vor mir: Erdkunde und Biologie.“

„Tja, Pech gehabt, Alter. Hättest du Musik gewählt oder eine Naturwissenschaft als Leistungskurs…“, setzte Joey zu einer weitschweifigen Erklärung an.

„Jaja, ich weiß, was dann wäre. Aber ich bin mit meinen Fächern sehr zufrieden. Immerhin habe ich alles selbst gewählt“, unterbrach Yugi ihn.

„Und dann noch Ägyptisch als Zusatzfach, ich werd nicht mehr!“ stöhnte Joey, aber in genau dem Moment beendete die zweite Pausenklingel das Gespräch.
 


 

„Wie hat Herr Yamito eigentlich die Ägyptischklausur empfunden?“ erkundigte Téa sich mittwochs zwei Wochen später. Am Vortag hatten sie die letzten Klausuren geschrieben.

Yugi runzelte die Stirn. „Keine Ahnung, ich hatte gestern keine Gelegenheit, danach zu fragen.“

„Dann wird’s aber Zeit!“ stellte Joey fest. „Mich würde schon interessieren, wie er als Referendar so eine Klausur bewertet.“

„Naja, er macht das ja freiwillig. Und als Referendar hat er auch Prüfungen“, wehrte Yugi den unausgesprochenen Auftrag ab, Herrn Yamito darüber auszufragen.

„Ja, schon, aber das war eine Schülerklausur!“ erwiderte Joey. „Du kannst ihn doch einfach so nebenbei fragen, schließlich belegt ihr den Kurs zusammen!“

„Schülerklausur, Referendarsprüfung, ich glaube nicht, dass das ein allzu großer Unterschied ist“, meinte auch Tristan. „Beides wird ihn nervös machen.“

Er sah zu, wie die Sekretärin ein neues Blatt am Schwarzen Brett befestigte und ging gleich darauf zu. „Die Wandertagszuteilung für die 12. und 13.klässler!“ rief er erstaunt aus, was auch die anderen drei anlockte.

Sie suchten ihre Namen und warfen dann einen Blick auf die betreuenden Lehrer.

„Sag mal, Shimizu ist doch gar nicht dein Tutor?“ wandte Tristan sich an Yugi.

Yugi besah sich die Auflistung. Unter Shimizus Namen stand als erster der von Atemu Yamito, bevor die Namen der Schüler folgten. „Nein, aber Fukujama hat noch eine Mittelstufenklasse als Klassenlehrer. Shimizu hat wohl keine Klasse.“

Téa quiekte. „Habt ihr eigentlich schon mal auf den Vornamen des Referendars geachtet?“

Tristan und Joey wandten synchron den Kopf und suchten den Namen wieder.

„Atemu!“ riefen sie wie aus einem Mund und sahen gleichzeitig Yugi an, den das nicht zu überraschen schien.

„Das weiß ich schon“, erklärte dieser kleinlaut.

„Wie bitte? Und du erzählst uns das nicht?“ schrie Joey aufgebracht, so dass es an den kahlen Wänden widerhallte. „Woher weißt du es? Und seit wann?“

Yugi seufzte laut, doch bevor er überhaupt anfangen konnte, klingelte es.

„Denk nicht, dass du so einfach um eine Erklärung drum herum kommst! Nur weil es jetzt klingelt! Wir unterhalten uns später!“ rief Joey und wollte sich umdrehen.

„Nach dieser Stunde habe ich frei“, erinnerte Yugi ihn. Er hatte keine Lust, noch eine Stunde länger in der Schule zu sitzen, nur weil Joey das so wollte.

Joey blieb stehen und sah ihn an. „OK, dann kommen wir heute Mittag bei dir vorbei.“

Tristan nickte zustimmend und Téa verzog das Gesicht. Sie hatten ja zusammen Japanisch, aber nun musste sie warten, bis die anderen beiden dabei waren, Yugi brauchte es schließlich nicht zweimal zu erzählen.

Yugi zuckte mit den Schultern. „Tut, was ihr nicht lassen könnt.“

Ihm war das egal. Er konnte ihnen auch die Geschichte erzählen.
 


 

„Das hat er dir erzählt? Einfach so?“ Téa nippte an ihrem Tee.

Sie saßen zu viert bei Yugi zu Hause in dessen Zimmer auf dem mintgrünen Teppich und Yugi hatte ihnen gerade von dem Gespräch mit Herrn Yamito erzählt. Alle vier hatten eine dunkelrote dampfende Tasse in der Hand und ein Teller mit Keksen stand zwischen ihnen.

Yugi zuckte mit den Schultern. „Hat sich eben so ergeben.“

„Ja, aber schon allein bei dem Gespräch hast du ihm doch sehr viele Informationen entlockt“, stellte Tristan anerkennend fest. Er griff nach einem der Nusskekse.

„Und dann erzählst du uns nix! Schöner Freund bist du!“ Joey nahm Yugi in den Schwitzkasten und strubbelte ihm kräftig durchs Haar.

Yugi versuchte lachend, sich zu befreien.

„Ich hatte eben nur die Klausuren im Kopf! Du weist doch, dass ich mich jetzt anstrengen muss!“ meinte er dann ernst.

„Jaha, das verstehen wir natürlich!“ lenkte Joey ein und ließ seinen besten Freund los.

„Was denkst du, werdet ihr am Wandertag machen? Unsere Tutorin hat wie immer keinen Plan!“ Er warf Téa einen Blick zu, mit der er in einem Tutorat war.

„Weiß nicht, er sieht sehr sportlich aus, deshalb tippe ich auf das normale Wandern. Aber auf der anderen Seite bestimmt wahrscheinlich Shimizu, was wir machen. Und der ist alles andere als sportlich.“ Nach Joeys Attacke versuchte Yugi nun, seine Haare wieder einigermaßen herzurichten.

„Wir gehen ins Sealifecenter, zu den Haien.“ Tristan setzte ein gelangweiltes Gesicht auf und verdrehte die Augen. „Als ob ich da nicht schon oft genug gewesen wäre!“

„Haie passen doch zu dir!“ lachte Joey, woraufhin er von Tristan einen leichten Fauststoß in die Rippen erhielt.

„Eure Tutorin scheint ja nicht die Schnellste zu sein, immerhin ist der Wandertag schon am Freitag“, meinte Yugi und legte sich auf den Bauch, den Oberkörper mit den Ellbogen abstützend.

„Ja, und da wir Chemie erst wieder am Donnerstag haben, wird es wohl damit enden, dass wir entweder in den Stadtpark gehen oder wir tappen um irgendeinen zugefrorenen See herum“, meinte Joey missmutig.

„Aber du bist ja auch nicht besser dran, Yugi“, stellte Téa fest.

„Nein, aber ich habe wahrscheinlich den besten Betreuer dabei, den ich mir wünschen kann“, erklärte Yugi lächelnd. „Da ist das, was wir machen, doch nebensächlich!“

Joey runzelte die Stirn. „Du scheinst ja einen Narren an dem Referendar gefressen zu haben. Aber eigentlich hast du ja Recht. Tauschen wir?“ Er setzte seinen berühmten Dackelblick auf.

„Nie im Leben!“ lachte Yugi.
 


 

Der Treffpunkt freitags war vor der Schule, wie bei den meisten anderen Klassen auch.

Herr Shimizu ging die Anwesenheitsliste durch, denn es waren schon viele volljährig und ein Wandertag nicht jedermanns Sache.

Währendessen lehnte Herr Yamito dick in Winterjacke, scheinbar meterlangem Schal und Wollmütze, die er sich tief in die Stirn gezogen hatte, gehüllt, aber dennoch lässig an der Eisenstange, die den Lehrerparkplatz von gewerblichem Parkplatz trennte.

Er überblickte einmal mehr die Schülermenge vor sich und versuchte wohl, die Gesichter unter den verschiedenfarbigen Mützen zu identifizieren und ihnen einen Namen zuzuordnen. Er stand direkt neben Shimizu und er hatte den Schal auch über Mund und Nase geschlungen, so dass nur noch die dunkelvioletten Augen zu sehen waren.

Yugi gab ein etwas heißeres „Hier!“ von sich, als Shimizu seinen Namen vorlas und er hatte den Eindruck, als würden Herrn Yamitos Augen dabei aufblitzen.

Unter Shimizus Führung schlugen sie eine Straße weg vom Schulgebäude ein. Zu Yugis Erstaunen schienen die anderen Klassen alle einen anderen Weg zu bevorzugen, denn soweit er es beurteilen konnte, war ihr Tutorat die einzigen, die diese Richtung einschlugen.

Am Morgen war es ihm noch möglich gewesen, kurz mit Joey und Téa zu reden, die Recht behalten hatten: Ihr Tutorin würde sie geradewegs in den Stadtwald und dann um irgendeinen zugefrorenen See führen.

Sie selbst wollten auch in einen Wald gehen, allerdings etwas außerhalb, was bedeutete, dass sie erst noch einen Fußmarsch vor sich hatten, bevor sie den verschneiten Wald betreten würden.

Dort betrachtete Yugi die eingeschneiten Bäume. Eigentlich war so eine Schneewanderung doch ganz nett. Alles so schön weiß, nur eben sehr kalt. Es sah lustig aus, wie die Äste sich teilweise unter den Schneemassen bogen und dann weißer Puder herunter fiel, wenn die Schüler sie streiften oder zu sich herunter zogen.

„Ich habe gehört, dass die Klausuren am Dienstag eure letzten gewesen sind.“ Herr Yamito tauchte neben ihm auf. Trotz des Schals war er gut zu verstehen. „Du siehst auch nicht mehr so gestresst aus, wie in den letzten 3 Wochen.“

Yugi wurde rot im Gesicht und das nicht wegen der Kälte, sondern vor Verlegenheit.

Das war ihm aufgefallen?

„Ja, Ägyptisch war die Letzte“, bestätigte er, wusste aber nicht, was er sonst noch sagen sollte.

Doch dann fiel ihm wieder ein, was die anderen gesagt hatten.

Er hatte es ja eigentlich nicht zur Sprache bringen wollen, aber offensichtlich wollte Herr Yamito mit ihm reden. Vielleicht fand er Shimizu unsympathisch, denn der trottete noch immer vor den Schülern her. Normalerweise blieben die Lehrer doch unter sich.

Aber wenn er jetzt nicht irgendwas sagte, war Herr Yamito genauso schnell wieder verschwunden, wie er neben ihm aufgetaucht war.

„Die ist bei mir eigentlich ganz gut gelaufen. Wie war das bei Ihnen?“ erkundigte er sich.

Er sah zu ihm herüber, aber er war noch immer vermummt und daher nichts in seinem Gesicht zu lesen. Die Augen hatte er auf den Schneebedeckten Weg gerichtet, die behandschuhten Hände in den Jackentaschen vergraben, genau wie Yugi selbst.

„Was meine Leistung betrifft bin ich eher skeptisch. Ich habe zwar viel gebüffelt, aber ich musste ja ein ganzes Halbjahr nachholen. Die Übersetzung lief wohl ganz gut und das Diktat durfte ich ja üben.“ Er spielte auf seine erste Unterrichtsstunde an. „Zu meinem Leidwesen hatte ich in der Woche vorher noch eine Referendariatsprüfung in der 8. Klasse in Politik.“

„Wie ist es gelaufen?“ wollte Yugi wissen und warf einen Blick zu ihm rüber. Er konnte sehen, wie Atemu Yamito die Augen leicht zusammenkniff.

„Im Endeffekt habe ich ein 08 bekommen.“ Er schien nicht zufrieden mit sich selbst.

„Solche Noten sind Sie wohl nicht gewöhnt?“ lächelte Yugi.

Herr Yamito richtete seinen Blick vom Boden, wo dieser die ganze Zeit über gehaftet hatte, auf Yugis Gesicht. „Wie kommst du denn darauf?“

In seiner Stimme schwang Überraschung mit. „Nein, ich habe dir doch schon einmal erzählt, dass ich fast sitzen geblieben wäre. Nein, es waren einfach nur blöde Fehler, die mir unterlaufen sind. OK, Fehler in dem Sinn waren es auch nicht, aber ich habe mir die Zeit absolut falsch eingeteilt.“

Sie folgten den anderen Schülern auf eine große Lichtung und schwiegen eine Weile.

Plötzlich spürte Yugi, wie etwas Hartes an ihm abprallte. Völlig perplex sah er dem Schnee zu, wie er von seiner Jacke runterrieselte. Er hob den Kopf und hatte gleich den Schneeball werfenden Übeltäter ausgemacht. „Na warte!“ rief er, bückte sich und schob den Schnee in seinen Händen zusammen, dann feuerte er, doch Herr Yamito wich aus und die Schneekugel streifte ihn nur.

Als hätten alle anderen nur auf ein Startsignal gewartet, war ziemlich schnell eine wilde Schneeballschlacht jeder gegen jeden im Gange.

Während Herr Yamito lachend seinen Schal vom Gesicht schob, da es ihm unter selbigem bald zu warm wurde, stand Herr Shimizu unangetastet und etwas betröppelt noch immer am Anfang der Gruppe und sah den Schülern und dem Referendar einfach nur zu.
 


 

Nach einer Stunde waren viele so fix und alle, dass sie sich einfach auf den schneebedeckten Boden setzten und streikten. Sie hatten sichtbar keine Lust mehr, sich zu bewegen.

Nun meldete Shimizu sich wieder zu Wort. „Es ist schlecht für eure Gesundheit, wenn ihr einfach so auf dem Boden sitzt! Wir müssen weiter!“

Die Schüler stöhnten und machten keine Anstalten, sich zu bewegen. Nur Herr Yamito und Yugi, die das Ganze begonnen hatten, waren noch auf den Beinen.

„Er hat Recht. Ihr holt euch noch eine fette Lungenentzündung“, bemerkte Herr Yamito während er sein Gesicht wieder einwickelte.

Erst auf die bestätigende Aussage des Referendars hin erhoben die Schüler sich, wenn auch nur murrend.

Auf Grund seines jungen Alters hatte er eindeutig den besseren Draht zu den 12.klässlern.

Außerdem hatten wohl viele gesehen, dass er den ersten Schneeball geworfen und auch danach fleißig mitgemischt hatte. Also war er schon irgendwie in ihrer Gruppe gewesen, während Shimizu nur dagestanden hatte und nicht gewusst hatte, wie er das Ganze beenden sollte.

Die Gruppe ging weiter und verließ nach einiger Zeit den Wald. Sie gingen über mehrere Straßen, bis sie dann schließlich vor der Eishalle standen. Jetzt war Schlittschuhlaufen angesagt.

Erst wurde ein gemütliches Picknick an den Spinden veranstaltet, da es genau Mittagszeit war. Dann schloss man die überflüssigen Habseligkeiten in eben jene ein und stellte sich zum Schlittschuhausleihen an.

Yugi betrachtete skeptisch seine etwas abgenutzt wirkenden silbergrauen Schlittschuhe in der Hand.

Er hatte noch nie auf dem Eis gestanden. Sich an den anderen orientierend, ging er zunächst wieder zurück zu den Bänken, um die Schuhe zu wechseln. Danach eierte er ein wenig auf dem normalen Untergrund herum, um die Straßenschuhe wegzusperren, bis er merkte, dass es gar nicht so schwer war, mit Kufen auf dem extra für diesen Zweck mit einem ihm unbekannten Material beschichteten Untergrund zu gehen.

Dann folgte er den anderen zur Eisfläche, sah ihnen aber erst einmal zu.

Herr Yamito betrat vor ihm die Eisfläche, dann setzte er als Letzter seines Kurses den ersten Fuß auf das Eis.

Jetzt musste er nur noch zusehen, dass er sich einigermaßen halten konnte und trotzdem zumindest etwas vorwärts kam. Die ganze Zeit starrte er nur auf die Eisfläche und versuchte krampfhaft, seine Füße am Wegrutschen zu hindern.

Er hielt sich an der Bande fest und sah wieder zu den anderen.

Aus den Augenwinkeln konnte er erkennen, wie eine dunkelblaue Gestalt einen Bogen fuhr und seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war Herr Yamito, der geradewegs auf ihn zu fuhr.

Elegant bremste er vor Yugi ab. „Das erste Mal?“ Er lächelte ihn aufmunternd an.

Yugi nickte etwas peinlich berührt und richtete den Blick auf das Eis.

„Komm, ich helfe dir!“ Yamito hielt ihm seine nun unbehandschuhte Hand hin.

Nach anfänglichem Zögern ließ Yugi die Bande los und griff danach.

„Du musst die Knie etwas krümmen und den Oberkörper leicht nach vorne beugen“, erklärte der Referendar und zog Yugi langsam ein Stück mit sich. „Füße nach außen gleiten lassen.“

Das hörte sich ja alles ganz toll an, aber wenn einem die Füße unterm Hintern wegrutschten und man nicht viel dagegen machen konnte, dann half das nicht weiter.

Herr Yamito stoppte. „Versuch, die Füße so hinzustellen.“ Er machte es ihm vor.

Yugi besah sich die Stellung, hatte aber im Grunde zu viel Angst, seine Füße anzuheben, da er dann kurzzeitig nur auf einem Bein stehen würde.

Als Yugi einfach ängstlich so stehen blieb, wie er war, ging Herr Yamito in die Hocke und versuchte, Yugis Füße zu richten. „Das hat wenig Zweck“, stellte er fest.

Er richtete sich wieder auf, bückte sich und schlug Yugi einmal kräftig in die Kniekehle.

„Ah!“ schrie Yugi erschrocken auf, als sein rechtes Bein wegknickte und ganz schön ins Schlittern geriet.

„Keine Sorge, ich hab dich!“ Tatsächlich hatte der Referendar seinen Arm um Yugis Bauch geschlungen, so dass dieser mehr an Yamito hing als noch irgendwie selbst stand.

Automatisch hatte er die Beine wieder gerader gemacht, aber sie waren nicht mehr so durchgestreckt wie zuvor, sondern hatten einen kleinen Knick. „Die Knie genau so lassen!“

Yugis Augen waren schreckgeweitet. Aber seine jetzige Situation ließ ihn bemerken, dass Yamito Recht hatte: er brauchte sich über sicheren Halt keine Sorgen zu machen.

„OK?“ Yamito half Yugi, sich wieder aufzurichten, allerdings nicht ganz, immerhin gehörte der Oberkörper leicht nach vorne. „Ich fahre jetzt rückwärts und du hältst dich an meinen Unterarmen fest.“

Yugi kam seiner Aufforderung nach. Er ergriff Yamitos Unterarme nah an den Ellbogen.

Vorsichtig fuhr Yamito an und zog Yugi mit sich über die Längsbahn der Eisfläche.

Dennoch sah Yugi lieber auf seine Schlittschuhe und die dunkelblauen des Referendars.

„Das klappt doch schon ganz gut!“ lobte Herr Yamito. „Jetzt musst du das Gewicht auf links verlagern, es kommt eine Kurve.“

Erschrocken hob Yugi den Kopf, sah dem anderen über die Schulter und stellte fest, dass er Recht hatte. Er biss sich auf die Unterlippe.

„Außerdem solltest du mit dem linken Fuß kleinere Schritte machen und mit rechts länger gleiten“, fuhr Yamito fort.

Noch was? Yugi kam sich etwas überfordert vor. Drei Sachen gleichzeitig und dann noch Oberkörper und Knie nicht vergessen.

Yugi begann sofort, das gehörte umzusetzen und rasselte gleich in Herrn Yamito rein. Er krampfte die Finger in dessen Oberteil, fand sein Gesicht an seine Brust gedrückt wieder und spürte zu allem Überfluss auch noch den Oberschenkel des Älteren zwischen seinen Beinen.

Hochrot wollte er sich so schnell wie möglich von seinem Gegenüber lösen, doch rückwärts fahren konnte er ja auch nicht und so wäre er beinahe nach hinten übergekippt und auf dem Allerwertesten gelandet, wenn Herr Yamito ihn nicht schnell fest gepackt hätte.

„Du hast von dir unbemerkt das Tempo erhöht und ich bin gleichmäßig weitergefahren, deshalb der Zusammenprall“, erklärte Herr Yamito mit ruhiger Stimme.

Es schien ihm nichts auszumachen, dass Yugi ihm unbeabsichtigt so nahe gekommen war. Auch über die plötzliche Röte in seinem Gesicht sah er hinweg. „Vielleicht solltest du versuchen, ein paar Runden ohne Festhalten zu drehen, dann kannst du dich mit den Armen ausbalancieren.“

Yugi seufzte innerlich auf. Jetzt wollte er doch von ihm weg, es war ihm also doch peinlich!

In welche Lage hatte er sie beide nur gebracht?

Er schloss die Augen und atmete tief durch. Doch als er die Augen wieder öffnete, stand Atemu noch immer neben ihm und wartete offensichtlich, dass Yugi anfing.

Zögerlich versuchte er, seine Anweisungen alleine umzusetzen, in ständiger Begleitung seines Aufpassers.

Zu seinem Erstaunen klappte das Fahren jetzt noch gar nicht mal so schlecht. Er fuhr zwar Anfängerstyle, aber er kam voran, und das noch nicht einmal so eiernd.

„Sieht so aus, als wäre ich vorhin nur eine Bremse für dich gewesen“, stellte Yamito lächelnd fest.

Yugi hob den Kopf und lächelte zurück, richtete den Blick dann aber schnell wieder unsicher nach unten.

Wieso blieb Yamito die gesamte Zeit bei ihm? Für ihn als erfahrenen Läufer war es doch sicherlich langweilig, sich dem Schneckentempo eines blutigen Anfängers anzupassen.

„Können Sie auch Pirouetten?“ wollte er dann einfach wissen.

Für ihn kam rückwärts fahren schon so vor, als hätte er gerade zu sprechen gelernt und solle gleich eine neue Sprache lernen.

Herr Yamito ließ ein angenehmes warmes Lachen ertönen. „Nein, nein, so gut bin ich auch nicht. Vorwärts, rückwärts und Kurven, mehr brauche ich auch nicht. Solange ich dort hinkomme, wo ich hin will.“

„Apropos hin wollen: wollen Sie nicht mal ein paar schnelle Runden fahren? Sie haben mich ja ziemlich schnell wieder eingeholt.“ Yugi lächelte schief.

„Es macht mir nichts aus, bei dir zu bleiben, falls du das meinst“, erklärte Yamito, doch seine Aufmerksamkeit wurde von etwas am anderen Ende der Eisfläche angezogen.

Yugi folgte seinem Blick und sah, wie Herr Shimizu in ihre Richtung winkte.

„Er will wohl, dass Sie zu ihm kommen,“ stellte er fest.

„Sieht so aus, als würde ich doch noch zu einer schnellen Runde kommen“, entgegnete Yamito missmutig.

„Du entschuldigst mich?“ Yamito kam Shimizus Aufforderung nur widerwillig nach.

Yugi ließ seinen Blick nicht von dem Referendar und sah zu, wie dieser geschmeidig über das Eis glitt. Yamito und Shimizu wechselten einige Worte und Shimizu deutete auf ein Mädchen, das hinter ihm die Bande umklammerte. Yamito wandte sich ihr zu und aus seinen Bewegungen schloss Yugi, dass er dem Mädchen ebenfalls beibringen sollte, sich auf dem Eis zu halten, augenscheinlich war Shimizu dazu nicht fähig gewesen.

Doch bei ihr ging Yamito die Sache eindeutig anders an und er erklärte ihr mit windmühlenartigen Gesten, wie sie sich selbst auf dem Eis halten sollte.

Yugi konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und sah nun selbst zu, dass er wieder vorwärts kam.
 


 

Nach einer Weile sah er, wie Herr Yamito an ihm vorbei schoss, ohne sich um ihn zu kümmern. Yugi runzelte die Stirn. Zuvor war der Referendar so nett gewesen und jetzt ignorierte er ihn gänzlich.

Aber da sich bekanntlich aus allem etwas positives abgewinnen lässt, steuerte Yugi so schnell es ihm möglich war die Bande an, drehte sich wieder zur Eisfläche und sah Herrn Yamito dabei zu, wie er in einem sehr hohen Tempo Runde um Runde drehte.

Dabei stellte er fest, dass der ein Gesicht zog, als würde ihn etwas tierisch wurmen.

„Hey, keine Müdigkeit vorschützen!“ rief Herr Yamito lachend und kam schließlich vor Yugi zum Stehen.

Yugi hatte gar nicht mitgezählt, wie oft Herr Yamito in der kurzen Zeit an ihm vorbeigerauscht war.

Er ließ die Bande wieder los und schlitterte auf den anderen zu. „Ich habe Ihnen nur zugeschaut.“

„Oh. Und, hat’s was gebracht?“ Herr Yamito sah zu, wie Yugi ein paar Meter fuhr.

„Naja, wird sich zeigen“, erklärte Yugi.

„Du solltest öfter Eislaufen gehen, damit du es nicht gleich wieder verlernst“, meinte Yamito.

„Bevor man etwas verlernen kann, müsste man es erst einmal können.“ Yugi verzog sein Gesicht.

So wie er das sah, würde er noch Jahre brauchen, bis er es anständig konnte.

„Du brauchst nur Übung“, war Yamito sich sicher.

„Wenn du willst, können wir uns in den Ferien treffen und üben“, schlug er daher vor.

Yugi sah Herrn Yamito an. Er sollte sich in den Ferien mit seinem Pädagogen treffen?

Der Junge überlegte, was er darauf antworten sollte, womit er sich nicht verpflichtete und den anderen nicht kränkte. „Kann ich Freunde mitbringen?“

Der Referendar sah ihn überrascht an. „Können die denn Schlittschuhlaufen?“

„Ja, Joey und seine Schwester waren früher mehrmals in der Woche in der Eishalle. Seit die Eltern geschieden sind, wohnt Serenity nicht mehr hier, aber sie möchte noch immer professionelle Paarläuferin werden“, erzählte Yugi lächelnd. „Tristan und Téa können sich auch auf dem Eis halten.“

„Wieso haben sie dich nie mitgenommen?“ fragte Yamito nach.

Wenn Yugi nicht ohnehin schon auf die Spitzen seiner Schlittschuhe gesehen hätte, hätte er nun verlegen den Blick zu Boden gerichtet. „Um ehrlich zu sein habe ich mich immer erfolgreich geweigert, es zu lernen. Nur hatte ich für den Wandertag dann keine Ausrede mehr.“

„Du hättest dich krank melden können“, entgegnete Yamito trocken und verfiel in Schweigen.

Yugi verzog das Gesicht. Wahrscheinlich dachte Yamito gerade, dass er seine Zeit unnötig vergeudet hatte, indem er Yugi das Schlittschuhlaufen hatte beibringen wollen, wenn seine Freunde dies genauso gut hätten machen können.

Herr Yamito sah auf die Uhr. „Die Eishalle schließt gleich für den öffentlichen Verkehr. Die hiesige Eishockeymannschaft hat gleich Training. Wir sollten uns auf den Weg zum Ausgang machen.“

An der Bande drehte Herr Yamito sich zu ihm um. „Für das erste Mal warst du doch echt nicht schlecht! Bist kein einziges Mal hingefallen.“

Yugi lächelte etwas verhalten.
 


 

Yugi hockte auf dem Boden im Spieleladen und räumte Sachen um, um Platz für neue Waren zu haben. Je nachdem, was in dem Lieferkarton war, musste er erst umräumen.

In den Ferien half er seinem Großvater oft, denn es war ihm immer häufiger anzumerken, dass er auch nicht mehr der Jüngste war. Angefangen hatte es mit dem Rücken, jetzt schmerzten seine Knie häufig.

Nach dem Wandertag hatte Herr Yamito sein Angebot nicht mehr erwähnt und auch Yugi hatte so getan, als hätte er es vergessen, wohingegen er in Wahrheit ständig daran gedacht hatte.

Nach anderthalb Wochen Ferien bereute er es, das Angebot nicht einfach angenommen zu haben, denn es war so, wie damals, nachdem Atemu von dem weißen Licht verschluckt worden war: er vermisste ihn tierisch.

Als die Türglocke läutete, seufzte Yugi. Er blieb einfach in der Hocke, wohl wissend, dass das eigentlich unhöflich war.

Sollte Großvater sich um den Kunden kümmern.

Der Junge schob eine Packung mit Spielen unten ins Regal, konnte Großvater und den Neuankömmling aber nicht reden hören. War Großvater denn nicht da?

Er hoffte, dass es ein neuer Kunde war, der sich sowieso erst in dem Laden umsehen wollte.

„Habt ihr auch Ägypten-Duellkarten?“ Yugi ließ vor Schreck fast die Packung, die er gerade in der Hand hielt, fallen. Er hatte gar nicht gemerkt, dass jemand neben ihn getreten war.

Blitzschnell schoss er aus der Hocke nach oben und sah geradewegs in zwei lachende violette Augen.

„Was hast du denn da?“ Herr Yamito legte den Kopf schief, um den Schriftzug auf der Packung in Yugis Händen zu lesen. „’Dungeon Dice Monsters’? Noch nie davon gehört!“

Beinahe hätte Yugi gerufen: „Doch hast du! Und gleich das erste Spiel gewonnen – gegen den Erfinder!“ doch er verkniff es sich. Stattdessen fragte er: „Was machen Sie denn hier?“

Herr Yamito richtete seinen Blick wieder auf Yugi und lachte. „Ich habe diesen Laden vorgestern entdeckt und dachte mir, ich könnte meinem Deck doch auch mal wieder etwas Gutes tun. Ich wusste allerdings nicht, dass du hier nebenbei arbeitest.“

„Der Laden gehört meinem Großvater. Ich helfe nur in den Ferien“, erläuterte Yugi und stellte die letzten Packungen ins Regal, doch die Letzte blieb nicht lange dort, denn Herr Yamito nahm sie wieder heraus und musterte sie neugierig, während er sie in den Händen drehte.

„Wenn Sie Zeit haben, können wir hoch in mein Zimmer gehen, ich hab eins oben und kann es Ihnen beibringen.“ Yugi glaubte fast selbst nicht, was er gerade vorgeschlagen hatte. Erst lehnte er es ab, mit seinem Lehrer auch in den Ferien Kontakt zu haben und kaum tauchte dieser unverhofft auf, bot er ihm so etwas an.

„Zeit hätte ich“, bemerkte Atemu. „Aber zunächst könntest du mir eure Duell-Monsters-Karten zeigen.“

„Ja, natürlich.“ Yugi wandte sich um und ging die Regale entlang.

Er konnte förmlich spüren, wie der Andere ihm folgte. Weiter hinten hielt er an.

„Hier in der Vitrine sind die Karten.“ Der Junge deutete auf die entsprechende Glasvitrine.

Herr Yamito musterte die Karten eingehend und nahm einige auch in die Hand. Schließlich sah er Yugi wieder an. „Und was rät der Verkäufer mir?“

Yugi erwiderte den Blick. „Zu einem ehrlichen Rat müsste ich Ihr gesamtes Deck sehen. Bei dem Einstandsduell waren sicherlich nicht all Ihre Karten zu sehen.“

„Mein Deck?“ Yamito sah Yugi an. Dann griff er unter der Jacke nach etwas, das Yugi nicht sehen konnte und nach einer Weile zog Herr Yamito seine Hand mit seinem kompletten Deck wieder hervor.

„Sie haben es dabei? Super!“ Yugi griff begeistert danach und umrundete die Ladentheke.

Danach breitete er das Deck vor sich, nach Funktion der Karten, aus. Er betrachtete die Karten eingehend.

Im Grunde war es ein sehr gutes Deck, was von Atemu ja nicht anders zu erwarten gewesen war.

Der Junge dachte nach. Was passte in ein Ägyptendeck, das eigentlich nichts zu wünschen übrig ließ?

Als er die Monsterkarte Nofretete sah, fiel ihm etwas ein.

Er überblickte kurz die Seite, auf die er die Zauberkarten gelegt hatte, um sich zu vergewissern, dass Herr Yamito die Karte, die er ins Auge gefasst hatte, nicht schon besaß und zog dann eine bestimmte Karte aus der Schublade. „Linkes Auge der Nofretete. Wie Sie ja wissen, fehlt dieses an der berühmten Büste der Pharaonin. Wenn diese Karte gespielt wird, nachdem die Königin gespielt wurde, erhöhen sich ihre Angriffspunkte um 1.000 Punkte.“

Herr Yamito nahm die Karte entgegen und unterzog sie einer eingehenden Überprüfung.

„Ich kann Ihnen natürlich auch noch andere Karten zeigen.“ Yugi war sehr pflichtbewusst.

„Nein danke, ich denke, die werde ich nehmen.“ Herr Yamito zückte sein Portemonnaie und bezahlte.

Yugi reichte ihm die fein säuberlich in einer kleinen Papiertüte mit dem Logo des Ladens eingeschlagene Karte. „Warten Sie, ich muss meinem Großvater noch Bescheid geben, bevor wir hoch gehen.“

„Moment mal, was sagt der denn dazu, wenn du einfach einen wildfremden Mann mit in eure Wohnung schleppst?“ wollte Herr Yamito plötzlich wissen.

„Sie sind doch nicht fremd!“ wehrte Yugi ab und war schon im Personalraum verschwunden.
 


 

„Und das ist mein Zimmer. Leider etwas unaufgeräumt.“ Was Yugi vor allem auf den hinteren Teil des Schreibtisches bezog, denn dort hatte er immer die Schulsachen gestapelt und bei bedarf irgendein Heft, Blatt oder Buch herausgezogen, was nun ziemlich wirr wirkte.

„Mein Zimmer sieht auch nicht viel besser aus. Oder vielmehr meine Wohnung“, winkte Atemu ab, sah sich aber sehr neugierig um.

Yugi sah den Referendaren an. Ja, eine eigene Wohnung musste er ja haben, er konnte ja schlecht ewig bei den Eltern wohnen.

Was er selbst nach dem Abitur machen wollte, wusste er noch nicht. „Kann ich Ihnen irgendwas zu Trinken anbieten?“

Herr Yamito wandte sich seinem Gastgeber zu. „Ein Wasser reicht völlig.“

Als Yugi mit einer großen Flasche Mineralwasser und zwei Gläsern zurückkam, stand Herr Yamito an seinem Schreibtisch und blätterte ein Geschichtsmagazin durch.

„Das hat euch Shimizu ausgeteilt, nicht wahr? Ich hatte noch gar keine Zeit, mir mein Exemplar anzusehen“, meinte er, als Yugi den Raum betrat.

Kurz danach legte er das Heft wieder auf den Schreibtisch zurück, während Yugi ihnen ausschenkte und dann sein Dungeon Dice Spiel auspackte.

Yugi setzte sich mit angewinkelten Beinen direkt Atemu gegenüber, der im Schneidersitz auf dem Boden saß. Dort hatten sie einfach mehr Platz.

Er erklärte die Grundregeln. „Der Rest ist learning by doing, wie der Engländer so schön sagt. Fangen Sie doch an.“

Atemu griff nach dem dunkelbraunen Lederbecher und einigen Würfeln. Dann würfelte er.

„OK, hm. Was machen wir damit?“ murmelte er mehr zu sich selbst und dachte angestrengt nach.

Gerade, als Yugi seine Hilfe anbieten wollte, bewegte Atemu sich und tat den ersten Zug. „Hoffentlich blamiere ich mich jetzt nicht.“

„Unsinn!“ Für den ersten Zug in seinem ersten Spiel war es wirklich nicht schlecht, wenn auch nicht berauschend. Aber Yugi war sich sicher, dass sein Gegenüber den Dreh bald heraus haben würde, so wie beim letzten Mal, gegen Duke Devlin.
 


 

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[*] Oberstufennoten:

00 = 6 (ungenügend)

01 = 5-/ 02 = 5/ 03 = 5+ (mangelhaft)

04 = 4- (ebenfalls rote Note)/ 05 = 4/ 06 = 4+ (ausreichend)

07 = 3-/ 08 = 3/ 09 = 3+ (befriedigend)

10 = 2-/ 11 = 2/ 12 = 2+ (gut)

13 = 1-/ 14 = 1/ 15 = 1+ (sehr gut)

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noch zur Aula (Kap. 1):

Hier richte ich mich nach der Aula in meiner ehemaligen Schule, die Hauptsächlich die größere der beiden Turnhallen ist, aber auch für allerlei Veranstaltungen genutzt wird

Projekttage

Danke! an alle Kommi-Schreiber! Sowas motiviert ungemein^^
 

kurviv: Träume/ Gedanken/ Erinnerungen, aber auch Schrift auf Papier
 

3. Projekttage
 

„Du hast ihn einfach so mit auf dein Zimmer geschleppt und ihr habt Dungeon Dice Monsters gespielt?“ fragte Téa ungläubig. „Das hätte ich gern gesehen! Warum hast du denn nicht angerufen?“

„Ich kann ihm doch schlecht sagen, ‚Ich rufe jetzt meine Freunde an, damit sie zusehen können, wie Sie das Spiel lernen.’“, erwiderte Yugi.

Joey legte den Arm kumpelhaft um Téas Schultern. „Meine Liebe, du hörst dich ja schon an wie die ganzen Girlies, die von dem Referendar schwärmen.“

Téa wurde hochrot im Gesicht und stierte den Fußboden an.

„Mann, Joey, du Trampeltier! Mal wieder mit beiden Füßen gleichzeitig ins größte Fettnäpfchen weit und breit!“ rief Tristan und sah Téa mitleidig an.

„Er wurde von Spiel zu Spiel besser“, fuhr Yugi fort, um seine Freundin aus der Schusslinie zu holen. „Danach hab ich ihm noch mein Deck, oder besser: unser Deck, gezeigt und er war begeistert. Vielleicht haben wir ja irgendwann einmal Zeit, uns zu duellieren.“
 

„Wie einige von euch vielleicht wissen, ist Frau Asai ab dieser Woche in Schwangerschaftsurlaub. Deshalb werde ich euch bis zu den Sommerferien unterrichten“, eröffnete Herr Yamito die erste Geschichtestunde nach den Ferien.

„Leider kommen wir auch gleich zu einem weniger erfreulichen Thema, denn mir wird die Ehre zuteil, euch eure Klausuren zurückzugeben“, fuhr er etwas sarkastisch fort. „Da sie sehr durchwachsen ausgefallen ist, werde ich euch erst die Fragebögen austeilen und wir werden ihn gemeinsam durchgehen.“

In der Klasse war einiges Stöhnen und Murren zu hören. Wieso wollte er sie so lange warten lassen?

Yugis Herz schlug vor Aufregung schneller. Wieso spannte der Referendar sie so auf die Folter?

Er wollte endlich seine Note sehen, wollte er doch mindestens eine 13, um im Jahresschnitt eine 08 herauszuschlagen. Der Junge nahm das Arbeitsblatt aus Herrn Yamitos Händen entgegen.

Der Referendar hatte mit Bleistift rechts oben Yugis Namen drauf geschrieben, damit jeder sein Blatt zurückbekam, da Yugi sicherlich nicht der Einzige war, der sich Notizen neben die Fragestellungen gekritzelt hatte.

„Die erste Frage, Ikumi“, begann Yamito, als er wieder am Pult angekommen war.

Yugi warf einen Blick auf besagtes Mädchen und erkannte sofort, dass diese sich nicht gemeldet hatte.

Nanu, so fies kannte er Yamito gar nicht.

Oder wollte er ihr nach dem Rauswurf bei der Klausur die Chance geben, Pluspunkte zu sammeln?

Ikumi war genauso blass, wie zu dem Zeitpunkt, als der Referendar sie erwischt hatte und sie schüttelte nur schweigend den Kopf, um zu bedeuten, dass sie die Antwort nicht wusste.

Herr Yamito fixierte sie noch eine Weile, dann wandte er den Blick ab. „Wer kann sagen, was bei dieser Aufgabe verlangt war?“
 

Die Berichtigung der Klausur beanspruchte fast die gesamte Doppelstunde, bevor der Referendar die Hefte endlich austeilte.

„Yugi Muto.“ Vor Yugis Heft hatte er schon einige Hefte verteilt.

Yugis Herz schlug vor Anspannung einen Trommelwirbel, aber als er dann einen Blick in Herrn Yamitos ernstes Gesicht warf, als dieser auf ihn zutrat, setzte eben jener Herzschlag augenblicklich aus.

War es denn so schlecht für ihn gelaufen?

Er nahm das Heft entgegen und blätterte hastig zu der letzten Seite. 11.

Yugi atmete tief durch. Zwar nicht ganz das, was er sich erhofft hatte, aber ein guter Anfang.

Als er sowohl Herrn Shimizus als auch Herrn Yamitos Unterschrift unter der Note bemerkte, wurde ihm schlagartig klar, weshalb Atemus Gesichtsausdruck so ernst gewesen war.

Er hatte sicherlich seine Noten aus dem Vorjahr gesehen.

Himmel, wieso hatte er nicht einfach ein neues Heft benutzt? Wie stand er jetzt vor ihm da? Er bemühte sich ja erst, seitdem Herr Yamito aufgetaucht war, um gute Noten.

Kurz nachdem Herr Yamito das letzte Heft ausgegeben hatte, klingelte es zur Pause.

Yugi packte weg und schlich mit hängendem Kopf aus dem Saal.

Seine Euphorie über die gute Note war schnell umgeschlagen.

„Ach, Yugi, warte mal“, hörte er Herrn Yamito aus dem Saal heraus nach ihm rufen.

Er hob überrascht den Kopf. Würde der Referendar seine schlechten Noten ansprechen wollen?

Der Junge wappnete innerlich, während er darauf wartete, dass Herr Yamito zu ihm aufschloss.

„Ich bräuchte deine Hilfe.“ Atemu grinste schief, als er Yugi erreichte.

Yugi sah ihn mit großen Augen an. Wie bitte? Ein Lehrer, der einen Schüler um Hilfe bat?

„Ihr habt doch diese Projekttage an eurer Schule. So was kenne ich gar nicht. Könntest du mir ein paar Tipps für den Aushang geben? Ich habe hier schon einen Entwurf.“ Herr Yamito reichte ihm ein weißes Blatt Papier, auf dem mit Computer ein paar Zeilen geschrieben standen.

Yugi las es durch:
 

Ägyptenausstellung

Termin: Freitag, 9.00 - 20.30 Uhr

Montag – Donnerstag: Vorbereitung

- Kleben und Bemalen von Plakaten

- Pharaonensarg aus Pappmaché

- Schnitzten einer Pyramide

Kosten für Materialien: ca. ~

Betreuer:
 

Yugi sah den Referendaren an, der gespannt auf eine Antwort wartete. „So würde ich das gar nicht machen. Das ist so eher … schlecht.“

„Ach so?“ Atemu sah enttäuscht aus. „Was würdest du vorschlagen?“

„An sich ist die Idee, einen Stand bei der Ägyptenausstellung aufzubauen, gar nicht schlecht.“ Yugi hatte gelesen, dass diese bald in Domino stattfinden würde, hatte aber nicht gewusst, dass sie in die Projekttage Mitte Juni fallen würde. „Zunächst einmal sollten Sie unter Termin nur Freitag angeben, da solche Uhrzeiten eventuell die Schüler von vorne herein abschrecken. Dann sollten Sie vielleicht ein Vortreffen machen, Ideen sammeln und ein Thema festlegen. Natürlich können Sie auch ihre Vorschläge auf das Papier setzen, aber Sie sollten die Schüler auch fordern und kreativ sein lassen. Bei der Vorbesprechung sollte auch geklärt werden, wer welche Materialien mitbringt. Die Kosten sollte man ganz weg lassen und später festlegen. Wenn dennoch irgendwas fehlt, können Sie dann die Betreuer losschicken, dass diese es noch besorgen.“

Yugi reichte ihm das Blatt wieder und war gespannt auf seine Reaktion. Er war einfach so ehrlich wie möglich gewesen, immerhin hatte der Ältere ihn um Rat gefragt.

Herr Yamito sah sich den Zettel nachdenklich an.

„Ich hatte eigentlich gehofft, dass du einer meiner Betreuer sein könntest.“ Die 12.klässler mussten die einzelnen Projekte betreuen, für sie wurden keine Projekttage mehr angeboten.

Er richtete seinen Blick wieder auf seinen Gesprächspartner.

„Ah, ja, gerne!“ lächelte Yugi erleichtert. Atemu schien die Kritik gut aufzunehmen.
 


 

Ein paar Tage später packte Yugi in der Mathestunde den von Atemu überarbeiteten neuen Zettel aus. Unter dem Punkt Betreuer schrieb er seinen Namen.

Dann reichte er den Zettel an seine Freunde weiter.

„Den hat mir Atemu, ich meine, Herr Yamito, eben gegeben“, erklärte er dazu.

Als er den Zettel nach der Stunde wieder zurückbekam, standen zwei weitere Namen unter seinem: Joey Wheeler und Téa Gardner.

„Tut mir Leid, dass ich Atemu nicht unterstützen kann, aber du weißt doch, dass ich beim Training des Wasserballteams assistiere“, begann Tristan, sich zu entschuldigen. „In der Woche, in der die Projekttage stattfinden, sind wir von einer Schule in Yokohama für Wettkämpfe eingeladen. Das Ganze wird als Projekt deklariert, damit die Teilnehmer an keinen anderen Projekten teilnehmen müssen. Dort werde ich dann der Betreuer sein.“

„Ich denke sowieso, dass drei Betreuer reichen“, erklärte Téa. „Wer weiß, wie viele Leute sich melden, nicht dass nachher mehr Betreuer als Teilnehmer in dem Projekt sind.“

„So beliebt, wie Yamito ist, wird sein Projekt sicherlich überfüllt sein“, meinte Joey und lugte Yugi über die Schulter. „Hat er die Teilnehmerzahl eigentlich begrenzt?“

„Nein, hat er nicht. Aber ich denke, dass wird sowieso von der Schulleitung in Grenzen gehalten“, entgegnete Yugi. Im Foyer angekommen, sah er sich um. „Eigentlich wollte er hier warten, damit ich ihm den Zettel zurückgeben kann.“

„Wenn du das früher gesagt hättest, hätte Téa sich noch hübsch machen können“, stichelte Joey.

Téa wurde wieder rot im Gesicht und strich sich verlegen eine hartnäckige Haarsträhne hinters Ohr.

„Jetzt gib’s mal auf!“ rief Tristan. Das ging jetzt schon die ganze Woche so. Joey zog Téa auf und Tristan verteidigte sie gewissenhaft.

Yugi hingegen hatte schon längst aufgegeben, Joey ändern zu wollen.

Außerdem hatte er gerade Atemu entdeckt. „Ruhe jetzt!“ zischte er und folgte dem Referendar, der gerade die Treppe runterkam, mit dem Blick.

„Aye, aye, Sir!“ salutierte Joey scherzhaft. Er hatte Yamito inzwischen auch bemerkt und wollte Téa keineswegs vor ihm bloßstellen, das tat er nur unter ihnen vier.

„Entschuldige, ich wurde aufgehalten!“ Atemu lächelte in die Runde und warf jedem einen flüchtigen Blick zu. Dann wandte er sich zu Yugi. „So besser?“

Yugi nickte und reichte ihm den Zettel wieder.

Herr Yamito warf einen Blick darauf. „Oh, dann habe ich jetzt also drei Betreuer?“ Er schien sich zu freuen.

„Ich kenne euch ja alle“, stellte er fest, denn er unterrichtete nun auch den Politik-LK und den Geschichts-GK, während Kamata und Shimizu in dieser Zeit andere Klassen unterrichteten.

Erst als Herr Yamito an die grünen Stellwände trat, fiel der Clique auf, dass während der 7. Stunde sämtliche Vorstellungszettel der anderen Projekte schon angebracht worden waren.

Nur eine DIN A 4 große Fläche war frei, wo der Referendar nun seinen Zettel mit Reißzwecken befestigte. Dann schrieb er die Laufnummer des Projekts mit schwarzem Fineliner darauf.

„Habt ihr einen Vorschlag, wann das Vortreffen stattfinden soll?“ wandte Herr Yamito sich an die Schüler.

„Am Besten in der Woche vorher in einer großen Pause. Dann werden wohl alle da sein“, entgegnete Yugi. „Hauptsache nicht Dienstags in der ersten großen Pause. Da bin ich meistens spät dran.“

Herr Yamito winkte lächelnd ab. „Ich ja auch. Sonst noch irgendwelche Wünsche?“ Er sah Téa und Joey an.

Die beiden angesprochenen schüttelten den Kopf.

Gemeinsam gingen sie ins Parterre hinunter. Sie verließen das Schulgebäude.

„Kommst du, Téa?“ Yugi war mit Atemu voraus gegangen und drehte sich nun zu seiner Freundin um. Sie gingen nach der Schule immer gemeinsam zum Bus.

„Nein, ich muss heute nach Beika. Meine Mutter und ich treffen uns dort, um essen zu gehen“, verneinte sie.

Herr Yamito blieb stehen und wandte sich zu ihr um. „Beika? In die Richtung muss ich auch, soll ich dich mitnehmen?“

„Äh, also… ich…“ Téa stockte verlegen und ein leichter Rotton überzog ihre Wangen.

„Dieses Angebot kannst du doch nicht ablehnen“, Joey legte ihr eine Hand auf die Schulter und Tristan nickte.

„Ja, OK“, entschied Téa dann.

Während Yugi hinter Herrn Yamito stand und die Szene beobachtete, überrollte ihn ein seltsames Gefühl.

War das Neid? Oder gar Eifersucht?

Schwachsinn! Er kämpfte diese Gefühle nieder.

Er sollte sich besser mit seiner Freundin freuen.
 


 

„Na, wie war’s?“ erkundigte Joey sich am nächsten Tag überschwänglich.

„Mir wird nur schlecht, wenn ich daran denke!“ erklärte Téa mit großer Ernsthaftigkeit.

Das warf Joey allerdings ganz aus dem Konzept. „Wie denn das?“

„Wir sind mit seinem Motorrad gefahren“, erläuterte Téa und verzog das Gesicht.

„Ist sein Fahrstil so schlecht?“ hakte Joey grinsend nach.

„Das weiß ich nicht, ich bin zum ersten Mal Motorrad gefahren. Aber wir sind über eine Schnellstraße gefahren, die zudem noch sehr kurvenreich war. Mir ist der Asphalt öfter näher gekommen, als mir lieb war“, entgegnete Téa.

Yugi musste grinsen. Irgendwie war er schon fast schadenfroh. Er hatte ja vorher schon gewusst, dass Yamito immer mit dem Motorrad zur Schule kam.

„Das dürfte doch kein Problem gewesen sein, du hättest dich doch einfach an ihm festklammern können!“ meinte Joey. Sonst war sie doch nicht auf den Kopf gefallen.

Augenblicklich verschwand Yugis Grinsen von seinem Gesicht.

„Hab ich doch, aber viel geändert hat’s nicht“, seufzte Téa. „Ich war ganz froh, als wir endlich da waren.“

„Hat dir das Essen danach überhaupt noch geschmeckt?“ neckte Joey weiter.

„Naja, meine Mutter hat gleich bemerkt, dass ich sehr blass bin, wir haben noch etwas gewartet, bis es mir wieder besser ging“, erwiderte Téa. „Eins sage ich euch: ich werde nie wieder Motorrad fahren!“

Yugi wandte sich von dem Gespräch ab. Er wusste absolut nichts mit seinen widerstreitenden Gefühlen anzufangen.

Wenn er mit Atemu Motorrad gefahren wäre, hätte er es vermutlich genossen.

Halt, Moment, WAS dachte er denn da?

Er wollte Atemu für sich alleine haben, so wie früher.

Unsinn!

Er runzelte über sich selbst die Stirn und schüttelte den Kopf, um alle Gedanken, die in diese Richtung führten, abzuschütteln.
 


 

Die Menge jubelte. Alle waren festlich gekleidet und warfen Blüten oder Reis, als Zeichen der Fruchtbarkeit.

Yugi hatte einen schwarzen Anzug an. Er trottete Joey und Tristan nach.

Großvater winkte Yugi zu.

Die Anwesenden schienen sich alle zu freuen, aber Yugi empfand nur ein Gefühl von größter Trauer und Schmerz.

Tristan drehte sich lachend zu ihm um und steckte ihm eine rote Rose ins oberste Knopfloch seines Jacketts.

Draußen standen einige Schüler, die Yugi noch nie gesehen hatte, Spalier.

Mittendurch schritt Téa, in einem strahlend weißen bodenlangen Brautkleid, mit Spitzenschleier, tief ausgeschnittenem Dekollete und Handschuhen bis zu den Ellbogen. An ihrer Hand glitzerte der Ehering, der ihr kurz zuvor angesteckt worden war.

Neben ihr schritt frohen Herzens ihr Ehemann, schwang sich auf sein Motorrad und Téa setzte sich dahinter.

Dann klammerte sie sich an Atemu fest und gemeinsam brausten sie davon, während Téa den Gästen noch ein letztes Mal mit ihrem violetten Brautstrauß zuwinkte.

Yugi wurde wach und fühlte heiße Tränen über seine Wangen laufen.

Er brauchte einen Augenblick, bis er sich im Dunkeln zurechtfand.

Ihm entwich ein Schluchzer und er wischte sich mit dem Handrücken trotzig über die Wangen.

Wie er das hasste!

Schon wieder dieser Traum! Er verfolgte ihn nun schon etwas mehr als einen Monat.

Angefangen hatte es damals, als Atemu Téa auf seinem Motorrad mitgenommen hatte.

Und er empfand es als regelrechten Alptraum.

Er schluckte den Kloß in seiner Kehle herunter und legte sich wieder zurück.

Doch dann bemerkte er, dass es draußen schon hell war.

Der Junge rieb sich erneut über die Wangen und blickte auf seinen Wecker, dessen Leuchtziffern ihm sagten, dass er noch etwa eine halbe Stunde schlafen konnte, bevor er ihn eh weckte.

Yugi seufzte. Aus Erfahrung wusste er, dass er nach diesem Traum so schnell nicht mehr einschlafen würde. Dennoch blieb er liegen und starrte in das triste Grau seines Zimmers.
 


 

„Du siehst müde aus“, stellte Téa im Japanischunterricht fest.

Yugi sah sie an. Wenn du wüsstest! dachte er bei sich. Laut sagte er: „Geht schon. Hab schlecht geschlafen.“

Was im Grunde ja auch stimmte.

„Hast du schon gesehen? Herr Yamito hat den Termin für die Vorbesprechung bekannt gegeben“, meinte Téa.

Als Yugi desorientiert den Kopf schüttelte, fuhr sie fort: „Sie findet nächste Woche Mittwoch in der ersten großen Pause statt.“

Yugi nickte und legte den Kopf auf die Bank. Solange die Lehrerin noch nicht da war…

Ihm kam der Gedanke, dass es durchaus möglich war, dass Herr Yamito ihnen heute ihre Geschichtsklausuren zurückgeben könnte. Er war mit seinen Korrekturen meistens fix, obwohl er alles mit Shimizu abklären musste und dieser bei Korrekturen genauso lahm war, wie während des Unterrichts.

Es fiel Yugi schwer, seine Konzentration auf den folgenden Unterricht zu lenken.

„In letzter Zeit wirkst du immer so abwesend. Eine andere Abwesenheit als vor einem halben Jahr, aber das ist doch auch schon fast nicht mehr normal. Was ist denn los?“ wollte Téa nach der Doppelstunde wissen.

„Nichts“, wehrte Yugi ab und damit war das Gespräch für ihn beendet.
 


 

„Ihr bekommt heute eure Klausuren zurück“, erklärte Herr Yamito. Der Rest der Stunde verlief genauso, wie nach der ersten Klausur, nur dass es diesmal eine Einzelstunde war.

Yugi folgte jeder seiner Bewegungen aufmerksam. Dann nahm er sein Heft entgegen.

Langsam und bedächtig blätterte er es auf. Atemus Gesichtsausdruck war diesmal undefinierbar gewesen und er ahnte schon das Schlimmste.

Der Traum mit Téas und Atemus Hochzeit hatte ihm den letzten Schlaf geraubt und ihn total kirre gemacht.

Als er auf der letzten Seite ankam, sprang ihm eine rote 15 entgegen.

Yugi riss die Augen auf und konnte es kaum glauben. 15! Die beste Note, die man erhalten konnte.

Da er abends nie hatte einschlafen wollen, weil er regelrecht Angst gehabt hatte, dass ihn der Traum wieder heimsuchen würde, hatte er sich die Nächte mit Lernen um die Ohren geschlagen, während Großvater und seine Mutter seelenruhig geschlafen hatten.

Er hatte 3 Wochen nur halb so viel Schlaf bekommen, wie normalerweise.

Aber nach den Klausuren hatte er eingesehen, dass es nichts brachte.

Der Junge träumte sowieso davon, ob er nun 4 oder 8 Stunden schlief.

Yugi hatte gedacht, durch das Schlafdefizit alle Klausuren vermasselt zu haben, aber die, die er bisher zurückbekommen hatte, hatte er alle mit 10-15 geschafft.

Er betrachtete die Geschichtsklausur und wurde stutzig. So viele rote Striche, horizontal vom Text ein kleines Stück über den Rand, und dennoch 15 Punkte?

Yugi hob den Kopf und konnte erkennen, dass Herr Yamito von Schülern umlagert war, die offensichtlich alle noch Fragen zu ihren Arbeiten hatten. Dann würde er eben warten müssen.

Als gerade der letzte Schüler fertig war, stand Yugi auf und ging auf den Referendaren zu.

Dieser lächelte ihm entgegen. „Nanu, du hast eine 15 und hast dennoch eine Beschwerde?“

Yugi schüttelte den Kopf. „Keine Beschwerde, nur eine Frage.“ Er hielt ihm sein Heft hin und zeigte dem Anderen die roten Striche. „Was haben die denn zu bedeuten?“

Herr Yamito lachte. „Du hast zu viel geschrieben!“ Er packte seine Mappe, seine Stifte und sein Buch weg. „Du hattest wohl zu viel Zeit?“

Yugi wurde vor Verlegenheit leicht rot im Gesicht.

Wie in letzter Zeit immer öfter in Atemus Gegenwart.

Um es zu verbergen blickte er starr hinab auf sein Heft. Er konnte hören, wie Herr Yamitos Taschenverschlüsse zuschnappten.

„Herr Yamito, kommen Sie bitte?“ Yugi konnte Herrn Shimizus Stimme vom Türrahmen aus hören.

„Ja, natürlich!“ Herr Yamito hob seine Umhängetasche auf seine Schulter.

„Tschüß, Yugi!“ rief er ihm noch zu und eilte aus dem Klassenraum.

Yugi hob seinen Kopf und sah ihm nach.

Dann schloss er sein Heft, wobei er im Augenwinkel etwas auf dem Pult entdeckte.

Während er sein Heft wegpackte, richtete er seine Aufmerksamkeit darauf.

Das war doch der Terminkalender von Herrn Yamito! Er blickte kurz zur Tür und griff dann danach.

Rasch rannte er aus dem Saal heraus und blickte den Flur entlang, erst nach links, dann nach rechts, doch der Referendar war nirgends mehr zu sehen.

Er blickte auf den schwarzen Einband in seiner Hand hinab. Was sollte er jetzt damit machen?

Der Junge sprintete die Treppe hoch und lief zum Lehrerzimmer.

Yugi klopfte und wartete ungeduldig.

Eine etwas rundliche ältliche Lehrerin, an die Yugi sich nicht erinnern konnte, ob er sie je im Unterricht gehabt hatte, öffnete und sah ihn aus ihren dicken Brillengläsern fragend an.

„Äh, ist Herr Yamito da?“ Yugis Mund fühlte sich trocken an.

„Yamito?“ Die Lehrerin wirkte wie eine alte Kröte. „Der neue Referendar, hm? Nein, der ist nicht da. Kann ich ihm am Montag etwas ausrichten?“

Yugi wollte schon den Kalender hochheben und seinem Gegenüber in die Hand drücken.

Montag? Sie ging also nicht davon aus, dass Herr Yamito heute noch einmal auftauchen würde, was bedeutete, dass er freitags wohl nur 5 Stunden hatte.

Wenn er den Kalender in sein Fach legen ließe, würde Yamito ihn erst nach dem Wochenende erhalten.

Das war zu spät, vielleicht brauchte er ihn schon vorher.

„Nein, danke.“ Er musste einen Weg finden, ihn dem Referendar auf einem anderen Weg zukommen zu lassen.

Doch jetzt hatte er erst einmal Sport.
 


 

Nachdem er zu Mittag gegessen und geduscht hatte, saß Yugi in seinem Zimmer. Den Terminplaner hatte er vor sich auf dem Schreibtisch liegen und er starrte ihn an.

Was hatte er sich nur dabei gedacht, ihn mitzunehmen?

Er hatte GAR nichts gedacht!

Natürlich war es möglich, dass Herr Yamito seinen Kalender am Wochenende brauchen würde, aber er hätte doch zwei Tage warten können.

Yugi seufzte. Aber er hatte ihn nun mal mitgenommen.

Und er konnte ihn schlecht bis Montag behalten und ihn dann erst dem Referendaren unter die Nase halten.

Der Junge griff danach. Seine Hände wurden magisch von dem Gegenstand angezogen.

Als er ihn in den Händen hielt, sah er ihn an. Was nun?

Was erhoffte er sich davon, darin herumzublättern?

Er käme sich vor, als würde er dem Referendar hinterher spionieren.

Aber vielleicht stand irgendwo seine Telefonnummer, oder seine Adresse.

Yugi rang mit sich. Er wusste, dass manche Leute einen Taschenkalender zweckentfremdeten und ihn wie ein Tagebuch benutzten. Konnte er sich vorstellen, dass Yamito Tagebuch schrieb?

Yugi schloss die Augen und schlug das Buch auf.

Die erste Seite, auf der normalerweise Name, Adresse, Telefonnummer und weiteres eingetragen wurde, war leer.

Er seufzte und schlug sich die Hände vors Gesicht.

Fehlanzeige! Was jetzt?

Nach einer Weile fiel Yugi auf, dass er seinen Kopf mit einer Hand abstützte, während die andere Seite für Seite des Planers umblätterte. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er gegen sein ursprüngliches Vorhaben, keinen weiteren Blick in Atemus Eigentum zu werfen, handelte.

Erschrocken über sich selbst hielt er inne.

Sein zuvor nach innen gekehrter Blick heftete sich auf die gerade aufgeschlagenen Seiten.

Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte er jetzt laut losgeprustet.

Die ganzen Ränder dieser Doppelseite waren mit kunterbunten Blümchen mit grünen Blättern verziert, oder es flogen bunte, gebündelte Luftballons über den Einträgen.

Vor allem ein Ballon hatte seinen Blick angezogen. Dieser war rot, herzförmig und beinhaltete den strahlend gelben Buchstaben A.

Yugi wurde schlecht. Er rieb sich die Stirn.

Was hatte das zu bedeuten? War Yamito verliebt?

Aber Blümchen und Herzchen wollten so gar nicht zu einem 24jährigen Referendar passen.

Mit zittrigen Händen blätterte er weiter.

Erleichtert atmete er aus. Die beiden Seiten waren wohl die einzigen mit einer solchen Entgleisung.

Auch hatte er bemerkt, dass Yamito den Kalender wirklich nur für Termine verwandte.

Aber das rote Herz mit dem A wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf.

Resigniert lehnte er sich zurück und zog seine Finger aus dem Kalender. Da nur sie es gewesen waren, die ihn offen gehalten hatten, blätterte sich der Kalender schnell selbst zu.

Nur mit dem Umschlag klappte das nicht.

Missmutig griff Yugi danach und wollte ihn gerade zuschlagen, als ihm etwas ins Auge fiel.

Er setzte sich wieder aufrecht hin und sah es sich genauer an.

Auf der Innenseite des Einbandes klebte ein weißer Aufkleber, auf dem alles stand: Name, Adresse – und Telefonnummer.

Yugi sprang freudig von seinem Drehstuhl. Endlich hatte er einen Anhaltspunkt.

Schnell flitzte er in den Flur und griff nach ihrem schnurlosen Telefon, mit dem er sich dann wieder in sein Zimmer zurückzog. Dort starrte er es an.

Toll, jetzt war er schon so weit, seinen Lehrer in dessen Freizeit anrufen zu wollen.

Was, wenn er ihn bei irgendetwas stören würde? Etwas, das mit dem geheimnisvollen A zu tun hatte?

Während er überlegte, rasten seine Daumen wie wild über die Tastatur des Telefons, ohne allerdings die Zahlen richtig zu drücken.

Die ganze Zeit spukte dieses verdammte Herz in seinen Gedanken umher.

Wenn es doch wenigstens ein Y wäre!

Aber OK, es war auch kein T, beruhigte er sich.

Eine leise Stimme in seinem Hinterkopf lachte ihn aus.

Er seufzte. Eigentlich hatte die Stimme ja Recht.

Doch jetzt musste er erst einmal Herrn Yamito anrufen und das Gespräch schnell über die Bühne bringen.

Mit angehaltenem Atem wählte er die Nummer vor sich und hielt den Hörer an sein Ohr.

Gleich würde er seine samtweiche Stimme hören.

Dabei hatten sie sich doch erst am Morgen gesehen!

Yugi hätte sich am liebsten mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen, wäre nicht gerade in dem Moment ein fragendes „Yamito?“ am anderen Ende der Leitung ertönt.

Yugi riss die Augen auf, sein Mund war unangenehm trocken und er wusste plötzlich nicht, was er sagen sollte. Er ließ einen Augenblick verstreichen, der ihm wie eine Ewigkeit vorkam.

„Äh, hallo, hier ist Yugi“, Ein dämlicherer Anfang war ihm nicht eingefallen. Er leckte sich über die Lippen.

„Ah, hallo, Yugi!“ Wenn er sich gestört fühlte, dann ließ er sich nichts anmerken. „Ist dir doch noch eine Frage zu deiner Klausur eingefallen?“

„Ah, nein.“ Von dieser Frage fühlte Yugi sich überrumpelt. „Nein, ich…“ Seine Gedanken rasten.

Sollte er gleich mit dem Kalender anfangen, oder erst noch über etwas anderes mit ihm reden?

„Ja?“ harkte sein Gesprächspartner nach.

Er hatte wohl doch länger als ein paar Sekunden darüber nachgedacht, was er sagen sollte. Da ihm nichts eingefallen war, musste er wohl doch gleich den Kalender zur Sprache bringen.

„Ich… also… heute Morgen haben Sie nach unserem Gespräch Ihren Taschenkalender auf dem Pult liegen lassen“, Yugi machte eine kleine Pause. „Ich bin Ihnen damit noch nachgerannt, aber Sie waren schon verschwunden. Weil Sie auch nicht mehr im Lehrerzimmer waren, hab ich ihn … mitgenommen. Da jetzt Wochenende ist, habe ich gedacht, Sie bräuchten ihn vielleicht vor Montag und wollte ihn Ihnen auf anderem Wege zukommen lassen.“

So, nun war es raus. Er seufzte innerlich, schloss die Augen und wartete auf eine Antwort.

Wahrscheinlich würde er ihn für bescheuert halten.

Jeder würde doch zwei Tage ohne seinen Terminkalender auskommen.

Als die Leitung eine Weile Still war, öffnete Yugi erschrocken die Augen.

Hatte der Andere einfach aufgelegt?

Er lauschte angestrengt und konnte ein leises Klackern hören.

Es war gut möglich, dass das die Tastatur eines Computers war.

„Vielen Dank, Yugi“, meldete Herr Yamito sich endlich wieder. „Ich habe noch gar nicht bemerkt, dass er mir abhanden gekommen ist. Wenn du meine Telefonnummer gefunden hast, dann doch sicherlich auch meine Adresse? Komm doch einfach morgen im Laufe des Tages vorbei.“

„Äh, ja, natürlich! Dann bis Morgen! Wiederhören!“ entgegnete Yugi erleichtert.

„Bis dann!“ Herr Yamito legte auf.

Yugi starrte nach Beendigung des Gesprächs den Telefonhörer an.

Atemu hatte ihn tatsächlich zu sich nach Hause eingeladen!

Jetzt würde nichts so schnell seine Laune verderben können, nicht einmal dieser blöde Herzluftballon!
 


 

Da er in der Nacht kaum geschlafen hatte und die Busverbindungen auch am Wochenende sehr gut waren, stand Yugi schon um kurz vor 11 Uhr morgens vor der im Kalender angegebenen Adresse.

Er sah an dem beige gestrichenen Mietshaus empor.

Weiter oben konnte er eine Wohnung entdecken, bei der noch die Rollläden unten waren. Der Junge hoffte, dass die dazugehörige Wohnung nicht die von Herrn Yamito war.

Seinen größten Schatz und die Eintrittskarte zu Atemus Wohnung hatte er in die Gesäßtasche seiner sommerlich kurzen Hose gesteckt.

Während der ganzen Zeit, die er jetzt unterwegs war, hatte er mehrfach nachgetastet, ob er den Terminkalender auch ja nicht vergessen, verloren oder gestohlen bekommen hatte.

Yugi stieg die paar Stufen zur Haustür hinauf und drückte den Klingelknopf. Er wartete angespannt.

„Ja?“ erschallte Atemus Stimme nach einer Weile aus der Gegensprechanlage.

„Hallo, ich bin’s!“ rutschte es Yugi von den Lippen.

Er knirschte mit den Zähnen. Das hörte sich schon an, als wäre er ein alter Freund.

Doch bevor er noch etwas hinzusetzen konnte, ertönte der Türöffner.

Yugi atmete auf. Hatte er ihn doch an seiner Stimme erkannt.

Er stieß die Tür an und trat in ein diesig wirkendes Treppenhaus.

Am liebsten wäre er nach hinten ausgewichen, wieder aus der Tür hinaus. War das ein Gestank!

Doch er konnte hören, wie weiter oben eine Tür geöffnet wurde. Schnell sprintete er die Treppen hinauf, bis er vor dem Referendar stand, der plötzlich grinsen musste, als er Yugi sah.

„Du magst die Zwiebel-Fisch-Suppe von Frau Ogami wohl auch nicht besonders?“ Er schien in Yugis Gesicht zu lesen. „Komm doch rein!“ forderte er ihn auf und schloss schnell die Tür hinter ihm.

In Atemus Wohnung war die Luft hingegen sehr angenehm und außerdem war es schön hell.

Yugi folgte ihm und stellte schnell fest, dass Atemu ihn ins Wohnzimmer führte.

„Setz dich doch kurz, ich muss noch etwas am PC erledigen.“ Herr Yamito wies auf eine aprikotfarbene Couch, auf deren Sitzfläche eine weinrote Fransenwolldecke lag, um den Couchbezug zu schonen.

Er setzte sich an den Computertisch im selben Raum und fing an, etwas zu schreiben.

Derweil kam Yugi Atemus Aufforderung nach. Er sah sich die Blätter auf dem kleinen Wohnzimmertischchen an. „Sie üben Ägyptisch?“

Herr Yamito blickte kurz über seine Schulter. „Ja, ich bin nicht sonderlich gut darin. Ich denke, die Klausur am Dienstag habe ich wieder in den Sand gesetzt.“

„Meinen Sie?“ Es war eher eine rhetorische Frage. In der ersten Klausur hatte Atemu eine 05 gehabt.

Yugi studierte die Blätter, während sein Gastgeber noch eine Weile weiter schrieb. „Bei diesem Satz ist die Grammatik ja ganz verkehrt!“ stellte Yugi laut fest.

„So?“ Atemu ließ gerade den PC herunterfahren. Er stand auf und setzte sich neben Yugi.

„Hier.“ Yugi deutete darauf.

Als er den anderen ansah, wurde ihm ganz heiß. So nah waren sie sich noch nie gewesen.

Um besser sehen zu können, rückte Atemu noch ein kleines Stück näher an Yugi heran, so dass sich sowohl ihre bloßen Knie, als auch bei bestimmten Bewegungen ihre Ellbogen berührten.

Yugi hielt angespannt die Luft an, doch dann bemerkte er, dass etwas fehlte. Er atmete tief durch die Nase ein und wusste direkt, was ihm aufgefallen war: Atemus Duft.

Er roch sehr angenehm.

„Am besten, du gibst mir Nachhilfe.“ Atemu runzelte die Stirn über seine eigenen Fehler.

„Na zum Glück kann ich nicht sitzen bleiben!“ lachte er.

„Hier.“ Er reichte Yugi einen Rotstift. „Erklär mir die Grammatik doch noch einmal.“

Yugi rutschte unauffällig etwas von Atemu weg. Es war ihm unangenehm, so nahe bei ihm zu sitzen.

Das Prickeln, das ihn jedes Mal durchrieselte, wenn sie sich berührten, irritierte ihn.
 


 

Nachdem sie eine Zeit lang gemeinsam die Grammatik wiederholt hatten, sprang Atemu plötzlich auf.

Das geschah so unvermittelt, dass Yugi verwirrt zu ihm hochsah.

„Entschuldige, ich bin wirklich ein hundsmiserabler Gastgeber!“ Atemu schien ehrlich zerknirscht. „Möchtest du etwas trinken?“

Yugi konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dieser Gesichtsausdruck war einfach süß!

Der Ältere sah auf die Uhr. „Oh, schon zwanzig nach zwölf? Dann kann ich uns ja auch gleich was kochen!“

Er wuselte aus dem Zimmer.

Yugi lachte im Stillen vor sich hin. Dass jemand so …

Er wusste nicht, wie er es ausdrücken sollte.

Dann stand er auf, um Atemu zu folgen. Er wusste zwar nicht, wo in der Wohnung die Küche lag, aber da Atemu offensichtlich die Küchentür offen stehen gelassen hatte, folgte er einfach dem Geschirrgeklapper.

Er stand in seiner hellblauen Kücheneinrichtung und angelte gerade nach einem zweiten Topf.

„Du isst doch mit?“ fragte er, als er Yugi hörte und drehte sich samt Topf zu ihm um.

„Ich will Ihnen keine Umstände bereiten!“ wollte Yugi ablehnen.

„Unsinn!“ Atemu schien das nicht zu akzeptieren. Er drehte sich zur Spüle und füllte Wasser in den Topf.

„Dann helfe ich Ihnen aber!“ Yugis Stimme ließ keinen Widerspruch zu. „Was gibt’s denn?“

„Das, was es in einem Single-Haushalt klischeemäßig jeden Tag gibt: Spaghetti“, erläuterte Atemu.

„Jeden Tag?“ wiederholte Yugi zweifelnd.

„Ich sagte ja: klischeemäßig. Selbst wenn ich zu den so genannten Single-Haushalten gehöre, Spaghetti gibt es bei mir höchstens einmal im Monat“, erläuterte Atemu. Er setzte das Wasser auf und holte ein Glas mit Tomatensoße aus dem Kühlschrank. „Du hast mir noch immer nicht meine Frage beantwortet.“

„Frage? Ach so, Mineralwasser reicht völlig.“ Yugi machte sich auf die Suche nach dem Geschirr, das er benötigen würde. Nachdem er alles gefunden hatte, deckte er den Tisch.

Währendessen versuchte Atemu, die Plastiktüte mit den Spaghetti aufzubekommen.

„Mist! Schöne Bescherung!“ fluchte Atemu und sah auf die Spaghetti, die munter über den Boden rollten.

Yugi lachte und ging neben Atemu in die Hocke, um ihm beim Einsammeln der einzelnen Spaghetti zu helfen. „Es gibt da so eine nützliche Erfindung, die sich Schere nennt!“

Nun lachte auch Atemu über sein Missgeschick. „Warum einfach, wenn’s auch umständlich geht?“ Er spülte die Spaghetti kurz ab und warf sie dann in das nun kochende Wasser.

Danach nahm er eine Glaszange und machte sich an der Tomatensoße zu schaffen, immerhin wollte er die nicht auch noch verschütten. Doch das Glas ließ sich problemlos öffnen.

„Hat meine Tante selbst gemacht“, erklärte Atemu mit etwas Stolz in der Stimme. „Und mir als Koch-Laie gleich erklärt, wie man sie am besten würzt.“

Yugi setzte sich auf einen der Stühle. Er hatte ihnen beiden Wasser eingeschenkt und beobachtete Atemu nun.

„Ich habe mir gedacht, dass sich am Tag der Ausstellung jemand als Pharao verkleiden könnte“, meinte Yugi, als Atemu sich zu ihm drehte und sich neben der Kochstelle an die Küchenzeile lehnte. „Ich finde, Ihnen würde die Rolle gut stehen.“

Natürlich hatte er dabei an ihre Reise ins alte Ägypten gedacht.

Atemu zog die Augenbrauen hoch. „Wieso ausgerechnet ich? Das könnte doch jeder machen!“

„Na, Sie gleichen Pharao Atemu!“ wandte Yugi ein, aber er wusste, was sogleich folgen musste.

„Du doch auch!“ Yugi hatte Recht gehabt.

„Aber bei Ihnen würde das glaubwürdiger wirken“, erklärte Yugi.

„Téa ist in der Theater-AG, ich bin mir sicher, dass sie Kostüm oder Requisiten beisteuern könnte“, fuhr er fort, merkte jedoch gleich, dass er einen Fehler gemacht hatte: Er wollte Téa doch gar nicht in Atemus Gegenwart erwähnen.

Nachdem Atemu ihr Essen umgerührt hatte, sah er Yugi nachdenklich an. „Nur, wenn ihr euch als meine Diener verkleidet!“ grinste er dann.

„Téa und ich würden das wahrscheinlich machen, aber bei Joey bin ich mir absolut nicht sicher.“ Es war gut, dass Herr Yamito nicht von vorne herein ablehnte. „Kostüme für drei Leute würden aber teuer.“

„Dann bist du wohl von deiner eigenen Idee doch nicht so begeistert?“ schlussfolgerte der Referendar.

„Uhm, doch, natürlich, ich wollte nur zu bedenken geben, dass…“ Yugi stockte, denn Atemu grinste über das ganze Gesicht.

War er doch tatsächlich wieder einmal auf die Neckereien des Anderen hereingefallen.

„OK, ich mache es und ein Kostüm reicht schon vollkommen aus“, erklärte er.

„Was ist nun eigentlich mit meinem Kalender?“ fragte Atemu und öffnete das Fenster, um den Essensgeruch raus zu lassen.

„Ach so, ja“, Yugi zog den Kalender, den er auch hier in der Wohnung dort gelassen hatte, wo er ihn morgens zu Hause hin gesteckt hatte, hervor und legte ihn vor sich auf den Küchentisch.

„Hm, ich habe nicht gewusst, dass Sie gerne malen.“ Er wollte jetzt einfach wissen, was es mit den Blümchen und den Luftballons auf sich hatte.

„Malen?“ Atemu sah ihn mit schief gelegtem Kopf an. Dann lächelte er. „Du meinst sicherlich die beiden Seiten, die meine jüngere Cousine bearbeitet hat? Ich konnte sie leider nicht daran hindern; sie hat sogar ein Herz mit dem Anfangsbuchstaben meines Namens gemalt.“ Er verdrehte die Augen und wandte sich wieder dem kochenden Essen zu.

Yugi nutzte die Gelegenheit, um hinter seinem Rücken tief durchzuatmen. Die ganzen Blumenranken und das Herz. Was er sich wieder eingebildet hatte.

Doch nun musste er sich darauf vorbereiten, irgendwas darüber zu hören, dass man nicht im Taschenkalender fremder Leute blätterte.

„Wie bist du eigentlich dazu gekommen, in meinem Kalender zu blättern?“ wollte Atemu wie beiläufig wissen, aber sauer klang er nicht.

Yugi hatte es gewusst. „Uhm, das war mehr Zufall.“ Er hatte seine Hände nicht unter Kontrolle gehabt.

Aber jetzt musste eine Ausrede her. „Als ich eine Telefonnummer gesucht habe, ist mir der Kalender aus der Hand gerutscht und auf den Boden gefallen – kopfüber, versteht sich. Dabei wurden die beiden Seiten aufgeblättert.“

Jetzt musste er nur noch hoffen, dass er nicht allzu unsicher klang und seine Stimme fest genug war, dass sein Gegenüber ihm die Lüge abkaufte.

Atemu sah ihn eine Weile schweigend an.

Dann nahm er den Topfdeckel und legte ihn schief auf den Topf. Über der Spüle kippte er ihn, damit das Wasser herauslaufen konnte.

„Haben Sie kein Nudelsieb?“ fragte Yugi irritiert. Er sprang auf und nahm die Soße vom Herd.

„Nein. Ich habe das bisher immer so gemacht“, erklärte Atemu und holte eine Nudelzange aus der Schublade.

„Dann weiß ich ja jetzt, was ich Ihnen zu Weihnachten schenke!“ entgegnete Yugi aus einem spontanen Einfall heraus.

Atemu lachte. „So was brauchst du mir doch nicht zu schenken!“ Er verteilte die Nudeln auf die Teller.

Nachdem das geschehen war, nahm Yugi eine Soßenkelle und verteilte auch diese.

Derweil ging Atemu zum Kühlschrank. „Möchtest du auch Käse?“

Noch bevor Yugi antworten konnte, stand Atemu wieder am Tisch, eine Tüte geraspelten Käse in der Hand, wovon er sich eine halbe Hand voll auf seinen Teller warf.

Dann hielt er Yugi die Tüte hin.

Der Jüngere griff danach, war sich aber nicht sicher, wie viel er sich auf den Teller machen sollte. Er war nur einen pulverartigen Parmesan gewöhnt. Was war das hier? – Emmentaler. Naja, einfach probieren.

Währendessen hatte Atemu sich schon hingesetzt und vermischte das auf seinem Teller befindliche.

Er steckte sich eine Gabel voll Spaghetti in den Mund. „Hm, trotz Würzanleitung etwas fad, findest du nicht? Könnte man nachwürzen.“

Yugi probierte das von Atemu gekochte. Ihm stiegen Tränen in die Augen. „Zu scharf!“ keuchte er.

„Echt jetzt? Vielleicht nicht richtig verrührt.“ Atemu wirkte nachdenklich.

Dann ergriff er beide Teller und vertauschte sie. „So vielleicht.“

Zögerlich stocherte Yugi nun in seinen neuen Spaghetti. Er wollte erst abwarten, was Atemu sagen würde.

Nach dem ersten Bissen verzog Atemu das Gesicht. „Du hast Recht. Zu viel Pfeffer.“

Er sprang auf und ging samt Teller zur Spüle, wo er etwas Wasser zu seinen Spaghetti laufen ließ, um die Soße zu verdünnen.

„Willst du deinen Teil noch nachwürzen, oder ist es so OK?“ fragte er, als er sich wieder setzte.

„Danke, geht so.“ Yugis Spaghetti waren tatsächlich gut so, wie sie waren.

Während sie aßen, unterhielten sie sich über alles Mögliche, bis die Sprache wieder auf die Schule kam.

„Sag mal, was ich dich schon länger fragen wollte: wieso warst du in Geschichte im ersten Halbjahr eigentlich so schlecht?“ fragte Herr Yamito unvermittelt. „Ich hab die Noten in deinem Heft gesehen und im Notenbuch.“ Er sah ihn scharf an.

Yugi verschluckte sich fast an seiner letzten Spaghetti. Er hatte gar nicht mehr daran gedacht, dass der Referendar das wusste. Doch wieso erkundigte er sich jetzt danach?

„Du bist doch jetzt so gut“, fügte Yamito hinzu.

„Ich habe meinen besten Freund verloren“, erklärte Yugi leise und sah auf seinen leeren Teller hinunter.

„Deinen Hund?“ Herr Yamito stand auf, um das Geschirr wegzuräumen.

Diese Frage empfand Yugi als sehr taktlos. „Nein, einen Menschen“, brauste er auf.

„Oh, tut mir Leid.“ Atemu stapelte klirrend das Geschirr.

Yugi spürte, wie eine einzelne Träne über seine Wange lief.

Die Erinnerung nahm ihn noch immer mit.

Obwohl er nun bei Atemu in der Küche saß und dieser wohlauf war.

Wieso fing er ausgerechnet hier und jetzt schon wieder an, zu flennen?

Plötzlich stand Atemu neben ihm und hielt ihm ein Taschentuch hin.

Yugi wollte erst die Hand des Anderen weg schlagen und ihn anfauchen, aber er bemerkte schnell, dass er einfach nur auf sich selbst wütend war und das konnte er schlecht an jemand anders auslassen.

Er nahm das Tuch entgegen. „Danke“, flüsterte er kaum hörbar.

Yugi wischte sich übers Gesicht und schnäuzte sich.

Unterdessen räumte Atemu stumm das restliche Geschirr in die Spülmaschine bzw. in die Spüle.

Dann setzte er sich Yugi wieder gegenüber. „Geht’s wieder?“

Yugi sah ihn an und konnte Sorge in den violetten Augen erkennen. Er nickte und richtete den Blick dann wieder auf den Tisch.

Sie schwiegen eine Weile.

„Das Vortreffen habe ich übrigens auf Mittwoch in der ersten großen Pause angesetzt“, wechselte Atemu das Thema. „Allerdings muss ich noch einen Raum festlegen.“

„Was das Kostüm angeht: ich gehe nicht davon aus, dass die Theatergruppe je ein Stück gespielt hat, in dem ein Pharao vorgekommen ist“, fuhr er fort. „Wir müssten uns also noch jemanden suchen, der Nähen kann.“

„Soweit ich weiß, näht Téas Mutter die Kostüme für die Theater-AG.“ entgegnete Yugi. „Sie würde sich sicherlich dazu bereit erklären, auch das Kostüm für Sie zu machen.“

„Hast du denn konkrete Vorstellungen, wie es aussehen soll?“ wollte Atemu wissen.

Yugi lächelte. Natürlich wusste er das ganz genau! Er nickte. „Ja, die Farbe des Grundkostüms ist weiß bis beige und sehr sommerlich, in Ägypten ist es schließlich heiß. Des Weiteren ein violetter Umhang. Und ein goldener Kopfschmuck. Auch viel goldener Schmuck.“

„Hm, ich muss dich aber darauf hinweisen, dass ich keine Ohrlöcher habe!“ meinte Atemu. Er wusste ja von Bildern, dass die Pharaonen ziemlich schmuckbehangen waren.

Yugis Lächeln verblasste. Das stellte sie natürlich vor ein Problem. Gerade da Atemu im alten Ägypten so große Ohrringe angehabt hatte. Dann mussten sie wohl improvisieren.

„Ich lasse mir etwas einfallen!“ versprach er.

Plötzlich klingelte das Telefon.

Yugi erschrak. Er hatte die Außenwelt komplett ausgeblendet.

Für ihn hatte nur gezählt, dass er mit Atemu alleine war.

Atemu kam mit dem Hörer in der Hand zurück in die Küche. Er hielt das Mikrophon zu.

„Meine Mutter“, flüsterte er. „Das kann dauern. Es wäre besser, wenn du gehen würdest.“

Er begleitete Yugi zur Tür und winkte ihm noch zu. „Bis übermorgen!“

Yugi sah zu, wie die Wohnungstür Atemu langsam verdeckte.

Wie konnte er ihn mit einem strahlenden Lachen verabschieden und gleichzeitig seiner Mutter zuhören?

Die Luft im Treppenhaus war noch immer miefig.

Yugi hüpfte die Treppe hinunter. Glücklich machte er sich auf den Nachhauseweg.
 


 

Yugi war spät dran – wie jeden Dienstag.

Aber das machte ihm nichts aus.

Seit drei Tagen war er vor Frohsinn sowieso nur am rumhüpfen.

Auf dem Lehrerparkplatz sah er sich nach Atemu um, aber dieser war weit und breit nicht zu sehen.

Vielleicht war er heute sogar später dran, als der Referendar.

Er lief die Treppe hoch und verlangsamte dann seinen Schritt.

Da war er – Atemu.

Er spürte ein seltsames Gefühl im Magen und wollte lächelnd auf ihn zutreten.

Doch Yugis Lächeln wurde schnell von seinem Gesicht gewischt.

Durch die vielen Schüler zwischen ihnen hatte er gar nicht bemerkt, dass Atemu sich mit Téa unterhielt.

Er konnte sehen, wie sie über irgendwas lachten, bevor er auf dem Absatz kehrt machte.

Der Junge würde einfach eine andere Treppe benutzen, um in die oberen Stockwerke zu gelangen.

Doch wie sollte er es aushalten, jetzt 2 Stunden neben Téa zu sitzen?

Ganz zu schweigen von den drei Stunden Ägyptisch. Wie sollte er sich verhalten?

Vielleicht sollte er einfach blau machen.

Nach dem Wochenende hatte er angenommen, dass es zwischen ihm und Atemu ganz gut laufen würde. Aber wahrscheinlich hatte er sich auf die Freundlichkeit des Anderen einfach zu viel eingebildet.

Als er auf dem Gang ankam, auf dem der Japanischunterricht stattfand, blieb er abrupt stehen.

Herr Yamito hatte Téa sogar bis hierher begleitet.

Flüchtig fragte Yugi sich, ob Téa ihrem geheimen Ziel näher gekommen war.

Doch nun konnte er sehen, wie Atemu seinen Kopf dem von Téa näherte und …

Yugi riss die Augen auf. Er wollte nicht weiter hinsehen. Er musste hier weg!

Der Junge drehte sich schnell wieder um und rannte aus der Schule.

Den Weg nahm er nur noch durch einen Tränenschleier wahr.

Er konnte es kaum glauben.

Téa und Atemu!

In seinem Inneren bildete sich ein riesiger Eisberg.

Was sollte er jetzt tun?

Er lief relativ ziellos durch die Straßen Dominos.

Nach einer langen Zeit bemerkte er, dass er vor ihrer Wohnung stand.

Was hatte seine Mutter noch erzählt?

Sie und Großvater waren von einer entfernten Verwandten eingeladen worden, weshalb die neu eingestellte Aushilfskraft heute alleine den Laden führen musste.

Was für Yugi bedeutete, dass sich keiner wundern würde, weshalb er schon wieder hier war.

Und wie er diese Verwandte kannte, würde sie die beiden auch nicht vor dem Abend wieder gehen lassen.

Er ließ seine Schultasche in einer Ecke seines Zimmers stehen und warf sich auf sein Bett.

Wieso? Wieso?

Wieso?

Yugi spürte die Tränen auf seinen Wangen, ignorierte sie aber.

Prompt fiel ihm sein Traum wieder ein und er schlug sich die Hände vors Gesicht.

Nach einer halben Ewigkeit stand er auf. Er musste sich mit irgendwas beschäftigen.

Der Junge kramte in den Schubladen seines Schreibtisches herum, bis er das gefunden hatte, wonach er gesucht hatte: Ein rotes Notizbuch.

Ein Tagebuch, das er noch nie benutzt hatte. Er setzte sich mit einem Dauerschreiber auf den Boden.

Yugi hatte das Gefühl, sich irgendjemandem mitteilen zu müssen, wollte aber keineswegs mit einer realen Person reden.

Er klappte die erste Seite des Buches auf. Dann starrte er die weiße Seite an.

Wie sollte er bloß beginnen?

Mit einer persönlichen Anrede? Liebes Tagebuch! - ? Hallo, Tagebuch! - ?

Oder einfach Knall auf Fall was ihm gerade einfiel?

Wenn er noch nicht einmal wusste, wie er anfangen sollte, warum dann das Ganze?

Außerdem war Tagebuch schreiben doch nur was für Mädchen.

Und für Schwule.

Wütend klappte er das Buch zu und schleuderte es von sich, so dass es unter dem Bett zum liegen kam.

Er legte sich auf den Bauch, die Wange auf dem Teppich und starrte dessen feine Härchen an.
 


 

Yugi betrat den Raum, in dem ihr Projekt stattfand.

Eigentlich hatte er sich sehr auf die Projekttage gefreut, bedeutete das doch, dass er den gesamten Vormittag und voraussichtlich auch einen Teil des Nachmittages mit Atemu verbringen konnte.

Außerdem würde er ihn wieder in seiner Pharaonentracht sehen. Wenn auch sehr improvisiert.

Aber seit einer Woche ging er sowohl Atemu als auch Téa soweit wie möglich aus dem Weg.

Yugi wusste auch nicht mehr so genau, wie er das Vortreffen überhaupt überstanden hatte.

Er wusste nur noch, dass Joey zwischen ihm und Téa gesessen hatte und er Herrn Yamito nur mit halbem Ohr zugehört hatte.

Der Junge war viel zu beschäftigt gewesen, seine Gefühle zu ignorieren und keinen der beiden anzusehen.

Als er Joey entdeckte, steuerte er direkt auf ihn zu.

Herr Yamito stand mit Téa und deren Mutter am anderen Ende des Klassenraumes, also war es ein leichtes, genug Abstand zwischen sie und ihn zu bringen.

„Da bist du ja endlich!“ tönte Joey, so dass es durch den ganzen Raum zu hören war.

Obwohl Yugi seinen Blick starr auf seinen Freund gerichtet hatte, nahm er wahr, dass Herr Yamito sich zu ihm umgewandt hatte.

„Wie läuft es?“ fragte er, mehr um sich selbst abzulenken.

Da Joey und er Kunst belegt hatten, hatten sie es übernommen, die Aufsicht über die Gestaltung der Plakate zu übernehmen. Bei dem Vortreffen war vorgeschlagen worden, kleine Bildchen für die Plakate zu malen.

Joey seufzte theatralisch. „Siehst du ja selbst!“

Er war damit beschäftigt, einen Sarkophag zu zeichnen, als Vorlage für die anderen Schüler.

„Sieht doch gut aus.“ Yugi setzte sich zu Joey und packte seine Materialien aus.

„Hast du schon mal mit Evaplast gearbeitet?“ Joey sah die Packung in Yugis Händen skeptisch an.

Yugi versuchte, zu lächeln. „Ich muss ja nicht damit arbeiten, ich habe es nur gekauft, weil es gestern gefehlt hat“, erklärte er und drückte einige Packungen in ausgestreckte Hände.

Die Schüler wollten mit Hilfe von Alufolie und Evaplast die Köpfe von verschiedenen ägyptischen Persönlichkeiten nachbilden, was einiges Geschick erforderte, aber eine der Teilnehmerinnen war als künstlerische Assistentin für alle vorgeschlagen worden.

Joey blickte von seiner Zeichnung auf. „Denkst du, dass das Kostüm heute fertig wird?“

Yugi konnte es nicht verhindern, dass er aus einem Reflex heraus Joeys Blick folgte.

Das Kostüm wurde per Nadel abgesteckt, so dass Téas Mutter es nur noch nähen musste.

Beim hereinkommen hatte Yugi gesehen, dass der am Vortag aus Pappe gefertigte Kopfschmuck gerade mit goldener Folie beklebt wurde.

Téas Mutter hatte irgendwo passende Oberarmreifen und Ringe gefunden, nur war ihnen noch immer kein Ersatz für die Ohrringe eingefallen.

„Ich denke schon, es muss ja nur noch genäht werden.“ Yugi wandte den Blick wieder ab.
 


 

Am Tag der Ausstellung trafen sie sich eine Stunde vor Ausstellungsbeginn, um ihre Plakatwände noch aufzustellen, den Sarkophag und die Evaplastköpfe in Stellung zu bringen.

Sie hatten gerade so viel Platz zugeteilt bekommen, dass sie all ihre Basteleien unterbringen konnten.

Herr Yamito kam gleich in seinem Kostüm hereinstolziert.

Womit Yugi aber nicht gerechnet hatte, war, dass sich der Referendar, um die glanzvolle Erscheinung als Pharao abzurunden, sogar geschminkt hatte.

Neben einem etwas dunkleren Gesichtspuder hatte er auch die Augen betont.

Yugi kannte sich ja gar nicht mit Schminke aus und wusste daher nicht, was genau Herr Yamito mit seinen Augen angestellt hatte. Sie strahlten auch viel mehr als sonst.

Es schien ihm sichtlich Spaß zu machen, in die Rolle von Pharao Atemu zu schlüpfen.

Aber das war ja auch kein Wunder, war er doch wahrscheinlich wirklich eben jener Pharao gewesen.

„Mascara, Lidschatten und Kajalstift hat er sich von mir geliehen.“ Téa musste Yugis verwunderten Blick bemerkt haben. Sie stand so dicht neben ihm, wie er es schon lange nicht mehr zugelassen hatte.

„Sieht gut aus!“ murmelte Yugi. An Schminke hatte er gar nicht gedacht, fand aber, dass sie Atemu sehr gut stand. Könnte er öfter machen. Er schüttelte diesen Gedanken ab.

„Komm, lass uns Fotos machen!“ Téa hatte ihre Digicam gezückt und ehe Yugi sich versah, zog sie ihn auch schon mit sich zu Atemu. Sie schob ihn zu dem Referendar, wollte nur sie zwei auf dem Foto.

Schließlich war es die erste Gelegenheit, Yugi und den Pharao auf einem Foto zu verewigen.

Yugi stellte sich etwas unsicher neben Atemu und spürte gleich wieder dieses seltsame Gefühl im Bauch.

Nachdem Téa ein Foto gemacht hatte, kam Joey angebraust und stellte sich auf Yugis andere Seite, ohne es allerdings auszulassen, ihn noch näher auf Atemu zuzuschieben.

„Ich will auch drauf!“ erklärte er und Téa drückte ihrer Mutter die Kamera in die Hand und gesellte sich zu den anderen, neben Joey.

Yugi kam sich zwischen den beiden etwas eingeengt vor, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen, vor allem nicht sein Unwohlsein so dicht neben Atemu zu stehen.

Fußball - oder: Kann ein Lehrer zu nett sein?

Vorbemerkung:

Mir war und ist vollkommen bewusst, dass gerade die Küchenszene aus Kap 3 ein Double ist. Wollte die Spaghetti auch erst durch Miso-Suppe ersetzen, damit es nicht ganz soo~ auffällig ist, aber es gibt ein paar kleinere Gründe, weshalb ich es nicht getan habe. Erstmal wäre Atemus Aussage bezüglich der Single-Haushalte nicht möglich gewesen und die Info ist nunmal sehr wichtig für Yu. Zum anderen wird Atemus Tante und die selbstgemachte Tomatensoße noch eine Rolle spielen. Ach ja, Atemus Mutter nicht zu vergessen...aber dazu später.
 

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kursiv = Gedanken
 


 

4. Fußball

- oder: Kann ein Lehrer zu nett sein?
 

Yugi saß an seinem Computer und besah sich die Bilder von den Projekttagen, die Téa ihm auf CD-Rom gebrannt hatte.

Er wählte ein bestimmtes Bild aus und betrachtete es lange.

Wider Erwarten sah er auf den Bildern gar nicht mal so verkrampft aus.

Doch fröhlich wirkte er auch nicht.

Aber das Bild, auf dem nur Atemu und er abgebildet waren, mochte er irgendwie.

Vielleicht sollte er es sich vergrößert ausdrucken und als Poster aufhängen.

Oder nur ausdrucken und einrahmen.

Er seufzte schwer.

Beides wäre natürlich auch möglich.

Dann stellte er den Drucker auf farbig um und wartete ungeduldig darauf, dass der PC das Foto ausdruckte.

Als er es schließlich in den Händen hielt, war er schon fast erleichtert.

Denn nun musste er wenigstens nicht mehr den PC hochfahren, um sich Atemu anzusehen, sondern hatte ihn gleich zur Hand, wenn die Sehnsucht ihn wieder überrollte.

Yugi schaltete den Computer aus und setzte sich wieder dorthin, wo er vor zwei Wochen schon einmal gesessen hatte: auf den Boden.

Mit dem roten Notizbuch in der Hand.

Wenn es ihm schon schwer fiel, seine Gedanken in ganze Sätze zu fassen, so doch wenigstens in lose Worte, die er vielleicht zu einem Gedicht würde zusammenfassen können.

Sein erster Versuch war schon mal gänzlich fehlgeschlagen:
 

Der Himmel ist blau,

Die Luft ist lau,

In meinem Magen wird’s flau,

bei diesem schlimmen Reim,

Drum lass’ ich das Reimen sein!
 

Yugi lachte leise über sich selbst und schrieb dann die Worte Test 1 darüber. Er hatte noch nie ein Gedicht geschrieben, aber er hatte es sich jetzt in den Kopf gesetzt, irgendwann wenigstens ein anständiges in dem Notizbuch aufgeschrieben zu haben, selbst wenn es erst auf der letzten Seite sein würde.

Und vermutlich würden alle Versuche insgeheim an Atemu gerichtet sein.
 


 

Als Yugi zur nächsten Geschichtsstunde kam, war er überrascht, dass Herr Shimizu hinten im Klassenraum saß und sich offensichtlich Herrn Yamitos Unterricht ansehen wollte.

Hauptsache, er hielt nicht selbst den Unterricht.

Vielleicht war die Klasse, die er sonst um diese Zeit unterrichtete, auf Klassenfahrt. Da es auf den Sommer zuging, war das gut möglich.

Herr Yamito kam kurz nach den letzten Schülern und begann seinen Unterricht wie immer.

Er ging mit den Schülern den Stoff durch und beantwortete Fragen knapp und präzise, aber dennoch verständlich.

Wie immer fertigten sie das Tafelbild zusammen an und die Mitarbeit der Schüler war auch ganz gut.

Herr Shimizu meldete sich nicht zu Wort und beobachtete alles stumm.

Herr Yamito selbst schien seinen betreuenden Lehrer komplett zu ignorieren. Er schenkte ihm nur wenige Blicke sondern konzentrierte sich auf die Schüler.

