Zum Inhalt der Seite

Zwei Seelen, zwei Herzen, eine Liebe

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Dieser Tag Ende Juni war bis dato der heißeste des Jahres. Der Himmel war wolkenlos und die Sonne brannte unbarmherzig herab. Kein Windhauch verschaffte Abkühlung. Zum Glück hatte Oscar dienstfrei und so musste sie sich nicht in ihre enge, schwere Uniform zwingen. Sie trug ein leichtes Seidenhemd und ihre hellgrüne, dünne Hose. Trotz der Hitze beschloss sie, spazieren zu gehen. Sie fühlte sich matt und erschöpft, da sie vergangene Nacht nicht viel geschlafen hatte.

Als sie durch die Tür gehen wollte, wäre sie beinahe über die Hauskatze gestolpert. „He, was machst du denn hier?“ lachte sie. Die schwarz-weiße Katze lag mit allen Vieren von sich gestreckt mitten in der Tür. Oscar ging in die Knie und kraulte sie im Nacken. „Dir ist es draußen wohl auch zu heiß. Keine Lust auf Mäusejagd? Der kühle Marmorboden ist mit Sicherheit angenehmer.“ Dem Tier schien Oscars Sreichelein-heiten zu gefallen, denn schon bald fing es genießerisch an zu schnurren. Lächelnd nahm Oscar die Katze auf ihren Arm und ging mit ihr in den Garten.

Da vernahm sie ein leises, heiteres Pfeifen. Es kam vom Stall. Leise folgte sie der Melodie. Vorsichtig spähte sie um die Hausecke und auf einmal setzte ihr Herz kurz aus. André hatte den Schimmel von Oscar aus dem Stall geholt und strigelte ihn. Nur, wie er da stand... Oscar ließ ihren Blick an ihm auf und ab gleiten, immer wieder. Er trug seine enge, braune Hose, die er sich bis über die Knie hochgezogen hatte, barfuss stand er auf der kleinen Wiese.

Doch ihr Blick blieb an seinem nackten, muskulösen Oberkörper hängen. Er trug kein Hemd und sein schweiß bedeckter Körper glänzte in der Sonne. André stand mit dem Rücken zu ihr, so konnte sie bei jeder Bewegung die Muskeln an seinen Oberarmen und seine Schulterblätter beobachten. Ihr Blick wanderte weiter, über seine breiten Schultern hinunter zu seiner Taille. Da drehte er sich um und klopfte die Bürste aus. Schnell drückte sich Oscar näher an die Hauswand. Wieder spürte sie ihren Puls rasen. Und da sah sie seine Narbe, der Beweis seiner Liebe zu ihr. Sie war noch etwas dunkler, als die restliche Hat, aber sie war schön verheilt. Mit der Zeit wird sie immer mehr verblassen, hatte Doktor RaVon gesagt. André spürte schon ast nichts mehr, doch Oscar tat es immer noch weh. Sie wusste, dass sie der Grund für dien Kampf und die Verletzung war und sie hatte Schuldgefühle.

Oscar schüttelte den Kopf und vertrieb die schlechten Gedanken. Ihr tat es gut zu sehen, dass es André wieder so gut ging.

André wandte sich wieder dem Pferd zu, dass immer unruhiger wurde. Es warf den Kopf hin und her und tänzelte nervös auf der Stelle. Langsam und beruhigend strich er immer wieder über den kräftigen Hals und flüsterte ihm leise Worte ins Ohr, dabei lächelte er zärtlich. Schließlich beruhigte sich der Hengst wieder und ließ sich weiter striegeln. André konnte sehr gut mit Pferden umgehen, er hatte einen sechsten Sinn für diese Tiere. Sie vertrauten ihm, so wie Oscar ihm vertraute. Sie beobachtete seine Hände und automatisch schloss sie die Augen. Sie stellte sich vor wie es wäre, wenn André sie so berühren würde, sie so ansehen würde. Sie stellte sich vor wie es sein musste, seine Haut zu berühren...