Nach der Stunde ging Herr Shimizu zu Herrn Yamito.

„Ihr Unterrichtstil gefällt mir gar nicht“, zischte er. „Sie sind viel zu nett zu den Schülern, sind nicht autoritär genug und sollten mehr Distanz aufbauen. Sie sind nicht jedermanns Kumpel, auch wenn sie nur um einige Jährchen älter sind.“

Der Referendar sah den Lehrer nicht an, sondern starrte auf Yugi, der seitlich hinter Herrn Shimizu stand und zwangsläufig alles mitbekam.

Wahrscheinlich wollte er den Anderen damit darauf aufmerksam machen, dass sie nicht alleine waren.

Doch Shimizu fuhr fort. „Sie sind der Lehrkörper. Sie können Noten nicht nach Sympathien verteilen. Sie sollten Ihren Unterrichtsstil schleunigst ändern, oder ich sehe schwarz für die nächste Prüfung. Die Schüler können bei Ihnen nicht genug lernen und werden Ihnen bald auf der Nase herumtanzen. Sie könnten diesen Kurs definitiv nicht durch ihr Abitur bringen.“

Er wandte sich um ohne auf eine Antwort von Herrn Yamito zu warten und rannte Yugi dabei fast um, um den Raum zu verlassen, denn er hatte scheinbar die nächste Stunde doch noch eine andere Klasse zu unterrichten.

Herrn Yamitos Gesichtszügen war nicht zu entnehmen, wie er mit dieser Schelte umgehen würde.

Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit ganz auf Yugi, der ihm eigentlich nur einen neuen Essay abgeben wollte.

Er nahm den Essay stumm entgegen und drehte sich dann um, um die Tafelanschrift wieder abzuwischen, denn sie hatten ja noch eine Stunde.

Auch während der nächsten Stunde ließ er sich nicht anmerken, ob und wie er darauf reagieren würde.
 


 

„Was ist denn los, Yugi? Du tust so geheimnisvoll!“ Téa sah ihn neugierig an.

Yugi hatte sie zu sich nach Hause eingeladen, weil er mit ihr reden wollte – alleine, ohne die beiden anderen Freunde.

„Willst du etwas zu trinken?“ fragte Yugi statt eine Antwort zu geben.

Téa seufzte. „Ich kenne dich ja. Wenn ich ablehne, um dem Geheimnis schneller auf die Spur zu kommen, holst du dir was zu trinken und ich bin auch nicht weiter.“

Yugi grinste trotz der ernsten Situation.

Er hatte einen Entschluss gefasst, an dem nicht mehr zu rüttelten war.

„Also gut, ein Mineralwasser wäre ganz nett“, meinte Téa und setzte sich schon mal auf den Boden.

Yugi verschwand kurz in einem der angrenzenden Zimmer und kam dann mit zwei Gläsern und einer Flasche Wasser zurück.

„Was willst du denn so dringend mit mir besprechen?“ kam Téa gleich wieder zum Punkt, nachdem Yugi ihre Gläser gefüllt und sie einen ersten Schluck getrunken hatte. „Eigentlich hatte ich ja eher das Gefühl, dass du mir aus dem Weg gehst.“

Yugi nickte, denn er wollte das nicht leugnen.

Téa sah ihn erstaunt an. Hatte sie sich also nicht getäuscht und er gab es sogar zu.

„Wenn ich mit meiner Erklärung fertig bin, dann wirst du mich vielleicht verstehen“, begann er.

„Ich weiß nur nicht so recht, wo ich anfangen soll.“ Yugi schloss nachdenklich die Augen und atmete tief durch. Er hatte lange mit sich gerungen, bis es zu diesem Entschluss gekommen war.

Und dieses Gespräch immer und immer wieder in Gedanken durchgespielt.

Aber dennoch konnte er nicht sagen, wie Téa auf einen bestimmten Aspekt reagieren würde.

„Du … bist doch in Atemu verliebt.“ Der Junge sah Téa forschend an.

Diese nickte zögerlich. „Naja…“ Sie konnte sich nicht vorstellen, worauf er hinaus wollte.

„Und ihr habt euch doch schon mal … geküsst.“ Es war eigentlich keine Frage, aber er musste es zur Sprache bringen. „Aber allem Anschein nach seid ihr trotzdem nicht zusammen.“

Téa wich zurück. „Geküsst? Nein! Wann soll das denn gewesen sein?“ wehrte sie ab.

War er etwa eifersüchtig auf Atemu?

„Na damals als…“ Das brachte Yugi jetzt aus seinem Konzept. Sie hatten sich nicht geküsst?

„Das war einen Tag vor dem Vortreffen für die Projekttage!“ platzte es aus ihm heraus.

Wieso leugnete sie es, er hatte es doch gesehen!

„Einen Tag vor dem Vortreffen?“ Téa legte nachdenklich die Hand unters Kinn und den Zeigefinger an die Wange. „Nein. Aber war das nicht der Dienstag, als du gefehlt hast?“ Sie sah ihn scharf an.

Yugi wurde rot im Gesicht und wandte den Blick auf den Boden. Er fühlte sich ertappt.

Der Junge schwieg eine Weile und auch Téa sagte nichts.

„Ich muss … dir etwas gestehen“, fuhr er schließlich fort.

Téa sah ihn erwartungsvoll an.

„Ich … bin ebenfalls verliebt.“ Er hasste es, wenn er so herumstotterte.

Téa lächelte auf dieses Geständnis hin. „Oh, Yugi…“

„In Atemu“, setzte er hinzu, ohne Téa weiterreden zu lassen.

Téas Lächeln verschwand augenblicklich, doch konnte Yugi es gar nicht sehen, da er noch immer den Blick abgewandt hatte. „Ich bin wohl … schwul.“

Jetzt war es raus. Er hatte es endlich jemandem anvertraut. Und es war eine ungeheure Erleichterung.

Auch, wenn es ausgerechnet Téa war, die es nun wusste.

Der Junge atmete tief durch.

Als Téa schwieg, er konnte sie noch immer nicht ansehen, redete er weiter. „Ich habe einen Entschluss gefasst. Da es sehr unwahrscheinlich ist, dass er ebenfalls … auf Männer steht …“ Puh, war es schwer, das auszusprechen „…möchte ich dir helfen, ihn für dich zu gewinnen.“

Endlich richtete er den Blick wieder auf Téa und wartete unsicher auf eine Reaktion, doch sie schwieg noch immer, schien erst alles verarbeiten zu müssen.

Yugi trank hastig ein paar Schlucke aus seinem Glas.

„Yugi…“ begann Téa schließlich mit leiser Stimme. „Wieso willst du das tun? Ich meine, natürlich wäre ich glücklich, wenn du mir helfen würdest, aber doch nicht, wenn du ihn … selbst liebst! Ich verstehe dich nicht, wieso willst du nicht um ihn kämpfen? Es steht doch gar nicht fest, dass er …“ Sie zögerte. „… hetero ist!“

Yugi starrte Téa an. Ihre Reaktion war für ihn unverständlich und nicht zu begreifen. Wieso redete sie so? Er wollte ihr doch nur einen Gefallen tun!

„Ich kann dieses Angebot, wenn man es denn so nennen will, nicht annehmen“, fuhr Téa fort. „Der Preis wäre mir zu hoch. Weil du dadurch unglücklich wirst! Ich werde es höchstens selbst versuchen.“

Yugi sah Téa noch immer ungläubig an. „Aber…“

„Kein aber!“ unterbrach sie ihn scharf. „Wenn du mir helfen würdest, würdest du dir nur selbst Leid zufügen. Es wird schon schwer genug für dich sein, falls er irgendwann eine Freundin hat.“

Téa krabbelte auf ihn zu und umarmte ihn schließlich. „Ich will das nicht, OK? Du bist mein bester Freund, ich kann dir einfach nicht wehtun! Nicht auf diese Weise.“

Es schien ihr nichts auszumachen, dass ihr bester Freund schwul war.

Yugi starrte über ihre Schulter und nickte kaum merklich.

Aber insgeheim würde er an seinem Entschluss festhalten und auch Téa würde ihn nicht davon abhalten.

Er wollte doch einfach nur, dass Atemu glücklich war.

Selbst wenn das für ihn bedeutete, todunglücklich zu sein.

War das denn zu viel verlangt?
 


 

Die nächste Geschichtsstunde begann Herr Yamito ungewohnt pünktlich, quasi auf die Sekunde.

Und er ermahnte alle, die zu spät kamen, was sich sonst erübrigt hatte, da er noch nie auf den Gongschlag angefangen hatte.

Herr Shimizu war wieder anwesend und beobachtete alles skeptisch.

Und der nächste Paukenschlag seitens des Referendars folgte sogleich, indem er, statt den Stoff gemeinsam zu wiederholen, wie sonst üblich, einen der Zuspätkommenden zur Strafe abfragte und benotete.

Die Schüler warfen sich unverhohlen erstaunte Blicke zu.

Bisher hatte Herr Yamito bei allen als umgänglich und fair gegolten.

Doch was war wohl der Grund für diesen Umschwung?

In dieser Doppelstunde überhäufte er sie mit Arbeitsblättern und er ging den Stoff ungewöhnlich schnell und stramm durch. Seine Erklärungen wurden noch knapper und dadurch unverständlicher.

Schließlich gab er ihnen auch noch einen Berg an Hausaufgaben auf, was allgemeines Stöhnen und Murren auslöste.

Yugi konnte sich denken, was passiert war: Herr Shimizu setzte Herrn Yamito unter Druck und hatte ihm sicherlich Änderungsvorschläge oder vielmehr –richtlinien auferlegt.

Nach dem Unterricht, Shimizu hatte gerade den Saal verlassen, sackte Atemu auf dem Stuhl hinter dem Pult regelrecht zusammen. Er wandte sich den Fenstern zu und betrachtete scheinbar die wenigen weißen Sommerwolken, die langsam über den Himmel zogen.

Yugi trat ans Pult. Er machte sich ein wenig Sorgen um seinen alten Freund.

Selbst wenn er immer so stark erschien, er war es nicht in jeder Situation.

„Herr Yamito?“ fragte er leise.

Es dauerte eine Weile, bis eine ebenso leise Antwort kam. „Ich will eigentlich nicht Lehrer werden, um die Schüler zu tyrannisieren.“

„Das wissen wir“, erklärte eine zaghafte weibliche Stimme.

Blitzartig war Herr Yamito wieder aufgestanden und hatte eine Vierteldrehung Richtung Klassensaal absolviert und sah sich dem gesamten Kurs gegenüber.

Er war sprachlos. Offenbar hatte er angenommen, nur Yugi seinen Kummer mitzuteilen.

„Wir werden Ihnen helfen“, versprach Reiko, die Herrn Yamito zuvor schon geantwortet hatte.

„Ich…“ Der Referendar wusste nicht, was er sagen sollte und wandte verlegen den Blick ab.

„Es tut mir leid. Ich kann euch noch nicht einmal die Hausaufgaben erlassen, ich muss den Schein wahren“, erklärte er schließlich.

„Ich weiß auch gar nicht, wie ihr mir helfen könnt. Ich kann nichts daran ändern, dass er mein betreuender Lehrer ist.“ Er sprach noch nicht einmal seinen Namen aus.

Jetzt war klar, was Yugi schon am Wandertag geahnt hatte: die beiden waren sich sehr unsympathisch.

„Aber dennoch danke.“ Endlich hob er seinen Blick und richtete ihn auf Yugi.
 


 

„Du hast Post bekommen, Schatz!“ wurde Yugi mittags von seiner Mutter empfangen.

„Mama! Hör auf mit diesem ‚Schatz’! Dafür bin ich mittlerweile zu alt!“ erklärte Yugi genervt. Das predigte er ihr nun schon, seit er im Mai volljährig geworden war. Also seit bald zwei Monaten.

„Das ist so, als würde ich zu dir ‚Frau Muto’ sagen!“ Das war zwar etwas übertrieben, aber manchmal kam es ihm so vor.

„Ist ja schon gut!“ wehrte seine Mutter sich und machte eine kleine Pause. „Schatz!“ Sie betonte es extra, grinste und zwinkerte ihm zu. Dann händigte sie ihm den Brief aus.

Yugi verdrehte die Augen und nahm ihr den Brief aus der Hand. Er drehte ihn neugierig in der Hand.

Von wem mochte er wohl sein? Doch es stand kein Absender darauf.

Sein Magen grummelte. Der Brief musste also bis nach dem Mittagessen warten.

Der Junge setzte sich zu seiner Mutter an den Tisch, aber seine Gedanken waren noch immer bei dem geheimnisvollen Brief.

Die Adresse war zwar handschriftlich verfasst, aber er kannte sie nicht. Dennoch war deutlich zu sehen, dass sie von einem Erwachsenen stammte und wenn er tippen müsste, von einem Mann, denn es war ein zackiges und enges Schriftbild.

Nach dem Essen zog er sich mitsamt dem Brief auf sein Zimmer zurück.

Er nahm seine Schere und schnitt ihn der Längsseite nach auf. Dann nahm er ein Blatt Papier heraus und entfaltete es.

Als erstes richtete er interessiert den Blick auf die Unterschrift.

Pegasus! schoss es ihm durch den Kopf. Was wollte der denn von ihm?

Er begann, den Brief zu lesen.
 

Hallo, Yugi!

Er konnte förmlich Pegasus’ Stimme in seinem Kopf widerhallen hören.
 

Hiermit möchte ich Dich, als amtierenden Weltmeister, zu einem neuerlichen Duell im Königreich der Duellanten einladen.

Ich will ehrlich zu Dir sein: Das Turnier hat vor allem den Zweck, von mir neu kreierte Karten im Duell zu testen. Jeder Teilnehmer erhält im Voraus eine davon, die in jedem Fall bei den Duellen im Deck sein und nach Möglichkeit auch gespielt werden muss. Anbei Deine neue Karte.

Der jeweilige Gewinner des Duells erhält die von mir in den Einladungen verschickte Karte des Verlierers. Um zu gewährleisten, dass der Verlierer auch diese Karte und keine andere abgibt, haben wir in jeder Karte eine Art Chip installiert, mit dem verfolgt werden kann, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Alle gewonnen Karten müssen im nächsten Spiel verwendet werden.

Der Preis für den Gewinn dieses Turniers ist somit ein komplett neues Deck mit Karten, die erst ein halbes Jahr später auf den Markt kommen.

Ich hoffe, das ist Ansporn genug, für Dich als Weltmeister, daran mitzuwirken.

Die Duelle finden in der zweiten Hälfte der Sommerferien statt, damit auch alle Eingeladenen teilnehmen können.
 

Ich freue mich darauf, Dich wieder zu sehen.
 

Mit freundlichen Grüßen,
 

Maximillion Pegasus
 

P.S.: Ich selbst werde nicht teilnehmen, obwohl ich mir natürlich sicher bin, dass du mein Cartoon-Deck schlagen würdest.

P.P.S.: Du kannst deine Freunde natürlich mitbringen.

Und noch was: Es wäre angenehmer, wenn du auf die Götterkarten verzichten könntest.
 

Yugi legte den Brief zur Seite. Er sah nachdenklich sein Deck an, das er auf seinem Schreibtisch liegen hatte.

Es wäre das erste Turnier, an dem er teilnehmen würde, seit Atemu nicht mehr bei ihm war.

Natürlich wäre es schön, dabei zu sein.

Es ging ihm ja jetzt wieder besser.

Jedenfalls in gewisser Hinsicht.

Bis auf die Tatsache, dass er unglücklich verliebt war.

In Atemu.

Es hatte lange gedauert, bis er es überhaupt vor sich selbst hatte zugeben wollen.

Er hatte immer nur an Atemu gedacht, er war durch seine Träume gegeistert, doch er hatte es zunächst anders interpretiert.

Yugi hatte gedacht, er würde ihn einfach noch immer oder wieder vermissen.

Denn er war so oft ganz nah bei ihm, in Ägyptisch saßen sie sogar nebeneinander, aber sie waren sich doch so fern.

Atemu war fast unerreichbar für ihn.

Vielleicht war es besser so, er würde Atemu gewiss nur in Verlegenheit bringen, wenn der etwas von seinen Gefühlen wüsste.

Atemu war sicherlich nicht schwul.
 


 

„Na, hast du auch so einen Wisch von Pegasus gekriegt?“ fragte Joey am nächsten Tag in der großen Pause.

Yugi nickte.

„Zeig mal deine neue Karte!“ wurde er sofort von seinem besten Freund aufgefordert.

Da Yugi schon so was geahnt hatte, hatte er sie eingesteckt und nun präsentierte er sie dem Blonden.

„Oh Mann, war ja klar, dass du gleich wieder ein Monster abgesahnt hast!“ stöhnte Joey.

„Für mich hatte der Olle nur eine Zauberkarte übrig.“ Er reichte seine Karte an Yugi weiter.

Yugi nahm sie in die Hand und besah sie sich mit Kennerblick.

„Es scheint so, als hätte er Karten für uns ausgesucht, die auch in unser Deck passen.“ Er gab Joey seine Glücksspirale zurück und nahm seinen Sternenzauberer wieder entgegen.

„Beide sind irgendwie schön bunt“, stellte Téa, die neben Yugi stand, fest.

Sie hatte sich wohl bisher an ihre Abmachung gehalten und den beiden Jungs nichts von Yugis ‚Andersartigkeit’ erzählt.

„Das wird aber wahrscheinlich nicht bei allen Karten der Fall sein, denn um nachher ein Deck zu bilden, müssen die Karten sehr ausgewogen sein“, meinte Yugi nachdenklich.

„Bist du nicht schon ganz heiß darauf, dich endlich wieder zu duellieren?“ wollte Joey wissen.

Er selbst duellierte sich so gerne, dass er sich gar nicht vorstellen konnte, über ein dreiviertel Jahr auszusetzen. Und bis zum Turnier wäre es ein ganzes Jahr, in dem Yugi sich nicht duelliert hatte.

„Hm, naja, es wird wohl nicht dasselbe sein. Ohne Atemu“, erklärte Yugi.

Er hatte sich ja bisher erst drei Mal ohne Unterstützung duelliert.

„Wenn man vom Teufel spricht“, bemerkte Tristan und sah zwischen Yugi und Téa hindurch.

Yugi wandte sich um. Atemu!

Er packte Téa am Arm und schleifte sie mit sich in Richtung des jungen Referendars, der gerade das Schulgebäude vom Pausenhof her betreten wollte.

„Herr Yamito!“ rief er noch bevor sie richtig bei ihm angekommen waren, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

„Yugi!“ zischte Téa und versuchte, sich hochrot aus Yugis ziemlich festem Griff zu befreien.

Doch dieser ließ von selbst los, als Herr Yamito stehen blieb und ihnen entgegenblickte.

„Wie werden Sie denn nun in Zukunft ihren Unterricht gestalten?“ fragte Yugi, als sie bei ihm angekommen waren. Er hatte allerdings nur am Rande mitbekommen, dass nicht nur Téa, sondern auch die beiden Jungs ihm gefolgt waren.

Der Junge hatte ihnen natürlich erzählt, was sich am Vortag während der Geschichtsstunde abgespielt hatte.

Herr Yamito betrat das Schulgebäude in der Erwartung, dass die vier ihm folgen würden.

„Ich werde den Unterricht ganz normal weiterführen. Es sei denn…“ Er sah sich schnell prüfend um, um sicher zu gehen, dass die Person, die er erwähnen würde, nicht in der Nähe war. „… er beehrt uns wieder.“

Yugi lächelte. „Ja, das ist wahrscheinlich eine gute Idee.“

Sie verfielen eine Weile in Schweigen, in der sich die anderen drei aus der Clique nach und nach verabschiedeten.

„Übrigens, er hat mich dazu gezwungen, ihm eure letzten Essays zu geben“, erklärte der Referendar als sie alleine zum Geschichtsraum weitergingen. „Seiner Meinung nach ist dein Essay leider ungültig.“

„Was?“ rutschte es Yugi etwas verwirrt heraus.

Wenn sie beide alleine zusammen waren, hatte er meistens Probleme damit, seine Gedanken zusammenzuhalten. Er lauschte jedem seiner Worte andächtig, aber eher, um dem Klag seiner Stimme zu huldigen, als das, was er sagte, klar zuordnen zu können.

„Da er nicht zum durchgenommenen Thema gehört, soll er nicht bewertet werden“, erläuterte Herr Yamito. „Du kannst noch froh sein, dass er mich nicht gezwungen hat, ihn mit einem Minus zu bewerten. Er rät dir dringend, einen Essay über den Stoff zu schreiben.“

„Dann war die ganze Arbeit also für die Katz“, seufzte Yugi und sah auf den Boden.

Er gab sich für seine Essays immer besonders viel Mühe, um Eindruck bei Atemu zu hinterlassen und sich nicht bei ihm zu blamieren. Außerdem war er wahrscheinlich der einzige, der so viele Essays abgab.

„Na, das würde ich nicht sagen. Er kann nicht unterscheiden, welches Plus im Notenbuch für welchen Essay steht. Ich werde das Plus einfach irgendwann nachtragen“, meinte Atemu.

Yugi wurde leicht rot im Gesicht und ein glückliches Lächeln huschte über sein Gesicht. Er sagte besser nichts dazu, sonst würde es sich der Referendar vielleicht noch mal anders überlegen.

Der Junge warf Herrn Yamito einen Seitenblick zu, doch dessen Gesicht war gerade dabei, sich zu verfinstern.

Dies veranlasste Yugi, den Blick wieder nach vorne zu richten und auch ihm gefror das Blut in den Adern.

Von den anderen Treppenaufgängen her kam ihnen Herr Shimizu entgegen, aber nicht nur das, er hatte auch den Rektor und zwei weitere Lehrer im Schlepptau. Und es war eindeutig keine Prüfungskommission, denn die wäre angekündigt gewesen und Atemu hätte die Schüler darauf vorbereitet.

Herr Yamito sah auch nicht im Geringsten so aus, als hätte er von irgendwas gewusst.

Das verhieß nichts Gutes.

Nacheinander betraten sie den Klassenraum.

„Unterrichten Sie einfach so wie immer. So, wie Sie es für richtig halten“, konnte Yugi die Stimme des Rektors hinter sich noch hören.

Im Saal wurde es augenblicklich still bei dieser Lehrerprozession.
 


 

Herr Yamito hielt sich strikt an die Anweisung des Rektors und gestaltete den Unterricht genauso, wie die ganzen Wochen zuvor, Shimizus Anweisungen strikt ignorierend.

Es gab nicht allzu viele Arbeitsblätter und die Erklärungen waren wieder zu verstehen.

Die Schüler waren ruhiger als sonst und gaben sich noch mehr Mühe, mitzuarbeiten.

Yugi drehte sich ab und an um, um zu sehen, was die Lehrer taten. Kamekura unterhielt sich meistens mit der Lehrerin an seiner Seite, die, soweit Yugi wusste, ebenfalls Geschichtslehrerin war.

Der Lehrer zu Kamekuras anderer Seite war ein sehr netter Lehrer, der Mathematik und Physik unterrichtete. Er war sogar Vertrauenslehrer und sah Herrn Yamito aufmerksam zu.

Herr Shimizu selbst saß eher etwas abseits und betrachtete das Geschehen grimmig.

Eine Viertelstunde vor Schluss meldete er sich zu Wort. „Wenn ich Sie hier unterbrechen dürfte.“

Herr Yamito schrieb noch das Wort an der Tafel zu Ende, drehte sich dann um und sah die anderen Lehrer abwartend an.

Auch die drei Lehrer, die Shimizu mitgebracht hatte, wandten sich nun ihm zu.

„Ich möchte gerne das Wissen Ihrer Schüler testen. Deshalb würde ich gerne einen davon zu dem aktuellen Thema abfragen“, erklärte ihr Geschichtslehrer und sah sich unter den Schülern um.

Doch sobald er den Namen Ikumi ausgesprochen hatte, war Yugi klar, dass Shimizu ein abgekartetes Spiel spielte, denn er hatte sie sicherlich nicht zufällig gewählt. Da ihre Noten immer schlecht gewesen waren, dachte er wohl, leicht an sein Ziel zu gelangen, denn er wollte Herrn Yamito eindeutig eins reinwürgen.

Yugi riss die Augen auf. Nein! Das durfte nicht sein!

Atemu war doch so ein guter Lehrer!

Dieser hatte den Blick auf das Pult vor sich gerichtet und drehte nervös das Stück Kreide in seinen Händen.

Er hatte scheinbar den gleichen Schluss gezogen, wie Yugi.

Yugi musste ihm unbedingt helfen. Wenn er…

Ebenso wie Ikumi stand er auf. „Ich möchte mich ebenfalls abfragen lassen.“

Er hatte nicht viel Zeit zum Nachdenken gehabt und hoffte, dass seine Stimme einigermaßen fest geklungen hatte und er nicht unter Atemus Blick, den er eindeutig auf sich spüren konnte, rot wurde.

Wenn Herr Shimizu seine Bitte abschlagen würde, wäre jedem offensichtlich, was er vorhatte, denn im Gegensatz zu Ikumi hatte Yugi jetzt immer sehr gute Noten.

Herr Shimizu sah Yugi giftig an, doch bevor er etwas sagen konnte, ergriff der Rektor das Wort. „Ja, das ist eine gute Idee. Fragen Sie beide ab.“

Herr Shimizu warf Yugi einen wütenden Blick zu.

Wenn Blicke töten könnten, wäre Yugi jetzt tot umgekippt.

Yugi presste die Lippen zusammen, um sich ein triumphierendes Grinsen zu verkneifen.

Er hatte dem Lehrer ganz schön in die Suppe gespuckt.

„Gut“, stimmte Shimizu eher widerwillig zu. „Aber du antwortest erst, wenn Ikumi die Antwort nicht weiß oder wenn die Frage direkt an dich gestellt ist.“

Er begann seine Befragung, doch er wurde schon wieder enttäuscht, denn Ikumi war offensichtlich sehr gut vorbereitet und beantwortete alle Fragen ausführlich und vor allem richtig, so dass Yugi zu Anfang nichts zu tun hatte, bis Shimizu schließlich ein paar Fragen direkt an ihn stellte, doch er antwortete ebenfalls korrekt, was Shimizu sichtlich verstimmte.

Ein leichtes Grinsen umspielte die Lippen des Lehrers, als er sich wieder Ikumi zuwandte und eine Frage zu einem Thema stellte, das eigentlich schon seit über zwei Wochen abgeschlossen war.

Statt wie bisher wie aus der Pistole geschossen zu antworten, schwieg Ikumi eine Weile und Shimizus Grinsen erweiterte sich schon, als sie dann doch noch genauso einwandfrei antwortete, wie zuvor.

Was sich natürlich auf Shimizus Laune niederschlug.

„Ich denke, das reicht jetzt“, meldete Kamekura sich wieder zu Wort.

Der Rektor hatte sich alle Fragen und Antworten auf Richtigkeit von seiner Nachbarin bestätigen lassen, schließlich war er kein Geschichtslehrer.

Dann nahm er noch die Meinung des anderen Lehrers ein.

„Ihr könnt euch setzen“, wandte er sich an die beiden Prüflinge und richtete den Blick dann auf Herrn Yamito. „Tragen Sie bitte beiden Schülern eine 15 ins Notenbuch ein.“

Herr Yamito nickte bestätigend und nahm schnell das Notenbuch zur Hand.

Währendessen kamen die vier Lehrer nach vorne, denn die Stunde würde jeden Augenblick zu Ende sein.

„Führen Sie Ihren Unterricht einfach so weiter, wie bisher. Es gibt nichts daran zu beanstanden.“ Herr Kamekura lächelte den Referendar freundlich an und die Lehrer folgten ihm aus dem Klassensaal.

Shimizu warf Herrn Yamito einen unfreundlichen Blick zu.

Sobald die Tür geschlossen war, klingelte es zur Pause.

Diesmal wartete Herr Yamito, bis die Schüler den Saal verlassen hatten, ehe er sich auf den Stuhl hinter dem Pult setzte. Er schloss die Augen und atmete tief durch.

Erst jetzt war ihm anzusehen, unter welchem Stress er in den letzten 45 Minuten gestanden haben musste.

„Herr Yamito?“ Wieder war es Yugi, der hinter ihm stand. Diesmal aber alleine.

Wie gerne würde er ihm jetzt tröstend eine Hand auf die Schulter legen.

Es war sicherlich nicht einfach zu verkraften, dass Shimizu versucht hatte, ihn bloßzustellen, vor dem Rektor.

Atemu hob den Kopf und sah Yugi an. Er wirkte gestresst und erschöpft.

Dennoch huschte ein leichtes Lächeln über sein Gesicht, als sich sein Blick auf Yugi heftete.

„Ich muss mich wohl bei euch beiden bedanken“, erklärte er schließlich. „Und mich bei euch revanchieren. Es war wahrscheinlich Glück für mich, dass ihr zwei abgefragt wurdet, ihr wart gut vorbereitet.“

Yugi schüttelte den Kopf. „Nein, ich denke, alle anderen hätten ähnlich abgeschnitten.“

„Meinst du?“ Herr Yamito stand auf und packte seine Sachen zusammen.

„Wir haben Ihnen doch gesagt, dass wir Ihnen helfen“, erinnerte Yugi.

„Sicher, aber ihr konntet ja schlecht ahnen, was passiert. Ich jedenfalls hätte das nicht für möglich gehalten“, entgegnete Atemu. Sie verließen den Klassensaal. „Wieso bist du eigentlich noch hier?“ Er sah Yugi an.

„Ähm… Ich weiß nicht… Sie haben so… niedergeschlagen gewirkt“, erklärte Yugi und fühlte direkt die Hitze in seine Wangen schießen. Er richtete den Blick auf den Boden.

„Du wolltest mich wieder aufbauen? Wie nett von dir.“ Atemu lächelte mild. „Es war nur die Anspannung, damit verbunden, dass ich versucht habe, sie zu verbergen. Aber jetzt geht es mir wieder besser.“
 


 

Heute war der letzte Schultag vor den Sommerferien.

Dieser begann für die Schüler erst zur zweiten Stunde, bevor es direkt zur Zeugnisausgabe ging.

Die 12.klässler versammelten sich alle in dem großen Musiksaal, um ihre Zeugnisse aus den Händen von Rektor Kamekura entgegenzunehmen.

Dieser rief alle nacheinander nach vorne. Was aber allgemeines Grummeln hervorrief, war die Tatsache, dass er die Namen genauso vorlas, wie ihre Eltern sie damals zur Einschulung eingetragen hatten, das hieß, dass er auch die Zweinamen nannte, die vielen nicht so gefielen und es ihnen daher peinlich war, dass es so jeder erfuhr.

Yugi selbst hatte damit keine Probleme. Er hatte keinen Zweitnamen.

Der Junge fand die Tatsache viel interessanter, dass auch einige Lehrer anwesend waren und so achtete er gar nicht auf den Rektor und die vielen Namen bzw. Zweitnamen, sondern beobachtete viel lieber Atemu.

Da der Rektor die Zeugnisse scheinbar alphabetisch geordnet hatte, war es auch nicht sonderlich schwer, den Faden nicht zu verlieren.

Wenn Yugi nur daran dachte, dass er Atemu voraussichtlich die nächsten sechs Wochen nicht sehen würde, wurde ihm regelrecht schlecht. Wie sollte er das nur aushalten? Das war fast unmöglich.

Deshalb wollte er ihn heute so viel wie möglich beobachten.

Obwohl Frau Nakamori ihn in ein Gespräch verwickelt hatte, konnte Yugi erkennen, dass Herr Yamito Herrn Kamekura und die Schüler beobachte. Ab und an nickte er zu den Sachen, die Frau Nakamori ihm erzählte, aber ansonsten ließ er sich von ihrer Meinung kommentarlos zudecken. Er fand es scheinbar viel interessanter, die Reaktionen der Schüler auf ihre Zeugnisse zu sehen.

Yugi richtete seine Aufmerksamkeit auf den Rektor, gerade rechtzeitig, um mitzubekommen, dass dieser schon bei M angekommen war.

Als er dann schließlich aufgerufen wurde, kam er sich sehr beobachtet vor. Was aber nicht so sehr von seinen Mitschülern herrührte, die sich sowieso viel lieber untereinander unterhielten, als die Übergabe der anderen Zeugnisse zu verfolgen, sondern vielmehr daher, dass Herr Yamtio die ganze Zeit ein solch hohes Interesse an dieser Zeremonie gezeigt hatte.

Yugi nahm sein Zeugnis entgegen und warf einen kurzen Blick darauf. Für ihn gab es keine Überraschungen, alles war zuvor schon ersichtlich gewesen. Er ging zu seiner Clique zurück, es vermeidend, Atemu anzusehen.

„Zeig mal her!“ Joey nahm seinem Freund dessen Zeugnis aus der Hand und überflog es. „War ja abzusehen.“

Er selbst hatte für seine Verhältnisse auch ganz gut abgeschnitten und Téa und Tristan waren sowieso schon immer kleine Streber gewesen, also nichts Besonderes.

Joey hatte bei den Zeugnissen von ihnen vier schon immer am schlechtesten abgeschnitten. Als das bei den letzten Zeugnissen dann einmal nicht der Fall gewesen war, war er auch nicht damit zufrieden gewesen, weil sein bester Freund sich so hatte gehen lassen.

Aber seit Atemu wieder aufgetaucht war, war alles wieder OK, denn er übte scheinbar einen guten Einfluss auf Yugi aus.
 


 


 

Nach der Zeugnisausgabe strömten die Schüler aus dem Saal.

Jetzt stand erst einmal das an, was immer am letzten Schultag stattfand: das Fußballspiel 12.klässler gegen Lehrer.

Auch Yugi und Joey waren in dieser Mannschaft. Wer genau allerdings ihre Gegner waren, wussten sie nicht.

Die Sportlehrer natürlich auf jeden Fall. Aber sie hatten ja keine 11 Sportlehrer.

Die Schüler mussten sich also zwangsläufig in den Umkleiden umziehen, die normalerweise den Mädchen vorbehalten waren, da die Lehrer die andere Kabine für sich beanspruchten.

Nachdem die Schüler umgezogen waren, liefen sie hinaus auf den Sportplatz, um sich warm zu machen.

Da diese Spiele immer sehr beliebt waren, war der Rand des Sportplatzes von zuschauenden Schülern ganz eingenommen. Hier und da konnte man sogar Plakate ausmachen, die die Schülermannschaft anfeuerten.

Selbst der Schiedsrichter war ein Schüler, der aber dennoch neutral bleiben musste.

Die vorherigen Spiele waren allerdings für die Schüler eher nicht so berauschend gelaufen, was ja bei einer gewissen Anzahl an Sportlehrern auch nicht verwunderlich war. Dafür waren die Lehrer allesamt viel älter, manche dadurch auch durchaus langsamer. Dadurch, dass die Lehrer jedes Jahr zusammen spielten, während ihre Gegner je nach Klassenstufe wechselten, hatte sich schon etwas Routine eingestellt.

Dennoch waren die Spiele meist unentschieden ausgegangen, da die Schüler sich meist durch enormen Kampfgeist ausgezeichnet hatten. Aber es galt allgemein hin als äußerst schwierig, gegen die Lehrer überhaupt ein Tor zu schießen, weshalb es jedes Jahr aufs Neue oberstes Ziel der Schüler war, überhaupt ein Tor zu erzielen.

Nachdem Yugi und die anderen ein paar Runden gelaufen und sich auch sonst warm gemacht und gedehnt hatten, rief sie der Rektor, der als Kommentator fungierte, zum Spielfeldrand.

Sie räumten das Feld eigentlich nur, um es kurz darauf wieder zu betreten, denn nun wurde jeder Schüler gemäß seiner Position aufgerufen und joggte dann unter frenetischem Jubel der Mitschüler auf seinen Platz.

Nachdem alle Schüler die zugeteilte Stellung bezogen hatten, kamen auch langsam die Lehrer, die sich in der Turnhalle warm gelaufen hatten, zum Spielfeldrand und warteten geduldig auf ihren Aufruf.

Yugi hatte Herrn Kamekura den Rücken zugedreht, da Téa genau in der entgegengesetzten Richtung stand.

Téa gestikulierte wild mit den Armen, aber Yugi verstand nicht, was sie wollte. Er lächelte nur und wandte sich dann dem Torwart zu.

Kamata war nicht gerade der Schnellste, aber im Vorjahr hatte er viele gute Chancen pariert und zwei Jahre zuvor sogar einen Elfmeter gehalten. Ihn galt es, zu überwinden.

Erst als die Nummer drei, linker Innenverteidiger, die Lehrer hatten sogar vor Jahren einen Satz blau-weiß gestreifter Trikots erhalten, von welchen Geldern auch immer, Schulen waren eigentlich notorisch knapp bei Kasse, wurde ihm klar, was Téa gemeint hatte: sein direkter Gegner als rechter Stürmer war kein geringerer als Herr Yamito.

Yugi fühlte sich augenblicklich in dieser Situation sehr unwohl.

Herr Yamito hatte gelächelt, als er auf ihn zugetreten war, doch nun schnellte seine Augenbraue hoch.

Der Junge wandte sich verlegen ab. Er hatte den anderen mit offen sichtbarem Entsetzen angestarrt.

Yugi tat so, als würde er interessiert die anderen Verteidiger und das defensive Mittelfeld betrachten.

In welche Lage hatte er sich selbst mit dieser Teilnahme nur gebracht?

Er schluckte hart.

Es brachte nichts, er musste alle Gefühle abstellen und sich nur auf das Fußballspiel konzentrieren.

Schließlich würden es ihm seine Kameraden nie verzeihen, wenn er sich irgendwelche grobe Schnitzer leisten würde, nur weil der Referendar sein direkter Gegner war.

Außerdem wollte er noch immer gewinnen.

Unsicher warf er einen Blick auf seinen Sturmpartner. Wenigstens hatte er mit Bakura auch schon in dem Fußballkurs gut zusammen gespielt.

Und er hatte es sicherlich nicht nur der Flinkheit dank seiner kleinen Statur zu verdanken, dass er überhaupt in dieser Mannschaft war, denn er und Bakura harmonierten einfach.

Joey hinten in der Verteidigung war auch nicht zu verachten.
 


 

Einige Zeit nach dem Anstoß starteten die Schüler einen guten Angriff.

Yugi wurde aus dem Mittelfeld heraus angespielt und hatte sofort Atemu auf der Pelle sitzen. Er blockte den Ball mit dem ganzen Körper ab, wurde aber von seinem Gegenspieler immer mehr vom Tor weg und zum Spielfeldrand hin gedrängt.

Mist! Wieso war der Referendar bloß so hartnäckig?

Warum war der Körperkontakt so eng?

Das ließ Yugis Gefühle immer wieder hoch schwappen und er hatte einige Mühe, sich zu konzentrieren.

Schließlich gelang es ihm, sich für Sekunden von Atemu zu lösen und mit Hilfe einer Drehung schoss er den Ball auf Bakura zu. Doch Bakura verfehlte das Tor nur knapp.

Verdammt! Jetzt hatte Yugi sich solche Mühe gegeben und dann das!

Er hatte beide Hände wütend zu Fäusten geballt.

„Hey, jetzt schau doch nicht so verkniffen!“ tauchte plötzlich Atemus Stimme neben ihm auf.

Yugi wandte sich um und konnte sehen, dass der Referendar ihn anlächelte.

Nachdem er den Älteren eine Weile angestarrt hatte, öffnete er seine Hände wieder und seine Gesichtszüge wirkten weniger verkrampft.

Eigentlich hatte er Recht.

Atemu hatte ihn nur auf das hingewiesen, was er ihm früher auch schon immer gepredigt hatte: er sollte Spaß am Spiel haben, egal ob das nun Duell Monsters oder Fußball war.

Yugi lächelte Atemu dankbar an.

Diese Geste hatte ihn so sehr an früher erinnert, als alles noch OK war und er noch keine Probleme mit Atemus Nähe gehabt hatte.

Dann wandte er sich wieder dem Spiel zu.

Er war als einzige Sturmspitze noch vorne geblieben, während die anderen Schüler hinten waren und ihr Tor verteidigten. Geduldig wartete er auf einen Konter.

Aus der Entfernung sah er zu, wie Joey ihren Sportlehrer aus dem Vorjahr bedrängte und es ihm schließlich gelang, den Ball ins Aus zu befördern.

Während des gesamten Spiels standen die Lehrer sehr viel häufiger vor dem Tor der Schüler, aber von einem guten Spiel konnte nicht die Rede sein, das sah selbst der ungeübte Laie.

Plötzlich ging alles ganz schnell und noch ehe Yugi sich versah, hatte er den Ball wieder.

Und natürlich war auch wieder sein Lieblingsverteidiger zur Stelle.

Aber diesmal würde Yugi sich nicht mehr so von ihm bedrängen lassen und er spielte den Ball relativ schnell zu Bakura rüber, der diesmal sogar traf.

Yugi wollte gerade die Arme jubelnd hochheben, als auch schon ein gellender Pfiff ertönte.

Oh nein! Abseits!

Wenn sie schon mal in Ballbesitz waren, dann ging aber auch alles schief!

Die Lehrer starteten gleich zum Gegenangriff und diesmal war es Yugi, der mit nach hinten ging, um den Ball zurückzuerobern, während Bakura in der Nähe des Tores lauerte.

Sobald die Abwehr geklärt hatte, wurde der Ball mit einem weiten Pass zu Yugi gespielt, der sofort wieder auf das gegnerische Tor zustürmte.

Ein schneller Doppelpass mit Bakura und der Ball zappelte erneut im Netz – kein Abseits.

Yugi sprang jubelnd mit aller Kraft in die Höhe. „Jaaaaaah!“

Kaum hatten seine Füße den Boden wieder berührt, lag Bakura auch schon in seinen Armen und kurze Zeit später war er auch vom Rest der Mannschaft umgeben.

Feiern konnten sie jedenfalls wie die Profis.

An seinen Mitspielern vorbei konnte Yugi einen Blick auf Atemu erhaschen.

Dieser starrte mit undefinierbarem Blick den jubelnden Schülerpulk an.

Das wird euer einziges Tor bleiben! Yugi war, als könne er Atemus Gedanken lesen.

Er reckte trotzig das Kinn vor. Das werden wir ja sehen!

Ich werde es verhindern! Atemu wandte den Blick ab und Yugi war es, als würde die kurzzeitige telepathische Verbindung damit abreisen.

Aber Yugi war Realist genug, um zu wissen, dass es keine echte Telepathie gewesen war und er einfach nur die Körpersprache des Referendars gedeutet hatte.

Und es war ja auch ganz anders gewesen, als zu der Zeit, in der sie wirklichen telepatischen Kontakt miteinander gehabt hatten.

Nach einer Weile löste sich die Zusammenkunft wieder auf und das Spiel konnte weitergehen.
 


 

Lange Zeit nach der Halbzeitpause stand es noch immer 1:0 und die Schüler in ihren roten Oberteilen starteten einen erneuten Angriff.

Kaum war Yugi wieder in Ballbesitz, schon war auch Atemu wieder herangeeilt und versuchte, ihm den Ball abzunehmen.

Plötzlich ging alles so schnell, dass Yugi nur noch etwas Hartes an seinem Knöchel spürte und es ihn von den Füßen riss.

Als er auf dem Boden saß, sah er, dass er nicht der Einzige war, der unsanft auf dem Hintern gelandet war.

„Hast du dir wehgetan?“ fragten Yugi und Atemu wie aus einem Munde und Yugi realisierte noch nicht einmal, dass er den Referendaren, den er eigentlich hätte siezen müssen, geduzt hatte.

„Nein“, erklärte Atemu und auch Yugi schüttelte den Kopf.

„Dann ist es ja gut.“ Atemu stand auf und hielt Yugi die Hand hin, um ihm aufzuhelfen.

Dieser griff danach und zog sich daran hoch. Doch sobald er das Gewicht auf den rechten Fuß verlagerte, knickte er weg und landete in Atemus Armen.

„Aah!“ Eine Welle heißen Schmerzes überflutete ihn und alle Farbe wich aus seinem Gesicht.

„Ich habe dich wohl doch erwischt!“ stellte Atemu fest und sah besorgt auf Yugi herunter, dessen Kopf noch immer an seiner Brust lehnte und der schmerzerfüllt die Augen geschlossen hatte.

„Ich bringe dich wohl besser vom Feld.“ Er legte sich einen Arm von Yugi um seine Schultern und stützte Yugi, während dieser langsam dem Spielfeldrand entgegenhumpelte.

Hinter der Spielfeldbegrenzung setzte er Yugi auf eine Kiste, die dort herumstand.

Sofort kam Téa, die bei dem Spiel als Sanitäterin im Einsatz war, herangefegt und reichte Yugi ein Gelpack zu Kühlen, während dieser seinen Schuh und Strumpf ausgezogen hatte und der Referendar seinen Fuß und den Knöchel abtastete. „Du solltest dich besser ins Krankenhaus fahren lassen“, bemerkte er.

Yugi schüttelte abwehrend den Kopf. „Ich glaube nicht, dass es so schlimm ist.“ Er versuchte ein Lächeln.

Herr Yamito musterte Yugi prüfend.

„Herr Yamito, wir brauchen Sie hier!“ versuchte der Mathelehrer, den Kamekura damals zu Herrn Yamitos Unterricht mitgeschleppt hatte, dessen Aufmerksamkeit zu erlangen.

Herr Yamito sah ihn an. „Komme schon!“ Er warf Yugi noch einen abschätzenden Blick zu, bevor er wieder das Spielfeld betrat und zu seinem Posten trottete.

Erst als Atemu wieder weg war, ging Yugi auf, dass er in dessen Armen gelegen hatte und er wurde nun nachträglich flusskrebsrot im Gesicht.

Zwischenzeitlich war Tristan für Yugi eingewechselt worden.

Aber das Spiel würde sowieso nicht mehr lange andauern, denn im Gegensatz zu den Profispielen dauerte ihr Spiel keine 90 Minuten, sondern sie spielten zwei Mal 30 Minuten.
 


 

Nach dem Spiel, in dem nur noch ein Tor für die Lehrer gefallen war, das die Schüler auch der letzten Illusionen beraubt hatte, zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder gewinnen zu können, führte Atemus Weg als aller erstes wieder zu Yugi. „Wie geht’s dem Fuß?“

„Tut höllisch weh!“ erklärte dieser und verzog das Gesicht.

„Dann bringe ich dich gleich ins Krankenhaus“, meinte der Referendar.

Yugi schüttelte den Kopf. „Ich will erst noch duschen.“

Als er Herrn Yamitos skeptischen Blick sah, setzte er hinzu: „Joey und Tristan helfen mir sicherlich.“

„Natürlich!“ bestätigten die beiden Freunde wie aus einem Munde.

Herr Yamito musterte die drei nachdenklich. „Also gut“, gab er widerwillig nach und stapfte davon.

Joey und Tristan brachten Yugi im Schneckentempo zu den Umkleiden.

„Du weißt ja, dass wir erst nach den Lehrern duschen können?“ erkundigte Tristan sich. „Die Mädchenduschen werden umgebaut, deshalb müssen wir warten, bis die Lehrer fertig sind.“

„Die Lehrer scheinen aber schon fertig zu sein“, bemerkte Joey, als sie an den Umkleidekabinen ankamen. Sie hatten unterwegs noch Glückwünsche für Yugis Tor entgegengenommen genauso wie Besserungswünsche, so dass sie noch langsamer vorangekommen waren, als mit Yugis Verletzung eh schon.

„Dann können wir dich ja gleich in die Jungenumkleide setzen, wir packen dann deine Sachen zusammen und bringen sie dir mit“, erklärte Tristan und Yugi nickte. Was blieb ihm auch anderes übrig.

Er setzte sich auf eine der Holzbänke entlang der Wände der fast leeren Umkleide und wartete.

Doch der erste, der nun die Umkleide betrat, war kein Schüler, sondern es war Atemu, der nur mit einem weißen Handtuch um die Hüften bekleidet aus dem Duschraum kam.

Yugi riss die Augen auf. Er sah aus wie ein schöner Adonis.

Atemu Yamito war gut gebaut, erst jetzt war zu sehen, dass er durchaus sehr sportlich und daher trainiert war. Aber im Gegensatz zu anderen Männern hatte er es nicht übertrieben, daher hatte er weder unnatürlich dick wirkende Oberarmmuskeln noch Sixpack am Bauch.

So mochte es Yugi sowieso lieber. Er wurde wieder rot im Gesicht.

„Yugi!“ Herr Yamito hatte den Schüler bemerkt. Er ließ das andere, ebenfalls weiße Handtuch, mit dem er sich die Haare getrocknet hatte, sinken.

Dann schritt er auf Yugi zu. Er legte das Handtuch neben Yugi auf die Holzbank und ging dann vor dem Jungen in die Hocke, um nach seinem Fuß zu greifen, den er wieder abtastete.

Der Anblick war fast zu viel für Yugis ohnehin schon rote Gesichtsfarbe; wenn es noch möglich war, so wurde er noch röter im Gesicht.

Denn als Atemu in die Hocke gegangen war, hatte sich das Handtuch um seine Hüfte an der Stelle, wo die beiden Enden ineinander verschlungen waren, auseinander geschoben. Doch zum Glück hatte er es seitlich gebunden, so dass sich nur sein braun gebrannter muskulöser Oberschenkel einen Weg durch den Schlitz gebahnt hatte.

„Ganz schön angeschwollen“, bemerkte Atemu ohne aufzusehen. „Wird wohl doch etwas ernsteres sein.“

Bevor einer der beiden noch etwas sagen konnten, standen die Schüler in der Tür, die nun endlich auch duschen wollten. „Oh, Entschuldigung.“

Herr Yamito war schnell aufgestanden. „Kommt doch herein!“ forderte er sie auf.

Es war zwar nicht angemessen, dass Schüler einen Lehrer nackt sahen, aber er konnte sich auch flink unter seinem Handtuch anziehen.

Zwischen den ganzen Schülern verlor Yugi Atemu aus den Augen, aber als er ihn wenige Augenblicke später wieder entdeckte, war er schon komplett angezogen, hatte sich seine Sporttasche über die Schulter geworfen und war gerade im Begriff, die Umkleide zu verlassen, während Yugi sich schon mal sein rotes Shirt ausgezogen hatte, bevor die beiden Freunde ihm bei dem Rest helfen würden.
 


 

Als Yugi frisch geduscht und umgezogen zwischen Joey und Tristan, die sich beide jeweils einen von Yugis Armen um die Schultern gelegt hatten, die Umkleide wieder verließ, standen Téa und Atemu an die Wand zwischen dem Gang zu den Umkleiden und der Turnhalle gelehnt und schienen auf sie zu warten.

Dieses Szenario versetzte Yugi einen Stich ins Herz.

Die beiden standen schon wieder so dicht beisammen.

Er wandte den Blick ab.

Téa stürzte sofort auf Joey zu, um ihm Yugis Sporttasche abzunehmen, schließlich hatte er schon seine eigene zu schleppen.

Auch Atemu stieß sich von der Wand ab und griff nach seiner Sporttasche, die er zuvor auf dem Boden abgestellt hatte.

Yugi hüpfte die ganze Zeit nur auf seinem gesunden Fuss umher.

Der Referendar ging voraus und hielt den Jungs sämtliche Türen auf. Sie überquerten den Schulhof und erreichten dann den Lehrerparkplatz.

Endlich stellte Yugi die Frage, die ihn schon die ganze Zeit beschäftigte: „Wollen Sie mich wirklich mit dem Motorrad ins Krankenhaus fahren?“ Das Motorrad hatte sicherlich keinen Platz zusätzlich für zwei so große Sporttaschen. Außerdem musste er gerade daran denken, was Téa von ihrer Fahrt mit Herrn Yamito erzählt hatte. Ob er jetzt so was noch durchhalten konnte, hielt er für fraglich.

„Motorrad? Nein, ich bin mit dem Auto hier“, erklärte Herr Yamito und hielt neben einem roten zweisitzigen Cabrio. Zunächst öffnete er die Beifahrertür, damit die beiden Jungs ihre Last absetzen konnten, bevor er den Kofferraum öffnete, um die beiden Sporttaschen zu verstauen.

Yugi bedankte sich bei seinen Freunden und verabschiedete sich dann.

Herr Yamito bog gleich auf die Hauptstraße ein.

Währendessen betrachtete Yugi die vielen Zigarettenkippen, die nicht nur den Aschenbecher überquellen ließen, sondern sogar auf dem Boden herumlagen.

Er bemühte sich krampfhaft, dass sich sein Gesicht nicht angewidert verzog.

War Herr Yamito etwa Kettenraucher? Er hatte nie den Geruch von Zigaretten an ihm wahrgenommen und auch seine Wohnung hatte damals nicht den Anschein erweckt; er konnte sich jedenfalls nicht erinnern, bei ihm zu Hause auch nur einen Aschenbecher gesehen zu haben.

Aber eigentlich ging ihn das auch gar nichts an. Jeder musste selbst entscheiden, was er mit seiner Gesundheit anstellte. Abgesehen von dem Gestank.

Nur hatte jetzt das Bild, das er von Herrn Yamito bisher gehabt hatte, einen kleinen Knacks bekommen, da er strikter Nichtraucher war und den verursachten Geruch einfach nur als bestialisch empfand.

„Tut mir Leid, dass der Wagen so eingesaut ist“, erwähnte Atemu beiläufig. „Ich hatte ihn am Wochenende meinem Bruder geliehen und den ganzen Mist hier erst heute Morgen, als ich schon viel zu spät dran war, entdeckt. Ich hatte keine Zeit mehr, aufzuräumen.“

Er hielt an einer Ampel und warf erst Yugi, dann den Zigarettenstummeln einen Blick zu.

Atemu schüttelte den Kopf. „Ich weiß auch gar nicht, was er am Rauchen findet. In meinen Augen hat das doch nur Nachteile.“ Er seufzte und fuhr dann wieder weiter.

Yugi atmete erleichtert ein. War er also doch Nichtraucher. Welch ein Glück.

Er mochte es gar nicht, wenn sie beide so stumm nebeneinander saßen und er suchte nach einem Gesprächsthema. „Haben Sie ihr Motorrad verkauft?“

„Nein, wieso?“ Atemu warf Yugi einen flüchtigen Blick zu. „Ach so, du meinst, weil ich mir beides von meinem Gehalt sicherlich nicht leisten kann?“ Er ließ sein warmes Lachen ertönen.

„Nein, das ist wahr.“ Er konzentrierte sich kurz auf den Verkehr, bevor er weiterredete. „Mein Vater hat mir das Cabrio geschenkt. Auf dem Papier gehört es ihm. Das Motorrad hab ich mir wirklich selbst gekauft, wovon mein werter Herr Erzeuger alles andere als begeistert war. Ein Motorrad ist zu gefährlich und zu wild. Aber für mich bedeutet es Freiheit. Deshalb auch das Cabrio: es war wohl als eine Art Bestechung gedacht, damit ich das Motorradfahren freiwillig aufgebe.“

Atemu lachte wieder. „Aber es hat nichts genützt. Jetzt fahre ich eben beides.“
 


 

Yugi saß im Untersuchungszimmer und wartete auf die Ergebnisse seiner Untersuchung.

Nach einer Weile kam der Arzt wieder herein.

„Es sieht ganz danach aus, dass Sie operiert werden müssen. Allerdings müssen wir noch etwas warten, bis die Schwellung zurückgegangen ist“, erklärte er freundlich. „Am Besten, Sie lassen sich für morgen einen Termin geben.“

Yugi seufzte und nickte. Atemu hatte also von Anfang an Recht gehabt. Es war doch etwas Ernsteres.

Er nahm die mintgrünen Krücken entgegen und verließ den Untersuchungsraum.

Auf dem Gang sah er sich schon fast enttäuscht um.

Da Atemu noch auf den grauen Plastiksitzen entlang der weißen Wände gesessen hatte, als man ihn in seinem Rollstuhl, den Atemu besorgt hatte, um ihn vom Auto in die Notaufnahme zu bringen, zum Röntgen gebracht hatte, hatte er wohl irgendwie gehofft, dass er auch noch nach den ganzen Untersuchungen da sein würde und auf ihn gewartet hätte.

Aber das wäre wohl zu viel verlangt gewesen. Immerhin hatte der Referendar vermutlich besseres zu tun, als auf ihn zu warten.

Doch was sollte er jetzt tun? Herr Yamito hatte ihn hierher gebracht und er konnte schlecht mit Krücken und mit den vielen Schmerztabletten, mit denen er voll gepumpt war, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren.

Er würde wohl seine Mutter anrufen und sie von dem Spieleladen loseisen müssen.

„Hey, Yugi“, tauchte plötzlich eine vertraute Stimme hinter ihm auf. „Schau mal, wen ich dir mitgebracht habe.“

Yugi versuchte, sich samt den Krücken einigermaßen zu dem Sprecher hindrehen zu können, doch wenn er sein Gewicht nur auf dem linken Fuß beließ, war das gar nicht so einfach.

Neben Atemu stand seine Mutter. „Mama!“

Diese kam gleich auf ihn zu und nahm ihn tröstend in den Arm. „Was machst du denn für Sachen, Schatz?“

Nicht schon wieder dieses ‚Schatz’! Und dann ausgerechnet auch noch vor Atemu!

Er wäre am Liebsten im Erdboden versunken.

„Er hat gar nichts getan, Frau Muto. Ich bin daran schuld“, erklärte Atemu und hielt ihrem Blick stand.

Frau Muto musterte den jungen Referendar. „Ja, so was meinten Sie schon am Telefon.“

Yugi stockte der Atem. Telefon? Woher hatte Atemu ihre Telefonnummer?

Aber wahrscheinlich hatte er einfach im Telefonbuch nach Großvaters Laden gesucht.

Sie wandte sich wieder ihrem Sohn zu. „Aber wie genau ist es denn passiert? Beim Fußball?“

Yugi nickte. „Ja, At… hm…“ Er biss sich auf die Zunge. Fast hätte er Atemu beim Vornamen genannt.

Der Junge warf Atemu einen Blick zu, aber dieser schien nichts bemerkt zu haben. „Herr Yamito war mein direkter Gegenspieler. Er wollte mir nur den Ball wegnehmen.“

Der Junge kannte seine Mutter und wollte sie beruhigen.

Außerdem konnte er es schlecht so stehen lassen, dass Atemu alleine schuld war. Er selbst hätte ja auch besser aufpassen können.

„Und wie steht es jetzt?“ erkundigte Atemu sich und klang etwas besorgt.

Yugi warf ihm einen Blick zu. „Vorläufig kann ich nach Hause, aber morgen soll ich wieder kommen. Ich muss aber operiert werden.“

Atemu nickte beklemmt. Er schien sich wirklich schuldig zu fühlen.
 

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Noch abschließend was zu den Kapitellängen: die werden sicherlich nicht länger^^ Kdf? ist sogar die Fic, mit den längsten Kaps, die anderen tendieren eher zur Kürze^^

Urlaub

Widmung: -darkness-

Grund: weil sie mir nach dem 3. Kap ganz schön aufs Dach gestiegen ist und mein ohnehin schlechtes Gewissen ums 1000fache verstärkt hat

Warum die Widmung erst jetzt? weil ich den Anfang dieses Kaps wegen ihr überarbeitet habe (und sie hat ja auch Recht^^)

Aber: die Krankenhausszene ließ sich dennoch nicht vermeiden *gomen*

Weil: Atemu etwas aus seiner Vergangenheit andeutet, außerdem gibts noch ne wichtige Info

außerdem: alles, was ich schreibe, hat seinen Grund^^
 

kursiv = Gedanken
 

5. Urlaub
 

Yugi öffnete die Augen und musste gleich blinzeln, da er sich von dem grellen Weiß der Decke geblendet fühlte. Er sah sich in seinem Zimmer um.

In dem Bett neben ihm lag ein etwa gleichaltriger Junge, dessen Verband bis weit übers Knie ging.

Irgendwie hatte Yugi gehofft, dass Atemu neben seinem Bett saß, wenn er aus der Narkose erwachte.

Aber er hatte sich leider geirrt und er seufzte resigniert.

Überhaupt hatte er Atemu schon seit zwei Tagen nicht mehr gesehen, seit er ihn ins Krankenhaus gebracht hatte. Wenn er ihn jetzt schon vermisste, wie sollte es ihm dann erst während der restlichen Ferien ergehen?

Er würde ja schier kaputt gehen vor Sehnsucht.

Noch immer müde von der Narkose schloss er die Lider und war gleich darauf wieder eingeschlafen.
 


 

Auch den nächsten Morgen verbrachte er größtenteils mit Schlafen. Was sollte man auch im Krankenhaus großartig anderes tun?

Als er wieder wach war, griff er nach der Wasserflasche auf seinem Nachttisch.

Es klopfte und Yugi sah auf. Da sein Zimmergenosse keinen Laut von sich gab, bat er die Gäste herein, nicht ohne zu bemerken, dass seine Stimme noch etwas verschlafen klang.

Die Tür wurde aufgerissen und er sah sich seinen Freunden gegenüber.

Yugi lächelte sie freudig an. Es war sehr nett, dass sie ihn besuchten.

Téa hatte einen großen bunten Blumenstrauß in den Händen.

Während Tristan die Vase, die er aus der Vasenkammer der Station ausgeliehen hatte, mit Wasser füllte, um den Strauß hineinzustellen, schaffte Joey die drei Besucherstühle im Zimmer heran.

Derweil beugte Yugi sich neugierig über den riesigen Korb, den Bakura ihm mitgebracht hatte. Es war ein Obstkorb mit kleinen Fruchtsaftflaschen, eine willkommene Abwechslung gegenüber dem eintönigen Krankenhausessen.

Da es ein Stuhl zu wenig war, übernahm es Téa, sich auf den Rand von Yugis Bett zu setzen.

„Na, wie geht’s dir, Alter?“ wollte Joey wissen.

„Ganz gut, aber lass’ das mit dem ‚Alter’ mal schön bleiben, Urzeitviech.“ Damit spielte Yugi darauf an, dass er schließlich einer der Jüngsten in ihrer Klassenstufe war und Joey um einiges älter.

„Wie lange musst du bleiben?“ Téa versuchte hörbar, ihre Sorge zu verbergen, was ihr aber nicht wirklich gelang.

„Eine Woche. Danach muss ich noch regelmäßig zur Krankengymnastik“, erklärte der Junge und sah seine Freunde nacheinander an.

„Aber bis zum Turnier bist du doch fit, oder?“ erkundigte Joey sich.

Er schien mal wieder darauf aus zu sein, sich mit seinem besten Freund zu messen.

„Klar, aber gegen mich hast du doch sowieso keine Chance! Falls es denn dazu kommen sollte, dass wir Gegner werden.“ Yugi grinste.

Bei diesem Thema war er natürlich direkt wieder wach.

„Ich finde es toll, dass Téa und ich von Pegasus als Zuschauer eingeladen wurden“, meinte Tristan.

„Ja, klar, ohne seine Freunde ist er als Duellant ja ein Schwächling“, erläuterte Bakura trocken.

„Willst du es etwa darauf ankommen lassen?“ In Yugis Augen blitzte es auf. „Ich habe dich im Null Komma nix geschlagen!“

„Ach ja, ohne deinen Yami?“ stichelte der sonst so sanfte Bakura weiter.

„Allemal! Immerhin habe ich ihn besiegt!“ erklärte Yugi trotzig.

„Nun hört mal auf zu streiten!“ ging Téa nun dazwischen.

„Sag, Yugi, was hast du in den Ferien so vor?“ wechselte sie das Thema.

„Na was schon“, antwortete Yugi brummig. „Mich schonen.“
 


 

Einige Zeit, nachdem seine Freunde wieder gegangen waren, klopfte es erneut.

„Herein!“ rief er und war gespannt, ob er mal einen Verwandten seines Zimmergenossen sehen würde, denn so lange, wie er hier war, hatte der andere Junge noch nie Besuch gehabt.

Im Gegensatz zu ihm. Gestern waren seine Mutter und sein Großvater hier gewesen, heute seine Clique.

Irgendwie tat der Andere ihm schon leid. Er hatte ihm immer nur den Rücken zugekehrt, so dass Yugi noch gar nicht mit ihm geredet hatte, geschweige denn, überhaupt seinen Namen kannte. Auf Yugi machte der Junge einen in sich gekehrten Eindruck, als wolle er keinen Kontakt zur Außenwelt. Vielleicht war er einmal verletzt worden, möglicherweise sogar von seinen Eltern.

Aber das waren letztendlich nur Yugis Phantasien. Er hatte hier einfach zu viel Zeit, nachzudenken und sich alles Mögliche auszumalen.

Wider alle Erwartungen war es aber Atemu, der nun in der Tür stand.

Yugi versuchte, sein Erstaunen zu verbergen.

Er hatte nicht damit gerechnet, ihn so schnell wieder zu sehen.

„Hallo.“ Atemu baute sich am Bettende auf. „Ich hab dir was zu lesen mitgebracht. Ich weiß schließlich, wie langweilig Krankenhäuser sein können.“

Der Junge wandte den Blick auf die Tüte, die Atemu ihm auf die Beine gelegt hatte und nahm sie dann in die Hand.

Heraus zog er ein GeoEpoche-Magazin über das ägyptische Pharaonenreich.

„Ich weiß nicht, inwiefern das, was drin steht, für dich neu ist, aber das Magazin ist erst seit gestern auf dem Markt, vielleicht findest du ja noch was Interessantes.“ Sein Besucher lächelte ihn an.

„Danke.“ Yugi musste darauf achten, dass sein Gegenüber ihm nicht die Nervosität anhörte.

Das Magazin war auch nicht das Einzige, das er ihm mitgebracht hatte, aus der Tüte zog er noch ein Magazin über die neuesten Kinofilme und die kommenden hervor.

Derweil war Atemu an das Fenster getreten, von dem aus man, laut Téa, er selbst war ja an das Bett gebunden, eine herrliche Aussicht hatte, und wirkte etwas, wie Yugi fand, verloren.

Aber er konnte nicht genau sagen, weshalb er diesen Eindruck hatte, doch es hatte sicherlich nichts mit seinem Besuch hier zu tun.

Schließlich drehte er sich wieder zu Yugi um, der mittlerweile auch die Hefte in seinem Nachttisch verstaut hatte. „Tut mir Leid, Krankenhäuser machen mich melancholisch. Ich war ja auch lange genug Gast in einem gewesen.“

Das Wort ‚Gast’ klang eindeutig ironisch. „Und die Reha war auch nicht besser. Ich hoffe, du kriegst wenigstens Besuch?“

Er zog einen der Stühle, die seine Freunde wieder an ihren ursprünglichen Platz gestellt hatten, heran und setzte sich.

Währenddessen fragte Yugi sich unwillkürlich, ob dies bei ihm selbst nicht der Fall gewesen war, aber er bohrte nicht nach. „Ja, meine Mutter, Großvater und meine Freunde haben mich schon besucht.“

Atemu nickte. „Ich wusste nicht so genau, was ich dir mitbringen sollte, aber Blumen hast du ja schon, wie ich sehe.“

Er saß breitbeinig auf dem Stuhl, den Oberkörper etwas nach vorne gelehnt, die Ellebogen auf den Knien abgestützt und das Kinn ruhte auf seinen Händen.

Dabei sah er Yugi forschend an.

Bei diesem durchdringenden Blick musste Yugi schlucken und er glaubte, sich rechtfertigen zu müssen. „Ja, von einer Freundin.“

Atemu kniff leicht die Augen zusammen. „Deiner Freundin.“

Yugi wurde leicht rosa um die Nasenspitze und ihm wurde heiß und kalt.

Atemu durfte nichts Falsches von ihm denken. „Nein, nein, sie ist nur eine gute Freundin. Ich bin solo.“

Dem Jungen schien es, als würden Atemus violette Augen aufblitzen.

Aber wahrscheinlich resultierte das nur aus seinem Wunschdenken heraus.

Noch bevor einer der beiden näher darauf eingehen konnte, wurde die Tür aufgerissen und eine Krankenschwester betrat den Raum.

Sie schickte Atemu hinaus.

„Da ich sehe, dass es dir ganz gut geht, gehe ich dann lieber“, verabschiedete Atemu sich und verschwand.

Yugi sah ihm enttäuscht nach.

Das war aber kein langer Besuch gewesen.

Dann wandte er sich der Krankenschwester zu.

Sollte er nun wütend auf sie sein oder doch lieber froh, dass Atemu überhaupt hier gewesen war?
 


 

Yugi humpelte mit den Krücken die Treppen hinauf.

Wieso hatten sie zu Hause keinen Aufzug?

Er versuchte verkniffen, so wenig Gewicht wie möglich auf seinen rechten Fuß zu setzen, obwohl ihm geraten worden war, genau das zu tun, damit sein Fuß sich daran gewöhnte und sich besser erholte.

Nicht umsonst musste er nun dauernd zur Krankengymnastik.

Der Junge betrat die Wohnung und öffnete die Küchentür.

Yugi blieb abrupt im Türrahmen stehen.

„Herr Yamito!“ reif er erstaunt aus.

Vor ihm saßen seine Mutter und Atemu am Küchentisch, beide mit einer Tasse kalten Tees und seine Mutter hatte wieder ihre selbstgebackenen Nusskekse auf den Tisch gestellt.

Offensichtlich hatten sie sich schon länger unterhalten, während er bei seinem Großvater im Laden die Kasse gehütet hatte.

Yugi humpelte auf den dritten Stuhl am Tisch zu, begleitet von den sorgenvollen Blicken seiner Mutter, aber auch von Atemus Seite her mit besorgten Blicken bedacht.

„Wie geht’s?“ fragte dieser, nachdem Yugi sich gesetzt hatte. Er hatte sich zwar zuvor schon bei Frau Muto erkundigt, wollte es aber noch einmal von Yugi selbst hören.

„Ganz gut, denke ich.“ Yugi sah erst Atemu, dann seine Mutter an, bevor er den Blick wieder zu Atemu zurück gleiten ließ.

Atemu nickte. „Es tut mir leid, dass ich dir die ganzen Ferien versaut habe.“

„Schon gut“, winkte Yugi ab. Die wievielte Entschuldigung war das jetzt? Er hatte gar nicht mehr mitgezählt.

Außerdem hatte er, bis auf Pegasus’ Turnier, sowieso nichts vorgehabt.

„Deshalb habe ich mir gedacht, dass ich dich zu einem Urlaub einlade“, lächelte Atemu.

Yugi war absolut überrascht. Er war jetzt eine Woche im Krankenhaus gewesen, Atemu hatte ihn in der Zeit zwei Mal besucht, aber von einer solchen ‚Entschädigung’ war nie die Rede gewesen.

Der Junge warf seiner Mutter einen Blick zu. „Ich weiß nicht, ob ich das annehmen kann.“

„Wir haben schon alles besprochen“, meldete sich nun Yugis Mutter zu Wort.

Yugi sah seine Mutter erneut an.

Er sollte mit seinem Referendar, in den er zu allem Überfluss auch noch verliebt war, in Urlaub fahren?

Aber es blieb ihm scheinbar nichts anderes übrig.

Es kam ihm wie eine Verschwörung vor.

Was erhoffte seine Mutter sich davon, ihn mit dem Referendar in den Urlaub zu schicken?

Als wäre das etwas Selbstverständliches!

Vielleicht hoffte sie, dass er ihn gut durchs Abi bringen würde?

Anstatt Gegenargumente zu suchen, sollte er sich lieber über die Chance freuen, Atemu während des Urlaubs ganz nah sein zu können.

Es war ja auch keine schulische Veranstaltung, sondern es war ein Wiedergutmachungsangebot von Mensch zu Mensch, nicht von Lehrer zu Schüler.

Eine rein private Angelegenheit.

Schließlich gab er nach und nickte einfach nur.

Atemu trank seine Tasse aus und stand auf. „OK. Dann hole ich dich morgen ab. Oder möchtest du noch einen Tag warten?“

Yugi fühlte sich komplett überrumpelt. Erst, dass Atemu überhaupt hier war, dann die Sache mit dem Urlaub und jetzt auch schon morgen?

Er schluckte.

Aber was hatte er schon zu verlieren?

Es konnte nur noch besser werden.

„Ja, OK“, stimmte er zu.

Nachdem Atemu weg war, blieb er noch wie paralysiert sitzen.

Die Erkenntnis, was dieses Gespräch für ihn bedeutete, sickerte erst langsam in sein Hirn.

Er würde eine ganze Woche mit seinem Schwarm verbringen.

Worauf hatte er sich da nur eingelassen?
 


 

Am nächsten Morgen saß er neben Atemu in dessen Cabrio.

Am Vortag war er nur noch fähig gewesen, seiner Mutter die Kleidung, die er mitnehmen wollte, herauszulegen, damit sie seinen Koffer packen konnte, denn mit seinem verletzten Fuß konnte er schlecht in die Hocke gehen.

Ansonsten hatte er nur noch Wörter in sein Notizbuch gekritzelt, aber er hatte seine Gedanken nicht so weit zusammenhalten können, um sie zu einem Gedicht zusammenfassen zu können.

Er hatte auch die halbe Nacht wach gelegen und sich den Kopf darüber zerbrochen, was er in diesem Urlaub alles falsch machen konnte und sich ausgemalt, wie es sein könnte, wenn er in kein Fettnäpfchen trat.

Yugi warf Atemu einen Blick zu. Er hatte ihm gar nicht gesagt, wo sie überhaupt hinfuhren.

Aber er schien genau zu wissen, wo er hinwollte, denn er benötigte keine Landkarte.

Schon nach zwei Stunden fuhr er auf den Parkplatz eines kleineren Hotels. „So, da sind wir.“

Der Junge sah sich neugierig um. Viele Bäume, auf der einen Seite Hügel, auf der anderen Seite konnte er Wasser glitzern sehen, wohl ein größerer See.

Das Hotel selbst lag auf einem solchen Hügel, aber sie würden sowieso überall hinfahren müssen, denn Yugi konnte mit seinem verletzten Fuß nicht weit gehen.

Zunächst gingen sie, noch ohne Koffer, zur Rezeption, um sich anzumelden.

Derweil setzte Yugi sich auf eine gepolsterte Sitzgruppe, die etwas weiter von der eigentlichen Rezeption entfernt stand, und lehnte die Krücken neben sich an.

„Ach, Yugi, ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich uns ein Doppelzimmer reserviert habe. Ich denke, das ist so einfacher, wenn ich dir bei irgendwas helfen soll“, rief Atemu plötzlich quer durch den Raum.

Was? Wie? Ein Doppelzimmer?

Yugi riss die Augen auf.

Nein!

Aber aus einem Reflex heraus hatte er schon den Kopf geschüttelt.

Wie hätte er ihm denn auch vor den anderen Anwesenden hier widersprechen sollen?

„Gut.“ Atemu wandte sich wieder dem Mann hinter der Rezeption zu und füllte irgendwelche Papiere aus.

Yugi starrte geistesabwesend vor sich hin.

Ein Doppelzimmer mit Atemu?

Ein Doppelbett?

Wenn er nur daran dachte, schlug sein Herz einen Trommelwirbel nach dem anderen.

„Yugi?“ Atemu stand wieder mit dem Zimmerschlüssel vor ihm.

Vor Schreck stieß Yugi seine Krücken neben sich um, die mit großem Getöse auf dem Steinboden aufschlugen.

Yugi wurde knallrot im Gesicht und war froh, sich jetzt bücken zu müssen, um die Krücken wieder aufzuheben, so konnte er seine Gesichtfarbe etwas vor seinem Gegenüber verbergen.

Als er sie wieder gepackt hatte, stand er hastig auf.

Dann folgte er Atemu, der ihn zu einem kleinen Aufzug führte.

In der Tat war der Aufzug sehr klein, so dass sie ziemlich dicht nebeneinander stehen mussten.

Yugi wandte sich verlegen von seinem Mitreisenden ab und kam nicht umhin, nun in den Spiegel zu sehen, der eine Wand des Aufzugs einnahm. Er konnte erkennen, dass er noch immer zart rot im Gesicht war.

In der entsprechenden Etage verließen sie den Aufzug. Sie gingen eine Weile den Gang entlang, bevor Atemu vor einer der zahlreichen Zimmertüren stehen blieb und sie aufschloss.

Er riss die Zimmertür auf und betrat das Zimmer.

Yugi blieb in der Türe stehen.

Das Zimmer war, entsprechend dem Aufzug, relativ klein. Dennoch machte es einen gemütlichen Eindruck.

„Am Besten, du nimmst das Bett auf dieser Seite. Dann hast du es nicht so weit von der Eingangstür und du kommst auch schneller zum Bad.“ Atemu deutete erst auf das Bett, dann auf eine hellbraune Tür zu seiner Linken.

Er umrundete das Bett und stellte seinen Rucksack daneben ab. Dann wandte er sich den Fenstern zu und schob die großen dunklen Vorhänge zur Seite.

Nachdem Yugi das Zimmer betreten und die Tür hinter sich geschlossen hatte, sah er, dass Atemu auf einen kleinen Balkon hinausgetreten war.

Zögernd folgte er ihm und hielt überrascht die Luft an.

Welch eine Aussicht!

Einfach atemberaubend.

Er lehnte sich neben Atemu an die Brüstung und warf einen Blick hinunter.

„Ich werde jetzt unsere Koffer holen gehen“, erklärte Atemu.

Yugi nickte mechanisch.

Er war von dieser Atmosphäre einfach in den Bann geschlagen.

Atemu verschwand verstehend lächelnd.

Ihm war es das erste Mal bei dieser Aussicht kaum anders ergangen.
 


 

Als Atemu zurückkam, stand Yugi noch immer auf dem Balkon.

Er hatte sich nicht bewegt, konnte sich gar nicht satt sehen.

Atemu lächelte wieder und machte sich dann daran, seinen Koffer auszupacken.

„Soll ich deinen Koffer auch auspacken?“ erkundigte er sich nach einer Weile, doch von Yugi war nur ein leises „Ja.“ zu hören, nichts weiter.

Als Yugi endlich wieder hereinkam, war Atemu gerade dabei, die leeren Koffer auf dem Schrank zu verstauen. Er sah sich etwas benebelt um und ihm stockte der Atem.

Das rote Notizbuch!

Atemu hatte es ebenfalls ausgepackt und neben dem Telefon auf Yugis Nachttisch gelegt.

Yugi bis sich auf die Unterlippe. Hoffentlich hatte er nicht darin gelesen!

„Ich habe mir gedacht, dass du mich, während des Urlaubes hier, duzen solltest.“ Atemu hatte ihn wohl gehört und wandte sich ihm zu.

Er lachte. „Es würde sich doch sicherlich dämlich anhören, wenn du mich siezt, während ich dich duze.“

Als Yugi unverwandt das Notizbuch anstarrte, sah er ihn ernst an. „Natürlich nur, wenn du möchtest.“

Yugi riss seine Aufmerksamkeit von dem für ihn so wichtigen Gegenstand und lenkte sie Atemu zu. „Ja, natürlich.“ Er hatte ihm zwar nicht so richtig zugehört, es waren ihm zu viele andere Gedanken gerade durch den Kopf geschossen, aber er hatte irgendwas von duzen mitbekommen.

„Hier sind einige Flyer von der Umgebung. Die Sachen, die ich ganz interessant fände, habe ich rot markiert. Wenn du irgendwo hin möchtest, dann sag einfach bescheid.“ Der Ältere legte ein paar bunte Flyer auf Yugis Bett, die dieser nacheinander unter die Lupe nahm, denn er wollte es aus seinen Gedanken streichen, dass Atemu möglicherweise doch in sein Notizbuch geschaut hatte.

Nach einer Weile sah Atemu auf die Uhr. „Wir sollten hinunter zum Abendessen gehen.“
 


 

Yugi lag noch immer wach. Sie hatten schon vor annähernd zwei Stunden das Licht gelöscht und Atemu schlief auch schon eine Weile ganz ruhig.

Aber wie um Himmels Willen sollte Yugi denn neben ihm einschlafen?

Zumal Atemu nicht im Schlafanzug, sondern nur in Boxershorts schlief.

Da durch den Vorhang Licht von draußen hereindrang, konnte Yugi Atemu auch sehr gut sehen.

Yugi betrachtete zum x-ten Mal Atemus Körper, seine Brust, seinen Bauch.

Denn Atemu hatte die dünne Sommerdecke nur bis zur Hüfte über sich gelegt.

Das war etwas, was Yugi nicht so ganz verstand.

Selbst im Sommer musste er die Decke bis zu seinem Hals ziehen, sonst konnte er nicht einschlafen.

Doch heute konnte er tun und lassen, was er wollte, er konnte einfach nicht einschlafen.

Was zum größten Teil natürlich an dem Kribbeln lag, das seinen Ursprung in seinem Bauch gefunden und sich über seinen gesamten Körper ausgebreitet hatte.

Vorsichtig und langsam streckte er die Hand nach Atemu aus.

Wie gerne würde er ihm über sein Gesicht streichen, jede Kontur nachzeichnen, dann mit Brust und Bauch weitermachen und die festen Muskeln an seinen Fingerspitzen fühlen.

Er seufzte unterdrückt, zog die Hand wieder zu sich heran und legte sich abermals zurück.

Irgendwann musste er doch einschlafen.

Der Junge zog sich die Decke bis an den Hals und drehte Atemu den Rücken zu.

Aber auch so konnte er lange Zeit nicht einschlafen und er musste den Drang unterdrücken, sich wieder aufrecht hinzusetzen und auf Atemu hinabzustarren.
 


 

Nachdem Yugi blinzelnd wach geworden war, galt sein erster Blick der anderen Hälfte des Doppelbettes, doch ihm gähnte nur eine weiße Leere entgegen.

Die Bettdecke war zurückgeschlagen und das Laken sehr zerwühlt.

Yugi sah sich um. Vielleicht war Atemu im Bad?

Doch während er sich wieder zurücklegte, um zu warten, bis Atemu im Bad fertig sein würde, sah er diesen auf einem der beiden Stühle auf dem Balkon sitzen.

Der Junge griff nach seinen Krücken und humpelte auf die offene Balkontür zu.

Er hatte gar nicht bemerkt, dass Atemu sowohl Licht als auch kühle Morgenluft in das Zimmer hineingelassen hatte; er war einfach zu müde gewesen, da er so lange nicht eingeschlafen war.

Atemu hatte sich noch nicht angezogen und saß nur mit seiner Boxershorts bekleidet auf dem Stuhl, die Füße auf der untersten Querstrebe des Balkons, den Oberkörper weit zurückgelehnt und die Augen geschlossen.

Er genoss sichtlich die ersten Morgensonnenstrahlen auf seiner Haut.

Yugi lächelte leicht. Er wusste ja, dass Atemu die Wiedergeburt eines ägyptischen Pharaos war und diese waren ja alle irgendwie sonnenhungrig. Und wenn Atemu so weitermachen würde, wäre seine Haut sicherlich irgendwann genauso bronzefarben, wie damals zu seiner ägyptischen Zeit.

Atemu öffnete die Augen und sah Yugi mit seinen tiefvioletten Augen an.

„Guten Morgen! Auch schon wach?“ Atemu lächelte ihn an.

Yugi grüßte zurück und lächelte ebenfalls. Er setzte sich auf den noch verbliebenen Stuhl.

Wenn Atemu hier noch so gemütlich saß und er ihn einfach hatte weiterschlafen lassen, dann war es wohl noch sehr früh und das Frühstück hatte keine Eile.

Nachdem sie eine Weile schweigend in der Sonne gesessen hatten, ergriff Atemu wieder das Wort.

„Hast du etwas interessantes in den Flyern gefunden?“ erkundigte er sich.

„Nicht wirklich… ich… hm… ich würde mir schon ganz gerne die Tropfsteinhöhlen ansehen, aber das wird mit meinem Fuß und den Krücken wahrscheinlich nicht gehen; ich gehe davon aus, dass der Boden dort sehr glitschig ist. Außerdem würde ich mir gern den See dort unten anschauen.“ Yugi wies mit dem Kopf ins Tal hinab.

„OK, dann werden wir morgen erst einmal zu dem See fahren. Aber heute ist im Nachbardorf ein traditionelles Fest, dort würde ich gerne hin“, lächelte Atemu.

Yugi hatte nichts dagegen einzuwenden.
 


 

Am nächsten Tag fuhren sie dann zum See hinunter.

Doch sie konnten nicht ganz heran fahren, denn der eigentliche See war nur zu Fuß erreichbar.

Und so mussten sie noch ein Stück in die Senkung hineingehen.

Unten am Ufer sah Atemu sich um und versuchte, durch das dichte Schilfdickicht einen Blick auf die Weiten des Sees zu erhaschen.

„Geht’s noch? Können wir noch ein Stück am Ufer entlang gehen?“ wandte Atemu sich an seinen Begleiter und versuchte, nicht allzu besorgt auszusehen. „Damit wir bessere Sicht haben.“

„Ja, klar, der Fuß tut im Moment gar nicht weh“, erklärte Yugi und gemeinsam gingen sie noch eine Weile.

Sie redeten über Gott und die Welt.

Yugi hatte auch das Gefühl, mit Atemu über alles reden zu können.

Nur ein Thema ließen sie aus: die Schule.

Oder besser gesagt, zwei Themen, denn das Gespräch kam auch nie auf Gefühle zu sprechen.

Was aus Yugis Sicht sicherlich das Beste war.

„Komm, setzen wir uns.“ Atemu steuerte eine der zahlreichen Bänke entlang des Sees an.

Diese war sogar im Schatten gelegen und dennoch unbesetzt.

Sie sahen eine Weile den Leuten zu, die spritzend durchs Wasser planschten oder bis zu den großen runden Bojen, die die Schwimmzone von der Wassersportzone trennten, schwammen.

„Warum hast du eigentlich nicht dein Schwimmzeug dabei?“ wollte Yugi von Atemu wissen.

Er hatte ihn zwar 1 ½ Jahre lang geduzt, aber nachdem er jetzt sein Referendar war, hörte es sich in seinen Ohren etwas seltsam an, ihn nun wieder zu duzen.

„Ich habe gar kein Schwimmzeug eingepackt, habe auch keines im Hotel“, antwortete Atemu gelassen.

Yugi bekam runde Augen. „Aber wieso denn nicht?“

„Du kannst mit deinem Fuß doch auch nicht schwimmen gehen.“ Atemu sah ihn lächelnd an.

„Ja, schon, aber du hättest doch auch ohne mich schwimmen gehen können.“ Yugi sah ihn etwas verständnislos an.

Bei der Hitze würde er am liebsten ins Wasser springen, aber noch war sein Fuß von einem Verband eng umwickelt.

„Ach, das macht mir nichts aus, ich schwimme nicht allzu gerne“, erklärte sein Sitznachbar.

Yugi musste grinsen.

Ja, vermutlich steckte noch zu viel von dem früheren Wüstenleben im Geist des ehemaligen Pharaos.
 


 

„Wenn du willst, kannst du ruhig etwas spazieren gehen“, meinte Yugi nach einiger Zeit. „Ich warte hier.“

Atemu warf Yugi einen Seitenblick zu. „Nein, ich…“

„Du bist doch so sportlich, für dich ist es doch sicherlich ein Gräuel, nur faul rum zu sitzen“, unterbrach Yugi ihn lächelnd. „Ich bestehe darauf!“

Atemu schnaubte betont theatralisch. „Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig.“

Er stand lächelnd auf. „Aber bleib nicht zu lange in der Sonne sitzen. Sonst bekommst du einen Sonnenstich.“

Der Junge hatte gar nicht bemerkt, dass sie so lange auf der Bank gesessen hatten, dass die Sonne schon so viel weitergewandert war, dass ihre Bank nun komplett in der Sonne stand.

Yugi sah Atemu nach und seufzte schwer.

Es fiel ihm unendlich schwer, ständig neben Atemu zu sitzen, ihm so nahe zu sein und ihn nicht berühren zu können, alle Gefühle runterschlucken zu müssen.

Und jetzt hatte er ihn fortgeschickt.

Er musste eine Weile alleine sein.

Seufzend beobachtete er die Leute um ihn herum und kam nicht umhin, festzustellen, dass auch viele Pärchen unterwegs waren.

Er hing seinen Gedanken nach und ließ seinen Blick schweifen.
 


 

Nach einer Weile konnte er Atemu an einem Kiosk etwas weiter von der Bank weg entdecken.

Er unterhielt sich mit einem etwa gleichaltrigen Mädchen hinter sich in der Schlange und wartete darauf, dass er an die Reihe kam. Die beiden lachten und waren offensichtlich in einen Flirt vertieft, so dass Yugi sich schnell abwandte.

Yugi biss sich auf die Lippe.

War ja abzusehen gewesen, dass das irgendwann passieren würde.

Selbst wenn sie die Schule und die schwärmenden Schülerinnen hinter sich ließen, Atemu besaß einfach eine gewisse Anziehungskraft und das, wie Yugi zugeben musste, nicht nur auf Mädchen.

Aber irgendwie hatte er genau das erwartet: dass sie mit diesem Urlaub all das hinter sich lassen würden und Atemu nur für ihn da wäre.

Der Junge wandte sich ab und richtete seine Aufmerksamkeit intensiv auf die Wassersportler.

Er wollte jetzt einfach nicht weiter darüber nachdenken.

„Hey, du sitzt ja immer noch in der Sonne!“ Atemu setzte sich wieder neben ihn und hielt ihm ein soeben gekauftes Eis hin. „Ich war doch über eine Stunde weg!“

Yugi betrachtete eine Weile stumm das Eis, bevor er sich entschloss, es doch noch mit einem leisen „Danke“ entgegenzunehmen.

Vanille und Nuss.

Er warf Atemu, der sein Tütchen aus dem Papier wickelte, einen Seitenblick zu.

Erinnerte er sich etwa, dass das sein Lieblingseis war?

Oder war das nur Zufall?

Er hätte ja auch allergisch auf Nüsse reagieren können!

Yugi unterdrückte einen Seufzer und wickelte auch sein Eis aus.

Nachdem sie das Eis gemütlich, sie hatten ja Zeit, verputzt hatten, stand Atemu auf. „Wir sollten uns auf den Weg machen, es ist schon spät.“

Der Jüngere nickte und griff nach seinen Krücken.

Seit Atemu wieder da war, hatten sie nur wenig miteinander gesprochen.

Er humpelte neben Atemu her, doch als es an den Aufstieg ging, hielt Yugi plötzlich inne.

Den Kopf leicht nach vorne geneigt, so dass seine blonden Strähnen sein Gesicht verdeckten, bis er die Zähne zusammen.

Verdammt, irgendwie tat ihm gerade alles weh. Und ihm war schlecht.

Atemu drehte den Kopf zurück und kam die paar Schritte, die er nach Yugis unerwartetem Stillstand gemacht hatte, wieder zurück. „Was ist?“

Yugi verzog das Gesicht. „Mein Fuß tut höllisch weh!“

Das war nur die halbe Wahrheit.

Seinem Kopf ging es auch nicht viel besser.

„Bist du dir sicher, dass es nur das ist?“ Der Ältere musterte ihn prüfend.

Yugi nickte etwas zu heftig für seine Kopfschmerzen.

„Hm, OK.“ Atemu sah sich um, als würde er etwas suchen.

Dann richtete er seinen Blick nach oben. „Die Sonne ist schon im Begriff, unterzugehen.“

Er sah Yugi, der den Blick auf den Kiesboden gerichtet hatte, noch einmal an und schien einen Entschluss gefasst zu haben. „Ich werde dich huckepack nehmen und zum Auto tragen.“

Was? Yugi hob ruckartig den Kopf, konnte aber nur noch sehen, wie Atemu ihm den Rücken kehrte und noch ehe er weiter darüber nachdenken konnte, hatte dieser ihn auch schon auf seinen Rücken gehoben.

Der Junge atmete heftig aus und umklammerte seine Krücken.

Doch um diese fest im Griff zu haben, würde er sie schon mit beiden Händen packen müssen und somit quer vor Atemus Brust zusammenführen.

Yugi hielt seinen Oberkörper auf Abstand zu Atemus Körper, der sich schon in Bewegung gesetzt hatte.

Doch dann bemerkte er, dass er den Älteren fast mit den Krücken erwürgte.

Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als sich doch noch nach vorne zu lehnen und ehe er sich versah, hatte er auch seinen Kopf auf Atemus Schulter abgelegt.

Er hatte solche Kopfschmerzen und schloss daher die Augen.

Wenigstens würde Atemu nun keine Probleme mehr mit den Krücken haben, die nun eher vor seinem Bauch baumelten.

Yugi atmete tief durch die Nase ein.

Es war, als würde Atemus warmer Duft in sein Hirn strömen und die Kopfschmerzen etwas lindern.

Er lächelte leicht und achtete mit geschlossenen Augen auf jede Bewegung unter sich.

„Wir sind da.“ Atemu hatte den Kopf zu Yugi gewandt und sein Atem streifte dessen Wange wie eine warme Sommerbrise.

Wie auf ein geheimes Kommando riss Yugi seinen Kopf von Atemus Schulter und fand sich wenige Augenblicke später auf dem Beifahrersitz des Cabrios wieder.

Atemu ging zum Kofferraum und hantierte dort herum.

Obwohl Atemus Atem warm gewesen und auch die Sommerhitze unerträglich war, konnte Yugi spüren, wie eine Gänsehaut nun seinen Körper überzog.

So etwas hatte er doch nie gewollt; diese unerfüllt Liebe würde ihn doch nur verletzen!

Aber es war doch so angenehm gewesen.

Atemu tauchte wieder neben ihm auf und hielt ihm eine kleine Wasserflasche hin. „Ist zwar wahrscheinlich eklig warm, aber im Sommer sollte man viel trinken.“

Yugi nahm die Flasche dankend entgegen und da Atemu seine eigene Flasche hatte, scheute er sich auch nicht, seine zu leeren.

Augenblicklich ging es ihm sehr viel besser.

Nichtsdestotrotz, ein kleiner Rest Kopfweh blieb.
 


 

Nachdem Atemu sich im Bad fertig gemacht hatte, war nun Yugi an der Reihe.

Er duschte und putzte sich dann vor dem zu Bett gehen die Zähne.

Wie immer, wenn er im Hotel unterwegs war, hatte er nur eine Krücke dabei.

Doch plötzlich wurde ihm schwindelig.

Yugi biss die Zähne zusammen, ließ den Kopf nach vorne hängen und krallte seine Finger ans Waschbecken, was dazu führte, dass die Krücke unter lautem Gepolter auf den Boden fiel.

Er keuchte schwer.

Ihm war schon den halben Tag nicht sonderlich gut, aber es wurde immer schlimmer.

Und er hatte es Atemu verschwiegen.

Dieser riss zwei Sekunden später auch schon die Badezimmertür auf. „Yugi, was…?“

Yugi fühlte, wie seine Beine weich wurden und einfach unter ihm wegknickten.

Zum Glück hatte er die Tür doch nicht abgesperrt, wie es eigentlich vorgehabt hatte, nicht dass er geglaubt hätte, Atemu würde irgendwann einfach so hereinspazieren, nur so als Vorsichtsmaßnahme, aber nun war Atemu sofort zur Stelle und er landete weich in dessen starken Armen.

„Dummerchen! Hast wohl doch einen Sonnenstich!“ flüsterte Atemu.

Yugi konnte nur noch sehen, wie der Andere sich mit besorgtem Gesichtsausdruck über ihn beugte, bevor es ihm schwarz vor Augen wurde.
 


 

Als Yugi wieder zu Bewusstsein kam, war das Zimmer schon dunkel.

Er fühlte, dass etwas kaltes feuchtes auf seiner Stirn lag.

Der Junge griff danach und konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken.

Es kam ihm noch immer so vor, als wäre ein Presslufthammer in seinem Kopf im Dauereinsatz.

Neben der vielen Sonne, die er abbekommen hatte, spielte es seiner Vermutung nach auch eine große Rolle, dass er die vergangenen Nächte kaum geschlafen hatte.

Plötzlich konnte er zwei dunkle, aber dennoch funkelnde Augen über sich erkennen.

Yugi drehte langsam den Kopf und konnte erkennen, dass Atemu noch immer vollständig angezogen war.

„Wie geht’s?“ Atemu hatte seine Stimme ganz abgesenkt, dennoch dröhnte sie in Yugis Kopf weiter.

Der Angesprochene nickte nur und fragte dann zögerlich: „Wie … spät?“

Mehr bekam er nicht über seine trockenen Lippen und er merkte, wie dünn seine Stimme klang.

Atemu drehte kurz den Kopf, um auf die Leuchtziffern des Radioweckers neben seinem Bett zu sehen.

„Zwanzig nach drei“, erklärte er leise.

Yugi musterte den anderen. War er etwa die ganze Nacht wach gewesen und hatte auf ihn aufgepasst?

Der Junge war zu müde und die Kopfschmerzen waren zu groß, um darüber nachzudenken.

„Möchtest du etwas trinken?“ fragte Atemu dann.

Yugi nickte und Atemu half ihm dabei, sich einigermaßen aufrecht hinzusetzen und half ihm auch beim Trinken.

Der Jüngere empfand das kühle Nass als sehr angenehm und er fühlte jedem Schluck nach, wie dieser wohlig seine Kehle herunter floss.

Er sah Atemu an, als er sich wieder zurücklehnte.

Dieser sah etwas müde aus.

Wie hatte er sich denn die ganze Zeit in der Dunkelheit wach gehalten?

„Du solltest … auch schlafen“, meinte Yugi mit schwacher Stimme.

Atemu lächelte. „Schlaf du erstmal wieder ein.“

Der Ältere griff nach Yugis Decke und zog sie ihm bis zum Kinn.

Er hatte wohl in den letzten zwei Nächten gemerkt, dass Yugi so bevorzugt schlief.
 


 

Als Yugi wieder wach wurde, war es sehr still und sehr hell in ihrem Zimmer.

Er hielt den noch immer feuchten Waschlappen auf seiner Stirn fest, damit er nicht herunterrutschte, wenn er den Kopf drehte.

Atemu hatte den Lappen in der Nacht wohl des öfteren neu befeuchtet.

Der Junge stellte fest, dass Atemu sich in der Nacht doch noch ausgezogen hatte.

Atemu lag auf der Seite, in Yugis Richtung, wenn er die Augen geöffnet hätte, würde er Yugi direkt ansehen, und schlief offensichtlich fest.

Er hatte einen Zipfel der dünnen Sommerdecke in der einen Hand, die er fast auf Kinnhöhe neben sich abgelegt hatte, aber sein Körper wurde dadurch nicht zugedeckt; die Decke lag nur neben ihm.

Yugi lächelte.

Er sah niedlich aus, fast wie ein kleines Kind.

Yugi verspürte einmal mehr den Drang, Atemu zu berühren, seine Haut an der eigenen zu spüren.

Aber er riss sich zusammen.

Stattdessen streckte er seine Hand nur nach einer der blonden Haarsträhnen des Anderen, die auf dem weißen Bettlaken zwischen ihnen lag und ihm am nächsten war, aus und strich vorsichtig darüber.

Er wollte keineswegs, dass Atemu wach wurde, oder überhaupt mitbekam, was er da machte.

Yugi lächelte leicht und rutschte so nah an Atemu heran, wie er es wagte.

Falls Atemu irgendetwas merkte, konnte er schnell so tun, als wäre er im Schlaf einfach ein Stück zu weit rüber gekommen.

Er drehte den Waschlappen um, um die etwas kühlere Seite auf seine Stirn zu legen.

Dann beobachtete er den schlafenden Atemu.

Yugi seufzte lautlos.

Vielleicht sollte er auch noch ein wenig schlafen.
 


 

Nachdem sie auf Grund von Yugis schlechter Verfassung den Vortag nur auf dem Balkon ihres Zimmers verbracht hatten, der Nachmittags gänzlich im Schatten lag, waren sie nun in den Nachbarorten unterwegs, um sich historische Bauten, Brunnen oder Schreine anzusehen.

Es war schon später Nachmittag und Atemu bog gerade von der Hauptstraße auf einen Parkplatz ab.

Dieser war an einer großen kahlen Felswand gelegen.

Entlang des Parkplatzes und auf dem Felsen selbst wuchsen viele grüne Pflanzen.

Yugi fragte sich, was es hier zu sehen gab. Er hatte keine Schilder gelesen.

Vielleicht irgendeine Quelle oder so was. Oder wollten sie einfach nur rasten?

Atemu parkte. „So, da wären wir.“ Er stieg aus und Yugi tat es ihm nach.

„Und was gibt es hier zu sehen?“ Yugi gesellte sich mit seinen Krücken zu Atemu, der am Kofferraum stand und gerade ihre Wasserflaschen herausnahm.

„Du wolltest doch die Tropfsteinhöhlen sehen“, erklärte Atemu und trank in einem Zug fast die halbe Wasserflasche aus.

Yugi war überrascht. Er stand mit dem gesamten Gewicht auf seinem gesunden Fuß und nahm nun die Wasserflasche vom Mund. „Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist.“

Der Junge betrachtete Atemu von der Seite.

So wie dieser in der Nachmittagssonne und in dieser idyllischen Umgebung stand und aus seiner Wasserflasche trank, könnte er glatt irgendeiner Werbung entsprungen sein.

Yugi lächelte bei dieser Vorstellung.

Atemu zuckte mit den Achseln. „Wir werden einfach an der Kasse nachfragen, ob man dort unten gut mit Krücken gehen kann. Dann können wir uns ja einfach bei der Führung als letzte an die Gruppe dranhängen.“

Er schlug eine gemütliche Gangart in Richtung des massiven Felsens ein. „Im Notfall werde ich dich die ganze Führung über huckepack tragen. Das hat vorgestern ja auch schon gut geklappt.“

Yugi sah den Anderen etwas skeptisch an. „Aber doch nicht, wenn die Führung eine halbe Stunde oder länger dauert.“

„Wieso nicht, du bist doch ein Fliegengewicht.“ Atemu lächelte Yugi an.

Dieser verzog das Gesicht.

Dass er so leicht war, hing größtenteils mit seiner geringen Größe zusammen, was wiederum mit Minderwertigkeitskomplexen verbunden war, auch wenn er dank Atemus Hilfe schon etwas selbstsicherer war und er hatte ja jetzt immerhin auch Freunde.
 


 

Von seiner erhöhten Position auf Atemus Rücken aus hatte Yugi eine gute Aussicht.

Die Krücken hatten sie einfach am Eingang zurückgelassen.

Neben den bunten Stalaktiten und Stalagmiten, die je nach Gesteinsfärbung und Algenansatz unterschiedlich gefärbt waren, konnte er auch ganz gut die anderen Leute in ihrer Gruppe beobachten.

Und er kam nicht umhin, festzustellen, dass sie beide skeptisch betrachtet wurden.

Sie wurden wohl als seltsames Gespann angesehen.

Da Yugi die Blicke auf sich etwas unangenehm waren, duckte er sich manchmal hinter Atemus aufragender Igelfrisur und versteckte sich so ein wenig.

Mit der Zeit gewöhnte er sich jedoch an die Blicke und er versuchte, sie so gut es ging zu ignorieren und sich auf die Führung und die Gesteinsformationen zu konzentrieren.

„Nun kommen wir zu einer Stelle der Führung, die meistens die Kinder in der Gruppe hocherfreut“, begann der Führer lächelnd. „Denn hier müssen sich die Erwachsenen bücken, um den Weg zu passieren, da die Decke sehr niedrig hängt.“

Yugi schluckte. Was jetzt?

„Ich werde dich mal kurz absetzen“, erklärte Atemu und Yugi glitt von seinem Rücken.

Doch er musste nur ein paar Sekunden auf seinen eigenen Füßen stehen, da Atemu ihn nun auf seine Arme nahm.

Wie ein Bräutigam seine Braut über die Schwelle trug.

Yugi wurde augenblicklich rot im Gesicht und klammerte sich dann an Atemu fest, als dieser sich nach vorne beugte, um sich nicht beim Passieren dieser Stelle den Kopf anzustoßen.

Dabei kam er Yugi wieder unangenehm nahe.

Sein Herz blutete, wenn er daran dachte, dass Atemu wohl nie seine Gefühle erwidern wird.

Aus einem Impuls heraus presste er sich näher an den Anderen heran.

Er hatte plötzlich das Gefühl, als würde Atemu ihm entgleiten, als wäre es die letzte Gelegenheit für ihn, ihm so nahe zu sein, als könne er sich jeden Moment für immer von ihm abwenden.

Das wollte Yugi auf keinen Fall.

Er konnte ohne Atemu doch einfach nicht mehr leben.
 


 

Am Abend saßen sie wieder auf ihrem Balkon und sahen zu, wie der Himmel sich orange-rot färbte.

Die Koffer hatten sie schon gepackt, denn es war ihr letzter Tag, bevor sie morgen wieder nach Hause fahren würden.

Yugi hatte schon den ganzen Abend sein rotes Notizbuch auf dem Schoß liegen und kritzelte eifrig hinein.

Gerade heute war er von der Muse geküsst und die Inspiration floss durch ihn hindurch und aus der Spitze seines Stiftes hinaus auf das weiße Papier.

Atemu hingegen las ganz gebannt in einem Buch und warf nur ab und zu Blicke zu Yugi hinüber.

Als Yugi wieder von der Toilette kam, stockte ihm der Atem.

Nein, das durfte doch nicht wahr sein!

Der Ältere hatte seine Lektüre zur Seite gelegt und las offensichtlich sehr interessiert in seinem roten Buch.

Atemu sah auf, als Yugi neben ihn trat. „Sehr schöne Gedichte.“ Er lächelte. „Manche sind so schön melancholisch …“

Noch ehe Yugi genau wusste, was er tat, hatte er seinem Gegenüber das Buch auch schon aus der Hand gerissen, auf dem Absatz kehrt gemacht, war ins Zimmer hineingerannt und hatte sich auf sein Bett gesetzt.

Wieso hatte er es auch offen auf dem Tisch liegen lassen?

Sehr unvorsichtig.

Es war doch abzusehen gewesen, dass es Atemus Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde.

Ausgerechnet Atemu.

Ausgerechnet er hatte jetzt einen, wenn vermutlich auch nur kurzen Blick, in sein innerstes Seelenleben werfen können.

Die Gedichte, die Gefühle gesehen, die an ihn gerichtet waren.

Wie viel und was hatte er wirklich gelesen?

Zum Glück hatte er ihn nie erwähnt.

Zum Glück war es kein Tagebuch gewesen.

Hätte Atemu auch so schamlos darin gelesen, wenn es denn eines gewesen wäre?

Unvermittelt musste er an den Terminkalender denken.

War das jetzt die verspätete Strafe?

Die Rache?

Oder war die Ähnlichkeit der Situation einfach nur Zufall?

Er starrte das Buch an und drehte es unruhig in seinen Händen hin und her.

Atemu hatte sein Vertrauen missbraucht.

Yugi legte das Buch zur Seite und zog sich hastig um.

Er wollte einem Gespräch mit Atemu aus dem Weg gehen, wenn er wieder hereinkommen würde.
 


 

Am nächsten Morgen machten sie sich gemeinsam auf den Weg zum Frühstücksraum.

Seit dem gestrigen Vorfall hatten sie nur das Nötigste miteinander gesprochen.

Am Vorabend hatte Yugi so getan, als ob er schon schlafen würde, als Atemu endlich wieder in ihr Zimmer gekommen war.

Doch in Wirklichkeit hatte er sich weiterhin den Kopf darüber zerbrochen, in welchem Licht ihm Atemu nun erschien oder wie es weitergehen sollte.

Er konnte ja schlecht so tun, als wäre nichts geschehen.

Jedoch wusste er nicht genau, wie er sich nun dem Anderen gegenüber verhalten sollte.

Auch Atemu machte keinerlei Anstalten, ein Gespräch anzufangen, was Yugi zum Teil auch irgendwie verwirrte.

Der Junge warf ihm einen Blick zu.

Hatte er gespürt, dass er zu weit gegangen war?

Dass er in die tiefsten Sphären von Yugis Ich eingedrungen war?

Ohne dessen Erlaubnis?

Vielleicht hatte er wirklich bemerkt, dass er keine Befugnis gehabt hatte, das Buch zu lesen.

Atemu hatte die dünne Membran um Yugis Gefühlswelt mit dem Finger berührt und sie nach Innen gestülpt.

Und das tat Yugi im Herzen weh.

Denn Atemu hatte die Zeile gelesen, ohne je wissen zu können, dass sie an ihn gerichtet waren.

Yugi schien es, als wäre er einen Weg entlanggegangen, der nun dort hinführte, wo er angefangen hatte.

Er konnte Atemu seine Gefühle einfach nicht zu verstehen geben, sie nicht gestehen.

Sein Verstand verbot ihm das.

Der Junge seufzte unterdrückt und fuhr sich mit der freien Hand über sein Gesicht.

Atemu hatte sich noch nicht einmal entschuldigt.

Ihm nicht zu verstehen gegeben, ob er es tatsächlich bemerkt hatte.

Dem Jungen blieb nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass der Andere die Gedichte nie erwähnen würde.
 


 

„Ich glaube, sie wird dich vermissen.“ Atemu sah der jungen Kellnerin, die ihnen gerade erneut Kaffee gebracht hatte, lächelnd nach.

„Was?“ Yugi richtete den Blick von seinem Brötchen auf die soeben genannte.

„Sie scheint in dich verschossen zu sein.“ Atemus Lächeln weitete sich zu einem Grinsen aus, als er den Blick wieder auf Yugi richtete.

„Unsinn!“ entgegnete Yugi. Wieso redete Atemu einen solchen Schwachsinn?

Er liebte nur einen.

Noch immer.

„Sie erinnert mich irgendwie an deine Freundin.“ Atemu schien nachzudenken. „Téa.“

Téa? Yugi sah noch einmal genauer hin, als die Kellnerin anderen Gästen ebenfalls eine Kanne des heißen Getränks brachte.

Ja, irgendwie hatte er Recht.

Was Yugi nun irgendwie wieder an sein Vorhaben erinnerte, Atemu einmal nach ihr zu fragen.

„Was hältst du eigentlich von Téa?“ fragte er daher so beiläufig wie möglich.

„Téa? Naja, sie scheint ja ein ganz nettes Mädchen zu sein“, erklärte Atemu.

Yugi hielt unwillkürlich die Luft an und starrte Atemu wie ein hypnotisiertes Kaninchen an.

Jetzt würde er sich der bitteren Wahrheit stellen müssen.

Atemu seufzte, während er erneut ein Brötchen bestrich. „Dir ist doch sicherlich schon aufgefallen, dass ich an der Schule … nunja, wie soll ich sagen? Dass ich ein Mädchenschwarm bin.“

Er hielt inne, während Yugi ihn unverwandt ansah.

„Ich weiß nicht genau, woran es liegt … vielleicht sehe ich ja gut aus?“ Er lachte kurz auf.

Und wie gut du aussiehst, Atemu Yamito! dachte Yugi und da er fühlte, wie er wieder total rot im Gesicht wurde, senkte er seinen Blick auf seine Hände herab, die sich mittlerweile vor Nervosität nicht mehr um das Brötchen auf seinem Teller kümmern konnten, sondern unruhig in seinem Schoß lagen.

„Aber du kennst doch sicher den viel von Mädchen zitierten Spruch: ’Gut aussehende Jungs sind entweder vergeben …’“ Atemu ließ den Satz unvollständig in der Luft hängen.

Yugi nickte. „‚… oder schwul.’“, beendete er den Spruch ohne großartig darüber nachzudenken.

„Eben“, erwiderte Atemu gelassen.

Yugi riss den Kopf hoch.

Was? Hatte er sich auch nicht verhört?

„Oh…“ Abertausende Gedanken schossen durch seinen Kopf. „Tut mir Leid …“

Atemu war noch immer mit seinem Brötchen beschäftigt gewesen, doch nun ruckte sein Kopf hoch und er sah Yugi scharf an.

Es war so, als hätte er duzende von Pfeilen auf den Jungen abgeschossen, die sich durch ihn hindurchbohrten, vor allem durch seinen Bauch und durch sein Herz, und die ihn an der nächstbesten Wand festnagelten.

Atemu kniff die Augen zusammen. „Schwulsein ist keine Krankheit.“ Er schien sauer zu sein.

Yugi konnte sich dank der imaginären Pfeile, die zusätzlich noch eiskalt wie Eiszapfen waren, nicht bewegen.

Und sie bohrten sich immer weiter in sein Herz.

„So … meinte … ich das doch gar nicht!“ Eine kalte Hand hatte sich um seine Kehle gelegt und drückte unerbittlich zu.

Er konnte es nicht ertragen, wenn Atemu ihn so ansah, so kalt, so abweisend, ihn von sich stoßend.

Diese violetten Augen, die sich verdunkelt hatten, die nun so fremd wirkten.

„Es tut mir Leid … dass … ich dich verkuppeln wollte - mit einem Mädchen“, presste Yugi hervor.

Ihm war elend zumute.

Wieso hatte Atemu das falsch verstanden?

Wieso diese Reaktion?

Seine Augen, seine Körperhaltung.

All dies so abweisend.

Atemus Gesichtszüge entspannten sich sichtlich und er lachte sogar.

„Ach so. Das macht doch nichts.“ Er biss herzhaft in sein Brötchen.

Bitte!

Sieh mich nie wieder so an!

Nie wieder!

Erst nach einer Weile konnte Yugi die Starre in seinen Gliedern abschütteln.

Nein, er hatte nie erwähnen wollen, wie Téa für Atemu empfand.

Was würde Atemu denn nun von ihr denken?

Hoffentlich würde er sein Verhalten ihr gegenüber nicht ändern, oder sie gar darauf ansprechen.

Höflicherweise sollte er es für sich behalten.

Yugi ließ seinen Kopf etwas nach vorne fallen, damit seine blonden Haarsträhnen seine Gesichtszüge etwas verdecken würden.

Erst jetzt ging ihm vollends auf, welche Tatsache ihn in diese völlig konfuse Atmosphäre hineinmanövriert hatte.

Atemu war also … auch … schwul?

Der Junge konnte es kaum fassen.

Er wurde so rot im Gesicht, als hätte jemand einen Farbeimer über ihm ausgekippt.

Vielleicht gab es ja doch Hoffnung?

Schüchtern hob er den Blick wieder auf sein Gegenüber.

Weihnachts-Extra

Zu Weihnachten ein kleines, ungeplantes Extra-Kapitel für all die lieben Kommie-Schreiber und auch alle Leser, die sich (noch?) nicht getraut haben, mir einen Comment zu schreiben^^
 

Und ich dachte mir, die Stelle ist doch zu schön, um etwas dazwischen zu schieben *eg*
 


 

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Weihnachts-Extra
 

Yugi stand pfeifend in der Küche und holte den Plätzchenteig aus dem Kühlschrank.

Er öffnete den Deckel der Plastikdose und schnupperte daran.

Aber zu seinem Leidwesen roch kalter Teig nach gar nichts.

Gerade war er dabei, das Nudelholz mit Mehl einzureiben, als Yami neben ihm erschien.

„Was machst du?“ fragte der Geist neugierig.

„Weihnachtsplätzchen“, war die einfache Antwort.

Yugi wusch sich kurz die Hände, da er vergessen hatte, sich die rote Schürze anzuziehen.

„Und was ist das?“ wollte der Ältere weiter wissen.

„Kekse, die man an Weihnachten selbst backt.“ Yugi deutete auf den Teig und die verschiedenen Formen, die er verwenden wollte, um die Plätzchen auszustechen.

„Was ist denn nun schon wieder Weihnachten?“ hakte Yami nach.

„Weihnachten ist das Fest der Liebe. Man schenkt seiner Familie und seinen Freunden etwas und erhält im Gegenzug selbst Geschenke“, erklärte Yugi und rollte den Teig auf der dünnen Mehlschicht auf dem Küchentisch aus.

„Ein praktisches Fest“, stellte Yami fest und sah Yugi interessiert zu. „Und weshalb feiert man das?“

Yugi sah hoch und dem Geist somit in die Augen. „Also, seinen Ursprung hat das Fest in Europa. Wir Japaner haben es erst sehr viel später übernommen, denn wie du schon festgestellt hast, ist das Fest sehr praktisch.“

Yami beobachtete, wie Yugi die einzelnen ausgestochenen Plätzchen nach und nach auf dem Backpapier auf dem Blech verteilte und wartete scheinbar darauf, dass er weiter sprach.

„Es ist auf den Gott zurückzuführen, an den fast alle Europäer glauben. Angeblich wurde sein Sohn an diesem Tag vor etwas über 2000 Jahren geboren. Deshalb das Fest“, erläuterte Yugi.

„Ach so, du meinst also, deshalb die offizielle Zeitrechnung?“ vermutete Yami einfach ins Blaue.

Yugi lächelte sein Gegenüber an. „Genau das.“

„Hast du denn schon alle Geschenke?“ Yami verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an die Wand in seinem Rücken.

„Ja, natürlich. Ich habe die letzten Tage nichts anderes gemacht, als die Geschenke zusammenzusuchen.“ Yugi sah Yami tadelnd an. „Das wüsstest du auch, wenn du nicht lieber in deinem Milleniumspuzzle schlafen würdest.“

„Tja, ich muss eben Kräfte für die nächsten Duelle sammeln“, meinte Yami ungerührt und zuckte unschuldig mit den Achseln.

Das fertige Blech schob Yugi in den vorgeheizten Ofen und verfuhr mit dem Rest des Teiges ebenso.

Die ganze Zeit stand Yami daneben und betrachtete alles ganz genau.

Yugi schmunzelte.

Weihnachtsplätzchen hatten es dem Geist wohl angetan.

„Was machst du jetzt?“ erkundigte Yami sich, als das letzte Blech im Ofen war.

Yugi lachte. „Jetzt nehme ich mir den Sandteig, den ich gestern vorbereitet habe und schneide ihn.“

Yami sah ihn fragend an.

Der Jüngere verschwand kurz und als er zurückkam hatte er eine riesige Plastikschüssel in den Händen.

Er deckte das Geschirrtuch, das er darüber gelegt hatte, auf und nahm die dicken eiskalten Teigwürste heraus.

Dann legte er sie auf ein Schneidebrett und schnitt sie in Scheiben.

„Wie viele Sorten machst du noch?“ Yami sah ihm noch immer neugierig zu.

„Heute nur noch die hier. Gestern und Vorgestern habe ich schon ein paar Sorten gemacht, in den nächsten Tagen kommen dann die letzten“, erklärte Yugi, während er sich darauf konzentrierte, sich nicht in den Finger zu schneiden. „Morgen werden die ausgestochenen Plätzchen noch verziert.“

„Ich dachte, du wärest in den letzten Tagen unterwegs gewesen, um Geschenke zu kaufen“, wunderte Yami sich.

„Ja, das auch.“ Yugi verfrachtete die Scheiben auf ein Blech.

„Du hast doch noch Schule!“ rief Yami erstaunt aus. „Wann machst du das denn alles!“

„Außerdem: wie viele Bleche habt ihr denn?“ fragte er skeptisch.

Yugi lachte fröhlich. „Genug jedenfalls für diese Portion. Und was die Schule angeht: dort grassiert gerade die Grippewelle unter den Lehrern, also jede Menge Freistunden.“

Yami lächelte.

Er mochte es einfach, wenn sein Aibou so lachte.

„Ich hoffe nur, dass es mich nicht auch noch erwischt. Weihnachten mit Triefnase wäre erbärmlich“, erklärte Yugi, bevor er seine Arbeit beendete.

„So und was jetzt?“ war Yami begierig zu erfahren.

„Na, jetzt wird aufgeräumt und geputzt!“ erläuterte Yugi.

„Ach so.“ Yami hörte sich schon fast enttäuscht an.

Es war selten, dass sie so viel Zeit miteinander verbringen konnten, ohne Gefahr zu laufen, dass Yugi als verrückt abgestempelt wurde, wenn er mit seinem Geist sprach.

Aber Yugis Mutter war zum Glück nicht da.

„Übrigens, du hast Mehl an der Nase“, lächelte Yami und fuhr sich dabei über die eigene Nase.

Yugi sah Yami gespielt beleidigt an. „Und das sagst du mir erst jetzt?“

„Es hat halt zu niedlich ausgesehen“, meinte Yami daraufhin.

„Du findest mich also niedlich?“ hakte Yugi nach. „Was soll ich denn davon halten?“

„Na, wenn’s doch so ist! Außerdem finde ich alles niedlich, was kleiner ist als ich!“ grinste Yami.

Er wusste nur zu gut, wie er den Kleinen ärgern konnte.

„Werd mal hier nicht frech!“ Yugi warf auch prompt mit dem Geschirrtuch nach ihm, das aber durch den Geist hindurch glitt.

„Autsch!“ Yami hielt sich gespielt die Brust dort, wo der Stoff ihn hätte treffen sollen.

„Du wehleidiger!“ lachte Yugi.
 


 

Yugi warf Téa einen Blick zu.

Diese hockte ganz in rosafarbene Winterkleidung eingepackt hinter dem nächsten Baum.

Er selbst versteckte sich ebenfalls hinter einem Baum und weißer Schnee rieselte von den Ästen auf ihn herab.

Der Junge schielte hinter der braunen Rinde hervor und hielt nach ihren Gegnern Ausschau, konnte aber weder Joey, noch Tristan ausmachen.

Téa rieb sich die in rosane Wollhandschuhe eingepackten Hände, ihre Wangen warn vor Kälte ganz rot, vermutlich genauso, wie Yugis eigene.

Wenn sie hier so weiter sitzen blieben, würden sie noch festfrieren.

Außerdem kannte er Joeys Ideen.

Es würde ihn nicht verwundern, wenn er sie beide umkreisen und von hinten angreifen würde.

Als er sich umdrehte, sah er gerade noch, wie ein dicker Schneeball geradewegs auf sein Gesicht zuhielt.

„Hey!“ protestierte Yami, als er die Schneeladung direkt ins Gesicht bekam.

„Was soll das, Yugi?“ funkelte er Yugis Geist an, der sich lachend den Bauch hielt.

Téa sah verwundert zu ihrem Freund rüber. „Bist du das, Yami?“

Nachdem er bejahend genickt hatte, fing sie an zu kichern.

Ganz schön frech von Yugi, genau in diesem Moment Yami in seinen Körper zu lassen.

„Na warte!“ Yami schob mit beiden Händen eine große Masse Schnee zusammen, die er dann auf Téa abschoss.

Diese quiekte auf. „He, wir sind doch in einem Team!“

„Mir egal! Hattest du echt verdient!“ Yami grinste fies. „Mir wäre jeder gegen jeden sowieso viel lieber!“

Und schon war er wieder dabei, Schnee zusammenzudrücken.

„Das ist gemein!“ kreischte Téa, wobei sie Yami auswich, nun aber scheinbar in die Schusslinie eines ihrer anderen Freunde geriet und daher doch noch am Rücken getroffen wurde.

„Ihr seid unfair!“ lachte Téa.

„Alle geht ihr auf das einzige Mädel los.“ Sie tat beleidigt, war aber nun dabei, ebenfalls einen Schneeball zu formen.

Mittlerweile waren auch die Gestalten von Joey und Tristan wieder aufgetaucht und Yami wandte sich den beiden zu.

„Der Schnee scheint dir ja ganz schön Spaß zu machen!“ stellte Yugi kichernd fest, während er Yami dabei beobachtete, wie er sich mit Joey raufte und jeder versuchte, dem Anderen Schnee in den Pullover zu stecken.

„Ist halt mein erster Schnee“, erwiderte Yami.

„Hä, erster Schnee?“ fragte Joey irritiert und hielt einen Augenblick inne.

Das war aber ein Fehler, denn genau in dem Moment gelang es Yami, ihm den Schnee in den Ausschnitt zu stecken.

„Iiiiiihhhhh, wie kalt!“ beschwerte Joey sich und versuchte, den Schnee zu erwischen und wieder herauszuholen, denn zum einfach schmelzen lassen war die Portion zu groß.

Dann sah er Yami hinterhältig an. „Jetzt komme ich!“

Mit einem Aufschrei landete er auf ihm und drückte ihm eine Hand voll Schnee ins Gesicht.

Doch Yami hatte sich rasch befreit.

„Wie, ist das alles, was du kannst?“ stichelte er grinsend.

Schnell hatte er Joey runtergedrückt, saß auf seinem Rücken und drückte sein Gesicht in das weiße Nass. „Friss das!“

„Ah, bist du das, Yami? Yugi ist doch nicht so stark! Gnaaaadeeee!“ wimmerte Joey.

Yami sah zu Yugi hinüber, der grinsend den Kopf schüttelte. „Tut mir Leid, aber Yugi schüttelt den Kopf. Immerhin hast du ihn gerade beleidigt!“

„Schon gut, schon gut!“ keuchte Joey.

Langsam ging ihm die Puste von den ganzen Versuchen, sich zu befreien, aus.

„Yugi ist der stärkste … Zwerg, den ich kenne!“ reif Joey lachend.

Natürlich wussten sowohl Yami als auch Yugi, wie Joey das meinte.

Yami verstärkte seinen Griff in den blonden Haaren.

„Wie war das? Ich glaube, ich habe mich gerade verhört!“ erklärte er gespielt empört, griff sich wieder eine Hand voll Schnee und klatschte sie auf Joeys Nase.

„Yugi ist mein allerbester Freund!“ Mit dieser Aussage konnte Joey nichts falsch machen.

„Er würde nie zulassen, dass mich jemand so quält!“ jammerte er.

Yami zog eine Augenbraue hoch. „Bist du dir da so sicher? Immerhin hätte er sich dann schon längst seinen Körper zurücknehmen können. Aber scheinbar hast du eine Strafe verdient!“

Yugi sah den beiden feixend zu.
 


 

Yami stand mit verschränkten Armen an die Wohnzimmerwand gelehnt und betrachtete skeptisch den Adventskranz, an dem alle vier Kerzen entzündet waren.

Dann warf er einen Blick auf den Weihnachtsbaum, den Yugi am Vortag geschmückt hatte.

Seine Aufmerksamkeit lenkte sich auf Yugi, der unter der Tanne saß, Geschenke auspackte und fröhlich Weihnachtslieder vor sich hin pfiff.

Er hatte die gesamte Zeremonie des Weihnachtsfestes stumm mitverfolgt.

Alles schön und gut, aber das jedes Jahr? Wie öde!

Der Geist war müde, selbst mit hohem Interesse hatte er sich zur Aufmerksamkeit zwingen müssen, denn seine Gedanken hatten ständig gedroht, abzuschweifen.

Er verschwand im Milleniumspuzzle.

Yugi griff nach einem der Plätzchenteller und nahm auch eine Kerze und ein Feuerzeug mit nach oben in sein Zimmer.

Den Teller stellte er auf den Boden, die Kerze daneben und zündete sie an.

Sie war das einzige Licht, das sein Zimmer erhellte.

Dann rief er nach Yami.

Dieser hatte sich erst kurz zuvor zurückgezogen, deshalb glaubte er nicht, dass er schon schlief.

Yami tauchte wieder neben seinem Aibou auf.

„Was ist denn los?“ Er sah Yugi fragend an.

Yugi lächelte und kurz darauf fand Yami sich in seinem Körper wieder.

„Yugi?“ hakte Yami überrascht nach.

Der Angesprochene lächelte. „Probier doch mal die Plätzchen!“

Yami besah sich mit schief gelegtem Kopf den gefüllten Teller vor sich. „Und wo soll ich anfangen?“

Der Jüngere lachte. „Das ist in erster Linie natürlich dir überlassen, aber wenn du meinen Rat hören willst: das hier sind meine Lieblingsplätzchen.“ Er deutete auf die Nussmakronen.

Yami griff danach, beäugte sie erst kritisch, bevor er sie schließlich in den Mund steckte.

„Hm, die sind wirklich gut!“ lobte er.

Yugi kicherte. „Dann probier doch auch die anderen!“

„Aibou! Dein Magen fühlt sich schon voll genug an!“ tadelte Yami.

Doch Yugi winkte nur ab. „An Weihnachten ist das normal. Da schaufle ich mehr in mich rein, als an anderen Tagen. Aber an Weihnachten ist das mal erlaubt.“

Bei dem leckeren Festessen, das seine Mutter immer kochte, war das auch kein Wunder.

„Ich bin mir sicher, dass noch von jeder Sorte eins in meinen Bauch geht!“ erklärte Yugi. „Komm schon! Du sollst doch auch was von dem Fest haben!“

Yami lächelte. „Das ist ja nett, aber…“

„Nix da, aber!“ sagte Yugi bestimmt.

„Die hier solltest du als nächstes essen!“ Er deutete auf die Teigscheiben, die Yami noch allzu gut kannte, immerhin war er dabei gewesen, als der Jüngere sie geschnitten hatte.

Der Ältere seufzte theatralisch. „Wenn du darauf bestehst!“

Nach und nach probierte er alle Sorten durch, ließ sich aber für jede einzelne genug Zeit, um sie zu genießen und für sich zu bewerten.

„Also, das hier ist meine Lieblingssorte“, stellte Yami nach dem ausführlichen Testessen fest und deutete auf die Zimtsterne.

Yugi lächelte. „Irgendwie war mir das klar!“

Ehe Yami sich versah, war Yugi wieder in seinen Körper zurückgekehrt, stand auf und nahm etwas von seinem Schreibtisch.

Danach kniete er sich wieder auf seinen Platz.

„Ein Geschenk für dich!“ Lächelnd wedelte er mit dem Umschlag in seiner Hand vor Yamis Nase herum.

Erneuter Körperwechsel. „Los, mach schon auf!“

Yami betrachtete den Briefumschlag in seinen Händen.

Dann öffnete er ihn neugierig und holte ein Freundschaftsband hervor.

Er sah Yugi überrascht an. „Ist das nichts eins von denen, die du vor ein paar Wochen selbst geknüpft hast?“

Yugi lächelte. „Ja, genau. Es ist sogar das, von dem du damals meintest, das würde dir am besten gefallen.“

Nun sah Yami genauer hin.

Tatsächlich, es war das, von dem er zu Yugi sagte, es sei das Schönste.

Er strahlte Yugi an. „Vielen Dank, Aibou!“

Doch sein Lächeln verschwand gleich wieder. „Und wie soll ich das jetzt umbinden? Mit einer Hand?“

Yugi lächelte. „Da musst du dir etwas einfallen lassen! Aber das schaffst du schon!“

Yami sah Yugi etwas zweifelnd an.

Dann hielt er mit den Fingern seiner rechten Hand das eine Ende des Bandes fest, während er mit der anderen, das Band um sein Handgelenk wickelte und versuchte einen Knoten hineinzubringen, was erstaunlicherweise ganz gut klappte. „So, der zweite Knoten wird wahrscheinlich viel schwerer. Damit er nicht zu locker wird.“

Yami behielt Recht.

Als die beiden Knoten nach etlichen Verbesserungsversuchen schließlich aufeinander trafen, hatte sich das Band etwas von Handgelenk entfernt.

„Und wie willst du das abnehmen, wenn du duschen gehst?“ wollte Yami wissen und sah Yugi dabei an.

„Gar nicht“, war die für Yami überraschende Antwort.

„Ich werde das Armband überhaupt nicht ablegen. Das ist schließlich der Sinn und Zweck, immer zu zeigen, dass man befreundet ist“, fuhr Yugi fort.

„Und wer sieht dich, wenn du duschst?“ fragte Yami forsch.

Yugi wurde augenblicklich rot im Gesicht. „Niemand, aber es geht ums Prinzip. Ich werde es niemals ausziehen.“

„OK. Aber verliert es dabei nicht seine Farbe?“ Yami richtete seinen Blick auf das Band zurück.

„Ja, wahrscheinlich.“ Yugi zuckte mit den Achseln.

Yami lächelte Yugi an. „Ich freue mich jedenfalls sehr über das Geschenk. Nur hab ich leider nichts für dich.“

„Das macht nichts“, winkte Yugi ab. „Mir reicht es schon, dass du überhaupt bei mir bist.“

Er erwiderte Yamis Lächeln.
 


 

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Als kleines Weihnachtsextrabonus werden von mir alle informiert, die mir je einen Kommie hinterlassen haben. Das bleibt aber eine einmalige Angelegenheit, wer weiterhin eine ENS will wenn ich ein neues Kap on stelle und noch nicht auf der entsprechenden Liste steht, der teile mir das mit (am Besten natürlich in einem Kommie XD)

Das Turnier

kursiv = Gedanken, Erinnerungen
 

6. Das Turnier
 

Sie saßen wieder auf der Fähre zum Königreich der Duellanten.

Diesmal waren auch Téa und Tristan offiziell mit dabei und sie saßen an einem der Tische im Speisesaal.

„Yugi, du bist schon den ganzen Tag so niedergeschlagen. Gestern sah das Ganze noch anders aus. Da schienst du der glücklichste Mensch auf Erden zu sein. Meiner Meinung nach ein ganz schön krasser Stimmungswechsel in absolut kurzer Zeit“, stellte Joey mit einer gewissen Präzision fest. „Mich würde ja mal interessieren, was los ist? Man könnte glatt meinen, du wärst verliebt.“

Yugi sah unsicher auf seinen Schoß. Er hatte seinen Freunden noch immer nichts gesagt. Sie würden ihn sicherlich auslachen. Und Téa wusste noch immer nicht die Wahrheit.

Aber war es denn so offensichtlich, dass sogar Joey das schon sah?

Er hatte eigentlich gedacht, dass er es gut verbergen würde.

Aber Moment, hatte es Atemu vielleicht auch schon erkannt? Oh, nein, bitte nicht!

Yugi warf Téa einen Hilfe suchenden Blick zu, doch diese senkte den ihrigen. Wie sollte sie ihm auch helfen?

Seine Freunde würden ihn sicher auslachen, wenn sie erfahren würden, dass er schwul und in den Referendar verliebt war. Oder würden sie sich gar von ihm abwenden?

Aber irgendwann musste er sich dem Ganzen stellen, und weshalb nicht jetzt?

Joey gab ihm doch einen guten Grund für eine Beichte.

Yugi nickte zögerlich und erwartete schon Gelächter, aber es blieb ruhig am Tisch.

„Und, wer ist es?“ fragte Tristan nach einer Weile des Schweigens in der Yugi wieder nach unten gesehen hatte. Er konnte seine Freunde jetzt einfach nicht ansehen.

„Atemu“, flüsterte er kaum hörbar und wartete auf eine lautstarke Reaktion.

Dennoch hatten alle am Tisch seine Antwort verstanden.

„Oh“, meinte der sonst so redegewandte Joey nur. Er schien das erst verdauen zu müssen.

„Du bist also schwul?“ fragte Duke nach, scheinbar nur, um sicher zu gehen.

Yugi nickte und konnte von irgendwem ein Kichern hören.

„Hey, ich weiß nicht, was daran komisch sein soll“, fauchte Joey Bakura an. „Schwulsein ist doch nicht schlimm.“

Bakura lächelte weiterhin. „Ich weiß. Ich ja auch.“

„Was?“ Joey musterte ihn skeptisch. Hatte er das in seiner Wut jetzt richtig verstanden?

Yugi hob den Blick und erwiderte Bakuras Lächeln. Jetzt kannte er jemanden, der ähnlich wie er fühlte, mit dem er sich darüber unterhalten konnte.

„Erzähl mal. Weshalb dann die Stimmungsschwankungen?“ erkundigte Joey sich dann.

„Atemu hat mich doch am Knöchel verletzt“, begann Yugi und erntete kollektives Nicken. „Als Entschädigung waren wir zusammen eine Woche in Urlaub.“

„Echt?“ Joey sah Yugi überrascht an. „Glückspilz.“ Er warf Téa einen Blick zu.

Yugi bemerkte das und sah sie ebenfalls an, doch es schien ihr nichts auszumachen.

Dann erzählte er alles, was sie zusammen im Urlaub unternommen hatten. Die Details ließ er allerdings weg.

„Am letzten Tag hat er mir gesagt …“ Yugi holte tief Luft und richtete den Blick auf Téa. „… dass er … auch … auf Männer steht.“

„Hey, das ist doch guut!“ flötete Bakura. „Dann kannst du dich ja jetzt mächtig ins Zeug legen!“ Er grinste.

Yugi und Joey hatten Téa genau beobachtet, aber bis auf ein Nicken und darauf, dass sie sich zu Tristan gebeugt hatte und sich leise mit ihm unterhielt, hatte sie keine Reaktion auf Yugis Neuigkeit Atemu betreffend gezeigt.

„Wir, Tristan und ich, möchten euch auch etwas sagen“, richtete sie dann das Wort an ihre Freunde und Tristan nickte zustimmend. „Wir sind ein Paar.“

„Was? Wie? Seit wann denn das?“ wollte Joey sofort energisch wissen.

Auch Yugi sah Téa verwirrt an. Wie gut, dass er Joey für die dämlichen Fragen hatte, brauchte er das wenigstens nicht selbst zu fragen.

„Seit einer Woche“, erklärte Tristan und griff nach Téas Hand.

„Aber … ich dachte …“ begann Yugi. Er hatte sich so den Kopf darüber zerbrochen, wie er ihr die Sache mit Atemus Gesinnung beibringen sollte und nun hatte sich dieses Problem gänzlich in Luft ausgelöst, eigentlich hatte es nie existiert.

Téa lächelte. „Eigentlich ist Joey gar nicht so unschuldig daran.“

Sie grinste den Blonden an.

„Wenn er nicht die ganze Zeit so gestichelt hätte, hätte Tristan mich nicht verteidigen müssen und ich hätte nie gemerkt, was ich an ihm habe“, erklärte sie in die Runde.

Tristan lächelte. „Und ich habe sie immer verteidigt, da ich schon länger mehr als nur freundschaftliche Gefühle für Téa empfunden habe. Aber ich hatte gedacht, gegen Atemu hätte ich keine Chance.“

„Was sich als falsch erwiesen hat“, nahm Téa den Faden lächelnd auf. „Atemu war nur eine Schwärmerei, das hier ist mehr.“

Wie zur Bestätigung und damit alle es sehen konnten, wandte sie sich Tristan zu und sie küssten sich leidenschaftlich.

Danach sah Téa Yugi freundlich an. „Also ich werde dir sicherlich nicht im Weg stehen.“

„OK, dann stellen wir jetzt einen Schlachtplan auf, wie wir Yugi mit Atemu verkuppeln!“ grinste Joey und sah Yugi mit verdächtigem Glänzen in den Augen an.

„Oh nein, Joey, bitte nicht!“ stöhnte dieser auf.

Das Gespräch war besser verlaufen, als er es erwartet hatte. Er war sich unsicher gewesen, wie seine Freunde auf sein Coming-out reagieren würden.

Und von Téa hatte er einen Tränenausbruch oder ähnliches erwartet. Wer hatte auch ahnen können, dass sie sich mittlerweile anderweitig orientiert hatte.

„Warum warst du denn gestern so fröhlich und bist heute so niedergeschlagen?“ kam Joey wieder zu seiner Anfangsfrage zurück und riss Yugi somit aus seinen Gedanken.

Dieser ließ etwas den Kopf hängen. „Naja, das Finale ist erst in drei Wochen. Wenn ich davon ausgehe, dass ich es bis dahin schaffe …“

Joey heulte auf. „Stell dich nicht immer schlechter hin, als du bist!“ fauchte er.

Yugi ignorierte seinen Freund und fuhr fort. „… werde ich Atemu in dieser Zeit nicht sehen. Letzte Woche habe ich ja immerhin noch die vage Hoffnung gehabt, dass er zufällig in unseren Laden schneien würde, wenn ich da bin, oder dass ich ihn sehe, wenn wir als Clique zusammen weggehen.“

„Nimmt Atemu denn nicht hier an dem Turnier teil?“ erkundigte Duke sich.

Yugi zuckte mit den Achseln. „Seit Großvater mich abgesetzt hat, habe ich die Augen offen gehalten. So wie es aussieht, ist er nicht hier.“

Die Anwesenden verfielen in nachdenkliches Schweigen.
 


 

„Hey, Yugi.“ Bakura klopfte Yugi freundschaftlich auf die Schulter und stellte sich neben ihn.

Yugi hatte zuvor einfach frische Luft benötigt und stand nun schon einige Zeit an der Rehling und sah in das tiefblaue Meer hinab.

Dabei war ihm wieder eingefallen, wie Joey bei ihrer ersten Überfahrt seinen Exodia-Karten hinterher gehechtet war, die Weevil aus purem Neid über Bord geworfen hatte, und wie sie ihn zu dritt wieder hochgezogen hatten.

„Bakura? Darf ich dich mal was fragen?“ unterbrach Yugi die Stille nach einiger Zeit des Schweigens.

„Nur zu“, lächelte der Weißhaarige zurück.

„Hattest du schon mal einen Freund?“ Yugi warf ihm einen flüchtigen Seitenblick zu, bevor er wieder das Meer unter sich fixierte.

„Ja, hatte ich.“ Bakura lächelte weiterhin. So was hatte er schon erwartet.

Nun hob Yugi endlich den Kopf und sah Bakura an. „Dein Yami?“

Bakura verzog das Gesicht. „Nicht doch! Ich hatte nie ein sonderlich gutes Verhältnis zu dem Dieb. Er hat meinen Körper schließlich nur ausgenutzt. Ich war ihm vollkommen egal. Ich hatte mit meinem Yami eben kein so großes Glück, wie du es offensichtlich hattest.“ Er zuckte mit den Schultern. „Nein, ich hatte einen Freund … mit Körper.“

„Und? Wie war das?“ Yugi schaute Bakura wissbegierig an.

„Was soll ich da großartig sagen? Es wird so gewesen sein, wie in jeder anderen Beziehung auch.“ meinte Bakura und legte leicht grinsend den Kopf schief.

Yugi sah in dem Moment aber auch zu niedlich aus. So unwissend, so unschuldig.

Der Kleinere der beiden wandte sich seufzend wieder dem Meer zu. Er hatte sich mehr von dem Gespräch erhofft. Vermutlich hatte Bakura sowieso Recht.

Auch Bakura wandte sich wieder dem Meer zu, aber mehr dem Horizont als den Wellen, die das Schiff verursachte. „Am Besten, du lässt dich von deinen Gefühlen leiten. Geh die Sache nicht verkrampft sondern locker an. Wenn er mehr Erfahrung hat, lass dich von ihm leiten, er wird dir schon alles beibringen. Und komm bloß nicht auf den Gedanken, dass du nicht gut genug bist oder irgendwas falsch machst. Oder zu unerfahren. Er sollte dich so lieben, wie du bist. Er will sicherlich keine Marionette. Wenn du das Gefühl hast, du solltest die Initiative ergreifen, dann tu es. Lass dich aber zu nichts zwingen, nur weil du Angst hast, dass er dich verlässt.“

Yugi hörte Bakura schweigend zu. Ob er all diese Erfahrungen schon gemacht hatte?

Seltsamerweise war ihm nie aufgefallen, dass Bakura schwul war, genauso, wie er dessen Freund wohl nie gesehen hatte.

Er atmete tief durch. „Danke.“

Jetzt musste er nur noch herausfinden, was Atemu über ihn dachte.
 


 

Yugi seufzte. Er konnte sich einfach nicht konzentrieren.

Lustlos zog er eine weitere Karte und sah sie desinteressiert an.

Das Turnier lief jetzt schon seit zwei Wochen und Yugi hatte Atemu nun seit drei Wochen nicht mehr gesehen. Er vermisste ihn so schrecklich.

Die Duelle machten ihm schon länger zu schaffen. Und erst recht keinen Spaß.

Aber irgendwie hatte er es geschafft, nicht vorzeitig rauszufliegen.

„Yugi?“ konnte er plötzlich Yamis Stimme direkt neben sich hören.

Der Junge schloss die Augen und sein Herz klopfte wild gegen seine Brust.

War er wirklich bei ihm?

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich bei dir bleiben werde.“ Dieser vertraute Tonfall, der direkt sein Herz erreichte.

Blinzelnd öffnete er die Augen und ihm war, als würde er Yamis durchscheinende Hand auf seiner liegen sehen, so wie damals, als sie sich gemeinsam gegen Pegasus duelliert hatten.

„Wir schaffen das gemeinsam.“ Aus Yamis Stimme war eindeutig ein Lächeln herauszuhören.

Yugi hob den Kopf und sah seinen Gegner energisch an.

Ja, so konnte es schlecht weitergehen.

Er konnte seinen früheren Lehrer doch nicht enttäuschen, und er war sich sicher, dass das nicht geschehen würde. Das war er dem Pharao schuldig.

Hochkonzentriert brachte er das Duell schließlich doch noch in trockene Tücher.
 


 

Heute war das Finale.

Endlich.

Nur noch ein paar Tage Ferien, dann würde er Atemu endlich wieder sehen können.

Obwohl er ja noch Glück im Unglück gehabt hatte, indem er Atemu auf dessen Einladung hin wenigstens in der ersten Ferienwoche noch um sich gehabt hatte.

Seine Freunde hatten sich schon alle aus dem Turnier verabschiedet.

Duke gleich in der zweiten Runde, Bakura in der vierten, Joey im Viertelfinale. Allerdings nicht gegen Yugi, sondern gegen dessen späteren Kontrahenten.

Er sah sich in der großen Halle um. Er hatte das Gefühl, hier wären mehr Leute, als er Duellanten während der letzten Wochen draußen an den verschiedenen Duellstätten gesehen hatte.

„Sieh mal!“ Joey neben ihm stupste ihn mit dem Ellbogen an und wies auf eine große computergesteuerte Anzeigetafel. Auf dieser war in großen Lettern geschrieben: ‚Nordduellant gegen Südduellant’. „Meint ihr, Pegasus hat die Insel in Norden und Süden unterteilt? Das würde zumindest erklären, wieso hier so viele Leute sind. So viele waren bei uns jedenfalls nicht in der Herberge.“

„Yuuugi!“ quiekte es und ehe Yugi auf Joeys Frage oder sonstiges reagieren konnte, hatte er ein kleines blondes Etwas am Hals hängen. „Hast du mich vermisst?“

„Nein.“ Yugi drückte Rebecca von sich weg.

Selbst als sich Tränen in ihren Augen bildeten, änderte sich Yugis Gesichtsausdruck nicht.

„Was ist denn los?“ erkundigte sie sich mit weinerlicher Stimme. Sonst hatte Yugi sie doch nie abgewiesen.

Joey zog eine Augenbraue hoch. Es war zwar immer zu sehen gewesen, dass Yugi sich unwohl fühlte, wenn Rebecca sich so an ihn klammerte, aber dass er jetzt so rabiat mit ihr umsprang, passte nicht zu ihm.

Yugi seufzte. „Es tut mir Leid, Rebecca. Ich will nicht, dass du dir irgendwelche Hoffnungen machst. Ich habe mich in jemand anderes verliebt.“ Er wollte gleich ehrlich zu ihr sein.

„Na, was hört man denn da? Soso, du hast dich also verliebt?“ Die leicht arrogante Stimme war sofort wieder zu erkennen, so auch für Joey.

Er wandte sich um und war sofort wieder Feuer und Flamme. „Mai!“

„Hallo, Leute, ich wollte euch nur mal Hallo sagen“, lächelte sie in die Runde.

„Was machst du denn hier? Ich habe dich während der letzten drei Wochen nicht gesehen!“ wollte Joey direkt von ihr wissen.

„Ja, ich freue mich auch, dich wieder zusehen.“ Mai seufzte theatralisch.

Dann deutete sie auf die Anzeigetafel. „Wenn ich die Anzeige richtig verstehe, können wir uns auch gar nicht über den Weg gelaufen sein. Ich bin Südduellantin, ihr vermutlich Nordduellanten. Ich wäre auch ehrlich gesagt sehr verwundert gewesen, wenn ihr beiden nicht hier eingeladen gewesen wäret.“

„Hey, wir waren auch eingeladen!“ stellte Duke klar und Bakura nickte.

„Jaja“, meinte Mai. „Wie weit bist du denn gekommen, Joey?“

„Viertelfinale“, meinte er etwas betreten.

Mai kicherte. „Ich auch. Naja. Derjenige, der mich rausgeschmissen hat, musste gegen den jetzigen Finalisten ran. Vielleicht war es ja besser so.“

„Apropos Finalist. Wer ist denn der Südfinalist? Irgendwie hüllen sich alle in Schweigen“, ergriff Tristan nun das Wort.

Mai zuckte mit den Achseln. „Ich kann euch nur sagen, was ich gehört habe. Wenn ich auf ihn gestoßen wäre, könnte ich natürlich genaueres sagen, aber auch ich kenne ihn nicht.“

Derweil stand Yugi nur gedankenverloren daneben und musterte seine neuen Karten. Immerhin hatten diese nun schon sein halbes Deck ersetzt.

Natürlich war es ihm schwer gewesen, Karten aus seinem Deck herauszunehmen und zu ersetzen. Manchmal hatte er sich einfach nicht entscheiden können, auf welche seiner Karten er eventuell verzichten konnte.

Rebecca stand noch immer neben ihm und sah ihn traurig an. Sie schien begriffen zu haben, dass sie Yugi nicht so haben konnte, wie sie es gern hätte. Vielleicht noch als Freund, aber mehr wohl nicht.

Plötzlich wurden die großen Flügeltüren zur Halle geschlossen und der Lautsprecher knackte.

Die allseits bekannte Stimme von Pegasus ertönte. „Der Duellant aus dem Nordbezirk, Weltmeister und somit Titelverteidiger: Yugi Muto!“ verkündete er.

Ein Raunen ging durch die Menge.

Yugi steckte das Deck in die Duelldisk und betrat eine Seite des großen Duellfeldes.

Er wusste nicht, ob wirklich er es war, der die anderen Duellanten faszinierte, oder ob es nur die Tatsache war, dass er mit Atemus Hilfe viele bedeutende Duelle gewonnen hatten.

Der Junge vermutete, dass alle einfach neugierig waren; er war ja in der Duell-Szene schon bekannt.

Yugi richtete seine Gedanken auf die gegnerische Seite des Feldes und wartete gespannt.

„Der Duellant aus dem Südbezirk“, fuhr Pegasus fort und legte eine Kunstpause ein. „Atemu Yamito!“

Was? Yugis Herz schlug sofort ein paar Takte schneller.

Er würde ihn früher sehen, als erwartet. Jetzt!

Hatte es sich also doch gelohnt, sich zusammenzureisen und durch die Duelle zu kämpfen.

Der Jüngere musste nun nur noch darauf achten, dass seine Konzentration nicht schon allein bei Atemus Anblick flöten ging.

Atemu betrat seinen Teil des Duellfeldes und lächelte Yugi an.

Dieser hielt vor Anspannung die Luft an.

Ihm war, als würde Atemu besser aussehen, als er ihn in Erinnerung hatte.

Es würde sicherlich schwer werden, sich von Atemu nicht seinen Titel abknöpfen zu lassen.

Obwohl es ja sowieso schon Atemus Titel war.

Eigentlich würde der Titel erst wirklich Yugi gehören, wenn er heute siegte.

Yami hatte immer hart für den Titel gekämpft, aber offiziell war es Yugis Titel gewesen.

Er senkte beschämt den Kopf. War es dann nicht mal an der Zeit, dass Atemu den Titel auch wirklich erhielt?

„Na dann, auf ein ehrliches Duell!“ meinte Atemu fröhlich und zog seine inzwischen gemischten Karten.

Yugi sah auf.

Ehrlich? Ja, das war er ihm schuldig.

Er würde sich jedenfalls anstrengen.
 


 

„Der neue und alte Meister der Duellanten heißt Yugi Muto!“ dröhnte Pegasus’ Stimme aus den Lautsprechern.

„Ich habe gewusst, dass du es schaffen kannst!“ Das war einer der letzten Sätze von Yami gewesen, bevor er das Tor zum Jenseits durchschritten hatte.

Jedenfalls hatten sie gedacht, dass es das Tor zum Jenseits war.

Yugi lächelte. Und ich habe dich schon wieder besiegt!

Atemu ging lächelnd auf Yugi zu, um ihm zu gratulieren.

Nun stürmten auch Yugis Freunde auf das Spielfeld.

„Super, du hast deinen Titel verteidigt!“ Joey klopfte ihm auf die Schulter.

Yugi sah seine Freunde strahlend an.

Wahrscheinlich hatte keiner von ihnen, er auch nicht, damit gerechnet, dass er tatsächlich gewinnen würde.

Nicht gegen den ehemaligen Pharao, in dessen Zeit das Spiel erfunden worden war, nicht gegen ihn, den König der Duellanten. Was er in Yugis Augen noch immer war.

Denn Atemu hatte mit seinen Siegen immer die Welt vor dem Untergang bewahrt, Yugi hatte ‚nur’ ein Turnier gewonnen.

„Ich wäre dir ja gerne mit meinem eigenen Deck gegenübergetreten“, erklärte Atemu, nachdem der Gratulantenstrom einigermaßen nachgelassen hatte und hielt ihm die Hälfte seines Deckes entgegen.

Yugi hatte ganz vergessen, dass er ja noch ein komplettes Deck gewonnen hatte.

Er nahm die Karten entgegen und musterte sie scheinbar interessiert.

Dabei war er in Atemus unerwarteter Gegenwart einfach nur äußerst hibbelig und er musste sich ein wenig ablenken.

„Jetzt wird gefeiert!“ Joey legte einen Arm um Yugis Schulter und zog ihn an seine Brust. „Lass das Deck doch Deck sein!“

„Ich kenne doch gerade mal die Hälfte der Karten!“ protestierte Yugi schwach.

„Ach, dazu kann ich dir irgendwann alles erklären, wenn du willst“, bemerkte Atemu wie beiläufig.

„Also dann! Keine Ausreden mehr!“ Joey schob Yugi förmlich vor sich her, zum großen Speisesaal, der nun zu einer Teilzeitdisco umfunktioniert worden war.

Pegasus wusste eben, wie man die jungen Leute von heute bei Laune halten musste.

„Kann ich mich zu euch setzen, oder muss ich an den Lehrertisch?“ fragte Atemu mit leichtem Lächeln, als die anderen sich zusammen an einen der großen Tische setzten.

„Nein, setzen Sie sich doch!“ Joey räumte bereitwillig seinen Stuhl und platzierte Atemu so neben Yugi, was dieser im Halbdunkel erst gar nicht richtig mitbekam. Stattdessen setzte Joey sich zu Mai.

„Heute Abend könnt ihr mich ruhig duzen.“ Atemu setzte sich. „Ich bin ja nicht viel älter als ihr.“

„Wir gehen etwas zu Trinken holen. Sollen wir euch was mitbringen?“ Sowohl Téa und Tristan als auch Joey und Mai waren wieder aufgestanden.

„Eine Cola“, antwortete Yugi sofort.

„Mensch, Yugi, du bist jetzt volljährig, probier doch wenigstens die Bowle!“ mischte sich nun Joey ein.

„Ich bin doch gar kein Alk gewöhnt.“ Dennoch nickte Yugi schließlich nach einigem Zögern mit auf den Tisch gesenktem Blick. „Also gut.“

Atemu stand ebenfalls auf. „Ich komme mit.“

Als die fünf schließlich weg waren, rutschte Bakura auf einen der Stühle neben Yugi. „Mensch, das ist doch die Gelegenheit! Die solltest du nutzen!“

Doch Yugi schüttelte nur langsam den Kopf. „Er ist doch mein Lehrer.“

„Ja und? Das würde mich nicht davon abhalten!“ erklärte Bakura mit siegessicherem Grinsen.
 


 

Nach einer Weile kam Atemu alleine zurück, auch die anderen von ihrem Tisch tummelten sich irgendwo in der Halle.

Yugi saß alleine an dem Tisch und hatte seine Karten darauf ausgebreitet.

„Hier, ein Glas Bowle.“ Atemu stellte es vor Yugi.

Yugi sah auf und direkt in Atemus lächelndes Gesicht.

Dieser setzte sich wieder neben ihn und beugte sich zu ihm hinüber, um auch einen Blick auf die Karten zu erhaschen. „Wenn du willst, erkläre ich sie dir jetzt.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, begann er auch schon damit und erzählte auch, wie er sie während des Turniers eingesetzt hatte.

Yugi wurde wieder etwas mulmig.

Er wollte doch nicht, dass Atemu ihm so nahe kam.

Der Junge hatte gedacht, wenn er tat, als sei er beschäftigt, würden ihn alle in Ruhe lassen, was auch geklappt hatte, bis Atemu wieder an seinem Tisch aufgetaucht war.

Nach einiger Zeit traten Téa und Tristan wieder an ihren Tisch.

„Hey ihr Trantüten, tanzt doch auch mal!“ Téa griff nach Atemus Hand und versuchte, ihn von seinem Stuhl, an dem er festgewachsen schien, hochzuziehen.

Dieser half bereitwillig nach und stand keine zwei Sekunden später neben ihr.

„Los, du auch!“ rief Téa dann Yugi zu.

„Geht nicht, muss auf mein Deck aufpassen.“ Yugi hatte sich fix eine Ausrede zurechtgelegt.

„Passt nicht ganz in meine Gürteltasche“, erklärte er schon fast entschuldigend.

Und bei den vielen Duellanten hier würde es ihn nicht wundern, wenn es ihm irgendjemand stibitzen wollte.

„Ich glaub es geht noch!“ meckerte nun Joey, der hinter Téa aufgetaucht war. „Wenn dir die Karten so wichtig sind, dann bring sie auf dein Zimmer!“

„Ich kann doch eh nicht tanzen!“ protestierte Yugi weiterhin.

„Das werden wir dir schon beibringen!“ erklärte Joey.

„Am Besten, jemand begleitet ihn, sonst kommt er nicht wieder.“ Wie zufällig blieb sein Blick dabei an Atemu hängen.

Dieser hatte den Blick sehr wohl bemerkt und seufzte. „Muss ich denn hier jetzt unbedingt den Lehrer raushängen lassen?“

„Ja!“ schallte es ihm von den anderen im Chor entgegen.

Atemu hob abwehrend die Hände. „Schon gut!“

Er wandte sich an Yugi. „Los, komm!“ Dabei versuchte er, streng zu klingen, hatte aber dennoch ein breites Grinsen auf den Lippen.

Yugi trank hastig die letzten Schlucke seines Getränks und stand dann ebenfalls auf.

Na das konnte ja Heiter werden.
 


 

Schweigend gingen sie durch die dunklen Gänge.

Schließlich blieb Yugi stehen und zog seine Schlüsselkarte durch den Schlitz an einer der Türen.

Dann betraten sie sein Zimmer.

Sogleich ging er zu seinem Schrank und entnahm ihm die kleine goldene Schatulle, in der er immer sein Deck aufbewahrte. Nachdem er die Karten hineingelegt hatte, schloss er es gewissenhaft ab und stellte es zurück.

Dann drehte er sich wieder Atemu zu. „Ich muss noch …“ Er deutete auf die angrenzende Tür zum Bad.

Atemu nickte und setzte sich derweil auf die Couch.

Als Yugi aus dem Bad zurückkam, hielt er den Atem an, denn er stellte fest, dass sein rotes Notizbuch auf dem kleinen Couchtisch lag.

Atemu stand auf und folgte Yugis Blick.

„Ich muss mich bei dir noch entschuldigen. Ich hatte damals nicht ahnen können, wie sehr es dich …“ Er schien nach dem richtigen Wort zu suchen. „ … verletzt, wenn ich einen Blick hineinwerfe. Es schien mir kein Tagebuch zu sein. Aber es bedeutet dir dennoch sehr viel, nicht?“

Yugi nickte nur und drängte sich an Atemu vorbei, um das Zimmer wieder zu verlassen.
 


 

Als sie wieder in den großen Saal zurückkamen, war die Party noch immer in vollem Gange.

„Das seid ihr ja endlich wieder!“ wurden sie direkt von Téa empfangen.

Es schien so, als hätte sie nur darauf gewartet, dass die beiden wieder eintrudelten.

Die Brünette griff nach Yugis Hand und zog ihn hinter sich her auf die Tanzfläche.

Sie ging einfach davon aus, dass Atemu ihnen schon freiwillig folgen würde.

Yugi kam sich zwischen den Tänzern etwas verloren vor.

Atemu hatte gleich wieder ein Mädchen am Wickel, Téa hatte sich wieder Tristan zugewandt und er stand einfach nur in der Gegend rum.

Eine Weile beobachtete er die Leute um sich herum und überlegte dann, wie er aus diesem Pulk wieder hinaus und an ihren Tisch kam.

Plötzlich bemerkte er, wie sich zwei Hände von hinten an seine Taille legten.

„Beweg dich einfach.“ Atemus Stimme war ganz nah an seinem Ohr und er konnte fühlen, wie dieser sich im Rhythmus der Musik bewegte.

Ihre Körper so nah beisammen, das ließ ihm wieder das Blut ins Gesicht steigen und er versteifte sich augenblicklich.

Doch da er nicht wollte, dass Atemu etwas davon mitbekam, versuchte er, es dem Anderen gleich zu tun und begann ganz langsam, sich ebenfalls zur Musik zu bewegen.

Er schloss die Augen, um den Rhythmus der Musik besser in sich aufnehmen zu können.

Außerdem fiel es ihm so leichter, Atemu hinter sich aus seiner Wahrnehmung zu verbannen.

Jetzt musste er nur noch über seinen Schatten springen.

Mit der Zeit wurde er tatsächlich lockerer.

Ob das schon an dem einen Glas Bowle lag?

Aber er reagierte nun mal empfindlich auf Alkohol, da er ihn fast nie trank.

„Ja, gut“, hauchte Atemu in sein Ohr und nahm seine Hände von Yugi.

Gerade noch rechtzeitig, bevor Yugi womöglich noch einen Fehler gemacht und sich einfach gegen den Körper hinter sich geschmiegt hätte.

Er hatte sich doch sonst so gut unter Kontrolle, aber Atemus Nähe und der Alkohol in seinem Blut machten ihn noch mal verrückt.

Als er die Augen wieder öffnete, sah er geradewegs in Atemus Gesicht, der ihm sehr interessiert zusah.

Yugi lächelte kess und Atemu erwiderte das Lächeln.

Irgendein seltsames Funkeln war in Atemus Augen zu erkennen, doch plötzlich wandte er sich von Yugi ab.

Diese Zeit nutzte Bakura, um dicht an Yugi heranzutanzen. „Dass du gleich so rangehst! Hätte ich dir gar nicht zugetraut!“ Atemu tanzte mittlerweile weit genug weg, dass er Bakura nicht hören konnte.

„Du machst ihn ganz schön kribbelig!“ grinste er vielsagend.

Yugi wurde hochrot im Gesicht. „Unsinn!“

Der Junge sah sich nach Atemu um, doch dieser war nirgends im Umkreis zu sehen.

Er seufzte. Schade eigentlich.

Sport und Rock

ÜBERRASCHUNG!!^^

Erst eine Woche her und schon das neue Kap!^^ Konnte es halt nicht erwarten, außerdem waren die Kaps ursprünglich als eines geplant^^°
 

Vielen lieben DANK für 50 Kommies!
 

Nein, ihr bekommt keinen besoffenen Yu, der war schon beschwipst genug XD
 

Lange Rede, kein Sinn, und los geht's ^_~:
 


 

7. Sport und Rock
 

Wie so oft war der September verregnet.

Yugi verzog das Gesicht. Toll, nächste Woche war Sportfest.

Die 13er mussten natürlich nicht mehr mitmachen, aber helfen sollten sie dennoch.

Einziger Trost: er war mit Herrn Yamito eingeteilt.

Und sie beide mussten auf eine 7. Klasse aufpassen.

Ausgerechnet eine Unterstufenklasse.

Die würden doch nie zu bändigen sein.

Er seufzte und fuhr sich durch die Haare.

Nach den Sommerferien hatte Shimizu erklärt, dass er wieder den Unterricht übernehmen würde, da offensichtlich eine Vertretung für Frau Asai gefunden worden war.

Das war weder Yugi noch seinen Mitschülern recht, sie mochten Herrn Yamito einfach lieber.

Erst recht nach dem, was Shimizu im alten Schuljahr abgezogen hatte.

Bei ihm war die Stimmung wesentlich schlechter, genauso wie die Mitarbeit.

Herr Yamito saß wieder, wie jeder andere Referendar auch, hinter den Schülern und betrachtete den Unterricht.

Oder viel mehr sah er zu, wie Shimizu keinen Draht mehr zu dem Kurs fand.

Alle waren noch sauer auf ihn und das wäre auch sicher nicht so schnell vergessen.

Sie waren mal wieder dabei, eine Klausur vorzubereiten, die direkt in der ersten Oktoberwoche geschrieben werden sollte.

„Ah, mal wieder ein Essay“, lächelte Yamito nach der Stunde.

Keiner der beiden hatte ihren Tanz bei Pegasus Siegesfeier noch einmal erwähnt.

„Ich habe gesehen, dass wir beim Sportfest zusammen eingeteilt sind“, fuhr der Referendar fort, während sie den Klassensaal verließen. „Ich muss dich warnen: diese Klasse gilt unter den Lehrern als die chaotischste der ganzen Schule.“

„Auch das noch“, rutschte es Yugi von den Lippen.

Er humpelte noch immer ein wenig, doch es war kaum zu merken.

Herr Yamito nickte bestätigend. „Du solltest dich auf ein paar Streiche gefasst machen.“

„OK“, seufzte Yugi und betrat die Treppen zum Pausenhof, während der Referendar sich auf den Weg zum Lehrerzimmer machte.
 


 

„Mensch, Joey, beeil dich mal!“ Yugi war seinem Freund schon einige Schritte voraus.

„Ich weiß gar nicht, wieso du es so eilig hast, bei dem Matsch zum Sportfest zu kommen!“ maulte Joey zurück. Er setzte über eine kleine Pfütze hinweg.

„Ich will Atemu nicht so lange warten lassen, und das weißt du auch!“ entgegnete Yugi genervt.

„Ich weiß sowieso nicht, weshalb das Sportfest überhaupt stattfindet, das wird doch die reinste Schlammschlacht!“ moserte der Blonde weiter.

„Ja, aber doch nur für die Teilnehmer!“ grinste Yugi.

„Aber nicht, wenn der Matsch auch von oben kommt“, grummelte Joey.

Yugi passierte die große Eisentür im Zaun, die zu den Sportplätzen führte.

Da so viele Klassen gleichzeitig geprüft wurden und der schuleigene Sportplatz dafür zu klein war, war man auf ein Gelände mit mehreren Sportplätzen und Weitsprunggelegenheiten ausgewichen.

Die Schüler der verschiedenen Jahrgangsstufen standen in Klassenverbänden zusammen, aber offensichtlich waren die wenigsten vollzählig, da einige augenscheinlich noch in den Umkleiden waren.

Yugi ging zu den steinernen Tribünen hinüber und stellte dort seinen Rucksack ab.

Joey hatte nichts mehr gesprochen, seit sie das Gelände betreten hatten, offensichtlich kam er mit Yugis Elan nicht klar. Auf der anderen Seite wusste er nur zu genau, was, oder besser wer, Yugi antrieb.

Der kleinere der beiden verabschiedete sich kurz und war auch schon in der Schülermenge untergetaucht.
 


 

Yugi sah sich um.

Woher wussten die Schüler eigentlich immer, wo sie sich aufstellen sollten?

Aber vermutlich war es so, dass sich einer irgendwo hinstellte und die anderen aus der Klasse sich einfach dazugesellten.

So war es jedenfalls bei ihm früher gewesen.

Er war sowieso immer einer der letzten gewesen, hatte immer länger zum Umziehen gebraucht, aber nicht so lange, wie die Mädchen, die sich gerne gedrückt hätten.

Jetzt hatte er Leichtathletik sogar als eine seiner drei Sportarten gewählt.

Schon von weitem konnte er die ihm nur allzu bekannte Igelfrisur mit den pinkfarbenen Spitzen erkennen.

Yugi ging auf den Referendar zu.

Dieser grüßte ihn nickend, hatte aber mehr Augen für die jüngeren Schüler.

Seinem ernsten aufmerksamen Gesichtsausdruck nach zu urteilen, erwartete er jeden Moment einen Streich oder irgendeine andere Situation, in der er durchgreifen musste.

Zunächst war ‚ihre’ Klasse mit Sprinten dran, was den Schülern offensichtlich Spaß machte, da beim Rennen der Schlamm in sämtlichen Richtungen davon spritzte.

Herr Yamito hatte Yugi das Klemmbrett mit den hellgrünen Formularen in die Hand gedrückt.

Während einige Schüler der 13. Klasse den Start betreuten, stoppte Herr Yamito die Zeit und gab die Ergebnisse an Yugi weiter, der sie dann in der Tabelle auf dem jeweiligen Formular des Schülers eintrug.

Dem Referendar war natürlich nicht entgangen, dass Yugi sein Gewicht noch immer größtenteils auf seinen gesunden Fuß verlagerte und musterte ihn von der Seite.

Doch Yugi war mit dem Eintragen der Ergebnisse beschäftigt, so dass er davon nichts mitbekam.

Außerdem beanspruchte die Klasse die Aufmerksamkeit des Referendars für sich, denn diese hielten nicht viel von Disziplin in der Zeit, in der sie nicht dran waren, sondern spielten lieber fangen.

Als sie beim Werfen waren, hatte Herr Yamito das Klemmbrett selbst in der Hand und Yugi war einer derjenigen, die darauf achteten, wo der kleine rote Ball als erstes den Boden berührte und dem Referendar dann lautstark das Ergebnis mitteilten.

Dafür musste Yugi aufpassen, dass ihn die harten Kugeln nicht trafen, denn die Zielgenauigkeit vor allem mancher Mädchen ließ doch stark zu wünschen übrig; manche warfen eher seitlich als geradeaus.

Beim Weitsprung war Yugi dann einer derjenigen mit dem Messband.

Schon nach ein paar Sprüngen begann der ganze Spaß, vor dem Herr Yamito ihn gewarnt hatte.

Denn die Schüler fanden es sehr lustig, den Sand aus den Sprunggruben mit den ohnehin dreckigen Händen aufzuheben und sich gegenseitig zu bewerfen.

Gerade, als Yugi im Begriff war, nachdem er die Weite eines Sprunges ausgemessen hatte, aus der Hocke aufzustehen, landete eine Hand voll Schlamm an seiner Wange.

Das Zeug war irre kalt, feucht und glitschig und rann ihm die Wange hinab.

„Atsushi! Lass Yugi in Ruhe!“ rief Herr Yamito energisch.

Atemu stand direkt neben Yugi und hob nun die Hand, um ihm den Schlamm aus dem Gesicht zu streichen.

Yugi hielt den Atem an.

Der Ältere sah ihm direkt in die Augen.

Es war, als ob Atemu in sein Innerstes blicken würde, als ob die Zeit stehen bleiben würde, als ob nur sie beide auf der Welt wären, alles andere zählte nicht mehr für ihn. Er vergaß auch die ganzen Schüler und den Lärm um sie herum.

Für ihn zählte nur noch Atemus Berührung, die ihm schon fast zärtlich vorkam.

Langsam und ganz sanft glitten die Fingerspitzen des Älteren über Yugis Gesicht.

Vermutlich verstrichen nur Sekunden, doch Yugi kam es vor wie eine wohltuende Ewigkeit.

Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und rief: ‚Mehr davon!’

Doch Yugis Verstand sträubte sich und sagte ihm, dass er nur noch mehr verletzt werden würde, wenn Atemu seine Gefühle nicht erwiderte.

Seltsamerweise schien Atemu noch nie Berührungsängste gegenüber Yugi gehabt zu haben.

Schließlich wurde er aus seinen Träumereien gerissen.

„Es geht nicht richtig ab, du solltest vielleicht die Toilettenräume aufsuchen“, meinte Atemu.

Yugi nickte langsam, musste erst wieder in die Realität zurückfinden.

Nach einigen weiteren Sekunden, in denen sie sich stumm angesehen hatten, wandte Yugi sich schließlich ab und kam Herrn Yamitos Aufforderung nach.
 


 

Yugi stützte den Kopf mit der Hand ab.

Er saß vornüber gebeugt an seinem Tisch und las die Frage mittlerweile zum dritten Mal.

Heute hatte er einen dicken Brummschädel vom vielen lernen, aber er hatte das Gefühl, zu viel gelernt zu haben, denn es wollte ihm zu dieser Frage absolut gar nichts einfallen.

Also widmete er sich der nächsten Aufgabenstellung und hoffte, dort mehr Erfolg zu haben.

Nach einer Weile, in der er eifrig die Lösung aufgeschrieben hatte, hob er den Kopf und warf Herrn Yamito einen Blick zu.

Dieser hatte die alleinige Aufsicht über die Schüler, denn obwohl sie heute die Klausur schrieben, war Herr Shimizu nicht anwesend.

Er beobachtete die Schüler sehr genau, doch ein wirklich strenger Blick wollte ihm nicht gelingen.

Als es plötzlich klopfte nahm sein Gesicht einen verärgerten Ausdruck an.

Wer störte denn nun bei so einer wichtigen Klausur?

Die Schüler waren jedenfalls alle anwesend und erst die erste Hälfte der ersten Stunde vorüber.

Widerwillig öffnete der Referendar die Tür und war überrascht, den Rektor davor zu finden.

„Kann ich Sie kurz sprechen?“ fragte Kamekura und sah kurz an seinem Gegenüber vorbei.

Auch Herr Yamito wandte sich um, um die Schüler weiterhin zu beobachten.

Er schwieg eine Weile.

„Ich führe Aufsicht über eine Klausur“, erklärte er schließlich unwillig.

„Es ist sehr wichtig, sonst würde ich nicht stören“, erwiderte Kamekura.

Yugi spitzte die Ohren.

Er wusste nicht genau, ob er sich freuen oder ärgern sollte.

Denn einerseits konnte er das Gespräch von seinem Platz in der ersten Reihe, den er nur heute innehatte, mithören, andererseits störte ihn gerade das in seiner Konzentration.

Herr Yamito winkte den Rektor herein.

Beide gingen zum Pult und unterhielten sich leise, doch Yugi konnte nichts mehr hören, die beiden nur noch beobachten.

Er sah, wie Herrn Yamitos Augen sich erschrocken weiteten, dann wirkte er irgendwie traurig.

Danach schüttelte er den Kopf, kurz darauf noch einmal, dann nickte er und sah betroffen auf den Tisch vor sich.

Während der Rektor geredet hatte, hatte Herr Yamito nur schweigend zugehört und sich nur über Gesten verständlich gemacht.

Herr Kamekura verließ den Klassensaal wieder.

Yugi biss sich auf die Unterlippe.

War irgendetwas passiert?

Atemu sah so gedankenverloren aus dem Fenster.

Doch dann schien er sich zu straffen und setzte eine undurchdringliche Miene auf, wandte sich den Schülern wieder zu und beobachtete sie geflissentlich.

Nach einiger Zeit wandte Yugi sich von dem Referendar ab und wieder seiner Klausur zu.
 


 

Während Yugi noch an der Beantwortung der Fragen saß, beobachtete er, wie schon einige ganz schnelle vor Ende der gesetzten Zeit nach vorne gingen, um ihr Heft abzugeben.

Doch zu Yugis großem Erstaunen schien Herr Yamito die Schüler zu ihrem Platz zurückzuschicken, anstatt dass sie den Klassenraum verlassen konnten, wie das sonst üblich war.

Man konnte die Überraschung auch auf den Gesichtern derjenigen erkennen, die wieder auf ihre Plätze zurückgingen.

Yugi hielt das für sehr gewagt, weil es möglich war, dass die Schüler, die bereits abgegeben hatten, unruhig und laut wurden.

Außerdem wurde nach einer Klausur meistens über die Antworten diskutiert.

Aber erstaunlicherweise verhielten sich alle ruhig.

Sie waren wohl zu neugierig darauf, weshalb der Referendar so handelte.

Kurz vor dem Pausenzeichen gab auch Yugi endlich ab und fragte sich, ob das Verhalten des Älteren etwas mit dem Auftauchen des Direktors in der Stunde zuvor zu tun hatte.

Nachdem auch der Letzte abgegeben hatte, ergriff Herr Yamito das Wort.

„Ich …“, begann er, stockte aber gleich wieder. Seine Stimme klang anders als sonst, irgendwie sehr dünn.

Er schluckte, atmete tief durch und setzte erneut zum Sprechen an. „Ich muss euch leider eine traurige Mitteilung machen.“

Es war offensichtlich, dass er nicht wusste, was er mit seinen Händen anstellen sollte, denn diese stapelten die abgegebenen Hefte penibel genau, während er seinen Blick über die Schüler gleiten ließ.

Yugi starrte ihn gespannt an und er konnte sich denken, dass ihn auch alle anderen Schüler erwartungsvoll ansahen, doch es fiel ihm offensichtlich schwer, mit der Sprache raus zu rücken.

„Herr Shimizu … hatte heute Morgen einen tödlichen Autounfall“, erklärte der Referendar schließlich. „Ich werde euch durchs Abitur begleiten.“

Er wandte sich von den Schülern ab, weil er ihre Reaktionen nicht sehen wollte, als ob er erwarten würde, dass irgendjemand in Freudenjubel ausbrechen würde.

Doch nichts dergleichen geschah.

Wie Yugi selbst waren auch die anderen Schüler in dem Kurs betroffen.

Selbst wenn er ihnen unsympathisch gewesen war, sie ihn nicht leiden konnten, aber den Tod hatte ihm sicherlich keiner wirklich gewünscht.

Obwohl sicherlich einige auch etwas erleichtert waren, dass Herr Yamito ihren Unterricht übernahm und sie nicht so kurz vor dem Abi noch einen neuen Lehrer vor die Nase gesetzt bekamen.

Da alle Schüler sitzen blieben und auch Herr Yamito sich nicht rührte, hielten sie in stummer Übereinkunft ihre eigene Schweigeminute ab.

Als Herr Yamito schließlich aus seiner selbst gewählten Starre aufwachte und anfing, die Klausurhefte in einer separaten Stofftasche zu verstauen, sahen auch die Schüler die Schweigezeit als beendet an und strömten aus dem Saal, allerdings noch immer ruhig und ohne viel zu schwatzen.
 


 


 

„Herr Yamito?“ Yugi stand im Mittelgang der großen Halle, Atemu saß in einer der vielen Sitzreihen und starrte noch immer auf die Stelle, an der kurz zuvor noch der dunkelbraune Sarg gestanden hatte.

Atemu sah in dem schwarzen Anzug mit blütenweißem Hemd und ebenfalls schwarzer Krawatte einfach zu gut aus.

Doch Yugi musste diesen Gedanken schnell wieder verdrängen.

Jetzt war nicht die richtige Zeit dafür und schon gar nicht der richtige Ort.

Atemu hob den Kopf und sah Yugi mit traurigen Augen an.

Shimizus Tod hatte ihn doch irgendwie getroffen.

Er stand auf und strich sich den Anzug notdürftig glatt.

Dann verließ er die Sitzreihe.

Als er neben Yugi stand und zum ersten Mal den breiten Gang entlang blickte, hielt er erstaunt inne.

Denn Yugi war nicht der einzige Schüler, der gesamte Geschichtskurs stand hinter ihm, einige andere Schüler verließen die Halle gerade.

Aber sie sollten nicht mit zum Grab, denn die Familie wollte alleine im engsten Kreis Abschied nehmen.

Ein ganz leichtes Lächeln glitt über Atemus Antlitz, als er in die Gesichter ‚seiner’ Schüler sah.

Er hielt sich dicht an Yugi, als sie die Halle durchschritten und schließlich in die Oktobersonne traten, die die bunten Blätter der Bäume glitzern ließ.

Es war fast so, als würde er bei irgendjemandem Halt und Trost suchen und Yugi freute sich, dass er das offensichtlich bei ihm fand, aber eine größere Bedeutung wollte er dem Ganzen nicht beimessen.
 


 

Trotz des traurigen Vorfalls beschloss die Schulleitung, das Rockkonzert, das Ende Oktober, nach den Herbstferien stattfinden sollte, nicht abzusetzen, damit der Schulalltag wieder einkehren konnte.

Bei diesem Konzert sollte es vor allem Schüler- und Nachwuchsbands ermöglicht werden, vor größerem Publikum aufzutreten.

Unter anderem war so die Rock- AG der Schule, die sich den Namen ‚Blood & Shadow’ zugelegt hatte, mit von der Partie, aber auch ähnliche Gruppierungen der Nachbarschulen würden teilnehmen.

Yugi hatte eigentlich nicht vorgehabt, hinzugehen, hatte sich aber schließlich von Joey und Bakura dazu breitschlagen lassen.

Warum wusste er nicht so genau, wahrscheinlich das Argument, das am Meisten bei ihm zog, war die Tatsache, dass unter anderem Herr Yamito Aufsicht führte.

Außerdem gingen ja auch Tristan und Téa hin und er wollte sich nicht als einzigen der Clique da ausklinken.

Zu fünft standen sie mitten in der Aula.

Yugi hatte sich erfolgreich dagegen gewehrt, dass sie sich zu nahe an die Bühne heranstellten, denn er wollte sich nicht die Ohren kaputt machen.

Im Gegensatz zu manch anderen Leuten hatten seine Freunde Verständnis für ihn und blieben bei ihm.

Wenigstens mochte er Rockmusik, zumindest etwas.

Dennoch war er etwas skeptisch, was die Musik betraf.

Es würden sicherlich nicht alles bekannte Coversongs sein, die sie heute Abend zu hören bekamen, aber ob das Kompositionstalent der Bands von so weit herkam, das wagte er zu bezweifeln und stellte sich schon mal innerlich auf ein paar schiefe Gitarrenklänge ein, zu denen einfach nur geschrieen wurde; in Anlehnung an Heavy Metal.

Seriösen Rock erwartete er eher wenigen.

„Hey Yugi, es wird schon nicht so schlimm sein!“ rief Bakura ihm von seiner Position aus zu.

Er schien Yugis Gesichtsausdruck bemerkt zu haben.

Da sie keine der Bands verpassen wollten, waren sie etwas zu früh dran, da ihr Bus so unbequeme Ankunftszeiten hatte und so war nur eine der Bands damit beschäftigt, ihre Instrumente aufzubauen, so dass man noch nicht allzu sehr schreien musste.

Das Licht hingegen war schon sehr gedämpft.

Außer den Scheinwerfern auf der Bühne waren nur noch die Spotlights an und etwas Licht schien vom Vorraum vor der Aula, wo die improvisierte Garderobe war und Getränke und Brezeln verkauft wurden, in die große Halle hinein.

Außer ein paar vereinzelten Lehrern waren bisher eher weniger Schüler da, es waren vielmehr die eingefleischten Fans der ersten Bands anwesend.

Die meisten Schüler würden wohl erst später am Abend eintreffen, wenn sie glaubten, es wäre eine gute Stimmung vorhanden.

Yugi lächelte Bakura zu. Das würde sich erst zeigen.

Unauffällig sah Yugi sich nach Atemu um, aber dieser war noch nirgends zu sehen gewesen.

Er seufzte und hörte zu, wie sich die erste Band vorstellte und mit ihrem Konzertbeitrag begann.

Der Junge hatte Recht behalten: viele Covers und einige schlechte Eigenkompositionen.

Die Partnerinnen der Bandmitglieder und die Schüler derjenigen Schule, von der die Band stammte, applaudierten und jubelten viel, doch ansonsten waren die Reaktionen auf die Darbietung eher durchwachsen.

Natürlich gab es einige Rocksongs, bei denen es nicht darauf ankam, ob der Leadsänger wirklich singen konnte, aber wenn das Programm größtenteils aus sangbaren Liedern bestand, so wäre es sicherlich von Vorteil gewesen, dass der Sänger eben singen konnte.

Davon abgesehen schienen auch die anderen Bandmitglieder nicht besonders musikalisch talentiert.

Yugi seufzte abermals. Diese 30 Minuten waren absolut für die Katz gewesen.

Nicht einmal Atemu war weit und breit zu sehen, obwohl die Sporthalle sich immer mehr füllte.

Nun kam die nächste Band auf die Bühne und er hoffte inständig, dass diese besser sein möge.

Doch nach den ersten Liedern wusste er, dass dies nicht der Fall war.

Er war nur auf ‚Blood & Shadow’ gespannt, immerhin waren diese sozusagen der Hauptact, als zur Schule gehörig.

Da es diese Band noch nicht allzu lange gab, hatte Yugi sie noch nie gehört und hatte sich, genauso wie zu den anderen Bands noch kein Urteil bilden können.
 


 


 

Dieses Herumstehen wurde Yugi mit der Zeit langweilig, aber was sollte er auch anderes tun?

Der Junge beschloss, aus der Halle hinauszugehen, auf Toilette musste er sowieso und im Vorraum würde die Luft erheblich besser sein.

Genau das schrie er Joey neben sich zu und nachdem dieser nach einigen Wiederholungen mit einem Nicken bestätigte, dass er ihn verstanden hatte, drehte Yugi sich um und bahnte sich einen Weg durch die um ihn herumstehenden Schüler.

Auf der Schwelle zwischen Aula und Vorraum musste er für den Bruchteil einer Sekunde blinzeln.

Zwar hatten die Organisatoren die sonst grellen Schullampen mit gelbem Transparentpapier – hier und da auch mit rotem, offensichtlich hatte das gelbe nicht ganz gereicht – überklebt, aber wenn man aus der vollkommen abgedunkelten Aula kam, wirkte das Licht dennoch irgendwie blendend.

Direkt gegenüber der Tür konnte er nun Herrn Yamito erkennen und ihm huschte ein leichtes Lächeln übers Gesicht.

Atemu hatte eine durchsichtige Mineralwasserflasche in der Hand - Alkohol hatte die Schulleitung verboten – und unterhielt sich mit seinem männlichen Begleiter.

Dieser war ungefähr in Yamitos Alter, war ein gutes Stück größer als dieser und seine blonden Haare fielen ihm bis zu den Schultern herab. In der einen Hand hatte er ebenfalls eine Flasche, in der anderen glomm eine Zigarette. Er lehnte an einem der Tische, die parallel zu den Fenstern standen und an denen Getränke verkauft wurden.

Gerade ließen sie lachend die Flaschen aneinanderklirren und prosteten sich gegenseitig zu.

Yugi wandte sich ab.

Ruhig Blut!

Atemu unterhielt sich nur mit einem anderen Mann.

Er selbst redete ja schließlich auch mit Joey oder Bakura.

Dennoch schlug ihm das Herz bis zum Hals.

Der Junge ging an den Tischen, die nicht nur Verkäufer und Kunde, sondern auch Veranstaltung vom Rest der Schule abgrenzten, vorbei und stieg dann die Treppe zu den Umkleiden und den dortigen Toiletten unterhalb der Aula hinab.

Da er es nicht wirklich eilig hatte, zurück in den Konzertsaal zu kommen, ließ er sich ein wenig Zeit.

Kritisch beäugte er sich noch einmal im Spiegel.

Téa hatte ihm heute die Kleidung ausgesucht, die er trug.

Er trug seine schwarze Lederhose, die er irgendwann einmal kurz entschlossen gekauft und noch nie angehabt hatte, dazu ein rotes Hemd mit einem spitz nach Außen hin verlaufenden Kragen, dessen letzter Knopf zum Hals hin viel zu weit unten saß, wie Yugi fand, und seine Mutter ihm nur ‚aus Versehen’ gekauft hatte.

Natürlich hätte sein blaues Halsband nicht dazu gepasst, deshalb trug ein ebenfalls schwarzes Lederband mit einigen Lederschnüren, die ebenfalls um seinen zierlichen Hals geschlungen waren, mit einem schwarz-roten Anhänger.

Téa hatte vorgeschlagen, dass er die Haare noch ganz schwarz färben sollte, aber das hatte er abgelehnt. Das wäre einfach zu viel des Guten gewesen.

Dennoch empfand Yugi das Outfit etwas übertrieben, gar als Verkleidung, da es so ungewohnt war.

Ob Atemu so was wohl ansprach?

Er lächelte und zwinkerte sich selbst im Spiegel zu.

Jetzt musste er nur noch ein dem Outfit entsprechendes Verhalten an den Tag legen.

Der Junge verließ die Toilettenräume und stieg spielend leicht die Treppen wieder hinauf.

Oben warf er schnell einen Blick dorthin, wo Atemu zuvor gestanden hatte, und tatsächlich hatten sie sich nicht einen Schritt von der Stelle bewegt.

Er seufzte schon fast erleichtert und beschloss, sich erst einmal eine Cola und eine Brezel zu kaufen.

Erstens war ihm schon die ganze Zeit langweilig und zweitens hatte er nun einen Grund, in der Vorhalle zu bleiben.

Yugi setzte sich auf einen der Tische vor den Feuerschutztüren zum Rest des Gebäudes, also im rechten Winkel zu Atemu und hatte damit einen herrlichen Ausblick auf ihn und konnte ihn so unauffällig beobachten.

Seine Colaflasche stellte er neben sich ab, um die Hände frei zu haben, immer kleine Stücke der Brezel abzureißen.

Er aß langsam und gemütlich, obwohl es sicher nicht notwendig war, aber er wollte den Anblick noch eine Weile genießen.

Die beiden beobachtend stellte er fest, dass diese sehr vertraut miteinander umgingen.

Als Yugi schon fast fertig mit seiner Pause war, geschah dann etwas, das er schon die ganze Zeit befürchtet hatte.

Der große Blonde setzte sich auf einen der Tische, so dass Atemu nun zwischen dessen gespreizten Beinen stand, was keinem der beiden etwas auszumachen schien.

Yugi wurde schlecht.

Konnte eine Geste denn eindeutiger sein?

Er war also doch Atemus fester Freund.

Hastig steckte Yugi das letzte Stück Brezel in den Mund und kippte sich den Rest Cola dazu.

Egal, ob er nun in die Halle zurückgehen oder die Schule fluchtartig verlassen würde, er musste in jedem Fall an dem Pärchen vorbei.

Yugi entschloss sich zu letzterem, denn in die Halle zurück und so tun, als ob nichts geschehen wäre, das konnte er einfach nicht.

Außerdem würden seine Freunde sicherlich direkt seine gedrückte Stimmung bemerken und er hatte keine sonderliche Lust, ihnen alles zu erklären.

Also ging er mit gesenktem Kopf an den beiden vorbei, darauf bedacht, nicht hinzusehen.

Vor der Schule sog er begierig die eiskalte Nachtluft in sich ein.

Der Schüler bemerkte noch nicht einmal, dass er vergessen hatte, seine warme Jacke mitzunehmen.

Er wollte einfach nur noch so weit und so schnell wie möglich von hier weg.

Sein Herz tat weh, extrem weh, es wurde regelrecht in tausend Stücke gesprengt.

Yugi verließ die Straße, in der seine Schule stand und rannte dann nur noch.

Sein Atem verließ dampfend seinen Mund.
 

Ich ziehe oft allein umher,

wenn alle andern Menschen schlafen,

Wie oft hab ich von ihm geträumt und dass wir uns im Dunkeln trafen,

der Mond am Himmelszelt,

führt mich in meine eigne Welt
 

Yugi rannte immer weiter.

Der Junge achtete nicht auf den Weg, sah weder nach rechts, noch nach links, doch das war egal, seine Augen waren sowieso mit Tränen gefüllt und er konnte nichts erkennen.

Er spürte weder den schneidenden Wind in seinem Gesicht, noch den leichten Nieselregen, der eingesetzt hatte.

Auch die Kälte, die langsam durch sein dünnes Hemd kroch, empfand er nicht als störend.

Im Gegenteil.

Sein Körper war sowohl vom Rennen als auch von seinem Herzrasen total verschwitzt, so dass er die Kälte begrüßte.

Kurz sah er hoch und nahm den Mond wahr, der über ihn zu wachen schien.

Nur kleine Wölkchen verdeckten ihn, dennoch konnte er seine Strahlkraft voll entfalten.
 

Nur für mich,

im Stillen ist er bei mir,

ganz allein durchwachen wir die Nächte,

dann spür’ ich, sein ferner Arm berührt mich,

und wenn ich mich verlauf’ schließ ich die Augen

und er führt mich
 

Yugi irrte durch die Straßen.

Schon längst hatte er den Blick für die Häuser um ihn herum verloren, wusste nicht mehr, wo er war.

Die Pfützen, die sich langsam am Boden bildeten, waren ihm egal.

Sollten seine Schuhe doch schmutzig werden.

Genauso fühlte er sich auch. Schmutzig.

Sein Herz ertrank fast in seinem Blut.

Hatte viele winzige Haarrisse, die es ihm fast unerträglich machten, weiter zu schlagen.

Aber wollte Yugi das überhaupt?

Ständig hatte er die Szene zuvor in der Schule vor Augen.

Selbst wenn er sie schloss, wurde es nicht besser.

Sie hatte sich in sein Herz hinein gebrannt.
 

Regen fällt,

die Straße fließt wie Silber,

Nebel steigt,

im Fluss verweh’n die Lichter,

dunkle Bäume,

die Zweige schwer von Sternen,

und alles, was ich seh’

sind unsre ewigen Gesichter
 

Schließlich musste er seinen Schritt verlangsamen, da seine Lungen brannten.

Er schnaubte über seine schlechte Kondition.

Dass er noch nicht einmal einen kurzen Gewaltmarsch aushielt.

Aber er trieb seinen ausgelaugten Körper weiter.

Die Tränen und das unentwegte Schluchzen hatten an seinen Kräften gezehrt.

Langsam stolperte er in den nahen Park.

Dort setzte er sich auf eine der nassen Bänke, die klirrende Kälte ignorierend.

Er umschlang sich selbst mit seinen dünnen Armen, aber wärmen konnte ihn das nicht.

Nicht hier, nicht jetzt, nie wieder.

Denn es war vor allem sein Herz, sein Innerstes, das eiskalt war.

Er vermutete, dass es nie wieder warm werden würde.

Niemals wieder.

Nur noch ein Eisklotz würde ihn mühselig am Leben erhalten, nachdem das warme Blut, das in Atemus Gegenwart geblubbert und gebrodelt hatte, hinausgesickert war.
 

Doch ich weiß,

es kann ja nie gescheh’n,

denn ich red’ nur mit mir selbst

und nicht mit ihm

Ja ich weiß,

er hat mich übersehn,

ganz egal, ich muss zu ihm steh’n

Ich lieb ihn,

doch geht die Nacht vorüber,

ist er fort, der dunkle Fluss wird trüber

er fehlt mir, die Welt verliert die Farben,

die Bäume kahl, die Menschen fahl, die Straßen voller Narben
 

Wieso war Liebeskummer nur so grausam?

Er zog die Beine an, umklammerte sie und legte den Kopf darauf ab, den Blick auf sich selbst gerichtet.

Wieso hatte er auch einen so unansehnlichen, unattraktiven Körper?

Das konnte diese Kleidung auch nicht ändern, konnte ihn nicht größer werden lassen, konnte keine kräftigen Muskeln oder sonstiges erstrebenswertes herbeizaubern.

Wütend riss er sich das Halsband mit dem Anhänger, der ihm eigentlich hatte Glück bringen sollen, vom Hals und schleuderte es in die dickste Pfütze in seiner Nähe.
 

Ich lieb’ ihn,

doch täglich muss ich sehen

wie er lebt,

als hätt’s mich nie gegeben

Sein Leben wird ohne mich vergehen,

die Welt ist voller Seligkeit und ich darf nicht hinein
 

Wieso hatten alle seine Freunde um ihn herum geglaubt, er hätte bei Atemu eine Chance?

Wieso hatten sie alle ihm falsche Hoffnungen gemacht?

Ihn ermutigt, den Hoffnungsfunken immer wieder neu anzufachen?

Anstatt ihn davon abzuhalten, ihm die bittere Wahrheit zu sagen, ihn vor diesem Schmerz zu bewahren.

Kannten sie einen solchen Schmerz überhaupt?

Es war das Schlimmste, was er je erlebt hatte.

Er hatte Atemu wieder verloren.

Endgültig und für immer.
 

Ich lieb ihn,

ich lieb ihn,

ich lieb ihn,

doch nur für mich allein.
 

Vielleicht hätte er den Mut dazu aufbringen sollen, es ihm zu gestehen.

Bevor es zu spät gewesen wäre.

Doch was hätte das gebracht?

Atemu hätte ihn doch nur abgewiesen.

Das wäre wahrscheinlich noch schlimmer gewesen.

Es aus seinem eigenen Mund zu hören.

Yugi seufzte und weiterhin vermischten sich Tränen und Regentropfen auf seinen Wangen.
 

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Lied: 'Nur für mich' aus dem Musical 'Les Misérables'
 

*

Theater, Theater

So, da der Schrei danach so groß war, nun mit Trennungssternchen^^
 

8. Theater, Theater
 

Yugi lag nun schon seit Tagen mit einer dicken Erkältung im Bett.

Was hatte er sich auch nur dabei gedacht, seine Jacke in der Schule zu lassen?

Er wusste auch nicht genau, wie lange er wirklich auf der Bank gesessen hatte.

Vermutlich Stunden.

Der Junge wusste bis heute nicht, ob ihn an dem Abend überhaupt noch jemand vermisst hatte.

Als Téa gekommen war, um zu wissen, wie es ihm geht und warum er so plötzlich verschwunden war und um ihm seine schwarze Jacke zu bringen, die sie beim Rockkonzert entdeckt hatte, als alle schon gedacht hatten, er sei nach Hause gegangen, hatte er so getan, als würde er schlafen.

Welchen Sinn hatte es denn auch, mit jemandem darüber zu reden?

Mit seiner Mutter oder seinem Großvater hatte er seit dem Tag auch kaum etwas gesprochen und zum Essen mussten sie ihn ebenfalls zwingen, was ihnen manchmal gut, anderes Mal eher schlecht gelang.

Und alle machten sich Sorgen um ihn.

So schien es zumindest.

Aber Yugi glaubte nicht mehr daran.

Sie machten ihm doch alle nur etwas vor.

Wenn er nicht mehr wäre, würden sie doch nicht lange um ihn trauern und keiner würde ihn vermissen.

Als er ein paar Tage zuvor die ersten Gedanken, die in diese Richtung gingen, gehabt hatte, war er zunächst über sich selbst erschrocken gewesen.

Doch wieso sollte er nicht über einen baldigen Tod und das Danach nachdenken?

Ihn hielt doch sowieso nichts mehr in dieser Welt.

Wenn er vor einem Jahr an Selbstmord gedacht hatte, dann immer mit dem Gedanken, Atemu wieder zu sehen, doch nun war es eher so, dass er genau vor ihm davonlaufen wollte.

Dennoch konnte er keinen Selbstmord begehen.

Dann wäre seine Mutter ja ganz allein, wo sein Vater doch im Ausland arbeitete und sich so gut wie nie meldete.

Das konnte er ihr nicht antun.

Der einzige Grund, weshalb er es immer verschoben hatte.

Würde er es diesmal auch so tun können?

Immerhin würde er Atemu fast jeden Tag in der Schule sehen!

Aber hieß es nicht, Liebeskummer würde irgendwann vergehen?

Yugi lockerte den Schal um seinen Hals, woraufhin er kräftig Husten musste.

Danach putzte er die Nase, die schon die ganze Zeit wie ein offener Wasserhahn lief und er musste niesen.

Als er das alles beendet hatte, wälzte er sich in seinem Bett herum.

Heute war Joeys Halloween-Fete.

Natürlich machte es ihm nichts aus, diese zu verpassen.

Er würde sowieso noch die ganze Woche im Bett verbringen müssen.

Genug Zeit, die Gedanken wandern zu lassen.

Was meistens eher nicht so gut war, denn oft blieben seine Gedanken an der Person kleben, an die er am wenigsten denken wollte: Atemu.

Erstmal natürlich die Szene in der Schule.

Und leider war seine Phantasie dazu übergegangen, auch weiterzudenken.

Er sah die beiden schon küssend, sich streichelnd, sogar beim Liebesspiel war er ‚anwesend’.

Abermals schüttelte er den Kopf.

An so was sollte er wirklich nicht denken.

Doch woran sonst?

Ihm blieb nichts.

Alle Erinnerungen hatten in gewisser Weise mit Atemu zu tun.

Konnte er sich überhaupt noch daran erinnern, wie es war, bevor sie sich kennen gelernt hatten?

Nein.

Und wenn er an die Zukunft dachte, sah er schon wieder Atemu vor sich.

Fünf Wochenstunden Geschichte, drei Ägyptisch.

Noch bis zum Abitur.

Ein halbes Jahr.

Danach würde er ihn vielleicht noch sporadisch bis zum Schuljahresende sehen.

Und dann nie wieder.

Ob er darüber glücklich sein würde?

Wohl eher nicht, selbst wenn Atemu einen festen Freund hatte.

Yugi würde nie in seinem Leben glücklich sein können.

Sich noch einmal zu verlieben – allein die Vorstellung unmöglich.

Sein Herz zog sich schmerzlich zusammen.
 

**
 

Der erste Schultag nach dem Rockkonzert.

Und gleich würde er Geschichte haben.

Yugi seufzte.

Wieso konnte er seine Gefühle nicht in seinem Herzen einschließen und davor Ruhe haben?

Er hatte es versucht, wirklich, aber es hatte nicht funktioniert.

Seine Gedanken wanderten automatisch zu Atemu und rissen jedes Mal aufs Neue seine Wunden auf.

Egal wie sehr er sich bemühte, sie heilen zu lassen.

Aber schon ein Gedanke genügte.

Mit hängendem Kopf betrat er den Klassenraum, in dem sie Geschichte hatten.

Er wollte Atemu nicht ansehen.

Doch dieser kam gleich auf ihn zu und legte ihm einen kleinen Stapel Blätter auf den Tisch, den Yugi nur zur Kenntnis nahm, aber nicht anrührte.

Das erste Blatt obenauf war Geschichte und Herr Yamito hatte in seiner geschwungenen Schrift seinen Namen darauf geschrieben. Mit Bleistift.

Als es schellte, packte Yugi so schnell wie möglich zusammen und verließ hastig den Unterrichtsraum, um Herrn Yamito, den er auch während der Doppelstunde nicht angesehen hatte, nicht doch noch ansehen zu müssen.
 


 

Am nächsten Tag vor Ägyptisch, Atemu saß schon an seinem Platz, ging Yugi einfach an ihm vorbei.

Er hatte Naoko, von der er wusste, dass sie eine der wenigen war, die noch immer für den Referendar schwärmte, überredet, dass sie die Plätze tauschten.

Somit hatte er nun den Platz inne, der am weitesten von Atemu entfernt war.