Ein kräftiger Biss der Katze in ihre Hand holte sie zurück in die Wirklichkeit. „Ah, du kleines Biest!“ stieß Oscar leise hervor und sofort sprang das Tier von ihrem Arm. Der kleine Schmerz ließ aber sofort nach, als sie ihre Aufmerksamkeit wieder André zuwandte. Er streckte sich und sagte zu dem Pferd: „Ist das heiß heute, fast unerträglich.“ Da griff er nach dem Eimer Wasser, der im Schatten des Stalles stand. Oscar riss die Augen auf, denn im nächsten Moment schüttete sich André das kühle Wasser über den Kopf. „Ahh, tut das gut!“ rief er. Das Wasser bahnte sich seinen Weg über sein Gesicht, seinen Hals, lief über seine Schultern und die Brust. Mit den Händen fuhr er sich durch die nassen haare. Belustigt sah er den Schimmel an, der mit seinem Kopf auf den Eimer deutete. „Nichts da. Du hattest deine Abkühlung heute schon.“ lachte er.

Als Oscar André so sah, merkte sie, dass sie ihn zum ersten mal als Mann ansah und nicht nur als den Freund aus Kindertagen. Ein Kribbeln breitete sich in ihrem ganzen Körper aus und ihr wurde heiß und kalt zugleich. „André...“ hauchte sie leise. Das Kribbeln wurde zu einem Beben, das ihren ganzen Körper erfasste. Diese Gefühle waren ihr so fremd. Sie spürte, wie ihre Knie nachgaben. Mit der rechten Hand stützte sie sich an der Hauswand ab und legte ihr erhitztes Gesicht an den kühlen Stein.
 

Plötzlich legten sich kühle Hände auf ihre Schultern. Erschrocken fuhr Oscar herum und starrte in die freundlichen Augen ihrer Mutter. „Mutter, habt ihr mich erschreckt!“ sagte sie etwas zu laut. Madame de Jarjayes wich einen Schritt zurück. „Entschuldige, das wollte ich nicht. Ich sah dich an der Hauswand lehnen. Geht es dir nicht gut?“ Was sollte sie ihrer Mutter dazu jetzt sagen? Sie konnte ihr nichts von dem Herzrasen, den Hitzewellen oder ihren Träumen erzählen. Oscar atmete tief durch und antwortete: „Doch, mir geht es bestens. Ihr müsst euch keine Sorgen machen, Mutter.“ Erleichtert sah Madame de Jarjayes ihre Tochter an. Doch so wirklich konnte sie ihr nicht glauben. Selten hatte sie Oscar so verwirrt gesehen. „Das freut mich.“ Sie sah kurz an Oscar vorbei, da erblickte sie André, wie er mit nacktem Oberkörper Oscars Pferd putzte. War es etwa André, der Oscar so verwirrte? „Ach, da ist ja André. Er kümmert sich rührend um die Pferde.“ In dem Gesicht ihrer Tochter veränderte sich etwas, als sie das Gespräch auf André lenkte. Oscars Blick wurde mit einem mal sanfter und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Ja, das tut er.“ Stimmte sie ihrer Mutter zu. Diese sah noch einmal zu André. „Er ist wirklich ein hübscher Mann gewor-

den.“ Errötend senkte Oscar den Kopf, erwiderte jedoch nichts. Ihre Mutter fuhr fort: „Ich verstehe nicht, warum e noch keine Frau gefunden hat. Er ist doch schon fast 31 Jahre alt. In Paris müssten ihm die Frauen doch hinterherlaufen. Sogar einige Damen aus Versailles wären ihm gegenüber nicht abgeneigt. Auch habe ich ihn noch nie von einer Frau sprechen hören.“ -Weil er nur mich liebt, dachte Oscar und sie spürte, wie Tränen in ihr aufstiegen. „Das weiß ich leider auch nicht, Mutter. Entschuldigt mich bitte.“ murmelte sie und rannte ins Haus.

Sorgenvoll sah Madame de Jarjayes ihrer Tochter nach. Sie hatte also recht. Seit Andrés Unfall hatte sich Oscar sehr verändert. Ihr entgingen die Blicke nicht, die sie ihrem Freund zuwarf, wenn er nicht hinsah. Sie bemerkte, wie anders, fröhlicher sie war, wenn sie mit André zusammen war. Aber auch wie traurig und bedrückt, wenn er nicht da war.

Was André für Oscar empfand, wusste sie schon seit längerem. Sie hatte es ihm angemerkt. Nun wusste sie, dass ihre Tochter ähnlich fühlte. Er war für sie nicht mehr nur ihr Freund aus Kindertagen und Fechtpartner. -Oscar, mein Kind. Ich wünsche dir nichts mehr, als dass du glücklich wirst. Keinem anderen

Mann würde ich dich lieber geben, als André. Ihr werdet es nicht leicht haben. Euch werden viele Steine in den Weg gelegt werden. Doch ich hoffe, dass ihr eines Tages zueinander finden, diese Hindernisse überwinden werdet und eure Liebe leben könnt-.