Seine Konzentration war auch nicht mehr die Beste und so kam es, dass er seinen Block fallen ließ, in den er am Vortag unachtsam die Blätter von Herrn Yamito gesteckt hatte.

Als er sie zusammenklaubte, fiel ihm auf, dass neben einigen Geschichtsblättern und seinem letzten Essay auch die Übungsblätter Ägyptisch, die der Lehrer an dem Dienstag, an dem er krankheitsbedingt gefehlt hatte, ausgeteilt hatte, darunter waren.

Erstaunt sah er auf und als sein Blick sich dabei mit dem von Atemu traf, wurde ihm unbehaglich und er wandte sich schnell wieder ab, leicht rot im Gesicht.

Was war das gewesen?

Hatte er sich geirrt oder war Atemus Blick besorgt gewesen?

Was sollte er denn auch denken, wenn Yugi sich plötzlich von ihm wegsetzte und ihm stattdessen diese Quasselstrippe Naoko an den Hals hetzte?

Dass Naoko Yugi gebeten hatte, mit ihm den Platz zu tauschen.

Das hoffte er jedenfalls inständig.
 


 

Natürlich hatten auch seine Freunde bemerkt, dass etwas mit ihm nicht stimmte.

Selbst ohne ihn direkt zu fragen, hatten sie gewusst, was los war.

Hatten sie also den gleichen Schluss wie er gezogen.

Oder nur sein Verhalten gegenüber Herrn Yamito bemerkt.

Bakura hatte nur einen der üblichen abgedroschenen Sprüche für ihn übrig gehabt. „Andere Mütter haben auch schöne Söhne!“

Dabei hatte er den Arm um seine Schultern gelegt und ihn angelächelt, als würde er sich selbst meinen.

Aber davon wollte Yugi nichts wissen.

Er konnte sich nicht vorstellen, Bakura zum festen Partner zu haben, genauso wenig, wie er sich überhaupt vorstellen konnte, jemand anderen als Atemu zum Freund zu haben.

Yugi wollte es sich noch nicht einmal vorstellen.

Früher hatte er sich gut vorstellen können, in Atemus Armen zu liegen, hatte seine Hände überall an seinem Körper gespürt, genauso wie seine Lippen.

Doch wenn er jetzt daran dachte, dann kam immer Atemus Freund noch hinzu.

Zu dritt?

Jedes Mal spürte er grenzenlose Verzweiflung in sich aufsteigen.

Könnte er einfach nur Atemus Geliebter sein?

Wenn er eines in den letzten Tagen bemerkt hatte, dann dass er ohne Atemu, sein Nähe, seine Gedanken, die ständig um ihn kreisten, nicht leben konnte.

Er brauchte Atemu, wie die Luft zum atmen.

Aber das wäre unmöglich.

Atemu würde seinen Freund nicht betrügen.

Er war auf jeden Fall treu.

Yugi stiegen immer Tränen in die Augen, wenn er Atemu sah, wenn dieser ihm im Geschichtsunterricht unbemerkt näher kam.

Jedes Mal musste er sie wegblinzeln.

Er konnte doch nicht vor der ganzen Klasse wegen seiner unerfüllten Liebe heulen.

Und schon gar nicht vor Atemu.
 


 

Auch den Rest der Woche und die Woche danach ging er Atemu so gut wie möglich aus dem Weg, sah ihn kaum an und verfolgte seinen Unterricht nur halbherzig.

Donnerstag startete Herr Yamito den ersten Versuch, Yugi anzusprechen, doch zum Glück wurde er von einer Mitschülerin aufgehalten und Yugi machte, dass er so schnell wie möglich weg kam, nicht ohne die bohrenden Blicke in seinem Rücken zu spüren.

Nach der Freitagsstunde rief er ihm sogar nach. „Yugi? Hey, Yugi, warte mal!“

Doch der Junge tat so, als hätte er ihn nicht gehört, obwohl es offensichtlich war, dass dies nicht der Fall war.

Er nahm seine Beine in die Hand und rannte weg, Eile vortäuschend, indem er immer wieder auf die Uhr sah.

Was wollte Atemu denn von ihm?

Sollte er doch mit seinem Freund glücklich werden!

Ihm selbst war nie Glück vergönnt.

Nachdem er das Gebäude verlassen hatte, ließ er aufseufzend den Kopf hängen.

Jetzt noch zwei Stunden Sport und dann hatte er dank des Wochenendes erst einmal Ruhe vor Atemu.

Jedenfalls, was den realen Atemu anging.

In seinen Gedanken, Träumen oder Erinnerungen verfolgte er ihn ständig.
 

**
 

Erst als er kurz nach Ikumi sein Klausurenheft ablieferte, bemerkte er, dass er der Letzte war, der abgab.

Yugi legte das Heft einfach auf das Pult, ohne Herrn Yamito dabei anzusehen.

Er verließ wieder eilig den Klassensaal, doch Herr Yamito hatte schon alle Hefte weggepackt, nur noch seines in die beige Stofftasche dazu geschoben und rannte Yugi nun nach.

Der Junge konnte fühlen, wie sich Atemus Hand um seinen Oberarm schloss und keine zwei Sekunden später spürte er die kalte Gangwand in seinem Rücken.

„Was ist los, Yugi? Du gehst mir jetzt schon seit zwei Wochen aus dem Weg.“ Er sah auf Yugi hinab, der den Kopf abgewandt und die Augen geschlossen hatte. „Seit dem Rockkonzert benimmst du dich komisch. Hast du etwa begonnen, Drogen zu nehmen?“

„Was?“ Yugis Kopf flog hoch und er sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Selbst in seinen Ohren hatte dieser Ausruf entsetzt geklungen.

Atemus Gesicht war dem seinigen ganz nah.

Doch er blickte ihn nur mit ernster Miene an und Yugi konnte ein leises sorgenvolles Glänzen in seinen Augen erkennen.

„Nein!“ wehrte er ab, sagte aber nichts zu dem eigentlichen Grund.

Atemu fixierte ihn noch eine Weile stumm, bevor er ihn schließlich losließ und nach den Taschen griff, die er zuvor auf den Boden fallen gelassen hatte.

Als er sich wieder aufrichtete, waren seine Gesichtszüge wesentlich weicher.

Yugi hatte sich keinen Millimeter von der Stelle gerührt.

„Übrigens, meinem Bruder hat das Rockkonzert auch gut gefallen.“ Er drehte den Kopf zu Yugi und lächelte ihn an.

„Bruder?“ rutschte es Yugi ungläubig von den Lippen.

Er hatte seinen Bruder an dem Abend nicht gesehen.

Nur seinen Freund.

„Ja“, bestätigte Atemu. „Du warst doch auch da. Er war der große Blonde mit den langen Haaren, der bei mir gestanden hat.“

Yugis Herz fühlte sich plötzlich an, als wäre es von dicken Eisenketten befreit worden und war nun so leicht, als hätte es Flügel.

Am liebsten wäre er vor Freude jubelnd durch die Gegend gehüpft und Atemu um den Hals gefallen.

„Sie gleichen sich aber gar nicht!“ Es war noch immer eine leise Skepsis, ein leichter Zweifel vorhanden.

Atemu lachte. „Das sagen alle. Er ist mein Halbbruder. Er hat optisch mehr von seinem Vater geerbt, mein Aussehen ist eher eine Mischung aus dem meiner Eltern.“

Sie setzten sich in Bewegung und schlenderten den Gang entlang, so wie früher.

Yugi waren viele Fragen durch den Kopf geschossen, nachdem er die beiden zusammen gesehen hatte, aber die meisten waren nun unwichtig geworden.

„Wie alt ist Ihr Bruder denn?“ Jetzt, nachdem Atemu ihn so erleichtert hatte, musste er einfach wieder mit ihm reden.

„22. Er steckt jetzt mitten im Studium, will die Firma von meinem Vater übernehmen“, erklärte Atemu.

Yugi hörte ihm zwar zu, aber die Zusammenhänge erschlossen sich ihm nicht auf Anhieb.

Viel zu schnell waren sie am Lehrerzimmer, wo Atemu sich von Yugi verabschiedete.
 


 

Nach der letzten Stunde traf er wieder auf seine Freunde.

„Ich habe eine gute Nachricht für dich!“ rief Joey begeistert und begann gleich mit seiner Erzählung, während sie sich auf den Weg zur Haltestelle machten.

„Sanae hat heute in der Pause zwischen den beiden Politikstunden mit Herrn Yamito geredet. Ich kam leider nicht umhin, mitzuhören, da ich direkt daneben gesessen habe.“ Er grinste bedeutungsvoll.

„Sie hat ihn geradeheraus gefragt, ob er eine Freundin hätte, was er natürlich verneinte. Also hab ich ihn ganz frech gefragt, ob er denn einen Freund hätte?“ Der blonde machte eine Kunstpause.

„Die Mädels um uns herum haben natürlich gelacht, meinten wohl, das sei einer meiner Witze. Atemu hat mich eine Weile stumm angesehen, bevor er den Kopf schüttelte“, meinte er triumphierend. „Na, was sagst du? Du hast dir vollkommen unnötig Sorgen gemacht!“

Während Joeys Erzählung waren Yugis Augen immer größer geworden.

„Oh nein!“ rief er entsetzt aus.

„Was?“ fragte Joey irritiert nach und sein Lächeln verschwand.

Er hatte eigentlich damit gerechnet, dass sein bester Freund ihm freudetrunken um den Hals fallen würde.

Yugi seufzte. Er hatte Joey keineswegs vor den Kopf stoßen wollen.

„Das weiß ich, er hat es mir vorhin gesagt. Der Typ bei ihm war sein Halbbruder gewesen“, begann er mit seiner Erklärung.

„Ich konnte natürlich nicht anders und habe wieder die ganze Pause mit ihm geredet. Wenn er jetzt eins und eins zusammenzählt …!“ Yugi ließ betrübt den Kopf hängen.

Joeys Lächeln war so schnell wieder aufgetaucht, wie es zuvor verschwunden war und er legte Yugi einen Arm um die Schultern. „Und wenn schon! Dann weiß er es eben! Du bist ja jetzt lange genug heimlich in ihn verknallt! Ein halbes Jahr!“

Er mustert ihn skeptisch. „Oder hast du ihn schon geliebt, als ihr euch noch einen Körper geteilt habt?“

Yugi sah seinen Freund kurz an, wandte dann aber den Blick ab. „Ich … weiß es nicht. Ich glaube aber nicht.“

Das war die Wahrheit.

Im Rückblick konnte er nicht mehr genau sagen, wann diese Gefühle angefangen hatten.

Eingestanden hatte er sie sich erst spät.

„Er hat mich sogar gefragt, ob ich Drogen nehmen würde, weil mein Verhalten so seltsam wäre!“ erzählte Yugi weiter und war ehrlich empört.

Er wusste gar nicht, wie Atemu überhaupt darauf gekommen war.

„Kein Wunder“, meinte Téa ruhig.

Yugi warf ihr einen aufgebrachten Blick zu.

Was sollte denn das jetzt heißen?

„Herr Yamito hat bei dem Rockkonzert einen Schüler einer anderen Schule beim Verkauf von Drogen erwischt. Und zwar nicht nur Ecstasy-Pillen.“ Natürlich hatte Téa ihm das schon erzählt, aber ihr war schon damals klar gewesen, dass er ihr absolut nicht zuhörte. „Und dann bist du einfach verschwunden.“

Tristan nickte. „Das hätte schon miteinander zusammenhängen können. Wann genau bist du eigentlich verschwunden? Sicherlich gleich, nachdem du zur Toilette warst, oder?“

Yugi nickte.

„Wir haben erst gedacht, du würdest draußen in der Vorhalle stehen. Dann dachten wir, du wärst nach Hause gegangen“, fuhr Téa fort. „Doch als ich deine Jacke in der Garderobe gesehen habe, hab ich mir Sorgen gemacht. Und dann hab ich sogar deine Mutter aus dem Bett geklingelt, doch zu Hause warst du ja auch nicht. Natürlich haben wir uns sofort auf die Suche gemacht.“

„Wir vier haben zu Fuß die nähere Umgebung abgesucht, während Herr Yamito dich mit dem Motorrad gesucht hat“, nahm Joey den Faden auf. „Wir haben echt gedacht, du würdest irgendwo mit einer Überdosis im Straßengraben liegen. Kurz zuvor hatte Atemu nämlich den Dealer gestellt.“

„Da es gar nicht deine Art ist, einfach davon zu rennen und du nirgendwo zu finden warst, haben wir das Schlimmstmögliche angenommen“, erläuterte Tristan.

Yugi hörte nur zu.

Alle hatten sich Sorgen um ihn gemacht?

Sogar Atemu hatte nach ihm gesucht?

Seinen Bruder einfach in der Schule stehen lassen?

Wegen ihm?

Und er war nur in seiner kindischen und, wie er nun wusste, unbegründeten Eifersucht davongerannt.

„Es tut mir leid.“ Yugi seufzte verzweifelt.

Dann sah er Téa an, die ihm kurz zuvor sein Handy aus der Tasche geklaubt hatte.

Sie hatte auch ihr Handy in der Hand und hantierte damit herum.

„Was machst du da eigentlich?“ wollte er nun endlich wissen.

„Ich speichere dir Atemus Handynummer ein.“ Sie sah kurz auf, richtete ihre Aufmerksamkeit dann aber wieder auf sein Handy.

„Wieso hast du seine Nummer?“ fragte er irritiert.

„Ich sollte ihn informieren, wenn einer von uns dich gefunden hätte. Immerhin hatte er dank des Motorrads einen größeren Suchradius“, klärte ihn die Braunhaarige auf.

„Nachdem deine Mutter mich angerufen hat, dass du wieder zu Hause und nur wortlos auf dein Zimmer gegangen bist, hab ich ihn angerufen.“ Téa reichte ihm sein Mobiltelefon und Yugi steckte es verdutzt weg.

„Es tut mir wirklich leid, dass ihr euch solche Sorgen gemacht habt.“ Yugi ließ den Kopf hängen.

Joey legte seinen Arm um die Schultern des Kleineren. „Halb so schlimm. Wenn man Liebeskummer hat, dann sitzt einem der Kopf meistens nicht gerade!“ versuchte er ihn zu trösten, während sie in den Bus einstiegen.
 

**
 

Yugi saß mit angewinkelten Beinen auf dem braunen Tisch, der auf der Bühne der Aula stand.

Er langweilte sich etwas.

Wieso hatte er sich auch von Téa dazu überreden lassen, in der Theater- AG für die heutigen Proben für sie einzuspringen?

Die Lehrerin, die die Gruppe sonst betreute, war verhindert und hatte Téa somit die Verantwortung übertragen.

Er musste zwar nur den Text von einem Blatt vorlesen und die Bewegungen ausführen, doch er spielte Téas Rolle, also eine Frauenrolle!

Aber wen hätte sie denn sonst fragen sollen?

Joey etwa?

Der hätte die Proben mit seinen Sprüchen und Witzen nur durcheinander gebracht.

Tristan hatte sie ebenfalls nicht in Erwägung gezogen, genauso wenig, wie Bakura.

Naja, wenigstens musste er kein Kostüm tragen.

Die anderen hingegen hatten zumindest einige Kostümteile an, um sich besser in das Stück hineinversetzen zu können und auch, damit er ungefähr wusste, mit welcher Figur er es zu tun hatte.

Er seufzte.

Téa ließ diese Szene schon zum hundertsten Mal wiederholen, so langsam wurde seine Position auf dem harten Tisch unbequem.

Der Junge hob die weißen Textblätter wieder hoch und las seinen Text abermals durch.

Bald konnte er es auswendig.

Als nächstes kam die Kussszene.

Wen Téa wohl küssen musste?

Und wie reagierte Tristan eigentlich darauf?

Dieser saß zwar die ganze Zeit auf einem Stuhl neben Téa im Zuschauerraum, aber er hatte ihn noch nicht darauf ansprechen können.

Sein Szenenpartner hatte jedenfalls einen lächerlich wirkenden Plastikritterhelm auf, dessen Visier hinuntergelassen war und ein knöchellanger blauer Umhang umhüllte die Statur, so dass Yugi noch nicht einmal erraten könnte, wer in dem Kostüm steckte, wenn er alle Schüler der Theater- AG kennen würde.

Noch stand der Ritter unbeweglich am gegenüberliegenden Bühnenrand und betrachtete das Geschehen.

Zunächst würde er mit einem Papppferd quer über die Bühne reiten, bevor er die Prinzessin vor dem Drachen retten würde.

Yugi schüttelte den Kopf.

Das Stück war von den Schülern selbst erarbeitet worden, bediente aber alle vorhandenen Klischees.

Endlich kam sein Ritter auf ihn zugeritten.

Er sollte ihm in freudiger Erwartung entgegensehen, was Yugi nach dieser langen Warterei eindeutig nicht schwer fiel.

Der Junge sah desinteressiert zu, wie der Ritter sich knapp vor ihn stellte.

Selbst wenn er auf dem Tisch saß, musste er an ihm emporblicken.

Jetzt kam die Kussszene und er würde endlich sehen, wer unter der Maske steckte und wem er einen gespielten Kuss aufhauchen durfte.

Das Visier wurde hochgeschoben und ihm blickten zwei lachende violette Augen entgegen.

Atemu!

Dieser beugte sich zu Yugi hinab und noch ehe er hätte zweimal blinzeln können, spürte er auch schon die weichen Lippen des anderen auf den seinen.

Doch Yugi hatte seine Lippen nur zu einem dünnen Strich zusammengepresst und konnte das Kichern der jüngeren Schüler hören.

Für diese war eine echte Kussszene schon etwas besonderes, aber wenn sich jetzt auch noch zwei Männer küssten und dann auch noch Referendar und Schüler … aber es war ja alles nur gespielt.

„Noch mal, bitte! Reiß dich zusammen, Yugi! Etwas echter sollte es schon aussehen!“ rief Téa zu ihnen hoch.

Wiederholung?

Wenn er das hier überlebte, würde er Téa eigenhändig umbringen!

Das hatte sie doch eingefädelt?!

Atemu schloss das Visier wieder und packte sein Papppferd an der Wollmähne.

Er ritt Yugi wieder entgegen und diesem schlug das Herz bis zum Hals.

Wieso hatte Atemu ihn eigentlich richtig geküsst?

Téa hatte ihm versprochen, dass er den Kuss nur andeuten musste.

Aber das wollte er gar nicht mehr, es war doch so angenehm gewesen.

Lächelnd sah er dem Ritter entgegen, keinesfalls mehr desinteressiert.

Wieder kam er vor Yugi zum Stehen, wieder wurde das Visier hochgeschoben, wieder sahen ihn zwei strahlend violette Augen an und Yugi spürte, wie er sich Atemus Lippen erwartungsvoll entgegenreckte.

Atemu neigte etwas den Kopf und legte wieder seine Lippen auf die von Yugi, der die seinigen diesmal locker und unverkrampft ließ.

Automatisch legte er beide Hände auf Atemus Brust, da er nicht genau wusste, was seine Figur überhaupt in der Szene tat, war das sowieso egal.

Er lehnte sich in den Kuss, die Augen genießerisch geschlossen.

Als er unerwartet Atemus Hand über seine Wange streichen spürte, öffnete er diese wieder etwas erstaunt, doch Atemu lächelte ihn nur an.

Plötzlich hörten sie Téa erschrocken aufquieken.

Etwas widerwillig löste Yugi den Kuss, um seiner Freundin einen fragenden Blick zuzuwerfen.

Hatte dieses Geräusch etwa ihrer ‚Darbietung’ gegolten?

Doch Téa saß nun knallrot und lachend auf Tristans Schoß.

Verlegen bemerkte sie, dass sie nun von allen Anwesenden angestarrt wurden.

„Tut mir Leid! Ich hab grade nicht aufgepasst, können wir das noch mal wiederholen?“ bat sie dann.

Wieso hatte Yugi nur dieses stechende Gefühl, dass Tristans ‚Ablenkung’ Absicht gewesen war?

Naja, was kümmerte ihn das, so hatte er wenigstens die Gelegenheit zu einem weiteren Kuss mit Atemu.

Schüchtern sah er zu Atemu auf, doch dieser hatte sich schon pflichtbewusst sein Pferd geschnappt und war gerade dabei, sein Visier wieder herunter zu klappen.

Der nächste Kuss war genauso bezaubernd.

Ein richtiger Schmetterlingskuss, denn Atemus Lippen setzten sich auf Yugis leicht wie ein Schmetterling und flogen bereits nach einigen wundervollen Sekunden genauso behände wieder davon.

Danach fand er sich in Atemus Armen wieder.

Er wusste nicht, inwiefern das zu dem Stück gehörte und er lehnte sich einfach nur an seine Brust.

Yugi spürte die starken Arme des Älteren um sich und wie dessen Hände auf seinem Rücken lagen.

„Yugi?“ fragte Téa nach einer scheinbaren Ewigkeit des Schweigens.

Der Angesprochene wurde leicht rot im Gesicht.

„Ich hab den Text vergessen“, murmelte er verlegen in Atemus Hemd.

Als dieser nun lachte, fühlte Yugi dessen Brustkorb, an den er noch immer, ohne sein eigenes Zutun, gepresst war, erbeben.

Aber er fühlte sich keineswegs ausgelacht.

Schließlich gab ihn der Ältere frei und Yugi griff hochrot nach seinem Textblatt.

Zuvor hatte er geglaubt, den Text dank Téas ständiger Wiederholung der vorherigen Szene schon auswendig zu können, doch jetzt, als es darauf ankam, hatte er ihn natürlich vergessen.

Aber er hätte ja auch unmöglich noch in Atemus Umarmung nach dem Textblatt greifen können, als er bemerkt hatte, dass er die Worte nicht mehr wusste, und die ganze Atmosphäre damit zerstören können.

Am Anfang des Abschnittes stand tatsächlich, dass der Ritter die Prinzessin umarmen sollte.

Was hatte Yugi sich denn auch eingebildet, der Referendar würde ihn einfach so umarmen?

Hastig las er den Text und versuchte, sich die Sätze einzuprägen.

Wegen ihm musste die Szene noch mal wiederholt werden.

Eilig legte er die Blätter wieder zur Seite und schon stand sein Ritter wieder vor ihm.

Doch dieser Kuss von Atemu war anders, als die vorherigen.

Er war irgendwie – fordernder.

Yugi konnte Atemus Hand in seinem Nacken, an seinem Haaransatz spüren und der Ältere zog ihn etwas zu sich heran.

Da der Jüngere dadurch von seinen Gefühlen überrannt wurde, irritierte ihn das noch nicht einmal.

Von seiner Seite her war diese Szene nicht mehr gespielt, sondern er lebte seine Gefühle aus.

Dennoch waren es nur ihre Lippen, die sich voller Hingabe ineinander verschränkten.

Als Atemu ihn schließlich in seine Arme zog, musste Yugi ein wohliges Aufseufzen unterdrücken.

Nach einer kurzen Zeit sagte Yugi dann brav und deutlich für alle zu vernehmen seinen Text auf, den er fast wieder vergessen hätte, bei dem Gefühlssturm in ihm drin.

Der Ältere entließ ihn schließlich aus seiner Umarmung und Yugi schien es, als würde er einen verträumten Blick in seinen Augen erkennen, doch als Atemu nun seinerseits seinen Text aufsagte, war davon nichts mehr zu sehen und Yugi war sich sicher, sich geirrt zu haben.

Kurz danach fand Yugi sich auf Atemus Armen wieder, denn der Ritter musste seine Prinzessin ja vom Drachenfelsen entführen.

Diesmal ließ Téa die Szene weiterspielen, so dass sie vor Probenende noch ein paar weitere Szenen durchgespielt hatten.

Nur ein Spiel

9. Nur ein Spiel
 

Nach den Proben, die anderen Schüler und Herr Yamito waren schon weg, halfen Yugi und Tristan Téa noch, die Kostüme und Requisiten wegzuräumen.

Dabei sprang Yugi freudig lächelnd von einem Ende der Bühne zum anderen und summte fröhlich vor sich hin.

„Du bist ja jetzt gut drauf!“ stellte Tristan grinsend fest.

„Klar! Ich hab ja auch die beste Freundin, die man sich vorstellen kann!“ Yugi wandte sich lächelnd an Téa. „Das hast du doch eingefädelt?“

Téa grinste vielsagend. „Als ich gestern morgen hörte, dass Yamato ein paar Tage fehlen würde, habe ich Atemu gleich gefragt, ob er einspringen würde und er war schon einverstanden, ohne den Text überhaupt gelesen zu haben. Im Übrigen hat er bis kurz vor der Szene auch nicht gewusst, wen er küssen würde.“

„Ich war dir ja noch was schuldig“, fuhr sie fort, gab aber Tristan, der sie fragend ansah, keine Erklärung.

Auch Yugi brauchte einen Augenblick, bis ihm einfiel, was sie meinte.

Sie meinte sicherlich, dass er sie ja Atemu gegenüber erwähnt hatte, damals.

„Ihr beide würdet jedenfalls ein süßes Pärchen abgeben“, stellte Tristan lächelnd fest. „Ihr seid ja scheinbar ganz heiß aufeinander!“

Yugi lief sofort wieder puderrot an. „Red keinen Stuss! Ich glaube nicht, dass er irgendwelche Gefühle für mich hat!“

„Da wäre ich mir nicht so sicher“, warf Téa nachdenklich ein und erntete einen großen Blick von Yugi.

„Du hast euch ja nicht … na ja, von außen gesehen. Er wirkte ganz glücklich mit der Situation. Eigentlich hätte er ja ein Mädchen küssen müssen, und das wusste er ja auch. Aber es hat ihm sichtlich nichts ausgemacht, dass das nicht der Fall war. Und der letzte Kuss … es schien fast so, als würde er es genießen.“

„Meinst du?“ fragte Yugi zögerlich nach.

Das wäre ja … wunderbar!

Doch wie sollte es nun weitergehen?

Er war viel zu schüchtern, Atemu seine Gefühle zu gestehen.

Sollte er abwarten, was Atemu unternehmen würde?
 

**
 

„Warst du eigentlich noch mal Schlittschuhlaufen?“ erkundigte Herr Yamito sich, als Yugi wieder einen seiner Essays abgab.

Yugi hatte schon länger keinen Aufsatz mehr abgegeben.

Erst war er Atemu aus dem Weg gegangen, weil er glaubte, dieser hätte einen Freund, dann hatte es ihn total verlegen gemacht, dass Atemu so viel Ärger wegen seines Verschwindens gehabt hatte und wirklich Lust dazu hatte er auch keine gehabt.

„Nein“, schüttelte Yugi wahrheitsgemäß den Kopf. „Ich hab mich nicht mehr getraut.“

„Ach, wieso denn nicht, du hast dich doch damals gut gehalten“, lächelte Atemu. „Wie wär’s, wir könnten doch wieder zusammen üben?“

Yugis Herz begann zu rasen.

Atemu wollte ihn offenbar auch in seiner Freizeit um sich haben.

Vielleicht hatten seine Freunde ja doch Recht?

Ein Hoffnungsfunke glomm in ihm auf.

„Wenn du willst, kannst du auch deine Freunde mitbringen“, fuhr Atemu fort, als Yugi scheinbar zögernd schwieg.

Offenbar hatte er nicht vergessen, dass Yugi seine Freunde hatte mitbringen wollen.

Leider. Denn eigentlich würde Yugi seine Zeit lieber mit Atemu alleine verbringen.

Aber wie sollte er das jetzt noch anstellen, wenn Atemu keinen Verdacht schöpfen sollte?

Dennoch lächelte er den Älteren an. „Ich werde sie jedenfalls fragen.“
 

**
 

Yugi rannte über die dünne Schneeschicht.

Weshalb hatte er auch ausgerechnet heute den Bus verpassen müssen?

Ausgerechnet heute!

Daher hatte er sich entschlossen, zu Fuß zu gehen.

Seine Wangen waren ganz rot von der Kälte, von dem Wind, der ihm ins Gesicht peitschte.

Denn er wollte Atemu nicht zu lange warten lassen.

Eigentlich hätte er ihn ja auch anrufen und ihm bescheid geben können, aber dann hätte der Andere sich sicherlich gewundert, woher Yugi seine Handynummer hatte.

Also rannte er nun so schnell, wie seine kurzen Beine und seine schlechte Kondition es zuließen.

Als er schließlich an der Eishalle ankam, atmete er erstmal tief durch, bevor er hinter Atemu trat, der sich gerade irgendwelche Plakate ansah. „Da bin ich! Mussten Sie lange warten?“

Der Ältere wandte sich um und lächelte ihn an. „Hallo Yugi!“

Atemu winkte ab. „Nein, ich hab mich ja beschäftigt.“ Er deutete auf ein Plakat, auf dem für das nächste Spiel der Ersten Eishockeymannschaft geworben wurde.

Dann richtete er den Blick hinter den Neuankömmling. „Kommen deine Freunde noch?“

Yugi schüttelte den Kopf. „Nein, sie haben mir alle abgesagt.“

Es war eigentlich geplant gewesen, zu siebt Schlittschuhlaufen zu gehen, weshalb sie sich auf Samstag geeinigt hatten, wenn alle Zeit hatten.

Aber den anderen war scheinbar etwas dazwischengekommen.

Téa und Tristan hatten behauptet, zum Geburtstag von Tristans Großmutter eingeladen worden zu sein, doch Yugi war sich sicher, dass sie das schon vorher gewusst hatten.

Joey hatte erklärt, er müsse seinen Vater vom Polizeirevier abholen, da dieser die Nacht in der Ausnüchterungszelle verbracht hatte. Danach war er dann meistens so schlecht gelaunt, dass er Joey für den Rest des Tages nicht mehr erlaubte, das Haus zu verlassen.

Yugi wusste ja, dass das immer so war.

Bakura hatte ihm einfach nur eine SMS geschrieben, dass er nicht kommen würde, ohne Grund.

Doch Yugi hatte den leisen Verdacht, dass das alles nur Ausreden ihm zuliebe waren, damit er den Tag alleine mit Atemu verbringen konnte.

Worüber er sich eigentlich freuen sollte.

Atemu zog eine Augenbraue hoch und drehte sich um. „OK, dann gehen wir eben alleine rein.“

„Wollten Sie nicht noch ihren Bruder mitbringen?“ Yugi war aufgefallen, dass dieser nicht da war.

„Ja, aber er wurde verhindert. Wenn mein Vater pfeift, ist er sofort zur Stelle. Aber ich glaube nicht, dass ihm das viel bringt“, murmelte Atemu nachdenklich.

Yugi wusste nicht, wovon er sprach und hätte fast nachgefragt.

Aber es war wohl eine Familienangelegenheit und Yugi war sich sicher, dass Atemu so was Privates nicht mit einem seiner Schüler besprechen würde.

An der Kasse hatte Atemu schon so schnell für sie beide bezahlt, dass Yugi kaum Gelegenheit hatte, sein Portemonnaie aus der Tasche zu holen. „Äh …“

Doch der Ältere winkte ab. „Schon gut, ich lade dich ein.“

Während Yugi Atemu folgte, bestarrte er dessen Rücken.

Atemu wirkte irgendwie bedrückt, vielleicht hätte er seinen Bruder nicht erwähnen sollen.

Doch sobald er die geliehenen Schlittschuhe in der Hand hielt, war es, als hätte er alle Sorgen vergessen und er lächelte Yugi wieder an.

Dieser lächelte leicht zurück und stapfte Atemu hinterher zur Eisfläche.

Doch während Atemu schon eine Runde absolvierte, zögerte er wieder, überhaupt einen Fuß auf das Eis zu setzen.

Immerhin hatte er im März zum ersten und letzten Mal auf den Kufen gestanden, und jetzt war es Anfang Dezember.

„Na komm!“ Atemu stand plötzlich wieder lächelnd vor ihm und hielt ihm die Hand entgegen.

Yugi griff zögerlich danach.

Als er damals Atemus Hand angenommen hatte, war nichts passiert.

Doch mittlerweile durchfuhr es ihn immer wie Elektrizität, wenn sie sich berührten.

Atemu nahm auch Yugis andere Hand in seine andere und fuhr dann wieder rückwärts vor ihm her.

Dennoch war Yugi noch zu unsicher, um Atemu während des Fahrens anzusehen.

Lieber beschäftigte er sich eingehend mit seinen unter ihm wegschlitternden Beinen.

Plötzlich spürte er, wie Atemus Daumen beruhigend über seine Handrücken strichen und er sah nun doch zu ihm hoch.

„Sei nicht so verkrampft!“ wies Atemu ihn mild lächelnd an.

Yugi nickte und versuchte, seine Schultern zu lockern.

Er entspannte sich nach und nach, denn er wusste, dass er Atemu vertrauen konnte.

Damals hatte er ihn ja auch aufgefangen.

Tatsächlich klappte das Fahren nun schon etwas besser.
 


 

„Werden Sie sich das Theaterstück ansehen?“ wollte Yugi wissen, als er schon etwas sicherer fuhr und sich auch etwas traute, sein Gegenüber anzusehen.

„Ja. Also, ich hab’s mal vor“, erklärte Atemu.

„Ich will ja sehen, wie unsere Szene eigentlich hätte aussehen sollen.“ Er zwinkerte Yugi zu.

„Aber ich glaube nicht, dass etwas dazwischen kommt. Eure Klausuren sind schon korrigiert, ihr bekommt sie am Montag zurück, da ihr ja schon in zwei Wochen eure Zeugnisse bekommt“, fuhr Atemu ungeniert fort.

Die Klausuren? Oh Gott, die hatte Yugi ja vollkommen vergessen!

Und dass die 13er die Zeugnisse schon vor den Weihnachtsferien bekamen, erst recht.

Atemu lachte. „Jetzt schau doch nicht so entsetzt! Keine Sorge, du hast wie immer sehr gut … oh!“

Seine Augen hatten sich leicht entsetzt geweitet.

Atemu kippte wie in Zeitlupentempo nach hinten, Yugi konnte nur zusehen.

Der Junge wusste zunächst nicht, was los war, aber da er so dicht hinter Atemu gefahren war, dauerte es auch nur ein paar Sekunden, bis auch er das Gleichgewicht verlor und auf dem Älteren drauf lag.

Sofort versuchte Yugi, sich hochrot neben Atemu abzustützen und etwas seines Gewichts von ihm zu nehmen.

Da er dank Atemu noch nie auf dem extrem rutschigen Boden hingefallen war, wusste er auch nicht, wie er von der Eisfläche wieder aufstehen sollte.

Dennoch sah er besorgt zu dem Anderen hinunter. „Hast du … Haben Sie sich verletzt?“

Atemu hatte leicht schmerzlich die Augen geschlossen, doch nun sah er Yugi wieder an. „Nein, geht schon.“

Sanft packte er Yugi an den Hüften und schob ihn sachte von sich runter.

Dann stand er so schnell wieder auf den Beinen, dass Yugi, der bei dieser Berührung womöglich noch roter angelaufen war, gar nicht hatte sehen können, wie genau er das gemacht hatte.

„Komm, ich helfe dir wieder hoch.“ Atemu hielt Yugi, der mittlerweile auf seinen Knien saß, abermals seine Hand entgegen und stellte seine Kufe quer vor eine Yugis, die dieser als erstes aufgestellt hatte.

Mit einiger Mühe gelang es ihm schließlich, Yugi wieder auf die Beine zu stellen.

Diesem war es unbeschreiblich peinlich, dass es so lange gedauert hatte, bis er wieder auf seinen Füßen stand.

„Also, bei den vielen Kleinkindern, die hier umherwuseln, sollten wir vielleicht eine andere Methode finden, wie ich dir das Schlittschuh fahren beibringen kann“, meinte Atemu dann.

Ach so, das war es gewesen. Ein Kleinkind.

Yugi hatte auch nicht angenommen, dass Atemu, als erfahrener Läufer, einfach so hinfallen würde.

Doch wieso hatten sie beide das Kind nicht unter sich begraben?

War es so flink gewesen, dass es schon davon geflitzt war, bevor Atemu überhaupt richtig das Gleichgewicht verloren hatte?

Eigentlich könnte er ihm dankbar sein.

Der Junge fluchte über diesen Gedanken.

Er konnte sich doch nicht darüber freuen, dass Atemu, zumindest kurzfristig, das hatte er deutlich gesehen, Schmerzen gehabt hatte, nur weil er dadurch auf ihm gelandet und er ihm somit einen Augenblick nahe gewesen war.

„Vielleicht reicht es ja schon, wenn du meine Hand nimmst“, fuhr Atemu fort.

So fuhren sie kurz an, aber Yugi fühlte sich sehr viel unwohler und unsicherer, als zuvor.

Irgendwie brauchte er in beiden Händen etwas zum Festhalten.

Oder bildete er sich das nur ein?

Das letzte Mal war er doch sogar nach einiger Zeit ohne Hilfe gefahren.

Oder wollte er einfach nur, dass Atemu sich um ihn kümmerte, sich um ihn bemühte?

Auch der Ältere bemerkte, dass Yugi etwas wackelig auf den Beinen war, außerdem hatte der Jüngere nun den Blick wieder starr auf seine Füße gerichtet, was Atemu eigentlich gedacht hatte, ihm ausgetrieben zu haben.

„So wird das nichts“, meinte er schließlich nach einer Weile der Beobachtung.

„Vielleicht solltest du dich einfach an meiner Hüfte festhalten, ich ziehe dich dann“, sagte er daraufhin und wandte Yugi den Rücken zu.

Yugi schluckte.

Wieso verlangte der Ältere aber auch dauernd etwas, was für ihn fast unmöglich schien?

Obwohl es ja eine sehr einfache Geste war, seine Hände an seine Hüften zu legen.

Aber seine Hände wurden vor Aufregung feucht, sein Herz begann zu rasen und die Schmetterlinge in seinem Bauch begannen, Purzelbäume zu schlagen.

Doch was sollte er nun anderes tun, als Atemu zu gehorchen?

Kurz nachdem Atemu endlich Yugis Hände auf seinen Hüften spürte, startete er.

Erst fuhr er noch langsam, damit Yugi problemlos mithalten konnte.
 


 


 

Nach einiger Zeit, in der sie sich noch nicht einmal richtig unterhalten konnten, da sie ja hintereinander fuhren, spürte Yugi, wie er immer müder wurde.

Langsam war es etwas anstrengend.

Yugi griff Atemu nur noch mit einer Hand an der Jacke und verlangsamte das Tempo.

Wenn Atemu sein Gewicht langsam zu schwer wurde, da er nicht mehr mitarbeitete, dann würde er sich schon von selbst zu ihm umdrehen.

Wie lange waren sie nun schon da?

Sicherlich fast drei Stunden.

Er verbiss sich ein herzhaftes Gähnen.

Seit Atemu ihm den Rücken zugewandt hatte, war Yugis Aufregung abgeflaut.

Es war öde, nur den Rücken des Anderen anzustarren, obwohl er bemerkt hatte, dass dessen Nackenpartie schon einen gewissen Reiz hatte.

Schließlich drehte Atemu sich um.

Er sah gerade noch, wie Yugi abermals gähnte. „Bist du etwa müde?“

Yugi nickte.

Der Junge war mal wieder zu aufgeregt gewesen, um in der Nacht zu schlafen.

„OK. Wenn du noch eine Runde aushältst, spendiere ich dir noch einen schönen heißen Kakao“, grinste Atemu.

Yugi lächelte leicht und ein leichtes Funkeln trat in seine Augen.

Das Ziel war also, noch etwas mehr Zeit mit seinem heimlichen Schwarm zu verbringen.

Und dafür würde er alles tun.

Nun gut, zumindest fast.

Aber noch eine Runde auf dem Eis, an Atemu drangehängt, das ließe sich doch problemlos bewältigen.
 


 

Yugi betrat hinter Atemu das Café, das direkt zur Eishalle dazugehörte.

Es war etwas erhöht, über den Umkleiden der Eishockeyspieler, mit riesigen Fensterscheiben, so dass man den Leuten unten auf dem Eis zusehen konnte.

Er setzte sich Atemu an dem kleinen Zweiertisch, den dieser angesteuert hatte, gegenüber und warf einen Blick hinab.

Die Eisfläche wimmelte nach wie vor von Besuchern, nur schienen es immer mehr zu werden, je später der Tag wurde.

Die Eishockeymannschaft hatte heute ein Auswärtsspiel, was für die Besucher sicherlich ein Vorteil war.

Atemu hatte sich die Karte geschnappt und war darin vertieft, während Yugi sich streckte, um die Karte vom freien Nachbartisch zu stibitzen.

„Guckt mal, ist das nicht dieser Meisterduellant? Yugi Muto?“ hörte er plötzlich eine Mädchenstimme von einem der Nachbartische.

Yugi wurde leicht rosa. Er war schon lange nicht mehr erkannt worden.

Hastig setzte er sich wieder mit der Karte zurück.

„Und der bei ihm? Ist das sein Bruder?“ fragte eine andere Mädchenstimme, offenbar am gleichen Tisch.

Er klappte die Karte auf und tat so, als würde er sie interessiert lesen.

„Nein, Yugi hat keine Geschwister“, antwortete die erste Stimme.

Aber er konnte sich nicht konzentrieren.

„Ist das nicht der andere Finalist aus dem Königreich der Duellanten?“ fragte eine dritte Stimme.

Wieso mussten sie sich ausgerechnet so laut über sie unterhalten?

„Doch, ja, jetzt, wo du es sagst“, antwortete nun die zweite Stimme.

„Sind die beiden ein Paar? Sie sind ja Händchen haltend hier rein gekommen“, mischte sich nun eine vierte Stimme ein.

Oh Gott!

Yugis Kopf flog hoch und er starrte Atemu an.

Doch dieser studierte noch immer eingehend die Karte, schien von dem Gespräch am Nachbartisch nichts mitzubekommen.

Am liebsten wäre Yugi aufgesprungen und hätte die Mädchenclique angeschrieen.

Natürlich hatte Atemu noch seine Hand gehalten.

Nach dem Schlittschuh laufen war Yugi noch wackelig auf den Beinen gewesen, als er plötzlich festen Boden unter den Füßen gehabt hatte und Atemu hatte ihn gestützt.

Na und?

Yugi spürte, dass er hochrot im Gesicht war und holte tief Luft, um sich wieder zu beruhigen.

Wieso regte er sich eigentlich auf?

Nur weil die Mädchen das erwähnt hatten, was Yugi gern hätte?

Schließlich trat ein Kellner an ihren Tisch.

Atemu sah auf und Yugi fragend an. Offenbar wollte er, dass dieser zuerst bestellte.

„Einen Pfefferminztee, bitte“, meinte Yugi mit dünner Stimme und drehte nervös die Karte in seinen Händen.

„Für mich ebenfalls“, erklang nun Atemus Stimme. „Und zwei Mal Schokotorte.“

Yugi sah unsicher zu dem Älteren auf.

Hatte er nicht gesagt, dass er ihn einladen wollte?

Der Kellner war schon weg, als er den Mund öffnete, um zu protestieren.

Er wollte sich nicht von Atemu haushalten lassen, aber dieser schüttelte schon den Kopf, bevor Yugi überhaupt angefangen hatte.

Nun gut, dann eben nicht. Aber nächstes Mal …

Yugi schalt sich in Gedanken einen Narren.

Wer sagte denn, dass es überhaupt ein nächstes Mal geben würde?

Selbst wenn er es hoffte, es war dennoch unwahrscheinlich.

„Meinst du wirklich, dass die schwul sind?“ harkte eines der Mädchen am Nachbartisch zweifelnd nach. „Die sehen nicht danach aus.“

Yugi spürte Wut in sich aufsteigen.

Sollte sich etwa jeder Homosexuelle ein Schild um den Hals hängen?

„Ich denke nicht, dass man Schwule am ersten Blick erkennt“, war die Antwort.

Na also.

„Manche erfüllen die Klischees schon. Aber die beiden müsstest du schon selbst fragen“, fuhr die Antwortgeberin fort.

Yugi sah Atemu an, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte und nun einen Blick auf die Mädchenbande abschoss.

Sofort wurde es ruhig und Yugi konnte förmlich spüren, wie die Mädchen sich verlegen ihren Getränken und ihren Kuchen wieder zuwandten.

Etwas Schadenfreude machte sich in ihm breit, was sich auch durch ein Grinsen auf seinem Gesicht zeigte.

Plötzlich stand Atemu auf, stellte sich neben Yugi und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich gehe mal eben auf Toilette.“

Atemus Stimme war ganz nah, so dass sein Atem an Yugis Ohr kitzelte.

„Wie wäre es, wenn wir ein Pärchen spielen, damit wir diese Girlies mal etwas schocken?“ fuhr er mit gesenkter Stimme fort, so dass nur Yugi ihn hören konnte.

Sowohl Atemus Atem an seiner Haut, als auch der Inhalt des Gesagten jagten Yugi eine Gänsehaut über den Rücken.

Er spürte, wie Atemu leicht seine Schulter drückte und dann verschwand.

Der Junge lehnte sich mit weit aufgerissenen Augen zurück.

Atemu wollte tatsächlich, dass sie ein Pärchen mimten?

Nur wegen irgendwelchen vorlauten Gören?

Naja, was sollte ihn daran stören?

Außer, dass er sich vermutlich durch eine knallrote Birne und Versteifung des Körpers verraten würde.

Oder er würde sich vor Atemu blamieren.

Oder …

Aber sie hatten sich doch schon geküsst.

Bei der Theaterprobe.

Im Grunde würde es wohl dasselbe sein.

Yugi entspannte sich wieder.
 


 

Kurz darauf kam Atemu zurück und setzte sich ihm wieder gegenüber, als wäre nichts gewesen.

Der Kellner brachte das Bestellte und eine Weile aßen sie schweigend.

Nichts geschah.

Hatte Atemu sein Vorhaben etwa schon vergessen?

Oder wartete er darauf, dass Yugi sein Einverständnis irgendwie signalisierte?

Doch wie sollte er das anstellen?

Er konnte nicht den ersten Schritt machen, vielleicht hatte Atemu es sich zwischenzeitlich anders überlegt.

Ständig hob er seinen Blick von seinem Kuchen zu Atemu, bis dieser schließlich auch aufblickte.

„Was ist, Schatz, schmeckt dir der Kuchen nicht?“ fragte Atemu mit zuckersüßer Stimme, laut genug, dass die Mädchen am Nachbartisch ihn hören mussten.

Yugi zuckte vor Schreck kaum merklich zusammen.

Was um Himmelswillen sollte er denn jetzt antworten? Oder tun?

Er versuchte, sich in die Lage eines Pärchens zu versetzen.

Da ihm dennoch nichts Gescheites einfallen wollte, musste er wohl instinktiv handeln.

Rein nach Gefühl.

Und da er starke Gefühle für Atemu empfand, durfte ihm das doch nicht allzu schwer fallen.

Er schluckte und gab sich einen Ruck.

„Er würde sicherlich besser schmecken, wenn du mich füttern würdest“, versuchte er es und hoffte, dass seine Stimme nicht allzu brüchig klang.

Nur das was er gesagt hatte …

Doch er konnte erkennen, wie es amüsiert in Atemus Augen aufblitzte.

Ihm schien es zu gefallen, was Yugi ein leichtes Lächeln aufs Gesicht zauberte.

„Für dich doch immer …“, säuselte Atemu und führte das Stück Torte auf seiner Gabel statt zu seinem eigenen Mund nun zu dem von Yugi.

Yugi öffnete diesen bereitwillig und schloss die Lippen um das Tortenstück.

„Mhmmm …“ Er hoffte, dass das jetzt nicht übertrieben klang.

„Du hast etwas Schokolade unterhalb deiner süßen Lippen hängen. Eigentlich müsste ich dir die jetzt wegküssen“, meinte Atemu kurz danach.

Stattdessen kippte er nur den Stuhl ein wenig nach vorne und langte über den ganzen Tisch, um Yugi schließlich über besagte Stelle zu streichen.

Aus einer Eingebung heraus griff Yugi nach besagter Hand und küsste nun die Fingerspitzen.

Natürlich war keine Schokolade daran, Atemu hatte einfach einen Grund erfunden, sein Spiel weiterspielen zu können und Yugi machte mit einer gewissen Begeisterung, die er nicht allzu deutlich zeigte, mit.

Er konnte deutlich vernehmen, dass eines der Mädchen schräg hinter ihm deutlich die Luft einsog.

Atemu lächelte leicht.

Der Ältere umgriff Yugis Hand und legte sie dann neben den Tellern auf dem Tisch ab, so dass sie nun Händchen haltend dasaßen.

Während sie stumm weiteraßen, streichelte Atemu immer wieder über Yugis Hand und sie warfen sich immer wieder innige Blicke zu.

Nach dem Essen stand Atemu auf und schob seinen Stuhl an den von Yugi heran, so dass sie nun nebeneinander saßen.

Er legte ihm einen Arm um die Taille und beugte sich zu Yugis Ohr hinab, um zärtlich daran zu knabbern.

Yugi bekam Herzrasen, so dass er schon fürchtete, sein Schwarm könnte es hören, aber er war sich nicht mehr so sicher, was er von dem Ganzen halten sollte.

Machte der Andere das tatsächlich nur wegen der Mädchen?

Aus seiner jetzigen Position konnte er sie noch nicht einmal mehr beobachten, so wie das vorher der Fall gewesen war, sondern nur noch ihre Reaktionen hören, worauf Yugi sich schon die ganze Zeit verlassen musste.

Aber die ganze Zeit über hatten die Mädchen sich nicht mehr unterhalten, ihr Schauspiel schien also sehr fesselnd zu sein.

Doch auch die seltsamen Geräusche, die sie von sich gaben, waren sehr aufschlussreich.

Als ob sie noch nie ein Paar gesehen hätten. Taten Heteros nicht das Gleiche?

Was war an der Tatsache so faszinierend, dass sie das gleiche Geschlecht hatten?

Unsicher legte Yugi seine Hand auf Atemus Oberschenkel und genoss es im Stillen, wie Atemu mit ihm umging.

Plötzlich richtete Atemu sich auf und winkte dem Kellner zu. „Wir möchten zahlen!“

Dann wandte er sich Yugi zu und lächelte ihn an. „Ich zahle heute, Darling.“ Was er ja eh vorgehabt hatte.

Er hauchte Yugi einen Kuss auf die Lippen, als auch schon der Kellner vor ihnen stand.

Nachdem die Rechnung beglichen war, standen beide auf und kurz darauf spürte Yugi, wie Atemus Hand in die hintere Gesäßtasche seiner Jeans fand, was es unabdinglich machte, dass sie nun sehr dicht nebeneinander gehen mussten.

Yugi überlief es heiß und kalt.

Wie lange musste er noch dieses Spiel mitspielen, von dem er so gerne hätte, dass es Wirklichkeit wäre, von dem er aber ganz genau wusste, dass es nie eintreten würde?

Eine Straße von dem Café entfernt drehte Atemu sich leicht um, um zwischen ihnen beiden hindurch hinter sie zu blicken.

Dann bemerkte Yugi, wie sich Atemus Hand zurückzog.

Atemu ließ sein herzerwärmendes Lachen ertönen. „Du hättest mal ihre Gesichter sehen sollen!“

Es war nur allzu offensichtlich, über wen er lachte. „Die Augen groß wie Teller und die Münder weit aufgerissen!“ Er schüttelte belustigt den Kopf.

Yugi atmete tief ein und sah Atemu nicht mehr an. Er beschleunigte seinen Schritt.

Der Junge musste sich einfach damit abfinden, dass Atemu es tatsächlich nur als Schmierenkomödie betrachtet hatte, dass er vermutlich nichts dabei empfunden hatte, als er ihn berührte.

Ihm stiegen Tränen in die Augen.

„Hey, soll ich dich nach Hause fahren?“ Atemu legte ihm eine Hand auf die Schulter.

Bevor Yugi sich wieder zu ihm umwandte, blinzelte er schnell die Tränen weg.

Er machte gute Miene zum bösen Spiel und brachte sogar ein Lächeln zustande. „Ja, das wäre nett.“

Der Jüngere folgte Atemu und sah sich kurze Zeit später damit konfrontiert, dass Atemu mit dem Motorrad da war. Er schluckte, konnte jetzt aber nicht mehr ausweichen.

Atemu reichte ihm einen zweiten Helm und bedeutete Yugi, sich hinter ihn zu setzen.

Yugi war ja schon im Café flau im Magen gewesen, aber dieses Gefühl war anders, stärker.

Ein Motorrad war ja nicht gerade das sicherste Fortbewegungsmittel.

Er folgte Atemus Auforderung und setzte sich hinter ihn.

Zu seiner Erleichterung war es gar nicht so schlimm, wie er befürchtet hatte, denn es war seine erste Motorradfahrt.

Dennoch klammerte er seine Hände an Atemus Hüften, schmiegte sich an seinen Vordermann.

Denn er wusste, dieser Tag würde einmalig bleiben.

Eine nächste Gelegenheit würde er sicherlich nicht bekommen.

Und er genoss es aus tiefstem Herzen.

Frohe Weihnachten!

kursiv = Gedanken
 


 

10. Frohe Weihnachten!
 

In der großen Aula war es ziemlich laut.

Yugi und seine Freunde waren extra etwas früher gekommen, um sich noch einigermaßen gute Plätze zu sichern, immerhin stand das einzige Mädchen der Clique heute auf der Bühne.

Sie hatten sich auch gleich Karten für die Premiere besorgt.

Yugi und Tristan hatten ja schon ein paar Einblicke in das Theaterstück gehabt, aber allzu aufschlussreich waren die dann doch nicht gewesen, vor allem für Yugi nicht, der nur bei einer Probe dabei gewesen war und sich mehr auf die Kussszene mit Atemu konzentriert hatte.

Auf der Bühne waren schon einige Requisiten vor dem braunen Samtvorhang zu sehen.

Vor der Bühne waren Stuhlreihen aufgestellt worden.

Als Yugi sich zuvor einen Überblick verschafft hatte, hatte er festgestellt, dass er kaum einen der Zuschauer kannte, bis auf einige Lehrer.

Andere 13klässler zogen es wahrscheinlich vor, jetzt schon für die Abiturprüfungen zu lernen.

Während Joey von seinen Küssen mit Mai erzählte und Tristan ihm im Gegenzug von den seinigen mit Téa berichtete, hörte Yugi nur mit halbem Ohr zu und er konnte sehen, dass es Bakura auf der anderen Seite ihrer Viererkette nicht anders ging.

Was interessierte es ihn, ob Mai es lieber hatte, wenn sie Joeys Mundhöhle erkunden durfte, oder umgekehrt? Es war nur etwas seltsam, das Ganze dann auch über Téa zu hören, mit der er ja auch befreundet war.

Unterdessen sah Yugi sich lieber etwas um.

Dennoch bemerkte er erst gar nicht, wie Atemu sich plötzlich auf den leeren Stuhl neben ihm Fallen ließ.

Er hatte sich nämlich gerade zu seinen Freunden hinübergebeugt, die jetzt dazu übergegangen waren, zu diskutieren, ob Duellantinnen besser küssen konnten als andere oder eben nicht.

Natürlich hatte Yugi keinen Vergleich, aber er hörte Bakura interessiert zu, der sich nun in das Gespräch eingeschaltet hatte.

Was Bakura zu sagen hatte, war für Yugi sowieso immer das Interessantere gewesen.

Deshalb zuckte er leicht zusammen, als er etwas an seinem Bein spürte und erst recht, als er sah, wer ihn gestreift hatte.

Doch Atemu hatte die Augen geschlossen, die Beine von sich und unter den Stuhl vor sich gestreckt und sich nach hinten gelehnt.

Yugi machte sich sofort wieder Sorgen. „Haben Sie nicht gut geschlafen? Sie sehen so müde aus!“

Atemu öffnete langsam die Augen und lächelte Yugi dann leicht an. „Nein, habe ich tatsächlich nicht!“

Der Ältere setzte sich wieder aufrecht hin, ohne Yugi dabei aus den Augen zu lassen und fuhr fort: „Ich habe meiner Tante den Gefallen getan und zwei Tage auf ihre Kinder aufgepasst. Die Älteste ist sieben, der Junge ist fünf und das Baby 15 Monate.“ Er seufzte. „Du kannst dir wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie anstrengend so was ist. Die Kleine brauchte dauernd ihr Flächchen, auch nachts und die anderen wollten abends nicht schlafen und sind heute Morgen um sieben wieder auf mir rumgeturnt. Und dann haben sie mir tagsüber auch keine Ruhe gelassen, weil ständig einer von ihnen meine Aufmerksamkeit beansprucht hat. Zum Glück habe ich mich für Gymnasiallehramt entschieden und nicht für die Grundschule. Ich bin froh, dass ich es überhaupt noch rechtzeitig hierher geschafft habe. Ich hatte schon befürchtet, erst anzukommen, wenn das Stück schon angefangen hat.“

Yugi grinste ihn an. „Und Ihre Tante und Ihr Onkel haben sich bestimmt zwei schöne Tage gemacht.“

Atemu zog die Augenbrauen hoch und nickte kräftig. „Oh ja. Aber wenn ich bedenke, dass die beiden jetzt schon sieben Jahre im Dauerstress sind … sie haben sich zwar gegenseitig, aber auf der anderen Seite haben sie es doch sicherlich mal verdient, zwei Tage alleine zu sein, oder?“

Es war zwar offensichtlich, dass er keine Antwort erwartete, aber Yugi tat es trotzdem. „Ja sicher. Aber Babys sind doch süß.“

Atemu stöhnte. „Aber nur solange man weiß, dass man sie bald wieder weggeben kann. Ich habe irgendwann angefangen, die Minuten zu zählen. Die Älteste konnte sich ja noch damit beschäftigen, wieder meinen Terminkalender anzumalen.“

Als Atemu das erwähnte, lief Yugi im Gesicht knallrot an.

Ja, das hatte Yugi schon so einige sorgenvolle Momente beschert. Er konnte sich noch allzu gut an die Blumenranken und Luftballons erinnern.

„Kinder sind schon was besonderes“, murmelte Yugi vor sich hin, konnte Atemu aber nicht mehr ansehen.

Bevor dieser noch etwas erwähnen konnte, ging das Licht in dem Saal aus und der Vorhang schob sich auseinander. Dahinter waren einige Schüler, noch unbeweglich, zu sehen.

Als Téa dann schließlich auf dem improvisierten Drachenfelsen saß und auf ihren Ritter wartete, warf Yugi Atemu einen kurzen Blick zu.

Da Atemu im gleichen Moment den Kopf zu ihm drehte, wandte Yugi sich schnell und mit rotem Gesicht wieder der Handlung zu.
 

**
 

„Wie kommst du denn darauf?“ Yugi sah sein Gegenüber entsetzt an.

„Stell dich nicht so an!“ rief Joey. „Mai hat mich nun mal auf ihre Geburtstagsparty eingeladen. Aber da ich da niemanden außer ihr selbst kenne, hab ich mir gedacht, dass ich dich mitbringe.“

„Ja, aber wie ich dich kenne, wirst du die ganze Zeit mit ihr knutschend in einer Ecke hocken, während ich zusehen kann, wo ich bleibe!“ Der Kleinere funkelte ihn an. „Falls sie sich wirklich mal um die anderen Gäste kümmern sollte, kannst du ja Kontakte mit deinen Sitznachbarn knüpfen. Du weißt doch, dass mir das viel schwerer fällt, wenn sie ständig auf deinem Schoß sitzt und du mich keines Blickes würdigst!“

Da er wütend war, feuerte er die Spielepackung in seiner Hand fester ins Regal, als beabsichtigt.

Joey folgte jedem seiner Schritte durch den Laden, um ihn doch noch zu überzeugen.

„Aber ich habe Mai schon fest zugesagt, dass ich dich mitbringe!“ erklärte er. Der Blonde schien bereit zu sein, wenn nötig den ganzen Tag zu diskutieren.

„Na und? Das ist doch nicht mein Problem!“ Nicht nur, dass Joey bereit war, den Rest des Tages damit zu verbringen, auf ihn einzureden, nein, die andere Hälfte des Tages war er schon dabei.

Er war früh, also was für seine Verhältnisse an einem Samstagmorgen früh bedeutete, gekommen, war dann nach dem Mittagessen wiedergekommen und wartete kurz vor Ladenschluss noch immer auf eine positive Antwort.

„Bitte, Yugi!“ Joey setzte seinen Dackelblick auf.

Es war das erste Mal heute, dass Joey das Wort ‚Bitte’ benutzt hatte und bei diesem Blick war Yugi schon versucht, nachzugeben.

Aber wenn er sich nicht auf einen verdammt langweiligen Abend einlassen wollte, musste er hart bleiben. „Nein!“

„Du bist doch mein bester Freund!“ jammerte Joey.

„Das Eine hat doch nichts mit dem Anderen zu tun! Frag Tristan!“ Yugi stöhnte genervt.

„Das hat sehr wohl was miteinander zu tun! Wenn du mein Freund bist, kommst du mit“, erklärte Joey herausfordernd, alles Gejammer wieder aus seiner Stimme verschwunden.

„Also erpressen lasse ich mich schon mal gar nicht!“ Yugi war mittlerweile, immer mit Joey im Schlepptau, ins Lager gegangen und nahm einen großen Stapel Spiele auf den Arm. „Du würdest mir besser mal helfen, als mir doof hinterher zu dackeln!“

„Wenn du am Freitag mit mir mitkommst!“ Joey setzte ein süffisantes Grinsen auf.

Yugi verdrehte die Augen. „Nein, dann mache ich es lieber alleine!“

„Na komm schon!“ Joey klang wieder flehentlich, nahm Yugi den oberen Teil seines Stapels ab und gemeinsam bugsierten sie die Spiele in den Laden und räumten sie ein.

Joey hatte noch nie wirklich widersprechen können, wenn sein kleiner schmächtiger Freund ihn um Hilfe gebeten hatte. Das gab ihm ein gewisses Maß an Selbstwertgefühl.

Und er half ihm im Grunde auch gerne.

Aber diesmal blieb sein Freund stur. „Nein, nein und nochmals nein! Du kannst ja wohl nicht ernsthaft von mir verlangen, dass ich mich dort fünf Stunden hinhocke und mich langweile!“

„Na, selbst wenn es so wäre, dann könntest du deine Gedanken zu Atemu schweifen lassen!“ grinste Joey.

Yugi starrte Joey an. Das durfte doch nicht wahr sein!

Er kniff die Augen leicht zusammen. „Joey!“ Seine Stimme war messerscharf.

Dieser bemerkte, dass er offenbar zu weit gegangen war und hob beschwichtigend die Hände. „Ist ja schon gut! Aber überleg es dir noch bis Freitag!“

Dann stürmte er aus dem Laden. OK, er hatte nicht wirklich Angst vor seinem Freund, aber dieser konnte ganz schön ungemütlich werden, wenn er wütend war und eine Woche von Yugi ignoriert zu werden war für ihn viel schlimmer, als sich mit Tristan, Bakura und Duke gleichzeitig zu prügeln. Nicht, dass er das schon mal getan hätte, aber Yugis Strafe tat ihm immer wieder weh, da er doch sein bester Freund war, vor allem, wenn es ihm wegen seinem Vater wieder so richtig mies ging.

Da war Yugi sein einziger Trost, seine einzige Stütze und er wusste, dass er in diesen Fällen um jede Zeit bei ihm vorbeikommen konnte.

Yugi sah dem Blonden seufzend nach.

Er wusste, dass er seine Meinung in der einen Woche nicht ändern würde.

Nachdem sein Freund schließlich verschwunden war, schloss er den Laden ab, zehn Minuten später, als auf den Öffnungszeiten angegeben.

Aber weil er wegen Joey sowieso noch länger im Laden geblieben war, hätte es ihm auch nichts ausgemacht, noch einen kurz entschlossenen Kunden zu bedienen.

Vermutlich wäre er sogar über die Ablenkung froh gewesen.

Kurz blieben seine Gedanken tatsächlich an Atemu hängen, bevor er sie abschüttelte, das Licht löschte und geschwind die Stufen zu ihrer Wohnung hoch rannte.
 

**
 

„Und, weißt du jetzt, was du anziehen willst?“ wollte Joey neugierig wissen.

„Nein, keinen blassen Dunst.“ Yugi stand grübelnd vor seinem weit offen stehenden Schrank. „Wie meine Mutter jetzt zu mir sagen würde: Ich habe einen Schrank voll nichts anzuziehen.“

Joey stand von Yugis Drehstuhl auf. „Das kann doch nicht so schwer sein!“

Er steckte seinen blonden Wuschelkopf in den Kleiderschrank. „Um noch einkaufen zu gehen, haben wir definitiv keine Zeit mehr. Aber zum improvisieren. Ich nehme mal an, du willst Atemu beeindrucken?“

Yugi nickte hinter Joeys Rücken, das verstand sich ja von selbst. „Und wie war die Party gestern?“

Joey grummelte. „Mai hat meistens bei den Leuten aus ihrem Tanzkurs gesessen. Ich hätte dich echt gebrauchen können.“ Er zog den Kopf aus dem Schrank und sah Yugi leicht vorwurfsvoll an.

Dieser lächelte dennoch. „So schlimm wird’s ja wohl nicht gewesen sein!“ Dafür kannte er ihn zu gut.

„Naja, eine Freundin von ihr hatte ihren Freund dabei und wir haben uns erst unterhalten und dann beschlossen, uns zu duellieren. Aber so gut war der Typ nicht.“ Joey kniff leicht die Augen zusammen und musterte Yugi von oben bis unten.

„Wenn du eine andere Statur hättest, könnte ich dir ja was leihen“, meinte er schließlich.

Yugi tat es Joey gleich und musterte nun seinen Freund. „Du willst mir doch nicht sagen, dass das was du trägst, was Gescheites ist?“

„Nein, aber ich bin ja auch vergeben, also brauche ich auch nicht aufzufallen!“ Joey zwinkerte ihm zu.

Yugi wurde leicht rot im Gesicht und verdrehte die Augen.

Der Blonde wandte sich wieder den Kleidern im Schrank zu. „Sag mal, wo ist eigentlich das rote Hemd, das du beim Rockkonzert angehabt hast? Das hat dir gut gestanden.“

„Das hab ich in die Untiefen des Schrankes verbannt.“ Yugi trat neben Joey. „Außerdem kann ich schlecht zweimal das Gleiche anziehen.“

Joey nickte verständnisvoll.

„Hey, was ist denn das?“ rief er plötzlich aus und griff in den Schrank.

„Das ist ein rotes T-Shirt“, erklärte Yugi trocken. „Oder vielmehr war es das, meine Mutter hat es aus Versehen mit der schwarzen Wäsche gewaschen.“

„Sieht ja scharf aus!“ Joey schien richtig begeistert. „Das ziehst du normalerweise wahrscheinlich nicht mehr an?“ Er wartete ein Nicken von Yugi ab. „Hast du eine kräftige Schere da?“

Was hatte Joey denn nun vor?

Dennoch kramte er bereitwillig eine große Schere hervor.

Wenn Joey das Shirt verunstalten würde, würde er eben doch was anderes anziehen.

Nachdem er von unten bis zu den Rippen Fransen hinein geschnitten und die Arme ganz abgeschnitten hatte, hielt Joey das Shirt hoch. „Na, wie findest du dein neues Muskelshirt?“

Yugi musterte das Shirt skeptisch. „Sieht arg kalt aus. Wir haben Winter, Joey!“

„Ach, wer schön sein will, muss leiden!“ winkte Joey ab.

„Na schön, nehmen wir mal an, dass ich es anziehe. Was noch dazu?“ fragte Yugi.

„Na deine schwarze Lederhose. Hm …“ Joey überlegte. „Und wenn dir das zu kalt ist … hast du schwarze Armstulpen?“

„Wie sieht denn das aus? Ich will doch nicht als Clown im Zirkus auftreten!“ Yugi sah seinen Freund mit runden Augen an.

„OK, dann nicht. Aber einen schwarzen Glitzergürtel hast du?“ wollte Joey wissen und wühlte wieder im Schrank herum.

„Naja … ja.“ Yugi ging in die Hocke und kramte nach dem Gürtel.

„Hey, da sind doch schwarze Stulpen!“ rief Joey aus und hielt sie Yugi unter die Nase.

„Also ich weiß nicht … sollte man um zu beeindrucken nicht gerade viel Haut zeigen?“ fragte er skeptisch.

„Doch, aber das geht doch weniger die Unterarme an. Du musste nur die erregenden Zonen so bedecken, dass man trotzdem noch was sieht“, erklärte Joey. „Also, wenn du zum Beispiel das Shirt nimmst, das ich gerade geschnitten habe, dann sieht man ja deine Haut noch durch die Fransen, aber dein Körper ist dennoch bedeckt, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Öhm, naja, so ungefähr.“ Yugi stellte sich bewusst doof und grinste dann, als Joey ihn ansah.

„OK. Wie steht’s dann mit Schmuck, Accessoires etc.?“ fuhr Joey fort.

„Hm, ich hab nur das blaue Halsband“, antwortete Yugi.

„Wie? Willst du das etwa schon wieder anziehen?“ Joey schien entsetzt.

„Du weißt genau, weshalb ich es immer trage!“ entgegnete Yugi. „Es ist das Einzige, das ich habe! Das Schwarze … naja, das hab ich nicht mehr …“

„Ist ja schon gut! Aber im Dunkeln sieht man es eh nicht, du kannst doch heute mal ohne gehen.“ Joey war wie immer hartnäckig.

„Aber wenn ER es sieht …!“ jammerte Yugi.

„Wird er schon nicht. Du behauptest doch immer, dass er nichts für dich empfindet, also wird er da schon nicht so genau hinsehen.“ Joey blieb bei seinem Standpunkt.

„Wahrscheinlich hast du Recht und ich sollte überhaupt nicht hingehen.“ Yugi ließ den Kopf hängen.

Joey legte tröstend seine Arme um seinen Kumpel. „So habe ich das nun auch wieder nicht gemeint.“ Seine Stimme klang ganz sanft und er drückte den kleinen Körper an sich.

„Außerdem kommt das gar nicht in die Tüte!“ Jetzt klang er wieder herrisch. „Kneifen gilt nicht!“

Er drückte dem verdutzten Yugi die ausgesuchten Kleider in die Hand. „Los, zieh dich um!“
 


 

Yugi kuschelte sich in den langen Ledermantel und sah an dem Schulgebäude empor.

Bevor sie hierher gekommen waren, waren sie noch bei Tristan vorbeigegangen.

Und sowohl Tristan, als auch Joey und Téa waren der Ansicht gewesen, dass Yugi Tristans schwarzen Ledermantel, der diesem gerade bis zu den Knien ging, bei Yugi aber bis zu den Knöcheln reichte, anziehen und seine eigene Jacke bei Tristan zu Hause deponieren sollte.

Dann hatte Téa ihrer aller Haare noch im Bad mit Glitzerspray eingesprüht.

Trotz des langen Ledermantels fühlte Yugi sich nackt.

Denn er hatte tatsächlich nun kein Halsband um.

Und das war das erste Mal seit 12 Jahren.

Das war kurz nach der Einschulung gewesen.

Obwohl es schon drei Jahre zuvor passiert war.

Deshalb hatte er auch den Kragen des Mantels schützend hochgeschlagen.

Da die Christmas-Party von der Klassenstufe 13 organisiert worden war, brauchten sie keinen Eintritt zu bezahlen. Aber dafür hatten sie Garderobe- oder Getränkeverkaufsdienst.

Die Clique betrat die Vorhalle und Yugi sah sich um.

Kein Atemu in Sicht.

„Hey, wartet mal!“ rief ihnen plötzlich Masayo nach.

Sie war eine der Organisatorinnen und reichte jedem der neu angekommenen 13ern einen roten Aufkleber mit dem jeweiligen Vornamen darauf. Sie sollten für jeden sichtbar und ansprechbar sein.

Yugi hatte den Mantel vorne schon geöffnet und pappte sich das Schild nun links auf die Brust.

Dann folgte er den anderen nach oben zum Musiksaal, der improvisatorisch in eine Garderobe umgewandelt worden war.

Sie legten ihre Mäntel auf den Tischen ab, die nicht als Garderobenständer genutzt wurden und stiegen dann die Treppe wieder hinab und betraten die abgedunkelte Aula.

Yugi ging den anderen nach, weiter in die Halle hinein, in der die Schüler in Grüppchen standen, aber tanzen wollte scheinbar keiner.

An der Decke hingen rote und schwarze Luftballons, die Wände waren mit ebensolchem Papier beklebt.

Zufällig fiel sein Blick auf das DJ-Pult, an dem in Augenhöhe ein giftgrünes Plakat hing, auf dem in großen silbern glitzernden Buchstaben DJ Yami draufstand.

Yugi schluckte und ließ die Augen nach oben wandern.

In dem kleinen gelben Licht, das dem DJ zur Orientierung diente, stand genau er: Atemu.

Er hielt eine CD in den Händen, die Kopfhörer hatte er im Nacken liegen und er studierte eingehend die Trackliste.

Als sich das gerade laufende Lied dem Ende näherte, griff Atemu mit beiden Händen nach etwas, das Yugi nicht sehen konnte, dann ertönte das nächste Lied und der Referendar war damit beschäftigt, die CD zu wechseln.

„DJ Yami?“ Joey hatte es inzwischen auch bemerkt und folgte Yugis Blick.

„Oh“, brachte er schließlich nur heraus.

„Er ist DJ?“ Ungläubigkeit in der Stimme.

„Sieht so aus“, erwiderte Tristan nicht minder erstaunt.

Bakura legte einen Arm um Yugis Schultern. „Dann kannst du dir ja deine Lieblingslieder wünschen.“

Trotz der Dunkelheit konnte die ganze Clique die Röte in Yugis Gesicht sehen.

„Nur nicht so schüchtern“, stimmte nun auch Joey zu und lächelte seinen Kumpel an.

Yugi nickte. „OK, später.“

Erstmal Mut sammeln.
 


 

Yugi biss sich auf die Unterlippe.

Er hatte beobachtet, wie sich schon einige Mädchen bei DJ Yami ein Lied gewünscht hatten.

Doch er wusste nicht, was er sich wünschen sollte.

Eher was schnelles, was gemächliches, etwas weihnachtliches?

Außerdem durfte der Wunsch nicht allzu ungewöhnlich sein, wenn er nicht riskieren wollte, dass Atemu es ablehnte, weil er das Lied nicht kannte oder die entsprechende CD nicht mithatte.

Hinzu kam noch, dass er sich vor Atemu nicht blamieren wollte, indem er sich ein unmögliches Lied wünschte.

Vielleicht sollte er es mit ‚Last Christmas’ versuchen? Das Lied ging ihm zwar meistens nach einiger Zeit auf den Keks, da es in allen Geschäften und auf den Radiostationen in der Adventszeit rauf und runter gespielt wurde und morgen war ja immerhin schon der 3. Advent. Aber hier war es noch nicht gelaufen.

Zögerlich ging er auf das DJ-Pult zu.

Wie sollte er denn auf sich aufmerksam machen?

Er stellte sich hinter Atemu und griff nach seinem Hosenbein, um daran zu zupfen.

Wenn er seinen Finger in Atemus Bein bohren sollte, käme er sich etwas komisch vor.

Doch tatsächlich reagierte Atemu relativ schnell auf die zaghafte Berührung.

Er ging in die Hocke und sah Yugi von oben herab fragend an.

„Könnten Sie vielleicht Merry Christmas everyone von Shakin’ Stevens spielen?“ schrie Yugi gegen die Musik an.

Doch genau in dem Moment hatte irgendjemand die glorreiche Idee, die Nebelmaschine anzuwerfen und Yugis Wunsch ging in einem lauten Zischen unter.

Herr Yamito schüttelte bedauernd den Kopf. „Tut mir Leid, ich hab dich nicht verstanden!“ schrie er zurück.

Mit halbem Ohr hatte er mitbekommen, dass das Lied gleich zu Ende sein würde und es zu lange dauern würde, Yugi wiederholen zu lassen, also hielt er Yugi die Hand hin.

Ohne nachzudenken griff der Junge danach und ließ sich von Atemu auf das Podest ziehen.

Kaum stand er oben, bediente Atemu irgendwelche Regler auf seinem Schaltpult und das nächste Lied erklang.

Als das erledigt war, zeigte Atemu auf die vielen CDs, die über die ganzen Tische verteilt waren.

„Such dir ein paar Lieder aus!“ schrie er dem Schüler zu und widmete sich selbst ein paar CDs zu.

Yugi überblickte die vielen CD-Cover.

Viele kannte er gar nicht, aber bei den ihm bekannten kamen ihm so viele gute Lieder in den Kopf, dass er auch so nicht wusste, wo er anfangen sollte.

Also griff er sich als erstes die Rock Christmas – Best of, um Atemu doch noch das Lied zu zeigen, das er sich ursprünglich gewünscht hatte.

Herr Yamito nickte und warf auch gleich als Nächstes besagte CD ins Laufwerk, um Yugis Lied zu spielen.
 


 

Nach etwas mehr als einer Stunde, in der sie zusammen die Musik ausgesucht hatten und Herr Yamito Yugi erklärt hatte, wie alle Geräte zu bedienen waren, sprang plötzlich Yugis Mitschüler Yuen auf das Podest.

Sie hatten sich fast stumm verstanden, denn wenn sie sich die ganze Zeit angeschrieen hätten, wären sie schon längst heiser.

„Sie können jetzt Pause machen!“ schrie Yuen Herrn Yamito zu und dieser nickte.

Auch Yugi wandte sich um, stand dann aber vor einem kleinen Problem.

Er hatte es noch nie sonderlich mit solchen Höhen, seien es Mauern oder Bühnen, gehabt und er fragte sich augenblicklich, wie er das Podest elegant verlassen könnte, ohne umzuknicken.

Sein vor einem halben Jahr erst operierter Knöchel bereitete ihm da auch Sorgen, er war sich nicht so sicher, ob dieser noch so stabil war, wie vor der OP.

Der Junge richtete den Blick etwas betröppelt auf den entfernten Boden.

Er wusste auch nicht so ganz genau, wie er es überhaupt hier hoch geschafft hatte, aber hoch zu kommen war für ihn einfacher, als wieder runter.

Doch er könnte sich auch einfach hinsetzen und hinunter gleiten lassen.

Aus dem Augenwinkel konnte er erkennen, wie Atemu behände von dem Podest sprang, doch Yugi war noch nie eine Sportskanone gewesen.

Plötzlich stand Atemu genau unter ihm und hielt ihm beide Arme entgegen.

Wollte er ihn etwa wie ein Kleinkind auffangen?

Yugi spürte ein leichtes Kribbeln auf den Wangen, aber was blieb ihm anderes übrig?

Und er vertraute Atemu sowieso.

Also ließ er sich nach anfänglichem Zögern einfach fallen und kurz darauf spürte er Atemus Hände unterhalb der Achseln und wie er ihn mit seinen starken Armen auffing.

Dann setzte Atemu ihn gleich neben sich auf dem Boden ab.

„Danke“, murmelte Yugi leise, so dass Atemu wohl Lippen lesen musste und er wandte sich verlegen ab.

Hoffentlich konnte man die Röte seiner Wangen in der Dunkelheit nicht so gut sehen.

Atemu tippte Yugi mit dem Zeigefinger an und als dieser ihn anblickte, deutete er mit dem Kopf auf die Vorhalle und sah ihn fragend an.

Yugi nickte und folgte ihm. Draußen war die Musik nicht mehr ganz so laut und man konnte sich sogar unterhalten.

„Sie sind DJ?“ fragte er unvermittelt.

„Mehr oder weniger“, lächelte der Referendar. „Als Student habe ich mir so etwas Geld dazuverdient.“

„Werden Sie denn hier auch bezahlt?“ stellte Yugi die nächste Frage.

Herr Yamito sah ihn erstaunt blinzelnd an. „Nein, ihr braucht das Geld doch!“ erklärte er.

Yugi nickte. „Und wer hat den Namen ausgesucht? Ich meine, ‚DJ Yami’.“

„Naja, erstmal natürlich von meinem Familiennamen. Außerdem passt das Pseudonym ‚Finsternis’ doch ganz gut zu einem DJ. DJs haben ja alle Künstlernamen“, erläuterte Atemu bereitwillig.

„Gibt es auch etwas, das Sie nicht können?“ kam es Yugi über die Lippen, ohne dass er es verhindern konnte.

Dann biss er sich auf eben jene. Wie hatte er auch ausgerechnet sowas fragen können?

Doch Atemu lachte, als er ihm einen Seitenblick zuwarf. „Wie ich dir schon sagte: Naturwissenschaften und Mathematik liegen mir gar nicht. Außerdem kann ich weder zeichnen, noch habe ich je ein Instrument gespielt.“

Erst jetzt fiel Yugi auf, dass Atemu die Treppe zu den Toiletten ansteuerte.

Er und Atemu nebeneinander vor dem Pissoir?

Nein, da würde er es sich lieber noch etwas verkneifen, schließlich war er nicht an die Arbeits- und Pausenzeiten des DJs gebunden.

Yugi ließ Herrn Yamito einfach durchgehen und blieb selbst im Vorraum mit den Waschbecken und Spiegeln stehen. Da die Tür zum nächsten Raum offen stand, versuchte Yugi krampfhaft, nicht doch noch zu Atemu zu schielen.

Stattdessen betrachtete er sich im Spiegel.

Oh weh, hier war es deutlich zu sehen und Yugi klatschte die Hand drauf.

Er wünschte sich ein Halsband herbei, erst recht, als Atemu nun wieder neben ihm stand und sich die Hände wusch.

Der Junge traute sich gar nicht, die Hand von der Stelle an seinem Hals zu nehmen.

„Ich habe übrigens noch was für dich“, meinte Atemu plötzlich, nachdem er sich die Hände abgetrocknet hatte und griff in die Hosentasche seiner pechschwarzen Jeans.

Heraus zog er Yugis schwarzes Lederhalsband. Er band es ihm um, legte dann seine Hände auf Yugis Schultern und lächelte ihn im Spiegel an.

Ungläubig sah Yugi im Spiegel, wie Atemu hinter ihm stand und er tastete nach dem kleinen Anhänger.

„Eigentlich wollte ich es dir schon früher zurückgeben, aber es hat sich keine Gelegenheit ergeben.“ Atemu zuckte entschuldigend mit den Schultern, bevor er seine Hände von Yugi nahm.

„Wie … wo …?“ stammelte Yugi. Er wusste gar nicht, was er als erstes fragen sollte.

Atemu lächelte weiterhin. „Ich hab dich doch damals mit dem Motorrad gesucht und das hier hab ich im Park gefunden. In einer ziemlich dicken Pfütze.“

Erst jetzt bemerkte Yugi, dass das schwarze Lederband so sauber war, als wäre es neu.

„Ich hatte vorher gesehen, dass du es trägst und war erstaunt, es in diesem Dreckwasser zu finden. Ich habe es aufgehoben und zu Hause sauber gemacht“, fuhr er fort.

Yugi lächelte ihn dankbar an. „Danke!“

Atemu nickte. „Gehen wir wieder hoch? Ich würde gerne noch etwas trinken, bevor ich wieder ans Pult muss.“

Yugi folgte Atemu gedankenverloren.

Als sie wieder in der Vorhalle waren, nahm Yugi sich ebenso wie Atemu ein Glas Bowle.

„Ich dachte, du magst kein Alkohol?“ Atemu sah den Jüngeren amüsiert an.

Dieser zuckte nur mit den Schultern. „Irgendwann muss ich mich ja mal abhärten.“
 


 

„Na, wie war’s?“ erkundigte Joey sich neugierig.

Yugi sah in die Gesichter seiner Freunde und bemerkte ihr ehrliches Interesse.

„Super!“ Er lächelte verhalten.

Der Junge lauschte der Musik und kam nicht umhin, festzustellen, dass Atemu auch die Musik spielte, die er noch vor der Pause vorgeschlagen hatte.

„Ich wünsche dir jedenfalls, dass das zwischen euch mal was wird!“ meinte Téa.

„Einen Anfang habt ihr ja schon gemacht“, stimmte Bakura zu. „Ihr habt ja sogar ‚Engelchen flieg’ gespielt!“

Yugi wurde wieder hochrot im Gesicht.

War ja klar, dass seine Freunde sehen mussten, wie Atemu ihm von dem Podest runter geholfen hat.

„Das wird schon!“ Joey tätschelte ihm aufmunternd die Schulter.

„Jetzt müssen wir eigentlich nur noch Ryou-chan verkuppeln.“ Tristan legte den Kopf schief und warf dem Weißhaarigen einen Blick zu.

„Danke, aber ich kann für mich selbst sorgen!“ grinste Bakura und ließ sein langes Haar durch eine Hand gleiten.

„Bist du dir da so sicher?“ hakte Joey ebenfalls grinsend nach.

„’türlich!“ erklärte Bakura selbstsicher. „Ich will einen Partner, der älter ist als ich und die aus unserer Stufe kommen alle nicht in Frage. Also muss ich mich wohl an einen Lehrer ranmachen, der Referendar ist ja schon vergeben.“

Er zwinkerte Yugi zu und auch dieser musste bei dem Geplänkel seiner Freunde leicht grinsen.
 


 

„Yugi? Yugi!“ Er spürte eine Hand auf seiner Schulter, die ihn sanft rüttelte.

Blinzelnd öffnete der Angesprochene die Augen. War er etwa eingeschlafen?

Yugi sah in die freundlichen Augen des Referendars, die in die seinigen blickten und sofort war Yugi hellwach.

Verschlafen rieb er sich die Augen. „Was ist denn los?“

Er hatte noch gar nicht registriert, wo er war.

Atemu lächelte. „Du bist fast der einzige Schüler, der noch da ist.“

„Was?“ Erschrocken sah er sich um und langsam dämmerte es ihm.

Nachdem er und seine Freunde ihren Dienst geschoben hatten, waren sie hinunter in die Umkleiden gegangen, da man sich dort sowohl unterhalten, als auch sitzen konnte.

Dabei musste er eingeschlafen sein und da sie ihn nicht wecken wollten, waren seine Freunde ohne ihn zurück in die Aula gegangen.

Yugi setzte sich ruckartig auf und stellte fest, dass Atemu sich ebenfalls auf die Bank gesetzt hatte.

„Nicht so schnell, sonst wird dir schwarz vor Augen“, warnte Atemu.

Doch dafür war es zu spät, Yugis Sichtfeld verkleinerte sich und er sah winzige Sternchen.

Er fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht.

„Geht’s wieder?“ Atemu stand auf und hielt ihm die Hand hin, um ihm aufzuhelfen.

Aber diesmal griff der Jüngere nicht danach, sondern stand selbstständig auf.

Dann gingen sie gemeinsam wieder hoch, wo Joey gerade dabei war, die Vorhalle auszufegen.

„Ich nehme ihn mit“, erklärte Atemu knapp, woraufhin Joey nickte.

Yugi ließ den Blick zwischen den beiden hin und her schweifen.

Was war denn das, eine Art Geheimcode?

Er nahm Tristans Mantel, den Joey über einen Stuhl gelegt hatte und folgte Atemu in die Nacht.

Dieser schloss sein Cabrio auf und beide stiegen ein.
 


 

Yugi hatte sich abermals tief in den Mantel gekuschelt, sich zurückgelehnt und die Augen dösig geschlossen.

Als er kurz die Augen öffnete, musste er sich erst orientieren.

Sie waren auf der Autobahn, aber zwischen der Schule und seinem zu Hause gab es keine Autobahn.

Sofort war wieder wacher. „Wohin fahren Sie?“

„Zu mir nach Hause.“ Atemu warf ihm einen Seitenblick zu.

„Oder möchtest du lieber nach Hause?“ Er bog gleich auf die Bremsspur der nächsten Ausfahrt.

„Nein!“ rief Yugi aus, ohne überhaupt nachzudenken.

Als er Atemus Blick auf sich spürte, wurde ihm klar, dass er wohl eine Erklärung abgeben sollte.

„Ich meine, von hier aus ist es doch zu Ihrer Wohnung näher, als zu uns“, meinte er schließlich.

Atemu wechselte wieder auf die Autobahn und Yugi wandte sich ab und blickte nach draußen, sah zu, wie die Bäume und Häuser an ihm vorbei flogen.

Er fragte sich, weshalb Atemu ihn mit zu sich nehmen wollte.

Vorhin war er fast am Einschlafen gewesen, aber das konnte er jetzt vergessen.

Zu stark war das Kribbeln in seinem Bauch, das Prickeln auf seiner Haut.

Wahrscheinlich war er zu erwartungsvoll, das wusste er, aber ihm fiel kein plausibler Grund ein, weshalb der Referendar ihn mit nach Hause nahm.

Schließlich sah er wieder an dem Mietshaus empor, das er zuletzt an dem Tag gesehen hatte, als er Atemu den Taschenkalender zurückgegeben hatte.
 


 

„Wenn du willst, kannst du noch duschen gehen“, meinte Atemu zu Yugi und verschwand in dem einzigen Raum, den Yugi nicht kannte und worin er das Schlafzimmer vermutete.

Er folgte dem Älteren, blieb aber im Türrahmen stehen. „Nein, dann werde ich endgültig wach.“

Daraufhin lachte Atemu und verschwand fast ganz im Schrank, als er etwas suchte.

Er hielt eine dunkel blaue Hose, die vielleicht bis zu den Knien reichen würde, hoch und reichte sie Yugi. „Die könnte dir passen.“

Dann besah er sich eingehend die restlichen Schlafanzüge in seinem Schrank.

Atemu griff hinein und warf Yugi schließlich ein hellblaues Shirt zu. „Das ist mir zu eng.“

Yugi hielt das Shirt von sich und besah es sich genau.

Seine Phantasie gehorchte ihm nicht mehr und er stellte sich Atemu darin vor und wie sich seine Muskeln unter dem Stoff abzeichneten.

Als der Größere ihn ansah, schüttelte er leicht den Kopf, um diese Bilder zu vertreiben.

„Du weißt ja, wo das Bad ist?“ erkundigte Atemu sich und Yugi nickte.

Nach kurzer Zeit verließ Yugi das Bad wieder, stellte aber fest, dass der Flur ganz dunkel war.

Er orientierte sich an dem Licht, das unter der Wohnzimmertür hindurchsickerte und öffnete diese schließlich.

Atemu war gerade damit fertig, die Couch in ein gemütliches Bett umzuwandeln.

„So, alles erledigt“, erklärte Atemu, indem er sich zu dem Schüler umdrehte. „Wenn was ist, du weißt, wo sich alles befindet. Küche, Bad … ich bin im Schlafzimmer. Willst du vorher noch was trinken?“

Doch Yugi schüttelte nur den Kopf und mit einem Lächeln war Atemu auch schon verschwunden.

Yugi seufzte und legte sich auf die Couch.

Er hatte sich das Ganze jetzt anders vorgestellt und zog sich nun die Decke bis zum Hals.
 


 

Als Yugi am nächsten Morgen aufwachte, musste er sich erst kurz orientieren, doch dann fiel ihm wieder ein, wo er sich befand und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

Dennoch kuschelte er sich in die Decke, hatte einfach keine Lust, aufzustehen.

Doch nach einiger Zeit bemerkte er, dass es sinnlos war, zu versuchen, wieder einzuschlafen, mit dem Wissen, dass Atemu ganz in seiner Nähe war.

Schließlich setzte er sich doch noch seufzend auf und streckte sich erst noch genüsslich.

Wie spät es wohl war?

Atemu war sicherlich schon wach, von ihrem Urlaub wusste er ja noch, dass der Ältere ein Frühaufsteher war.

Yugi stand auf, zog den Rollladen hoch und öffnete das Fenster.

Begeistert atmete er die frische kalte Wintermorgenluft ein.

Leise verließ er das Wohnzimmer und betrat die Küche.

Dort saß Atemu am Küchentisch und las eine Sonntagszeitung.

Als Yugi eintrat, legte er diese beiseite und lächelte den Schüler an. „Guten Morgen.“

„Hallo“, grüßte Yugi ebenfalls und erwiderte das Lächeln.

„Hast du gut geschlafen?“ erkundigte Atemu sich.

„Wie ein Pharao“, lächelte Yugi.

Während er sich an den gedeckten Tisch setzte, direkt neben der Tür und Atemu gegenüber, ließ er seinen Blick schweifen.

Bei dem Korb voller Brötchen blieb er hängen.

Sie sahen sehr frisch aus und Yugi fragte sich unvermittelt, woher der Referendar diese Sonntagmorgens herhatte, zumal er noch im Schalfanzug war.

Ja – im Winter trug Atemu einen Schlafanzug. Was sehr schade war, denn Yugi hätte viel lieber seine nackte Brust betrachtet.

Unwillkürlich wurde er leicht rosa im Gesicht, zumal er feststellte, dass sein Blick nun dennoch an Atemus – bedeckter - Brust hängen geblieben war.

Schnell wandte er sich wieder dem Frühstück zu.

Hastig griff er nach einem der Brötchen und begann, Butter und Marmelade darauf zu streichen.

Atemu stand auf. „Was möchtest du trinken?“

„Pfefferminztee, wenn’s geht.“ Yugis Stimme war sehr dünn und er hoffte, der Ältere würde es auf seine Müdigkeit schieben, aber in Wirklichkeit war Yugi manchmal bei seinen eigenen Gedanken mulmig.

„Natürlich.“ Atemu drehte sich um, ging zum Herd, um dort Wasser aufzustellen und kramte dann im Schrank darüber nach einem Teebeutel.

Während er wartete, dass das Wasser heiß wurde, setzte er sich wieder auf seinen Platz, ergriff mit beiden Händen seine Kaffeetasse, nahm einen tiefen Schluck daraus und betrachtete Yugi eingehend.

Dieser kam sich sehr beobachtet vor, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen.

Wieso frühstückte Atemu nicht ebenfalls, oder war Yugi schon so spät, dass der Andere schon fertig war?

Wie spät war es denn nun?

Yugi warf einen Blick auf die Mikrowellenuhr. 10:30 Uhr.

Doch genau in dem Moment griff auch Atemu nach einem Brötchen

Er stand auf und sah nach dem Wasser. „Dieses rote Notizbuch.“

Yugis Kopf flog hoch und er starrte Atemus Rücken an.

„Die Gedichte waren doch Liebesgedichte, an jemand bestimmtes gerichtet. Hast du ihr deine Liebe denn mittlerweile gestanden?“ erkundigte Atemu sich leise.

„Nein …“, antwortete Yugi wahrheitsgemäß und ebenso leise.

Wieso fragte der Ältere das so nebenbei?

Das tat Yugi irgendwie im Herzen weh.

„Ich …“ Es war ja klar, dass Atemu von ‚ihr’ sprach.

Immerhin hatte Yugi ihm vor gerade mal einer Woche von Kindern vorgeschwärmt.

Er musste ja annehmen, dass Yugi auch selbst welche wollte.

„… liebe …“ Also hatte er den Schluss gezogen, dass Yugi heterosexuell war.

Obwohl ja für ihn noch die Möglichkeit einer Adoption bestand.

„… dich!“ Vielleicht würde er tatsächlich später mit seinem Liebsten Kinder adoptieren.

Und er betete, dass Atemu sein Liebster sein würde.

Aber noch war es nicht soweit.

Noch …

Er hielt inne.

Hatte er gerade wirklich das gesagt, was er glaubte, gesagt zu haben?

Er war etwas in Gedanken gewesen, doch als er nun den Blick von der Tischplatte wieder auf Atemu richtete und dessen Bewegungen wie eingefroren schienen und er sich nicht mehr um das kochende Wasser kümmerte, wusste Yugi, dass er es wirklich gesagt hatte.

Vor Schreck sprang er auf.

Er konnte gar nicht glauben, dass er es gesagt hatte.

Der Junge hatte ihm nie seine Liebe gestehen wollen und schon gar nicht so.

So nebenbei, ohne, dass er es selbst richtig mitbekommen hatte.

Der Jüngere hatte es sich anders vorgestellt.

Romantischer.

Wenn überhaupt.

Yugi sah zu, wie der Andere sich langsam, wie in Zeitlupentempo, zu ihm umdrehte.

„Nein, dreh’ dich nicht um!“ schrie Yugi ihm in Gedanken zu.

Er wollte nicht die Antwort in seinem Gesicht erblicken, wollte nicht die Ablehnung in den sonst so schönen violetten Augen sehen, Augen, die auch so kalt und finster sein konnten.

Als Atemu ihn schließlich anblickte, hielt Yugi dem Blick keine zwei Sekunden stand.

Er wandte sich ab, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und seine Beine setzten sich in Bewegung.

Toll, Yugi, kommt jetzt wieder dein Weglauf-Gen durch?

Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass sich, kaum, dass er die Hälfte des Flures erreicht hatte, zwei Arme um ihn legen würden und er an den Körper hinter sich gezogen werden würde.

„Yugi …“, flüsterte Atemu ihm ins Ohr und diesem lief ein Schauder über den Rücken.

Atemu presste den Körper noch enger an sich, das Herz des Jüngeren raste, bevor er noch immer ganz leise fort fuhr: „Mir geht es doch genauso …“

Yugi fühlte sich wie betäubt und ein Kribbeln begann, von seinem Körper Besitz zu ergreifen.

„Aber wir dürfen das nicht … ich darf das nicht … ich bin doch dein Lehrer … noch …“ Genauso schnell, wie sie aufgetaucht waren, verschwanden die Arme um Yugi herum und er hörte Schritte, die sich von ihm entfernten.

Yugi stand reglos noch genau dort, wo Atemu ihn stehen gelassen hatte.

Erst langsam sickerte die Erkenntnis in sein Bewusstsein.

Atemu erwiderte seine Gefühle!

Ein starkes Glücksgefühl durchströmte ihn.

Aber er durfte nicht mit ihm zusammen sein, eine Schüler-Lehrer-Beziehung war tabu.

Er drehte sich um und warf einen Blick in die Küche.

Atemu saß wieder am Tisch, die Ellbogen darauf abgestützt und die Hände vors Gesicht geschlagen. Er war etwas zusammengesackt.

Dennoch, Yugi konnte nicht einfach so tun, als sei nichts gewesen.

Leise ging er ins Wohnzimmer, zog seine Klamotten vom Vortag wieder an, legte den geliehenen Schlafanzug sorgfältig zusammen und deponierte ihn auf dem Fußende der Couch.

Er warf sich Tristans Mantel über und ging zur Küche zurück.

Atemu verdeckte mittlerweile nur noch seinen Mund mit den Händen und starrte gedankenverloren zur Seite und aus dem Fenster hinaus.

„Ich gehe jetzt“, erklärte Yugi leise.

Er musste erst nachdenken.

Musste herausfinden, was das zuvor gesagte für ihn bedeutete.

Atemu nickte kurz, wandte den Blick aber nicht vom Fenster ab.

Der Junge verließ die Wohnung.

Vielleicht hatte er doch insgeheim gehofft, dass der Ältere ihn aufhalten würde, dass er ihm sagen würde, dass sie das schon schaffen würden, dass sie nur zueinander stehen müssten.

Doch nichts dergleichen geschah.

... und ein gutes neues Jahr!

Hi Ihr!^^
 

Vielen lieben DANK für knapp über 100 Kommentare!

*alle umknuddel*
 


 

11. … und ein gutes neues Jahr!
 

„Was ist denn los, Yugi?“ wollte Joey energisch wissen. „Atemu und du, ihr geht euch jetzt schon die ganze Woche aus dem Weg!“

Yugi nickte. Natürlich wusste er, dass seine Freunde etwas bemerkt hatten.

„Und ihr leidet beide. Jedes Mal, wenn Atemu dich sieht, wird sein Gesichtsausdruck traurig. Natürlich versucht er, es zu verbergen, aber Augen lügen nicht!“ fuhr er fort.

Yugi seufzte. Er musste es endlich seinen Freunden sagen.

Es war ja nicht nur Joey, der ihn fragend ansah.

„Wir haben uns unsere Liebe gestanden.“ So nun war es raus.

Ein Lächeln huschte über Joeys Gesicht, aber keiner seiner Freunde sagte etwas.

Sie wussten, dass noch etwas nachfolgen musste, sonst würden die beiden sich nicht so verhalten.

„Er meinte, dass wir nicht zusammen sein können, weil er mein Lehrer ist. Ihm ist sein Beruf wohl wichtiger, als seine Liebe zu mir“, erklärte Yugi.

„Ach Yugi …“, begann Téa.

„Ich weiß, ich sollte das akzeptieren“, unterbrach der Junge sie. „Zumal er so eine Andeutung gemacht hat, dass nach dem Abi vielleicht was aus uns werden könnte. Natürlich wird es mir schwer fallen, so lange zu warten, aber bleibt mir denn eine andere Wahl?“

„Ich denke, ihr solltet trotzdem mal miteinander reden“, meinte Téa schließlich. „Oder willst du das alles mit ins neue Jahr schleppen? Außerdem könnt ihr euch nicht ewig aus dem Weg gehen.“

Yugi nickte. Sie hatte ja Recht. „Ich werde morgen mit ihm reden.“
 

**
 

Yugi stand vor dem Lehrerzimmer und klopfte an.

Eine junge Lehrerin öffnete und sah Yugi fragend an.

„Kann ich Herrn Yamito sprechen?“ erkundigte Yugi sich hoffnungsvoll.