Noch einmal sah sie zu André, dann ging sie ebenfalls ins Haus.
 

Oscar rannte die Treppen nach oben und stürzte in ihr Zimmer. Mit immer noch heftig klopfendem Herzen lehnte sich sich von innen an die Tür. -Ich hätte André nicht beobachten dürfen. Diese schwache, weibliche Seite in mir wollte ich doch für immer verbannen. Warum gelingt mir das nicht mehr? Es ist fast so, als hätte sch André in meine Gedanken, meine Träume gebrannt. Ich kann an nichts anderes mehr denken als an André.-

Langsam trat sie auf den Balkon und setzte sich in einen Stuhl. Ihre Beine legte sie auf einen Hocker, den sie an den Stuhl stellte. Oscar schloss die Augen und versuchte, an nichts zu denken. Sie wollte nur die Ruhe genießen und konzentrierte sich auf ihren wieder ruhiger werdenden Herzschlag.
 

Nachdem André die Pferde versorgt und geputzt hatte, wusch er sich den Staub, die Hitze und den Schweiß vom Körper. Als das Wasser zum zweiten mal an diesem Tag an seinem Körper entlang lief, dachte er an Oscar. Er hatte sie den ganzen Tag noch nicht gesehen und doch hatte er das Gefühl, dass sie bei ihm war, dass sie an ihn dachte.

Er zog sich an und lief zu seiner Großmutter in die Küche. Doch statt ihrer fand er Rosalie, die durch den Raum wirbelte. „Rosalie, wo ist meine Großmutter?“ Sofort blieb die junge Frau stehen. „Ah, André. Sie hat sich etwas hingelegt. Die Hitze tat ihr nicht gut. Sie schläft, vor ein paar Minuten habe ich nach ihr gesehen.“ André seufzte. „Sie sollte nicht mehr so viel arbeiten. Immerhin ist sie nicht mehr die jüngste.“ Rosalie lachte. „Sag das mal Sophie. Die lässt sich das Zepter hier nicht so schnell aus der Hand nehmen.“ „Da hast du recht.“ entgegnete André mit einem Grinsen. „André, könntest du bitte Lady Oscar Bescheid geben? In einer viertel Stunde gibt es Abendessen.“ sagte Rosalie, während sie das herrlich duftende Brot aufschnitt. „Natürlich, mach ich.“ Und sofort verschwand er.
 

Er vermutete Oscar ich ihrem Zimmer. So ging er die Treppen nach oben und klopfte an ihre Tür. „Oscar? Oscar, bist du da?“ rief er. Niemand antwortete. Vorsichtig öffnete er die Tür und trat ein. Oscar war nirgends zu sehen. „Oscar?“ rief er noch einmal.

Er sah auf den Balkon. Oscar saß auf einem Stuhl und schlief. Ihre langen, schlanken Beine lagen auf einem Hocker, ihre zarten Hände hatte sie über dem Bauch gefaltet. Zärtlich betrachtete er sie. Ein leichtes Lächeln zierte ihr Gesicht, ihr Mund war leicht geöffnet. Das blonde Haar umrahmte ihr Gesicht wie flüssiges Gold. Gleichmäßig, bei jedem Atemzug hob und senkte sich ihre Brust. Oscar strahlte soviel Ruhe aus. -Sie sieht aus wie ein Engel. Ach Oscar, nach außen bist du immer so unnahbar, gibst dich stark und lässt keine Gefühle zu. Doch ich weiß es besser. In deinem Inneren bist du so zart und verletzlich wie eine Rose.-

Er musste sie berühren. Ganz leicht strich André über ihre Wange, fuhr mit dem Daumen über ihre weichen Lippen.

Fast zu spät bemerkte er, wie ihre Augenlider flackerten. Schnell zog er seine Hand weg, im nächsten Moment öffnete Oscar ihre Augen.

Als Oscar erwachte, blickte sie in das zärtlichste und Gesicht, dass sie jemals gesehen hatte. Sie hatte das Gefühl, in Andrés grünen Augen zu versinken. Und auf einmal spürte sie wieder dieses Zittern und Beben in ihrem Körper. „André...“ Ihre Stimme war noch leicht belegt. Liebevoll lächelte er Oscar an. „Na, ausgeschlafen?“ fragte er. Oscar erwiderte sein Lächeln. „Diese Hitze macht einen richtig müde.“ antwortete sie und nahm ihre Beine von dem Hocker, auf den sich sogleich André setzte. „Da scheinst du nicht die einzige zu sein. Sophie schläft auch.“ „Was? Sophie schläft?“ André nickte. „Rosalie hat sie ins Bett beordert.“ Da musste Oscar lachen. „Es ist schön, dich wieder Lachen zu sehen, Oscar.“ platzte André heraus. Sofort verstummte Oscar und sie sahen sich einen endlos langen Moment nur an.

Oscar dachte wieder daran zurück, wie sie André heute beobachtet hatte, rief sich seine glatte, von Schweiß und Wasser glänzende Haut in Erinnerung. Sein Gesicht ist durch die Sonne etwas dunkler geworden und seine Augen strahlten.

Doch dann räusperte sich André: „Ich... Rosalie bat mich, dir bescheid zu geben, wegen dem Abendessen.“ Verlegen sah Oscar auf ihre Hände. –Hoffentlich sieht André meine zitternden Hände nicht... Bitte André, sieh mich nicht so an...-

„Ja,... ich werde... mir nur noch was frisches anziehen.“ stammelte Oscar und erhob sich von ihrem Stuhl. Plötzlich wurde ihr schwarz vor Augen und in ihrem Kopf drehte sich alles. André erschrak, als er sah, wie Oscar schwankte. Er sprang auf und hielt sie fest. „Oscar! Was ist los?“ fragte er tonlos. Er fasste sie um die Taille und drückte sie fest an sich. Ihre rechte Hand schloss sich fest um seinen Arm. „Nichts. Mir... ich bin wohl zu schnell aufgestanden.“ Schwach ließ sie ihren Kopf an seine Brust sinken und legte den linken

Arm um seine Hüfte. André durchzuckte es wie einen Blitz. Oscar war ihm noch nie so nahe gewesen.

Unwillkürlich drückte er sie noch fester an sich.

Langsam ließ das Schwindelgefühl in ihrem Kopf nach, trotzdem vergrub Oscar ihr Gesicht weiter an Andrés Brust. Sie konnte seinen schnellen Herzschlag spüren. Sein Herz, das nur für sie schlug. Beruhigend, ja fast zärtlich strich André über ihren Rücken. Noch nie hatte sich Oscar so wohl und geborgen gefühlt. Sein Duft hüllte sie ein und trotz der Hitze, die am Abend noch herrschte, bekam sie eine Gänsehaut. Für einen Augenblick schien für beide die Zeit still zu stehen.

„Geht´s wieder?“ flüsterte André und Oscar spürte seinen heißen Atem auf ihrer Wange. sie schlug die Augen auf und realisierte, was sie da gerade tat. Verlegen löste sie sich aus seiner Umarmung. „Ja, mir geht es wieder besser.“ Sie trat einen Schritt zurück und sah zu Boden. André berührte sanft ihr Kinn und zog ihren Kopf nach oben, sodass sie in seine Augen sehen musste. In seinem Blick sah sie nur die Liebe, die er ihr entgegenbrachte. Sie schluckte. „Wirklich?“ hakte er nach. Kaum merklich nickte sie. „Ja. Mir war nur etwas schwindlig. André, ich muss mich jetzt umziehen.“ „Ja, ja natürlich.“

Oscar drehte sich um und ging in ihr Zimmer. Sie musste sich sehr konzentrieren, denn sie spürte, dass ihre Beine zitterten. Auch spürte sie Andrés blicke in ihrem Rücken.
 

Als sie endlich in ihrem Zimmer stand, ließ sie sich zitternd auf ihrem Bett nieder und atmete tief ein und aus. So etwas wie gerade eben, hatte sie noch nie erlebt. –André, was machst du nur mit mir?- Sie war immer stark und zeigte nie Schwäche. Doch in diesem Moment konnte sie einfach nicht mehr stark sein. Sie wollte einfach nur die Nähe dieses Mannes spüren...