Er war nervös und hibbelig, trat von einem Bein auf das andere und konnte es nicht erwarten, Atemu gegenüber zu stehen.

„Tut mir Leid, der ist gar nicht da“, informierte ihn die Lehrerin. „Da die 13er heute ihre Zeugnisse bekommen, hat er frei, da er nur die fünfte Stunde unterrichtet.“

Sie legte den Kopf schief. „Wenn ich mich richtig erinnere, fliegt er heute in Urlaub, nach Europa.“

„D-danke“, stammelte Yugi geistesgegenwärtig.

Yugi wurde gleichzeitig heiß und kalt und er hatte das Gefühl, dass sein Herzschlag aussetzte, dass ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.

Atemu war gar nicht da, noch schlimmer, er würde die nächsten Wochen auch nicht da sein.

Schnell sprintete er die Treppen hinunter, an die Haltestelle.

Wieso hatte Atemu ihm nichts gesagt?

Sein Herz tat wieder einmal weh.

Er stieg in den Bus ein, setzte sich auf einen der vorderen Plätze und lehnte seinen Kopf an die kalte Fensterscheibe.

Der Junge schloss die Augen und ließ die letzte Woche immer wieder vor seinem Auge Revue passieren.

Die ganze Zeit war er Atemu aus dem Weg gegangen und er hatte angenommen, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte, aber je mehr Yugi sich an Details, die ihm gar nicht sofort aufgefallen waren, erinnerte, desto mehr fiel ihm auf, dass dem nicht so war.

Wenn er sich jetzt an einige Gesichtsausdrücke und Gesten erinnerte, dann schien es, als hätte Atemu versucht, mit ihm zu reden, aber er hatte abgeblockt.

Durch diese Erkenntnis fühlte er sich nun ganz elend.

Er sackte in seinem Sitz zusammen und hätte am liebsten losgeheult.

Atemu hatte versucht, mit ihm zu reden und er hatte es nicht mitbekommen.

Hatte vor lauter Selbstmitleid gedacht, dass auch Atemu ihm aus dem Weg gehen würde.

Aber Atemu war nicht so.

Natürlich nicht.

Yugi schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und musste die Tränen hart unterdrücken, schließlich wollte er nicht vor all den Leuten hier im Bus anfangen zu flennen.

Und jetzt saß Atemu im Flieger nach Europa.

Würde an Weihnachten, dem Fest der Liebe, also ganz weit weg sein.
 

**
 

Joey sprang Yugi von hinten an und schlang seine Arme um seinen Freund. „Na, Alter, wie geht’s?“

Als dieser sich umdrehte, zuckte Joey zurück. „Mensch, was ist denn los, du siehst aus, wie ein Gespenst!“

Yugi war kreideweiß im Gesicht, hatte dicke schwarze Ringe unter den Augen und schien noch schmaler zu sein, als sonst.

Joey musterte ihn besorgt.

Doch der Kleinere winkte ab. „Hab in den letzten Nächten fast nicht geschlafen.“

Noch standen sie am Rand des Weihnachtsmarktes und warteten auf die Anderen.

Der Duft von Glühwein und Zimtplätzchen lag in der Luft.

„Hat es was mit Atemu zu tun?“ hakte Joey nach.

Er wollte sich nicht abwimmeln lassen. „Mit eurem Gespräch?“

„Naja …“, druckste Yugi herum, wusste aber, dass Joey nicht nachgeben würde, bis er ihm die Wahrheit gesagt hatte.

„Das Gespräch hat gar nicht stattgefunden“, erklärte er schließlich und sah auf den Boden.

Deutlich konnte er Joeys abwartende Blicke auf sich spüren.

„Er hält freitags wohl nur eine Stunde. Und da wir unsere Zeugnisse an dem Tag bekommen haben, hatten wir ja nur drei Stunden und er somit frei“, erzählte Yugi.

„Und dann hat mir die Lehrerin am Lehrerzimmer auch noch gesagt, dass er schon im Flieger nach Europa sitzen würde. Da man nicht mal eben nach Europa fliegt, gehe ich davon aus, dass der Aufenthalt länger dauert. Was heißt, dass ich die nächsten Wochen nicht mit ihm reden kann. Dabei hätte es mir so viel bedeutet, mich im alten Jahr noch mit ihm auszusöhnen.“ Yugi seufzte und sah sich seine Handschuhe an.

„Ich musste die ganze Zeit an ihn denken und zu allem Unglück hab ich auch noch festgestellt, dass ich gar nicht bemerkt habe, dass er wohl in der letzten Schulwoche mit mir reden wollte“, fuhr er ohne Unterbrechung fort.

„Er ist mir gar nicht aus dem Weg gegangen. Ich habe seine Andeutungen einfach nicht sehen wollen.“ Yugi schniefte und wischte sich über sein eiskaltes Gesicht.

„Ich hatte ebenfalls den Eindruck, dass er dir aus dem Weg geht. Aber durch euren gemeinsamen Unterricht seht ihr euch natürlich häufiger. Vielleicht hast du tatsächlich Recht.“ Joey musterte seinen Freund, wusste in dem Moment aber nicht genau, wie er ihn trösten sollte.

„Dir würde jetzt jedenfalls eine Tasse Glühwein gut tun. Dann bekommst du wenigstens etwas Farbe ins Gesicht. Die anderen müssen ja nicht gleich sehen, wie mies es dir geht. Ich denke, vorläufig ist es besser, wenn nur ich es weiß“, erklärte er schließlich und zog Yugi mit zum nächsten Glühweinstand.

„Ich spendier dir auch einen.“ Joey bestellte zwei Tassen des Getränks und gemeinsam stellten sie sich an einen der Stehtische, behielten ihren Treffpunkt aber im Auge, um die anderen nicht zu verpassen.

„Willst du ihm eigentlich ein Geschenk kaufen?“ erkundigte Joey sich nach einer Weile des Schweigens.

Yugi sah ihn aus glasigen Augen und mit geröteten Wangen an. Er hatte seinen Wein eindeutig zu schnell getrunken, dafür, dass er gerade erst dabei war, den Umgang mit Alkohol zu lernen. „Nein, wozu denn?“

Ihm fiel wieder ein, wie er damals zu Atemu gesagt hatte, dass er ihm ein Nudelsieb schenken wolle.

Augenblicklich fühlte er sich wieder elend.

Er schniefte und konnte es nicht verhindern, dass dicke Tränen über sein Gesicht kullerten.

Wieso war er auch so dumm gewesen, in Selbstmitleid zu versinken und selbst Atemu, den ihm liebsten Menschen, aus seiner Wahrnehmung auszublenden?

Atemu hatte ihm sicher etwas Wichtiges mitteilen wollen.

Und wenn Joey Recht hatte und Atemu selbst auch sehr traurig über die Situation gewesen war, dann hatte es sicherlich mit ihren Gefühlen zueinander zu tun.

Yugi wollte sich am Liebsten selber ohrfeigen oder mit dem Kopf hart gegen die nächste Wand laufen, um sich selbst zu bestrafen.

Doch andererseits hatte er schon genug Schmerzen – seelische Schmerzen.

Atemu hätte ihn genauso an eine Wand festnageln sollen, wie er es nach dem Rockkonzert getan hatte.

Doch er hatte es nicht getan.

Und die Zeit zurückdrehen konnte Yugi eh nicht.

Joey stand nur hilflos daneben und musste zusehen. Er reichte seinem Freund ein Taschentuch.

„Vielleicht solltest du es einfach tun. Wenn du nach einem Geschenk für ihn suchst, dann hast du wenigstens etwas positives, dass du mit ihm verbinden kannst“, meinte er schließlich.

„Außerdem: hast du nicht gerade was von Selbstmitleid gesagt? Du versinkst noch immer darin, immer tiefer“, erklärte er.

Yugi sah Joey wieder an.

Hatte er das mit dem Selbstmitleid etwa laut gesagt?

Daran konnte er sich nicht erinnern, der Alkohol und das Elend vernebelten ihm das Hirn.

Aber wenn Joey das sagte, dann war es wohl so.

Der Junge seufzte, denn er wusste, dass sein Freund Recht hatte.

Er versank in Selbstmitleid, und es stand ihm schon bis zum Hals.

„Dann zieh mich bitte raus“, bat er den Blonden.

Joey starrte ihn eine Weile an. „Naja, Atemu wollte mit dir reden und war eindeutig traurig, dass du abgeblockt hast. Also würde ich davon ausgehen, dass er dir etwas Positives zu eurer Beziehung sagen wollte und er sich nicht von dir entfernen wird, sonst hätte ihn das Ganze kalt gelassen oder er hätte es dir irgendwann nebenbei reingewürgt. Und da er offenbar nur Andeutungen gemacht hat, als wir nicht dabei waren, hatte er wohl ein längeres Gespräch mit dir alleine anvisiert.“

„Aber wie stellst du dir die Geschenkübergabe vor? Soll ich es ihm einfach nach dem Unterricht unter die Nase halten, zwei Wochen nach Weihnachten, und sagen: ‚Ach, übrigens …’?“ Yugi zweifelte noch immer.

„Nein, du bringst es ihm einfach vorbei“, erwiderte Joey sofort.

Yugi sah ihn aus großen Augen an. „Wie meinst du das?“

„Also, entweder du gehst zu ihm, am Ende der Ferien, in der Hoffnung, dass er wieder da ist. Oder, wenn dir das zu direkt ist und du dich nicht traust: in der Zeit, in der er weg ist, nimmt sicherlich irgendeine ältere Nachbarin das Geschenk für ihn entgegen und gibt es ihm, sobald er zu Hause ist“, erklärte Joey den Plan.

Yugi wusste, dass das eigentlich gute Möglichkeiten waren.

Aber er weigerte sich trotzdem, sich mit dem Gedanken anzufreunden, Atemu etwas zu Weihnachten zu kaufen.

Er war sich einfach nicht sicher, wie der Ältere darauf reagieren würde.

Und wenn Joey Unrecht hatte und Atemu ihm unmissverständlich klar machen wollte, dass er sich keine Hoffnungen machen sollte, da der Job als Lehrer ihm um so vieles wichtiger war und seine Gefühle fehl am Platz waren?

Was, wenn Atemu ihm hatte sagen wollen, dass Yugi sich von ihm fern halten sollte?

Außerdem: was sollte er dem Referendar auch schenken?

Seinem Referendar?
 


 

Drei Tage waren seit Joeys Hirnwäsche vergangen und Yugi fühlte sich erstaunlich gut.

Er zündete die vier roten Kerzen auf dem reich geschmückten Adventskranz an, während sein Großvater eine Weihnachts- CD auflegte.

Seine Mutter hatte den Wohnzimmertisch fürs Festtagsessen gedeckt und war gerade dabei, das Essen aus der Küche herüber zu bringen.

Derweil schielte Yugi auf die Geschenke, die alle schon auf der Couch verteilt waren, aber wie seit einigen Jahren riss er sich auch diesmal zusammen.

Immerhin war er schon längst kein Kind mehr, feierte dieses Jahr sogar zum ersten Mal als Erwachsener das Fest von Christi Geburt.

Natürlich gab es in Japan nur wenige Christen und Yugi und seine Familie gehörten nicht zu dieser Minderheit.

Aber irgendwann hatten die Japaner diesen Brauch aus dem Westen übernommen.

Es war ja auch sehr praktisch, ein Fest zu erfinden, an dem man all seine Lieben beschenkte.

Sie setzten sich alle zusammen an den Tisch und ließen es sich schmecken.

Wie schon seit vier Jahren war sein Vater wieder nicht anwesend.

Er wurde an seinem Arbeitsplatz einfach zu dringend gebraucht.

Und von Paris nach Japan zu jetten war auch nicht mal so eben möglich.

Yugi seufzte. Wie gerne hätte er, dass sie alle wieder zusammen an einem Tisch saßen.

Gerade an Weihnachten.

Nach dem Essen half er dann, alles wegzuräumen.

Auf Singen hatte er eigentlich keine große Lust, aber seiner Mutter zuliebe sang er mit.

Vor allem die alten Weihnachtslieder mochte seine Mutter so gerne.

Sie erinnerten sie noch an alte Zeiten, als sie noch jung war, als sie frisch verheiratet war, als Yugi gerade zur Welt gekommen war, als er laufen lernte.

Jedes Jahr erinnerte sie sich an alle zurückliegenden glücklichen Weihnachtsfeiern.

Doch er wusste, dass sie die letzten Weihnachten alle nur wehmütig in Erinnerung hatte.

Sie vermisste seinen Vater eben.

Natürlich reif er jedes Jahr an.

So auch dieses Jahr.

Aber er war nur sehr kurz angebunden gewesen, hatte sich etwas nach dem Stand in der Schule erkundigt, und ob Yugi denn endlich eine Freundin hätte?

Von seiner Neigung wussten bisher nur seine Freunde, dennoch antwortete Yugi wahrheitsgemäß: er hätte vielleicht was in Aussicht.

Was seinen Vater schon freute, zu hören.

Yugi biss sich auf die Lippe.

Eigentlich sollte er sich doch jemandem aus seiner Familie anvertrauen.

Zumindest sein Großvater würde sicherlich Verständnis dafür zeigen.

Zu seiner Zeit galten Homosexuelle zwar als abnormal und ins Irrenhaus gesteckt, aber Yugi hatte manchmal das Gefühl, als käme er besser mit solchen Dingen, die heutzutage von manchen als schlichte ‚Mode’ abgestempelt wurde, zurecht, als die Generation seiner Mutter.

Jedenfalls würde er erst mit Großvater reden und ihn fragen, ob er es seiner Mutter überhaupt sagen sollte.

Und Väter waren da sowieso, wenn man den Klatschspalten glauben schenkte, intoleranter, also wollte er es gar nicht erst versuchen, es ihm mitzuteilen.

Und nach seiner Aussage mit der Freundin in Aussicht sowieso nicht.

Das Gespräch war kurz gewesen, mit seiner Mutter hatte er fast gar nichts geredet.

Aber er hatte angekündigt, im Februar für ein paar Wochen nach Domino zu kommen und Yugi freute sich tierisch darauf.

Immerhin war es ja nicht nur so, dass sein Vater bereits vier Jahre in Frankreich arbeitete, nein, er hatte ihn auch in der Zeit höchstens ein bis zwei Mal im Jahr gesehen. Wenn überhaupt.

Nachdem sie ihr Singritual beendet hatten, ging es endlich ans Geschenke auspacken.

Wie immer hatte er ewig gebraucht, bis er für die beiden Erwachsenen etwas gefunden hatte.

Wobei das bei Großvater einfacher war, er hatte meistens konkrete Wünsche, die Yugi nicht so arg auf der Tasche liegen würden.

Aber bei seiner Mutter war es schon zum verzweifeln.

Von ihr bekam er immer nur: ‚Lass dir was einfallen!’ oder ‚Überrasch mich doch!’ zu hören.

Wegen ihrem Geschenk verbrachte er meistens Stunden auf Achse, um etwas halbwegs Anständiges zu kaufen.

Und dennoch hatte er das stechende Gefühl, dass ihm immer nur das Gleiche einfiel.

Bücher, Duschgel, Parfüm, Handtücher.

Denn sie wollte ja schließlich keine Haushaltsgeräte. ‚Die kann ich mir auch selbst kaufen!’

Und keine Pralinen. ‚Ich muss auf meine Figur achten.’

Und mit Kleidung kannte er sich gar nicht aus.

Und einfach nur eine Karte mit Geld zu schenken war zu billig.

Da er sowieso immer im Haushalt mithalf, wenn was anfiel, brachte es auch kein ‚Ich mach dir dies, ich mach dir das’- Gutschein, der so gerne an Muttertag verschenkt wurde.

Bei anderen Sache war er sich nicht sicher, was seine Mutter dazu sagen würde, also machte er es wie jedes Jahr: ein absoluter Spontaneinkauf.

Meist kaufte er dann etwas, was ihm selbst gefiel und hoffte, dass ihr Geschmack ähnlich war.

Die Kleidung, die Yugi nun auspackte, hatte er selbst ausgesucht und anprobiert, seine Mutter hatte sie dann nur noch verpackt.

Außerdem hatte er ihr eine kleine Orientierungsliste über CDs und Bücher, die er gerne hätte, angefertigt und nun sah er sich mit der Auswahl konfrontiert, die seine Mutter ihm besorgt hatte.

Zufrieden nickte er und bedankte sich artig, sowohl bei seiner Mutter, als auch bei seinem Großvater, von dem wie immer eines der Geschenke stammte, und wie jedes Jahr wusste Yugi nicht, welches er seinem Großvater zu verdanken hatte, aber im Grunde war das ja auch nicht so wichtig.

„Hier ist noch ein Geschenk“, erklärte sein Großvater plötzlich und zog einen weißen Umschlag hervor. „Hab ich für den Schenker in Gewahrsam genommen.“

Yugi blinzelte irritiert.

Wenn er es richtig in Erinnerung hatte, hatte er schon alle Geschenke vor seiner Mutter, seinem Großvater und natürlich auch die seiner Freunde ausgepackt.

Doch wer sollte ihm denn noch was schenken?

Ihm fiel absolut niemand ein.

Er nahm den Umschlag entgegen und öffnete ihn neugierig.

Kurz darauf hielt er eine neue, seltene Duell-Monsters- Monsterkarte in den Händen.

Ungläubig sah er sie an.

Dann griff er nach der beigelegten Weihnachtskarte.
 

Hallo, Yugi.

Sofort hatte er die Schrift erkannt.
 

Da ich noch nie gesehen habe, wie du dich mit deinem neuen, von Pegasus gewonnenen Deck duellierst und du stattdessen an deinem vorherigen Deck festhältst, habe ich mir gedacht, dein altes Lieblingsdeck könnte eine neue Karte gebrauchen.

Dein Großvater hat mich netterweise beraten.

Frohe Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr

Atemu
 

Yugi klammerte sich förmlich an der Karte fest und ihm stiegen Tränen in die Augen.

Seitdem der Pharao das Tor zum Jenseits, so wie sie es damals jedenfalls geglaubt hatten, durchschritten hatte, hatte er sein Deck nicht mehr verändert, denn es wäre nicht dasselbe gewesen, wenn nicht Yami die Karte mit ausgesucht hätte.

Und nun hatte Atemu selbst ihm eine neue Karte für sein Deck geschenkt.

Er konnte förmlich spüren, wie das vom Pharao verehrte Herz der Karten wieder zu schlagen begann.

Es war, als würde frisches Blut hindurchfließen, als er nun den Rest seines Decks in die andere Hand nahm.

Atemu hatte es wieder belebt.

Ihm kam es so vor, als würde es noch immer größtenteils für Atemu schlagen.

Aber da sie solange eins gewesen waren, wusste Yugi, dass es auch ihn als seinen Meister akzeptieren würde.

Mit dieser einen Karte konnte sich alles ändern.

Es schien, als wollte Atemu ihm sagen: schließe dein altes Leben ab und beginne ein neues.

Vielleicht dennoch Seite an Seite.

So wie früher.

Doch was sollte der Junge nun tun?

Er hatte sich endgültig dazu entschlossen, Atemu nichts zu Weihnachten zu schenken.

Aber dieser Entschluss war mit einem Mal umgekippt.

Yugi musste ihm etwas schenken.

Dennoch blieb die Frage: Was?

Er hatte noch eine Woche Zeit, sich etwas einfallen zu lassen.

Im Notfall musste er Joey einspannen, der vor geraumer Zeit seine Hilfe angeboten hatte.
 

**
 

„Hast du denn irgendeine Vorstellung, was du ihm kaufen willst?“ fragte Joey und sah sich in dem großen Kaufhaus um.

„Nein, ich weiß nur, was ich ihm nicht kaufen will.“ Yugi grinste schief.

Der Blonde sah seinen Freund eine Weile mit zur Seite gelegtem Kopf an.

„Dann lass uns mal gucken!“ Er zog Yugi hinter sich her, erst in die Parfümabteilung.

Doch Yugi blieb erst gar nicht stehen, erklärte nur, dass ihm Atemus Eigengeruch sowieso sehr viel lieber war.

Er mochte Duftwolken so gar nicht.

„Und was ist mit Duschgel?“ Joey griff nach dem Genannten.

„Nee, das impliziert doch, dass er sich häufiger duschen soll. Und er stinkt ganz und gar nicht. Im Gegenteil“, erklärte Yugi weiter, konnte sich da nur wiederholen.

„Dann verhält es sich mit einem kuscheligen Handtuch wohl ähnlich?“ seufzte Joey und schob Yugi in die nächste Abteilung. „Wie steht’s mit Schmuck?“

„Also ich hab noch nie gesehen, dass er welchen getragen hat“, meinte Yugi. „Außer im alten Ägypten, natürlich.“

„Was ist mit einem Buch?“ erkundigte Joey sich eine Etage höher.

„Hm … ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wo da so seine Interessen liegen“, druckste Yugi herum. „Außerdem weiß ich auch nicht, welche er schon hat.“ Was auch die DVDs betraf.

Überhaupt, so wurde Yugi in dem Moment klar, wusste er recht wenig über Atemus Interessen und Hobbys, was sofort wieder sein Stimmungsbarometer sinken ließ.

Klar, er war sehr sportlich, aber wofür interessierte er sich noch, außer Schlittschuh laufen und vielleicht noch Fußball spielen?

Dann natürlich noch die Ägyptenfaszination.

Aber hatte der Ältere je noch etwas anderes erwähnt?

Yugi dachte angestrengt nach, während er Joey hinterher trottete.

Sein Motorrad war für ihn ein Symbol der Freiheit.

Und jetzt saß er in Europa.

Außerdem war er in England zur Grundschule gegangen.

Das waren doch eigentlich schon etliche Hinweise.
 


 

Joey ließ sich auf den Stuhl in dem Café fallen. „Wir sind jetzt schon seit fünf Stunden unterwegs, haben tausend Läden abgeklappert, aber du hast ihm noch immer nichts gekauft!“ Er klang etwas vorwurfsvoll.

Yugi setzte sich ebenfalls und betrachtete verlegen seine Hände. „Das sagt sich so leicht!“

Er stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich wollte ihm ja eigentlich gar nichts schenken, aber nachdem er mir ja was geschenkt hat … was würdest du denn vorschlagen?“

Joey verdrehte die Augen. „Ich habe dir den ganzen Tag Sachen vorgeschlagen, die du ihm schenken könntest.“

Aber wirklich wütend konnte er nicht auf Yugi sein.

Es war einfach zu süß, wie dieser verzweifelt etwas finden wollte, das es würdig war, dass er es Atemu schenkte.

Die beiden Jungs bestellten sich einen Cappuccino bzw. einen Pfefferminztee, Yugis Lieblingsgetränk.

„Ich meine, was würdest du ihm schenken, wenn du an meiner Stelle wärest?“ wollte Yugi wissen.

„Ich weiß nicht …“, meinte Joey nachdenklich.

„Ich war noch nie in der Situation, einem Mann, den ich liebe, etwas zu schenken“, grinste er dann über beide Ohren.

Nach einem strafenden Blick seines Kumpels wurde er wieder ernst. „Ich weiß es wirklich nicht. Ich hatte auch tierische Probleme, neulich was für Mais Geburtstag zu finden.“

Yugi nahm einen Schluck aus seiner Tasse.

Joeys Aussage half ihm kein Stück weiter.

„Also, wenn du mich fragst, bleibe ich bei meiner Aussage: Du solltest euch die Ketten mit dem geteilten Herzanhänger und der Aufschrift ‚Forever in Love’ kaufen.“ erklärte Joey schließlich.

Yugi seufzte abermals. „Ich weiß doch gar nicht, ob er es überhaupt tragen würde. Und wenn dann jemand sieht, dass wir beide so eine Herzhälfte tragen? Dann ist seine Karriere im Eimer und ich bin Schuld dran.“

„Aber der Anhänger könnte doch von jedem stammen und müssen nicht zwangsläufig zusammengehören. Du hast doch gesehen, wie viele die von diesen Dingern im Verkauf hatten!“ erwiderte Joey.

„Na, ich weiß nicht …“ Yugi nippte nachdenklich an seinem Tee.

Er ließ die Gedanken schweifen, bis sie schließlich wieder bei Atemu hängen blieben.

Was er wohl in Europa machte?

Wo genau war er eigentlich?

„Hey, Yu-chan, ich hab dich was gefragt!“ Joey wedelte mit einer Hand vor Yugis Gesicht herum. „Mensch, wenn du an ihn denkst, bist du ja ganz weggetreten!“

Augenblicklich wurde Yugi rot im Gesicht. „Was ist denn?“

„Ich hatte gefragt, ob ich dich morgen abholen soll?“ wiederholte Joey seine Frage.

Yugi nickte. „Natürlich.“
 


 

Joey stand am nächsten Abend sehr pünktlich vor der Tür.

Da Sylvester war und sie das gemeinsam feiern wollten, holten sie dann zu zweit auch die anderen ab.

Ihr Vorhaben war, zu einem der Schreine zu gehen.

An diesem würden sie die alten O-Mamori und einen kleinen gefalteten Zettel verbrennen, auf den sie etwas geschrieben hatten, dass sich im neuen Jahr nicht wiederholen sollte.

Die Aufschrift auf Yugis Zettel lautete: Vor Atemu davonlaufen.

Wie oft hatte er das denn im letzten Jahr getan?

Viel zu oft!

Und er musste sich dem jetzt endlich stellen und mit ihm reden.

Auch wenn sich etwas Ähnliches wiederholen würde, er nahm sich vor, dann nicht mehr einfach davonzurennen.

Gedankenverloren sah er zu, wie sich das Stück Papier prasselnd in Rauch auflöste.

Er musste unbedingt und so schnell wie möglich mit ihm reden, alles, was zwischen ihnen stand, klären.

Sein Herz sehnte sich nach Atemus Nähe.

Wie sollte er denn die letzten paar Tage der Ferien aushalten?

Yugi seufzte. Es war fast nicht zum aushalten.

„Na, Liebesschmerz?“ fragte Joey leise und umarmte Yugi freundschaftlich tröstend.

Als Antwort nickte der Junge leicht.

Er ahnte, dass Joey ähnlich fühlte, denn Mai war heute nicht dabei. Sie feierte mit der Familie.

Wenn man Yugi fragte, eine dämlichere Ausrede gab es fast nicht.

Sie hätte Joey ja einfach mitnehmen können.

Zwischen den beiden kriselte es, aber Joey wollte das natürlich nicht sehen.

Und was sollte Yugi auch tun?

Joey hörte ihm nicht zu, er hatte es ja schon versucht.

Also blieb ihm nichts anderes übrig, als zuzusehen und Joey nachher so gut es ging aufzufangen und aufzurichten.

Mit dieser leichten Umarmung am Schrein trösteten sie sich gegenseitig ein wenig.
 

**
 

„Großvater?“ Yugi hatte sich entschlossen, einen seiner guten Vorsätze fürs neue Jahr in die Tat umzusetzen. „Was hältst du eigentlich von Homosexuellen?“

Sie saßen beide am Frühstückstisch.

Yugis Mutter war für eine Woche bei einer Freundin in Osaka, also konnten sie bequem eine Unterhaltung unter Männern führen.

Salomon sah seinen Enkel eine Weile stumm an, dann lächelte er milde. „Das sind auch Menschen wie du und ich.“

„Gut.“ Yugi schwieg. Er wusste nicht so recht, wie er fortfahren sollte.

Fieberhaft suchte er nach den richtigen Worten.

„Fühlst du dich zu Männern hingezogen?“ vermutete Salomon nach einer Weile.

Dieser sah den alten Mann an, konnte seinem Blick aber nicht lange standhalten und nickte nur.

„Das ist doch nichts verwerfliches“, meinte Salomon nur und trank einen Schluck seines Kaffees.

„Bist du denn zur Zeit verliebt?“ erkundigte er sich und musterte seinen Enkel.

„Das ist ja gerade das Problem.“ Yugi wich den Blicken des Älteren noch immer aus. „Es ist der Referendar, der seit fast einem Jahr bei uns unterrichtet.“

„Verstehe. Und wie denkt er darüber?“ Herr Muto trank abermals einen Schluck.

„Er … erwidert die Gefühle. Aber er sagte, dass eine Beziehung verboten wäre. Noch“, erklärte Yugi leise.

„Noch? Hat er das gesagt?“ hakte sein Großvater nach, woraufhin er ein Nicken erntete.

„Dann würde ich mir keine allzu großen Gedanken machen.“ Er ließ Yugi keinen Augenblick aus den Augen. „Aber da ist do noch etwas, hab ich Recht? Habt ihr euch gestritten?“

„Ich bin ihm in der letzten Woche vor den Ferien, nach unserem Liebesgeständnis, aus kindischem Trotz aus dem Weg gegangen“, erläuterte Yugi kleinlaut.

Salomon lachte leise. „Ich glaube, ich kann dich aufheitern.“

Er stand auf und ging zur Kommode im Flur.

Danach hielt er etwas in den Händen.

„Ist heute Morgen mit der Post gekommen. Ich habe mich ja erst gewundert, da ich den Namen nicht kannte.“ Er lächelte. „Kann es sein, dass dein Referendar über Weihnachten in Europa war?“

Yugi verschluckte sich fast an seinem Tee und sah seinen Großvater überrascht an, der ihm nun eindeutig eine Postkarte unter die Nase hielt.

Er warf nur einen sehr flüchtigen Blick auf das Bild vorne, bevor er sie hastig umdrehte.

Tatsächlich, es war Atemus Schrift.
 

Hallo, Yugi!

Schöne Grüße aus dem sonnigen Barcelona! Vorne auf der Karte ist die Sagrada Familia abgebildet, die ich leider noch nicht besucht habe, da ich diese Karte zeitig wegschicken wollte, damit Du sie noch in den Ferien erhältst. Die erste Ferienwoche werde ich also hier verbringen, die zweite dann in Madrid. Ich werde dann noch eine Woche nach Paris zu einem meiner ehemaligen Dozenten fahren, der mich eingeladen hat, werde also die erste Schulwoche nicht da sein.

Wir sehen uns dann also eine Woche nach den Ferien.

Atemu
 

Yugi blinzelte verwirrt.

Erst eine Woche nach den Ferien?

Wie war es möglich, dass ein Referendar seine Weihnachtsferien einfach verlängern konnte?

Seine Gedanken rasten.

Er fühlte sich, als würde eine unsichtbare Macht es verhindern wollen, dass sie sich blad wieder treffen und sich aussöhnen konnten.

Vielleicht gab es eine Möglichkeit, solch einen verlängerten Aufenthalt in Europa als Studienfahrt oder Lehrgang zu deklarieren?

Immerhin schrieb er ja, dass er einen seiner ehemaligen Dozenten besuchen würde.

Doch er konnte sich nicht vorstellen, warum er ihn nicht in den Ferien selbst eingeladen hatte.

Der Junge befand die Auskunft auf der Karte für etwas dürftig.

Er wüsste gerne den genauen Grund, weshalb Atemu ihm vorenthalten wurde.

So kam es ihm jedenfalls vor.

Ihm graute davor, noch eine Woche länger mit diesen Gefühlen in sich ausharren zu müssen, denn er fühlte sich daran schuldig, dass es zwischen ihnen gerade nicht so gut lief.

Die Ungewissheit, wie Atemu reagieren würde, wenn sie sich wieder gegenüber standen, die Ungewissheit, wie er selbst sich verhalten sollte.

Aber er hatte ihm diese Karte geschickt.

Das bedeutete, dass es für sie beide noch eine Chance geben konnte.

Yugi richtete seinen Blick auf die Karte in seinen Händen hinab, die so was wie ein Rettungsanker in seiner Gefühlswelt darstellte.

Wenn sich Atemus Gefühle für ihn geändert hätten, hätte er ihm diese Karte nicht gesendet.

Welcher Lehrer schickte denn einem seiner Schüler eine Ansichtskarte aus dem Urlaub?
 

**
 

Yugi kramte gerade seine Materialien aus seinem Ranzen, um Hausaufgaben zu machen, als das Telefon klingelte.

Doch ihn kümmerte das nicht.

Die Aufgaben sollten bis Morgen erledigt sein, dann wollte er noch für das Abi lernen, da wollte er es vermeiden, unnötigerweise eine Etage tiefer zum Telefon zu pilgern, da 99 % der Anrufe für seine Mutter waren.

Also weshalb kostbare Zeit verschwenden?

Er konnte hören, wie seine Mutter dran ging und beugte sich über das Geschichtsaufgabenblatt.

Als Vertretung hatte man eine neue, ebenfalls sehr junge Lehrerin engagiert.

Wie von Téa zu hören war, hatte sie seit Shimizus Tod dessen gesamten Unterricht übernommen, den Leistungskurs natürlich ausgeschlossen, denn ein Referendar hatte mit diesem schon genug zu tun.

Besagte Lehrerin wollte Herrn Yamito nicht im Stoff vorgreifen und hatte sich stattdessen zusammen mit den Schülern drangemacht, den Stoff, der für ihr bevorstehendes Abitur relevant war, zu wiederholen.

Aber schon kurz darauf stand seine Mutter mit dem Telefonhörer in seiner Zimmertür.

„Für dich, Schatz!“ erklärte sie und drückte ihm den Hörer in die Hand.

Yugi verdrehte die Augen über das ‚Schatz’, sagte aber nichts dazu.

Stattdessen meldete er sich neugierig bei seinem Gesprächspartner. „Hallo?“

„Hallo, Yugi! Könntest du mir einen Gefallen tun? Komm doch bitte bei uns vorbei“, sprudelte es ihm aufgeregt entgegen.

Yugi zog seine Augenbraue hoch. „Worum geht’s denn, Mokuba? Will Kaiba ein Duell?“

„Ähm … naja … nicht direkt“, druckste Mokuba verlegen. „Seto geht es nicht so gut. Ich hab mir gedacht, dass ein Duell mit dir ihn aufheitern könnte. Du bist sein schärfster Gegner, wenn er sich auf das Duell konzentriert, geht es ihm vielleicht besser.“

„Aber ich dachte, er duelliert sich dir zuliebe nicht mehr?“ hakte Yugi weiterhin nach.

„Ja, schon, aber sieh mal: Immer, wenn es ihm nicht so gut ging, hat er sich duelliert und danach ging es ihm dann besser. Außerdem soll es ja auch kein offizielles Duell sein, verstehst du? Etwas Privates.“ Mokuba sprach so schnell, dass Yugi Mühe hatte, alles mitzubekommen. „Er ist die ganze Zeit so griesgrämig, hockt nur noch auf der Couch rum und starrt ins Leere. Und mit mir reden will er auch nicht, meint stattdessen nur, dass ich sowieso zu junge wäre, um es zu verstehen.“

„Wir haben uns seit der Ägyptenreise eigentlich nicht mehr gesehen“, meinte Yugi leise mehr zu sich selbst, als zu Mokuba.

„Ja, aber er hat sich geändert. Er lächelt sogar ab und zu. So wie früher.“ Es war eindeutig zu hören, dass Mokuba über diese Sache sehr glücklich war.

„Wie ich schon sagte, er will nicht darüber reden. Aber ich möchte, dass er nicht mehr so trübsinnig herumsitzt. Zwar hat er mir früher als Workaholic auch nicht sonderlich gefallen, da er nie Zeit für mich gehabt hatte, aber wenn er gar nichts tut und die Firma vernachlässigt, das ist auch nicht gut“, erklärte Mokuba. „Außerdem bist du uns noch einen Gefallen schuldig.“

Yugi wurde hellhörig. Hatte er den Redefluss des Schwarzhaarigen bisher auch nur selten unterbrochen, aber jetzt war er doch stutzig. „Einen Gefallen? Ich kann mich nicht daran erinnern.“

„Naja, eigentlich schuldet uns dein Großvater noch einen Gefallen, weil wir ihn damals unter diesem bescheuerten Decknamen an dem einen Turnier haben teilnehmen lassen. Erinnerst du dich? Das Turnier, bei dem der erste Preis ein Duell mit dir gewesen ist und du dich mit Leon duelliert hast“, erläuterte Mokuba.

Natürlich konnte Yugi sich noch daran erinnern, aber dass Mokuba nun eine Art Gegenleistung erwartete, war etwas seltsam.

„Diesen Gefallen möchte ich nun von dir einfordern. Sicher, dein Großvater ist auch ein guter Duellant, ich könnte auch ihn fragen, aber ich denke, du bist Seto als Gegner wesentlich lieber. Bitte, Yugi!“ Mokuba klang nun fast schon flehentlich und Yugi konnte sich gut an den Dackelblick des Dreizehnjährigen erinnern.

Doch Moment, erinnerte Yugi sich, mittlerweile war er ja schon 15.

Er zuckte mit den Schultern. „Na gut, meinetwegen. Ich könnte sowieso eine Ablenkung von dem Abistress gebrauchen.“ Das mit dem besagten ‚Gefallen’ ignorierte er einfach mal.

Außerdem war es ja nicht nur der Abistress, von dem er sich ablenken wollte, sondern auch von seinen Gedanken, die immer wieder nur um Atemu kreisten und die so schmerzten.
 

**
 

Die Mauer war mindesten doppelt so hoch, wie Yugi selbst und beige gestrichen.

Die Bushaltestelle war nur geringfügig von dem Gelände entfernt, vermutlich, um es den Angestellten zu erleichtern, die Villa zu erreichen.

„Mensch, Joey, ich will nicht den ganzen Tag vertrödeln!“ Yugi war seinem Freund schon einige Meter voraus und sah nun in ein gequältes Gesicht.

Joey hatte ein richtiggehendes Schleichtempo drauf und schien total lustlos zu sein.

Natürlich hatte Mokuba nichts davon gesagt, dass Yugi Joey mitbringen könnte, aber dieser wollte seinen besten Kumpel ablenken, denn wie vorhergesagt hatte es nicht lange gedauert, bis Mai ihre Beziehung beendet hatte.

Nun hatte er Liebeskummer und Yugi schleifte ihn zu dem Treffen mit den Kaiba-Brüdern.

„Wieso schleppst du mich überhaupt mit, wenn ich dir doch eh nur zur Last falle?“ Als Joey endlich vor ihm stand, sah er ihn aus matten Augen an.

„Das weißt du ganz genau!“ erwiderte Yugi unwirsch und drehte sich um.

Nach einem kurzen Stück standen sie dann endlich an dem gusseisernen Tor und Yugi betätigte die Klingel.

Als hätte Mokuba nur auf sie gewartet ging auch schon das Tor auf, ohne dass jemand nachfragte, wer sie überhaupt waren und was sie wollten.

Mit Joey im Schlepptau ging Yugi den langen und breiten Kiesweg entlang zu dem Anwesen.

Mokuba kam ihnen schon freudig entgegen und Yugi stellte verdrießlich fest, dass der Schwarzhaarige ihn schon um einiges überragte.

Aber das war ja abzusehen gewesen, bei der Größe seines Bruders, waren eben die gleichen Gene.

„Hey, schön, dass ihr da seid!“ lachte er die beiden an.

Es schien ihn nicht im Geringsten zu stören, dass Yugi Joey einfach ohne zu fragen mitgebracht hatte.

„Kommt mit, ich bringe euch zu Seto“, meinte Mokuba und übernahm die Führung.

Joey war natürlich alles andere als begeistert gewesen, als Yugi ihm im Bus erklärte, dass sie auf dem Weg zu Kaiba waren.

Gerade auf seinen Erzfeind konnte er in seiner Situation gut und gerne verzichten.

Aber Yugi hatte ihn daran gehindert, dass er gleich an der folgenden Haltestelle ausgestiegen war und hatte an seinem Liebeskummer-Ablenk-Programm festgehalten.

Und genau diese ewigen Feindseeligkeiten konnten beide in ihrem Trübsinn vielleicht ganz gut gebrauchen.

Wahrscheinlich vermissten sie die Kabbeleien untereinander schon, immerhin hatten sie sich seit fast 1 1/2 Jahren nicht mehr gesehen.

Die beiden Freunde folgten Mokuba von der riesigen Eingangshalle über die weit ausladende Marmortreppe mit kunstvoll geschnitztem Geländer nach oben in eine höhere Etage.

Yugi betrachtete interessiert den öffentlich zur Schau gestellten Prunk und fragte sich augenblicklich, ob das Haus noch von ihrem Adoptivvater gebaut und eingerichtet worden war, denn er konnte sich vorstellen, dass Kaiba mehr Wert auf praktischen Nutzen als auf Verzierungen und Schnickschnack legte.

Außerdem bezweifelte Yugi, dass Kaiba so viel Sinn und Zeit für Kunst hatte, wie es die Architektur und die Wandgemälde implizierten.

Seltsamerweise ließ Joey sich zu keiner spitzen Bemerkung über den Protz hinreißen, überhaupt schien er nicht ganz er selbst zu sein.

Und Yugi musste nun schon seit ein paar Tagen einen fast stummen, immer trübsinnigen Joey ertragen.

Was schlimmer war, als wenn Joey kein Fettnäpfchen ausließ.

Vor einer schwer aussehenden Eichentür hielt Mokuba und klopfte an. „Besuch für dich!“

Yugi riss den Blick von den mit rotem Samt behangenen Wänden los und sah neugierig in den Raum, dessen Tür Mokuba nun aufstieß.

Dahinter konnte er ein relativ ungewohntes Bild ausmachen, denn Kaiba saß nicht arbeitend auf dem schwarzen Schreibtischstuhl mit der hohen Lehne, sondern er saß in einem der altmodischen roten Sesseln am Fenster und er schien draußen nachdenklich, schon fast traurig, etwas zu betrachten.

Oder hing er einfach nur trübsinnigen Gedanken nach?

Jedenfalls hielt dieser Gesichtsausdruck nur für wenige Sekunden an und Kaiba hatte sich wieder seine undurchdringlich arrogante Maske übers Gesicht gezogen.

„Was will denn der Kindergarten hier?“ fauchte er Mokuba augenblicklich an.

Er musterte Yugi und Joey verächtlich und auch seine ganze Körperhaltung veränderte sich.

Es war fast so, als würde innerhalb von kürzester Zeit jemand ganz anderes in dem Sessel sitzen.

„Ich hab mir gedacht, ein Duell könnte dich ablenken. Und da habe ich dir natürlich den besten Gegner besorgt“, erläuterte sein Bruder ohne Umschweife.

„Hallo, Kaiba“, grüßte Yugi, höflich wie er nun mal war.

Joey sagte überhaupt nichts und schien mit den Gedanken ganz woanders zu sein.

Nach langer Zeit hatte er es endlich geschafft, mit Mai zusammenzukommen und dann, nach nur einem halben Jahr beendete sie die Beziehung wieder, weil sie es sich anders überlegt hatte und sie lieber dem Werben ihres Tanzpartners nachgegeben hatte.

So ne blöde Kuh! Joey biss sich auf die Lippen.

Einmal, um zu verhindern, dass er es laut aussprach und das auch noch vor Kaiba, schließlich ging ihn das gar nichts an, zum anderen, weil er sich erhoffte, durch den leichten Schmerz seine Aufmerksamkeit wieder auf die Leute um sich herum richten zu können.

Es war, wie wenn man sich zwickte, weil man sich in einem Traum glaubte.

Das hatte Joey auch lange Zeit gehofft, dass sich Mais Verhalten nur als böser Alptraum entpuppen würde.

Im Grunde hoffte er dies noch immer, immerhin war es erst wenige Tage her, seit sie ihn vor den Kopf gestoßen hatte.

Er bemerkte, dass Kaiba sich aus seinem Sessel erhoben hatte und wohl dem guten Zureden seines Bruders nachgegeben hatte.

Dieser drehte sich derweil um und bedeutete Yugi und Joey, ihm zu folgen, während Kaiba nachkommen würde.
 


 

Yugi sah sich in der riesigen Halle um.

Er wusste nicht genau, weshalb Kaiba zwei private Duellplätze im Keller und unter dem Park, der die Villa umgab, besaß, denn er konnte sich schlecht mit zwei Gegnern gleichzeitig duellieren.

Oder hatte Mokuba vielleicht mittlerweile auch Gefallen am Duellieren gefunden?

Yugi warf dem Jüngeren einen Blick zu.

Nein, das konnte er sich nicht vorstellen.

Dann hätte er seinen Bruder nicht gebeten, sein Deck zu verbannen.

Außerdem glaubte er, dass Kaiba ihn mit seiner Duellsucht vom Duellieren abgeschreckt hatte.

„Ich duelliere mich erst mit dem Straßenköter. Ich will mich schließlich erst warm machen“, erklärte Kaiba in arrogantem Tonfall, nachdem er aus einer anderen Tür heraus die Halle betreten hatte, als die Freunde zuvor.

Yugi ging davon aus, dass dahinter der separate Raum lag, in dem Kaiba sein Deck verschlossen hatte.

Hatte Mokuba so was nicht mal erwähnt?

Als Joey nicht auf Kaibas Lieblingsspitznamen für ihn reagierte, warf dieser Yugi einen kurzen Blick zu.

Es war das erste mal, dass Yugi so etwas wie Erstaunen in Kaibas Gesicht las, doch er zuckte nur mit den Schultern.

Schließlich ging es Kaiba nichts an, dass Joey Liebeskummer hatte.

„Hey, Wheeler, ich rede mit dir!“ herrschte Kaiba den Blonden nun an. „Oder willst du kneifen?“

„Ein Joey Wheeler lehnt keine Herausforderung ab“, erklärte Joey mit seinem Standartspruch, doch es klang eher müde und wenig überzeugend.

Kaiba starrte sein Gegenüber eiskalt an, schnaubte und betrat schließlich seine Seite des Duellfeldes.

Yugi und Mokuba setzten sich derweil auf die lange Holzbank, die entlang der Wand stand.

Der Junge mit der Igelfrisur seufzte.

Er sah es schon kommen, dass das Duell nach hinten losging.

Auf jeden Fall für Joey.

Also wäre er selbst sicherlich bald dran.

Die Kontrahenten besahen sich ihr Blatt und Joey eröffnete das Spiel, ohne Kaibas Reaktion abzuwarten.

Yugi sah seinen Freund erschrocken an.

Er hatte es geahnt.

Grottenschlechter Zug. Verteidigung wäre besser gewesen, und keine verdeckten Karten.

OK. Nun wandte er seine Aufmerksamkeit Kaiba zu, der verbissen sein Blatt musterte.

Nach dem Zug des Brünetten war Yugi ehrlich überrascht.

Auch Kaibas Zug war keinen Deut besser.

Aber er musste den weiteren Spielverlauf abwarten.

Sicherlich hatte Kaiba einfach schlechte Karten auf der Hand.

Doch es änderte sich nichts.

Es war, als würden sich zwei blutige Anfänger duellieren.

Yugi schüttelte fassungslos den Kopf.

Dass es Joey zurzeit schlecht ging, wusste er, aber Kaiba schien es kaum besser zu gehen, Mokuba hatte mit ‚nicht so gut’ wohl untertrieben, wenn sich Kaibas Laune schon auf seine Duellstrategie niederschlug.

Nach einer Weile wandte er sich ab.

Es war nicht mit anzusehen und auch Mokuba schien einigermaßen entsetzt über den Duellverlauf.

„Das hätte ja selbst ich besser hingekriegt!“ flüsterte er bestürzt.

„Äh, Mokuba“, richtete Yugi das Wort an seinen Sitznachbarn, „vielleicht sollten wir uns von diesem … äh…“ er zögerte, „ Anfängerduell…“ bei diesem Wort zuckte Mokuba merklich zusammen, „etwas ablenken. Hast du Lust auf Dungeon Dice?“

Mokuba nickte.

Im Grunde hatte Yugi ja Recht.

Auch er konnte diesem Duell nicht weiter zusehen und zusammen mit Yugi betrat er nun das andere Duellfeld.
 


 

Nach einiger Zeit, in der das Duell ereignislos vor sich hingeplätschert war, hob Joey den Kopf.

„Ich geb’s auf“, erklärte er im Flüsterton, ließ seine Karten einfach liegen und ließ sich auf der Bank nieder, auf der zuvor noch die beiden Jüngeren gesessen hatten.

Er lehnte seinen Kopf an die Wand und schloss die Augen.

„Das war aber gar nichts, Wheeler“, stellte Kaiba fest, der nun vor Joey stand und einen langen Schatten auf den Sitzenden warf.

Wieder einmal erwiderte Joey nichts.

Kaiba setzte sich neben ihm.

Warum bei ihm einiges während des Duells schief gegangen war, wusste er.

Dass sein Kontrahent ihn eigentlich hätte schlagen müssen, war ihm ebenfalls bewusst.

Auch wenn er es nicht zeigte und Joey gerne seine Unzulänglichkeit unter die Nase rieb, so wusste er, dass er wenigstens ein so guter Duellant war, dass er ihn heute hätte schlagen müssen.

„Was ist los?“ hakte er daher nach.

„Was geht dich das an?“ Joey schaffte es sogar, etwas Ärger in seine Stimme zu legen, doch es war nichts von dem aufgebrachten Fauchen zu bemerken, das er Kaiba sonst entgegenschleuderte.

Kaiba sprang auf. „Ach, will man einmal zu dir nett sein, Straßenköter …“

Doch weiter kam er nicht, denn er spürte, wie Joeys Hand sein Handgelenk umschloss und ihn so am Weggehen hinderte.

Aber er drehte sich nicht zu dem Blonden um.

„Ich hab eben Liebeskummer.“ Joey wusste nicht genau, weshalb er es nun doch ausgerechnet Kaiba auf die Nase binden musste, deshalb fügte er hinzu, während er den Älteren losließ: „So, und jetzt kannst du mich auslachen.“

Kaiba seufzte und ließ sich wieder neben Joey auf die Holzbank fallen.

Er verschränkte die Arme.

„Ich habe auch Liebeskummer“, gestand er dann ganz leise, so dass Joey es noch gerade so verstand.

Dieser sah ihn dann auch ziemlich perplex an.

Gerade von Kaiba hatte er nie vermutet, dass dieser überhaupt lieben konnte.

Abgesehen von seinem Bruder und seiner Firma, natürlich.

„Allister …“, flüsterte Kaiba gedankenverloren und stierte Löcher in die Luft.

Argh! Jetzt hatte er ausgerechnet Plappermaul Joey zu verstehen gegeben, dass er auf Männer stand.

Er löste die Armverschränkung, doch als er gerade aufstehen wollte, spürte er plötzlich Joeys Kopf an seiner Schulter.

Als er zu ihm hinunterblickte, konnte er sehen, dass der Blonde die Augen geschlossen hatte.

Kaiba lehnte sich wieder zurück.

Dass sie gleichermaßen fühlten, verband sie in diesem Moment.
 


 

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Zu Silvester: Hab ich aus 'Kleiner Schmetterling'. Ob das tatsächlich überall in Japan an Silvester so ist, weiß ich natürlich nicht^^

Fasching

12. Fasching
 

Yugi trat nervös von einem Fuß auf den anderen.

Heute war der erste Tag, an dem Atemu wieder anwesend war.

Der erste Tag im neuen Jahr, an dem er ihn endlich wieder sehen konnte.

Der Tag, an dem er mit Atemu reden musste.

Über ihre Gefühle.

Unbedingt.

Als Herr Yamito endlich da war und den Klassenraum aufschloss, begann sein Herz zu rasen und seine Hände wurden feucht, doch er hatte kaum mehr Zeit, als dem Älteren ein paar verstohlene Blicke zuzuwerfen.

Endlich saß er an seinem Platz und ließ Herrn Yamito während des Unterrichts keine Sekunde aus den Augen.

Aber er hatte das Gefühl, dass Atemu ihn nicht öfter ansah, als sonst auch.

Er schien zwar gut erholt, doch ließ er sich Yugi gegenüber nichts anmerken.

Nun gut, er hatte ja gesagt, dass eine Beziehung für ihn momentan nicht in Frage kam.

Doch Yugi wollte endlich wissen, woran er war.

Und es interessierte ihn schon, ob der Ältere ihn in Europa wenigstens ein bisschen vermisst hatte.

Er jedenfalls war vor Sehnsucht fast vergangen.

Neugierig begutachtete Yugi Atemus Hals und Ausschnitt.

Tatsächlich sah er einmal kurz etwas aufblitzen, aber meistens war es von seinem Hemd verdeckt.

Konnte es sein …?

Ja, diesmal hatte Yugi es eindeutig gesehen.

Atemu trug ein dünnes silbernes Kettchen.

Schnell kämpfte er Erleichterung und Freude hinunter, um sie nicht allzu offen zu zeigen.

Noch konnte er sich nicht ganz sicher sein, dass es wirklich sein Weihnachtsgeschenk war, das Gegenstück zu der Kette, die unter seinem blauen Halsband hervorlugte.
 


 

Nach der Doppelstunde tat Yugi so, als würde er eine Ewigkeit benötigen, seine Materialien in die Schultasche zu packen.

Dann schlich er nach vorne zum Lehrerpult, wo Herr Yamito noch saß und Notizen in sein Kursbuch eintrug.

Yugi war mittlerweile der einzige Schüler in dem Raum.

Als er am Pult stand, konnte er hören, dass die Tür leise geschlossen wurde und er warf einen raschen Blick dorthin, nur um festzustellen, dass niemand eingetreten war.

Danach richtete er die Augen wieder hinunter auf das Pult und somit auf seine leicht zittrigen Hände, die er sofort vom Pult nahm, damit es Atemu nicht auffiel.

Eine Weile sagte keiner der beiden etwas und Yugi fragte sich schon, ob Atemu ihn überhaupt bemerkt hatte.

„Danke für das Weihnachtsgeschenk“, murmelte er schließlich leise, denn er konnte die Stille nicht länger ertragen.

„Gern geschehen, Yugi.“ Angesprochener konnte deutlich ein Lächeln in Atemus Stimme ausmachen und hörte, wie sein Gegenüber endlich den Stift wegpackte.

„Aber ich konnte ja nicht ahnen, dass du im Gegenzug dein gesamtes Sparschwein plünderst. Trotzdem danke.“ Atemu verfiel wieder in Schweigen und auch Yugi sagte nichts.

Schließlich seufzte Atemu tief, stand auf und umrundete das Pult zwischen ihnen.

„Glaub mir, es fällt mir ebenfalls schwer“, flüsterte er dann in Yugis Ohr, als er dicht neben ihm stand.

„Aber du musst mich verstehen. Ich habe hart dafür gekämpft, diesen Beruf ergreifen zu können.“ Yugi spürte plötzlich Atemus Hand an seinem Haaransatz am Nacken und wie er ihn dort kraulte.

„Und mein ärgster Feind war dabei mein eigener Vater. Wenn ich jetzt einen Fehler mache, ist es aus mit dem selbst bestimmten Leben“, fuhr er leise fort.

Yugis Herz hämmerte ihm gegen den Brustkorb, so dass er schon fürchtete, dieser würde bald gesprengt.

Atemu war ihm schon lange nicht mehr so nahe gewesen und schon gar nicht, seit sie von den Gefühlen des jeweils anderen wussten.

„Ich muss mich zurückhalten“, erklärte Atemu, legte seine Hand seitlich an Yugis Kopf, fuhr mit dem Daumen über seine Wange und gab ihm ein sanftes Küsschen auf die Stirn.

Yugi nickte zaghaft.

Atemu schien wirklich viel an seinem Beruf zu liegen, aber dennoch schenkte er seinen Worten Glauben, denn Yugi spürte einfach, dass er dem Anderen etwas bedeutete.

„Danke, Yu-chan.“ Der Ältere lächelte und strich Yugi noch einmal über die Wange. „Nach deinem Abi wird alles anders aussehen.“

Aber wie sollte Yugi es denn bis dahin aushalten?

„Bis dahin müssen wir beide durchhalten.“ Atemu nahm seine Hand von Yugi, von der dieser sich gewünscht hätte, sie würde ihm ewig sanft über die Haut streichen. „Wir sollten den Klassensaal besser einzeln verlassen.“

Eine Weile sahen sie sich noch stumm in die Augen und Yugi verlor sich in denen seines Gegenübers.

Schließlich riss Yugi sich eher Widerwillig von Atemus Blick los und ging zielstrebig auf die Tür zu.

Er hoffte nur, dass er seine Gefühle schnell und gut genug verstecken konnte, bevor er auf den Flur trat.

Der Junge griff nach der Türklinke und wurde etwas stutzig, dass diese erst nach einer Weile aufging.

Verwirrt sah er Joey an, der hinter der Tür hervorlugte und sich gerade die Stöpsel seines Discmans aus den Ohren zog und ihn fragend ansah.

Doch dann begriff Yugi, was sein bester Freund wohl getan hatte und er lächelte ihn dankbar an.

Schnellen Schrittes eilten sie durch den Gang.

„Wie ist es gelaufen?“ wollte Joey dann doch endlich wissen.

Yugi zuckte mit den Achseln.

Was sollte er ihm von dem Gespräch denn erzählen?

Jedenfalls war er dankbar, dass Joey sich offenbar von außen gegen die Klassentür gelehnt hatte und alle Schüler, die die beiden stören wollten, verjagt hatte.

Er hatte sich dann seine Musik angemacht, um nicht selbst das Gespräch zu belauschen.

„Wohl nicht so gut“, bemerkte Joey, als er sah, dass eine vereinzelte Träne über Yugis Gesicht lief.

Yugi schüttelte unwirsch den Kopf und wischte sich die Träne trotzig weg.

„Er hat nichts anderes gesagt, als damals auch. Er hat seine Meinung nicht geändert“, erklärte er schließlich.

„Er hat mir nur noch erklärt, dass er für seinen Beruf hart gekämpft hat, dass er keinen Fehler machen darf. Er hat mich als Fehler bezeichnet“, schluchzte er betrübt.

„Ach, Yugi“, Joey legte seinem Freund tröstend die Hand auf die Schulter.

Seit ihrem Besuch in der Kaiba-Villa schien es ihm immer besser zu gehen.

Yugi wusste nicht genau, was mit Joey los war, oder mit Kaiba, aber sie trafen sich nun fast jeden Tag.

Um miteinander zu reden, wie Joey erklärt hatte.

Fragte sich nur, was Kaiba ausgerechnet mit seinem Rivalen zu bereden hatte.

Aber das war Yugi egal, er hatte andere Sorgen.
 

**
 

Anfang Februar hatte sich ihr Verhältnis zueinander wieder halbwegs normalisiert, zumindest soweit, dass Yugi wieder jede Pause mit dem Referendar reden konnte, ohne einen Klos im Hals zu haben.

Darüber hinaus kam es ihm manchmal so vor, als würde Atemu absichtlich seine Nähe suchen, ihn öfter zufällig berühren, vor allem im Ägyptischunterricht.

Aber das war sicherlich nur Einbildung seitens Yugi, denn der Referendar hatte ihm ja erklärt, dass er sich keinen Fehltritt leisten durfte, gerade unter den Augen von anderen Schülern und Lehrern durften sie sich nichts anmerken lassen.

Yugi hatte wieder seine Ägyptischnachhilfe für Atemu aufgenommen, denn für einen ehemaligen Pharao und Ägypter war er in Ägyptisch grottenschlecht.

Aber als Pharao hatte er natürlich Altägyptisch gesprochen und Hieroglyphen gezeichnet.

Endlich kam nun auch Yugis Vater zu Besuch, worüber er sich sehr freute.

Vor allem, da er ihm versprochen hatte, mit seinem Sohn auch reine Männertage einzulegen.

Der Junge hoffte nur, dass die Sprache nicht wieder auf das Thema Mädchen fallen würde, doch leider wurde er enttäuscht.

Es war fast so, als würde sein Vater nur eben jenes Thema kennen, zumal Yugi den Fehler gemacht hatte, ihm zu erzählen, dass er noch immer solo war und seine Beziehung mit seinem Schwarm noch immer in der Schwebe hing.

Aber wenn er behauptet hätte, dass alles im Lot sei, so hätte sein Vater immer wieder danach gefragt, sie endlich kennen zu lernen.

So hatte sich das Ganze also dahingehend verschoben, dass sein Vater ihn, wenn sie gemeinsam unterwegs waren, immer wieder auf hübsche Mädchen aufmerksam machte, doch Yugi wich dem Thema so gut es ging aus.

Für Yugi war es etwas ungewohnt, dass sein Vater fast jeden zweiten Tag etwas mit ihm unternehmen wollte und war daher froh, dass er nach einiger Zeit das Lernen für sein Abi vorschieben konnte.
 

**
 

Doch kurz vor Valentinstag, sein Vater war nun schon seit zwei Wochen in Japan, stand er vor einem Problem.

Yugi hatte sich dazu entschlossen, Atemu selbst gemachte Schokolade zu schenken.

Natürlich wusste er, dass das eigentlich nur die Mädchen machten, aber wie sollte es denn sonst bei zwei Jungs ablaufen?

Nur fragte er sich, wie er das vor seinen Eltern geheim halten sollte.

Wenn er so kurz vor Valentinstag plötzlich wissen wollte, wie man selbst Schokolade herstellte, wäre es viel zu auffällig, oder besser: sie würden ihn wohl auslachen.

Sein Großvater war noch immer der Einzige, der von seiner Neigung wusste und das war auch gut so.

Er seufzte resigniert.

Denn wann waren schon seine Eltern beide nicht zu Hause?

Es schien ihm, dass immer einer der beiden da war.

Wenn nur Großvater zu Hause wäre, würde es Yugi nichts ausmachen, die Küche in Beschlag zu nehmen, aber so lange seine Mutter oder sein Vater da waren, konnte er sich schlecht in der Küche einsperren.

In diesem Fall wollte er noch nicht einmal seine Freunde um Hilfe bitten.

Er hatte schon mit dem Gedanken, Téa zu fragen, ob sie ihre beiden Schokoladen zusammen anfertigen wollten, gespielt, aber er war zu dem Schluss gekommen, dass er dabei seine absolute Ruhe haben wollte.

Vermutlich würde er in Gedanken dann nur bei Atemu verweilen und somit würden ihn Téas Gespräche sicherlich nur nerven.

So gut sie als Freundin normalerweise auch war, wenn sie aufgeregt oder besorgt war, was dann sicherlich beides der Fall sein würde, konnte sie einem ganz schön auf den Keks gehen.

Nein, er sah es schon kommen, dass er an besagtem Tag mit einer selbst gekauften Tafel Schokolade vor seinem Schwarm stehen würde und sich in Grund und Boden schämen musste, dass er es nicht geschafft hatte, sie selbst zu machen.

Vielleicht würde Atemu ihn dann sogar für unfähig halten, so etwas überhaupt machen zu können.

Obwohl er sich das sicherlich nicht anmerken lassen würde.

Aber er konnte allein den Gedanken nicht ertragen, dass Atemu etwas Falsches von ihm denken könnte.
 

**
 

Eine glückliche Fügung des Schicksals kam dem Jungen dann doch zur Hilfe.

Einen Tag vor Valentinstag eröffneten ihm seine Eltern, dass sie den ganzen Tag nicht zu Hause sein würden. Erst am späten Abend würden sie zurückkehren.

Was Yugis Laune beträchtlich steigerte.

Somit musste er nur noch den Schultag einigermaßen gut hinter sich bekommen.

Am Mittag löffelte Yugi sich den Reis mit Curry und Fleisch schnell hinein und machte sich teufelsschnell an den Abwasch.

Da sein Großvater sowieso nach seiner Mittagspause wieder in den Laden musste, überließ er seinem Enkel die Küche.

Angespannt blätterte Yugi in dem Rezeptbuch, das er für diesen Zweck aufgetrieben hatte.

Er legte das Buch aufgeschlagen neben sich auf die Arbeitsplatte, band sich dann eine blaue Schürze um und suchte nach einem geeigneten Topf.

Dann kramte er die benötigten Zutaten, die er in weiser Voraussicht gekauft hatte, hervor und machte sich ans Werk.

Yugi hatte beschlossen, seiner Schokolade eine Herzform zu verpassen, weshalb er extra eine solche Füllform gekauft hatte.

Außerdem hatte er die Herzförmchen, mit denen er normalerweise an Weihnachten Plätzchen ausstach, hervorgeholt, da er diese als verzierende Muster aufdrücken wollte.

Mit einem langen Löffel bewaffnet beugte er sich über das Buch und las sich die ersten Schritte genau durch.

Dann wandte er sich dem gehärteten Fett auf der Herdplatte zu und sah zu, wie es schmolz.

Er fügte Kakaopulver, Puder- und Vanillezucker und Stärkemehl hinzu.

Der Junge hoffte einfach, dass es danach einigermaßen zu genießen war, denn selbst probieren konnte er es ja schlecht.

Nachdem es geschafft war, fing er an, erst einmal die Küche wieder auf Vordermann zu bringen, die er schon etwas in Mitleidenschaft gezogen hatte.

Die Schokolade musste sowieso erst auskühlen, also konnte er sich Zeit lassen.

Dann griff er nach einem beschriebenen Blatt Papier.

Darauf hatte er eines seiner Gedichte geschrieben, das er Atemu mit der Schokolade überreichen wollte.

Danach machte er sich dann daran, ein passendes Geschenkpapier zu suchen, allerdings war die Auswahl nicht gerade berauschend.

Wenn ihm nicht schnell etwas Besseres einfiel, würde er nicht drum herum kommen, noch passendes Geschenkpapier kaufen zu gehen.

Seine letzte Chance war, dass unter dem Papier im Spieleladen, in dem Kunden ihre Einkäufe verpacken lassen konnten, etwas Gescheites war.
 

**
 

Der Valentinstag fiel natürlich ausgerechnet auf einen Mittwoch, der einzige Wochentag, an dem Atemu und er sich nicht regulär sahen, da sie keinen Unterricht zusammen hatten.

Doch zum Glück gab es ja noch Joey und Tristan, in deren Politik-Unterricht Herr Yamito ja saß.

Also hatte er seine Freunde gezwungenermaßen in seinen Plan eingeweiht und die beiden hatten ihm versprochen, den Referendar festzunageln, bis Yugi endlich da wäre.

Nach dem Englisch-Unterricht packte Yugi seine Sachen so schnell wie möglich weg und rannte zu dem Saal, in dem die anderen zuvor Politik gehabt hatten.

Zu seinem Unglück lag dieser Saal auch noch am anderen Ende des Gebäudes und auf einer anderen Etage wie ihr Englisch-Raum, so dass er einmal quer durch die Schule und somit auch durch die ganzen Schülerpulks laufen musste.

Dennoch schaffte er es ziemlich schnell, den Raum zu erreichen, was ihn selbst schon etwas wunderte, mit seinen kurzen Beinen.

Aber wenn er unbedingt etwas wollte, dann konnte er ungeahnte Kräfte freisetzen, was man ja auch bei den vielen Weltuntergangsduellen bemerken konnte.

Zwar hatte ihm damals der Pharao zur Seite gestanden, aber es war trotzdem nie einfach für ihn gewesen.

Vor dem Klassenzimmer, dessen Tür weit offen stand und aus dem er sowohl Joeys und Tristans Stimme, als auch die von Atemu hören konnte, atmete er noch einmal tief durch, um seine Atmung zu beruhigen.

Dann betrat er das Zimmer.

Unter einem Vorwand beendeten seine Freunde das Gespräch und verließen eiligst den Klassenraum, nicht ohne Yugi noch einmal aufmunternd zuzulächeln.

Hinter sich schlossen sie die Tür und Yugi ließ seinen Blick zurück zu seinem Schwarm gleiten, der offenbar damit beschäftigt war, seine Tasche einzuräumen.

Erst als er sich kurz darauf umdrehte, bemerkte er, dass Yugi noch hinter ihm stand.

„Yugi!“ rief er etwas überrascht aus, lächelte aber dann.

Vermutlich hatte er gedacht, dass Yugi nur gekommen war, um seine Freunde abzuholen.

Yugi erwiderte das Lächeln zunächst, doch dann wandte er sich etwas verlegen von seinem Gegenüber ab und hielt ihm die in rotes Geschenkpapier eingepackte Schokolade entgegen.

Atemu betrachtete das Päckchen zunächst etwas irritiert, doch dann kehrte sein Lächeln schlagartig zurück.

„Schokolade für mich, Yu?“ Er versuchte, Yugis nervös umherschweifenden Blick einzufangen.

Der Ältere trat näher an Yugi heran und legte zärtlich eine Hand unter dessen Kinn, um seinen Kopf leicht anzuheben, damit ihm der Kleine in die Augen sehen musste.

Als Yugi das Lächeln in den Augen des Anderen sah, musste er einfach zurücklächeln, wenn auch eher zaghaft.

Der Junge nickte nun bestätigend.

„Vielen Dank.“ Atemu beugte sich herunter und küsste Yugi flüchtig auf die Lippen, was diesen wieder feuerrot im Gesicht werden ließ.

„Die werde ich genießen.“ Er strich Yugi wieder sanft über die Wange.

Wieder sahen sie sich eine Weile stumm in die Augen, wieder kam es Yugi so vor, als würde er in denen des Anderen regelrecht versinken.

Bis sie plötzlich von der Schulglocke aus ihrer Starre gerissen wurden.

Atemu riss sich von Yugis süßem Anblick los und öffnete hastig seine Schultasche, um die noch immer verpackte Schokolade darin zu verstauen.

Dabei kam Yugi nicht umhin, festzustellen, dass seine Schokolade offenbar nicht die Einzige war, die Atemu heute geschenkt bekommen und in der Tasche versteckt hatte.

Der Ältere bemerkte Yugis Blick und lächelte zuckersüß. „Keine Sorge, das sind alles keine Rivalinnen für dich!“

Während Yugi sich erst noch mal sammeln musste, denn nach diesem Ausspruch klopfte sein Herz wild wie noch nie und sein Gesicht war womöglich noch röter geworden, zwinkerte Atemu ihm noch einmal lächelnd zu und verschwand aus dem Saal.

Yugi sah ihm noch eine Weile nach, atmete tief durch und verließ dann ebenfalls den Saal.
 

**
 

Es war Samstag und Yugi betrachtete sich in dem großen Spiegel in seinem Zimmer.

Da heute in der Schule eine große Faschingsparty stattfinden würde, hatte er sein Kostüm angezogen, das er vor zwei Jahren angefertigt hatte.

Zufrieden betrachtete er sein Spiegelbild.

Er konnte sich noch zu gut daran erinnern, wie er zusammen mit Yami stundenlang an dem violetten Stoff gesessen hatte, um die Verkleidung zu perfektionieren.

Neben sich die Vorlage, seine Karte des Schwarzen Magiers.

Natürlich hatte Yami ihm nicht beim Nähen helfen können, welcher Pharao hatte auch je Nähen gelernt?

Aber da er den Magier so gut kannte und dieser sozusagen sein bester Freund war, hatte er ihn netterweise vergrößert gezeichnet, mit allen Details, denn Yami konnte eigentlich sehr gut zeichnen, was er aber wohl mit seinem jetzigen Körper verlernt hatte.

Außerdem hatte er seinen Partner desöfteren davor bewahrt, sich an der Heißklebepistole zu verbrennen.

Yugi war eben der geborene Tollpatsch gewesen.

Sie hatten sich die Tage und Nächte um die Ohren geschlagen, gemeinsam, bis das Kostüm annähernd perfekt war. Selbst Hut und Stab hatten sie angefertigt.

Dennoch, eine violette Perücke hatte Yugi rundheraus abgelehnt.

Stattdessen war er nun dabei, seine Haare glatt nach unten zu kämmen, so dass sie ihm nun elegant auf die Schultern fielen und nur noch seine blonden Strähnen so fielen, wie sonst auch.

Aber es war gar nicht so leicht, seine widerspenstigen Haare zu bändigen und sie wollten sich auch partout nicht kämmen lassen, normalerweise jedenfalls, aber heute hatte er sie ausgetrickst, indem er sie nass gekämmt hatte, dem hatten seine Haare schließlich nachgeben müssen.

Immerhin wollte er kein Gel verschwenden, damit die Haare unten blieben, andere Leute benutzten Gel ja, um sie nach oben zu bringen.

Yugi seufzte. Er hatte eben ungewöhnliche Haare.

Dann setzte er sich den großen Hut auf den Kopf und nahm den grünen Zauberstab in die Hand, als es auch gerade an der Tür klingelte.

Schnell warf er sich den Ledermantel, der dem von Tristan sehr ähnlich war und den er zu Weihnachten bekommen hatte, über und stürmte die Treppe hinunter.

Unten angekommen blieb er abrupt auf der letzten Stufe stehen.

Joey empfing ihn grinsend, aber das war nichts ungewöhnliches, doch er tanzte eindeutig in einem Kostüm eines Weißen Drachens mit Eiskaltem Blick vor ihm umher.

Und als sein Blick von einer Bewegung hinter Joey abgelenkt wurde, blieb ihm vor Staunen erst recht der Mund offen stehen.

Kaiba stand hinter Joey und musterte Yugi mit gerunzelter Stirn und eiskaltem Blick.

Doch auch sein Kostüm war erstaunlich.

Er hatte sich nämlich ein ägyptisches Kostüm schneidern lassen und zwar nach Seths Vorbild.

Yugi konnte sich nur schwer vorstellen, das Kaiba dieses Kostüm freiwillig trug und er wollte am Besten auch gar nicht erst wissen, womit Joey ihn bestochen hatte.

Und überhaupt, war eine Schulfeier nicht unter dem Niveau des Firmenchefs?

Joey kicherte. „Du guckst wie ein Auto!“

Yugi warf seinem besten Freund einen fragenden Blick zu, doch als dieser den Mund zum Antworten öffnete, mischte Kaiba sich ein: „Können wir dann?“

Mit wehendem Gewand drehte er sich um und verließ schleunigst die Wohnung.

Nicht auszudenken, wenn einer seiner Geschäftspartner ihn zufällig hier in der Wohnung des Besitzers des Spieleladens sehen würde, der würde ihm glatt Wettbewerbsverzerrung vorwerfen, immerhin würde es sicherlich so aussehen, als würde er den Laden von Yugis Großvater bevorzugen.

Noch immer verdattert folgte Yugi nun Joey, der wiederum Kaiba folgte.

Und der nächste Schock und hoffentlich der letzte für den heutigen Tag war, dass sie doch tatsächlich mit Kaibas Limousine zur Schule gebracht werden würden.

Total geplättet stieg Yugi hinter den beiden anderen ein.

Yugi sagte während der ganzen Fahrt kein Wort, wunderte sich nur, dass er bei Kaiba, der ihn bisher immer nur als Feind betrachtet hatte, der aber seltsamerweise das Kostüm seines früheren ägyptischen Priester-Ich Seth trug, in der Limousine saß.

Wohingegen sich die beiden anderen leise untereinander unterhielten, doch Yugi hatte dafür kein Ohr.

Er musste sich erst einmal wieder fangen.
 


 

In der Schule angekommen, entledigte Yugi sich zuerst von seinem Mantel und brachte ihn hinunter in eine der Umkleiden unter der Aula.

Dann folgte er seinen Begleitern in die Aula, wo ihnen auch gleich Atemu über den Weg lief, in dem Pharaonenkostüm, dass ihm damals die Mutter von Téa angefertigt hatte.

Yugi hatte zu jener Zeit nicht mitbekommen, dass er das Kostüm behalten hatte, dafür war er zu aufgewühlt gewesen.

Er lächelte leicht.

Im Rückblick war es absurd, dass er damals dachte, Atemu hätte an Téa Interesse, hätte sie sogar geküsst.

„Weißer Drache mit Eiskaltem Blick, greif den Pharao an!“ hörte er plötzlich ein gefährliches Zischen hinter sich und als er verwirrt den Kopf drehte, sah er Joey, der im Begriff war, an Yugi vorbeizustürzen.

Er drehte sich schnell und konnte Joey gerade noch so einen kräftigen Schubs geben, so dass dieser nun verdattert auf dem Boden saß und zu seinem Freund hochblickte.

Anscheinend hatte er nicht mit einer solch schnellen Reaktion gerechnet.

„Vergiss es! Der Schwarze Magier beschützt seinen Pharao!“ Yugi hielt den Zauberstab drohend vor Joey.

Er warf einen Blick schräg hinter sich, wo Atemu stand und etwas verwirrt dreinblickte.

Sein Blick glitt von Joey zu Yugi hinüber, dann wandte er sich an denjenigen, der ihm gegenüber stand und das Ganze vom Zaun gebrochen hatte.

Der junge Mann mit den braunen Haaren kam ihm irgendwie bekannt vor, dann besah er sich das blaue Kostüm und erkannte sofort, dass es ein Priestergewand des Alten Ägyptens war.

Mit einem Mal war ihm auch klar, mit wem er es zu tun hatte, denn der Brünette sah eindeutig aus, wie der Priester auf der Steintafel, der sich mit Pharao Atemu duellierte.

Welch Zufall, dass sich ihrer beider Kostüme so an die Vorlage dieses Artefakts hielten.

Yugi war derweil zu seinem Freund getreten und hielt ihm die Hand hin, um ihm aufzuhelfen, doch stattdessen befand er sich keine zwei Sekunden später halb neben, halb auf Joey, da dieser ihn einfach zu sich herunter gezogen hatte.

„Hey, das war unfair!“ beschwerte er sich.

„Keineswegs, schließlich habe ich Monsterreanimation gespielt“, belehrte Kaiba ihn sofort.

Da Yugi nun schon mal auf Joey drauf saß, richtete er sich auf und begann, den Blonden durchzukitzeln.

„Hey, so eine Zauberkarte gibt es nicht!“ rief Joey lachend.

„Oh doch! Die Zauberkarte heißt ‚Sternenwind’“, hörte Yugi plötzlich die warme, angenehme Stimme von Atemu, woraufhin ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief.

Rasch sprang er auf.

Erst jetzt war ihm wieder aufgegangen, wo sie waren und dass Atemu direkt hinter ihnen stand und dieses kindische und absolut peinliche Szenario mitbekommen hatte.

Er war wieder feuerrot im Gesicht geworden und sah verlegen auf den Boden, wobei ihm Joeys freches Grinsen keineswegs entging.

Joey tat es dem Kleinen gleich und als er wieder auf den Füßen stand, schien er irgendjemanden entdeckt zu haben, denn er durchquerte die Schülermenge und ein verdrießlich dreinblickender Kaiba folgte ihm.

Nach einem Moment hob Yugi noch mal den Kopf und warf Atemu einen Blick zu.

Dabei konnte er erkennen, dass dieser sich mit einem Teufel unterhielt, der ein gutes Stück größer war, als der Pharao.

Als Yugi genauer hinsah, konnte er Atemus Halbbruder erkennen, was angesichts der rot-schwarzen gewellten Perücke und der Schminke schon etwas schwer war.

Erleichtert, dass der Ältere sich jemand anderem widmete, verschwand nun auch Yugi in der Menge.

Es war ihm eben oberpeinlich, was Joey und er zuvor veranstaltet hatten.

Was ihm nun aber entging, war das traurige Lächeln, mit dem Atemu ihm nachsah, denn dieser hatte sehr wohl bemerkt, dass Yugi sich davonschlich.
 


 

Yugi stand draußen in der Vorhalle, eine Flasche Cola in der Hand und wartete darauf, dass er bei den Brezeln an die Reihe kam.

Auf solchen Schulpartys gab es immer das gleiche Essens- und Getränkeangebot, aber das störte den Jungen nicht im Geringsten.

„Hallo, Yugi“, wurde er plötzlich von einer ihm unbekannten tiefen Stimme von der Seite angesprochen.

Gerade hatte er seiner Mitschülerin das Wechselgeld abgenommen und er hob den Blick auf den Teufel.

„Guten Abend, Herr Ya … äh…“ Wenn er Atemus Halbbruder war, trug er dann überhaupt den gleichen Familiennamen?

Sein Gegenüber lächelte freundlich, was nicht so ganz zu der Figur passen wollte, die er darstellte.

„Yamito. Aber du kannst mich ruhig Yue nennen.“ Da er nun an der Reihe war, bestellte er sich schnell ebenfalls eine Brezel und bezahlte.

„Gehen wir etwas raus?“ Yue sah ihn aus tiefblauen Augen an.

„Ähm … ja“, stotterte der Junge und wurde etwas rosa im Gesicht.

Was wollte Atemus Bruder mit ihm besprechen?

War es etwas, womit Atemu ihn beauftragt hatte?

Oder würde nun das dicke Ende kommen, etwas, das Atemu ihm verheimlicht hatte, was Yugi aus seinen glücklichen Träumereien reißen würde?

In der kalten Februarluft atmete Yugi erst mal wieder tief ein, war ihm doch entgangen, dass er vor Nervosität ganz flach geatmet hatte.

Sie blieben in der Nähe der Schule, wo auch noch das Licht den Vorplatz erhellte und Yugi knetete nervös die Brezel in seiner Hand.

„Du bist also der Schüler, der meinem Bruder den Kopf verdreht hat?“ wollte der Teufel wissen.

„Hm, ich denke schon.“ Der Junge bemerkte, dass er leicht an seiner Brezel knabberte und beschloss, nun richtig zuzubeißen.

Yue lachte. „Nur nicht so bescheiden. Mein Bruder verschenkt sein Herz nicht so leicht.“

Der Ältere trank einen Schluck von seiner Cola. „Ich fürchte, ich muss dir ein paar Dinge erzählen.“

Oh oh, das hörte sich gar nicht gut an.

Der Ältere lächelte, als er seinen Blick hob und sein Gegenüber wieder ansah. „Aber zunächst sollte ich dir vielleicht sagen, dass ich nur als Ablenkung hier bin. Weißt du, Atemu hat Angst, dass ihn deine Nähe noch wahnsinnig macht und er etwas Unüberlegtes tut.“

Yugi sah den jungen Mann mit großen Augen an, sagte aber nichts dazu, sondern aß und trank weiter, obwohl das mit dem langen Zauberstab in der Hand gar nicht so einfach war.

Yue wandte den Blick ab. „Atemu hat es ziemlich schwer mit seinem Vater. Er will unbedingt, dass sein Sohn später seine Firma übernimmt, aber Atemu hatte noch nie Interesse daran gezeigt. Deshalb war Vater auch sehr enttäuscht, als Atemu ihm eröffnete, Lehramt studieren zu wollen. Da gutes Zureden nichts nutzte, hat er zähneknirschend nachgegeben, vorläufig. Denn er hat Mittel und Wege, Geld und Einfluss, um Atemu so viele Steine wie möglich in den Weg zu legen. Er will, dass Atemu in seinem Traumberuf scheitert, damit er zu seinem Vater gekrochen kommt und um Arbeit bittet. Da Vater sämtliche Dozenten der Uni in Domino dazu gebracht hatte, Atemu das Studentenleben so schwer wie möglich zu machen, in der Hoffnung, mein Bruder würde aufgeben, hat Atemu sich nach zwei Semestern dazu entschieden, in Osaka, wo er halbwegs seine Ruhe hatte, zu Ende zu studieren.“

Yugi hörte schweigend zu.

Scheinbar hatte Atemu es wirklich nicht einfach mit seinem Vater.

„Nach dem Studium hat Atemu sich dazu breitschlagen lassen, ein Praktikum in der Firma seines Vaters zu absolvieren. Aber nach dem Unfall, der fast tödlich für ihn ausgegangen wäre, hat er beschlossen, dass er sein eigenes Leben so gestalten muss, wie er es leben will und es nicht von jemand anderem bestimmen lassen. Bestärkt darin hat ihn die Tatsache, dass Mutter ihm erzählte, Vater hätte ihn so gut wie nie im Krankenhaus besucht; nur Mutter und ich haben ständig an seinem Krankenbett gesessen. Auch während der Reha hatte Vater es nicht für nötig empfunden, ihn mehr als ein Mal zu besuchen, auch wenn die Reha immerhin ein halbes Jahr gedauert hat. Natürlich war Atemu da ziemlich sauer, immerhin hatte er das Praktikum vor dem Unfall nur ihm zu Liebe absolviert. Also suchte er sich eine Referendarenstelle und eine eigene Wohnung. Zu Vater hat er den Kontakt gänzlich abgebrochen, mit Mutter telefoniert er manchmal, ich bin der Einzige der Familie, den er überhaupt noch sehen will, denn Mutter bleibt nicht viel übrig, als zuzusehen.“ Yue machte eine Pause und trank die halbe Cola-Flasche leer.

Yugi hatte unterdessen seine Brezel aufgefuttert und trank nun ebenfalls einen Schluck Cola.

„Wenn er jetzt einen Fehler macht, waren all die Jahre harter Kampf gegen seinen Vater umsonst und dieser würde triumphieren. Wie gesagt, Vater hat ihm schon viele Steine in den Weg gelegt.“ Er stieß sich mit dem Fuß von der Wand hinter sich, an die er gelehnt war, ab.

„Einer der letzten Steine war Shimizu“, murmelte er dabei leise vor sich hin.

„Ich denke, wir sollten wieder rein gehen. Ist doch sehr kalt hier draußen. Atemu vermisst mich sicher schon. Obwohl ich ja eher denke, dass er dich mehr vermissen wird.“ Yue lächelte und zwinkerte Yugi zu.

Dieser leerte seine Flasche und folgte Yue nachdenklich.

Was hatte denn Shimizu mit Atemus Karriere zu tun?

Außerdem schoss ihm die Frage durch den Kopf, weshalb Yue denn nicht die Firma übernehmen sollte, wenn der Vater so auf einem Erben bestand?

Doch als sie die Vorhalle betraten, wurde er schnell aus seinen Grübeleien gerissen, denn seine Freunde kamen ihm schon entgegen.

„Wo warst du denn so lange?“ erkundigte Joey sich.

Yugi warf Yue noch einen entschuldigenden Blick zu, bevor er sich von den anderen wieder in die Aula mitziehen ließ.
 


 

Nach der Party war Yugi guter Dinge.

Leise vor sich hinsummend schloss er die Wohnungstür auf und schlich anschließend auf Zehenspitzen nach oben in sein kleines Reich.

Er nahm an, dass seine Eltern schon schliefen, denn auch wenn die Lärmschutzbestimmungen es notwendig machten, dass die Party schon um ein Uhr morgens zu Ende war, war es nun reichlich spät, da er den letzten Bus nach Hause genommen hatte, der um diese Zeit auch noch eine andere Strecke fuhr als tagsüber.

Schnell entledigte er sich seiner Verkleidung und suchte sich dann frische Wäsche und einen Pyjama raus, bevor er unter die Dusche sprang.

Gut gelaunt drehte er das Wasser auf und stellte fest, dass er nun einen Ohrwurm hatte.

Er seufzte. Normalerweise mochte er es gar nicht, wenn ihm ein Lied unablässig den Gehörgang hoch und runter rauschte.

Aber diesmal wollte er sich nicht die Laune verderben lassen, doch nicht von einem Lied.

Als er fertig war, zog er sich seinen hellblauen Schlafanzug an.

Beim Zähneputzen hörte er plötzlich ein lautes Scheppern.

Yugi hielt erschrocken inne.

Was war das denn gewesen?

Hastig spülte er den Mund aus und als er lauschte, waren laute Stimmen zu vernehmen.

Irritiert warf er einen Blick in den Spiegel, wo ihm ein Yugi entgegenblickte, der genauso aussah, wie er sich fühlte.

Geschwind tapste er, barfuss wie er war, die Treppe hinunter und der Lärmquelle entgegen.

Die Küchentür stand einen Spalt breit offen und gelbes Licht viel gespenstisch in den schwarzen Flur, denn Yugi hatte kein Licht angemacht.

„… nicht tun!“ rief gerade seine Mutter mit tränenerstickter Stimme.

„Wir müssen es ihm sagen! Mit 18 ist er alt genug, um zu erfahren, dass wir uns Scheiden lassen wollen!“ erwiderte sein Vater mit erhobener Stimme.

„Du willst die Scheidung!“ erklärte seine Mutter aufgebracht. „Schließlich hast du eine Geliebte! Bei mir war bis vor kurzem von wollen keine Rede!“

Sie schluchzte. „Zum Glück hat er unsere Streitereien noch nie mitbekommen.“

Yugi stand still hinter der Tür und ballte seine Hände zu Fäusten.

Er konnte nicht glauben, was er soeben gehört hatte.

Seine Eltern würden sich also scheiden lassen.

Tränen sammelten sich in seinen Augen.

Jetzt verstand er.

Der Junge riss die Tür auf.

„Das hättet ihr mir echt früher sagen können!“ brüllte er seine Eltern an.

Dicke Tränen liefen über seine Wangen.

Er wandte sich an seinen Vater. „Deshalb die ‚Männertage’! Du wolltest dich heimlich, still und leise von mir verabschieden und dann einfach verschwinden! Mutter hätte es mir schon erklärt, wie?“

Sein Gesicht war rot vor Zorn.

Sein Vater, der sich als erstes von der Überraschung durch Yugis Auftauchen erholt hatte, tat einen Schritt auf seinen Sohn zu und streckte die Hand nach ihm aus, da er ihn beruhigen wollte.

„Ich hasse dich!“ schleuderte Yugi ihm entgegen und drehte sich blitzschnell um.

Er griff sich seine Jacke von der Garderobe, seinen Mantel hatte er in seinem Zimmer liegen, schlüpfte in die Schuhe, ohne diese allerdings zuzubinden und verließ schleunigst das Haus.

Seine Gedanken rasten, knallten gegeneinander, wurden entzwei gerissen, verknoteten sich.

Manch Gedanke hallte tausendfach als Echo in seinem Kopf wider, andere waren so schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht waren.

Doch alles lief nur auf eine einzige Frage hinaus:

Was wird nun aus mir?

Erst nach einiger Zeit bemerkte er, dass es in der knappen Stunde, die er zu Hause gewesen war, geregnet haben musste, denn der Boden war nass und einige Pfützen waren zu sehen.

Er stolperte über die losen Schnürsenkel, konnte sich aber noch gerade so auffangen und auf den Beinen halten.

Dennoch hielt er nicht an, musste die ganze Wut aus sich raus rennen.

Aus lauter Frust über das Gespräch, dass er belauscht hatte, liefen ihm die Tränen immer wieder von neuem über die Wangen.

Plötzlich hörte er hastige Schritte in der Ferne und er fragte sich augenblicklich, ob sein Vater ihn suchen würde.

Zum Glück kannte er hier ganz in der Nähe ein Versteck, in dem er sich immer verborgen hatte, wenn ältere Jungs ihn als Prügelknaben hatten benutzen wollen.

Dort angekommen wartete er eine Weile, um wieder zu Atem zu kommen.

Außerdem nutzte er die Gelegenheit, endlich seine Schuhe zuzubinden.

Als er sicher war, dass die Schritte an ihm vorüber gerannt waren und auch nicht zurückkommen würden, wagte er sich wieder aus seiner Deckung.

Er überlegte, was er nun tun sollte.

Zurück wollte er unter gar keinen Umständen.

Während er gedankenverloren weiter ging, ging er in Gedanken seine Möglichkeiten durch.

Zu Tristan konnte er nicht, Téa übernachtete bei ihm und zweien seiner Freund wollte er keine Rechenschaft schuldig sein.

Ein besorgtes Augenpaar würde reichen.

Aber zu Joey konnte er auch nicht, denn er wollte nicht daran schuld sein, dass sein Vater ihn womöglich aus der Wohnung warf, wenn er dort mitten in der Nacht auftauchte.
 


 

Nach weiterer vergangener Zeit konnte er an einer öffentlichen Anzeige sehen, dass die Temperatur unter dem Gefrierpunkt lag und er schon mindestens eine Stunde durch die Stadt lief.

In dieser Zeit war er fast steif gefroren und den Tränenspuren auf seinen Wangen ging es kaum besser.

Er bemerkte, dass er vor einem nur allzu bekannten Mietshaus angekommen war.

Seine Füße hatten ihn wie von alleine dorthin getragen.

Doch was erwartete er sich hier?

Trost?

Immerhin war es mitten in der Nacht.

Ohne weiter darüber nachzudenken, hatte er auch schon die Klingel betätigt.

Er biss sich auf die Unterlippe.

Es war vorhin auf der Anzeige bereits viertel vor vier gewesen, Atemu schlief sicher schon.

Aber wer sagte denn überhaupt, dass er nach der Schulfete nach Hause gegangen war?

Immerhin hatte er seinen Bruder dabei gehabt.

Vielleicht waren sie noch woanders hingegangen und er somit gar nicht zu Hause.

Und die Stille in der Gegensprechanlage deutete ebenfalls darauf hin.

Gerade, als er schon dachte, keine Antwort mehr zu erhalten und sich abwenden wollte, hörte er ein leichtes Knacken.

„Ja?“ Atemu hörte sich so verschlafen an, dass Yugi sich schämte, ihn aus dem Schlaf gerissen zu haben.

„Atemu!“ krächzte er, noch immer einen Klos vom Weinen im Hals.

Eine Weile herrschte Stille.

„Yugi!“ Atemus Stimme klang sehr überrascht und nun auch wach.

Yugi hörte den Türsummer, betrat rasch das Haus und rannte geschwind die Treppen hoch.

Doch am Treppenabsatz direkt gegenüber von Atemus Wohnung blieb er stehen.

Nun war er doch unsicher, aber es war nicht mehr zu ändern, dass er den Referendar geweckt hatte.

Atemu lehnte mit verschränkten Armen am Türrahmen zu seiner Wohnung.

Mit aufmerksamen, wachen Augen fixierte er Yugi zunächst, was dessen Unbehagen noch steigerte, dann musterte er ihn eingehend.

Yugi wollte erst gar nicht wissen, wie verheult er aussah.

Atemu trat einen Schritt zurück und ließ seinen Gast in die Wohnung.

Der Junge zog brav seine Schuhe aus und Atemu nahm ihm die Jacke ab.

„Du siehst ganz schön verfroren aus“, stellte Atemu fest.

Erst als Atemu es erwähnte, bemerkte er, dass ihm tierisch kalt war.

Yugi folgte seinem Gastgeber ins Wohnzimmer, wo er sich gleich neben die Heizung setzen musste.

Nach einer Weile kam Atemu wieder, um die Couch in eine Schlafgelegenheit zu verwandeln.

Dann wickelte er den Kleinen in eine dicke Wolldecke und legte noch eine zusätzliche um ihn herum.

Kurz verschwand Atemu wieder und kam mit zwei dampfenden Tassen aus der Küche.

Er lächelte auf Yugi herab und setzte sich dann neben ihn. „Ich habe uns einen Pfefferminztee gemacht. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, ist das dein Lieblingstee. Und er beruhigt auch die Nerven.“

Yugi konnte gar nicht anders, als das Lächeln zu erwidern, selbst wenn er sich ziemlich mies fühlte.

Er nahm seine Tasse entgegen.

Mit beiden Händen umklammerte er sie und überlegte, wie er anfangen sollte.

Der Junge fand, dass Atemu wenigstens eine Erklärung verdient hatte, wenn er schon mitten in der Nacht auftauchte und ihn aus dem Schlaf riss.

Aber er war sehr dankbar dafür, dass Atemu noch gar nicht nach dem Grund für sein plötzliches Auftauchen gefragt hatte und ihn offenbar nicht drängen wollte, etwas zu erzählen.

Atemus Nähe reichte ihm eigentlich schon aus, um sich zu beruhigen und sich besser zu fühlen.

Es gelang ihm sogar halbwegs, klare Gedanken zu fassen und sie einigermaßen zu sortieren.

„Meine Eltern lassen sich scheiden“, platzte er nach einer Weile heraus.

So, nun hatte er es ausgesprochen und nun wurde die Gewissheit noch unerträglicher.

Atemu sah ihn nur schweigend an und wartete offenbar darauf, dass Yugi weiter sprach.

Dieser atmete tief ein, trank mehrere Schlucke seiner Tees, bevor er dann berichtete, was er zuvor erfahren hatte.

Sein Gegenüber unterbrach ihn nicht, sondern hörte einfach nur aufmerksam zu.

Yugi konnte es nicht verhindern, dass er wieder anfing, zu schluchzen und dass gewaltige Tränen über seine Wangen flossen und die alten Tränenspuren, die er sich schon weggewischt hatte, wieder nachzeichneten.

Atemu legte tröstend einen Arm um seinen kleinen Gast und ließ ihn sich ausheulen.
 


 

Als Yugi wach wurde, fühlte er sich behaglich warm.

Er schlug die Augen auf und sah direkt in Atemus schönes, makelloses Gesicht.

Schlagartig wurde ihm klar, dass sein Kopf auf Atemus Schoss lag und er diesen offenbar während der Nacht als Kopfkissen benutzt hatte.

Der Ältere schlief noch fest, sein Kopf war leicht nach vorne geneigt, so dass ihm die blonden Strähnen ins Gesicht fielen.

Yugi betrachtete ihn in der Morgensonne, die durch die roten Vorhänge sickerte.

Er ließ seinen Blick über den fein geschwungenen Mund, die weichen Wangen und die sanfte Stirn gleiten.

Der Junge beschloss, dass er den Anderen in keinem Fall wecken wollte, das hatte er schon in der Nacht getan.

Da Atemu ihn so freundlich aufgenommen hatte, hatte er es jetzt verdient, weiterzuschlafen.

Zumal es Yugi nur schwer möglich war, aufzustehen, ohne ihn zu wecken, denn Atemu hatte einen Arm quer über Yugis Körper zu seiner entgegen gesetzten Schulter gelegt.

Leicht lächelnd griff Yugi nach besagter Hand und schloss die Augen wieder.

Nachdem er eine Weile ruhig gelegen hatte, fühlte er, wie seine Hand ergriffen wurde.

Noch ehe Yugi die Augen öffnen konnte, spürte er Atemus Lippen in der Innenfläche seiner Hand und als seine Augen schließlich offen waren, sah er, dass Atemu seine Hand gegen seine Wange drückte, sich dagegen schmiegte und die Augen dabei geschlossen hielt.

Yugi fühlte die Haut an seiner Hand und strich Atemu sachte über die Wange.

Dieser öffnete die Augen und lächelte zärtlich auf ihn hinab.

Dann ließ er Yugis Hand los. „Lass uns frühstücken.“

Der Jüngere nickte und kaum hatte er den Kopf erhoben, war Atemu auch schon aufgestanden.

Er griff nach seiner Tasse, die er am Vortag geleert hatte und folgte Atemu in die Küche.

Atemu besah sich derweil den Inhalt eines kleinen Topfes.

„Trinkst du den Tee auch kalt, oder soll ich ihn wieder warm machen?“ wandte er sich schließlich an Yugi.

In der Nacht war noch etwas in dem Topf zurückgeblieben, fürs Frühstück würde es allemal reichen.

„Warm wäre es mir lieber“, entgegnete Yugi und griff schon automatisch zu besagtem Schalter für die Herdplatte.

Doch auch Atemu griff fast gleichzeitig danach, so dass seine Hand auf der des Älteren landete.

„Entschuldigung.“ Yugi zog rasch seine Hand weg und wandte sich verlegen und rot um die Nasenspitze ab.

„Wofür denn?“ Atemu lächelte den Kleinen an und ließ den Herd warm werden.

Danach suchte er das Geschirr zusammen und deckte mit Yugis Hilfe den Tisch.

Yugi ging zum Herd zurück.

Er selbst hatte auch schon einige Erfahrungen mit der Teezubereitung und kam zu dem Schluss, dass dieser schon warm genug war.

Derweil hatte Atemu sich schon an den Tisch gesetzt.

Der Junge nahm seine Tasse und füllte sie.

Zurück am Tisch stellte er sie an seinen Platz.

„Atemu?“ fragte er schließlich unsicher.

„Hm?“ Atemu sah fragend zu ihm hoch.

Yugi stand direkt vor ihm und sah ihn mit einem unglaublich süßen Gesichtsausdruck an.

„Müssen wir wirklich so lange warten? Ich meine …“ Oh Gott, wieso hatte er überhaupt damit angefangen?

Und wie fortfahren? Er wusste nicht, wie er am Besten das ausdrücken sollte, was er ihm sagen wollte.

Was sollte es, nun war es eh egal, jetzt oder nie!

Yugi setzte sich seitwärts auf Atemus Schoss und presste ihm ungestüm die Lippen auf den Mund.

Atemu war total überrumpelt und sehr überrascht über Yugis Aktion, so sehr, dass er erstmal gar nicht reagierte.

Was mache ich da? schoss es Yugi plötzlich durch den Kopf.

Es war zwar der beste Weg, Atemu mitzuteilen, was er ihm sagen wollte, aber der hatte ihm doch gesagt, dass er das nicht wollte, oder etwa nicht?

Hatte ihn abgeblockt und vertröstet.

Also weshalb das Ganze?

Und diese Nichtreaktion machte ihm nur noch deutlicher, dass er gerade einen Fehler, einen großen Fehler begangen hatte.

Aber er konnte es jetzt nicht mehr rückgängig machen.

Plötzlich und unerwartet öffnete Atemu seine Lippen und strich sanft mit der Zunge über die von Yugi, um Einlass bittend.

Yugi riss überrascht die Augen auf, wich aber nicht zurück.

Schon nach kurzer Zeit teilte er seine Lippen, um Atemus Zunge einzulassen.

Es war ein berauschendes Gefühl, wie Atemu sich langsam vortastete, sanft über seine Zunge und seinen Gaumen strich.

Leicht stupste er Yugis Zunge an und zögerlich antwortete Yugi auf Atemus Zungenspiel.

Er fühlte, wie sich eine wohlige Hitze in ihm ausbreitete.

Dann spürte er, wie Atemus Hand unter sein Oberteil glitt und zärtlich über seinen Rücken strich, während die andere sich mit der Innenseite des ihm zugewandten Oberschenkels beschäftigte.

Yugis Herz raste.

Atemu zog seine Zunge langsam aus Yugis Mund zurück und dieser ließ seine eigene der des Älteren begierig folgen, so dass es nun an ihm war, die warme Mundhöhle Atemus zu erkunden.

Jäh löste Atemu sich von Yugi.

„Yugi …“, keuchte er. „Hör auf damit!“

Er senkte den Kopf, schloss die Augen, versuchte, wieder zu Atem zu kommen und ließ auch die Hände an seinen eigenen Seiten herabbaumeln.

Der Jüngere sah ihn etwas verwirrt an.

Natürlich, er hatte damit angefangen, aber wer bitteschön hatte ihm denn gerade den ersten Zungenkuss seines Lebens gegeben?

Es hatte den Anschein gehabt, als würde er es ebenfalls genießen.

Und jetzt gab er ihm die alleinige Schuld?!

„Du machst mich noch ganz verrückt!“ flüsterte Atemu leise.

Yugi lächelte leicht.

Er hatte sich umsonst Sorgen gemacht.

Atemu hatte einfach nur Angst, etwas Überstürztes zu tun.

Zärtlich strich er über Atemus Wange, küsste ihn auf die Stirn.

Dann stand er auf und setzte sich Atemu gegenüber.

Während sie schweigend aßen, dachte Yugi über den Kuss und seine Gefühle dabei nach.

Er war so nervös gewesen, dass er seine Gefühle nicht hatte klar zuordnen können, was er nun versuchte, nachzuholen.

Neben Nervosität und einer Spur von Furcht, Atemu könnte ihn abweisen, hatte er eindeutig Glück und Liebe empfunden.

Bevor er sich in Atemu verliebt hatte, hatte er sich Zungenküsse immer nass vorgestellt und Angst gehabt, dass sein Partner seine Zunge so weit in seinen Mund stecken würde, dass er zu ersticken drohte.

Aber er hätte sich denken können, dass Atemu ganz anders war, ganz sanft und zärtlich, darauf bedacht, ihn nicht zu verletzen.

Schließlich ergriff Atemu wieder das Wort. „Wie läuft es mit deinen Abi-Vorbereitungen?“

Der Jüngere hob den Blick und lächelte. „Ganz gut, denke ich. Mit Geschichte komme ich gut voran, nur Mathe im Mündlichen bereitet mir etwas Sorgen.“

„Da kann ich dir, wie du weißt, leider auch nicht helfen.“ Atemu lächelte milde. „Mathe war mein Hassfach. Daher auch die schlechten Leistungen.“

Yugi grinste. Irgendwie war es seltsam, so offen mit seinem Referendar über dessen Hassfach zu reden.

„Was ist mit Ägyptisch? Soweit ich weiß, kannst du doch in deiner Kombination auch im Wahlgrundkurs ins Mündliche gehen“, fragte Atemu.

Yugi seufzte. „Ja, schon, und in Ägyptisch würde ich sicherlich besser abschneiden, als in Mathe, aber für Ägyptisch gibt es keinen Zweitprüfer. Außerdem hat auch Herr Al Faysal kein Ägyptisch studiert, es ist nur seine Muttersprache. Also würde ich da komplett ohne Prüfer dastehen. Ich hab mich da erkundigt.“

„Du solltest dich jedenfalls nicht beeinflussen lassen“, meinte Atemu und sah den Jüngeren an.

Yugi senkte den Kopf.

Natürlich wusste er, dass Atemu die Scheidung seiner Eltern meinte.

Es war ihm erfolgreich gelungen, sie halbwegs zu verdrängen, als er auf Atemus Schoss gesessen hatte, aber zuvor hatte er sich wieder den Kopf zerbrochen, wie es nun weitergehen würde.

Am Liebsten wäre es ihm, wenn alles so weitergehen könnte, wie bisher, als sein Vater sowieso so gut wie nie zu Hause gewesen war.

Zum Glück war er volljährig und es fiel ihm auch nicht allzu schwer, sich zwischen seinen Elternteilen zu entscheiden, da sich ja meistens eh nur seine Mutter um ihn gekümmert hatte.

Er nickte leicht, um seinem Gegenüber zu verstehen zu geben, dass er sich nicht ablenken lassen würde.

Schließlich wusste auch er, dass sein Schulabschluss für sein weiteres Leben entscheidend war.

Abitur

13. Abitur
 

Drei Wochen später kam Joey Yugi grinsend entgegen, als dieser früh morgens das Foyer ihrer Schule betrat.

Yugi zog die Augenbraue hoch.

Der Blonde schien darauf erpicht, ihm irgendwas mitzuteilen und es schien ihn hoch zu erfreuen.

Also fehlte irgendein Lehrer, der Joey auf dem Kieker hatte?

Nein, es war Mittwoch und besagter Lehrer unterrichtete Joey an diesem Tag nicht.

„Hey, Alter, du darfst dich freuen!“ Joey schlug seinem Kumpel auf die Schulter und legte den Arm dann um den Jüngeren und zog ihn an sich.

Der Junge sah fragend zu ihm auf und stellte fest, dass es in Joeys Augen fast schon amüsiert aufblitzte. „Was ist denn los?“

„Heute ist es sicher soweit!“ Joey grinste zufrieden als wüsste er etwas, das sonst niemand wusste.

„Nun sag schon!“ Yugi wurde ungeduldig.

„Herr Yamito verteilt gelbe Rosen!“ eröffnete der Größere ihm und machte ein Gesicht, als hätte er Yugi gerade sein größtes Geheimnis offenbart.

„Ja und?“ fragte Yugi verwirrt, fühlte aber einen kurzen Stich in der Brust.

Rosen?

Er wusste nicht, worauf Joey hinauswollte.

Dieser verdrehte die Augen. „Schon mal in den Kalender geguckt?“

Als Yugi den Kopf schüttelte, seufzte Joey. „Heute ist White Day. Was machen Jungs am White Day? Richtig, sie schenken jedem Mädel, von dem sie am Valentinstag Schokolade geschenkt bekommen haben, im Gegenzug nun weiße Schokolade. Je mehr sie das Mädel mögen, desto teurer.“

„Und was hat das mit gelben Rosen zu tun?“ wollte Yugi nun wissen.

„Ganz einfach. Statt weißer Schokolade verschenkt Herr Yamito eine einzelne gelbe Rose“, fuhr Joey fort.

„Und jeder weiß: eine gelbe Rose bedeutet ‚Tut mir leid, ich bin bereits vergeben.’ Tja, was sagst du dazu?“ wollte Joey begierig wissen und grinste breit.

Yugi riss die Augen auf.

Konnte das wirklich sein?

Atemu bekannte sich öffentlich dazu, vergeben zu sein?

Ihm wurde vor Glück ganz schwindelig im Kopf.

„Ich bin mir sicher, dass du dich heute noch auf was gefasst machen kannst“, bemerkte Joey zuversichtlich.

Doch es bestand das gleiche Problem, wie am Valentinstag: sie hatten mittwochs keinen gemeinsamen Unterricht.

Beide schwiegen eine Weile und Yugi hing seinen Gedanken nach.

„Stell dir vor“, ergriff Joey nun wieder das Wort. „Seto will sein Image wechseln. Deshalb macht er jetzt den Motorradführerschein.“

Yugi sah seinen Freund überrascht an. „Sollte er nicht erstmal den richtigen Führerschein machen? Der lässt sich doch sonst nur von seinem Chauffeur in der Limousine herumkutschieren.“

Joey winkte ab. „Den hat er doch schon längst. Er hat sich gestern erst ein neues Auto gekauft. Einen Ferrari. Mann, ist das ein Schlitten!“

Die Begeisterung war dem Blonden deutlich anzuhören.

„Wie, du hast sein neues Auto schon gleich gesehen? Hat er denn eine Probenfahrt mit dir gemacht?“ hakte Yugi perplex nach. „Und Seto darfst du ihn auch nennen?“

„Ja, ja. Wenn er dann im Sommer 21 wird, macht er sich sein eigenes Geschenk, indem er den Führerschein besteht und sich ein Motorrad kauft“, erklärte Joey.

„Wie kommt es eigentlich, dass ihr beiden, als ehemalige Erzrivalen, nun plötzlich so gut miteinander auskommt?“ wollte Yugi schließlich neugierig wissen.

Joey zuckte mit den Schultern. „Vielleicht liegt es daran, dass wir jetzt miteinander reden. Vorher haben wir ja kein Wort gewechselt. Wir versuchen, den jeweils anderen besser zu verstehen. Außerdem hat seine letzte Beziehung ihn ganz schön umgekrempelt.“

„Beziehung?“ fragte Yugi überrascht nach. „Ich hätte ja eher gedacht, dass er beziehungsunfähig ist.“

„Was glaubst du, wie es mir ergangen ist, als ich davon erfuhr? Jedenfalls hat er sich geändert, anderthalb Jahre ist schon einige Zeit. Er ist schon etwas lockerer, selbst wenn er seine selbstgefällige Maske noch immer gern zur Schau stellt und sie auch mir oder Mokuba gegenüber nur selten abnimmt. Seto kann halt nicht anders, als eiskalt und arrogant zu wirken. Aber er will sich jetzt anstrengen, das Bild von sich zu ändern, auch sich selbst gegenüber“, erläuterte Joey.

„Und du bist dir sicher, dass das funktioniert?“ Yugi war da mehr als skeptisch.

Wie oft hatten er und Yami ihm denn angeboten, ihn in ihren Freundeskreis aufzunehmen?

Mindestens genauso oft hatte er ihnen die kalte Schulter gezeigt und abgelehnt, wenn nicht sogar noch öfter, da er sie meist erst gar nicht zu Wort hatte kommen lassen.

„Kommt das von ihm selbst oder willst du ihn dazu drängen? Denn wenn dem so ist, fürchte ich, dass das nach hinten losgeht. Er muss es schon selbst wollen“, gab Yugi zu bedenken.

„Also jetzt mal ehrlich, denkst du, dass Seto sich zu irgendwas zwingen lassen würde? Nee, nicht im Traum! Ich hab ihm nur erzählt, dass dein Quasi-Freund Motorrad fährt und er war sofort Feuer und Flamme!“ entgegnete Joey.

„Quasi-Freund?“ Yugi hob eine Augenbraue.

Außerdem war es schwer, sich vorzustellen, dass Kaiba leidenschaftlich sein konnte, geschweige denn, Feuer und Flamme für etwas, das nichts mit Duell-Monsters oder seiner Firma zu tun hatte.

Er war ja noch nicht einmal von den Vorschlägen seines Bruders so leicht zu begeistern.

„Na, ihr seid doch so gut wie zusammen“, war Joey sich sicher. „Erst Liebesgeständnis und jetzt die gelben Rosen…“

„Er hat aber gesagt, dass er momentan keine Beziehung will“, unterbrach Yugi. „Zumindest keine zu mir, da ich ja sein Schüler bin.“

Der Junge hatte keine Lust, sich die Chancen von seinem Freund aufzählen zu lassen, immerhin bestand noch die geringe Möglichkeit, dass aus ihnen beiden nie etwas werden würde.

„Ich glaub, mein Schwein pfeift! Das hört sich ja so an, als wolltest du dem Mann unterstellen, dass er mit jedem anderen einfach eine Beziehung eingehen würde, obwohl er nur dich liebt! Mann, du bist so was von pessimistisch! Gib ihm einfach etwas Zeit. Und wie schon gesagt, ich bin mir sicher, dass heute noch was kommt.“ Joey hingegen war so zuversichtlich wie eh und je.
 

**
 

„Yugi.“ Angesprochener zuckte leicht zusammen.

Der Ältere hatte ihn einfach ohne Vorwarnung von hinten angesprochen.

Etwas Seltsames lag in Atemus Stimme, so dass Yugi ihn sofort anblickte.

Der Ältere lächelte, doch seine Augen blieben dabei recht ernst.

„Kommst du kurz mit?“ Ohne auch nur Yugis Nicken abzuwarten, zog der Ältere ihn in ein leer stehendes Klassenzimmer.

Er stellte seine Tasche aufs Pult und lehnte sich dann dagegen. „Dreh mir bitte den Rücken zu.“

Yugi tat wie ihm geheißen und wartete gespannt.

„Hm, könntest du nicht dein Halsband ausziehen?“ fragte Atemu nachdenklich und zuppelte an diesem.

Der Jüngere riss die Augen auf.

Nein! Er sollte es nicht sehen! Noch nicht …

Er hielt das Band fest und schüttelte den Kopf.

„Bitte, Kleiner.“ Atemus Stimme war ganz weich und Yugi spürte, dass es ihm wichtig war.

Er hörte, dass sein Hintermann nach etwas in der Tasche kramte, er ließ die Hand aber vorläufig darin vergraben, damit Yugi, falls er nach hinten blicken würde, nicht sehen würde, was er in der Hand hielt.

Nach einigem Zögern und einem unterdrückten Seufzen löste Yugi schließlich doch das Band.

Er würde es eh bald sehen, warum nicht jetzt?

Doch kurz nachdem er das Band mit gesenktem Kopf in seinen Händen hielt, spürte er, wie Atemu ihm etwas um den Hals legte.

Dann griff er um den Jüngeren herum, knotete es und band es zu einer wunderschönen großen Schleife.

Es war ein breites weißes Seidenband, das den Großteil seines Halses verdeckte, genauso, wie sein übliches Band.

Yugi begriff sofort, was das Band, was die Schleife bedeutete.

Normalerweise banden die Jungs ihrem favorisierten Mädchen eine weiße Schleife ins Haar.

Das bedeutete dann, dass er die ihm entgegengebrachten Gefühle erwiderte und sich wünschte, dass sie bald ein Paar würden.

Tränen des Glücks stiegen ihm in die Augen.

„Atemu!“ Überglücklich drehte er sich zu Genanntem um und strahlte ihn regelrecht an.

Dieser lächelte zurück und aller Ernst war aus seinen Augen verschwunden und Yugi ahnte, wie viel es ihm bedeutete, ihm diese Schleife umzubinden.

Yugi umarmte Atemu kurz.

„Das war ja noch nicht alles“, lachte Atemu leicht und drückte Yugi ein flaches rechteckiges Päckchen in die Hand.

„Aber du solltest jetzt besser gehen.“ Atemu strich Yugi zärtlich durchs Haar.

Yugi verließ den Raum und wurde sogleich von einem erstaunten Joey in Empfang genommen. „Na, was hab ich dir gesagt? Aber gleich eine weiße Schleife … Ist das nicht auffällig? Gerade heute?“

Der Kleinere zuckte mit den Schultern. „Die könnte ja von jedem stammen.“

Und da die Pause eigentlich schon vorbei war, waren auch keine Schüler auf dem Gang, die etwas gesehen haben und die richtigen Schlüsse gezogen haben könnten.

„Und was ist das?“ Der Blonde deutete auf das Päcken, dass Yugi noch immer umklammerte. „Sicherlich weiße Schokolade.“

Yugi sah auf das Geschenk herunter.

Ja, vermutlich hatte Joey Recht.

Aber er hätte jetzt Lust auf ein Stück.

Also wickelte er das Papier vorsichtig ab.

Joey pfiff durch die Zähne. „Das ist ja europäische Schokolade. Verdammt teuer. Du musst ihm wirklich sehr viel bedeuten.“ Joeys Stimme war voller Anerkennung.

Yugi nickte schweigend, musste erstmal verdauen, dass er Atemu wirklich so viel bedeutete.

Immerhin hatte er sich die Schokolade aus Europa schicken lassen.

Schokolade samt Transport also sehr teuer.

Und es würde ihn nicht wundern, wenn das auch in Europa selbst, also ohne Transportkosten, die teuerste Schokolade war, die man auftreiben konnte.

Sie war eigentlich schon fast so kostbar, dass Yugi der Gedanke nicht so recht behagen wollte, sie noch vor dem Ablaufdatum zu verspachteln.

Aber um sie verfallen zu lassen, dafür war sie erst recht zu schade.
 

**
 

Seit Wochen schon saß Yugi nun über seinen Unterrichtsmaterialien und büffelte fürs Abi.

Um Japanisch und Englisch machte er sich keine Sorgen, wahrscheinlich würde er das Lektürethema wählen und in Englisch ging es in erster Linie ebenfalls mehr ums Textverständnis.

Was ihm mehr Sorgen bereitete waren Mathe und Geschichte.

Geschichte war schließlich ein reines Lernfach und das Ganze lückenlos in den Kopf zu bekommen eine Glanzleistung.

Am Schwierigsten fiel ihm natürlich Mathe und das damit verbundene Erklären, immerhin würde er das mündlich abgefragt werden.

Wieso hatte er sich auch ausgerechnet eine Leistungskurskombination aussuchen müssen, bei der er in Mathe in Mündliche musste?

Hätte er besser bleiben lassen.

Aber seine drei Leistungsfächer waren nun einmal seine besten und machten ihm am meisten Spaß.

Nur, was er später nach der Schule damit anfangen würde, da war er sich auch noch unschlüssig.

Am Besten wäre es sicherlich, noch ein Studium dranzuhängen.

Er war so mit Lernen beschäftigt, dass er kaum mitbekommen hatte, dass schon Osterferien waren.

Aber allein durch die Tatsache, Atemu nun nicht mehr zu sehen, war es ihm nur allzu bewusst geworden.

Doch er verdrängte alles Sehnen so gut es ging.

Der Junge musste alle ihm zur Verfügung stehende Zeit zum Lernen nutzen.

Leise hörte er es an seiner Zimmertür klopfen.

Überrascht hob er den Kopf.

Seine Mutter klopfte doch sonst nicht an und kam einfach hereingestürmt.

Ach, Moment, seine Mutter war ja gar nicht da.

Großvater?

„Herein!“ meinte er nur und sah zu, wie die Türe langsam aufgestoßen wurde.

„Hey! Ich wollte fragen, ob du nicht Lust auf einen kurzen Spaziergang hast?“ lächelte Atemu ihn an, der plötzlich in seinem Zimmer stand.

Yugi war erst einmal sprachlos und musste blinzeln, ob Atemu wirklich anwesend war.

Dann fiel sein Blick auf die Uhr. „Die Sonne geht doch bald unter!“

„Eben!“ erwiderte Atemu noch immer lächelnd.

Ein Spaziergang im Sonnenuntergang? Wie romantisch!

Yugi sprang auf und ließ seine Sachen einfach auf dem Schreibtisch liegen.

Gemeinsam gingen sie die Treppe hinunter, Yugi zog Schuhe und Jacke an, schnappte sich den Haustürschlüssel und sie verließen das Haus.

„Ich dachte mir, ein wenig Ablenkung würde dir ganz gut tun“, erklärte Atemu.

Er hob eine Hand. „Aber das wird das einzige Mal sein, dass ich heute die Schule erwähne. Wie geht es dir?“

Der Ältere musterte den Jungen von der Seite, während sie durch ein paar Straßen schlenderten.

„Bis auf den Lernstress, ganz gut“, erwiderte Yugi.

„Wie kommst du mit der Situation zu Hause zurecht?“ fragte Atemu weiter.

Sie bogen auf einen Pfad ein, der in ein Waldstück führte.

Yugi zuckte mit den Schultern. „Im Grunde hat sich nicht viel geändert. Nur auf dem Papier.“

Sie schwiegen eine Weile, während sie einen kleinen Hügel empor stiegen.

„Mein Vater ist wieder in Paris, bei seiner Geliebten, und wir drei leben eigentlich so weiter wie bisher“, erläuterte Yugi.

Wieder schwiegen sie.

Es war, als ob Atemu ahnen würde, dass Yugi gleich weiter sprach. „Aber ich glaube, das ist nur Schein. Manchmal, wenn ich nachts auf die Toilette gehe oder mir etwas zu Trinken hole, höre ich leises Schluchzen aus dem Zimmer meiner Mutter. Und auch ich sitze manchmal da und kann mich deswegen nicht konzentrieren.“

Atemu ergriff Yugis Hand und drückte sie kurz.

Dann traten sie auf eine Lichtung hinaus, von der aus man einen perfekten Ausblick auf den Wald ein paar Meter unterhalb des Hügelplateaus hatte.

Der Himmel begann schon, sich langsam orange zu färben.

Atemu strich sich durch die Haare.

„Mit der Familie hat man es oft nicht leicht.“ Es klang so, als würde er aus eigener schmerzlicher Erfahrung sprechen und sofort musste Yugi an das denken, was Yue ihm erzählt hatte.

„Das hört sich sehr leidvoll an“, stellte Yugi fest.

Vielleicht konnte er einfach hier einhaken und mehr herausfinden.

„Oh ja“, seufzte Atemu. „Aber Yue hat mir schon gebeichtet, was er dir erzählt hat.“

Er sah den Jüngeren an und bemerkte, dass dieser vor Verlegenheit ganz rot im Gesicht wurde.

Sanft zog er Yugi zu sich heran und gab ihm einen Kuss auf die Schläfe.

„Was ich aber nicht verstehe, ist, was Shimizu mit dem Ganzen zu tun haben soll“, traute Yugi sich schließlich zu bemerken.

„Ach, das.“ Atemu seufzte abermals und löste sich von Yugi.

Dieser fragte sich prompt, ob das eine so gute Idee gewesen war, dies zu erwähnen, vor allem, da ihm die Umarmung gerade unglaublich gut getan hatte.

„Ich hätte schreien können, als ich es erfahren habe. Kannst du dich noch an damals erinnern, als der Rektor bei mir im Unterricht gesessen hat, auf Shimizus Bitte hin?“ Atemu sah Yugi an und der nickte.

„Ich war nicht ‚zu nett’ zu den Schülern, wie er es ausgedrückt hatte, sondern man hatte ihn gedrängt, einen Grund zu finden, mich durchfallen zu lassen. Faulheit und Unfähigkeit konnte er mir nicht vorwerfen, also musste er sich etwas einfallen lassen. Wobei ich ‚zu nett’ im Nachhinein als unwahrscheinlichsten Kündigungsgrund betrachte, den es gibt. Und wer steckte dahinter? Natürlich mein Vater. Hat Shimizu bestochen, oder vielleicht auch bedroht. Der hat mitgezogen, aber Kamekura ließ sich wohl nicht beeinflussen. Hat ja gesagt, ich soll so weitermachen, wie bisher.“ Er warf Yugi einen Blick zu.

„Und erklär mich für verrückt“, fuhr er fort. „Aber ich habe den Verdacht, dass Shimizus Unfall gar kein Unfall war.“

Was? Das war ja … ungeheuerlich.

Wenn das stimmte, dann musste Atemus Vater wirklich ein ganz hohes Tier sein.

Und legal würde da auch nicht alles ablaufen.

Kein Wunder, dass Atemu keinen Kontakt mehr zu ihm wollte.

Dafür war er viel zu sanftmütig.

„Traust du das deinem Vater wirklich zu?“ Yugi sah Atemu unverwandt an.

Dieser sah wieder in das Tal hinab. „Das ist es ja gerade. Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Am Besten wäre es, wenn ich auswandern würde. Allerdings gäbe es da noch eine andere Möglichkeit.“

Doch so lange Yugi auch wartete, Atemu sprach nicht weiter und nachhaken wollte er auch nicht.

Als Atemu sich wieder umwandte, lächelte er wieder. „Lass uns das Thema wechseln.“
 

**
 

Yugis Hände waren vor Nervosität ganz feucht.

Heute war es soweit, heute stand ihr Geschichtsabitur an.

Er sah sich in der Aula um, in der man Einzeltische aufgestellt hatte, dann sah er nach den betreuenden Lehrern.

Zwischen allen Einzeltischen waren breite Gänge, aber heute würde es sicherlich keiner wagen, einen Abschreibversuch zu starten, heute stand zu viel auf dem Spiel.

Zum Glück war Atemu nicht krank geworden, oder sonstiges, und als Lehrer des Leistungskurses war er natürlich anwesend.

Während er wartete, dass die Fragebögen ausgeteilt wurden, betrachtete er die leeren Doppelblätter mit dem Schulstempel, auf die sie die Antworten schreiben sollten.

Nur zwei Sekunden hatte er nicht aufgepasst und schon war Atemu an ihm vorbeigerauscht und die umgedrehten Fragebögen lagen auf seinem Tisch.

Yugi atmete mehrfach tief durch.

Nur keine Panik!

Das war leider einfacher gesagt, als getan.

Er stützte seinen Kopf auf beiden Händen ab, um zur Ruhe zu kommen.

So schlimm würde es schon nicht werden, versuchte er sich zu beruhigen, und im Grunde wusste er doch alles.

Dennoch, er würde erst gelassener werden, wenn Atemu die Fragen vorgelesen hatte.

Seine sanfte Stimme würde ihn schon beruhigen.

Und sobald er ruhig war, würde es schon klappen.

Atemu ging wieder nach vorne und legte Yugi unauffällig etwas auf dessen Tisch.

Dieser blinzelte irritiert.

Er richtete seinen Blick darauf und konnte ein winziges Stoffkamel erkennen, das auf einer in blaue Folie gewickelten Nuss-Nougat-Praline lag.

Sofort musste er lächeln.

Wie süß, im wahrsten Sinne des Wortes!

Es hieß ja, dass Schokolade die Nervosität eindämmte, aber diese hier tat das schon bei ihrem Anblick, was aber sicherlich nicht an der Schokolade selbst lag, sondern wohl eher an der Geste und dass Atemu ihm auf diese Weise viel Glück wünschte.

Sofort war nicht einmal mehr die Hälfte der Nervosität vorhanden, wie zuvor und das tat ihm unglaublich gut.

Schnell drehte er die Prüfungsbögen um und verfolgte die vorgelesenen Fragen mit den Augen.

Zunächst schien es ihm so, als wüsste er gar nichts mehr.

Alles, was er gelernt hatte, schien wie weggeblasen.

Sein Kopf war absolut leer.

Doch bei der vorletzten Frage schöpfte er neue Hoffnung, denn diese konnte er beantworten.

Nachdem der Referendar noch ein paar aufmunternde Worte an sie gerichtet hatte, las der Junge alle Aufgabenstellungen noch einmal durch und ihm wurde klar, dass das wohl nur ein kurzfristiger Black Out gewesen sein musste, denn zu jeder Frage konnte er definitiv eine Antwort schreiben.

Jedoch schien es nicht allen so zu ergehen, denn er konnte plötzlich ein leises Schluchzen vernehmen.

Yugi hob den Blick und wendete den Kopf ein wenig zur Seite.

Ein paar Tische weiter konnte er sehen, dass Ikumi scheinbar in Tränen aufgelöst war.

Herr Yamito war neben ihrem Tisch in die Hocke gegangen und redete offenbar beruhigend auf sie ein.

Yugi spürte schon Mitleid in sich aufsteigen, als Ikumi sich ganz plötzlich und unerwartet tränenüberströmt und mit rotem Kopf Atemu um den Hals warf.

Dieser schwankte ein wenig und hatte Mühe, nicht nach hinten überzukippen, aber im Endeffekt konnte er sich in der Hocke halten.

Der Anblick versetzte Yugi einen kleinen Stich ins Herz, erst recht, als Atemu Ikumi nun beruhigend den Rücken tätschelte.

„Hey, du schaffst das schon!“ rief nun Reika leise, die hinter Ikumi saß und mit ihr befreundet war.

Ikumi löste sich von dem Referendar und nickte.

Sie versuchte, Atemus Lächeln zu erwidern und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Aufgaben vor sich.

Yugi wandte den Blick ebenfalls auf seinen Fragebogen, konnte aber noch in dieser Bewegung sehen, wie Atemu aufstand und zufällig in seine Richtung sah.

Hoffentlich hatte er nicht mitbekommen, dass er die ganze Zeit zugesehen hatte, hatte nicht gesehen, wie in ihm die Eifersucht leise empor gekrochen war, obwohl er wusste, dass es absurd war.

„Keine Sorge, das sind alles keine Rivalinnen für dich!“ Diese Aussage von Atemu vom Valentinstag kam ihm wieder in den Sinn und er tastete nach Atemus weißer Schleife, die er als Glücksbringer in seiner Hosentasche verstaut hatte, mit der anderen Hand umgriff er den Anhänger um seinen Hals.

Er lächelte leicht.

Natürlich vertraute er Atemu und hastig schob er alle Gedanken bei Seite, die nichts mit Geschichte zu tun hatten und arbeitete still weiter.

Nach einer scheinbaren Unendlichkeit konnte er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter spüren.

„Wie läuft es?“ wollte Atemu im Flüsterton wissen.

Yugi wusste, dass der Referendar dies zwischenzeitlich schon alle seine Schüler gefragt hatte, daher nickte er einfach nur.

„Gut.“ Atemu hörte sich erleichtert an und Yugi sah ihm nach, wie er wieder seinen Platz vor der Bühne einnahm, um alle anwesenden Schüler überblicken zu können.

Der Junge wandte seine Konzentration wieder der Prüfung zu.

Als er das nächste Mal aufblickte, war gerade die kleine Pause zwischen der dritten und vierten Schulstunde vorüber und er kam nicht umhin, festzustellen, dass Atemu nicht mehr da war.

Kurz blickte er sich um, aber auch hinter ihm war keine Spur des Referendars.

Dann hatte er wohl nicht alle fünf Zeitstunden komplett Aufsicht, musste vielleicht sogar unterrichten.

Yugi seufzte.

Mit Atemus Anwesenheit hatte er sich definitiv wohler gefühlt.

Aber es galt das Gleiche, wie mit seiner Eifersucht und der Scheidung seiner Eltern: er durfte sich nicht ablenken lassen.
 


 

Nachdem er seine Unterlagen abgegeben hatte, verließ Yugi erleichtert die Aula.

Er hatte fast die gesamte Zeit, die ihm zur Verfügung stand, auch ausgenutzt.

Zwar war er schon einige Zeit vorher fertig gewesen, aber er hatte die Hoffnung gehegt, dass ihm noch irgendwas einfallen würde, was letztendlich nicht der Fall gewesen war und er nun einfach abgegeben hatte.

Atemu saß auf einem der gepolsterten Stühle in der Vorhalle der Aula und sah nun lächelnd auf, als Yugi endlich aus der Halle kam.

Er griff nach seiner Umhängetasche und ging auf Yugi zu. „Na, wie war’s?“

Yugi nickte. „Ganz OK. Ich bin froh, dass es endlich vorüber ist.“

„Das war deine letzte Prüfung, oder?“ erkundigte Atemu sich.

„Oh ja, zum Glück“, seufzte Yugi erleichtert.

Am Vortag hatte er Englisch geschrieben, Japanisch hatte an dem Freitag in der Vorwoche den Abi-Reigen eröffnet.

Somit stand ihm nur noch die mündliche Prüfung in anderthalb Monaten bevor.

Im Gegensatz zu seinen Freunden.

Téa standen noch Chemie und Chinesisch bevor, Joey und Tristan hatten zwar heute ebenfalls Politik geschrieben, aber für Joey war das ebenfalls die erste Prüfung gewesen, ihm stand also noch einiges bevor.

„Dann lade ich dich heute zur Feier des Tages zu einem Eis ein“, erklärte Atemu.

Yugi lächelte. „Da sag ich sicherlich nicht nein.“

Gerade, als sie gehen wollten, ging die Tür zur Aula erneut auf und Ikumi trat heraus.

Sie sah den Referendar etwas unsicher an.

„Wie ist es gelaufen?“ fragte Atemu auch sie und ein gewisser besorgter Unterton war nicht zu überhören.

Ikumi seufzte. „Nicht sonderlich gut, fürchte ich. Aber nachdem Sie mich getröstet hatten, ging es besser.“

Sie versuchte, etwas zu lächeln, doch es wirkte eher traurig.

„Wird sicherlich nicht so schlimm sein“, versuchte Atemu sie zu trösten und lächelte sie aufmunternd an.

„Schön wär’s.“ Sie warf Yugi noch einen kurzen Blick zu, bevor sie sich verabschiedete.

„Hast du ein Lieblingseiscafé?“ wollte Atemu wissen, während auch sie das Schulgebäude verließen.

„Nein, eigentlich nicht“, schüttelte Yugi den Kopf.

Er genoss es, nun vorläufig stressfrei zu sein.

Der Junge hatte sich vorgenommen, es jetzt erst einmal ruhig anzugehen, bevor er wieder mit dem Lernen anfangen würde.

Er atmete begierig die frische Frühlingsluft ein.

Es war sogar einigermaßen warm und die Sonne schien vom Himmel herab.
 


 

Yugi sah sich in dem kleinen gemütlich wirkenden Eiscafé um, in das ihn Atemu geführt hatte.

Dann folgte er dem Älteren an einen kleinen Tisch abseits des großen Trubels, denn da heute das herrlichste Wetter war, war vor allem der Straßenverkauf sehr angesagt.

Im Gegensatz zu hier drinnen, denn das Café konnte keineswegs als überfüllt durchgehen.

Yugi griff nach der Eiskarte und las sie sich mit großen Augen durch.

Hier konnte man Eisbecher bestellen, von denen er sonst nirgendwo gehört hatte.

Dennoch waren die Preise angenehm anzusehen.

„Ich denke, ich werde einen Italienbecher nehmen“, murmelte Yugi leise zu sich selbst.

Das war zwar nichts außergewöhnliches, aber diese ganzen anderen Kreationen hatten ihn etwas abgeschreckt.

Wenn er sich daraus etwas bestellen wollte, würde er übermorgen noch brütend über der Karte sitzen.

„Und einen Pfefferminztee, nehme ich an?“ bemerkte Atemu, der Yugis Aussage mitbekommen hatte.

„Äh, nein.“ Yugi lachte kurz. „Das passt nun echt nicht dazu. Nein, ich nehme noch einen Bananenmilchshake.“

Atemu nickte verständnisvoll lächelnd.

„Ah, Atemu, schön, dich mal wieder zu sehen. Was darf’s sein?“ wurden die beiden von einem Kellner angesprochen.

„Das Übliche, Sasuke“, lächelte Atemu und auch Yugi gab seine Bestellung auf.

Dann sah dieser Atemu fragend an.

„Ein Bekannter aus meiner Schulzeit“, erklärte Atemu auf die unausgesprochene Frage hin. „Hat mich sogar überredet, für ein Wochenende hier zu arbeiten, aber ganz ehrlich: der Kellnerjob ist nichts für mich.“

Yugi lächelte.

„Was möchtest du eigentlich nach deinem Abi machen?“ wollte Atemu wissen.

Yugi zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Erst mal das Abi bestehen.“

Atemu schüttelte belustigt den Kopf. „Du stapelst tief! Bei dem Turnier habe ich schon festgestellt, dass du dein Licht gerne unter den Scheffel stellst. Das Abi schaffst du doch mit links!“

Angesichts dieses Lobes wurde Yugi leicht rosa um die Nasenspitze.

„Aber jetzt im Ernst. Solltest du dich nicht so langsam entscheiden?“ hakte Atemu nach.

„Nein, eigentlich nicht“, entgegnete Yugi, woraufhin Atemus Gesichtszüge einen überraschten Ausdruck annahmen. „Selbst wenn ich mich nicht entscheiden kann, würde ich nicht nur zu Hause rumhocken und nichts tun. In dem Fall, dass mir bis nach den Sommerferien nichts gescheites eingefallen ist, werde ich bei meinem Großvater im Laden arbeiten, und zwar so lange, bis ich weiß, was ich machen will.“

Der Schulkamerad von Atemu brachte ihnen ihre Getränke.

„Du könntest doch Archäologie studieren. So wie dein Großvater. Glaubst du nicht, dass das etwas für dich wäre? Immerhin sehe ich ja an deinen Noten, dass du dich sehr für Geschichte interessierst. Und in Ägyptisch bist du auch spitze.“ Atemu packte das mit Karamell überzogenen Plätzchen aus, das neben seiner Kaffeetasse serviert worden war.

Yugi schielte zu Atemu hinüber.

Bisher hatte er noch nie gesehen, dass jemand seinen Kaffee schwarz trank.

Seine Mutter und Téa schütteten immer noch Milch hinzu, Joey und Tristan warfen etliche Stücke Zucker hinein.

Bei diesen Überlegungen wurde ihm schmerzlich bewusst, dass er noch nicht einmal wusste, wie überhaupt sein Vater seinen Kaffee trank.

Manchmal kam es ihm so vor, als würde er seinen Vater gar nicht richtig kennen.

Aber dazu hatte er auch nie Gelegenheit gehabt.

Als er noch klein war, hatte er sich für so kleine Details absolut nicht interessiert, dann hatte sein Vater jahrelang in Paris gearbeitet und wenn er einmal zu Hause gewesen war, war der Kaffee sicherlich das Letzte gewesen, woran Yugi gedacht hatte, wenn sie zusammen gegessen hatten.

Und jetzt war es für so etwas zu spät.

„Doch, eigentlich würde es mich schon interessieren. Aber durch meinen Großvater weiß ich eben, wenn man an Ausgrabungen beteiligt ist, dann ist man unter Umständen ein halbes Jahr oder sogar länger von zu Hause fort. Das ist nicht gut für eine Beziehung.“ Mit dem letzten Satz hatte er einfach ausgesprochen, was er dachte, ohne dabei darauf zu achten, wie das nun auf Atemu wirken würde.

„Also, ich meine…“, druckste er jetzt etwas verlegen herum.

„Ich verstehe das schon“, nickte Atemu, während der Kellner nun endlich ihr Eis vor ihnen abstellte.

„Wie es ausgeht, wenn ein Partner lange im Ausland arbeitet, haben mir ja meine Eltern gezeigt“, fügte Yugi schließlich hinzu, während er das Waffeldreieck durch die Sahne mit der roten und der grünen Soße zog, um dann genüsslich davon abzubeißen.

„Du solltest nicht alles, was deine Eltern während ihrer Ehe gemacht haben, als falsch beurteilen, selbst wenn sie schließlich gescheitert ist. Sie werden sicherlich auch glückliche Momente miteinander erlebt haben, sonst hätten sie schließlich nicht geheiratet“, riet Atemu.

Yugi seufzte. „Es fällt mir schwer, meinem Vater nicht die Schuld zu geben.“

„Denkst du nicht, dass deine Mutter zumindest auch ein wenig Schuld trifft? Immerhin hättet ihr doch alle zusammen nach Paris ziehen können.“ Atemu sah Yugi an, während er sein Eis löffelte.

„Naja, anfangs war das auch so geplant. Meine Mutter hat sogar einen Französischkurs besucht. Aber immer ist irgendetwas dazwischengekommen, meist meinem Vater. Irgendwelche dringenden Geschäfte, die den Umzug immer wieder verzögert haben. Heute frage ich mich natürlich, ob er damals schon eine Geliebte gehabt hatte“, erklärte Yugi.

„Meinst du nicht, dass du ihm damit Unrecht tust?“ fragte Atemu.

„Das könnte ich dich mit deinem Verdacht wegen Shimizus Unfall ebenfalls fragen“, meinte Yugi nur.

„Touché. Vielleicht sollten wir Beweise suchen.“ Sie schwiegen eine Weile.

„Warum will dein Vater eigentlich nicht Yue die Firma überlassen?“ wollte Yugi schließlich wissen und sah von seinem Eis auf, aber Atemu tat so, als wäre er schrecklich beschäftigt mit seinem Eis, wollte Yugi nicht ansehen.

„Weil er mein Halbbruder ist“, entgegnete er schlicht, ohne aufzusehen.

„Wie meinst du das?“ hakte Yugi nach. Mit dieser Aussage konnte er nichts anfangen.

Atemu schwieg und überlegte offenbar, was und wie viel er Yugi erzählen sollte.

„Yue hat einen anderen Vater. In ihm fließt nicht das Blut eines Yamito. Das macht ihn in den Augen meines Vaters minderwertig.“ Endlich sah Atemu hoch. „Yue würde die Firma liebend gerne übernehmen, studiert BWL und VWL, arbeitet in den verschiedenen Bereichen der Firma, aber er ist noch immer der kleinste Angestellte, den die Firma unterhält, obwohl er längst hätte befördert werden müssen. Es ist nicht leicht, neben dem Studium so viel zu arbeiten, aber er ist gut. Er bekommt alles unter einen Hut, selbst wenn er im Privatleben etwas schlampig ist. Du erinnerst dich an die massenweise Zigarettenkippen damals in meinem Auto? So ungefähr musst du dir sein ganzes Privatleben vorstellen. Aber im Job ist er sehr korrekt und sehr gut. Doch er ist das Ergebnis eines Ausrutschers meiner Mutter. Sie hatte eine wochenlange Affäre, ist sogar ausgezogen, aber nachdem ihr Liebhaber sie sitzen gelassen hatte, als er erfuhr, dass sie schwanger ist, ist sie reumütig zu meinem Vater zurückgekehrt. Und der lässt sie immer wieder spüren, wie gutmütig er damals gewesen ist, sie wieder in die Familie aufzunehmen. Yue hat er nur zwangsläufig anerkannt, lässt auch ihn immer wieder spüren, dass er nicht sein leibliches Kind ist. Yue hat sein Leben lang um Vaters Anerkennung gekämpft, er kriecht im regelrecht in den Allerwertesten, macht schlichtweg alles, was Vater ihm aufträgt, aber er kann tun, was er will, er wird nie seine Anerkennung, die er zweifelsohne verdient hätte, erlangen. Selbst die Angestellten, die nach Yue eingestellt worden sind, wurden längst befördert, alle sehen Yue mitleidig bis hämisch an. Und alles nur, weil er für den Seitensprung unserer Mutter bestraft wird.“

Yugi schluckte.

Je mehr er über Atemus Vater erfuhr, desto weniger konnte er ihn leiden, selbst wenn er ihn nicht kannte.

Aber sowohl aus Atemus, als auch aus Yues Blickwinkel musste es schwer sein, das zu verstehen, was sein Vater tat, also konnte er ausschließen, ein vorschnelles Urteil zu fällen.

Es war nur allzu deutlich zu spüren, dass Yue Atemu Leid tat und dass diese Angelegenheit ihm an die Nieren ging.

Gerade wollte Yugi tröstend nach Atemus Hand greifen, als dieser fort fuhr. „Du weißt doch, dass ich mich weigere, in die Firma einzusteigen. Ich habe einfach andere Interessen, liebe meine Freiheit. Ich könnte es nicht ertragen, mich ausgerechnet meinem Vater zu unterwerfen, wo dieser es noch nicht einmal für nötig empfand, mich im Krankenhaus zu besuchen. Er hat sogar versucht, mich dahingehend zu erpressen, dass Yue ja endlich befördert werden könnte, sobald ich Juniorchef sei. Stell dir das vor: Yue rackert sich ab und ich als Grünschnabel könnte das Unternehmen mir nichts, dir nichts übernehmen. Ich habe natürlich dankend abgelehnt.“

Atemu stocherte nun lustlos in seinem Eis herum.

Das war eindeutig das falsche Thema für ein Eiscafé, für eine kleine Privatfeier gewesen und auch Yugi war die Lust auf sein Eis irgendwie vergangen.

Nun gab Yugi sich doch noch einen Ruck und legte seine Hand tröstend auf die seines Begleiters.

Er spürte, wie Atemus Daumen über seinen Handrücken streichelte.

Noch ehe Yugi weiter darüber nachgedacht hatte und gegen alle guten Vorsätze, hatte er plötzlich seinen Kopf auf Atemus Schulter abgelegt, was gar kein großes Problem war, denn sie saßen auf einer gemütlichen Bank, die im Halbkreis um ihren Tisch stand, also hatten sie schon die ganze Zeit eher nebeneinander als einander gegenüber gesessen.

Er wollte ihn einfach trösten, ihm durch seine bloße Anwesenheit zeigen, dass er für ihn da war, so wie Atemu für ihn da gewesen war, als er von den Absichten seiner Eltern erfahren hatte.

Atemu schien es in diesem Moment auch nichts auszumachen, dass Yugi sich an ihn lehnte, sondern legte seinen Kopf gleichfalls auf den von Yugi.

Nach einer Weile hob Atemu den Kopf.

„Naoko“, stellte er tonlos fest.

Er hatte diese an der Theke gesehen, wie sie sich gerade zu dem Kellner dahinter hinüberlehnte und mit ihm redete.

„Was?“ fragte Yugi irritiert und hob ebenfalls den Kopf, sah Atemu an, der ganz blass geworden war und die Lippen zusammenkniff.

Er folgte dem Blick des Älteren und tatsächlich: an der Theke stand ihre Mitschülerin Naoko und nahm gerade einen kleinen Pappbecher mit Eis entgegen.

„Denkst du, dass sie uns gesehen hat?“ Yugis Hand fühlte sich so an, als ob sie gleich zerquetscht würde und auch Atemus restlicher Körper sah total verkrampft aus.

„Weiß nicht“, antwortete Atemu und biss sich auf die Lippe.

Rasch ließ er Yugis Hand los und sah zu, wie Naoko das Café schließlich verließ.

Manche Frauen konnten ganz schön ungemütlich werden, wenn sie eifersüchtig wurden.

Selbst wenn die Beziehung ja genauso verboten wäre, wenn Naoko an Yugis Stelle wäre.

Atemu sprang auf.

„Ich werd dann wohl besser“, erklärte er kurz angebunden, warf ein paar Scheine auf den Tisch und schon war er verschwunden.

Yugi sah ihm kurz nach, danach warf er einen Blick in seinen Eisbecher.

Auf diesen kümmerlichen Rest, der sowieso schon geschmolzen war, hatte er nun auch keine Lust mehr.

Dann sah er zu den Scheinen, die Atemu in Eile auf den Tisch geworfen hatte und stellte fest, dass es genug war, um alles zusammen zu bezahlen.

Der Bekannte von Atemu hatte wohl das Geld gewittert und räumte alles kommentarlos weg und strich das Geld ein.

Aber Yugi kümmerte sich darum herzlich wenig.

Stattdessen legte er nun die Wange auf dem Tisch ab.

Warum hatte es auch ausgerechnet diese Quasselstrippe Naoko sein müssen?

Die würde ihren Mund sicherlich nicht halten können.

Und er wäre daran schuld, wenn Atemu seinen Traumjob verlor, immerhin hatte er zuerst seinen Kopf auf Atemus Schulter abgelegt.

Hätte er sich dazu nicht hinreißen lassen, hätte Naoko sie nicht in dieser Situation gesehen.

Der Junge fühlte sich elend und er spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen.

Obwohl er sich große Vorwürfe machte, blinzelte er die Tränen entschlossen weg.

Er musste sich einfach zusammenreißen, er konnte sich doch nicht hier in aller Öffentlichkeit so gehen lassen.

Schlimm genug schon, dass seine Beziehung zu Atemu schon wieder auf der Kippe stand.
 


 

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Zu der weißen Schleife: das ist auch geklaut XD und zwar aus DNAngel. Dort gibt es den St. White's Day, an dem weiße Schleifen verteilt werden, der allerdings im Dezember stattfindet. Hab also White Day und St. White's zusammengepanscht^^

Abifahrt

Konnichi wa!^^
 

Nun, mit etwas Verspätung also das Jubiläums-Kapitel, ein Jahr 'Kdf?' auf Mexx! Und mittlerweile 15 Kapitel! Und ich bin stolz drauf =^-^=

Und hiermit auch nochmals Danke an Kommi-Schreiber, Favo-Geber und sonstige Leser! *alle knuddelt*
 

Also: Vorhang auf ^_^
 

14. Abifahrt
 

Yugi streifte durch das Schulgebäude.

Heute war Schulfest, wie jedes Jahr im Mai.

Natürlich musste er nicht anwesend sein.

Immerhin war er Abiturient und sicherlich auch der Einzige, seiner Stufe, der da war.

Die anderen zogen es wahrscheinlich vor, für die mündliche Prüfung zu lernen.

Außerdem stand bald ihre Abifahrt an, in dieser Zeit würde sicherlich keiner lernen wollen.

Also musste das Lernen auf die Wochen davor und auf die danach verschoben werden.

Aber Yugi war auf der Suche nach Atemu.

Schließlich hatte er eine ganze Woche verstreichen lassen, seit dem Vorfall im Eiscafé.

Atemu hatte sich nicht bei ihm gemeldet.

Er musste nun unbedingt wissen, wie es um ihre Beziehung stand, ob es überhaupt noch eine Möglichkeit gab.

Im Musiksaal wurde er schließlich fündig.

Da es noch früh war, hatte der Referendar es übernommen, den Aufbau der Stühle für das Publikum der Musikdarbietungen zu überwachen.

Die normalen Tische standen an den Wänden entlang aufgereiht und ältere Schüler schleppten Stühle aus den verschiedenen Klassensälen heran.

Herr Yamito war gerade selbst dabei, ein paar Stühle richtig in die Reihe zu schieben.

Yugi trat etwas unsicher neben ihn. „Hallo.“

„Hallo“, grüßte Angesprochener zurück, jedoch mit neutralem Stimmklang und ohne aufzublicken.

„Können wir reden?“ wollte Yugi nach einer scheinbaren Ewigkeit des Schweigens wissen.

„Nein“, erklärte Herr Yamito. „Du siehst doch, dass ich beschäftigt bin.“

Endlich hob er den Kopf, aber anstatt Yugi anzusehen, wandte er ihm den Rücken zu und nahm die nächsten Stühle in Empfang, die die 11klässler brachten.

Er nahm einem der Mädchen einen Stuhl ab und stellte ihn in die entsprechende Reihe.

Und auch ansonsten ignorierte er Yugi vollkommen.

Dieser musste ein tiefes Seufzen unterdrücken.

Als ob er es geahnt hätte.

Yugi ließ den Kopf hängen und machte sich auf den Weg, den Saal zu verlassen.

In der Tür drehte er sich noch einmal um, um Atemu noch einen letzten Blick zuzuwerfen.

„Läuft wohl gerade nicht so gut zwischen euch, was?“ wurde er plötzlich angesprochen.

Der Junge drehte sich zu Seite und sah nun Naoko ins Gesicht, die mit dem Rücken an die Wand des Musiksaales gelehnt neben der Tür stand.

„Wie?“ fragte Yugi irritiert.

Wie lange stand sie schon da?

Hatte sie alles beobachtet?

Hatte Atemu gewusst, dass sie hier war?

„Naja.“ Sie stieß sich von der Wand ab. „Er scheint nicht mit dir zu reden.“

Sie nickte zu Herrn Yamito hinüber. „Und du scheinst nicht gerade sehr glücklich darüber.“

Yugi zuckte nur mit den Achseln.

„Seid ihr ein Paar?“ fragte sie rundheraus. „Vor einer Woche im Eiscafé…“

„Nein“, unterbrach Yugi sie unwirsch, was ja auch der Wahrheit entsprach.

„Aber du hättest es gerne“, bohrte Naoko weiter.

„Er ist mein Lehrer…“, entgegnete Yugi.

„Ach, quatsch, das Abi haben wir doch jetzt hinter uns.“ Das Mädchen ließ ihn nicht ausreden. „Wir sind also keine Schüler mehr.“

„Doch, bis wir unsere Zeugnisse haben“, erklärte Yugi bestimmt.

Er warf Naoko einen Blick zu. „Eine Schüler-Lehrer-Beziehung wäre sowieso tabu.“

Naoko wandte den Blick zu dem Referendar. „Hat er etwa schiss, seinen Job zu verlieren? Das ist aber gar nicht edel.“

„Ja, hat er.“ Yugi sah Naoko in die Augen.

„Ach?“ Naoko hob eine Augenbraue.

Sie konnte sich scheinbar keinen Grund vorstellen, am Beruf des Lehrers festhalten zu wollen.

„Eine Familienangelegenheit“, antwortete Yugi knapp und betrachtete eingehend den Boden.

Mehr brauchte sie auch nicht zu wissen.

Naoko schwieg eine Weile. „Gehört er nicht zum Yamito-Clan?“

„Hä?“ Yugi sah überrascht hoch. Yamito-Clan?

„Ja, diese Riesenfirma, die alle kleineren in den Ruin treibt“, bestätigte Naoko. „Du musst nämlich wissen, dass auch mein Vater Firmenchef war. Bis das Yamito-Unternehmen seine Firma erst in die Pleite trieb und dann billig abkaufte. Damit war das Lebenswerk meines Vaters zerstört.“

Naoko verstummte.

„Mein Vater beging daraufhin Selbstmord“, setzte sie schließlich ganz leise hinzu.

Dann sah sie auf. „Ich hab mir gleich gedacht, dass Herr Yamito dazugehört. Aber dass er Lehrer werden will und mit der Firma nichts am Hut hat, heißt wohl, dass er gegen seinen Vater rebelliert, wie?“

Noch ehe Yugi es verhindern konnte, nickte er.

„Gut. Und er hat wahrscheinlich Angst, dass ich euch verpfeife? Wegen der Sache im Eiscafé?“ hakte sie nach, erhielt aber diesmal keine Antwort.

Sie sprach nicht von einer vertrauten Umarmung, das mussten die Schüler, die ständig den Saal betraten oder verließen, schließlich nicht wissen.

Stattdessen hatte Yugi den Blick abgewandt.

„Keine Antwort ist auch eine Antwort.“ Naoko sah zu Herrn Yamito hinüber. „Ich werde mit ihm reden.Wo kein Kläger, da auch keine Anklage.“

So konnte sie es den Yamitos Heimzahlen, ohne direkt Rache zu üben.

„W-Warte!“ versuchte Yugi, sie aufzuhalten, doch vergeblich.

Ihm blieb nichts anderes übrig, als zitternd zuzusehen, wie die beiden sich unterhielten.

Der Referendar schien ihr jedenfalls zuzuhören, selbst wenn er sich nun von den anderen entfernte, damit niemand das Gespräch mithören konnte.

Sein Gesichtsausdruck hingegen änderte sich während des ganzen Gespräches nicht, er war weiterhin neutral, fast schon gleichgültig.

Schließlich jedoch hob er den Kopf und sah Yugi ausdruckslos an.

Was war nur mit ihm los?

Plötzlich ließ er Naoko stehen und kam auf Yugi zu.

Dieser lächelte ihm unsicher entgegen, doch statt den Jungen anzusprechen, ging Herr Yamito einfach an ihm vorbei aus dem Saal heraus.

Yugi blickte ihm irritiert nach.

Dann wandte er sich dem Saal zu und bemerkte, dass Naoko nun ebenfalls auf ihn zukam.

„Was ist los?“ verlangte er mit brüchiger Stimme zu wissen.

Seine Mitschülerin hob die Schultern. „Keine Ahnung. Er meinte nur, dass er kurz seinen Bruder anrufen müsse.“ Damit verabschiedete sie sich auch gleich und verschwand Richtung Schulhof.

Der Abiturient blieb unschlüssig stehen.

Sollte er darauf warten, dass Atemu zurückkam oder sollte auch er gehen?

Doch diese Entscheidung wurde ihm abgenommen.

„Yugi?“ Eine sehr sanfte, beruhigende Stimme. „Hast du schon zu Mittag gegessen? Wir könnten uns zusammen auf den Hof setzen.“

Yugi drehte den Kopf und sah in Atemus liebevoll lächelndes Gesicht.

Dabei fiel ihm einmal mehr auf, wie sinnlich Atemus Lippen schienen.

Schnell ließ er den Blick von seinen Lippen zu seinen Augen, die leicht glänzten, gleiten.

Sein ganzes Verhalten stand in krassem Gegensatz zu dem, das er Yugi gegenüber zuvor an den Tag gelegt hatte.

Der Junge nickte überwältigt.

Es war das reinste Wechselbad der Gefühle, von tief betrübt bis zu jetzt überglücklich.

Als Atemu nun auf die Treppe direkt neben dem Musiksaal zuging, schloss Yugi sich an.

„Es tut mir Leid“, begann Atemu. „Ich hatte gesehen, dass sie da war und wollte nicht, dass sie uns schon wieder zusammen sieht.“

Atemu seufzte tief und als Yugi ihn ansah, konnte er erkennen, dass Atemu kurz die Augen geschlossen hatte.

Es war dem Älteren offensichtlich schwer gefallen, etwas vorzugeben, was nicht seinen Gefühlen entsprochen hatte, wenn es auch für Yugi anders ausgesehen hatte, denn er hatte schon befürchtet, dass Atemus Gleichgültigkeit ihm gegenüber real war, doch er hatte sich zum Glück geirrt.

„Ich habe Yue angerufen und mich erkundigt, ob das, was sie mir erzählt hat, der Wahrheit entspricht. Das tut es wohl, deshalb denke ich, dass wir ihr vertrauen können“, fuhr Atemu fort und überblickte kurz den Pausenhof. „Sie hat nicht vor, jemandem von der Sache zu erzählen.“

Nachdem sie ihr Essen hatten, setzten sie sich einander gegenüber an einen der Bierzelttische, die größtenteils noch leer waren, da das Fest erst später beginnen würde, wenn auch die berufstätigen Eltern anwesend sein konnten.

„Wie weit bist … sind Sie eigentlich mit den Korrekturen?“ wollte Yugi wissen und schnappte mit den Stäbchen nach seinen Nudeln.

„Korrekturen? Welche Korrekturen?“ stellte Atemu die Gegenfrage und sah Yugi kauend an.

Dieser legte den Kopf schief und musterte sein Gegenüber prüfend.

Stellte Atemu sich doof, weil er ihn ärgern wollte?

Er musste sich doch denken können, dass ein Abiturient nicht nach irgendwelchen Korrekturen fragte.

„Na unser Abitur!“ klärte er ihn auf, nachdem er untergeschluckt hatte.

„Die korrigiere ich nicht“, erwiderte Atemu, woraufhin Yugi sich fast an dem Schluck Cola in seinem Mund verschluckte.

„Wie bitte?“ hakte er dann verständnislos nach.

Atemu lachte. „Ich als Referendar darf euer Abitur gar nicht korrigieren. Das machen Frau Asai und Herr Itsushi. Es war überhaupt schon ein Wunder, dass ich euch bis zum Abitur unterrichten sollte. Ich nehme an, das liegt einfach daran, dass ihr euch so nicht umgewöhnen musstet.“

Yugi nickte resigniert.

Irgendwie hatte er gehofft, aus Atemu wenigstens herausquetschen zu können, ob die Abschlussklausur im Schnitt eher positiv oder gar negativ ausgefallen war.

„Dürfen Sie noch nicht einmal einen Blick hineinwerfen?“ wollte Yugi dann wissen.

„Wenn sie korrigiert sind, bekomme ich das Beste, das Schlechteste und eine aus der Mitte ausgehändigt, aber an der Zensur kann ich dann nichts mehr ändern“, erklärte Atemu.

„Das Schlechteste wird wohl meins sein“, meinte Ikumi seufzend, während sie sich neben Yugi setzte.

„Ach, quatsch, wir sind die Fragen doch nach dem Abi zusammen durchgegangen. Da hast du doch festgestellt, dass du mehr gewusst hast, als du gedacht hast.“ Reika setzte sich neben Herrn Yamito.

„Also ich bin auf jeden Fall höchstens Mittelfeld.“ Mitsuki setzte sich auf die andere Seite des Referendars.

„Und Yugi hat sicherlich das Beste!“ Sakura klopfte besagtem auf die Schulter und setzte sich neben ihn.

„Unsinn!“ Yugi schüttelte den Kopf, sein Gesicht hatte einen leichten Rotton angenommen. „Als ich die Prüfungsbögen vor mir liegen hatte, war mein Kopf wie leergefegt.“

„Jaja, und dann hast du geschrieben und geschrieben und geschrieben und wahrscheinlich alles, was verlangt war, korrekt beantwortet!“ entgegnete Reika lächelnd.

„Mich würde es ja nicht wundern, wenn unser Kleiner einen der besten Abi-Schnitte überhaupt hätte“, erläuterte Mitsuki.

Yugi verschränkte die Arme vor der Brust.

Er mochte diese Anspielungen auf seine Größe überhaupt nicht.

Doch bevor er irgendetwas darauf sagen konnte, ergriff nun Herr Yamito das Wort.

„Also, ihr seid ja echt nicht mehr zu retten!“ lachte er, woraufhin er verständnislose Blicke erntete.

„Ihr redet die ganze Zeit über euer Abitur, anstatt den Tag, den ihr euch für die Feier frei genommen habt, zu genießen!“ erklärte der Referendar weiter.

„Bei mir war das anders. Ich musste nach dem Abi erst einmal so viele Kilometer wie möglich zwischen mich und meine Schule bringen. Ich war einen Monat in Amerika, bevor ich dann mit meinem Studium begonnen habe“, fuhr er fort.

Yugi hörte interessiert zu.

Unerwartet wurde ihm schwarz vor Augen.

Aber nicht, weil ihm schlecht war, sondern weil offensichtlich jemand von hinten seine Hände auf seine Augen gelegt hatte und er wusste, dass derjenige nun erwartete, dass er erriet, wer es war.

„Normalerweise kommt nur Joey auf diese Idee“, stellte Yugi laut fest.

Dann griff er nach den Händen. „Aber die Hände sind viel zu schmal.“

Téa war es sicherlich nicht, so was passte nicht zu ihr.

Er tastete die Arme nach irgendetwas greifbarem, wie Armreifen, ab, fand aber nichts.

„So falsch hast du nicht gelegen, aber du errätst es nie!“ hörte er nun Joeys Stimme hinter sich.

Jetzt war er komplett ratlos. „Ich gebe auf!“

Yugi hob die Hände an und drehte sich um. „Serenity!“

„Ja, da staunst du, was?“ Joey stand grinsend neben seiner Schwester.

„Schön, dich mal wieder zu sehen!“ lächelte Yugi.

„Gleichfalls.“ Serenity erwiderte das Lächeln und setzte sich neben Yugi, da Sakura etwas zur Seite gerutscht war, Joey blieb hinter ihr stehen.

„Ich zeige Serenity gerade die Schule“, erklärte der Blonde. „Sie will hierher wechseln.“

„Das sollte sie sich allerdings gut überlegen“, frotzelte Reika.

Joey zuckte mit den Achseln. „Wenn sie nach Domino zieht, muss sie ja auch irgendeine Schule besuchen. So ein Schulfest ist doch eine gute Gelegenheit einen ersten Eindruck zu kriegen. Und mich hat die Schule auch nicht umgebracht.“

„Ich würde ja eher nicht behaupten, dass ein Schulfest für die Wahl der Schule allzu geeignet ist“, erklärte Herr Yamito und die anderen Anwesenden blickten ihn fragend an.

„Naja, ich denke mal, dass viele Lehrer und auch Schüler bei solch einem Fest Freundlichkeitstabletten geschluckt haben. Wenige sind wirklich immer so nett, wie sie bei Festen oder am Tag der offenen Tür tun. Immerhin muss sich die Schule nach Außen hin präsentieren und Werbung für neue Schüler machen, vor allem bei den Eltern, die ihre Kinder demnächst auf weiterführende Schulen schicken wollen“, erläuterte der Referendar.

„Sie haben ja keine allzu hohe Meinung von der Domino-High“, stellte Serenity fest. „Arbeiten Sie nicht gerne hier?“

„Ich denke mal, diese Schule stellt keine Ausnahme dar und alle sind da irgendwo gleich“, wich er der Frage eher aus, als dass er sie beantwortete. „Wenn dein Bruder sie dir empfiehlt … sie ist sicherlich nicht die Schlechteste.“

„Wir gehen dann mal“, erklärte Ikumi nach einem Blick auf die Uhr und die vier Mädchen standen auf und verließen den Tisch.

Nun setzte auch Joey sich.

„Wieso willst du eigentlich nach Domino ziehen?“ erkundigte Yugi sich und sah Serenity an.

„Wir ziehen zusammen“, erklärte Joey und Yugi wandte sich nun diesem zu.

„Wie das?“ hakte er nach.

„Weil sie die Schnauze voll hat von unserer Mutter und ich keine Lust mehr auf einen ständig besoffenen Vater habe. Ich will nicht mehr sein Prügelknabe sein“, erwiderte Joey.

Yugi sah seinen Freund erstaunt an.

Dass er so offen redete, obwohl Atemu bei ihnen saß, überraschte ihn.

Sonst hatte er es immer vor allen geheim halten wollen, hatte Ausreden für die oft Duzende von blauen Flecken erfunden.

Letztendlich vermutete Yugi, dass das auch einer der Gründe war, weshalb Joey selbst lange andere Leute verprügelt hatte: weil er es schließlich nicht anders kannte.

Dann hatte Yugi ihn vor einem Schläger beschützt und seitdem hatte er sich zum Positiven verändert, doch gegen seinen Vater selbst hatte er nichts tun können, außer ihm, so oft es ging, aus dem Weg zu gehen.

Yugi warf Atemu einen kurzen Blich zu, doch dieser sagte nichts dazu, obwohl er sicherlich einer von den Menschen war, der bei Unrecht nicht wegsehen würde.

„Ich bin alt genug für eine eigene Wohnung und ich hoffe, dass ich das Abitur packe. Dann werde ich neben dem Studium jobben“, fuhr Joey fort.

Yugi brannten sofort zwei gegensätzliche Fragen auf der Zunge, aber er musste sich für eine entscheiden.

„Was sagt denn eure Mutter dazu?“ erkundigte Yugi sich.

„Nicht viel“, antwortete Serenity. „Kann sie auch gar nicht. Du weißt ja, dass sie so gut wie nie da ist und mich vernachlässigt. Und obwohl ich alt genug bin, brauche ich für gewisse Sachen noch einen Vormund oder jemanden, der das Sorgerecht hat. Joey hat ihr gedroht, die Vormundschaft einzuklagen, wenn sie nicht zustimmt. Immerhin ist er volljährig und mein Bruder. Er hätte sicherlich ganz gute Chancen, zumal ich lieber bei ihm wohnen würde.“

Serenity lächelte ihren Bruder zärtlich an.

Joey grinste zurück, dann sah er Yugi wieder an. „Eine Wohnung haben wir schon. Allerdings werde ich bis zu den Ferien noch alleine dort wohnen. Und ein Job fehlt mir auch noch zu meinem Glück.“

Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

„Ja, ich muss auch noch einen Nebenjob finden. Schließlich möchte ich nicht, dass alles an Joey hängen bleibt“, meinte Serenity.

„Also, mein Großvater sucht nach einer Aushilfe. Allerdings erst in zwei Monaten, weil unsere derzeitige Aushilfe nach Kyoto zieht.“ Yugi sah Serenity an.

„Das wäre super!“ strahlte diese.

„Und was dich angeht“ Yugi wandte sich seinem blonden Freund zu. „Hast du eigentlich mal bei Kaiba nachgefragt, ob er einen Job neben dem Studium für dich hätte? Immerhin versteht ihr euch doch jetzt so gut.“

Joey sah Yugi überrascht an und es hatte den Anschein, als wäre er selbst noch gar nicht auf diese Idee gekommen. „Hey, das ist eine Spitzenidee!“

„Was willst du eigentlich studieren?“ mischte sich nun Atemu ein, der schon länger nichts mehr gesagt hatte.

Genau das wäre auch Yugis zweite Frage gewesen, denn als Yugi ihn das letzte Mal gefragt hatte, hatte Joey noch nicht gewusst, was er nach dem Abi machen sollte.

„Literaturwissenschaft“, entgegnete Joey.

Er grinste Yugi an. „Du weißt doch, wie gerne ich Texte auseinander nehme und mich mit allen über die Interpretation rumstreite.“

„Ob das für ein Studium so gut ist“, bezweifelte Yugi.

Der Blonde zuckte mit den Achseln.

„Das läuft doch sicherlich auf Magister, oder? Wenn Literatur dein Hauptfach ist, was sind deine beiden Nebenfächer?“ erkundigte Atemu sich weiter.

„Als erstes Nebenfach Philosophie. Mit dem zweiten bin ich mir noch nicht so sicher.“ Joey sah den Referendar an. „Aber ich habe mich erkundigt, für eine Entscheidung habe ich noch etwas Zeit.“

Herr Yamito warf einen Blick auf die Uhr. „Hm, ich sollte mich mal wieder an die Arbeit machen.“

Auch Joey sprang auf. „Wir sollten mit der Führung weitermachen, bevor nachher der große Ansturm kommt.“

Er zog eine etwas perplexe Serenity von ihrem Platz hoch und die beiden verschwanden wieder im Gebäude.

Joey wollte seinem Freund etwas Ruhe geben, um sich gebührend von Atemu zu verabschieden.

„Was musst du denn noch arbeiten?“ fragte Yugi den Älteren, während sie das Gebäude betraten.

Atemu grinste schief. „Als erstes muss ich mal gucken, ob das Aufstellen der Stühle auch ohne mich geklappt hat. Und ansonsten muss ich halt präsent sein, für Notfälle und Probleme.“

„Kannst du dabei Gesellschaft gebrauchen?“ Yugi lächelte leicht.

„Natürlich, Süßer“, hauchte Atemu mit leiser Stimme, obwohl sie alleine auf dem Gang waren und in seinen Augen blitzte es auf.
 

**
 

Eine Woche war seit dem Schulfest vergangen.

Eine Woche, in der sie sich nicht gesehen hatten.

Und Yugi fand, dass es langsam Zeit wurde.

Er sehnte sich nach ihm.

Also ließ er Mathe Mathe sein und beschloss, Atemu aufzusuchen.

Da er es keine Minute nach diesem Entschluss länger aushalten konnte, machte er sich auf den Weg zu seiner alten Schule.

Voller Elan hüpfte er die Treppen hoch, in der Hoffnung, den Referendar so schnell wie möglich zu finden, am Besten, ohne im Lehrerzimmer nach ihm fragen zu müssen.

Doch leider fand er ihn auf keinem der Gänge.

Da er wusste, dass Atemu jetzt normalerweise im Politik-LK sitzen würde, wusste er, dass Atemu frei hatte, denn die Abiturienten, wie auch er selbst, hatten ja keinen Unterricht mehr.

Und er wusste, dass er mittwochs sowohl vor dem LK als auch danach noch Unterricht hatte.

Die meisten Lehrer vertrieben sich in solchen Fällen die Zeit im Lehrerzimmer und Yugi betete, dass Atemu das genauso handhabte und dass er nicht ausgerechnet heute etwas anderes vorhatte.

Immerhin war das ein Spontanbesuch.

Geschwind lief er zum Lehrerzimmer.

Gerade, als er anklopfen wollte, wurde die Tür aufgerissen und vor ihm stand – er.

„Oh, hallo Yugi. Suchst du jemanden bestimmten?“ lächelte Atemu und zog die Tür hinter sich zu.

Yugi wurde etwas rot um die Nasenspitze. „Blöde Frage. Hast du Zeit?“

„Zeit? Naja, wie man’s nimmt. Ich wollte gerade in die Stadt gehen, um mir ein paar Sommerhemden zu kaufen“, erklärte Atemu. „So schöne bunte Hawaiihemden.“

Yugi zog eine Augenbraue hoch. „So was steht dir nicht.“

„So, findest du? Komm mit, und ich werde dir das Gegenteil beweisen!“ forderte der Ältere und reckte trotzig das Kinn vor.

„OK, wie du willst!“ lachte Yugi fröhlich.

Wenn er auch mit ihm einkaufen gehen musste, Hauptsache, er konnte einige Zeit mit ihm verbringen.

Sie stiegen die Treppen hinab und verließen das Gebäude.
 


 

„Hast du denn irgendwelche Vorstellungen?“ fragte Yugi und begutachtete das Sortiment an Herrenhemden vor dem er stand.

„Nö“, meinte Atemu. „Hauptsache, bunt.“

„Wie kommst du eigentlich darauf?“ wollte Yugi wissen und sah von dem blau-grün-roten Hemd in seiner Hand auf. „Ich meine, bisher hast du doch immer nur einfarbige Hemden getragen.“

„Ich mag bunte Hemden“, erklärte Atemu schlicht, während er seine Auswahl über den Arm legte.

Yugi trat dicht vor Atemu und sah an ihm hoch, damit er ihm in die Augen sehen konnte. „Das ist doch nicht dein Ernst?“

Der Ältere lächelte auf Yugi herab.

Wie dieser so vor ihm stand und ihn mit schief gelegtem Kopf ansah, zu goldig.

„Weißt du, wie niedlich du bist?“ Atemu beugte sich herunter und küsste Yugi auf die Nasenspitze.

Dieser öffnete den Mund, um zu protestieren, da das keine Antwort auf seine Frage war, doch Atemu rauschte an ihm vorbei in die Umkleidekabine.

Nach einer Weile schob Atemu den Vorhang beiseite. „Und, wie findest du das?“

Yugi musterte ihn. „Das willst du erst gar nicht wissen.“

Der Ältere lachte. „So schlimm?“

Er verschwand wieder in der Kabine.

Nach kurzer Zeit erschien er wieder vor dem Vorhang. „Und das?“

Yugi verdrehte die Augen. „Das eignet sich nur dafür, wieder ausgezogen zu werden.“

Ein Grinsen breitete sich auf Atemus Gesicht aus.

Er griff Yugi am Kragen und zog ihn mit sich, während er rückwärts wieder die Kabine betrat.

Hinter Yugi zog er den Vorhang zu.

„Dann tu es“, hauchte er und blickte auf den Jüngeren hinab.

Dessen Gesicht hatte augenblicklich einen dunklen Rotton angenommen.

Warum hatte er auch eine solch unbedachte Bemerkung fallen lassen?

Unsicher sah er Atemu in die strahlend violetten Augen, in denen es vielsagend glitzerte.

Er richtete den Blick wieder leicht nach unten und somit auf Atemus Brust.

Sollte er der Aufforderung wirklich nachkommen?

Zögernd hob er die Hände, merkte aber schnell, dass diese vor Aufregung leicht zitterten.

Rasch schloss er sie zu Fäusten, um sich wieder zu beruhigen, atmete tief durch und griff dann doch zum ersten Knopf.

Langsam öffnete er nach und nach die einzelnen Knöpfe, darunter war nur Atemus nackte Haut.

Heute war es warm, schließlich war es schon Ende Mai.

Er achtete genauestens darauf, Atemu selbst nicht zu berühren.

Streifte ihm nur das Hemd über die Schultern, schob es bis zu den Handgelenken, denn Atemu machte keine Anstalten, ihm zu helfen.

Plötzlich legte Atemu beide Arme um den Kleineren und zog ihn an seine nackte Brust.

Yugi, dessen Gesichtsfarbe sich gerade wieder etwas in Richtung zartrosa beruhigt hatte, wurde sofort wieder dunkelrot im Gesicht.

Aber es war auch sehr angenehm.

Gierig sog er den wohligen Geruch des Älteren in sich auf.

Der streichelte ihm zärtlich über die Wange, griff dann unter sein Kinn, um Yugis Gesicht so zu drehen, dass er ihn ansehen musste.

Schließlich beugte er sich zu dem Kleineren hinab und küsste ihn auf die Lippen.

Erst sachte, bevor er dann sanft mit seiner Zunge über Yugis Lippen glitt.

Dieser öffnete etwas unsicher seinen Mund einen Spalt und ließ somit die auffordernde Zunge ein.

Atemus Zunge tastete sich langsam vor, umspielte zunächst Yugis Zunge und forderte sie schließlich spielerisch zum Kampf heraus.

Yugi ging auf die Attacken der gegnerischen Zunge ein und stupste das weiche Gebilde in seinem Mund zärtlich an.

Aus Luftmangel löste er nach einiger Zeit den innigen Kuss.

Während er tief durchatmete, sah er Atemu fest in die Augen, der ihn liebevoll anlächelte.

Dann zog der Ältere ihn wieder in seine Arme. „Und, hat es funktioniert?“

„Was soll funktioniert haben?“ wollte Yugi noch etwas atemlos wissen.

„Dich von Mathe abzulenken“, entgegnete Atemu. „Oder glaubst du wirklich, ich wäre ein Fan von Hawaiihemden?“

„Hm? Hast du etwa alles vorausgeplant?“ Yugi legte beide Hände auf die Brust des Anderen und drückte sich etwas von ihm weg.

„Nein, wie könnte ich. Ich wusste ja nicht, wie du reagieren würdest“, erklärte Atemu und zeichnete mit dem Daumen Yugis Wangenknochen nach. „Aber da du offensichtlich sehr entsetzt warst, als ich mir bunte Hemden kaufen wollte, dachte ich, dass ich dich dadurch ablenken könnte, dass du mir das ausreden willst.“

Yugi schmunzelte leicht. „Du bist mir vielleicht einer!“

Dann lehnte er den Kopf wieder an die Brust des Älteren.

„Aber der zweite Teil der Ablenkung hat mir wesentlich besser gefallen“, murmelte er leise.

„Das lässt sich ja wiederholen“, lachte Atemu leise und beugte sich für einen erneuten Kuss zu Yugi hinab.

Danach sah Yugi Atemu fest in die Augen. „Ich bin auch gekommen, um mich zu verabschieden.“

„Verabschieden?“ hakte Atemu sichtlich überrascht nach.

„Ja“, antwortete Yugi und senkte den Blick.

„Am Sonntag beginnt unsere Abi-Fahrt. Wir werden uns also eine Woche lang nicht sehen können“, entgegnete er bedrückt.

„Hm, Abi-Fahrt, die solltest du genießen. Ist schließlich etwas Besonderes“, meinte Atemu, während er dem Jüngeren über den Rücken strich. „Bisher haben wir es doch auch geschafft, eine Woche ohne einander auszukommen.“

„Das ist nicht dasselbe. Es macht mich traurig, dass das bedeutet, dass ich an meinem Geburtstag nicht hier sein kann“, erklärte Yugi leise.

„Oh. Das ist bedauerlich, aber nicht zu ändern. Du solltest dich deshalb nicht verrückt machen“, erklärte Atemu und kraulte Yugis Nacken.

Der Jüngere blickte wieder hoch und sah Atemu abermals fest in die Augen. „Deshalb möchte ich dich an dem Wochenende danach zu mir einladen. Zu einer kleinen Geburtstagsfeier zu zweit.“

„OK“, lächelte der Ältere. „Und was wünschst du dir zum Geburtstag?“

Yugi kuschelte sich erneut an Atemu heran und schloss die Augen. „Mir reicht es vollkommen, wenn du kommst.“
 

**
 

Es sollte ein wunderschöner Strandurlaub werden.

Und da keine Lehrer dabei waren, gab es auch niemanden, der sie dazu zwang, sich irgendwelche Sehenswürdigkeiten anzusehen.

Doch sie waren ja auch gestern erst angekommen.

Die lange Fahrt hatte sie geschlaucht und die Schüler lagen alle um den Pool ihrer Ferienanlage, als müssten sie sich von einem Jetlag erholen.

Und ausgerechnet heute hatte Yugi Geburtstag.

Am Morgen hatten seine Appartement-Mitbewohner, die da wären Joey, Téa, Tristan und Bakura, ein nettes, schief gesungenes Happy Birthday zum Besten gegeben und Téa hatte ihm einen kleinen, noch zu Hause gebackenen Kuchen mit exakt einer Kerze darauf überreicht.

Natürlich hatte er jedem seiner Freunde ein kleines Stück davon zum Frühstück gegeben, aber den Großteil wollte er selbst verdrücken, schließlich war das sein Geschenk.

Für Abends war eine kleine Party angekündigt, allerdings wusste er nicht, wer noch kommen würde, außer denjenigen, die sowieso bei ihm wohnten, aber als Weltmeister in Duellmonsters wollte jeder gerne sein Freund sein, auch wenn es aus seiner Klassenstufe die meisten schon aufgegeben hatten, sich einschleimen zu wollen.

Immerhin hatten sie sich vorher nicht für ihn interessiert und ihn gehänselt und zugesehen, wie er geschlagen wurde, jetzt brauchten sie nicht so scheinheilig zu tun, nur weil er einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hatte.

Yugi verabscheute das, was er auch irgendwann klar gesagt hatte.

Dennoch war sein Verhältnis zu den meisten seiner Mitschüler soweit normal, schließlich waren auch die nun erwachsen geworden.

Nun war er also 19 und war noch immer etwas klein für sein Alter.

Dafür konnte nicht jeder von sich behaupten, an seinem Geburtstag faul in der Sonne liegen zu können.

Ein Schwimmchen im Pool hatte er auch schon hinter sich, jetzt lag er auf seinem Handtuch und hörte über Kopfhörer Musik, während er die Augen hinter der Sonnenbrille geschlossen hielt, damit die Sonne ihm nicht hinein schien.

Als Joey ihn plötzlich anstupste, sah er ihn fragend an, während er einen der Stopfen aus seinem Ohr nahm.

„Dein Handy“, erklärte der Blonde knapp.

Jetzt hörte Yugi es auch.

Er lächelte Joey dankbar zu, doch er fragte sich, wer das wohl sein mochte.

Mit seiner Mutter und seinem Großvater hatte er schon telefoniert, seine Freunde waren ja bei ihm.

Der Junge sah auf das Display und war kurz danach mit klopfendem Herzen aufgesprungen.

Hastig nahm er den Anruf an und ging gleichzeitig sowohl an Joey als auch an Tristan und Téa, die gerade mit der Sonnencreme, mit der sie sich gegenseitig einrieben, beschäftigt waren, vorbei.

Yugi musste schnell ein Plätzchen finden, an dem er ungestört war.

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“ tönte ihm nun eine sehr angenehme Stimme entgegen.

Eine Stimme, die er schon länger nicht mehr gehört hatte, die er schon vermisst und mit der er heute nicht gerechnet hatte.

Woher hatte Atemu seine Handynummer?

„Danke! Schön, deine Stimme zu hören!“ entgegnete Yugi begeistert.

„Na, wie ist es, an seinem Geburtstag faul in der Sonne zu liegen?“ erkundigte Atemu sich und Yugi konnte sein Lächeln im Geiste vor sich sehen.

„Sehr angenehm. Selbst wenn wir alle sehr dösig sind und ich auch die Hälfte meines Geburtstages verschlafen habe“, erwiderte Yugi etwas verlegen.

Atemu lachte. „Dann habt ihr gestern wohl schon in den Tag gefeiert?“

Yugi schüttelte den Kopf, auch wenn der Andere das nicht sehen konnte. „Nein, die Party ist erst heute Abend. Aber wir sind ja gestern erst angekommen und sind von der langen Fahrt geschlaucht.“

„Ach so? Normalerweise kommen ältere Schüler doch nie vor Mitternacht ins Bett“, stichelte Atemu.

Immerhin hatte er es als Referendar oft genug mit müden Schülern zu tun.

„Das stimmt ja auch. Dennoch ist die eigentliche Party erst heute. Ich hab um zwölf nur mit meinen Mitbewohnern angestoßen und ein paar Geschenke kassiert“, erklärte Yugi.

„Und? Hast du alles bekommen, was du dir gewünscht hast?“ fragte Atemu.

„Naja, ich bin ja nicht allzu anspruchsvoll. Téa hat mir einen Kuchen gebacken, Joey hat mir ein neues virtuelles Strategiespiel, das KC erst in zwei Wochen auf den Markt bringt, geschenkt, an dem sich auch Kaiba finanziell beteiligt hat. Die restlichen Geschenke erhalte ich dann heute, beziehungsweise, wenn ich wieder zu Hause bin“, meinte Yugi. „Ich gehe davon aus, dass ich noch die eine oder andere Duellmonsterskarte bekomme. Das sind Geschenke für die einfallslosen, da mich ja viele nicht richtig kennen oder nur als Duellanten.“

„Also bitte, ich habe dir zu Weihnachten auch eine Duellkarte geschenkt.“ Atemu hörte sich entrüstet an.

Das war ja wie eine indirekte Anschuldigung an ihn.

Yugi biss sich auf die Lippen.

Schon wieder so eine unbedachte Bemerkung.

„So war das nicht gemeint“, versicherte er hastig und kickte nervös einen Stein mit seinem Fuß, der in Badelatschen steckte, weg.

„Es ist nur so …“ Yugis Blick schweifte umher und blieb ausgerechnet an einem Pärchen hängen.

Augenblicklich verspürte er einen leichten Stich in der Brust.

Wie gerne hätte er, wenn Atemu hier bei ihm wäre, anstatt dass sie nur miteinander telefonierten.

„Die Meisten haben keine Ahnung vom Duellieren und werden mir vermutlich Karten schenken, die nicht zu meinem Deck passen“, erläuterte Yugi. „Bei deiner Karte war das ganz anders, die habe ich direkt aufgenommen.“

Yugi lächelte leicht. „Außerdem steckte bei dir viel Liebe dahinter.“

Atemu lachte leise. „Und ob! Hast du eigentlich mal Karten aus deinem Prämiendeck von Pegasus in dein Alltagsdeck integriert?“

„Nein. Ich weiß nicht so recht, ob da was dazu passt.“ Und wie sollte er Atemu auch erklären, dass er nur Karten in sein Deck integrieren wollte, die dieser mit ausgesucht hatte?

„Also ich finde, dass der Sternenzauberer gut in dein Deck passen würde. Und dazu natürlich der Sternenkrieger, die beiden gehören ja zusammen. Und Sternenwind“, schlug Atemu vor.

Yugi nickte. „Das ist auf jeden Fall eine Überlegung wert.“

Doch in Wirklichkeit hatte er längst beschlossen, diese drei Karten in sein Deck einzufügen, immerhin hatte Atemu diese nun ausgesucht und er vertraute auf dessen Urteil.

So wie früher.

„Wir sollten jetzt Schluss machen. Ich will dich ja nicht allzu lange vom Sonnenbaden abhalten. Du sollst ja nicht käseweiß wieder zurückkommen. Aber auch nicht rot“, mahnte Atemu.

„Obwohl ich zugeben muss, dass du unheimlich niedlich aussiehst, wenn du vor Verlegenheit rot wirst“, neckte er den Jüngeren, der auch wie auf Kommando rot um die Nasenspitze wurde.

„Sayonara!“ verabschiedeten sie sich und Yugi strahlte noch eine Weile glücklich sein Handy an, bevor er zu den anderen zurückging.
 

**
 

Yugi tanzte gut gelaunt in der Küche umher, denn er wollte die Vorbereitungen für das Essen, das er für Atemu und sich zubereitet hatte, erfolgreich zum Abschluss bringen.

Außerdem musste er sich noch duschen und sich umziehen, bevor Atemu kam.

Zum Glück waren weder seine Mutter, noch sein Großvater zu Hause, so konnte er sich getrost in der Küche ausbreiten.

Sie würden sowieso im Wohnzimmer am großen Tisch essen, an dem sie sonst nur aßen, wenn sie viele Gäste hatten.

Den Tisch hatte er liebevoll gedeckt und dekoriert, mit Blumen und Kerzen.

Zunächst hatte er noch Schleifchen auf dem Tisch drapiert, fand das dann aber zu übertrieben und kitschig.

Rasch sprang er unter die Dusche und kaum dass er angezogen war, klingelte es.

Es war sieben Uhr und Atemu pünktlich wie immer.

Yugi hüpfte die Treppe hinunter und öffnete seinem Liebsten freudestrahlend.

„Hey.“ Atemu trat lächelnd einen Schritt auf den Jüngeren zu, beugte sich zu ihm hinab und küsste ihn innig.

Dann überreichte er ihm einen Strauß roter Rosen.

„Danke.“ Yugi lächelte glücklich und griff dann nach Atemus Hand, um ihn mit sich ins Wohnzimmer zu ziehen.

„Ich suche nur schnell eine passende Vase heraus. Du kannst dich ja in der Zeit etwas umsehen“, meinte Yugi und ging vor einem der Wohnzimmerschränke in die Hocke.

Schließlich entschied er sich für eine große Glasvase und verschwand kurz in der Küche, um sie mit Wasser zu füllen.

Als der zurückkam, war Atemu gerade damit beschäftigt, die Kerzen zu entzünden.

„Ups, die hab ich wohl vergessen“, erklärte Yugi mit vor Verlegenheit leicht rosa gefärbten Wangen.

Es war eigentlich sein Wunsch gewesen, dass alles perfekt werden würde.

Hoffentlich würde der Rest funktionieren.

Der Junge trat an den Tisch, um die Vase darauf abzustellen.

Dann machte er auf dem Absatz kehrt.

„Ich hole die Vorspeise“, erklärte er im Hinausgehen.

Noch vor dem Duschen hatte er die Hauptspeise in den Ofen geschoben, aber ab und zu musste er schon danach sehen.

Nach einer Weile kam er mit zwei Tellern wieder.

Yugi setzte sich Atemu gegenüber.

Er hoffte nur, dass die Hauptspeise nicht mehr lange brauchen würde, wenn sie mit dem Essen fertig waren.

Atemu betrachtete den liebevoll dekorierten Teller. „Sieht lecker aus.“

Während sie aßen, unterhielten sie sich über alles Mögliche.

Nachdem sie gegessen hatten, wartete Yugi noch aus Höflichkeit eine Weile, bevor er abräumte, immerhin musste er noch mal nach der Hauptspeise sehen.

In der Küche stellte er beide Teller auf die Spüle.

Dann öffnete er die Backofentür und sein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen.

Sie hatten wohl zu lange geredet, der schöne Braten war kohlschwarz und verströmte einen unangenehmen Geruch.

„Verdammt!“ rief Yugi verzweifelt und zog die Auflaufform aus dem Ofen.

Die Kartoffeln, die er in Würfel geschnitten und in einer Gemüsebrühe ebenfalls in die Form gegeben hatte, waren auch ganz verkocht.

Ihm stiegen Tränen in die Augen.

Er hatte sich so viel Mühe für den Abend gegeben, alles umsonst!

Yugi sackte neben dem Ofen auf den Boden, die Spülmaschine im Rücken, zog die Beine heran und bettete die Stirn auf den Armen, die er auf den Knien verschränkt hatte.

Wie sollte er das denn jetzt richten?

Das perfekte Dinner konnte er vergessen.

Durch Yugis Ausruf angelockt betrat nun Atemu die Küche, doch das kleine Häufchen Elend am Boden bemerkte das noch nicht einmal.

Er warf einen Blick auf das Essen, welches auf der Klapptür des Ofens stand, dann wandte er sich dem Jüngeren zu.

„Yugi?“ Atemu klang besorgt, als er sich vor den Kleineren hockte.

Erst jetzt registrierte dieser die Anwesenheit des Anderen, doch um die Tränenspuren in seinem Gesicht wegwischen zu können, war es nun zu spät, denn er hatte schon zu Atemu aufgesehen.

„Die ganze Mühe umsonst!“ schluchzte er leise, doch bevor er wieder resigniert den Kopf auf seinen Armen ablegte, hatte Atemu ihn in eine Umarmung gezogen.

Der Ältere rückte seinen Körper etwas nach vorne, so dass seine Knie neben Yugi auf dem Boden zu Liegen kamen und er diesen auch besser erreichen konnte.

„Mir hätte auch eine einfache Pizza genügt.“ Atemu strich Yugi sanft durch die Haare und über den Rücken.

„Mir aber nicht!“ erwiderte Yugi trotzig. „Für dich wollte ich den perfekten Abend ausrichten!“

Atemu unterdrückte erfolgreich ein kleines Seufzen.

Sachte löste er sich von Yugi. „Dann lass uns sehen, ob noch etwas zu retten ist.“

„Da ist nichts mehr zu retten“, schniefte Yugi und sah zu, wie Atemu die Gabel, die auf der Arbeitsplatte gelegen hatte, nahm und etwas am Braten herumstocherte.

„Na also!“ lächelte der Ältere, während Yugi sich die Tränen wegwischte und ihn verständnislos ansah.

„Nur die Kruste ist schwarz. Das Fleisch untendrunter könnte noch genießbar sein“, erklärte Atemu und entfernte die Kruste.

Dann griff er nach einem Messer und schnitt das Fleisch.

Jetzt verlangte er einen Kochtopf, Milch und einen Kartoffelstampfer. „Und aus den Kartoffeln machen wir einfach Püree.“

Yugi sah dem Anderen zu. „Ich dachte, du könntest nicht kochen?“

Atemu lachte. „Kann ich auch nicht, aber Kartoffelpüree bekomme ich gerade noch so hin.“

„Ja, aber ich hatte noch nicht einmal im Ansatz eine Idee, wie ich das Ganze retten könnte!“ Yugi war ehrlich erstaunt über den Älteren.

Der zuckte nur mit den Schultern. „Etwas Ähnliches ist neulich in einer Fernsehserie passiert.“

Der Kleinere sah seinen Gast mit großen Augen an.

Atemu musste schmunzeln, als er nun wieder in Yugis Gesicht sah. „Gib mir doch bitte zwei Teller.“

Angesprochener kam der Aufforderung nach und keine zwei Minuten später saßen sie wieder am Tisch und aßen; das Fleisch war zum Glück tatsächlich nicht allzu trocken geworden.

Nun war Yugis Menü doch noch einigermaßen gerettet.

Nachdem sie auch die Hauptspeise gegessen hatten, legte Atemu die Serviette beiseite.

„Ich nehme an, du hast noch einen dritten Gang geplant?“ fragte er beiläufig.

„Eis!“ erwiderte Yugi strahlend.

„Da kann wenigstens nichts schief gehen!“ seufzte er leise.

Er sauste in die Küche und kam kurz darauf mit zwei kleinen gefüllten Glasschälchen wieder.
 

**
 

Mittlerweile hatten sie es sich auf Yugis Bett gemütlich gemacht.

Sie hatten eine DVD im Fernseher, den Yugi in seinem Zimmer stehen hatte, angeschaut; gerade lief der Abspann.

Yugi saß nicht mehr an die Wand am Kopfende gelehnt und die Beine von sich weggestreckt, so wie Atemu noch immer saß, sondern er war ein Stück nach unten gerutscht, die Beine angewinkelt, den Kopf an Atemus Schulter angelehnt.

Yugi achtete nicht mehr auf die weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund, sondern zupfelte an dem breiten weißen Band um Atemus Hals, dessen große Schleife stark an diejenige erinnerte, die Atemu ihm damals am White Day um den Hals gebunden hatte.

„Was soll die eigentlich?“ fragte er nun doch neugierig.

Auf den ersten Blick konnte es schon als eine Art Krawatte durchgehen, aber er hatte irgendwie das Gefühl, dass da mehr dahinter steckte, denn ansonsten war Atemu eher lässig gekleidet.

Atemu schmunzelte.

Er hatte gehofft, dass Yugi irgendwann von selbst danach fragen würde.

„Kannst du dich noch daran erinnern, was du geantwortet hast, als ich dich fragte, was du dir zum Geburtstag wünschst? Du meintest, es reicht dir, wenn ich komme. Das hier“ Er deutete auf die Schleife, „ist das Geschenkband. Du kannst mich also wie ein Geschenk auspacken und mit mir machen, was du willst.“

Yugi wurde knallrot und hoffte, dass Atemu es nicht sah.

Er war unsicher.

Sollte er dieses offensichtliche Angebot annehmen?

Der Junge hatte absolut keine Erfahrung, er war die klassische alternde Jungfrau.

Sie hatten sich schon so oft geküsst, war es nicht Zeit für den nächsten Schritt?

Wenn Atemu zu viel wollte, konnte er ihn noch immer aufhalten.

Gedankenverloren wickelte er das eine Ende des Bandes um seinen Finger.

Er wusste wirklich nicht, was er tun sollte, obwohl es ihn sicher reizen würde, Atemus Hände noch wo anders an seinem Körper zu spüren, als an den Armen und im Gesicht.

Schon allein bei dem Gedanken an Atemus feingliedrige Finger lief ihm ein wohliger Schauer über den Rücken.

Der Jüngere spürte Atemus Hand, die ihn beruhigend im Nacken kraulte und noch ehe er sich versah, hatte er die Schleife tatsächlich gelöst.

Fehlte nur noch der Knoten, doch noch immer zögerte er.

„Yugi…“, hauchte Atemu und zog Genannten zu sich hoch, um ihm einen leidenschaftlichen Zungenkuss zu verpassen.

Beide hatten keinen Blick für den Fernseher, der nun in einem strahlenden Blauton erleuchtete, der darauf aufmerksam machen wollte, dass die DVD nun endgültig abgespielt war.

Die kleinere der beiden Gestalten auf dem Bett gab sich einen Ruck.

Zumindest ein paar Streicheleinheiten und sanfte Küsse auf seiner Haut wollte er nicht abschlagen.

Er zog den Knoten von Atemus Hals und befreite den Älteren schließlich von dem Band.

Kaum hatte er das getan, befand er sich auch schon unter Atemu.

Etwas erschrocken sah er nun in dessen leicht funkelnde Augen, als dieser sich lächelnd über ihn beugte und anfing, sein Gesicht mit zärtlichen Küssen zu bedecken.

Den ganzen Abend hatte er auf Yugis Zeichen gewartet, darauf gewartet, dass dieser ihn von der selbst auferlegten Fessel befreien würde, die ihn davon abgehalten hatte, einen Schritt weiter zu gehen.

Er hatte schon vor einiger Zeit intuitiv festgestellt, dass er Yugi vorsichtig behandeln musste.

Dass er 19 war, hatte absolut nichts zu bedeuten.

„Dass du dieses Ding auch im Sommer trägst!“ Atemu zog Yugi so schnell dessen blaues Halsband aus, als dieser noch vollkommen perplex über den Positionswechsel war, dass dessen Protest viel zu spät kam.

„Nicht!“ versuchte Yugi schwach noch zu verhindern, was nicht mehr möglich war.

Der Ältere sah ihn mit schief gelegtem Kopf an. „Du verhältst dich, als wolltest du etwas darunter verbergen.“

Das war ihm schon einmal aufgefallen, als er Yugi die weiße Schleife hatte umbinden wollen und wenn er sich richtig erinnerte, war doch da auch etwas an Yugis Verhalten seltsam gewesen, als er diesem an der Christamas-Party dessen schwarzes Halsband mit dem Anhänger zurückgegeben hatte.

Yugi nickte leicht zögerlich und schloss die Augen, da er Atemus Gesichtsausdruck nicht dabei sehen wollte, wenn er es entdeckte.

Atemu zog eine Braue hoch, als Yugi seine Vermutung bestätigte.

Er senkte den Kopf wieder und betrachtete sich Yugis Hals genauer.

Was war das?

Zwei kleine graue Flecken, die übereinander lagen.

Mit der Spitze seines Zeigefingers fuhr er darüber.

Eindeutig Narben.

„Wie ist das passiert?“ wollte Atemu wissen und sah fragend auf den Jüngeren hinab.

„Ich weiß es nicht genau, ich kann dir nur sagen, was meine Mutter mir erzählt hat.“ Yugi blickte etwas schüchtern zu seinem Schwarm auf.

„Ich war ungefähr drei Jahre alt. Wir waren auf dem Spielplatz. Meine Mutter hat nur ganz kurz nicht aufgepasst und dann war ich spurlos verschwunden. Sie hat mich den ganzen Tag voller Panik gesucht. Als sie mich schließlich fand, war ich bei einem Typen, der als geistesgestört bekannt war. Ich hab geschrieen wie am Spieß und als meine Mutter schließlich näher kam, konnte sie entdecken, dass der Kerl die Asche seiner Zigarette über meinem Hals abgeklopft hatte“, erzählte Yugi leise und wandte den Blick wieder ab. „Sie hat ihn angezeigt und die Brandwunden ausgewaschen, aber die schwarzen Narben blieben. Kurz darauf gingen die Hänseleien los, die Kinder sagten, ein Vampir hätte mich gebissen und ich würde auch bald einer. Später wurde ich dann nicht mehr nur gehänselt, sondern auch regelmäßig verprügelt, weil ich immer zu klein und schmächtig für mein Alter war. Ich konnte mich nie richtig wehren. Bis…“

Er hielt inne.

Bis ich dich getroffen habe. setzte er in Gedanken dazu, riss sich aber zusammen und sagte dann stattdessen laut: „Bis ich mich zwischen Joey und Tristan und den schlimmsten Schläger gestellt habe. Danach haben wir uns angefreundet und Joey ist inzwischen mein bester Freund.“

Yugi lächelte leicht.

„Vampirbiss?“ Atemu hatte seine Erzählung nicht unterbrochen, doch nun runzelte er die Stirn.

Es tat ihm weh, mit anzuhören, was Yugi schon alles durchgemacht hatte.

Umso mehr wollte er ihn trösten, denn er sollte nicht in die Vergangenheit, sondern in die gemeinsame Zukunft blicken.

Er beugte sich herunter und küsste die beiden Narben zärtlich, bevor er schließlich sanft mit der Zunge darüber leckte und anschließend die Stelle beknabberte.

Yugi erwiderte den Blick, als Atemu sich wieder aufrichtete und ihn liebevoll anlächelte.

Wenn Yugi es nicht besser wüsste, könnte er meinen, dass er gerade eben von einem Vampir gebissen wurde.

Von seinem Vampir, von dem er hoffte, dass sie sich die Ewigkeit teilen würden.

Er lächelte und legte beide Arme um den Hals des Älteren, um ihn an sich zu ziehen.

Bald darauf konnte er dessen warme Hand auf der bloßen Haut seines Bauches spüren.

Atemu hatte einfach sein Shirt leicht hochgeschoben und verwickelte den Jüngeren in immer neue Zungengefechte.

Sanft strich er mit der Hand über den weichen Bauch und die ebenso zarte Haut, schob das Shirt immer höher.

Als der Ältere unerwartet mit den Fingerspitzen die Brustwarzen des unten Liegenden streifte, keuchte Yugi erschrocken auf.

Die Gefühle, die durch eine solch einfache Berührung ausgelöst wurden, trafen Yugi vollkommen unvorbereitet.

Er wurde etwas verlegen wegen des von ihm verursachten Geräuschs.

Atemu schien sich aber nicht weiter daran zu stören, denn er beknabberte nun auch die andere Seite von Yugis Hals während seine Hand sich wieder um seinen Bauch kümmerte.

Die Zunge des Älteren kitzelte an Yugis Halsbeuge, so dass dieser ein leichtes Kichern nicht unterdrücken konnte.

Plötzlich saugte Atemu die Haut an Yugis Hals ein und biss sachte mit den Zähnen hinein.

Yugi überlief ein Schauder und er konnte eindeutig spüren, wie ihn eine Gänsehaut überzog.

Nachdem Atemu eine Weile mit ein und derselben Hautfläche beschäftigt war, richtete er sich grinsend auf. „Jetzt hast du einen Grund, dein Halsband zu tragen!“

Dann beugte er sich zu Yugi herunter, so dass er mit belegter Stimme in dessen Ohr flüstern konnte: „Oder du zeigst allen das Zeichen, das besagt, dass du allein mir gehörst!“

Den Jüngeren überlief es abermals, doch diesmal war es eher ein heißer Schauer.

Er konnte spüren, dass seine Wangen vor Hitze rot wurden, da Atemu wohl einen Knutschfleck auf seiner Haut zurückgelassen hatte.

Atemu befreite Yugi schließlich von dessen Shirt und musterte ihn neugierig.

Die Blicke waren dem Jungen anfangs sehr unangenehm, doch dann war es ihm, als würden Atemus Augen ihn streicheln.

Der Ältere beugte sich wieder herab.

„Deine Haut ist so weich und zart.“ Sanft strich er mit der Nasenspitze über die bloße Haut, erst über die Umrisslinien des Schlüsselbeins, dann über Brust und einzelne Rippen bis hin zum Bauchnabel.

Das alles wiederholte er mit seinen filigranen Fingern, dann mit seiner Zunge, eine feuchte Spur hinter sich herziehend, jeden Winkel des Körpers unter ihm bis ins kleinste Detail erkundend.

Yugi presste die Lippen zusammen.

Er wollte nicht, dass noch einmal solche seltsamen Geräusche seinen Mund verließen.

Nachdem Atemu seine Zunge ausgiebig in Yugis Nabel versenkt hatte, rutschte er wieder nach oben und leckte über Yugis Ohr, fuhr mit der Zungenspitze die Konturen der Ohrmuschel nach.

„Lass es raus! Ich will es hören!“ hauchte er mit erotischem Unterton in der Stimme.

Der Atem des Älteren kitzelte in seinem Gehörgang und Yugi entfuhr abermals ein leises Keuchen.

„So ist gut!“ flüsterte Atemu und fuhr mit dem Zeigefinger imaginäre Bilder auf Yugis Brust nach, ohne allerdings die Brustwarzen zu berühren.

„Das klingt wie Musik!“ Er knabberte an Yugis Lippe, bis dieser gierig nach den seinen schnappte und Atemus Mundhöhle ausbeuten wollte.

Aber so leicht würde sich Atemu nicht geschlagen geben und ihre Zungen führten einen feurigen Tanz auf.

Nachdem Atemu dem Jüngeren nachgegeben hatte, saugte er begierig die Zunge seines Partners auf und Yugi strich freudig über jeden Millimeter der nun schon etwas vertrauten Mundhöhle.

Keuchend löste er den Kuss wieder nach einer Weile und blickte auf Yugi hinab, der unter ihm glühte.

Er lächelte, bevor er sich wieder dem Hals widmete und sich langsam nach unten knabberte, bis auf Brusthöhe.

Dort zog er mit der Zunge weite Kreise um eine der Brustwarzen, ließ sie in einer Spirale immer enger werden, doch als er in die Nähe der Warze kam, begann er das Spiel rückwärts.

Yugi war ganz heiß.

Jede Stelle, die der Ältere berührte, brannte sich in ihm ein, erreichte einen Punkt tief in seinem Inneren, von dem Yugi noch nicht einmal gewusst hatte, dass er existierte.

Es war, als hätte Atemu ihm von einer süßen Frucht zu kosten gegeben, einer Frucht, die nur Atemu besaß, die nur er ihm geben konnte und Yugi war hungrig danach, er verzehrte sich geradezu.

Der Junge hielt die Luft an, als Atemu sich seiner Brustwarze näherte.

Nur allzu gut konnte er sich noch an das Gefühl erinnern, das ihn das letzte Mal, als der Ältere diese berührte, überschwemmt hatte.

Er gab einen enttäuschten Laut von sich, als Atemu, anders als erwartet, die Spirale wieder größer werden und seine Brustwarze außer Acht ließ.

Atemu ließ seine Zunge einmal quer über Yugis Brust wandern und fing nun auf der anderen Seite mit seinen Kreisen an.

Yugi war nervös und hibbelig.

Diesmal wollte er, dass Atemu sich auch um die Brustwarze kümmerte, doch wie sollte er ihm das klar machen?

Als der Ältere schließlich auch hier die Spirale wieder aufwickelte, wurde Yugi schlagartig bewusst, dass er wohl selbst handeln musste, wenn Atemu das tun sollte, was er begehrte.

Mit beiden Händen griff er in Atemus Igelfrisur, schob seinen Kopf sachte ein Stück zur Seite und platzierte dessen halbgeöffneten Mund endlich auf seiner Brustwarze.

Schon fast erleichtert keuchte er auf, als Atemu nun zu saugen begann.

Dieser grinste.

Er hatte nicht vermutet, dass es so lange dauern würde, bis er Yugi zu einer eigenständigen Handlung animiert hatte, aber jetzt hatte er es geschafft, den zurückhaltenden Jungen zu locken.

Sanft leckte er über die schon merklich härtere Warze und knabberte daraufhin daran.

Zum Abschied stupste er sie mit der Nasenspitze an, bevor er sich dann doch noch der anderen Brustwarze zuwandte, während er mit seinen Händen über die Seiten von Yugis Oberkörper glitt.

Diese Körpererhebung wurde ebenso ausgiebig behandelt, wie die davor.

Plötzlich richtete Atemu sich wieder auf und bedeckte Yugis Schulter mit leichten Küssen und arbeitete sich so über dessen Arm bis zur Handinnenfläche und schließlich den Fingerspitzen vor.

Mittlerweile hatte Atemu seine Knie beiderseits neben Yugis Hüfte abgelegt.

Noch saß er auf seinen eigenen Unterschenkeln, doch nun richtete er sich weiter auf, bis er nur noch kniete und legte Yugis Hand, die sich noch in der seinen befand, auf seinen bloßen Bauch, denn mit der anderen Hand hatte er sich sein Shirt etwas hochgeschoben.

Er schloss die Augen, als er die schmale warme Hand auf seinem Bauch spürte.

Unsicher richtete Yugi seinen Blick auf Atemus Gesicht, konnte aber erkennen, dass dieser genießerisch die Augen geschlossen hatte.

Doch was erwartete er jetzt von ihm?

Jedoch beantwortete sich diese Frage von selbst, denn Atemu hatte die Hand des Jüngeren keineswegs losgelassen, sondern führte diese nun über seinen Bauch.

Yugi senkte den Blick wieder auf seine Hand, auf der die von Atemu lag.

Wie weich und angenehm warm doch seine Haut war!

Und die straffen Muskeln, die darunter deutlich zu spüren waren.

Blitzartig wurde er daran erinnert, als er schon einmal diese Muskeln betrachtet und sich danach gesehnt hatte, sie zu berühren: letzten Sommer in ihrem gemeinsamen Urlaub.

Damals hätte er nicht zu träumen gewagt, dass sein Wunsch knapp ein Jahr später erfüllt werden würde.

Er lächelte leicht bei der Erinnerung.

Während Atemu Yugis Hand immer höher führte, bis zu seiner Brust, wurde auch dessen andere Hand von dem Körper des Älteren wie magisch angezogen.

Atemu öffnete die Augen, als er Yugis zweite Hand auch auf seinem Bauch spürte.

Er schmunzelte über Yugis leicht ungläubigen Gesichtsausdruck.

Zwar wusste er nicht genau, was Yugi so faszinierend fand, aber er sah einfach zu niedlich aus.

Yugi war wie verzaubert.

Diese samtene Haut unter seinen Fingerkuppen raubte ihm den Atem.

Der Ältere beugte sich wieder hinab. „Gefällt dir, was du fühlst?“

Der Jüngere nickte überwältigt und erhielt als Lohn einen sanften Zungenkuss.

Atemu keuchte auf, als er Yugis Hand an seine Brustwarze legte und auch der kam sich wie elektrisiert vor.

Was hatte Bakura ihm noch gleich geraten?

„Wenn du das Gefühl hast, du solltest die Initiative ergreifen, dann tu es.“

Daran sollte er sich jetzt vielleicht halten und Atemus Brustwarze eigenständig bearbeiten.

Yugi nahm die Warze zwischen Daumen und Zeigefinger und zwirbelte sie leicht, was Atemu nun ein überraschtes Aufkeuchen entlockte.

Mit dieser Eigeninitiative hatte er wohl nicht gerechnet.

Aber Atemu hatte Recht: es klang wie Musik und Yugi war derjenige, der das Instrument spielte.

Als der Ältere nun auf ihn herablächelte, wusste Yugi, dass er das Richtige getan hatte und sowohl Atemu als auch er selbst genossen die intensiven Berührungen.

Mit einem Ruck zog Atemu sich nun endlich das störende Shirt über den Kopf, bevor er sich wieder lächelnd zu Yugi hinabbeugte, um ihm einen leidenschaftlichen Kuss zu geben.

Unterdessen platzierte er eines seiner Beine zwischen denen Yugis und während er ihn weiterhin küsste, strich er plötzlich mit einer Hand über den Oberschenkel des Jüngeren.

Der bemerkte erst, wo Atemus Hände zugange waren, als dieser nach dem Knopf seiner Hose griff.

Erschrocken legte er seine Hände auf die des Älteren und hielt sie fest.

„N-nicht!“ brachte er stotternd hervor.

Das ging ihm nun doch zu schnell, so schön es auch war. „Bitte, Atemu!“

Zwei amethystfarbene Augen trafen flehend auf dunkelviolette.

Atemu lächelte mild. „Schon okay. Ich werde nichts tun, was du nicht willst.“

Er strich sanft durch Yugis Haare und küsste ihn dabei feurig.

Danach rollte er sich von dem Jüngeren hinunter, so dass er neben ihm zum Liegen kam.

Doch Yugi hatte nichts davon gesagt, dass die Zärtlichkeiten ganz aufhören sollten.

Der Junge richtete sich auf und nun war er es, der sich über den Anderen beugte.

Besorgt warf er einen Blick auf Atemus Gesicht und auf dessen geschlossene Augen.

„Bist du jetzt sauer?“ fragte er unsicher.

Der Ältere öffnete die Augen wieder und schmunzelte über den Gesichtsausdruck des Kleineren.

„Nein, natürlich nicht. Ich muss mich nur beruhigen.“ Kaum hatte er das gesagt, fühlte Yugi auch schon eine Hand an seinem Hinterkopf und Atemu zog ihn zu sich herab, um ihn zu küssen.

Yugis Hand landete schon automatisch auf Atemus Bauch und er fuhr die starken Muskeln unter der Bauchdecke nach.

Danach glitt seine Hand höher und er widmete sich erneut den Brustwarzen, was Atemu abermals ein Keuchen entlockte.

Er rutschte weiter runter, bedeckte Atemus ganzen Hals mit feinen Küssen, arbeitete sich über das Schlüsselbein hinaus über die Brust bis schließlich zum Bauch vor.

Yugi wiederholte einfach das, was Atemu zuvor bei ihm getan hatte und hoffte, dass es diesem genauso sehr gefiel, wie ihm selbst.

Als Yugi wieder ruckartig nach oben rückte, um Atemu einen stürmischen Kuss zu geben, verlor er leicht das Gleichgewicht, so dass sein Knie zwischen Atemus Beinen landete und er eindeutig etwas hartes durch den Jeansstoff an seinem Oberschenkel spüren konnte.

Der Ältere sog scharf die Luft ein und hatte seine Augen schmerzlich zusammengekniffen.

Yugi stützte sich mit den Ellbogen neben Atemu ab, um ihn ungläubig mit offenem Mund und großen Augen anzusehen.

Der Junge fühlte noch immer die Härte an seinem Oberschenkel und er konnte sich nur allzu gut vorstellen, was das war.

Atemu lag unbeweglich unter Yugi, der nicht wusste, wie er sich nun verhalten sollte.

Der Größere öffnete die Augen wieder, doch Yugi konnte den Blick nicht so recht deuten.

„Würdest du bitte von mir runter gehen?“ fragte Atemu mit belegter Stimme und um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, umfasste er den Jüngeren um die Hüfte und hob ihn von sich herunter.

Er setzte Yugi neben sich auf dem Bett ab und sich selbst so hin, dass seine Beine nun von dem Bett herabbaumelten.

Atemu griff sich in die Stirnhaare und beide sagten eine Weile nichts.

Doch auch diese paar Sekunden schienen Yugi wie eine Ewigkeit und er hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen.

„Tut mir Leid“, flüsterte er schließlich.

Der Ältere wandte sich zu ihm um. „Was tut dir Leid?“

Yugi schwieg zunächst.

„Dass ich dir weh getan hab“, erklärte er dann.

„Schon gut.“ Atemu lächelte wieder. „War ja nicht deine Schuld. Ich hätte besser aufpassen müssen.“

„Kann ich kurz bei dir duschen?“ fragte er dann.

Der Jüngere sah ihn irritiert an.

Wieso wollte der Andere plötzlich duschen?

„Äh, ja, klar. Einfach durch die Tür gegenüber meinem Zimmer“, erläuterte er.

Denn Yugi hatte hier unter dem Dach nicht nur ein relativ großes Zimmer, sondern auch sein eigenes Bad.

Atemu stand unvermittelt auf und verschwand in die angegebene Richtung, während Yugi ihm knallrot hinterher blickte.

Er glaubte, zu wissen, weshalb Atemu duschen wollte, wahrscheinlich eiskalt.

Kurz darauf konnte er hören, wie das Wasser aufgedreht wurde.

Aber das war nicht das einzige Geräusch, das er hörte.

Yugi wurde immer roter im Gesicht und sah peinlich berührt auf den Boden, denn Atemus Stöhnen war nur allzu deutlich zu hören.

Wenn er doch bloß nicht so verkrampft wäre, dann hätte er ihn nicht abgeblockt.

Schnell schloss er die Tür, die Atemu einen Spalt breit offen gelassen hatte, um alle Geräusche auszusperren.

Er lehnte sich mit dem Rücken dagegen und starrte eine Weile ins Nichts.

Dann stieß er sich ab, um sich abzulenken schaltete er den Fernseher ab und begann, sich ganz zu entkleiden und seinen Schlafanzug anzuziehen.

Nach einiger Zeit kam Atemu wieder zurück in sein Zimmer.

Er hatte nur noch seine Shorts an, seine Jeans über den Arm gelegt und lächelte Yugi an.

„Tu-tut mir Leid“, entschuldigte der Jüngere sich abermals, als Atemu eintrat.

Der Junge konnte ihn nicht ansehen, glaubte aber, einen fragenden Blick auf sich zu spüren. „Ich meine … dass du … es … dir selbst …“

Atemu lachte leise. „War ja nicht das erste Mal.“

Er zwinkerte Yugi zu, als dieser ihn schließlich doch noch anblickte.

Der sprang auf, drängte sich an dem Älteren vorbei und betrat nun auch das Bad, um sich ebenfalls fertig zu machen.

Als er wieder zurückkam, saß Atemu an seinem Schreibtisch und hielt etwas in der Hand.

Yugi trat neben ihn, um zu sehen, was der Ältere sich so genau betrachtete.

Atemu blickte auf. „Schönes Freundschaftsband.“

Der Jüngere nickte. „Hab ich für meinen besten Freund gemacht.“

Vorsichtig nahm er es Atemu aus der Hand.

Für ihn hatte es den Stellenwert seines größten Schatzes.

Er legte es auf seinen angestammten Platz auf seinem Schreibtisch, wo er es immer im Blick hatte, zurück.

„Der Freund, von dem du schon einmal erzählt hast?“ erkundigte Atemu sich leise.

Yugi sah den Älteren erstaunt an, nickte aber. „Du kannst dich noch daran erinnern?“

„Ich war damals sehr taktlos“, erklärte Atemu einfach.

Viele Fehler, die man im Leben machte, brannten sich umso mehr ins Gedächtnis ein, und wenn sie noch so unbedeutend erschienen.

„Lass uns schlafen gehen.“ Atemu stand auf und gemeinsam legten sie sich in Yugis Bett.

Der Jüngere kuschelte sich ganz fest an den warmen Körper. „Ich liebe dich, Atemu.“

„Ich liebe dich auch, Süßer.“ Es war das erste Mal, dass Atemu es selbst auch wirklich aussprach.

Abifeier

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Abifeier (zensiert)

15. Abifeier
 

„Was?“ Yugi sah Joey mit schief gelegtem Kopf an.

Der zog an Yugis Halsband und schob es schließlich hoch.

„Sieh an, ein Knutschfleck“, grinste er dann.

„Wo kommt der denn her?“ fragte der Blonde mit Unschuldsmiene.

Yugi wurde knallrot im Gesicht.

„Darauf muss ich ja wohl nicht antworten“, murmelte er kaum hörbar.

„Wie war’s denn?“ hakte Joey grinsend weiter, doch Yugi blieb stumm.

„Nun lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!“ forderte der Größere.

„Es ist nichts passiert.“ Yugi wandte sich von seinem Freund ab.

Er wusste nur zu gut, worauf der Blonde hinaus wollte.

Schließlich hatte er sich damals ja auch nicht davon abhalten lassen, dem Jüngeren breit sein erstes Mal darzulegen.

Davon abgesehen, dass er Joey ja nicht angelogen hatte, behagte ihm die Vorstellung gar nicht, wenn es einmal so weit wäre, das mit Joey zu diskutieren.

Natürlich war Joey sein bester Freund, aber eine solche Sache schien ihm zu intim.

Joey hatte ihm damals alles freiwillig unter die Nase gerieben und Yugi hatte eher widerwillig zugehört.

Was hätte er denn sonst machen sollen?

Aber in der epischen Breite hatte er es gar nicht wissen wollen.

Joey legte kumpelhaft den Arm um seine Schultern. „Komm schon, mir kannst du alles erzählen!“

Yugi schüttelte den Kopf und war froh, als sie endlich Téa und Tristan erreichten, die im Foyer der Schule standen und warteten, dass sie endlich drankämen.

„Hey ihr beiden!“ wurden sie stürmisch von Téa begrüßt und sie ließ es sich nicht nehmen, die beiden freudig zu umarmen. „Na, habt ihr gut geschlafen? Vor allem du, Joey, siehst so fröhlich aus!“

„Ich glaube, Yugi hat besser geschlafen!“ grinste Joey und warf Tristan vielsagende Blicke zu.

Yugi verdrehte die Augen.

Er hatte keine Lust, das Thema zu vertiefen.

„Da kommt ja der Übeltäter!“ Joey bekam sein Grinsen einfach nicht mehr los.

„Was macht ihr denn hier?“ fragte Atemu, als er das kleine Grüppchen erreichte.

Er schob sich das Trageband seiner Umhängetasche zurecht und lächelte.

„Wir bekommen heute einen Ausdruck mit den Noten vom schriftlichen Abi“, erklärte Téa.

„Oh.“ Atemus Lächeln schwand von seinem Gesicht.

„Du weißt etwas“, vermutete Yugi misstrauisch.

Atemu wich seinem Blick aus.

„Raus mit der Sprache!“ forderte Joey.

Es war absolut unangemessen, so mit einem Referendar zu sprechen, vor allem, da sie in der Schule waren, aber das hatte Joey typischerweise einfach mal außer Acht gelassen.

„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen“, meinte Atemu dann beruhigend zu Yugi.

Der schnaubte. „Wenn du nichts sagst, dann muss ich mir Sorgen machen!“

„Nein, absolut nicht!“ widersprach Atemu bestimmt.

Er sah Yugi an und in dessen Gesicht war abzulesen, dass er wirklich das Schlimmste dachte.

Yugi war absolut flau im Magen.

Sollte er das Geschichtsabi so verhauen haben?

Er hatte doch so viel gelernt und nach der netten Aufmunterung seitens Atemus war er doch absolut beruhigt und klar im Kopf gewesen.

Hatte er die Fragen vielleicht falsch verstanden?

Der Älteste in der Runde seufzte unterdrückt. „OK, ich gebe dir einen kleinen Tipp. Aber den Rest musst du selbst raus finden.“

Er sah Yugi an und wartete dessen Zunicken ab.

„Dein Abi war unter denjenigen, die ich erhalten habe“, erläuterte Atemu dann.

Wenn Yugi sich richtig erinnerte, dann durfte Atemu sich als Referendar nur drei Abiture ansehen.

„Dann habe ich … eine mittlere Bewertung?“ fragte Yugi vorsichtig.

An die Möglichkeit, dass er das schlechteste Geschichtsabi seines Kurses geschrieben hatte, mochte er gar nicht denken.

Außerdem hatte Atemu doch gesagt, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte, also konnte es nicht so schlimm sein.

Atemu lächelte wieder, schüttelte aber den Kopf.

Yugis Herz machte einen Aussetzer, nur um dann im Sturzflug in seine Hose zu rutschen.

Auch alle Farbe wich aus seinem Gesicht.

„Das schlechteste?“ hakte er tonlos nach.

Seine Freunde sahen Atemu ebenfalls ausdruckslos an.

Es konnte doch nicht sein, dass Yugis Noten trotz des vielen Lernens wieder im Keller waren.

Bakura stieß gerade mit seinem Notenzettel zu der Gruppe, da diese nach dem Alphabet verteilt wurden, kam er geradewegs aus dem Direxzimmer.

Doch seltsamerweise nahm keiner seiner Freunde überhaupt wahr, dass er zurück war.

Irritiert sah er jeden einzelnen nacheinander an und wartete.

Der Referendar lächelte noch immer, diesmal leicht amüsiert und schüttelte abermals den Kopf.

Yugi riss die Augen auf.

„Das beste?“ quietschte er ungläubig mit hoher Stimme.

Als Atemu nun bestätigend nickte, wäre Yugi ihm am liebsten um den Hals gefallen, aber hier und jetzt war das leider unmöglich.

„Ich darf dir also bei der Abiturfeier eine schicke Urkunde überreichen“, meinte Atemu dann.

Yugi strahlte über das ganze Gesicht.

Hatte sich das viele Pauken also gelohnt.

Auch Joey atmete erleichtert aus, hatte noch nicht einmal bemerkt, dass er angespannt die Luft angehalten hatte.

„Volle Punktzahl“ erklärte der Referendar.

Plötzlich verschwand Yugis glückliches Lächeln. „Oh nein!“

Atemu zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid.“

Die Freunde sahen verwirrt von einem zum anderen.

„Wieso hast du mir das nicht schon früher gesagt?“ verlangte Yugi zu wissen.

„Weil ich es nicht durfte“, seufzte Atemu. „Nur Frau Asai oder Herr Itsushi hätten es dir sagen dürfen.“

„Na toll. Dann kann ich bis zum Mündlichen das Wort ‚Freizeit’ aus meinem Wortschatz streichen.“ Yugi ließ resigniert den Kopf hängen.

„Keine Sorge, Yugi, was einmal in deinem süßen Köpfchen drin war, das verliert sich so schnell nicht wieder!“ lächelte Atemu und zwinkerte dem Jüngeren zuversichtlich zu.

Dann schien er jemanden entdeckt zu haben.

„Ihr entschuldigt mich?“ Er sprach zwar alle an, hatte den Blick aber nur auf Yugi gerichtet und deutete mit dem Kopf Richtung Tür zum Sekretariat, in dem er auch kurz darauf verschwand.

„Wovon zum Kuckuck habt ihr eigentlich gesprochen?“ wollte Joey nun endlich wissen.

„Ich muss in Geschichte ins mündliche“, klärte Yugi seine Freunde auf.

„Ich dachte, du hättest das beste Geschichtsabi geschrieben?“ hakte Tristan nach.

„Schon, aber selbst bis hierher verfolgt mich meine fünf aus dem ersten Halbjahr“ erwiderte Yugi. „Ich hab aus den vier Halbjahresnoten einen Schnitt von 11 Punkten, das heißt, dass ich 4 Punkte über dem Schnitt bin. Man darf nur 3 Punkte darüber liegen, um nicht im mündlichen die Note bestätigen zu müssen.“

„Du Armer!“ meinte Téa mitfühlend. „Als ob du mit Mathe nicht schon genug zu tun hättest!“

„Also ich wäre an deiner Stelle genauso optimistisch wie Herr Yamito. Ich meine, du hast ja nicht umsonst die volle Punktzahl erreicht, oder?“ erklärte Joey aufmunternd lächelnd.

Tristan und Joey wandten sich nun endlich Bakuras Noten zu, Téa machte sich auf den Weg Richtung Direktorat, denn sie war mit Sicherheit bald dran.

Während Yugi ihr kurz nachblickte, sah er, dass Atemu von dort kam, denn das Sekretariat und das Büro des Direktors waren durch die gleiche Tür zu erreichen.

Er wurde von einem anderen Lehrer begleitet, Yugi folgte jeder seiner Bewegungen mit dem Blick.

Die beiden Lehrer stiegen die Treppe zum nächsten Stock hinauf, doch der Referendar schien Yugi komplett zu ignorieren, obwohl er wusste, dass er und seine Freunde seitlich der Treppe standen.

Gerade, als Yugi etwas enttäuscht den Blick von ihm abwenden wollte, sah Atemu auf den Schüler herab und lächelte ihm zu.

Yugi lächelte glückselig zurück, merkte dann aber schnell, dass er seine Gesichtsmuskeln vor seinen Mitschülern besser unter Kontrolle haben sollte, also wandte er sich Téa zu, die gerade mit ihrem Ausdruck wedelnd zu ihnen zurückkam.
 

***
 

Yugi saß brütend über dem Aufgabenbogen und machte sich eifrig Notizen.

Bald war seine Zeit um und er würde abgeholt werden.

Leider waren beide Prüfungen auf einen Tag gelegt worden, er hatte nur eine Stunde zum Verschnaufen gehabt.

Der Junge schielte schräg hinter sich zu Joey, der sich im gleichen Klassensaal auf seine Japanisch-Prüfung vorbereitete.

Doch er wurde abgelenkt, als die Tür geöffnet wurde.

Er sah auf und kam nicht umhin, festzustellen, dass Atemu in der Tür stand und ihm zuwinkte.

Hastig sprang er auf, schnappte sich seine Notizen und schlängelte sich an den Einzeltischen vorbei.

Yugi trat auf den Gang und sah etwas unsicher zu Atemu hoch.

„Na, alles klar?“ fragte der lächelnd.

„Ja“, erwiderte der Jüngere und schloss sich Atemu an, der ihn zu dem Klassensaal führen würde, in dem die Prüfung stattfand. „Prüfst du mich?“

Normalerweise wurde man zum Mündlichen von dem Lehrer abgeholt, der einen in den beiden Jahren zuvor unterrichtet hatte und auch Erstprüfer war.

„Yugi…“ Atemu senkte die Stimme.

„Schon gut“, unterbrach Yugi ihn. „Du bist ja nur Referendar. Aber man darf ja wohl noch hoffen.“

Resigniert ließ er den Kopf hängen.

„Frau Asai prüft dich“, erklärte Atemu. „Sie meinte, ihr würdet euch kennen.“

Yugi nickte. „Wir hatten sie zwei Jahre. In der 10. und 11. Klasse. Wir sind ganz gut miteinander zurecht gekommen.“

Sie stiegen die Treppe hoch.

„Wer kommt denn nicht mit dir zurecht?“ fragte Atemu lächelnd.

Yugi erwiderte das Lächeln.

Außerdem hatte Téa ihm ausführlich ihre Eindrücke der Zweiprüferin erläutert.

Nur hoffte er, dass diese Prüferin auch noch anwesend war, wenn er geprüft wurde und nicht zwischenzeitlich ein Wechsel stattgefunden hatte.

„Wie war Mathe?“ erkundigte Atemu sich, wusste er doch, dass Yugi schon am frühen Morgen geprüft worden war.

„Gut. Ich hab eine 11 bekommen“, erwiderte Yugi.

Atemu lachte. „Das ist besser, als ich je in Mathe war.“

Der Junge grinste.

Ja, es passte zu Atemu, dass er ihm das jetzt sagte, zur Beruhigung.

Außerdem war diese Geschichtsnote nicht ganz so relevant, wie die Mathenote, er konnte es etwas lockerer angehen.

Der Referendar hielt an und legte die Hand auf die Türklinke. „Soll ich mitkommen? Ich meine, wenn dich meine Anwesenheit zu nervös macht, erfinde ich lieber eine Ausrede, zu passen, als dir die Abinote zu versauen.“

Er sah den Schüler leicht besorgt an.

Yugi schüttelte energisch den Kopf. „Schon OK. Ich denke, ich werde mich eher wohler fühlen, wenn du dabei bist.“

Der Jüngere lächelte sein Gegenüber liebevoll an.

Der erwiderte das Lächeln. „Wenn du dir sicher bist.“

Yugi nickte und als der Referendar ihm die Tür öffnete, schritt er an ihm vorbei und zum Pult des Klassensaales und Atemu folgte ihm in den Saal.

Er drehte sich um und überblickte kurz die anwesenden Leute.

Die Zweitprüferin sah tatsächlich ganz sympathisch aus, doch sie machte einen nicht allzu interessierten Eindruck, vermutlich empfand sie es als überflüssig, jemanden prüfen zu müssen, der das beste Geschichtsabi der gesamten Stufe geschrieben hatte.
 

***
 

Sie waren schon eine Weile unterwegs.

Yugi schmiegte sich eng an den Körper vor ihm und beobachtete die Bäume, die mit hoher Geschwindigkeit an ihm vorbeisausten.

Er wusste nicht genau, wohin sie fuhren, aber Atemu hatte ihnen erklärt, dass es eine Überraschung sei.

Mittlerweile fuhren sie über einen holprigen Feldweg und sie wurden durchgeschüttelt.

Kurz darauf bremste Atemu sein Motorrad ab.

Er stieg ab und nahm seinen Helm vom Kopf, Yugi tat es ihm gleich.

Dann wandte er den Kopf und sah zu, wie Kaiba und Joey von dem anderen Motorrad stiegen.

„Hier ist es also?“ fragte der Blonde an Atemu gewandt.

Währendessen blickte Kaiba sich skeptisch um und sah so aus, als wolle er den Helm, den er sich unter den Arm geklemmt hatte, gleich wieder überstülpen und von hier verschwinden.

„Nicht ganz“, entgegnete Atemu.

„Wir müssen noch ein paar Meter in den Wald hinein.“ Er deutete in die Richtung.

„Können wir da nicht hinfahren?“ brummte Kaiba.

„Nein“, erklärte Atemu bestimmt und schüttelte bekräftigend den Kopf.

Er nahm Yugi den Rucksack, den dieser bis hierher getragen hatte, ab und ergriff Yugis Hand und gemeinsam gingen sie voraus.

Joey stapfte gleich hinterher, gefolgt von einem missmutigen Kaiba.

„Da wären wir“, meinte Atemu, als sie aus den Bäumen heraustraten.

„Wow! Super!“ entwich es Yugi begeistert.

Vor ihnen lag eine einfach riesige Blumenwiese, die in allen möglichen Farben schillerte.

Zum Glück waren die Sommer in der Region um Domino nicht so trocken.

Der Junge ließ die Hand des Älteren los und stürmte durch das hohe Gras und die bunten Blumen.

Er lachte fröhlich.

Das war eine schöne Überraschung von Atemu.

„Hai, ist das herrlich!“ meinte auch Joey und ließ den riesigen Rucksack zu Boden gleiten.

„Und wo können wir uns niederlassen?“ fragte er an Atemu gewandt.

„Dort drüben ist ein Bach. Am Ufer können wir alles ausbreiten“, erklärte Atemu und wies in die Richtung.

„Super!“ rief Joey, ließ den Rucksack einfach stehen und sprintete Yugi hinterher.

„Typisch Hündchen! Läuft mal wieder einem Schmetterling hinterher!“ meinte Kaiba, der sich nun den Rucksack schulterte.

Atemu wandte den Blick, den er die ganze Zeit auf Yugi geheftet hatte, nun dem Firmenchef zu.

Der milde Ausdruck in den Augen und das leichte Lächeln, das seine Mundwinkel umspielte, während er Joey zusah, wirkten fremd auf den Gesichtszügen des Brünetten.

Auch er wandte sich wieder seinem Rucksack zu und ging dem Blauäugigen voran auf den Bach zu.

Dort breiteten sie gerade die Decken aus, als die beiden Jüngeren wieder zu ihnen stießen.

Kaum, dass Atemu auf der Decke saß, hatte er auch schon Yugi auf seinem Schoß und dessen Arme um seinen Hals.

„Danke!“ hauchte er und gab Atemu einen lang anhaltenden feurigen Zungenkuss.

Nach einer Weile räusperte Joey sich. „Hey Leute, wenn ihr euch gegenseitig aufessen wollt, hätten wir uns das Picknick sparen können!“

Verlegen trennte Yugi sich von Atemu und kam nicht umhin, festzustellen, dass Joey und Kaiba schon alles ausgepackt hatten.

Yugi rutschte von Atemus Schoß herunter, drehte sich auf den Bauch, griff nach einem der belegten Brötchen und nahm von Kaiba einen Becher entgegen, den dieser mit Mineralwasser gefüllt hatte.
 

***
 

„Meinst du, dass es eine so gute Idee war, die beiden alleine zu lassen?“ fragte Joey. „Nicht dass sie sich an die Gurgel springen.“

Yugi verdrehte die Augen. „Wer wollte denn, dass wir alleine spazieren gehen? Du wolltest doch was mit mir besprechen!“

Er sah von den blauen Blumen vor sich zu dem Blonden auf. „Atemu kennt Kaiba nicht persönlich und du hast doch mit Kaiba gesprochen?“

Joey nickte geflissentlich. „Ich hab ihm gesagt, dass er nichts von euren Duellen oder sonst was aus seiner Vergangenheit erwähnen soll.“

„Na also. Dann müsste schon Kaiba Atemu an die Gurgel springen“, erklärte Yugi. „Außerdem war es schon immer so gewesen, dass Yami mit ihm Freundschaft schließen wollte und Kaiba ihm die kalte Schulter gezeigt hat.“

„Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, dass du ihn, immer, wenn du von früher redest, Yami nennst?“ erkundigte Joey sich, doch Yugi zuckte nur mit den Achseln.

Der Jüngere ließ sich ins saftig grüne Gras fallen und sah seinen Freund von dieser neuen Position aus an. „Was ist es nun, was du mir erzählen willst und was Kaiba offensichtlich nicht wissen soll?“

„Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll“, druckste Joey herum und setzte sich im Schneidersitz neben seinen besten Freund.

Er schwieg eine Weile, bevor er fort fuhr, allerdings ohne den Jüngeren dabei anzusehen. „Ich weiß nicht, ob ich es dir je erzählt habe… aber Seto… er ist auch… schwul.“

„Ach so?“ Yugi war etwas überrascht.

Joey sah Yugi nun wieder an. „Ich hab nun die Befürchtung, dass er sich in mich verknallt hat.“

„Hm. Und wieso erzählst du mir das?“ hakte Yugi nach. „Er hat es dir doch sicherlich im Vertrauen gesagt?“

„Ja, schon, und du darfst auch niemandem davon erzählen“, beschwor Joey den Jüngeren. „Aber ich wüsste gerne, ob du auch den Eindruck hast. Ich meine, sieht man irgendwas in Setos Verhalten?“

„Du meinst, dass er in dich verknallt ist? Mir ist nichts aufgefallen.“ Yugi betrachtete den Blonden mit schief gelegtem Kopf. „Wenn es denn so wäre, was würdest du tun?“

Joey seufzte. „Ich müsste ihm wohl das Herz brechen.“

Er richtete seinen Blick wieder auf die Blumen neben seinen Beinen. „Du weißt ja, dass ich nur auf Mädchen stehe, und zwar ausschließlich.“

Der Blonde zog eine Blume aus dem Boden und hielt sie sich vor die Nase. „Aber ich will ihm eigentlich nicht wehtun. Er ist mir wichtig, als Freund, weißt du?“

Der Größere sah an der Blume vorbei und Yugi an.

Der nickte bedächtig.

Natürlich wäre es schwer für beide, wenn eine einseitige Liebe zwischen ihnen bestünde.

„Kannst du ihn nicht… hm, unauffällig beobachten?“ bat Joey.

Yugi zuckte mit den Achseln. „Naja, wenn sich eine Gelegenheit ergibt.“

Er stand auf und klopfte sich Klee und Gras von der Hose.

Gemeinsam gingen sie zu den beiden Älteren zurück.

„Holla, ihr lebt ja beide noch!“ grinste Joey und ließ sich neben Kaiba auf die Decke fallen.

„Worüber habt ihr euch unterhalten?“ Er sah den Brünetten an.

„Duell Monsters“, kam auch prompt die Antwort von Kaiba.

Atemu zog kurz eine Braue hoch, doch Yugi war das nicht entgangen.

Er war sich fast sicher, dass, wenn sie überhaupt ein Gespräch geführt hatten, das sicherlich nicht ihr Gesprächsthema gewesen war.

Joey hingegen gab sich mit der Antwort zufrieden.
 

***
 

Sie saßen bei Yugi zu Hause auf der Couch im Wohnzimmer.

Yugi kuschelte sich eng an Atemus warmen Körper.

„Sag mal, worüber haben du und Kaiba wirklich gesprochen, als Joey und ich weg waren?“ erkundigte er sich neugierig.

„Ich habe Kaiba versprochen, mit niemandem darüber zu reden“, erwiderte Atemu.

Während sie schwiegen und Atemu sanft über Yugis Rücken strich, überlegte dieser, ob es zwischen den beiden Gesprächen womöglich einen Zusammenhang gab.

Oder ob seine Fantasie mit ihm durchging.

„Ich soll eigentlich auch mit niemandem darüber reden, aber ich würde Joey so gerne helfen“, meinte Yugi dann und sah Atemu an.

Der zuckte mit den Schultern. „Damit müssen die beiden selbst zurecht kommen.“

Yugi richtete sich auf und begann, an Atemus Ohrläppchen zu knabbern.

„Denkst du, dass ich dich noch dazu überreden könnte, es mir zu erzählen?“ hauchte er und ließ seinen Atem über die Ohrmuschel des Älteren streicheln.

Der lächelte, schüttelte aber dennoch den Kopf. „Ich breche keine Versprechen. Aber du bist ja ganz schön gewieft!“

Er wandte sich zu Yugi und verwickelte ihn in einen heißen Zungenkuss.

Yugi grinste. „Einen Versuch war es wert!“

Der Jüngere beugte sich wieder zu den geliebten Lippen und küsste Atemu innig.

„Yugi!“ war plötzlich ein erstickter Aufschrei hinter ihnen zu hören, gefolgt von einem lauten Gepolter.

Angesprochener sprang hastig auf. „Mama!“

Augenblicklich sah er in das entsetzte Gesicht seiner Mutter.

Atemu stand ebenfalls von der Couch auf. „Guten Abend, Frau Muto.“

Trotz der angespannten Situation lächelte er Yugis Mutter an.

Frau Muto ließ ihren Blick von ihrem Sohn zu dem anderen Mann gleiten.

„Herr Yamito!“ Sie hörte sich an, als würden ihre Lungen zu wenig Luft bekommen.

Sie starrte ihn eine Weile stumm an, doch Atemu lächelte weiterhin, was Yugi schon bewundernswert fand.

„Verführen Sie meinen Sohn?“ erkundigte sie sich dann mit einer schneidenden Stimme, die jedem guten Schwert Konkurrenz gemacht hätte.

„Wir sind ein Paar“, entgegnete Atemu ruhig.

Yugi warf ihm einen kurzen Blick zu.

„Seit wann?“ verlangte Frau Muto zu wissen, der scharfe Tonfall war keineswegs verschwunden.

„Seit vier Monaten“, erwiderte Atemu ohne mit der Wimper zu zucken.

Der Jüngere der beiden versuchte, seine Überraschung zu verbergen.

Vier Monate?

Davon hatte ja noch nicht einmal er selbst gewusst!

Angestrengt rechnete er im Kopf nach.

Vier Monate? Das müsste im März gewesen sein.

Also seit er die weiße Schleife von Atemu erhalten hatte.

Yugi lächelte leicht.

„Eine Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ist doch verboten.“ Frau Muto sah Herrn Yamito streng an.

„Wir lieben uns aber, Mama!“ ergriff nun Yugi das Wort.

Seine Mutter wandte sich ihm zu. „Du bist schwul?“

Yugi nickte zur Bestätigung.

Frau Muto sah Herrn Yamito feindselig an. „Sie haben ja ganz schöne Arbeit geleistet! Sie haben seinen Verstand komplett verwirrt! Verlassen Sie auf der Stelle unser Haus!“

Sie wollte einfach nicht wahr haben, dass Yugi Atemu aus freien Stücken lieben könnte.

Dann richtete sie ihr Augenmerk wieder auf ihren Sohn. „Und wir beide sprechen uns noch!“

Sie nahm wieder die Einkaufstaschen, die sie zuvor vor Schreck hatte fallen lassen, in die Hand und verließ das Wohnzimmer.

„Nein, verdammt!“ fluchte Yugi leise und ihm stiegen Tränen der Wut und der Verzweiflung in die Augen.

Plötzlich spürte er zwei Arme, die sich tröstend um ihn legten. „Scht! Nicht weinen!“

Yugi sah Atemu aus tränennassen Augen an. „Aber wenn sie uns verpfeift!“

„Schon gut. Rede einfach noch mal mit ihr. Wenn sie sich beruhigt hat“, riet der Ältere.

„Ich dachte immer, sie wäre aufgeschlossener und toleranter“, schniefte Yugi leise und schmiegte seine Wange an Atemus Brust.

„Vielleicht ist sie das auch. Nur du solltest bedenken, dass sie es lieber von dir erfahren hätte, als es so sehen zu müssen. Außerdem, du bist ihr einziges Kind. Wenn das eigene Kind homosexuell ist, reagieren manche anders, als wenn sie schwule Pärchen im Fernsehen sehen“, beschwichtigte Atemu.

„Rede einfach noch mal mit ihr“, wiederholte Atemu und strich Yugi liebevoll durchs Haar.

„Aber ich gehe jetzt besser.“ Widerwillig löste er sich von Yugi, gab ihm aber noch einen innigen Kuss, bevor er das Haus schließlich wie aufgefordert verließ.
 

***
 

Salomon Muto sah seinem Enkel nach, wie der den Frühstückstisch verließ.

„Was ist eigentlich los? Ihr beiden wechselt ja kein Wort miteinander“, wandte er sich an seine Tochter.

Frau Muto seufzte. „Ich hab Yugi gestern dabei erwischt, wie er einen Mann küsste.“

„Ja und?“ hakte der Großvater nach.

„Er ist schwul, Papa!“ entrüstete sich Yugis Mutter.

„Und wo liegt dabei das Problem?“ erkundigte Salomon sich.

Frau Muto musterte ihr Gegenüber skeptisch. „Das scheint dich ja gar nicht aus der Fassung zu bringen. Wusstest du etwa davon?“

Salomon nickte. „Wenn sie sich doch lieben. Es hat ja lange gedauert, bis sie ein Paar geworden sind.“

„Wie meinst du das?“ wollte die Brünette wissen.

„Sie haben sich schon letztes Jahr im Dezember ihre Liebe gestanden“, erklärte Großvater. „Das Problem war eben, dass Atemu hart um seinen Job kämpfen musste und er nicht alles riskieren wollte. Aber da Yugi nun nicht mehr sein Schüler ist, hat sich alles wieder eingerenkt.“

„Er hat also auch damit gehadert, da eine solche Beziehung tabu ist“, murmelte sie leise mehr zu sich selbst.

„Natürlich. Er wollte Yugi nun mal nicht schaden. Aber letztendlich hat die Liebe doch gesiegt. Du solltest ihnen eine Chance geben“, riet der alte Mann.

Yugi hielt die Luft an.

Seit Beginn des Gesprächs stand er nun schon verborgen im dunklen Flur nahe der Küchentür, hatte dadurch vergessen, dass er eigentlich das Haus verlassen wollte.

„Lad ihn doch einfach ein, dann kannst du ihn besser kennen lernen“, schlug Großvater weiterhin vor.

Frau Muto seufzte abermals. „Dran ändern kann ich wahrscheinlich eh nichts.“

Sie biss sich auf die Lippe. „Vielleicht hast du Recht.“

Freudig stürmte Yugi nun in die Küche und warf sich seiner Mutter um den Hals.

„Au ja! Und dann kochst du uns was Feines!“ Er drückte ihr einen Schmatzer auf die Wange.

„Als ich uns das letzte Mal gekocht habe, ist das nämlich ganz schön in die Hose gegangen.“ Der Junge grinste verlegen.

„Du hast für ihn gekocht?“ hakte Frau Muto nach und sah ihren Sohn mit großen Augen an.

Als der nickte, fragte sie weiter. „Und wann war das?“

„Das Wochenende nach der Abifahrt, als du und Opa nicht da wart. Wir haben meinen Geburtstag nachgefeiert“ erklärte Yugi.

„Der Braten im Kühlschrank! Der war von dir und gar nicht von Papa, wie der behauptet hat“, stellte seine Mutter fest.

„Ja. Opa war eingeweiht“, erläuterte Yugi.

„Du hast mir das verheimlicht!“ Sie musterte ihren Sohn. „Vertraust du mir etwa nicht?“

„Dann hättest du nachgefragt. Und du hast ja gestern genauso reagiert, wie ich befürchtet hatte“, meinte Yugi und blickte seiner Mutter in die Augen.

„Hm. Vermutlich ist da was dran.“ Frau Muto sah ihren Sohn bittend an. „Verzeihst du mir?“

„Klar, wenn du uns als Paar akzeptierst!“ Yugi lächelte, als seine Mutter nickte und diese drückte ihn wieder an sich.
 

**
 

„Uärks, Yugi!“ rief Joey empört und rümpfte die Nase.

„Was denn?“ Yugi sah seinen besten Freund verständnislos an.

Dann folgte er seinem Blick.

„Das sieht unappetitlich aus!“ stellte der Blonde wenig begeistert fest.

Yugi lachte. „Aber unser Motto ist doch Farbe!“

„Schon, aber doch nicht so!“ erwiderte Joey.

„Ist doch nur Lebensmittelfarbe.“ Yugi hatte seine Mutter gemäß dem Abisturmmotto Farben dazu überredet, Farbe in den Kuchen, den er für die Mitschüler mitgebracht hatte, zu mischen.

Dementsprechend war es nun ein rot-blauer Marmorkuchen.

„Ich finde, das sieht doch interessant aus. Außerdem brauchst du ihn ja gar nicht zu essen“, erklärte Yugi.

Der Kuchen war sowieso als Überraschung für die Schüler unterhalb ihrer Klassenstufe gedacht, genauso wie die Kuchen, die die anderen 13klässler mitgebracht hatten.

Yugi stellte nun seinen Kuchen zu den anderen auf einen von mehreren Tischen, die auf dem Schulhof aufgebaut waren.

Seine Idee mit der Lebensmittelfarbe war einmalig gewesen, ansonsten gab es nur bunte Dekorationen in Form von Zuckerguss, Streuseln und Smarties.

Gemäß dem Motto mussten die Schüler noch die Gänge der Schule dekorieren, mit bunten Lampions, Girlanden, Luftschlangen, Luftballons und Lichterketten.

Doch Joey und Yugi mussten nun zunächst die Tische mit den Kuchen bewachen.

Die gierigen Schüler würden sicherlich alles schnell leer geräumt haben.

Entfernt war die Durchsage ihres Stufensprechers zu hören, die besagte, dass heute Abisturm war und man sich im Pausenhof einfinden solle.

Es war sogar eigens eine Abiband gegründet worden, die mit Coversongs einheizen sollte.

Kaum war die Durchsage beendet, war auch schon das Getrappel und Gestampfe abertausender Füße zuhören.

Yugi wappnete sich für den Ansturm an Mitschülern.

Die ersten stürzten sich schon mit Feuereifer auf die Kuchen, immerhin mussten sie dafür nichts zahlen, allerdings musste Yugi einige davon abhalten, so dreist zu sein und sich gleich zwei Stücke zu nehmen.
 

**
 

Yugi öffnete Atemu die Tür.

Er sah den Älteren etwas besorgt an. „Mach dich auf dumme Fragen gefasst.“

Atemu gab Yugi zur Begrüßung erst einmal ein Küsschen und lachte. „So schlimm wird’s schon nicht werden.“

Der Jüngere schielte zu ihm hoch. „Du kennst meine Mutter nicht! Sie wird sicherlich ein Verhör veranstalten.“

„Und wenn schon!“ Atemu versuchte, Yugi zu beruhigen.

Er lächelte. „Ich werde alle Fragen wahrheitsgemäß beantworten. Ich habe ja keine Geheimnisse.“

Bevor er Yugi in die Küche folgte, drückte er ihn noch mal kurz zärtlich an sich.

„Ach ja, wirklich?“ Yugi grinste zu Atemu hoch, konnte seine Nervosität aber nicht ganz aus seiner Stimme verbannen.

„Ja, wirklich!“ lächelte Atemu und gab Yugi einen erneuten Kuss zur Beruhigung.

Yugi atmete noch mal tief durch, bevor er, dicht gefolgt von Atemu, die Küche betrat, in der sie schon von Yugis Mutter erwartet wurden.

„Guten Tag, Frau Muto“, grüßte Atemu sofort und überreichte ihr einen bunten Blumenstrauß.

Angesprochene nahm diesen leicht lächelnd entgegen und musterte den Strauß ausführlich.

Sie grüßte zurück und wandte sich dann an ihren Sohn. „Könntest du bitte eine Vase holen?“

Der Jüngste in der Runde nickte und sauste sogleich ins Wohnzimmer.

Ihm war gar nicht wohl dabei, die beiden alleine zu lassen, während er eine Vase suchte.

Doch schon kurz darauf erschien auch Atemu im Wohnzimmer.

„Deine Mutter hat mich hierher geschickt“, erklärte er.

Yugi befreite die Blumen von der Klarsichtfolie und stellte sie dann ins Wasser.

Zuvor hatte er schon den großen Tisch hier im Wohnzimmer zum Essen gedeckt.

Atemu setzte sich etwas unschlüssig auf einen der dunkelbraunen Holzstühle.

„Doch selbst auch nervös, wie?“ fragte Yugi neckend, umarmte den Größeren von hinten und rieb seine Wange an der des Älteren.

Atemu sah zu dem Jüngeren, der hinter ihm stand, hoch. „Deine Mutter hat mich erst nervös gemacht. Erst ignoriert sie mich eine Weile stumm, bevor sie mich hinter dir herschickt.“

„Ja, sie hat manchmal schon eine gruselige Aura“, lachte Yugi. „Aber eigentlich ist sie sehr nett.“

Atemu grinste, sagte aber lieber nichts dazu, erst recht nicht, als nun Yugis Mutter das Wohnzimmer mit zwei dampfenden Schüsseln in den Händen betrat.

Yugi löste sich rasch von seinem Liebsten und verschwand in der Küche, um selbst den Salat und die Fleischplatte zu holen.

Schließlich traf auch die letzte eingeladene Person ein: Yugis Großvater.

Yugi war froh, dass dieser dabei war.

Er hatte die Hoffnung, dass sein Großvater seine übereifrige Tochter bremsen würde, wenn die Fragen allzu peinlich würden.

Der Junge setzte sich natürlich neben seinen Freund und versuchte, so unauffällig wie möglich nach dessen Hand zu greifen, aber nach dem Gesichtsausdruck seiner Mutter war ihm das nicht gelungen.

Dann war es jetzt eh egal.

Sanft strich er immer wieder über den Rücken der Hand in seiner Hand, was sowohl ihn, als auch Atemu zu beruhigen schien.

Sie füllten sich die Teller.

Frau Muto richtete den Blick auf Atemu. „Wieso haben Sie sich für den Beruf des Lehrers entschieden? Mögen Sie Kinder?“

„Kinder?“ Atemu musste unwillkürlich an seine Cousinen und seinen Cousin denken. „Nicht unbedingt.“

Yugi wandte Atemu überrascht den Kopf zu.

Wenn er zu ehrlich war, war das gewiss auch nicht gut.

Seine Mutter hatte jedenfalls skeptisch eine Braue gehoben.

„Ich arbeite lieber mit Jugendlichen. Deshalb habe ich Gymnasiallehramt und nicht Grundschulpädagogik oder Kinderpfleger gewählt, davon abgesehen, dass ich mit Geschichte und Politik sowieso besser zurecht komme, als mit den Grundlagen aller Fächer, wie sie in der Grundschule vermittelt werden“, erläuterte Atemu. „Jugendliche haben eine ganz andere Einstellung zum Lernen, wie Kinder, sind nicht mehr ganz so verspielt und man kann sich ernsthaft über ein Thema unterhalten. Natürlich gibt es auch Teenager in pubertären Phasen, die nichts vom Lernen oder der Schule halten, nie Hausaufgaben machen oder oft blaumachen, die sich dazu gezwungen fühlen, zu tun, was die Erwachsenen wollen, weil sie nicht einsehen, dass die Schule und das Lernen für ihr späteres Leben wichtig sind. Aber das muss einem klar sein, wenn man sich für diesen Beruf entscheidet.“

„Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren Schülern?“ fragte Yugis Mutter weiter.

Atemu warf Yugi einen kurzen Blick zu.

Eigentlich müsste er diese Frage besser beantworten können, da er selbst ja nicht einschätzen konnte, was die Schüler über ihn dachten. „Ich denke, ganz gut. Ich komme mit den meisten Schülern gut zurecht, was vielleicht auch daran liegen mag, dass meine eigene Schulzeit noch nicht allzu lange her ist. Viele angehende Lehrer wollen diesen Beruf ausüben, da sie es in jedem Fall besser machen wollen, als die Lehrer, die sie unterrichtet haben. Dadurch werden sie dann eher verkrampft. Da ich aber weiß, dass das Herunterleiern von Daten und Ereignissen, gerade was meine Fächer betrifft, auch nicht weiterhilft, versuche ich, vor allem in der Unter- und Mittelstufe den Unterricht lebendig zu gestalten, ohne allerdings die Ernsthaftigkeit aus den Augen zu verlieren. Darum habe ich auch immer ein offenes Ohr für Schüler, die Fragen stellen; ich würde sie auch nach dem Unterricht nicht weg schicken, nur weil ich eigentlich Pause hätte. Denn nur wenn man den Schülern zuhört, kann man auch Fehler an dem eigenen Unterrichtstil erkennen und darauf eingehen.“

Großvater lachte. „Sie hören sich an, als hätten Sie schon über zwanzig Jahre Berufserfahrung!“

Der Angesprochene wandte sich nun dem alten Mann zu, hatte er doch die ganze Zeit eher zur einzigen Frau am Tisch gesprochen. „Nein, natürlich nicht. Ich unterrichte erst seit anderthalb Jahren, wenn man die Zeit während des Studiums nicht mitzählt. Aber durch den Unfall, der fast mein Leben gekostet hätte und der lange Aufenthalt in der Reha hatte ich genug Zeit, über das nachzudenken, was mir wirklich wichtig ist, und das schließt auch meinen Beruf mit allem, was dazu gehört, ein. Da ich weiß, wie kurz ein Leben sein kann, will ich nicht die mir verbleibende Zeit damit verbringen, Fehler, die andere schon vor mir gemacht haben, zu wiederholen. Also versuche ich, alles was um mich herum geschieht, in mich aufzunehmen und Konsequenzen für mich persönlich daraus zu ziehen. Das ist schwierig und funktioniert natürlich nicht immer, aber ich gebe mein Bestes.“

Großvater nickte, doch Frau Muto stellte schon die nächste Frage: „Wann haben Sie bemerkt, dass Sie sich zu einem Ihrer Schüler hingezogen fühlen?“

Atemu richtete abermals den Blick auf die Sprechende. „Das war in den letzten Sommerferien. Als wir gemeinsam in Urlaub waren, habe ich etwas getan, das Yugis Gefühle verletzt hat. Danach hat es mir nicht einfach nur Leid getan, es ging irgendwie darüber hinaus. Es war mehr, als nur schlechtes Gewissen, es war wie eine Art Schmerz, da ich ihn nie verletzen wollte.“

Er drückte Yugis Hand, während er über sein unerlaubtes Lesen des roten Notizbuches sprach und auch Yugi hörte ihm aufmerksam zu.

Denn er wusste schließlich nicht, wodurch Atemu aufgefallen war, dass er ihn liebte.

„Als wir uns dann mehrere Wochen nicht sehen konnten, habe ich bemerkt, dass ich ständig an ihn dachte und habe eine ständige Sehnsucht danach gespürt, ihn zu sehen und um mich zu haben“, fuhr Atemu fort. „Denn schließlich haben wir oft in den Pausen miteinander gesprochen. Ich habe versucht, diese Gefühle so gut es ging zu unterdrücken, was aber in manchen Situationen gar nicht so einfach war. Außerdem wusste ich nicht, wie Yugi darauf reagieren würde, denn gleichgeschlechtliche Liebe bringt nicht selten Ablehnung hervor. Ich hielt es für besser, wenn er nichts davon weiß, als wenn er sich vor mir ekelt oder Angst vor mir hat, denn das hätte ich nicht ertragen können. Ich wusste ja nicht, dass er genauso für mich empfindet.“

Atemu lächelte Yugi liebevoll an, was dieser strahlend erwiderte.

„Als Referendar müssen Sie sicherlich einige Lehrgänge besuchen“, wollte Yugis Mutter als nächstes Wissen.

„Ja, zweimal in der Woche“, erwiderte Atemu.

„Wie viel verdienen Sie?“ Frau Muto sah ihren Gast an, während sie weiteraß.

Yugi verdrehte die Augen, doch bevor er protestieren konnte, lachte Atemu. „Jedenfalls so viel, dass ich Yugi schon das ein oder andere Mal einladen kann.“

„Haben Sie einen Nebenjob, oder wie kommt das? Ich habe gehört, als Referendar verdient man nicht so viel“, hakte die Ältere weiter nach.

„Naja, das Auto gehört meinem Vater, er bezahlt die Versicherung und alles, was sonst noch so anfällt. Das Motorrad gehört mir selbst. Außerdem bezahlt er mir die Hälfte der Miete, sonst könnte ich mir als Einzelperson wohl kaum eine Wohnung mit zwei Zimmern, Küche und Bad leisten“, klärte Atemu sein Gegenüber auf. „Ich bezahle ‚nur’ noch das Benzin für meine fahrbaren Untersätze, die zweite Hälfte der Miete, Lebensmittel, Kleidung und alles andere. Das Benzin alleine ist ja heutzutage schon teuer genug.“

Frau Muto nickte. Das konnte sie allerdings nachvollziehen. „Sie haben also ein Motorrad. Halten Sie das für sicher?“

„Grundsätzlich schon. Wenn man es nicht mit der Geschwindigkeit übertreibt und sich jederzeit bewusst ist, dass ein Auto stärker als ein Motorrad ist. Ich habe auch als Autofahrer schon sehr waghalsige Aktionen anderer Motorradfahrer gesehen, da kann einem teilweise schon beim Zusehen schlecht werden. Kein Wunder, dass Motorradfahren einen so schlechten Ruf hat, aber im Grunde passieren nicht mehr Unfälle, als mit dem Auto. Dennoch bedeutet ein Motorrad für mich Freiheit. Ich kann den Wind und die Geschwindigkeit besser spüren, es macht einen Unabhängiger, da man auch sehr schmale Gassen und Wege mühelos passieren kann. Mit der richtigen Ausrüstung ist es schon sehr sicher. Und ich habe auch einen Zweithelm für Yugi“, lächelte Atemu und drückte Yugis Hand, die er nach dem Essen wieder ergriffen hatte, leicht.

„Ein Motorrad kann sicherlich romantisch sein“, mischte sich nun Yugis Großvater grinsend ein.

Yugi erwiderte das Grinsen. „Oh ja!“

Atemu schmunzelte, doch er merkte, dass Frau Muto scheinbar noch nicht mit ihren Fragen fertig war.

„Weiß Ihre Familie von Ihrer Neigung?“ wollte sie nun wissen.

Der Jüngste am Tisch sah den Älteren leicht panisch an.

Genau so eine Frage hatte er befürchtet, doch Atemu blieb gelassen.

„Mein Bruder geht ganz entspannt damit um. Er war auch der Erste, dem ich mich anvertraut habe. Vielleicht ist er auch ganz froh darüber, immerhin kriegt er dann die ganzen Mädels ab.“ Ein schelmisches Funkeln trat in seine Augen. „Meine Mutter weiß es ebenfalls, sie toleriert es stillschweigend, bzw. sie ignoriert es, so gut es geht. Mein Vater hingegen weiß es noch immer nicht. Es wäre eine schlechte Idee, ihm so was zu sagen.“

Atemus Blick glitt ins Leere, so dass Yugi sich fragte, woran er gerade dachte.

„Wie viele Partner hatten Sie bisher?“ stellte Frau Muto unerbittlich die nächste Frage.

„Mama!“ Allmählich wurde es Yugi zu bunt.

Solch intime Fragen zu stellen!

Er sah seine Mutter sauer an.

Doch plötzlich konnte er Atemus Hand auf seiner Schulter spüren. „Schon gut, ich werde die Frage beantworten. Ohne Yugi mitzuzählen hatte ich bis jetzt vier feste Freunde. Die kürzeste Beziehung dauerte fünf Monate, die längste knapp zwei Jahre und zwei Monate.“

„Hm“, machte Frau Muto und kniff dann leicht die Augen zusammen. „Hatten Sie schon mal einen One-Night-Stand?“

Jetzt klappte Yugi der Unterkiefer herab und er hielt unwillkürlich die Luft an, war von der Frage so geschockt, dass er noch nicht einmal protestieren konnte.

Dass seine Mutter sich überhaupt traute, eine solche Frage zu stellen, hätte er nicht gedacht.

Nun legte Großvater eine Hand auf den Unterarm seiner Tochter. „Denkst du nicht, dass du zu weit gehst?“

Frau Muto wandte den Kopf zur Seite und sah ihren Vater entschlossen an. „Ich mache mir nun mal Sorgen um Yugi.“

Sie warf ihren Blick wieder auf Atemu und die beiden starrten sich eine Weile schweigend in die Augen.

Plötzlich war das Knarren eines Stuhles, der über den Boden geschoben wurde, zu hören.

„Das reicht jetzt!“ Yugi war aufgesprungen und funkelte seine Mutter wütend an.

Dann griff er nach Atemus Hand, zog ihn vom Stuhl hoch, aus dem Wohnzimmer hinaus und auf sein eigenes Zimmer unter dem Dach.

Hinter ihnen schloss er die Tür und lehnte seine Stirn dagegen.

Er atmete tief durch.

Die letzte Frage seiner Mutter war schon unverschämt gewesen.

Und er hatte es im Grunde genommen kommen sehen, dass das Dinner im Desaster enden würde.

Nach einer Weile drehte er sich zu seinem Gast um, der ihn scheinbar abwartend musterte.

„Tut mir echt leid.“ Yugi seufzte abgrundtief.

„Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie mich so was von Angesicht zu Angesicht fragt. Ich dachte eher, sie würde dich vorschicken, um gewisse Dinge über mich herauszufinden.“ Der Ältere überwand mit zwei Schritten die kurze Distanz bis zu dem Jungen.

Er zog Yugi in seine Umarmung, die der Kleinere sofort erwiderte.

Noch etwas von der direkten Frage seiner Mutter paralysiert, kuschelte er seinen Kopf an die muskulöse Brust.

Sein Hirn fühlte sich an wie eine taube Nebelmasse, die erst verarbeiten musste, was geschehen war.

„Willst du denn die Antwort hören?“ flüsterte Atemu ihm plötzlich ins Ohr.

Der Jüngere löste sich etwas von ihm und sah ihn fragend an.

„Die Antwort auf die Frage, die deine Mutter gestellt hat.“ Atemu schien sich schnell wieder gefangen zu haben.

Yugi antwortete nicht, sondern senkte nur seinen Blick auf die Brust seines Gegenübers.

Wollte er es überhaupt wissen?

Schließlich war das Vergangenheit.

Langsam schüttelte er den Kopf.

Er hatte genügend Vertrauen in Atemu, als dass er glauben konnte, Atemu sei ein Betthüpfer oder dass er fremdgehen würde.

„OK.“ Sachte umgriff der Ältere Yugis Kinn und hob es leicht an.

Als sich ihre Blicke trafen, lächelte er den Kleineren zärtlich an, bevor er ihm einen sanften Kuss gab.
 

**
 

Der schwarze Anzug saß perfekt, das blütenweiße Hemd hatte keine Bügelfalte und der Windsorknoten der Krawatte würgte ihn nicht.

Er war hibbelig, aber seinen Freunden ging es keinen Deut besser.

Joey trug einen dunkelblauen Anzug, Tristan einen hellgrauen, Ryou einen dunkelroten und Téa trug ein bodenlanges violettes Kleid.

Zur Feier des Tages trugen sie ausnahmsweise keine Schuluniform.

Stumm lauschten sie dem Festprogramm, die Familien erst in den Reihen hinter den Schülern.

Ihr Rektor hielt eine Rede, ebenso Masayo als Stufensprecherin.

Irgendwo musste auch Atemu sitzen, doch da Yugi und seine Familie sehr spät dran gewesen waren, hatte er ihn vor den Feierlichkeiten nicht gesehen und jetzt hatte er keine Zeit und keinen Nerv, sich suchend umzusehen.

Dann trat der erste Tutor nach vorne und rief seine Schüler nacheinander auf, um ihnen ihr Zeugnis zu überreichen.

Als sein Tutor, Herr Fukujama, nach vorne trat, wurde er so nervös, dass er viel zu hastig aufsprang, als sein Name genannt wurde.

Eilends versuchte er, den peinlichen Moment zu ignorieren, indem er nun würdevoll an den ersten Reihen vorbei schritt, auf die geballte Ansammlung an Lehrern zu.

Rektor Kamekura überreichte ihm sein Zeugnis und schüttelte ihm die Hand.

Dann musste er auch an den anderen Lehrern in der Reihe vorbei, die ihm ebenfalls gratulierend die Hand schüttelten.

Nachdem er sich umgedreht hatte, um an seinen Platz zurückzugehen, überblickte er kurz die Menge, doch Atemu war einfach nirgends zu sehen.

Anschließend an die Zeugnisübergabe überreichte der Direktor die Urkunden an die jeweils besten Abiturienten in einem Fach.

Also war es doch nicht Atemu, der ihm die Urkunde überreichte, so wie er es ihm gesagt hatte.

Etwas enttäuscht schlich er zu seinem Platz zurück.

War Atemu vielleicht gar nicht da?

Das würde ihm gerade noch fehlen!

Es war schon genug, dass sein Vater an einem für ihn so wichtigen Tag nicht bei ihm sein konnte, aber wenn nun auch noch der wichtigste Mensch in seinem Leben fehlte, das grenzte schon an Grausamkeit.

Nach dem Festakt verließen sie den Saal und betraten den Schulhof.

Bei dem schönen Wetter war dort das Büffet aufgebaut, im Schatten einiger mächtiger Bäume.

Yugi trottete seinen Freunden hinterher, jetzt war erst einmal posieren für ein Gemeinschaftsfoto der gesamten Abschlussstufe angesagt.

Genau in dem Moment entdeckte er ihn.

Atemu stand inmitten der Menge der fotografierenden Eltern und lächelte ihm zu.

Sogleich begann Yugi über das ganze Gesicht zu strahlen und von seiner zwischenzeitlichen Melancholie war nichts mehr zu sehen.

Nach dem Foto zerstreuten sich die Schüler und die Eltern und Verwandten gratulierten nun.

Herr Yamito startete ebenfalls eine Gratulationsrunde, die er bei Yugi beendete.

„Herzlichen Glückwunsch, Yugi!“ Er lächelte den Jüngeren liebevoll an.

Am liebsten hätte Yugi sich in seine Arme geworfen, aber das wäre zu offensichtlich gewesen, also beherrschte er sich.

Gemeinsam suchten sie sich ein Plätzchen an einem der Bierzelttische, an dem auch seine Freunde saßen.
 

**
 

Er war nervös. Sehr nervös sogar.

Eingesungen hatten sie sich bereits mit ihrem Musiklehrer in einem Nebenraum.

Mittags hatten sie die Stühle aufgestellt.

Zum Glück sang er nur im Chor, doch er hatte noch eine kleinere Solorolle aufgedrängt bekommen, quasi auf den Leib geschneidert – allerdings ohne Gesang.

Jetzt saß er hier, hinter der Bühne und wartete darauf, dass eines der Mädchen ihn schminken würde.

Sein Outfit hatte er schon an: eine enge schwarze Hose und ein rotes einfarbiges Satinhemd, dazu elegante schwarze Schuhe.

Einige Chorszenen hatte er schon hinter sich.

Seit ihrer Abifete waren ein paar Tage vergangen.

Heute stand ihr Abimusical an, in dem in einzelnen Szenen Lehrer auf den Arm genommen wurden.

Er war regelmäßig zu den Chorproben gegangen, die Proben zu seiner kleinen Extra-Szene hatten allerdings nicht ganz so viel Zeit in Anspruch genommen.

Nun kam Téa, die sein Gesicht puderte, damit seine Haut nicht im Scheinwerferlicht glänzte, dann betonte sie mit Eyeliner und Mascara seine Augen.

Danach musterte er sich in dem großen Spiegel an der Wand über dem Schminktisch.

Sah er nun aus wie er?

Naja, schon alleine durch die Ähnlichkeit ihrer Frisur könnte man ja annehmen, sie wären verwandt.

Yugi stand auf und schlich sich hinter die Bühne.

Dort standen einige Sofas, die eher so aussahen, als seien sie reif für den Sperrmüll.

Er überblickte die Schüler, die dort herumlümmelten, doch Zeit, sich selbst dazuzusetzen, hatte er nicht mehr.

Stattdessen ging er nun neben die Bühne zum Seiteneingang, der vom Zuschauerraum nicht einzusehen war.

Was Atemu wohl zu seiner kleinen Einlage sagen würde?

Der Junge hatte einen ganz schönen Bammel, aber nicht nur deshalb, denn die Szene sollte ja auch wirken.

Einer seiner Klassenkameraden half ihm nun, sein Kopfmikrofon anzulegen.

Seine Szene machte ein Headset unabdingbar, obwohl solch kleine Rollen, wie er sie hatte, eigentlich auf Handmikros angewiesen waren.

Eine Weile musste er warten, dann betrat der Chor alias ‚Schülermenge’ die Bühne, allerdings größtenteils nur Mädchen.

Die standen gemütlich auf einem imaginären Schulhof und hielten ein Schwätzchen.

Yugi schluckte und atmete tief durch, bevor er auf die Bühne rannte, selbst noch einige kreischende Mädchen im Schlepptau.

OK, rennen war zu viel gesagt, er musste zwar so tun, als ob, aber wenn er tatsächlich rennen würde, hätte er die Bühne schnell überquert, denn so breit war die nun auch wider nicht.

Eines der Mädchen hinter ihm hatte ein Mikro in der Hand und schrie nun: „Bleiben Sie doch mal steh’n, Herr Yamito!“

Er sah sich gespielt panisch um.

Als er wieder in Laufrichtung blickte, war er von Mädchen nur so umzingelt, so dass er gezwungen war, der Aufforderung doch noch nachzugeben.

Sie hielten ihn fest und zerrten an seiner Kleidung, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Einige schmiegten sich an ihn, als sei er der letzte Mann auf Erden und eines gab ihm sogar einen Kuss auf die Wange.

Da er wusste, dass Téa diese Aufgabe in ihrer Rolle als ‚Schulmädchen’ übernommen hatte, blieb seine Hautfarbe erfreulicherweise normal, trotz der Zuschauer.

Während der Proben hatte er sich allmählich daran gewöhnt, so betatscht zu werden, spielte er doch keinen geringeren als Mädchenschwarm Yamito.

Natürlich war alles etwas überspitzt.

„Wo wollen Sie denn überhaupt hin?“ fragte nun ein anderes Mädchen keck.

Durch das viele Gezerre an ihm machte es plötzlich Ratsch! und sein Hemd stand nun vorne offen.

Selbstverständlich war das eingeplant und man hatte extra ein Hemd mit Druckknöpfen für ihn gekauft.

Darunter trug er ein hellgraues T-Shirt auf dem mit schwarzem Edding ganz groß die Buchstaben DSDSL aufgemalt waren – ein Shirt extra bedrucken zu lassen wäre sicherlich teurer gewesen.

„Ich muss schleunigst zur Preisverleihung von ‚Domino sucht den superfreundlichen Lehrer’! Da habe ich schließlich den ersten Platz belegt!“ Yugis Stimme hatte einen überfreundlichen Tonfall angenommen.

Aus dem Zuschauerraum war Lachen zu hören.

Die anwesenden Schüler wussten ja von Shimizus kleinem Aufstand.

Noch immer versuchte Yugi, sich von den Mädchen zu befreien, die seine Arme festhielten, was ihm schließlich auch gelang, allerdings blieb sein Hemd in den Händen der Mädchen zurück.

Auf der Nebenbühne hinter den schwarzen Seitenvorhängen drehte er sich hastig um.

Das Mädchen mit dem Hemd fluchte laut und warf ihm beleidigt das Hemd hinterher, das er geschickt auffing.

Dann ließ er sich endgültig von der Bühne runter gleiten und stieß erleichtert den Atem aus.

Das wäre jetzt erstmal geschafft.

Doch nun musste er sich erstmal wieder umziehen, denn für die Chorauftritte musste er wieder sein Abishirt anziehen.

Derweil ging die Show erstmal ohne ihn weiter.
 


 

Während des Schlussliedes bat der stellvertretende Stufensprecher alle Lehrer, die an diesem Abend durch den Kakao gezogen worden waren, auf die Bühne, so auch Herrn Yamito, selbst wenn die Szene sehr kurz und zwischen größeren Szenen eingekeilt gewesen war.

Kaum einem war wohl aufgefallen, dass das DSDSL-Shirt Yugi zwei Nummern zu groß gewesen war, denn nun hatte er die Aufgabe, es Atemu zu überreichen.

Atemu nahm Yugi lachend in die Arme, was nicht weiter auffiel, da jeder Lehrer seinen Darsteller umarmte.

„Das war süß!“ flüsterte er dem Kleineren ins Ohr und dessen Augen begannen zu leuchten.

Dann packte Yugi das Shirt an den Schultern, hielt es hoch und Atemu unter die Nase.

„Das ist für dich!“ grinste er.

Atemu lachte erneut, nahm ihm das Kleidungsstück aus der Hand und zog sich das Shirt geschwind über.

Mehrere Jungs räumten so schnell es ging die Zuschauerstühle weg, denn nun würde noch eine Abschlussdisco stattfinden.

Denn schließlich waren diese Räumlichkeiten ein kleiner gemieteter Konzert- und Discobetrieb.

Für die Miete hatten sie damals die X-Mas-Party veranstaltet, um Geld einzunehmen und deshalb hatte Herr Yamito dort ehrenamtlich als DJ gearbeitet.

Yugis Mutter und Großvater drängten sich durch die dichte Menge, denn nicht nur Eltern und Familie waren heute gekommen, sondern auch Schüler der anderen Stufen, denn das Abimusical war Tradition an ihrer Schule und einer der Höhepunkte des Schuljahres.

„Wir gehen jetzt!“ schrie seine Mutter gegen die laute Konservenmusik an.

Die Songs, die die Abiband zuvor gespielt hatte, waren zwar auch laut gewesen, aber es war noch angenehm gewesen, da man ja den umgedichteten und der jeweiligen Szene angepassten Text noch hatte verstehen müssen.

Yugi nickte bestätigend.

Ihm war gleich klar gewesen, dass die beiden nicht länger als unbedingt nötig da bleiben würden.

Er hingegen wollte noch bleiben, genau wie seine Freunde.

Übernachten würde er allerdings bei Atemu, der auch noch bleiben würde.
 


 

Es war schon sehr spät.

Die meisten der jüngeren Schüler waren schon gegangen, so dass nun einigermaßen Platz auf der Tanzfläche war.

Yugi hatte längst das Abishirt gegen das rote Hemd ausgetauscht, da er das Shirt nicht verschwitzen wollte, da der Aufdruck mit Sicherheit Schaden nehmen würde, sobald er es in die Waschmaschine steckte.

Sie saßen alle im Moment in der Sofaecke.

Joey hatte Masayo auf seinem Schoß sitzen und knutschte wild mit ihr.

Kaiba saß ihnen gegenüber und sah mehr als nur missmutig drein.

Auch Tristan und Téa hingen aneinander, aber Yugi und Atemu wollten ihre Beziehung noch nicht offiziell machen.

Also ergriff Yugi Atemus Hand und zog ihn wieder auf die Tanzfläche, auf der sie schon zuvor einige Zeit verbracht hatten.

Yugi sah, wie Bakura an ihnen vorüber lief, nach Kaibas Hand griff und dass es ihm tatsächlich gelang, den mürrischen Firmenchef, der eigentlich nur wegen Joey da war und heute auch noch gar nicht getanzt hatte, hinter sich her auf die Tanzfläche zu ziehen.

Unwillkürlich fragte Yugi sich, ob Kaiba wohl Bakuras Typ war, zumal Bakura wirklich eindeutig mit ihm flirtete und sich schon fast an den Brünetten heranschmiegte.

Aber dass Kaiba dies zuließ, wunderte ihn gleichermaßen, war es doch mittlerweile ein offenes Geheimnis, dass er Interesse an Joey hatte.

Der löste sich leicht keuchend von Masayo und grinste sie an.

Es war ein super Gefühl, wieder zu knutschen, er fühlte sich begehrt und anerkannt.

Dennoch hegte er keinerlei Gefühle für sie.

Den Gedanken, dass er dem Mädchen falsche Hoffnungen machen könnte, schob er einfach beiseite.

Noch immer lächelnd ließ er seinen Blick schweifen, der unwillkürlich an seinem brünetten Freund hängen blieb.

Er sah, wie Kaiba argwöhnisch auf den um einiges kleineren Bakura hinabblickte, der ihn regelrecht anschmachtete und nach seiner Aufmerksamkeit heischte.

Plötzlich war ihm gar nicht mehr nach Lächeln zumute und er starrte die beiden Tanzenden einfach nur an, das schwarzhaarige Mädchen auf seinem Schoß hatte er vollkommen vergessen, bis diese wild mit der Hand vor seiner Nase herumfuchtelte, was ihn wieder aus seiner Versteinerung riss.

Joey sah Masayo aus großen Augen an. „Entschuldige, ich kann das nicht.“

Angesprochene blickte ihn leicht irritiert an. „Was kannst du nicht?“

Doch Joey schüttelte einfach nur den Kopf und stand auf, so dass auch sie sich erheben musste.

„Tut mir Leid“, meinte er etwas zerknirscht und trat auf die Tanzfläche, ließ die Schwarzhaarige einfach hinter sich zurück.

Der Junge hatte ein klar definiertes Ziel vor Augen.

Seto würde stolz auf ihn sein, behauptete er doch sonst fleißig, Joey hätte kein Ziel in seinem Leben.

Als Bakura nun etwas von Kaiba weg wich, ergriff Joey die Gelegenheit beim Schopf.

Der Blonde pirschte sich an den Brünetten heran, bis er dicht vor ihm stand.

Er sah mit treuherzigem Blick aus schokobraunen Augen an dem Größeren hoch.

Sein Blick wurde aus eisblauen Augen erwidert, doch Seto erweckte nicht den Anschein, als würde er den Blonden auch wortlos verstehen.

Joey krallte beide Hände in Setos schwarzes Oberteil, lehnte sich an ihn und legte seinen Kopf an dessen Brust ab.

Er war ja so blind gewesen!

Masayo war nicht das gewesen, was oder besser wen er wollte.

Sein bester Freund war schwul und hatte es gegen alle Regeln geschafft, mit seinem Referendar zusammenzukommen und Joey hatte nichts dagegen gehabt, nichts gegen gleichgeschlechtliche Liebe.

Aber er hatte nicht sehen wollen, dass auch er solche Gefühle hegte.

Nur was würde Kaiba jetzt sagen?

Würde er ihn abweisen, da er den ganzen Abend hatte mit ansehen müssen, wie Joey sich um das Mädchen bemüht hatte?

Doch plötzlich konnte er spüren, wie sich ein kräftiger Arm um seinen Körper schlang und eine Hand sich unter sein Kinn schob, so dass er nun wieder in Setos Gesicht blicken musste.

Er sah den Brünetten etwas unsicher und, wie dieser fand, verletzlich an, was sofort Beschützerinstinkte in Seto weckte.

Ein sanftes Lächeln glitt über seine Lippen, mehr konnte Joey nicht sehen, denn er hatte die Augen geschlossen und reckte sich dem Älteren erwartungsvoll entgegen.

Flüchtig schoss dem Blonden die Frage durch den Kopf, wie es wohl war, von einem Mann geküsst zu werden, doch wie sich schnell herausstellte, war es sehr angenehm, viel besser als das lieblose Rumgeknutsche früher am Abend.

Masayo hatte seine Erwartungen einfach nicht erfüllen können.

Er spürte die Hand an seiner Wange und die warmen weichen Lippen, die normalerweise kalt zu einem dünnen Strich zusammengepresst waren und er wusste, dass er nun hatte, was er brauchte: Seto Kaiba.

Atemu stupste Yugi leicht an. „Schau mal!“

Der folgte seinem Blick und was er sah, ließ ihn lächeln. „Da haben sich wohl zwei gefunden!“

Der Ältere zog Yugi zu sich heran. „Was meinst du, worüber man mehr tuscheln würde: Über den Firmenchef mit seinem neuen Anhang oder wenn wir beide jetzt zusammen verschwinden?“

Yugi sah, wie es in Atemus Augen aufblitzte.

Dann warf er einen Blick in die Runde.

„Ich glaube, die sind abgelenkt. Aber ich muss noch meine Sachen holen.“ Damit löste er sich von seinem Freund und huschte hinter die Bühne, um seinen Rucksack zu holen.

Als er wieder zurückkam, schlichen sich die beiden Händchen haltend davon.
 

**
 

„Und, darf ich dir jetzt das Hemd vom Leib reißen?“ Atemu umarmte seinen Schatz von hinten und küsste seine Halsbeuge.

„Natürlich“, meinte der und legte seinen Kopf auf Atemus Schulter zurück.

Trotz der Druckknöpfe ließ der Ältere sich etwas Zeit, bevor er dann das Hemd abstreifte und Yugis Schultern küsste.

„Und die Hose?“ erkundigte er sich neckend.

„Die auch“, erwiderte der Kleinere und lächelte seinen Hintermann an.

Der sah ihn überrascht an.

Yugi schien ja bester Laune zu sein.

Wenn er schon mal die Erlaubnis hatte, machte er sich auch gleich daran, den Knopf der Jeans zu lösen.

Vorsichtig schob er die Hose hinab und Yugi stieg hinaus.

Nur noch mit seiner Shorts bekleidet, wand Yugi sich aus den Armen des Älteren.

„Das war’s für heute!“ grinste er und hüpfte auf Atemus Bett.

„Waaaaas?“ fragte der gedehnt.

„Wieso denn das?“ Er zog eine Schnute.

„Es ist schon spät und der Tag war anstrengend. Ich bin müde“, erklärte der Jüngere ernsthaft.

Dann lachte er. „Hör auf zu schmollen und komm her!“

„Pfft, ich lasse mir doch keine Befehle erteilen!“ Mit erhobener Nase stolzierte der Ältere aus dem Schlafzimmer.

Yugi sah ihm noch immer grinsend nach.

Wieso hatte Atemu ihn nur gerade so an einen Pharao erinnert?

Nach kurzer Zeit kam er nur noch mit seiner Shorts begleitet, die Kleidung über den Arm gelegt, zurück.

Nachdem er diese beiseite gelegt hatte, schlüpfte er zu Yugi unter die Decke.

Ihm selbst war das eigentlich zu heiß, aber für seinen Liebsten war er bereit, Kompromisse zu schließen.

Der legte sofort seinen Kopf auf Atemus Schulter und schlang seine Arme um dessen Bauch.
 

**
 

Am nächsten Morgen war Yugi, wie es gar nicht anders zu erwarten war, als er wach wurde, alleine im Bett.

Atemu war eben der notorische Frühaufsteher und er war sich sicher, dass sich das auch nie ändern würde.

Er streckte sich und stand dann ebenfalls auf.

Ein kurzer Blick in die Küche genügte, um herauszufinden, wo Atemu steckte.

„Morgen“, grüßte der Jüngere noch etwas müde.

Der Ältere hob den Kopf und lächelte seinen Gast, der noch im Türrahmen stand, lieb an.

„Hättest du etwas dagegen, wenn ich noch vor dem Frühstück dusche?“ erkundigte der Kleinere sich.

Atemu schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht.“

Yugi nickte und verschwand im Bad.

Schnell hatte er sich seiner Shorts entledigt und stand schon bald unter dem warmen Wasserstrahl.

Zunächst beobachtete er die einzelnen Wasserrinnsale, die im Eiltempo über seinen Körper sausten, bevor er die Augen schloss und sein Gesicht in den Wasserstrahl hielt, dem bald der ganze Kopf folgte.

Dann drehte er das Wasser ab, griff nach der Shampoo-Tube, drückte sich ein Häufchen davon auf die Handinnenfläche und massierte es dann in seine mittlerweile lang nach unten hängenden Haare.

Er zuckte leicht zusammen, als er die Badezimmertür leise knarren hörte, dann wurde die Schiebetür der Dusche hinter ihm ein klein wenig geöffnet und noch ehe Yugi sich den Schaum von den Augen gewischt hatte, spürte er zwei Hände auf seinem Körper.

Nicht nur das, auch Atemus Lippen hatten schnell seine Schultern gefunden.

„Soll ich dir den Rücken einseifen?“ hauchte der Ältere in Yugis Ohr, aber er vermied es, mit dem Mund zu dicht an eben jenes zu kommen, wollte er doch kein Shampoo hinein bekommen.

Yugi zögerte eine Weile, doch dann spürte er, wie ihn zwei kräftige Arme an den nackten Körper hinter sich pressten und dadurch auch der letzte Widerstand in ihm dahin schmolz.

Der Junge lehnte sich zurück und schmiegte sich an den Älteren.

Er nickte leicht. „Ich hab aber noch gar nicht mit dem Einseifen begonnen.“

Das hätte er vermutlich nicht sagen sollen, denn eindeutiger konnte eine Einladung kaum sein.

Doch statt eines schelmischen Grinsens, wie er es fast erwartet hätte, nickte sein Hintermann nur leicht lächelnd, um zu signalisieren, dass der Jüngere keine Bedenken zu haben brauchte.

Atemu griff nach der Seife.

Nachdem seine Hände nun eingeseift waren, strich er zunächst über die Kehle des Kleineren, umfasste sein Kinn und drehte sein Gesicht zu ihm, um ihn leidenschaftlich zu küssen.

Danach fuhr er zärtlich mit den Handinnenflächen über Yuigs Schultern, seifte dessen Arme und Hände ein, bevor er sich dem Rücken widmete.

Nun umarmte er den Jüngeren, ließ seine Hände langsam über Brust und Bauch streichen.

Dabei legte Yugi seinen Kopf auf der Schulter des Älteren ab und gab wohlig schnurrende Geräusche von sich.

Es tat ihm immer wieder gut, wenn Atemu seine Hände über seinen Körper gleiten ließ.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~Zensur~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Keine Sorge! Außer einer Fußmassage und anderen Massagen verpasst man hier nix^^

Familienfeier

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Familienfeier (zensiert)

16. Familienfeier
 

„Sagst du mir jetzt endlich, wo wir hinfahren und weshalb du mir vorgeschrieben hast, was ich anziehen soll?“ Yugi saß neben Atemu in dessen Cabrio und sah ihn fragend an.

Bisher hatte er das noch nicht herausgefunden, konnte aber erkennen, dass sie auf den Stadtrand zufuhren, genauer gesagt auf das Viertel, in dem die betuchteren Bewohner Dominos in riesigen Villen wohnten.

Allerdings wäre dieses Villenviertel ungeeignet für einen Seto Kaiba, der zog es vor, eine Villa in der Nähe seiner riesigen Firma zu bewohnen, damit er nicht ständig riesige Anfahrtswege auf sich nehmen musste und sich nicht unbedingt an halbwegs feste Arbeitszeiten halten musste.

Atemu hatte ihn angewiesen, eine schwarze eng anliegende Stoffhose, elegante Schuhe und das rote, frisch gewaschene Hemd von ihrem Abimusical anzuziehen.

„Wir fahren zu meinen Eltern“, antwortete Atemu, ohne den Blick von der Straße zu nehmen.

„Was? Wie?“ brachte Yugi nur hervor.

Das traf ihn jetzt doch recht unvorbereitet, dass Atemu ihn offenbar seinen Eltern vorstellen wollte.

„Hast du nicht den Kontakt zu deinem Vater abgebrochen?“ fragte er leicht irritiert.

„Ja, schon. Aber es ist ja auch der Geburtstag meiner Mutter. Heute findet eine Feier mit Gästen der oberen Gesellschaftsschichten Dominos und der Umgebung statt. Die meisten sind irgendwelche Würdenträger, wie der stellvertretende Bürgermeister, oder Geschäftspartner meines Vaters. Es ist eine typische Feier, auf der die Gäste Kontakte knüpfen können und sich hochgestelztem, unsinnigem Smalltalk hingeben“, erklärte Atemu. „Wir sind übrigens nicht eingeladen. Also mach dich auf was gefasst.“

„Aber wieso fahren wir dann überhaupt hin? Stören wir denn nicht den gepflegten Ablauf?“ hakte Yugi nach.

„Ich habe einen Entschluss gefasst“, erläuterte Atemu, ohne näher darauf einzugehen.

Yugi fragte sich, worauf sein Freund hinaus wollte, aber er bohrte nicht weiter.

Stattdessen machte er sich nun einige Gedanken.

„Da wird es sicherlich nur Sekt und Wein geben. Du weißt ja, dass ich nicht so viel Alk vertrage“, meinte er nach einer Weile und sah betreten auf seinen Schoß.

„Keine Sorge“, beruhigte Atemu. „Ich weiß schon noch, wo in der Villa die Küche ist. Es ist ja nicht so, als wäre kein Wasser vorhanden. Außerdem wird ja sowieso zum Wein Wasser gereicht.“

„Aber es wird sicherlich auch etwas zum Essen geben. So ein Galadinner. Ich bin noch nie mit dem vielen Besteck zurecht gekommen“, murmelte der Jüngere leise.

Jetzt lachte Atemu und warf dem Kleineren einen amüsierten Blick zu. „Worüber du dir Gedanken machst! Nicht zu fassen!“

Dann wurde er wieder ernst. „Bei uns gibt es immer Büffet, jeder kann sich nehmen, was er möchte. Aber du hast schon Recht, vor lauter Besteck wird man das Tischtuch nicht mehr sehen. Aber ich bin ja bei dir. Doch es gibt einen kleinen Trick dabei: du musst dich von Gang zu Gang von Außen nach innen vorarbeiten. Dazu muss man aber wissen, dass Fisch- und Steakmesser meist extra gereicht werden.“

„Mir graut es jetzt schon davor“, seufzte Yugi resigniert.

„Keine Sorge, ich werde dir helfen und dir alles erklären“, meinte der Ältere und hielt sein Auto an.

Er meldete sich bei dem Torwächter an und wurde sofort durch gewunken.

„Ach, die kennen mich noch“, lächelte Atemu. „Obwohl ich das letzte mal vor einem Jahr hier war.“

Yugi sah sich neugierig um, als sie nun eine breite Zufahrtsstraße hochfuhren.

Die Villa stand der der Kaiba-Brüder in der Stadt sicherlich in nichts nach, doch wenn Yugi sich nicht irrte, war sie sogar noch größer.

Aber vielleicht täuschte der Eindruck, vielleicht kam ihm diese Villa nur größer vor, weil sie frei stand und nur von einem riesigen Park gesäumt wurde, währen an den eindeutig kleineren Park der Kaibavilla Hochhäuser, größtenteils der Kaiba-Corp selbst, angrenzten.

Dann bog Atemu auf einen kleinen Privatparkplatz, der schon überfüllt war.

„Und mein Parkplatz ist auch reserviert“, freute Atemu sich. „Sieht so aus, als hätte Mutter mich trotzdem erwartet. Naja, ist ja auch nicht schwer, ich komme ja jedes Jahr.“

„Sie freut sich sicherlich, dich mal wieder zu sehen“, meinte Yugi als er ausstieg.

„Wohl wahr“, seufzte der Ältere.

Sie telefonierten zwar regelmäßig, aber sehen konnten sie sich nur einmal im Jahr, denn auch an Atemus Geburtstag rief seine Mutter nur an.

Sie gingen quer über den Parkplatz und einen Kiesweg entlang zum Haupteingang – ja so konnte man es wirklich nennen – der Villa.

Über die Treppe war ein roter Teppich ausgelegt und Yugi kam sich irgendwie komisch vor, als er neben Atemu darüber schritt.

Am Eingang stand ein Butler in schwarzem Anzug und mit blütenweißen Stoffhandschuhen, der die Gäste mit einer leichten Verbeugung begrüßte.

In der Eingangshalle sah Yugi sich staunend um.

Er war zwar schon in der Kaiba-Villa gewesen, aber diese hier übertraf sie noch um einiges.

Der Junge schluckte.

Und hier war Atemu also aufgewachsen?

Kaum zu glauben, dass er so absolut gar nicht verwöhnt und so selbstständig war.

Genauso wie auch Yue einen sehr bodenständigen Eindruck auf ihn gemacht hatte.

Gedankenverloren trottete Yugi Atemu hinterher, der scheinbar einen bestimmten Weg eingeschlagen hatte.

Der Jüngere konnte sehen, wie ihm abschätzende Seitenblicke zugeworfen wurden, aber auch er musterte die anwesenden Gäste aus den Augenwinkeln.

Er kam sich hier reichlich fehl am Platze vor, zumal alle anderen Männer im Smoking waren, die Frauen in eleganten Kleidern.

Yugi selbst war im Gegensatz dazu schon relativ lässig gekleidet, so wie auch Atemu.

Atemu führte ihn geschickt durch die Menge.

Schließlich blieb er seitlich einer braunhaarigen Frau stehen.

„Mutter“, sprach er sie leise an.

Die Frau in dem langen schwarzen Kleid drehte sich lächelnd um. „Atemu!“

Sie war sichtlich froh, ihren Sohn zu sehen.

Genannter umarmte seine Mutter zärtlich. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“

Er gab ihr zwei kurze Küsschen auf die Wangen, bevor er sich wieder lächelnd von ihr löste.

Atemu trat einen Schritt zur Seite.

„Das ist Yugi“, stellte er den Kleineren vor.

Der Jüngere lächelte etwas unsicher.

Ihm war nicht entgangen, dass das Lächeln der Mutter kurz verschwunden war und das jetzige Lächeln eher aufgesetzt wirkte.

„Schön, dich kennen zu lernen“, meinte sie und reichte ihm die Hand, die er auch gleich ergriff und leicht schüttelte.

Doch er war sich nicht sicher, ob die Worte aufrichtig gemeint waren.

„Holt euch doch etwas zu trinken“, wandte sie sich wieder an Atemu und drehte sich wieder zu ihrem ursprünglichen Gesprächspartner, der abwartend zugesehen hatte.

Wieder folgte Yugi dem Älteren und kurz darauf standen sie in der Küche, in der mehrere Köche standen und das Essen frisch zubereiteten.

Atemu riss den riesigen voll gestopften Kühlschrank auf, nahm eine Flasche Cola heraus und angelte dann nach zwei Gläsern, die auf mehreren Tabletts auf einer Ablage standen.

„Ich trinke hier immer Cola. Aus Protest, denn amerikanische Produkte sind in dieser Gesellschaft verpönt“, erklärte Atemu lachend, während er die Gläser füllte. „Yue weiß das, weshalb es in den Kühlschränken eine einzige Cola-Flasche gibt, die er mir besorgt hat.“

„Kühlschränke?“ wunderte Yugi sich. Hatte er das richtig verstanden? Mehrzahl?

„Ja, hier gibt es zwei große Kühlschränke und einen Kühlraum“, erläuterte sein Freund. „Mein Vater hat immer genug Essen hier, das für ein Drei-Gänge-Menü für 20 Personen reicht. Es kommt manchmal vor, dass er kurzfristig Geschäftsessen hierher verlegt. Dafür kann es zwei Gründe geben: entweder, er will seinen Geschäftspartner beeindrucken, oder aber einschüchtern.“

Der Ältere reichte eines der Gläser weiter und trank gleich einen großen Schluck aus dem seinen.

Yugi nickte nur.

Von dieser Welt hatte er doch eh keine Ahnung.

Dann folgte er Atemu in einen riesigen Saal, der von der Größe her an einen Speisesaal einer Jugendherberge erinnerte.

Aber er war ganz anders eingerichtet.

An einer Seite war auf langen Tischen das Buffet aufgebaut, an der Gegenüberliegenden Wand waren Wandteppiche angebracht und ein Kamin verströmte eine altertümliche Atmosphäre.

Im ganzen Raum standen runde Tische, die mit bodenlangen Tischtüchern bedeckt waren.

Das wertvolle Holz der darum gruppierten Stühle glänzte frisch poliert.

An den Wänden entlang standen einige Sofas, auf denen es sich die feinen Herren und Damen gemütlich gemacht hatten.

Dazwischen waren stets schick gekleidete Kellner zu sehen, die ständig nachschenkten und auf das Wohl der Gäste achteten.

Ein Blick an die Decke offenbarte Yugi zwei riesige Kronleuchter.

„Das ist der Thronsaal“, kommentierte Atemu im Flüsterton.

Der Jüngere sah ihn irritiert an. Thronsaal?

Atemu lachte über das fragende Gesicht seines Liebsten. „Mein Großvater hat diese Villa nach dem Vorbild einiger europäischer Schlösser bauen lassen. Und so wollte er auch einen Festsaal, zum tanzen und für große Feste. Irgendwann hat er dann angefangen, diesen Saal nur noch Thronsaal zu nennen, weil es ihm einen Heidenspaß machte, in die verwirrten Gesichter seiner Gäste zu blicken, wenn er das erwähnte.“

Yugi zog eine Augenbraue hoch.

Scheinbar waren die älteren Generationen der Yamitos ein klein wenig größenwahnsinnig.

Nur Atemu und Yue schienen komplett aus dem Rahmen zu fallen, selbst wenn, wie Atemu betonte, Yue wohl dazu gehören wollte.

Aber seine Verhaltensweise passte gar nicht hierher, wie Yugi fand.

Yue war einfach zu normal.

„Wir könnten uns ja was zu Essen holen“, schlug Atemu vor.

„Aber ich muss dir einen Tipp geben: du solltest deinen Teller nicht ganz voll machen und auch nur ein Mal Nachschlag holen. Sonst giltst du gleich als verfressen“, erklärte Atemu leise, so dass die Umstehenden ihn wohl nicht verstehen würden.

Yugi nickte. Das passte irgendwie zu dieser Gesellschaft.

Doch anders als von ihm erwartet, waren es keine normalen Essteller, sondern die Teller hatten die Größe von Kuchentellern.

Naja, das würde schon hinhauen, immerhin war er längst nicht so verfressen, wie Joey oder Tristan.

Das nächste Problem war dann die Auswahl des Essens.

Diese beinhaltete nämlich jede Menge Sachen, die er als ungenießbar definierte: Kaviar, Schrimps, Hummer, Tintenfisch, Muscheln, Schnecken, Innereien.

Als er sich mit seinem noch immer leeren Teller umwandte, bemerkte er, dass Atemu gar nicht mehr hinter ihm stand.

Sofort kam er sich verloren vor.

Hastig sah er sich um und konnte ihn schließlich ein paar Tische weiter vorne ausmachen.

Schnell gesellte er sich wieder zu dem Älteren, damit er ihm nicht noch einmal abhanden kommen würde.

„Wieso bist du einfach abgehauen?“ wollte Yugi leise aber vorwurfsvoll wissen.

„Ich dachte, dir schmecken vielleicht Meeresfrüchte oder Innereien“, erwiderte Atemu, doch Yugi rümpfte leicht die Nase und schüttelte den Kopf.

„Hier sind jedenfalls die essbaren Sachen.“ Atemu deutete auf den Tisch vor sich und begann, sich ein paar Sachen auf den Teller zu häufen.

Von jedem nur einen Löffel, während er Yugi erklärte, was er jeweils vor sich hatte.

Als die Teller schließlich gefüllt waren, suchten sie sich eine Sitzgelegenheit etwas abseits der anderen Gäste.
 


 

Nachdem sie mit dem Essen fertig waren, brachten sie zunächst das Geschirr weg, das ihnen auf halbem Weg von einem Kellner abgenommen wurde.

„Soll ich dir mein altes Kinderzimmer zeigen?“ fragte Atemu dann.

Yugi sah seinen Freund grinsend an und in seinen Augen funkelte es. „Klar!“

Da war er jetzt richtig neugierig drauf.

Wie Atemu wohl als Kind gewesen war?

Gemeinsam würden sie sich jetzt also in eine andere Zeit begeben.

Denn wenn das Kinderzimmer noch existierte, dann war sicherlich nichts daran geändert worden, da Atemu ja nur einmal im Jahr hierher kam und dann wahrscheinlich eher nicht in seinem Zimmer war.

Doch er fragte Atemu gleich danach.

„Ich mag diese ganzen Feiern nicht sonderlich“, begann Atemu. „Deshalb ziehe ich mich abends meist in mein Zimmer zurück und blättere in alten Unterlagen. Bilder, die ich in der Schule gemalt habe, Fotos von mir und meinen Freunden oder sehe mir Urlaubsmitbringsel an. Oder aber ich wühle in meinem Kleiderschrank und wundere mich über meinen damaligen Kleidergeschmack.“

„War der denn so viel anders, als heute?“ wollte Yugi neugierig wissen, während er Atemu in den ersten Stock folgte.

„Weißt du, ich war früher im Internat. Immer ein streng geregelter Tagesablauf, strenge Kleiderordnung, strenge Hausordnung und Notendruck. Irgendwann habe ich angefangen, zu rebellieren.“ Sie waren offenbar angekommen, denn sie standen nun vor einer Tür, die Atemu öffnete.

„Rebelliert? Du?“ hakte Yugi verwundert nach. „Inwiefern?“

Er sah sich in dem riesigen lichtdurchfluteten Raum um.

An den Wänden hingen eingerahmte Bilder von Motorrädern, aufgeklebte Puzzles von Motorrädern und Plakate mit Männern in Rennoveralls vor Motorrädern.

Das hätte Yugi sich ja fast schon denken können.

„Ja, ich“, grinste Atemu, der auch heute brav-bieder gekleidet war: schwarze Hose, schwarze Schuhe, blau glänzendes Hemd. „Mach den Kleiderschrank auf und du wirst sehen, was ich meine.“

Yugi durchschritt das Zimmer und kam sogleich der Aufforderung nach.

Er öffnete den Schrank und sah erstaunt auf die vielen Klamotten.

Viel rot, noch mehr schwarz, und vor allem eins: Leder.

Lederhosen, Lederjacken, mit und ohne Ärmel, Lederstiefel, Lederhandschuhe und –handlinge.

Dazu Lederhalsbänder, Lederarmbänder, sowohl für die Handgelenke, als auch für die Oberarme, wie Atemu ihm erklärte und er zeigte Yugi auch einige Exemplare.

Mehrere Bandanas, mehrere Gürtel, mehrere coole Sonnenbrillen.

Durchsichtige Oberteile oder zerrissene Shirts.

„Wow!“ meinte Yugi und überblickte noch einmal das Sortiment. „Ziehst du mal was davon an?“

Er sah seinen Freund hoffnungsvoll an. „Bitte!“

Atemu lachte. „Wenn du willst.“

„Such was aus!“ forderte er Yugi auf.

Der wandte sich begeistert wieder dem Schrank zu.

Der Junge hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass der Ältere zustimmen würde.

Immerhin war er ja jetzt Referendar, ein sehr seriöser Beruf, was es unabdingbar machte, dass er immer bieder gekleidet war.

Yugi entschied, dass Atemu ein weitgehend durchsichtiges Muskelshirt, eine schwarze Lederjacke, eine ebensolche Lederhose mit Schlag, Handlinge, Stiefel und ein schwarzes Bandana mit silbernen Stickereien anziehen sollte, mit Sonnenbrille und schwerem Gürtel.

Alles also in schwarz.

Während Yugi die Kleidung heraussuchte, schloss Atemu die Zimmertür ab, es sollte schließlich keiner der Gäste reinplatzen können, wenn er sich umzog.

Zunächst zog er seine Klamotten aus, währenddessen Yugi sich noch immer mit den Klamotten im Schrank beschäftigte.

Als er sich wieder zu seinem Freund umdrehte, war dieser einfach nicht mehr wieder zu erkennen.

Mit vor Erstaunen offen stehendem Mund musterte er seinen Geliebten.

Der stand mit dem Rücken zu ihm, so dass Yugi seinen Knackarsch, an den sich das schwarze Leder schmiegte, gut im Blick hatte, hatte die rechte Hand in die Hüfte gestemmt, die Lederjacke an dieser Seite nicht ganz über die Schulter gezogen, so dass man die gebräunte Haut sehen konnte und drehte sich über rechts zu seinem Freund, die Sonnenbrille mit der Linken etwas nach vorne geschoben und sah Yugi sehr verführerisch an.

Es war nur allzu offensichtlich, dass er genau wusste, wie diese Klamotten sich auf die Wahrnehmung seines Körpers auswirkten, dann noch in dieser Pose.

„Atemu!“ flüsterte der Jüngere und schluckte. „Du siehst … absolut scharf aus!“

Angesprochener grinste. „Danke.“

Dann zog er Lederjacke und Sonnenbrille richtig an, drehte sich zu seinem Liebsten um und stellte sich breitbeinig vor ihn.

„Was jetzt?“ hauchte er mit erotischem Unterton. „Willst du mich noch länger in diesen Klamotten ansehen“ er fuhr sich mit einer Hand über Brust und Bauch bis zum Schritt „oder möchtest du mich wieder ausziehen?“

„Ich…“ Yugi hatte leichte Entscheidungsschwierigkeiten.

Einerseits würde er ihn jetzt schon gern sofort ausziehen wollen, aber andererseits würde er ihn vermutlich nie wieder in solch verschärften Klamotten sehen, also müsste er eigentlich die Zeit ausnutzen, in der er ihn so sehen konnte, daher schwieg er.

Atemu zog sich die Sonnenbrille aus und trat dicht an Yugi heran, legte einen Finger unter dessen Kinn und hob es leicht an.

„Was ist nun?“ fragte er und der verführerische Tonfall verschwand keineswegs.

Im Gegenteil, alleine dieser erotische Touch ließ es Yugi heiß und kalt werden.

Yugi senkte den Blick.

„Ich werde dich vermutlich nie wieder in so ultrasexy Klamotten sehen“, meinte er leise und strich mit den Händen über das durchsichtige Muskelshirt.

Atemu lachte leise und gab Yugi einen leidenschaftlichen Kuss.

„Du kannst mir ja auch dabei zusehen, wie ich mich selbst ausziehe“, schlug Atemu schließlich vor, doch Yugi schüttelte den Kopf.

„Ich will dich fühlen“, erklärte er leise, während seine Hände unter das Shirt glitten.

Nach einer Weile der Streicheleinheiten, die Atemu sichtlich genoss, streifte Yugi ihm zunächst die Lederjacke von den Schultern, wobei er nicht umhin kam, festzustellen, dass der Ältere auch einige Lederbänder um seine Oberarme und Lederschnüre um seine Unterarme gewickelt hatte.

Seine Hände krochen erneut unter das Shirt und liebkosten sanft die darunter befindliche Haut.

Dann schob er es hoch und auch seine Lippen fanden die Brust des Älteren.

Begierig ließ er seine Lippen sowie seine Zunge über die weiche Haut gleiten, bevor er eine der Brustwarzen in den Mund einsaugte, was Atemu ein wohliges Seufzen entlockte.

Danach befreite er seinen Liebsten von dem lästigen Oberteil und saugte sich an seinem Hals fest, so dass ein verdächtiger violetter Fleck entstand.

Als er damit fertig war, leckte er sanft über die verfärbte Stelle und machte sich an Atemus Hose zu schaffen.

Doch genau in dem Augenblick, als er den Knopf geöffnet hatte, hämmerte jemand von außen an die Tür.

Beide hatten nicht mitbekommen, dass zuvor schon die Türklinke nach unten gedrückt worden war, derjenige vor der Tür aber erfolglos versucht hatte, diese zu öffnen.

„Atemu! Vater will dich sehen!“ war nun Yues Rufen von der anderen Seite der Tür zu hören.

Der löste sich mehr als nur grummelnd von seinem Geliebten und schloss schweren Herzens seine Hose wieder.

Danach öffnete er seinem Bruder.

Dieser musterte mit hochgezogener Augenbraue den nackten Oberkörper des Älteren.

Dann warf er einen kurzen Blick hinter Atemu zu Yugi, wonach es wissend in seinen Augen aufblitzte.

„Tut mir Leid, dass ich störe, aber er will dich sofort sehen“, wandte er sich entschuldigend wieder seinem Bruder zu.

Atemu seufzte schwer. „Schon gut. Was will er diesmal? Das Übliche?“

„Das auch“, erwiderte Yue, „aber er hat auch gehört, dass du einen Gast mitgebracht hast, den er gerne kennen lernen würde.“

„Das glaube ich eher weniger“, murmelte Atemu und griff nach seinem Hemd, ließ aber ansonsten die Klamotten an, die Yugi ausgesucht hatte.

Yue runzelte kurz die Stirn, sagte aber nichts dazu.

Es war für ihn nur allzu offensichtlich, dass Atemu seinen Vater provozieren wollte.

Atemu wandte sich zu Yugi. „Komm, gehen wir.“

Aber alle Fröhlichkeit war aus seinem Gesicht gewichen, er trug jetzt eine steinerne, undurchdringliche Maske.

Yugi konnte sich denken, dass Atemu seinen Vater erst gar nicht sehen wollte.

„Er wird wieder versuchen wollen, mich zu überreden, doch wieder in der Firma zu arbeiten und sein Erbe anzutreten“, erklärte Atemu dem Kleineren. „Aber das habe ich nach wie vor nicht vor. Ich lasse mir nicht von ihm mein Leben kaputt machen.“

Sie folgten Yue wieder ins Erdgeschoss.
 


 

Yue führte sie in einen kleinen Raum, in dem nur die Familie anwesend war.

Als die drei eintraten, stand der Vater auf.

Das gekünstelte Lächeln auf seinem Gesicht gefror sofort, als er Atemus Aufzug sah.

Zwar sah er nicht viel von den Lederschnüren und –bändern um Atemus Arme, aber Lederhose, Stiefel, Bandana und Handlinge schienen ihm vollkommen auszureichen.

Er zögerte, bevor er mit leicht ausgebreiteten Armen einen Schritt auf seinen Sohn zutrat.

„Bitte, kein Theater“, meinte Atemu bloß abweisend.

Sofort ließ sein Vater seine Arme sinken.

Jetzt, da Yugi beide Elternteile nebeneinander im Blickfeld hatte, konnte er auch sehen, was Atemu damals gemeint hatte, dass er eine Mischung aus dem Aussehen seiner Eltern geerbt hatte.

Atemus Mutter hatte zwar hellbraune Haare, aber pinke Strähnen und hellviolette Augen.

Der Vater hingegen hatte dunkelrote Augen und schwarze Haare mit blondem Pony, ähnlich dem Atemus.

„Was willst du?“ erkundigte Atemu sich kühl.

Offensichtlich war er nicht allzu erpicht darauf, sich mit seinem Vater länger als unbedingt nötig zu unterhalten.

Yugi hatte allerdings nicht vermutet, dass Atemu sich genauso eiskalt und unnachgiebig geben konnte, wie er es sonst nur von Kaiba kannte.

Er hatte zwar nicht den kalten Blick vergessen, mit dem Atemu ihn damals angeblickt hatte, nachdem er Yugi seine Neigung offenbart und er gedacht hatte, Yugi hätte etwas gegen Homosexuelle.

Aber das hier war anders.

Womöglich noch kälter.

Der Junge hatte das Gefühl, als sei die Zimmertemperatur schlagartig unter den Gefrierpunkt gefallen.

Der Jüngste im Raum warf kurz einen Seitenblick zu Yue, doch auch dessen Gesicht war ernst und Atemus Verhalten schien ihn in keiner Weise zu irritieren.

„Ich möchte wissen, ob du dich anders entschieden hast“, erwiderte Herr Yamito nur.

„Nein. Dafür hättest du mich nicht hierher zitieren müssen“, meinte Atemu und sah seinen Vater starr an.

Herr Yamito schwieg einen Augenblick. „Willst du mir deinen Gast nicht vorstellen?“

Atemu wandte ein wenig den Kopf, allerdings ohne seinen Vater dabei aus den Augen zu lassen, als wäre er ein Feind, der jeden Augenblick angreifen könnte.

„Das ist Yugi“, erklärte er kurz angebunden.

Dieser konnte die musternden und abschätzenden Blicke auf sich spüren.

Gerade, als er grüßen wollte, ergriff Herr Yamito wieder das Wort. „Ein Kommilitone?“

Atemus Gesicht blieb regungslos. „Ich bin seit drei Jahren mit dem Studium fertig, das müsstest du eigentlich wissen, Vater. Du bist doch sonst so gut informiert, obwohl du noch nie an meinem Leben teilgenommen hast.“

Die beiden Männer sahen sich wieder eine Weile wortlos an.

Yugi warf Frau Yamito einen kurzen Blick zu, doch diese machte keinerlei Anstalten einzugreifen und auch Yue stand nur teilnahmslos daneben.

Niemand, der die Situation entschärfen würde, und auch er konnte nichts tun.

„Natürlich weiß ich das. Aber mir ist zu Ohren gekommen, dass du sehr gut in deinem Beruf bist. Ich dachte, du wärst mittlerweile so weit aufgestiegen, dass du jetzt einen Studenten beaufsichtigst“, erklärte der ältere Mann schließlich.

„Ich bin selbst noch Referendar“, meinte Atemu nur.

Herr Yamitos Blick glitt zu Yugi zurück. „Er ist noch sehr jung.“

„Er hat gerade sein Abitur bestanden“, entgegnete Atemu ruhig aber angespannt.

Herr Yamitos Blick schnellte zurück auf seinen Sohn.

„Einer deiner Schüler?“ hakte er nach.

„Mein Freund“, erklärte Atemu ungerührt weiter.

„Soso, ein Freund“, meinte Herr Yamito nachdenklich nickend.

„Nein. Mein Freund.“ Atemu ignorierte das leichte Kopfschütteln seiner Mutter hinter dem Rücken seines Vaters, deren entsetzte Augen und auch den gespannten Blick seines Bruders.

Beide wussten, was folgen würde, würde Atemu dabei bleiben.

„Freund wie Lebensgefährte.“ Jetzt war es tatsächlich raus.

Nun entglitten Herrn Yamitos Gesichtszüge vollends. „Bitte?“

„Du hast mich schon richtig verstanden“, bestätigte Atemu leise aber mit fester Stimme.

Eine Weile herrschte eine drückende Stille.

„Raus aus meinem Haus. Lass dich nie wieder hier blicken“, zischte Atemus Vater plötzlich bedrohlich. „Du gehörst ab sofort nicht mehr zu meiner Familie. Mein Sohn ist für mich gestorben.“

„Ich weiß“, meinte Atemu nur gelassen und drehte seinem Vater den Rücken zu.

„Morgen wird Yue das Cabrio abholen“, rief Herr Yamito noch.

„Ja“, war das einzige, was Atemu noch sagte. Dann verließ er den Raum, gefolgt von einem sichtlich verwirrten Yugi.

In der Eingangshalle sah er, wie Atemu mit einem der Butler sprach, während er sich Gedanken darüber machte, was das soeben stattgefundene Gespräch zu bedeuten hatte.

Schließlich kam Atemu wieder zu ihm zurück, wohingegen der Butler die Treppen zum ersten Stock hinaufmarschierte.

„Gehen wir“, lächelte Atemu, doch seine Augen blieben ernst.

„Was ist da eigentlich gerade passiert?“ wollte Yugi wissen, als sie den Fuß der Außentreppe erreichten.

Er konnte sich einfach keinen Reim darauf machen.

„Vater hat mich aus der Familie verstoßen“, erklärte Atemu schlicht.

„Bitte was?“ fragte Yugi entsetzt nach.

„Für ihn existiere ich nun nicht mehr. Als ob ich das je hätte“, schnaubte der Ältere verärgert. „Ihm ging es doch nur um den Erben, nie um mich selbst.“

Das konnte doch nicht sein!

„Aber…“ setzte Yugi an, wurde aber sofort unterbrochen.

„Keine Sorge“, lächelte Atemu während sie über den Parkplatz liefen. „Das habe ich alles so geplant.“

„Was soll das heißen?“ hakte Yugi nach.

„Kannst du dich noch an unser Gespräch erinnern, das wir während unseres Spaziergangs geführt haben? Damals, als du noch für dein Abitur gelernt hast, in den Osterferien?“ wollte Atemu wissen, wartete aber erst gar keine Antwort ab. „Ich habe dir damals schon gesagt, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt, mich meinem Vater zu entziehen. Einmal Auswandern und die zweite Möglichkeit habe ich gerade durchgezogen: ich habe ihm erzählt, dass ich schwul bin.“

Als sie an dem Cabrio ankamen, verstaute der Butler, mit dem Atemu zuvor gesprochen hatte, gerade etwas im Kofferraum.

„Woher wusstest du, wie er reagiert?“ erkundigte Yugi sich.

Atemu wartete mit seiner Erklärung, bis der Butler seine Arbeit verrichtet hatte und sie beide eingestiegen waren.

Er startete den Motor.

Offenbar hatte er es eilig, dieses Grundstück zu verlassen.

„Weil er das schon einmal getan hat“, erklärte Atemu ohne den Blick von der Straße zu nehmen.

Er konnte spüren, dass Yugi ihn fragend ansah.

„Der jüngere Bruder meines Vaters arbeitet ebenfalls in der Firma, genauso wie mein Großvater auch noch einige Geschäftsgespräche übernimmt. Du siehst also, alles bleibt in der Familie. Wenn ich die Firma nicht übernehme, wäre da noch mein Cousin gewesen. Doch er hat vor zwei Jahren gestanden, dass er homosexuell ist. Mein Vater hat ihn aus der Familie verstoßen und er musste schon mit 16 von zu Hause ausziehen. Das war ganz schön schwer und ohne dass mein Vater es wusste, habe ich Aoi immer unterstützt, auch finanziell, obwohl er neben der Schule als Kellner jobbt. Er hat zwei jüngere Schwestern, aber auch die beiden kommen als Erben nicht in Frage, allerdings aus einem anderen Grund: sie sind Frauen. Somit haben sie absolut keinen Anspruch. Mein Vater duldet keine Frauen im Firmenvorstand. Das ist meiner Meinung nach sehr altmodisch, aber er schiebt vor, dass Frauen nun mal die Kinder auf die Welt bringen und sie ja dann ständig in Mutterschutz seien. Humbug, wenn du mich fragst. Aber ob die überhaupt Interesse an einer solchen Firma hätten, bezweifle ich“, erläuterte Atemu. „Jetzt bleibt ihm nur noch Yue.“

„Was bedeutet das jetzt für dich?“ wollte Yugi nun wissen.

„Mein Vater hatte noch nie Kontakt zu mir. Nun wird er meiner Mutter ebenfalls verbieten, mich auch nur anzurufen. Und sie wird gehorchen müssen. Wie Yue damit umgehen wird, weiß ich allerdings nicht“, meinte der Ältere.

Beide schwiegen eine Weile.

„Dann bin ich also daran schuld, dass du keine Familie mehr hast? Ich hätte nicht mitkommen dürfen“, entgegnete Yugi traurig.

Dadurch, dass er gerade seine intakte Familie verloren hatte, ging es ihm nahe, dass Atemu jetzt gänzlich alleine dastand.

Er hingegen hatte ja immerhin noch seine Mutter und seinen Großvater.

Atemu schüttelte unwirsch den Kopf. „Unsinn! Dieser Schritt war längst überfällig! Du hast mir nur den Anstoß gegeben, es endlich zu tun!“

Er warf seinem Freund einen kurzen Blick zu und lächelte. „Du bist doch jetzt meine Familie! Das genügt mir!“

Yugi wurde rot im Gesicht und wandte verlegen den Kopf ab.

So etwas Schönes hatte noch nie jemand zu ihm gesagt.

„Außerdem bin ich ja nicht ganz alleine. Ich meine, abgesehen von dir.“ Atemu lächelte Yugi erneut an.

„Ich habe ja noch meine Familie mütterlicherseits, die für meinen Vater ebenfalls nicht existiert. Kannst du dich noch an die selbst gemachte Tomatensoße meiner Tante erinnern, die du bei unserem ersten privaten Treffen gegessen hast?“ Der Fahrer wartete ein zustimmendes Nicken ab.

„So musst du dir alles was sie tun, vorstellen. Sie machen alles alleine. Das Hobby meines Onkels ist nämlich sein Garten, in dem er Gemüse, Salat und Kräuter anpflanzt und er hat auch jede menge Obstbäume. Den Ertrag verarbeitet dann meine Tante: Kompott, Marmelade und jede Woche selbstgebackener Obstkuchen. Auch Brot backt sie selbst. Mein Onkel probiert auch gerne Neues aus, oder hast du gewusst, dass man Gänseblümchen als Salat essen kann?“ Yugi schüttelte ungläubig den Kopf.

Gänseblümchen konnte man essen?

„Mein Vater erachtet alles selbst Gemachte als unter seinem Niveau. Schließlich kann man doch alles kaufen. Und selbst backen und kochen? Also bitte, wozu hat man denn Butler, Diener, Köche? Man darf sich doch nicht die Finger schmutzig machen! Und mein Onkel repariert auch alles im Haus selbst oder renoviert selbst tagelang ein Zimmer. Früher war mein Vater ganz begeistert von Mutters Schwester und ihren Einfällen, von dem angeheirateten Mann, der alles konnte. Vater hat Mutter in einer Phase von Rebellion gegen seinen Vater geheiratet, da er sie damals wirklich geliebt hat und da er die Frau nicht mochte, die Großvater für ihn ausgesucht hatte.“, fuhr Atemu fort. „Vielleicht hat er das irgendwann bereut.“

Sie schwiegen eine Weile.

Yugi musste erst die seltsamen Ansichten und Verhaltensweise von Atemus Vater verdauen.

„Aber was wird jetzt aus deinem Cousin? Du sagtest doch, dass du ihn finanziell unterstützt hast“, bemerkte er schließlich.

„Ich muss das Cabrio zurückgeben und meine Miete jetzt komplett zahlen. Ich werde mich einschränken müssen, obwohl ja dann das Benzingeld wegfällt. Aoi muss noch ein Jahr zur Schule“, meinte Atemu nachdenklich. „Mir wird da schon was einfallen. Ich bin ja der Einzige, auf den er sich verlassen kann, er hat sonst niemanden. Und aus dieser Bruchbude, in der er wohnt, wollte ich ihn eigentlich auch rausholen.“

Atemu verfiel wieder in Schweigen.
 

**
 

Sie waren sehr spät dran.

Warum?

Weil sie nicht voneinander lassen konnten, als Yugi seine Tasche gepackt hatte.

Und wieso hatte er die Tasche noch nicht gepackt, als Atemu ihn abholen wollte?

Weil er verschlafen hatte und gerade beim Frühstück war, als Atemu ankam.

Es war ja nicht so, dass sie einen wichtigen Termin hatten, doch auch Verabredungen sollte man halten.

Sie ließen das Motorrad auf dem Parkplatz stehen und machten sich auf den Weg zum Eingang, an dem sie schon erwartet wurden.

„Ihr seid spät“, bemerkte Tristan und musterte den fröhlichen Yugi.

Dieser lachte. „Ja. Entschuldigt.“

Dann sah er sich um. „Wo ist denn Ryou?“

„Der kommt später“, erklärte Joey sofort.

„Er hatte wenigstens den Anstand, deswegen anzurufen“, erklärte Kaiba kalt.

„Mensch, Seto, die fünf Minuten!“ verteidigte Joey die beiden Zu-spät-kommer.

„Zehn Minuten“, korrigierte Angesprochener. „Wenn ich mir das bei einem Meeting leisten würde, wäre meine Firma schnell pleite.“

Bevor Joey protestieren konnte, schob Téa die beiden Streithähne auf die Kasse zu.

„Schluss jetzt! Wir gehen rein!“ bestimmte das Mädchen.

Die Jungs folgten ihr ohne zu murren.

Immerhin war es heiß heute.

Sie suchten sich ein etwas schattigeres Plätzchen auf der Wiese, auf der sie dann ihre Decken und Handtücher ausbreiteten.

Yugi und Atemu hatten sich schnell ihrer Sachen entledigt, denn beide trugen schon ihre Badehosen unter ihrer Kleidung, genauso, wie ihre Freunde.

„Wer geht mit ins Wasser?“ fragte Yugi sofort und lächelte.

„Erst eincremen, Süßer“, hielt Atemu ihn von überstürzten Aktionen ab.

Angesprochener seufzte.

Manchmal war es ganz schön schwer, mit einem angehenden Lehrer zusammen zu sein, denn der dachte immer an alle Regeln.

„Wenn du mir den Rücken eincremst“, murrte er ergeben und setzte sich mit dem Rücken direkt vor seinen Liebsten, so dass der auch gleich anfangen konnte, während er selbst sich mit seinen Armen und Beinen beschäftigte, bevor er auch seinen Bauch und sein Gesicht einrieb.

Nachdem auch Atemu eingeölt war, machten sie sich dann auf den Weg zum Schwimmbecken.

Unterwegs warf Yugi Atemu einen vorsichtigen Blick zu, doch selbst als er durch das fußtiefe Wasser der Duschen planschte, war von dem Älteren kein Ton zu hören.

Der Jüngere seufzte innerlich erleichtert auf.

Der Junge hasste es, sich vorher eiskalt abzuduschen.

Er gewöhnte sich lieber langsam am Rand des Nichtschwimmerbeckens an das kühle Nass.

Genau dieses Becken steuerte er jetzt auch an, da dort sowieso noch ein Becken mit Wellengang angegliedert war und seine Freunde folgten ihm.

Zunächst ließ er im flachen Bereich des Beckens seine Füße von dem kühlen Wasser umspielen, doch Atemu und Joey waren schnell an ihm vorbeigeprescht und hatten sich komplett ins Wasser geworfen.

Yugi lächelte.

Atemu konnte manchmal wirklich wie ein übermütiges Kind sein.

Während er seinem Freund schmunzelnd zusah, kam nun Joey wieder angewatet, um Kaiba nasszuspritzen.

Das entging Yugi natürlich dennoch nicht und er sah gespannt zu dem Firmenchef hinüber, um dessen Reaktion zu sehen.

Früher hätte Joey sich das mit Sicherheit nicht erlauben dürfen, aber früher war ein Seto Kaiba auch mit Sicherheit nicht in einem Freibad anzutreffen gewesen.

Außerdem waren die beiden nun schlussendlich ein Paar.

„Joey Wheeler!“ zischte Kaiba kalt und sein Haar tropfte vor Wasser.

Doch der Blonde lachte nur.

„Lass dein Hündchen doch auch mal seinen Spaß haben!“ Sprachs und war gleich wieder im Wasser verschwunden.

„Uwah!“ rief Yugi erschrocken aus, als er von etwas kaltem und nassem umschlungen wurde.

Er war zu abgelenkt gewesen, als dass er bemerkt hätte, dass Atemu ihn umrundet hatte und ihn nun von hinten umarmte.

„Ich dachte, du wolltest dich abkühlen?“ flüsterte der Ältere ihm ins Ohr.

Yugi drehte leicht seinen Kopf. „Ja schon, aber das hättest du auch netter machen können.“

„Ach ja?“ Atemu grinste fies und in seinen Augen blitzte es gefährlich auf.

Ehe Yugi sich versah, hatte der Größere ihn auf den Arm genommen.

Der Junge sah seinen Träger fragend an, doch der machte nur ein paar große Schritte und bevor Yugi auch nur hätte zweimal blinzeln können, schwappte das Wasser über ihm zusammen.

Sein Freund hatte ihn einfach im tieferen Wasser fallen lassen, so dass Yugi noch nicht einmal Zeit gehabt hatte, nach Luft zu schnappen.

Prustend kam er wieder an die Wasseroberfläche.

Sofort hatte er den lachenden Übeltäter ausfindig gemacht und funkelte ihn böse an.

Hatte er zuvor noch die kindische Seite von Atemu belächelt, bereute er dies nun schon fast.

Aber eben nur fast.

Kindisch sein war manchmal auch ganz toll.

„Na warte! Das gibt Rache!“ grummelte Yugi und stürzte sich mit voller Wucht auf Atemu.

Doch der hatte wohl damit gerechnet, während Yugi ganz unvorbereitet gewesen war, da nützten auch alles Zappeln und die Versuche, den Stärkeren unter Wasser zu drücken, nichts.

Nach einer Weile vergeblichen Versuchens hatte der Ältere den Kleineren dann in einem Schraubstockgriff und presste ihn an seinen wohlgeformten Körper.

„Gibst du auf?“ fragte Atemu amüsiert.

Es war ja schon süß gewesen, wie der Kleine versucht hatte, Rache zu üben.

Aber Atemu war nun einmal zu standfest gewesen.

„Na gut“, seufzte der Junge ergeben.

Wenn er keinen Erfolg hatte, machte das Ganze ja auch gar keinen Spaß.

Zumal er den Eindruck hatte, in den letzten fünf Minuten so viel Wasser geschluckt zu haben, wie noch nie in seinem Leben.

Natürlich, sein Bestreben war erfolglos gewesen, aber Atemu hatte ihn ganz schön oft ins Wasser geworfen oder unter Wasser gedrückt.

Er war einfach zu schwach für so was.

Der Ältere wandelte den festen Griff in eine zärtliche Umarmung und drückte den schmalen Körper an sich.

Nachdem er den Jungen eine Weile einfach nur an sich gedrückt und ihm durch die nassen Haare gewuschelt hatte, legte er ihm eine Hand unters Kinn, um Yugis Gesicht anzuheben, damit er ihm einen sanften Kuss geben konnte.

Danach sah er kurz über Yugi hinweg.

„Die Wellenmaschine ist an“, stellte er leise fest und richtete seinen Blick wieder zurück auf Yugis Gesicht. „Stürzen wir uns ins Getümmel?“

„Klar! Damit du auch mal etwas Wasser ins Gesicht bekommst!“ grinste dieser schelmisch, griff nach der Hand seines Freundes und zog ihn mit sich mit.

In den Wellen angekommen, kämpften sie sich zu ihren Freunden durch, die schon fleißig am Hüpfen waren.
 


 

Nach dem Wellenhüpfen waren sie noch ausgiebig richtig schwimmen gewesen, doch nun lagen sie schon eine Weile ausgestreckt auf ihren Decken und genossen die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut.

Die Abiturienten waren noch allesamt von ihrem Abiurlaub braun, Atemu war im Sommer ständig braun, nur Kaiba als Firmenchef sah wenig Sonne und so war er auch der blasseste von ihnen.

Doch scheinbar hatte er vor, dies zu ändern, denn er lag momentan in der prallen Sonne, Joey neben sich, während die anderen vier im Halbschatten vor sich hin dösten.

„Herr Yamito?“ ertönte plötzlich eine fragende Stimme.

Angesprochener öffnete die Augen und hob den Kopf. „Ja, Shinji?“

Yugi drehte ebenfalls den Kopf, um zu sehen, wer das war.

Nach dem Alter des Jungen zu urteilen und der förmlichen Anrede, musste der ein Schüler des Referendars sein.

„Sie sind doch zu sechst? Meine Freunde und ich“ Er wies mit dem Kopf auf fünf Jungs im gleichen Alter, die hinter ihm standen.

Der Junge schien etwas unsicher zu sein, obwohl Yugi sich dachte, dass er noch der mutigste der Jungenclique war, da er den Referendar ja angesprochen hatte. „Dachten uns, dass Sie vielleicht Lust hätten, mit uns Volleyball zu spielen und die gegnerische Mannschaft zu bilden.“

Der Junge ließ seinen Blick nervös über die Freunde gleiten, doch scheinbar hatte er den größten Respekt davor, Kaiba anzusehen, also vermied er es.

Atemu warf einen Blick auf seinen Freund hinab, der neben ihm auf dem Bauch lag. „Was hältst du davon?“

Yugi verzog das Gesicht. „Ich bin in Volleyball absolut schlecht.“

„Das macht doch nichts“, grinste Tristan. „Ich wäre jedenfalls dabei.“

Téa nickte zustimmend.

Aber die zwei waren ja auch sehr sportlich, im Gegensatz zu dem Kleinsten der Runde.

Joey sprang auf. „Ich mach auch mit! Was ist mit dir, Seto?“

„Meinetwegen“, grummelte der achselzuckend und zerstörte damit Yugis letzte Hoffnung, doch noch um ein Spiel herumzukommen.

Hätte er von dem Firmenchef auch ehrlich gesagt nicht erwartet, dass er zustimmen würde.

„Na gut.“ Yugi war eindeutig überstimmt, denn auch Atemu schien nicht abgeneigt. „Ich kann’s ja mal versuchen.“

„Schön.“ Sofort war Atemu begeistert aufgesprungen und auch der Schüler, der ungefähr in der neunten Klasse sein musste, schien erleichtert zu sein.

Sie alle folgten dem Jungen zu der Wiese mit dem Volleyballnetz und den zugehörigen Außenlinien.

Die beiden Mannschaften spielten noch nicht allzu lange, als das jüngere Team das schwächste Glied bei ihren Gegnern ausgemacht hatte: Yugi.

Er war tatsächlich der Schlechteste auf dem Feld und natürlich gingen alle Bälle auf ihn, da er meist nicht traf und die Gegner ja punkten wollten.

Joey und Atemu versuchten zwar immer, noch zu retten, was zu retten war, aber meist stand Yugi im Weg oder sie behinderten sich gegenseitig.

Es war wirklich frustrierend.

Warum wurde Yugi nicht endlich erlöst?

Er würde gerne aufgeben, da es keinen Sinn hatte, aber die anderen waren hartnäckig.

Spaß hatte er an dem Spiel eindeutig nicht und Yugi würde sich am liebsten in das nächst beste Mauseloch verkriechen, vor allem, wenn Kaiba ihm wieder gute Ratschläge erteilte.

Der Junge hörte diesem zwar zu und nickte alles ab, aber im Grunde wusste er schon während Kaiba redete, dass er es nicht würde umsetzen können.

Meist sah er seine Mitspieler nicht an, denn er war sich sicher, dass sie ihm dann nur mitleidige Blicke zuwerfen würden.

Téa, die am anderen Rand des Spielfeldes stand, hatte dann meistens nichts zu tun, wie gesagt, die Gegner hielten es für einfacher, immer auf den Schwachpunkt zu zielen.

Als Yugi dann mit dem Aufschlag dran war, bekam er den Ball einfach nicht übers Netz.

Deshalb hasste er Volleyball.

Er konnte es einfach nicht.

Das Pritschen verpasste er meistens und wenn der Ball zu tief war, wollte er nicht baggern, der Ball war zu hart und das tat einfach nur auf seinen Unterarmen weh.

Joey war gerade dabei, den Ball zu holen, der weit hinter das Feld gesegelt war, als Yugi seine Rettung entdeckte: Bakura.

Er hatte ihn von weitem entdeckt und winkte ihm hastig zu.

Wenn sie beide tauschen würden, wäre noch nicht alles für die Mannschaft der Abiturienten verloren, denn Bakura konnte Volleyball spielen, war sogar lange in einem Verein gewesen.

Nachdem der Weißhaarige seine Freunde entdeckt hatte, schritt er lächelnd auf die Gruppe zu.

Sofort rückte Yugi mit seinem Anliegen heraus. „Kannst du nicht für mich weiterspielen? Du weißt ja, dass ich in diesem bescheuerten Volleyball total schlecht bin.“

Bakura nickte grinsend. „Das kannst du allerdings laut sagen!“

Yugi streckte ihm daraufhin die Zunge heraus.

„Wenn man schon so überaus freundlich darum gebeten wird!“ meinte Bakura nur weiterhin grinsend.

„Ich bringe auch deine Sachen zu unseren“, lächelte Yugi, froh, dass er seinen schweren Posten aufgeben konnte.

Bakura war noch komplett angezogen und hatte seinen Rucksack auf dem Rücken, da er seine Freunde gesucht und nicht gefunden hatte.

Das änderte sich nun aber schnell und Bakura betrat das Spielfeld.

In der Zeit sammelte Yugi Bakuras Kleidung ein und brachte alles zu ihren Decken, auf die er sich auch erst einmal niederließ, um sich erneut einzucremen.

Danach schlenderte er zu dem Spielfeld zurück, um dem restlichen Spielverlauf von der Wiese hinter der Außenmarkierung zuzusehen.

Und er hatte Recht behalten: für sein Team standen die Chance nun wesentlich besser.

Die Freunde waren sichtlich erledigt, als sie das Spiel schließlich gewonnen hatten.

Zurück bei ihren Sachen, warfen sich alle erst einmal der Länge nach auf die Decken, um etwas zur Ruhe zu kommen.

Der einzige, der ausgeruht war, war natürlich Yugi, den auch sofort der Tatendrang packte.

„Gehst du mit ins Wasser, Atemu?“ fragte er daher an seinen Freund gewandt.

Der aber sah noch nicht einmal zu ihm auf, stattdessen hatte er die Augen geschlossen. „Ich bin müde, Yugi.“

„OK“, meinte Yugi nur.

Stattdessen legte der Junge nun seinen Kopf auf der Brust des Älteren ab.
 

**
 

Yugi war guter Dinge, als er Atemu voran die Treppe zu dessen Wohnung heraufhüpfte.

Er ahnte ja nichts!

Fröhlich lächelnd wartete er, dass Atemu aufschloss, bevor er an ihm vorbei in die Küche stürmte.

Nach dem Schwimmen waren sie noch gemeinsam einkaufen gewesen und der Junge machte sich nun daran, die Lebensmittel wegzuräumen.

Der Jüngere wunderte sich etwas, dass Atemu ihm nicht hinterher kam, um ihm zu helfen.

Eigentlich war er ja nicht der Bedienstete des Älteren, so wie der Butler bei Yamitos zu Hause, doch wenn er sich nicht beeilen würde, wären die Sachen alle schlecht, bis sie im Kühlschrank landen würden, immerhin war es sehr heiß, was manche Lebensmittel leicht verderben ließ.

Also kümmerte er sich alleine darum, um sich dann auf die Suche nach seinem Freund zu machen.

Die Wohnung war schließlich nicht groß genug, als dass er hätte verschollen gehen können.

Im Wohnzimmer wurde er schließlich fündig und nun war er etwas überrascht, denn sowohl auf dem Computertisch als auch auf dem Couchtisch stand jeweils ein frischer Strauß roter Rosen und Atemu war gerade damit fertig, unzählige Teelichter im ganzen Raum anzuzünden.

Yugi hatte es die Sprache verschlagen, brachte noch gerade so ein leises „Atemu…“ zustande.

Genannter trat lächelnd auf seinen Freund zu.

„Die Überraschung scheint gelungen“, schmunzelte er und nahm den Kleineren zärtlich in seine Arme.

Der sah ihn mit großen Unschuldsaugen an, was den Älteren dazu veranlasste, sich zu ihm hinabzubeugen und ihm einen sanften Kuss mit einem Hauch Verlangen aufzudrücken.

„Gibt es irgendwas zu feiern?“ erkundigte Yugi sich, nachdem die Umarmung gelöst war und sein Blick auf die Champagnerflasche fiel.

Atemu lächelte verschmitzt.

Es verwunderte ihn, dass der Jüngere nicht selbst daran dachte.

Aber Atemu gab ihm einen Tipp: „Überleg mal, welches Datum wir heute haben.“

Der Kleinere sah ihn irritiert an. „Der … 14. August?“

Er war sich nicht sicher, ob das stimmte, doch so was um den Dreh glaubte er, in Erinnerung zu haben, dass es auf der Eintrittskarte zum Schwimmbad gestanden hatte.

„Ja“, bestätigte Atemu. „Wir haben ein kleineres Jubiläum.“

Der junge Mann konnte förmlich sehen, wie nun der Groschen fiel.

„Wir sind seit fünf Monaten zusammen!“ flüsterte Yugi mit großen Augen.

Mit einem leisen Aufschrei hüpfte er in Atemus Arme zurück und drückte ihn ganz fest. „Danke!“

Der Junge überhäufte das Gesicht des Älteren mit Küssen.

Atemu seinerseits lachte und wuschelte seinem Liebsten zärtlich durchs Haar.

Schließlich setzten sie sich gemeinsam auf die Couch und der Größere der beiden entkorkte die Flasche.

Dann goss er beiden ein und sie stießen zusammen an.

„Auf uns!“ lächelte Atemu, was wieder diese bezaubernde Röte auf Yugis Wangen erscheinen ließ.

Yugi nippte zaghaft an dem Getränk, spürte, wie die Flüssigkeit perlend seine Kehle hinab rann.

Fühlte Atemus Nähe, roch seinen Duft, es berauschte ihn.

Sein Glück kaum fassen könnend, lehnte er sich an seinen Freund, legte den Kopf auf dessen Schulter, die Hand auf dessen Oberschenkel, fühlte die Hand, die ihn im Nacken graulte.

Atemu war einzigartig.

Sie waren Seelenverwandte.

Der Jüngere schnurrte wohlig unter den Berührungen.

Plötzlich wanderte Atemus Hand über seinen Rücken, fuhr sanft die Wirbelsäule entlang, bis zum Hosenbund.

Von dort aus schob sich die Hand wieder nach oben, doch diesmal unter dem T-Shirt.

Yugi bemerkte die warme Hand mit Wohlwollen und ihm wurde ganz heiß, als Atemu unaufhörlich über seinen Rücken strich.

Nach einiger Zeit drehte Atemu sich ein wenig, um Yugi das Shirt mit beiden Händen über den Kopf zu schieben.

Dann begann er, den Rücken des Jüngeren zu massieren, erst zärtlich, dann etwas fester.

Yugi ließ den Kopf nach vorne hängen und genoss mit geschlossenen Augen die Berührungen des Anderen.

Der strich sanft über die Schulterblätter seines Vordermannes, bevor auch seine Lippen die samtig weiche Haut fanden.

Beginnend mit den Schultern, küsste er sich über den gesamten Rücken, erkundigte jeden Winkel, als ob es gälte, ihn neu zu entdecken.

Seine Hände derweil glitten nach vorne, um den schmächtigen Körper des Jungen herum, strichen über den flachen Bauch, dann höher über Brust und Brustwarzen.

Yugi keuchte auf, als sein Hintermann die feinen Knospen liebkoste, bis diese sich verhärteten.

Atemu küsste sich wieder nach oben, griff dann nach Yugis Kinn, um sein Gesicht zu sich zu drehen und ihm sogleich einen gierigen Zungenkuss zu geben.

„Du schmeckst so gut“, flüsterte Atemu leise, so dass es Yugi kalt über den Rücken lief.

Der Ältere drückte ihn mit dem Rücken auf das Sofa, so dass er unter ihm lag. „Alles an dir!“

Damit leckte er nun dem Jüngeren über dessen Hals, dann über die Brust, zum Bauch und wieder hinauf, wo er genüsslich an den Brustwarzen saugte und knabberte, was Yugi abermaliges Keuchen entlockte.

Der Junge grub seine Finger in die weichen Haare des Anderen und zog ihn somit näher an sich heran.

Atemu begann nun, mit einer Hand über Yugis Oberschenkel zu streichen, stieß aber diesmal nicht auf Widerstand, als er die Hose öffnen wollte.

Der Größere bedeckte Yugis Bauch mit vielen kleinen Küssen, während dieser seine Hüfte etwas anhob, damit der Ältere seine Hose unter ihm herausziehen konnte.

Diese schob er dann bis zu den Knöcheln, bevor er Yugi erst die Schuhe auszog, denen die Hose schnell folgte.

Dann setzte er die Lippen an Yugis Fesseln an, küsste sich über Unterschenkel und Knie hinweg zum Oberschenkel.

Er übersprang die Shorts und machte unterhalb des Bauchnabels weiter, stetig höher steigend und saugte dann genüsslich erneut eine der Brustwarzen ein, während seine Hand am Hosenbein in die Shorts glitt und er die Innenseite des Oberschenkels liebkoste.

Yugi entfuhr ein erregtes Stöhnen und seine Hände fuhren unter Atemus Hemd, um seinen Bauch zu streicheln.

Als der Ältere schließlich Yugis Ohr erreichte, um zärtlich daran zu knabbern, machte der Jüngere sich daran, ihm endlich das Oberteil aufzuknöpfen und schließlich abzustreifen, wobei er sanft über Atemus muskulöse Arme strich.

Er ließ seine Hände über die Schlüsselbeine des Größeren streichen, bevor sie über dessen Brust strichen und er zärtlich seine Brustwarzen zwirbelte, woraufhin diesem ein heißeres Aufkeuchen entwich, das in Yugis Gehörgang widerhallte und ihm eine Gänsehaut über den Körper jagte.

Atemu richtete sich auf und betrachtete lächelnd seinen Liebsten.

Dann senkte er den Kopf, um Yugis süße Lippen wieder in Beschlag zu nehmen.

Der kam den sanften Lippen gerne entgegen und nahm die Zunge freudig in Empfang.
 

Yugi fühlte sich befriedigt und als würde er auf Wolken liegen.

Yami! hallte Yugis letztes Stöhnen noch in Atemus Gehörgang wieder.

„Wer ist ‚Yami’?“ verlangte Atemu plötzlich zu wissen.

Er fühlte sich tief verletzt.

Zum ersten Mal hatte er mit Yugi geschlafen und dieser stöhnte den Namen eines Fremden.

Obwohl er doch angeblich zuvor noch Jungfrau gewesen war.

Yugi hob den Kopf, der sich anfühlte, als hätte jemand Watte hineingestopft und diese Watte war nicht bereit, die Informationen zu verarbeiten, die sein Gehör ihm zuführten.

Irritiert sah er zu, wie Atemu plötzlich aufsprang, als er keine Antwort erhielt.

„Wenn du mir nicht antworten willst, dann ist es am Besten, du verschwindest!“ erklärte Atemu durch zusammengebissene Zähne, sah Yugi dabei aber nicht an.

Er fühlte sich vollkommen verarscht.

Noch vor wenigen Minuten oder auch Sekunden hatte er geglaubt, in Yugi die Liebe seines Lebens gefunden zu haben, doch er wurde schwer enttäuscht.

Wütend und auch traurig ballte er die Hände zu Fäusten.

Er hatte sich ehrlich in Yugi verliebt, doch der hatte wohl nur mit seinen Gefühlen gespielt und sich einen Spaß daraus gemacht.

Atemu fühlte sich so schlecht, als wäre gerade ein Teil von ihm gestorben und drehte sich wankend um, um das Wohnzimmer zu verlassen.

Yugi beobachtete verständnislos Atemus Tun, sah, dass dessen Gesicht einen ungesunden grauen Farbton angenommen hatte.

Er verstand Atemus Worte nicht und in einem Anflug von Panik ließ er die letzten Minuten wieder vor seinem inneren Auge Revue passieren.

Die Erkenntnis traf ihn wie ein Faustschlag ins Gesicht und er schnappte entsetzt nach Luft.

Oh mein Gott!

Er hatte Atemu tatsächlich mit seinem früheren Namen angeredet, von dem dieser natürlich nichts wusste!

Was musste Atemu denn nun von ihm denken!

Hastig sprang er auf, alles Wohlbefinden war aus seinem Körper, aus seinem Bewusstsein gewichen.

Der Jüngere fühlte sich elend und schuldig.

Wie sollte er das dem Anderen nur Erklären?

Am Besten mit der Wahrheit.

Noch bevor Atemu die Tür erreicht hatte, um den Raum zu verlassen, spürte er plötzlich Arme, die sich um ihn legten und wie der Körper des Kleineren sich an seinen Rücken schmiegte.

Atemu blieb stehen, bewegungsunfähig, spürte nur die Hände auf seinem Bauch und seiner Brust.

„Yami … ist nur ein anderer Name für dich, Atemu! Bitte, glaub mir!“ flehte Yugi mit geschlossenen Augen und drückte sich immer näher an den großen starken Körper vor ihm.

Der Ältere schnaubte verächtlich.

Für wie dämlich hielt er ihn?

Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch er fand einfach nicht die Kraft dazu.

Gerne wollte er dem Kleineren seine gesamte Wut entgegenschleudern, die wie ein wildes Tier in ihm fauchte und zu explodieren drohte.

Die Wut in ihm schwoll an, doch gleichzeitig war es so, als ob sie in seinem Inneren festklebte.

Atemu ließ den Kopf hängen.

Würde Yugi ihn doch endlich loslassen!

Seine Haut brannte dort, wo er ihn berührte, doch nicht vor Liebe oder vor Verlangen, sondern vor Hass.

Er hatte es irgendwo gelesen: Man konnte nur jemanden hassen, den man zuvor geliebt hatte, denn nur derjenige konnte einen wirklich tief verletzen.

Und das bewahrheitete sich nun auf die schmerzlichste Weise.

Verzweifelt schlug er Yugis Hände weg, doch der ließ sich nicht ablenken.

Sanft packte er Atemu an den Schultern.

Er musste es ihm erklären, es wieder gut machen.

Sachte dirigierte er den Älteren zurück zur Couch, der es rätselhaft willenlos über sich ergehen ließ.

Vielleicht war doch noch etwas Hoffnung in ihm, dass er sich irrte, dass er sich verhört hatte.

Aber Yugi hatte diesen Namen doch zweimal gesagt.

Und nach einiger Zeit auch gewusst, dass er ihn genannt hatte.

„Du musst mir zuhören!“ bat Yugi inständig.

Das bestätigte Atemu und raubte ihm jegliche Hoffnung.

Jetzt würden irgendwelche sinnlosen Erklärungsversuche kommen, vermutlich eine absurder, als die andere.

Yugi setzte sich neben seinen Freund, legte nach kurzem Zögern seinen Kopf auf dessen Schulter, doch es war, als würde Atemu einfach nichts mehr wahrnehmen.

Dann begann er, zu erzählen.

Zunächst langsam, mit Bedacht, überlegte Worte und Sätze, doch dann wurde seine Stimme fester und es sprudelte nur so aus ihm heraus.

Atemu musste alles wissen.

Ihre erste Begegnung nach dem Zusammensetzen des Puzzles.

Dass sie sich fortan einen Körper geteilt hatten.

Ihre gemeinsamen Duelle im Königreich der Duellanten und seine Aufforderung, dass er ihn Yami nennen sollte.

Ishizu und die Steintafel im Museum, Kaibas Turnier, Marik und Odeon, Noah, Dartz, Ziegfried und immer wieder dazwischen Ägypten.

Seine Zeit als ägyptischer Pharao.

Seine Vergangenheit.

Sein früheres Leben.

Als er in seiner Erzählung schließlich bei ihrem gemeinsamen Abschied in der Grabkammer angekommen war, ohne von Atemu unterbrochen worden zu sein, stiegen ihm Tränen in die Augen.

Es war schmerzhaft gewesen, sich an anderthalb Jahre zu erinnern, die sie gemeinsam verbracht hatten, an die sich Atemu aber nicht erinnern konnte.

Eine Weile schwiegen sie beide, bevor Atemu sich endlich regte.

„Das ist der größte Schwachsinn, den ich je gehört habe!“ flüsterte er tonlos.

Ein solcher Unsinn war ihm noch nie aufgetischt worden, selbst die Ausreden seiner Schüler waren um Längen besser.

Grob schupste er Yugi von sich weg. „Geh einfach!“

Der Jüngere streckte flehend die Hände nach ihm aus. „Glaub mir doch, bitte! Ich liebe dich doch! Ich kann dich gar nicht belügen!“

Atemu saß steif am Couchende, die Arme an seine Seiten gepresst, die Hände verkrampft in seinem Schoß.

„Verschwinde! Geh mir aus den Augen und lass dich nie wieder blicken!“ schleuderte er Yugi entgegen.

Er war doch völlig durchgeknallt, wenn er von dem Blödsinn, den er ihm gerade verzapft hatte, auch noch felsenfest überzeugt war.

Yugi gehörte eindeutig in die Klapse!

Sonst nirgendwohin.

„RAUS AUS MEINER WOHNUNG!“ schrie Atemu unbeherrscht, als Yugi keine Anstalten machte, sich auch überhaupt nur zu bewegen.

Mittlerweile liefen diesem die Tränen in Sturzbächen über die Wangen.

„Das kannst du doch nicht ernst meinen!“ erwiderte Yugi betroffen. „Mich nie wieder sehen zu wollen.“

Endlich sah Atemu ihn an.

Ihm direkt in die Augen.

Was er sah, machte ihm Angst.

Die kalte Leere in den Augen.

Diese Ausdruckslosigkeit war schlimmer, als jede unbeherrschte Wut es je vermocht hätte.

Yugi schluckte beklemmt.

„Ich meine es genauso ernst, wie du deine eigene Geschichte wohl nimmst“, zischte Atemu.

Der Jüngere begriff, dass er Atemu nicht erreichen konnte, dass er ihm nicht begreiflich machen konnte, dass er die Wahrheit sprach, so absurd sie auch klang.

Dass es nun besser war, zu gehen.

Sein Herz machte einen Sprung und zerbarst in abertausende Splitter.

Seinen Fehler würde er wohl nicht mehr gut machen können.

Hastig sammelte er seine Klamotten ein, ging dann aber in den Flur, um sich anzuziehen.

Er konnte es nicht ertragen, Atemu noch länger so zu sehen.

So verkrampft und doch beherrscht.

So grau und leer und kalt.

Das war nicht der Atemu, den er kannte.

Sein Herz blutete.

Er verblutete innerlich.

Nachdem er sich endlich mehr schlecht als recht angezogen hatte, rannte er stolpernd die Treppen hinunter und verließ das große graue Mietshaus und somit seine große Liebe, einen Scherbenhaufen aus Glas zurücklassend, der einmal sein Herz gebildet hatte.

Er würde sein Herz nie wieder zurückholen können.

Das Ende

17. Das Ende
 

Yugi lag eingerollt auf seinem Bett.

Daneben stand sein Mülleimer, der von zerknüllten Taschentüchern schon fast überquellte.

Seine Wangen waren tränennass und er hatte wenig Lust, sich überhaupt zu bewegen.

Er war lustlos und fühlte sich schlapp, war von Trauer zerfressen.

Also lag er meist stundenlang nur so da und seine Gedanken kreisten um seine verlorene Liebe.

Und das ging jetzt schon eine ganze Woche so.

Der Junge hatte nie vermutet, dass ein einzelner Mensch überhaupt so viele Tränen besitzen, geschweige denn vergießen konnte.

Seine Mutter machte sich Sorgen, ebenso Großvater.

Doch das war für ihn nicht wichtig.

Wichtig war nur, was Atemu von ihm dachte und das war sicherlich das Schlechtmögliche.

Er fühlte Bitterkeit, Schmerz und Schuld.

Zu mehr war er nicht in der Lage.

Jedoch wollte seine Mutter dem nicht mehr tatenlos zusehen, also hatte sie Joey informiert und dafür gesorgt, dass er vorbeikam.

Eben jener betrat nun leise und vorsichtig, als könnte Yugi allein durch Geräusche zerbrechen, das große Dachzimmer.

„Hey, Kleiner, wie geht’s?“ wollte der Blonde wissen und Angesprochener spürte, wie sein Bett sich unter dem neuen Gewicht etwas nach unten senkte.

Yugi reagierte verzögert.

„Siehst du doch“, wisperte er heißer.

„Du siehst ungefähr so aus, wie ich mich damals gefühlt habe, nachdem Mai sich von mir getrennt hat“, stellte Joey fest.

Der Kleinere machte sich erst gar nicht die Mühe, zu dem Blonden hochzublicken oder aber auch zu antworten.

Also musste Joey zwangsläufig auf eine Augenhöhe zu seinem Kumpel kommen.

So legte er sich einfach neben ihn und drehte den Kopf zur Seite, um dem Jüngeren ins Gesicht zu sehen.

„Erzählst du mir, was passiert ist?“ erkundigte er sich danach.

Yugi seufzte abgrundtief.

Natürlich, seiner Mutter hatte er nichts erzählen können, sie wusste ja von alldem nichts, nichts von Yami.

Mit seinem Großvater wollte er auch nicht darüber reden, er fand, der war zu alt für so was.

Joey wollte er es eigentlich auch nicht erzählen, schließlich hatte er sich vorgenommen, diesem von seinem ersten Mal nur so viel zu erzählen, dass es stattgefunden hatte.

Aber irgendwie hatte er das Gefühl, endlich über das reden zu müssen, was an jenem Tag nach dem Schwimmbadbesuch passiert war.

Und so erzählte er Joey alles von A bis Z, verkürzte den eigentlichen Akt aber erheblich, konnte er sich doch noch zu gut an seine eigene Langeweile erinnern, als Joey ihm seine Geschichte breit erzählt hatte.

Nachdem er geendet hatte, stellte er fest, dass Joey ihn irgendwann in seiner Erzählung tröstend in seine warmen Arme gezogen hatte, ohne dass Yugi es bemerkt hatte und dass er sich so seltsamerweise einigermaßen geborgen fühlte.

Er fühlte sich wesentlich besser, als vorher.

Ob das nun daran lag, dass er sich alles von der Seele geredet hatte oder an der Umarmung, das konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen.

Es zählte einzig und allein, dass es ihm besser ging, auch wenn es noch besser sein könnte, wenn es Atemus Arme wären, in denen er sich befand, doch das würde nie mehr so sein.

„Hm, das ist natürlich schwierig“, murmelte Joey nachdenklich. „Meinst du nicht, dass du noch mal mit ihm reden könntest?“

Yugi schluchzte leise und schüttelte sachte den Kopf, den er auf Joeys Schulter abgelegt hatte.

„Er wird mir genauso viel glauben, wie Kaiba an seine ägyptische Vergangenheit glaubt: nämlich gar nicht“, erklärte Yugi leise. „Er denkt sicherlich, dass ich in eine geschlossene Anstalt gehöre!“

„Seit ich Seto Anfang des Jahres besser kennen gelernt habe, haben wir gar nicht mehr davon gesprochen. Ich glaube, er schweigt es tot“, meinte Joey leise. „Dabei hält er mich noch immer für ein trotteliges Hündchen. Er sagt andauernd, dass ich ‚den Intelligenzquotienten eines Hundes’ hätte! Das regt mich auf!“

Joey hielt inne, denn Yugi sagte nichts dazu.

Auch kein Kichern, Lächeln oder Schmunzeln war auszumachen, wie es bei dem Jüngeren normalerweise der Fall war, denn der war eigentlich der Meinung, dass Joey selbst daran Schuld wäre, wenn er sich jetzt neuerdings ganz freiwillig mit dem Firmenchef abgab.

Der Blonde zog seinen Freund noch etwas näher an sich ran. „Willst du es nicht wenigstens versuchen?“

Yugi zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Er würde mir wahrscheinlich noch nicht einmal zuhören. Nicht noch einmal, nachdem ich schon alles noch schlimmer gemacht habe, als es eh schon war.“
 

**
 

Seit nun schon zwei Wochen versuchte Yugi, Atemu irgendwie zu erreichen.

Seine SMS blieben unerhört, genauso wie die täglichen Anrufe.

Er hatte doch gewusst, dass Atemu ihn abblocken würde.

Wohlmöglich hatte er sich deswegen sogar ein neues Handy besorgt?

Doch noch wollte er nicht aufgeben.

Noch sah er eine winzig kleine Möglichkeit, Atemu wenigstens kurz zu sehen.

Und wenn er ihm die Haustür vor der Nase zuknallen würde.

Ja, er war auf dem Weg zu dem großen Mietshaus.

Er hatte es einfach nicht mehr ausgehalten, die Ungewissheit.

Auch wenn er letztlich nur wenig Hoffnung hatte und eigentlich überhaupt keine haben sollte.

Aber er wollte es hinter sich bringen.

Vielleicht konnte er dann einen Schlussstrich ziehen, wenn auch nur schweren Herzens.

Endlich angekommen, legte er den Kopf in den Nacken und sah an dem Mietshaus empor.

Noch allzu gut konnte er sich daran erinnern, als er zum ersten Mal hier gestanden hatte und sich gefragt hatte, welche der vielen Fenster zu der Wohnung des Referendars gehörten.

Ein schmerzlicher Stich durchfuhr ihn.

Dann wandte er den Blick ab, zur Haustür und ging entschlossen darauf zu.

An der Klingel zögerte er erneut kurz, betätigte sie dann aber.

Mehrfach, bevor er sich fragte, ob sein Innehalten zuvor ein schwerer Fehler gewesen war und Atemu ihn von einem der Fenster aus unten stehen gesehen hatte und deshalb nicht öffnete.

Gerade, als er sich verzweifelt registrierend abwenden wollte, wurde die Tür von innen geöffnet.

Einer der anderen Mieter erschien, verließ das Haus und Yugi fing die Tür auf, bevor sie wieder ins Schloss fallen konnte.

Kurz sah er sich um, doch der Mann, der das Haus verlassen hatte, kümmerte sich nicht weiter um ihn, so dass er einfach ungesehen hineinschlüpfen konnte.

Yugi war sich nicht sicher, was er überhaupt erwartete.

Falls Atemu überhaupt zu Hause war, würde er ihm auch nicht öffnen, wenn er direkt vor der Wohnungstür stand.

Dennoch rannte er die Treppen zwei Stufen auf einmal nehmend nach oben, bis zu Atemus Wohnungstür.

Am Treppenabsatz blieb er erneut stehen, musterte die Tür.

Wenn diese sich öffnete, würde er endlich von seinem Leid befreit, so oder so.

Dann würde alles ein Ende finden.

Ein Happy End.

Oder eben nicht.

Ein paar letzte Schritte führten ihn auf die Tür zu.

Er sah an die Wand daneben, fand die Klingel und betätigte sie.

Dann wartete er.

Lauschend, ob er ein Geräusch von Innen vernehmen konnte.

Nichts.

Aber vielleicht war ja auch die Klingel defekt?

Laut klopfte er.

Doch wieder nichts.

Die Tränen auf seinen Wangen bemerkte er noch nicht einmal.

Schließlich war er die jetzt schon gewöhnt.

Aus lauter Verzweiflung begann er, mit beiden Fäusten geräuschvoll gegen die Tür zu hämmern.

Die einzige Reaktion darauf war, dass sich die Wohnungstür der Nachbarin öffnete und die neugierig durch den Türspalt auf den Lärmverursacher schielte.

„Herr Yamito ist nicht da“, erklärte die alte Frau mit verrauchter Stimme.

Yugi wandte ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu.

Ein ungutes Gefühl beschlich ihn.

„Ist vor zwei Wochen mit einem großen Koffer und einem großen Rucksack abgereist“, fuhr sie fort, während sie das graue zottelige Fell ihres Hundes, den sie auf dem Arm hielt, streichelte.

Der Junge öffnete den Mund, brachte zunächst aber keinen Ton hervor.

Zu unaussprechlich war seine größte Befürchtung.

„Kommt er denn wieder?“ wagte er es schließlich mit dünner Stimme zu fragen.

Doch er erntete nur ein desinteressiertes Schulterzucken der Frau und die Tür wurde wieder geschlossen.

Entgeistert sah Yugi diese noch eine Weile an.

Sein Magen hatte sich gerade umgekippt und er musste sich zitternd an der weißen Wand hinter ihm festhalten.

Wenn er ihn nie wieder sehen würde…

Wenn er wegen ihm umgezogen war…

Wenn er wenigstens hier bleiben würde, selbst wenn er nichts mehr von ihm wissen wollte, dann hätte Yugi wenigstens die Gewissheit als Trost, dass es auch nur die Möglichkeit gab, dass er ihn sehen konnte.

Allein das wäre beruhigend für ihn.

Nach einer Weile, in der er sich erst fangen musste, schlich er langsam die Treppen wieder hinunter.

Er riss die Haustür auf und sah geradewegs in zwei dunkelviolette, ihm nur allzu bekannte Augen.

Atemu schien überrascht zu sein, ihn hier zu sehen.

Sein Koffer stand neben ihm, ebenso der große Rucksack und er war wohl gerade dabei gewesen, den Haustürschlüssel zu suchen.

Sie starrten sich schweigend an.

Yugi fühlte kurioserweise nichts.

Er wusste, er durfte sich keine Hoffnungen machen, auch wenn sie sich gegenüber standen und Atemu ihn noch nicht angeschrieen hatte.

Denn Yugi hatte gegen seine Anweisung gehandelt und war doch noch einmal hierher gekommen.

Also hatte sein Hirn seine Gefühlswelt abgeschaltet, um ihn selbst zu schützen.

Oder zumindest erreichten seine Gefühle nicht sein Denken, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass sie einfach so von eben auf jetzt verschwunden waren.

Sein Gehirn hatte ihn einfach nur betäubt.

Er war stehend in eine Art Koma gefallen, aus dem er sich auch nicht selbst wecken wollte, zu groß war die Angst, dass Atemu ihn erneut abweisen könnte.

Doch es war keine Kälte in den wunderschönen Augen zu sehen.

Gedankenlesen wäre schon eine feine Sache.

Er wüsste gerne, was in Atemus Kopf vorging, wusste er doch noch nicht einmal, was in seinem eigenen vorging.

Nach einer scheinbaren Ewigkeit, die im Grunde sinnlos verstrichen war, stieg Atemu die beiden Stufen zur Haustür hinauf und zog Yugi in eine enge Umarmung.

Yugi spürte die Arme, die ihn umschlangen und den warmen Körper, an den er gepresst wurde.

Doch er hing nur schlaff und unbeweglich in den starken Armen und ließ es über sich ergehen.

Er fühlte sich leer und ausgelaugt, sein Blick war abwesend.

Atemu hatte ihm nicht vertraut.

Und jetzt, nach drei Wochen Funkstille, war es wieder so, wie zuvor?

Der Junge konnte das nicht glauben und noch weniger einfach so akzeptieren.

Yugi wurde aus der Umarmung entlassen.

„Komm, lass uns hoch gehen. Ich hab Kuchen gekauft“, flüsterte Atemu leise, als wolle er das dünne band, das noch immer zwischen ihnen bestand, nicht vollends durch laute Worte zerreisen.

Kommentarlos griff Yugi nach dem riesigen Rucksack, hängte ihn sich über die Schulter und ging voraus.

Der Ältere griff derweil nach dem in Papier eingeschlagenen Kuchen, den er auf dem Koffer abgestellt hatte und nach dem Koffer selbst und folgte ihm.

Oben schloss er stumm die Wohnungstür auf.

Während Atemu seinen Koffer ins Schlafzimmer brachte, stellte Yugi den Rucksack achtlos im Flur ab und ging zur Küche weiter.

Kurz darauf folgte Atemu ihm.

Er stellte fest, dass der Jüngere schon Kuchenteller auf den Tisch gestellt hatte.

Der Ältere packte den Kuchen aus. „Was möchtest du trinken, Aibou?“

Yugi ließ das Besteck in seinen Händen fallen, das klirrend auf dem Boden landete.

Ai…bou?

Wann hatte er ihn das letzte Mal so genannt?

Rasch drehte er sich um und starrte Atemu aus großen Augen an.

Der stand mit dem Rücken an die Anrichte gelehnt und beobachtete ihn.

Yugi hatte Atemu nie erzählt, dass er ihn Aibou genannt hatte und niemand wusste davon, denn Yami hatte diesen Namen nur benutzt, wenn sie über ihre Gedanken miteinander geredet hatten.

„Ya…mi?“ krächzte Yugi ungläubig mit hoher Stimme.

Der Größere lächelte leicht und nickte dann.

„Yaaaaaaamiiiiiiiiiiiii!“ Mit einem Aufschrei landete Yugi schließlich in den Armen des Älteren und presste sich an ihn – und mit einem Schlag waren seine gesamten Gefühle wieder da.

Glück und Erleichterung, Freude und Liebe, aber auch Ungewissheit und Unsicherheit.

Er spürte die Arme, die ihn umschlangen, die Hand, die ihn im Nacken kraulte, die Lippen, die sich zu einem flüchtigen Kuss auf sein Haar senkten.

Hörte den Herzschlag und die Atmung des Anderen.

Eine Weile standen sie nur schweigend eng umschlungen da.

Atemu wusste nicht, wo er anfangen sollte.

Er hatte Yugi so viel zu sagen, so viel zu erklären, seine Gedanken rasten.

„Danke, dass du mein Freundschaftsarmband noch hast“, flüsterte er endlich heißer, als er seine Stimme wieder gefunden hatte.

Yugi trennte sich ein wenig, weg von dem ihm so geliebten Körper, was Atemu mit Unbehagen beobachtete.

Dann griff er in seine Hosentasche und fischte das selbst geknüpfte Armband hervor.

„Ich hab es heute als Glücksbringer eingesteckt. War irgendwie Intuition“, erklärte der Kleinere leise, packte Atemus Handgelenk und streifte es ihm über.

„Aibou!“ Sofort schloss der Größere ihn wieder in seine Arme.

Nochmals trat Stille ein, aber das war Yugi vollkommen egal.

Er wusste, dass Atemu ihm noch heute die Fragen beantworten würde, die ihm auf der Zunge lagen; wenn er dazu bereit war, denn er wollte ihn nicht drängen.

„Es tut mir so Leid, Aibou“ ergriff Atemu schließlich erneut das Wort.

„Es hätte eigentlich einer der schönsten Tage deines Lebens werden sollen. Stattdessen…“ Er brach ab, denn seine Stimme versagte.

Er räusperte sich. „Stattdessen hab ich dich rausgeworfen. Kannst du mir das je verzeihen?“

Erneut trennte Yugi sich etwas von Atemu und sah in traurige Augen.

Abgrundtiefe Trauer, Schmerz, Angst und Flehen waren zu sehen, was Yugi zutiefst erschütterte.

Yami hatte ihm gegenüber nie eine solche Schwäche gezeigt, war stets der starke und furchtlose Pharao gewesen.

Atemu hatte ihm schon eher Gefühle gezeigt, positive, wie auch negative.

Aber er hatte nie – geweint.

Langsam hob er eine Hand und strich sachte die Tränen von der Wange.

Er lächelte leicht, sagte jedoch nichts.

Noch nicht.

Der Größere wandte beschämt den Blick ab und rieb sich die restlichen Tränen weg.

„Vielleicht … sollte ich dir erst erklären, wieso ich dir plötzlich glaube, wieso ich dich wieder Aibou nenne.“ Atemu sah Yugi wieder aus etwas geröteten Augen an.

„Also…“ Doch bevor er richtig beginnen konnte, hatte Yugi seinen Kopf wieder an seiner Brust abgelegt, was Atemu nun doch etwas verwunderte.

„Nachdem du weg warst“ startete er erneut. „Hab ich mich als erstes an den Computer gesetzt und habe mich über Komaforschung schlau gemacht. Ich wollte wissen, ob sich irgendjemand meiner Leidensgenossen je an das erinnert hat, was während seines Komas passiert ist. Leider Fehlanzeige. Die Meisten konnten sich an gar nichts erinnern, so wie ich. Auch sonst gab es im Internet keinen Hinweis darauf, ob an deiner Geschichte etwas Wahres dran sein könnte. Dann habe ich mich mit ägyptischer Geschichte auseinandergesetzt. Ich meine, mehr, als ich es je im Unterricht oder in meinem Studium getan habe. Ich habe nach der Steintafel gesucht, von der du mir erzählt hast und nach der Grabkammer. Kurz entschlossen habe ich einen Flug nach Ägypten gebucht. Ich komme gerade vom Flughafen.“

Er hielt in seinen Erklärungen inne, um sich und Yugi etwas Zeit zu geben, über das Gesagte noch einmal reflektieren zu können.

„Kaum war ich einen Tag dort, standen auch schon Marik und Ishizu vor der Tür. Gut, du hast mir von ihnen erzählt, aber ich war dennoch etwas erschrocken. Schließlich wusste niemand, dass ich nach Ägypten wollte. Sie haben sich als Führer angeboten und mich zu der Steintafel und zu anderen Artefakten geführt. Dabei haben sie mir eine ähnliche Geschichte erzählt, wie du. Nur eben aus ihrer Perspektive. Der Part mit meiner angeblichen Vergangenheit haben sie mir sehr viel ausführlicher erzählt.“

Yugi hörte dem Älteren schweigend zu.

Marik und Ishizu schienen immer zu wissen, wo ihr Pharao sich aufhielt.

Selbst wenn sie jetzt keine Milleniumsgegenstände mehr besaßen und auch keine Grabkammer mehr bewachen mussten.

Sie führten nun ein normales Leben, aber die ägyptische Vergangenheit ließ sie augenscheinlich nicht in Ruhe.

„Schließlich sind sie mit einem ziemlich wahnwitzigen Vorschlag zu mir gekommen. Jedenfalls habe ich das zu dem Zeitpunkt so empfunden. Denn an solche Dinge glaube ich nicht, ich war mehr als skeptisch und dachte, dass das nie funktionieren würde.“ Atemu holte tief Luft.

„Sie haben vorgeschlagen, dass ich mich von einem der ägyptischen Einwohner, sie kannten den Mann wohl gut, hypnotisieren lassen sollte. Natürlich wollte ich ablehnen, solch ein Hokuspokus konnte doch nie im Leben wirklich klappen! Dachte ich.“ Eine Weile schwieg auch er.

„Marik erklärte, dass ich doch nichts zu verlieren habe, wenn ich es ausprobieren würde. Noch nicht einmal Geld, da er die erste Sitzung bezahlen würde. Als ob ich mehrere Sitzungen überhaupt in Erwägung ziehen wollte! Du siehst schon, Marik hatte mich schon überzeugt. Wahrscheinlich war ich neugierig, vielleicht wollte ich aber nach jedem Strohalm greifen, der es mir möglich machte, dir zu glauben, dass du nicht verrückt bist. Denn meine Gefühle für dich waren noch immer irgendwo vorhanden. Auch wenn du mich sehr schwer verletzt hattest.“ Atemu unterbrach sich, doch Yugi schwieg weiterhin.

Wollte er ihm denn keine Fragen stellen?

„Also habe ich mich tatsächlich darauf eingelassen. Bei der ersten Sitzung war ich vollkommen weggetreten, habe nichts mitbekommen, aber alles, was ich in Trance von mir gegeben habe, hat Marik mit einer Videokamera aufgezeichnet. Ich war ganz schön sprachlos, als ich diese Aufnahme kurz danach sah. Es war gar nicht genug Zeit gewesen, das Videoband irgendwie zu manipulieren. Da ich mich selbst dabei gesehen hatte, wie ich über Dinge sprach, die ich gar nicht wusste, die mir fremd waren, beschloss ich, noch eine weitere Sitzung zu besuchen. Diesmal konnte ich mich an einzelne Szenen, wie aus einem Traum, erinnern. Nach einer Woche mit täglichen Sitzungen war plötzlich alles wieder da. Meine komplette Erinnerung. An dich. Die Zeit mit dir. Die Zeit, in der wir einen Körper geteilt haben. Aber es kamen natürlich nicht nur die positiven Erinnerungen zurück, sondern auch die negativen, verbunden mit Schmerz. Am deutlichsten war der Verlust zu spüren, als ich deine Seele verloren hatte. Erinnerst du dich noch? Du hattest deine Seele verloren, weil ich nicht fähig war, die Finger von diesem komischen Orichalkos zu lassen. Aber das war nicht der einzige Schmerz. Wir haben viel zu oft die Seelen unserer Freunde verloren. Und uns schließlich gegenseitig bei dem Abschied in der Grabkammer“, endete Atemu schließlich und verstummte.

Dann seufzte er. „Ich glaube, ich bin etwas hin und her gerissen. Yami wollte dich immer nur beschützen, wie eine uneinnehmbare Mauer und dich stärker machen. Atemu hingegen liebt dich aus ganzem Herzen. Was Yami wiederum nicht so passt, da er dich auch vor Atemu schützen will. Kann sein, dass es noch ein wenig dauert, bis diese zwei Persönlichkeiten in mir wieder miteinander verschmolzen sind, wie es sich gehört.“

Nun hörte er endgültig auf zu reden und wartete auf eine Reaktion.

Auf eine Reaktion auf seine Frage, die er am Anfang gestellt hatte.

„Natürlich verzeihe ich dir“, erklärte Yugi endlich. „Ich kann auch gar nicht anders. Schließlich liebe ich dich.“

Yugi hegte nicht die geringsten Zweifel.

Denn Atemu hatte seinen Spitznamen gewusst.

Einen besseren Beweis, dass er sich tatsächlich an seine Vergangenheit erinnern konnte, gab es für ihn nicht.

„Danke, Aibou“, flüsterte Atemu erleichtert.

„Ich lass’ dich nie mehr los!“ Wie zur Bekräftigung schloss er seine Arme noch enger um seinen Freund.

„Das brauchst du auch gar nicht!“ meinte Yugi unendlich zärtlich und presste sich an den Älteren.

Der legte seine Wange auf Yugis Stachelmähne ab.

„Ich bin hundemüde“, begründete Atemu sein Verhalten schließlich träge.

„Jetlag“, fügte er hinzu.

Yugi trennte sich etwas von ihm, um ihn anzusehen. „Soll ich gehen? Damit du dich ausruhen kannst?“

Der Ältere schüttelte den Kopf. „Wüsste nicht, dass man zum Ausruhen alleine sein müsste. Außerdem hab ich dir doch gesagt, dass ich dich nicht mehr gehen lasse!“

Der Kleinere schmunzelte. „Natürlich!“

Dennoch trennte er sich von dem Größeren und sah diesem zu, wie er den Kuchen wieder abdeckte.

Dann griff Atemu nach seiner Hand und er ließ sich widerstandslos von ihm ins Wohnzimmer ziehen.

Dort angekommen, ließ Atemu sich auf dem Sofa nieder und entledigte sich seiner Schuhe.

Yugi tat ihm dies gleich, stand dann aber etwas unschlüssig neben der Couch, über deren Länge Atemu sich gelegt hatte.

Atemu öffnete die Augen wieder, als Yugi einfach stehen blieb und streckte die Hand nach ihm aus.

Der griff zögerlich danach und wunderte sich etwas, dass Atemu ihn zu sich zog, bis Yugi auf ihm lag, den Kopf auf seiner Brust.

Erneut schlang Atemu seine Arme um den Kleinen.

„Bist du dir sicher, dass du so auch schlafen kannst?“ erkundigte Yugi sich etwas besorgt.

„Klar, du bist doch mein liebstes Kuscheltier!“ erklärte Atemu und Yugi musste leicht lachen.
 

**
 

Yugi blinzelte.

Stürmisches Klingeln hatte ihn geweckt.

War er doch tatsächlich, genauso wie Atemu, eingeschlafen.

Er hob den Kopf und sah auf seinen Freund hinab, der sich ebenfalls zu regen begann.

„Bleib liegen, ich mach auf.“ Yugi hauchte Atemu einen kurzen Kuss auf die Wange und erhob sich dann von ihm.

Er tapste etwas verschlafen in die Diele und nahm den Hörer der Freisprechanlage zur Hand.

Der Junge konnte gar nichts sagen, als auch schon eine Stimme ertönte.

„Hey, Atemu, ich bin’s, mach auf!“ forderte der Sprecher, der sich eindeutig wie Yue anhörte.

Yugi zuckte mit den Schultern, drückte auf den Türöffner und ging dann zur Wohnungstür hinüber.

Doch gegen seine Erwartungen stand ihm nach einer kurzen Zeit nicht Yue, sondern ein ihm unbekannter dunkelhaariger Junge gegenüber.

Dieser blieb nun leicht verwirrt am oberen Treppenabsatz stehen und die beiden musterten sich eingehend.

„Du bist nicht Atemu“, stellte der Schwarzhaarige fest. „Auch wenn du wie eine kleinere Ausgabe von ihm aussiehst.“

Er kniff ein wenig die blauen Augen zusammen. „Bist du Atemus neuer Freund? Süß bist du ja, das muss ich zugeben.“

Yugi wurde leicht rosa im Gesicht.

Jedenfalls schienen Atemu und sein Gegenüber sich gut zu kennen, woher sollte er denn sonst von Atemus Neigung wissen?

Der Größere zog eine Augenbraue hoch. „Sehr unvorsichtig von ihm, einen so süßen schmächtigen Jungen öffnen zu lassen. Ich könnte ja sonst wer sein, der dir etwas antun würde.“

Unerwartet wurde Yugi nun die Wohnungstür aus der Hand gerissen und diese wurde weiter geöffnet.

„Keine Sorge, ich passe schon auf ihn auf“, erklärte Atemu und lächelte zärtlich auf Yugi herab.

Der erwiderte den Blick. „Tut mir Leid, ich dachte, er wäre Yue. Die Stimme klang so.“

„Macht ja nichts.“ Atemu wandte sich zu dem Schwarzhaarigen. „Willst du nicht reinkommen, Aoi?“

Yugi sah von seinem Freund zu dem Neuankömmling.

Das war also Atemus Cousin?

Aoi lächelte und folgte Yugi in die Küche.

Dann wandte er sich an eben jenen. „Also, wenn du dich je von Atemu trennen solltest, dann komm zu mir. Du wärest genau mein Typ.“

Grinsend zwinkerte er dem Kleineren zu, der prompt wieder eine rote Gesichtsfarbe annahm.

Doch Yugi wurde von einer Erwiderung enthoben.

„Da hast du wohl Pech, mein Lieber“, schmunzelte Atemu.

Yugi war mit rosanen Wangen einfach zu niedlich.

Sie setzten sich an den Küchentisch.

„Was führt dich zu mir?“ erkundigte Atemu sich, während er jedem ein Glas Wasser ausschenkte.

Aoi zog eine Augenbraue hoch. „Brauche ich einen Grund, um meinen Cousin zu besuchen?“

„In der Regel, ja.“ Atemu sah seinem Gegenüber fest in die Augen.

Der Schwarzhaarige seufzte ergeben auf. „Du hast ja Recht.“

Er wandte den Blick auf den Tisch, dessen Decke plötzlich furchtbar interessant war.

„Also, was ist es?“ hakte Atemu nach. „Geht es um Geld?“

„Nicht direkt. Ich bin aus meiner Wohnung geflogen“, erklärte Aoi kleinlaut und drehte unbehaglich sein gefülltes Glas in den Händen.

„So?“ Atemu schien nicht wirklich überrascht. „Weshalb?“

„Konnte die Miete nicht zahlen“, erwiderte Aoi, konnte seinem Cousin aber noch immer nicht in die Augen sehen.

„Warum? Du jobbst doch?“ wollte Atemu wissen.

„Nicht mehr.“ Aoi verzog das Gesicht. „Wurde gefeuert. Bin wegen der Schule öfter zu spät gekommen.“

Atemu seufzte. „Wie kann ich dir helfen?“

„Indem du mich bei dir wohnen lässt.“ Aoi hob den Blick auf Atemu. „Ich wohne schon ein paar Tage bei einem Freund.“

Atemu zog beide Augenbrauen nach oben.

„Du weißt ja: ohne Wohnung keine Arbeit, ohne Arbeit keine Wohnung. Dazu kommt noch die Schule. Ich muss irgendwo unterkommen. Und du weißt, dass du der Einzige bist, der mir bleibt“, erklärte Aoi gefasst.

Jedenfalls hatte es den Anschein, aber Atemu wusste, dass er seine Familie sehr wohl vermisste und es sehr schwer für ihn war.

„Ich muss auch umziehen“, meinte Yugi plötzlich.

Er hatte noch gar keine Zeit gehabt, Atemu davon zu erzählen.

Dessen Aufmerksamkeit hatte er sofort und er sah ihn fragend an. „Wie, du ziehst um?“

Tausend Fragen schossen Atemu durch den Kopf.

Beispielsweise, ob Yugi nun zu seinem Vater nach Paris ziehen würde.

Allein die Vorstellung war schrecklich.

Yugi nickte bekräftigend.

Dann lächelte er aber.

Nach Atemus Gesichtsausdruck zu urteilen, stellte der sich das Schlimmste darunter vor.

„Nur innerhalb des Hauses“, fügte er daher rasch hinzu.

Yugi legte den Kopf leicht schief. „Seit meine Eltern geschieden sind, haben wir weniger Geld zur Verfügung. Daher hat meine Mutter beschlossen, dass ich zu ihr nach unten in die Wohnung ziehe, damit wir mein großes Zimmer, das Bad und die kleine Küche unter dem Dach vermieten können, um Geld einzunehmen.“

Atemu nickte nachdenklich.

An diese Möglichkeit hatte er allerdings nicht gedacht.

In diesem Moment klingelte es erneut an der Haustür.

Atemu stand auf, um zu öffnen.

Yugi warf Aoi einen Blick zu, doch es sah so aus, als wäre Aoi tief in Gedanken versunken.

Es war ihm wohl nicht leicht gefallen, Atemu um Hilfe zu bitten.

„Wieso die Koffer?“ war nun ein überraschter Atemu aus dem Flur zu hören.

„Du musst mich bei dir wohnen lassen“, erklärte Yue seinem Bruder.

„Du auch?“ hakte Atemu seufzend nach.

„Wieso auch?“ wollte Yue leicht irritiert wissen und erschien keine zwei Sekunden später in der Küchentür.

„Oh. Hallo, Aoi.“ Er wandte sich zu Atemu um, der ihm in die Küche gefolgt war.

„Aoi möchte ebenfalls bei mir wohnen. Aber setz dich doch erstmal“, forderte Atemu von seinem Bruder und nahm ein weiteres Glas aus dem Küchenschrank.

Dann setzte er sich wieder zu den anderen an den Tisch. „Erzähl mal, wie es dazu kommt.“

Atemu musterte Yue kritisch und auch Aoi schien interessiert.

Yue seufzte laut auf.

„Angefangen hat es damit, dass er dich aus der Familie verstoßen hat…“ begann Yue.

„Was? Wieso das?“ warf Aoi überrascht dazwischen.

„Warum wohl“, brummte Atemu und sein Gesicht verfinsterte sich.

„Oh.“ Aoi war wohl der Groschen gefallen und er warf Yugi einen flüchtigen Blick zu.

„Ich hab es ihm selbst gesagt“, erklärte Atemu rasch, dem der Blick seines Cousins nicht unbedingt gefiel.

Yugi traf immerhin keinerlei Schuld. „Es war sowieso längst Zeit. Ich hatte keine Lust mehr, ständig an mein so genanntes Erbe erinnert zu werden.“

„Jedenfalls, nachdem du weg warst, hab ich mich in der Firma noch mehr angestrengt. Doch dann meinte dein Vater in einem seiner berühmten Gesprächen unter vier Augen, dass ich mich noch so sehr anstrengen könnte, dein Weggang habe nichts an meiner Position geändert. Er hat mir auch gleich klar gemacht, dass ich in keiner anderen Firma eine Stelle erhalten würde, da es sich niemand mit ihm verscherzen wollte. OK, das war jetzt nur die Kurzfassung des Gesprächs, aber den Rest kannst du dir wahrscheinlich denken. Ich habe gekündigt und musste die Wohnung räumen. Das Studium habe ich auch abgebrochen und ich werde mich jetzt endlich an deinen Rat halten und das machen, was mir Spaß macht“, fuhr Yue fort.

„Die Anmeldefristen und Vorstellungstermine für ein Kunststudium sind längst vorbei. Die waren doch im April?“ wollte Atemu wissen.

„Kunst?“ Aoi wirkte sehr überrascht, aber auch beeindruckt.

Das war so ziemlich das krasse Gegenteil von dem, was Yue zuvor gemacht hatte.

Yue lächelte. „Ja.“

Dann wandte er sich erneut an seinen Bruder. „Weiß ich. Mir bleibt nichts anderes übrig, als bis nächstes Jahr zu warten. Aber bis dahin kann ich noch eine Mappe mit Zeichnungen zusammenstellen.“

Atemu zog eine Augenbraue hoch. „Und wie willst du die Miete zahlen?“

Aoi war erneut überrascht. „Wenn ich bei dir einziehe, kann ich dir nichts zu der Miete dazugeben. Ich habe dir ja gerade erzählt, dass ich meinen Job verloren habe.“

„Ich habe einen Job in der Kaiba-Corp angenommen. Du weißt ja, Kaiba ist der Einzige, an den dein Vater nicht herankommt. Und er ist wohl auch der Einzige, der sich nichts aus dessen Drohungen macht. Wobei ich nicht glaube, dass dein Vater tatsächlich etwas gegen Kaiba unternehmen würde oder könnte“, erklärte Yue.

Atemu sah nun zwischen seinen Verwandten hin und her. „Und ihr erwartet jetzt, dass ich mich zwischen euch beiden entscheide, wer zu mir ziehen darf? Euch müsste ja klar sein, dass wir nicht zu dritt hier wohnen können. Die Wohnung ist auf höchstens zwei Personen zugeschnitten. Bisher habe ich alleine hier gewohnt. Also wie stellt ihr euch das vor?“

Aoi sah betreten auf den Tisch und auch Yue schwieg, nun war er es, der sein leeres Glas in den Händen drehte.

„Du bekommst selbstverständlich keinen Mietzuschuss mehr von deinem Vater?“ erkundigte Yue sich leise.

Atemu seufzte. „Nein.“

„Also bist du auf das Geld angewiesen?“ hakte Aoi nach, erhielt aber keine Antwort.

„Ich sehe schon, da hab ich natürlich schlechte Karten“, stellte Aoi enttäuscht fest.

Er war in der festen Annahme zu seinem Cousin gegangen, dass der ihm helfen würde, so wie er es auch schon früher getan hatte.

Immerhin hatte er ihm den letzten Job besorgt.

„Wir werden schon eine Lösung finden“, versuchte Yue den Jüngeren zu beschwichtigen.

Atemu ließ unbehaglich seinen Blick schweifen.

Sollte er sich im Endeffekt tatsächlich zwischen beiden entscheiden müssen?

Aoi hatte schon recht: Yue konnte ihm wenigstens Miete bezahlen und die Koffer standen auch schon gepackt im Flur.

Aber es sollte nicht darum gehen.

Yue würde mit einem festen Job besser eine Wohnung finden, als Aoi als Schüler und ohne Nebenverdienst.

Und er wusste nicht genau, wie lange Aois Freund diesen noch bei sich wohnen lassen würde, bevor er dann auf der Straße landete.

Sein Blick blieb auf Yugi hängen, der das Gespräch schweigend mitverfolgt hatte.

Er würde Atemu dabei sowieso nicht helfen können.

Doch der lächelte plötzlich. „Yue könnte zu Yugi ins Haus ziehen. Du meintest doch vorhin, dass ihr die Dachgeschosswohnung vermieten wollt. Oder habt ihr schon einen Mieter?“

Yugi schüttelte den Kopf. „Meine Mutter wollte erst Ende der Woche eine Anzeige schalten.“

„Das ist gut…“ erwiderte Atemu.

„Ich hab eine bessere Idee!“ Aois Augen funkelten.

„Wie wäre es, wenn du zu Yugi ziehst? Dann kann er auch in seinem Zimmer bleiben, mit dem einzigen Unterschied, dass ihr dann ein Doppelbett braucht.“ Der Schwarzhaarige lachte unbekümmert.

„Hm, ich weiß nicht…“ Atemu warf seinem Freund einen vorsichtigen Blick zu.

Sie hatten gerade erst wieder zusammengefunden; war es für einen solchen Schritt nicht noch etwas zu früh?

Obwohl sie ja praktisch schon zusammengewohnt hatten, wenn auch in einem Körper, nicht in einer Wohnung.

Aber ihm war auch klar, dass sie sich eigentlich seit nunmehr dreieinhalb Jahren kannten, davon ein halbes Jahr in fester Beziehung lebten.

Yugi blickte unsicher auf den Älteren zurück.

Er würde schon zustimmen, er hätte Atemu gerne wieder um sich, so wie früher Yami.

Seine Mutter würde sich einfach damit zufrieden geben müssen, Yugi war schließlich erwachsen.

Doch dann konnte er seine Begeisterung über diesen Vorschlag einfach nicht mehr zurückhalten.

„Ich finde die Idee super!“ Yugi strahlte seinen Freund an, der sofort zurücklächelte.

„Dann ist das ja geklärt! Und wir ziehen hier ein!“ Aoi grinste Yue an.

Der hob eine Augenbraue. „Denk aber nicht, dass ich die komplette Miete zahle!“

„Ich suche mir einen neuen Job“, erklärte Aoi und nahm einen Teller mit Kuchen entgegen, den Atemu ihm hinhielt.

Gemeinsam aßen sie nun den Kuchen, den Atemu und Yugi schon vorhin essen wollten.
 


 

Und nun die Schlagzeilen:

Meisterduellant Yugi Muto veröffentlicht Gedichtband und gesteht: „Ja, ich bin schwul!“ –

Widmung an Lebensgefährten
 


 

ENDE^^
 

Ich möchte mich recht herzlich bei allen bedanken, die mir je einen Kommentar geschrieben haben, die diese FF in ihren Favos haben oder die einfach nur mitgelesen haben^^

man liest sich^^



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Von:  Lamello
2022-03-17T21:18:25+00:00 17.03.2022 22:18
Ich maaaaaaag deine FF so sehr! Hab sie schon zwei mal gelesen! Du schreibst so schön. So flüssig und nachvollziehbar und logisch und überhaupt! Großes Kompliment!
Von:  -Darkness-
2017-02-25T20:41:57+00:00 25.02.2017 21:41
Huhu Ayla

also zuerst mal muss ich mich bei dir Entschuldigen, ich hab irgendwie verpasst das ich nach dem 4 Kapitel weiter lese -.- und bedanke mich gleich mal für die liebe Widmung im Kapitel 5.

Ja ich hab die ganze Story noch einmal gelesen und ja ich schreibe dir jetzt extra noch mal ein Kommentar, zum Rest der Geschichte. Also wo soll ich Anfangen.... ach ja als ich zuletzt geschrieben haben warum die OP und keinen Gips, das habe ich bin jetzt noch nicht verstanden aber das mit dem Urlaub fand ich eine gute Idee.

Was mich total fasziniert hat war das Yugi immer so voreilig war und nicht nachgedacht hat, es gab ja da einige Situationen wo man als Leser eigentlich wusste um wem es sich hier handelte und unser kleiner Yu das irgendwie in den Falschen Hals bekommen musste XD aber wenn du das nicht so geschrieben hättest, wäre das alles viel zu langweilig geworden.
Alleine wo er dachte das Atemu mit seinen Freund/Liebhaber what ever auf dem Rockfest war. Und dann läuft er auch noch ohne Jacke bei dem Wetter im der kälter umher......

Das mit dem Theater fand ich auch genial, da hat Anzu mal wieder ihre Finger im Spiel gehabt und versuchte zu Kuppeln XD

Das mit der Schokolade zum Valentinstag fand ich auch genial aber am besten war die weiße schleife XD So hat Atemu ihn gezeigt das er jetzt sein ist … wie süß.......

Ich fand die Familienverhältnisse von Atemu auch sehr gut beschrieben, das sein Halbbruder alles für seinen Vater macht und dafür nur Spott und Hohn kassiert ist schon mies aber dennoch hast du die Situation super hinübergekommen.

Äh ja das er bei einer gewissen stelle den Namen Yami und nicht Atemu heraus schreit war ein klein wenig ungeschickt und dann auch noch der Rauswurf..... ist irgendwie verständlich, wer bitte schreit denn schon einen anderen Namen wenn er gerade mit der Liebe seines Lebens.......... (den Rest denk dir bitte ^.~

Auch als Yugi versucht hat ihm die Wahrheit zu erzählen und er ihm nicht geglaubt hat, was du dann daraus gemacht hattest fand ich super, denn ich denke das hat bisher noch keiner so geschafft wie du. Gerade das Atemu versucht hat etwas darüber hinaus zu bekommen, versucht hatte das er seinen Freund zu glaube auch wenn er ihn zu erst für verrückt erklärt hatte.......

Das einzige was mich gestört hat, war das Ende das war irgendwie so Lieblos – sorry – aber das empfinde ich so ^.~

Nicht nur das Yugi den älteren gleich verziehen hat, - ich hätte ihn bestimmt noch schmoren gelassen - nein so hast du dann noch Yue und Aoi kurz in das Ende gebracht..... mir kommt es so vor als wäre die nichts mehr eingefallen und du wolltest es am liebsten zu ende bringen.

Aber dennoch hat mir deine FF super gut gefallen (bis auf den Schluss) und bleibt weiterhin auf meiner Favoriten Seite und meinen E- Reader


Lg Darkness


Von:  mrs_ianto
2016-03-19T19:01:00+00:00 19.03.2016 20:01
Ich bin ein Fan von deiner Geschichte. Inzwischen habe ich sie mindestens 3 Mal gelesen und finde sie immer noch so schön. Dein Schreibstil ist einfach fesselnd und vor lauter lesen konnte ich beinahe nicht schlafen gehen.
Mir gefällt, dass Yugi zwar Yami erkennt, Atemu aber nich tdie ganze Zeit mit ihm vergleicht, sondern sie bemüht ihn kennen zu lernen und sein Feund zu werden.
Yugis Verwirrung und Verzweiflung als er merkt, dass er Atemu liebt hast du gut beschrieben und finde es toll, dass nicht einfach alles toll ist, als die beiden sich ihre Liebe gestehen.
Dass Yugi natürlich gleich im dümmsten Moment Atemu Yami nennt ist unglücklich und dass Atemu Yugi erstmal rauswirft und ihn für verrückt hält, ist eine sehr verständliche Reaktion. Ich finde es aber schön, dass sich am Ende herausstellt, dass sich Atemu doch seine Gedanken gemacht hat und für seinen Yugi sogar nach Ägypten gereist ist.
Die FF hat jetzt einen festen Platz in meinem EBook und in meiner Favoliste.
Von:  bothest
2015-03-22T19:07:50+00:00 22.03.2015 20:07
Hallo!
Ich habe das ganze FF zu Ende gelesen und muss sagen es war ganz toll!☺
Von:  bothest
2015-03-22T18:52:58+00:00 22.03.2015 19:52
Hallo Ayla!
Ich finde dein FF echt großartig und freue mich schon auf das nächste Kapitel
Von:  Yuugi_chan
2014-02-03T18:22:33+00:00 03.02.2014 19:22
Viele 4 und 5er?
Yugi muss aber schauen, dass er sich keine Unterkurse ansammelt wie ein Weltmeister ^^ xD.
Diese FF ist so niedlich :)
Von:  Zocker_Syrus
2011-01-10T22:49:49+00:00 10.01.2011 23:49
Ahhh....ich war so aufgeregt und gleichtzeitig musste grinsen, so geil.
Du schreibst sowas vonm geil....
Ich bin total fertig! XD
Von:  Zocker_Syrus
2011-01-09T21:19:12+00:00 09.01.2011 22:19
AHHHH!! Sowas von Süüß!!!!
Nur das am ende mit dem buch, hatt mich verzweifelt, weil ich gedacht habe, das sie sich jetzt irgendwie gestritten hätten, dabei war es doch so einschöner urlaub! XD
Mir gefällt, wei du schreibst und man möchte garnicht mehr aufhören zu lesen! *-*
Von:  _Aurora_
2010-07-25T19:46:56+00:00 25.07.2010 21:46
Hi,

ich hab eben deine ff zu Ende gelesen und bin total begeistert! Du hast einen wunderbar leichten Schreibstil und ich hab die gesamte ff heute in einem Zug durch gelesen. Traumhaft schön wie sich im Endeffekt alles entwickelt und die Höhen und Tiefen der Geschichte haben mich total gefesselt und mitgenommen. Das ist, wie ich mit absoluter Sicherheit sagen kann die bezauberndste und schönste Yu-Gi-Oh-Fanfiction die ich jemals gelesen habe und ich habe schon einige durch ;). Ich bezweifle, dass ich so schnell wieder eine finden werde die dieser hier das Wasser reichen kann!

Großes Lob!

viele Grüße
wild-cat
Von:  Merylex
2010-07-03T15:13:35+00:00 03.07.2010 17:13
die Geschichte hat mir sehr gefallen.

die Idee mit Yugis Halsband war gut, ich hätte zwar was anderes als ne zigarrenverletzung genommen, fand das ein wenig zu makaber.

Das joey mit seto zusammenkommt hatte ich gehofft doch nach dem gespräch mit Yugi dachte ich schon Seto kann einpacken, darum war ich relativ überrascht als er dann doch was mit Seto angefangen hat. Was ich natürlich gut finde XD.
Schade das Bakura bis zum Schluss niemand hatte, ich hatte irgendwie gehofft er käme mit Aoi oder Yue zusammen.

auch das Atemu sich nun erinnern kann finde ich toll, obwohl du das ein wenig wirr geschrieben hast, mit Hypno und Marik etc.
jedenfalls lese ich gerne mal wieder einer deiner Storys, sie sind echt gut gemacht, nicht so voraussehbar und mit Überraschungen die sich Lohnen auch ein zweites mal gelesen zu werden.


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