André ging es nicht anders. Mit rasendem Herzen sah er Oscar hinterher, bis sie in ihrem Zimmer verschwand. Seufzend drehte er sich um und stütze sich mit beiden Händen an der Balkonmauer ab. Er senkte den Kopf und sah auf den Hof hinunter. Die Katze und der Hofhund lieferten sich einen packenden Kampf um etwas essbares, doch bevor einer der beiden als Gewinner hervorgehen konnte, schnappte sich ein Vogel die Beute und flog davon. Ein leichtes Lächeln zeigte Andrés Gesicht, als er die Szene beobachtete. Doch so schnell dieses Lächeln gekommen war, verschwand es auch schon wieder. Der leichte wind, der aufkam, blies ihm die Haare ins Gesicht, doch es kümmerte ihn nicht. Er spürte immer noch Oscar, spürte ihre Hand, die sich um seine Hüfte legte. Ihren Kopf auf seiner Brust. Nie hätte er gedacht, dass sich Oscar, die immer so starke Oscar sich von ihm so umarmen lassen würde, dass sie solche Gefühle zulassen würde. Früher hätte er für so etwas ihren kräftigen Schlag zu spüren bekommen, aber jetzt...

André musste sich zwingen, nicht in ihr Zimmer zu gehen und sie wieder in seine Arme zu nehmen. Es war nicht das erste mal, dass er eine Frau im Arm hatte. Allerdings ist es auch nur zwei mal passiert und das letzte mal liegt schon sechs Jahre zurück. Doch er hatte damals nichts gespürt. Zuvor hatte er ziemlich viel getrunken und wollte einfach nur seinen Schmerz stillen. Als er gerade Oscar in seinen Armen hielt, fühlte er umso mehr.

Er hob den Kopf und atmete tief durch. Der Wind befreite nun sein Gesicht von seinen Haaren und er beobachtete die Vögel, die in einem großen Schwarm davonflogen. –Manchmal wünschte ich, ich könnte auch einfach so weg fliegen, alles hinter mir lassen. Doch dann müsste ich Oscar verlassen, und das könnte ich nicht.-

Da rief Oscar: „André, kommst du? Meine Eltern warten sicher schon.“ André drehte sich um und nickte. „Ja, ich komme.“

Gemeinsam gingen sie nach unten. Kurz vor der Tür zum großen Speisesaal blieb Oscar stehen. „Danke, André.“ Sagte sie leise. Sanft legte er ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zu sich. „Wofür?“ fragte er ebenso leise. Scheu sah sie ihn an. –Hört dieses Zittern denn nie auf, sobald ich ihn ansehe?- „Für vorhin. Dass du da warst.“ André hob seine rechte Hand und wollte ihre Wange berühren. Doch er hielt sich zurück. „Ich bin immer für dich da, Oscar.“ Es war kaum mehr als ein Flüstern. Sie nickte leicht, drehte sich langsam um, öffnete die schwere Holztür mit den Goldverzierungen und betrat den Speisesaal.

Ihre Eltern saßen schon am Tisch, ihr Vater an der Stirnseite, ihre Mutter rechts daneben. „Da bist du ja endlich. Wir warten schon.“ General de Jarjayes merkte man an, dass er nicht sehr erfreut über die Verspätung seiner Tochter war. Auch wäre er nicht erfreut gewesen, hätte er gewusst, was sich vor ein paar Minuten auf Oscars Balkon abgespielt hat.

Schnell setzte sich Oscar ihrer Mutter gegenüber. „Es tut mit leid, Vater. Ich bin eingeschlafen.“ „Eingeschlafen! Mitten am Tag. Das darf doch nicht wahr sein! Oscar, du bist… Doch bevor der General weiterreden konnte, legte seine Frau die Hand auf seinen Arm. „Nicht, Liebster. Sie hat es ja nicht mit Absicht getan. Und nun lasst uns essen.“

Erleichtert stellte Oscar fest, dass ihr Vater die ganze Sache nun auf sich beruhen ließ und zwei Minuten später brachten Rosalie und André das Essen. Als Vorspeise gab es eine Bouillabaisse, Chateaubriand bildete den Hauptgang und als Dessert wurde Quiche Lorraine serviert. Doch Oscar hatte keinen Appetit. Sie stocherte in ihrem Teller rum und auch den Erzählungen ihrer Eltern aus Versailles hörte sie nur halb-

herzig zu. Ihre Gedanken kreisten nur um André und den Vorfall auf ihrem Balkon. Gedankenversunken starrte sie zum Fenster raus und jedes Mal, wenn André den Raum betrat, zuckte sie zusammen. Sie beobachtete ihn, seine Bewegungen, seine Mimik. Einmal trafen sich ihre Blicke und als ob er sie bei etwas verbotenem ertappt hätte, sah sie schnell auf ihren Teller.

So bemerkte sie auch nicht die besorgten Blicke ihrer Mutter. „Oscar, du isst ja gar nichts. Geht es dir nicht gut?“ „Doch, doch Mutter, mir geht es gut.“ Aus den Augenwinkeln beobachtete Oscar ihren Vater. Ärgerlich zog er die Stirn kraus. „Du bist schon seit Wochen so merkwürdig, sprichst kaum noch was. Und das sehe ich mir nicht länger an! Sogar in Versailles wirkst du abwesend und unkonzentriert. Ich hatte gestern ein längeres Gespräch mit General Bouillé. Er ist in letzter Zeit etwas unzufrieden mit dir.“ Oscar erschrak über den zornigen und lauten Tonfall ihres Vater und sah ihn an. „Es tut mir leid, Vater. Es wird nicht wieder vorkommen.“ „Das hoffe ich. Du bist Kommandant des königlichen Garderegiments. Du kannst es dir nicht leisten, unaufmerksam zu sein. Man könnte meinen, du hast was ausgefressen oder, so merkwürdig es auch klingen mag, du wärst verliebt. Würdest du mir also bitte erklären, was mit dir los ist!“

Bei diesen Worten fuhr Oscar zusammen und ließ ihre Gabel scheppernd in den Teller fallen. Auf einmal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Das Zittern, die Träume, das Beben, die Hitze...

„Oscar! Würdest du mir bitte antworten?!“ General de Jarjayes wurde wütend. Doch Oscar starrte nur in ihren Teller, sie konnte nichts sagen. Ihr wurde mit einem mal alles klar und sie hatte Mühe, die Tränen zurück zu halten.

André, der hinter Madame de Jarjayes getreten war, beobachtete Oscar. Ihm war aufgefallen, wie sich ihr Gesicht bei dem Wort „verliebt“ veränderte. Er sah, wie sie ihre Hände zu Fäusten ballte und mit ihrer Fassung rang.

Oscar spürte seine Blicke. Plötzlich hielt sie es nicht mehr in diesem Raum aus und stand ruckartig auf. Der Stuhl fiel krachend zu Boden. Das machte den General noch wütender. Doch bevor er etwas sagen konnte, rannte Oscar aus dem Zimmer. Ihre Eltern und André starrten ihr hinterher. „Oscar! Oscar, bleib sofort stehen!“ hörte sie ihren Vater schreien. Sie aber rannte immer weiter und nun kamen die Tränen. Sie war sich ihrer Gefühle endlich sicher. Ja, sie liebte André.

In den letzten Wochen hatte dieses Gefühl mehr und mehr Besitz von ihr ergriffen und füllte sie nun vollständig aus. Ihr wurde bewusst, dass sie sich anfangs dagegen gesträubt und versucht hatte, all die Reaktionen und Empfindungen, die André in ihr hervorrief zu unterdrücken. Bis jetzt hatte es auch funktioniert.

Schnell rannte sie zum Stall, riss keuchend die Tür auf und lief auf ihr Pferd zu. Das Plötzliche und Laute Auftauchen Oscars erschreckte das Tier, es legte die Ohren an, rollte mit den Augen und riss den Kopf nach oben. Nervös tänzelte es in seiner Box und schnaubte. „Ruhig, ist ja gut. Ich wollte dich nicht erschrecken.“ flüsterte Oscar ihm zu und legte sanft ihre Hand auf seinen Hals. Beruhigend strich sie über das weiße Fell, wie es André am Nachmittag getan hatte.

André... Vor ihren Augen sah sie ihn, ohne Hemd, seine Hände, die sanft den Hals des Pferdes streichelten. Doch auf einmal strich André nicht mehr über das Fell des Tiere, sondern über ihren Rücken, drückte sie ganz nah an seine Brust.

Erschrocken über ihre Gedanken schüttelte sie den Kopf. Hastig drehte sie sich um und mit fahrigen Bewegungen zäumte sie ihr Pferd auf. Für den Sattel blieb keine Zeit mehr, denn wie sie ihren Vater kannte, wird er sofort André geschickt haben, um sie wieder zurück zu holen. Und sie wollte weder mit ihrem Vater, noch mit André sprechen. Diese Situation war neu für sie und überforderte sie. Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte.

Oscar führte das Pferd auf den Hof, schwang sich auf den blanken Rücken und galoppierte davon. Sie musste in Ruhe über alles nachdenken. Über sich, über Andre, über ihr Leben.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück