Nur noch fünf Minuten...
Kapitel 2:
"Nur noch fünf Minuten..."
"Du siehst aus wie ne Leiche." Gillian sah Draco vorwurfsvoll an. Dieser rieb sich gähnend die Augen, strich sich die hoffnungslos verstrubbelten Haare nach hinten und sah auf. "Wasmeinsu...?" Draco war noch nicht richtig wach. Er hatte die Nacht nicht gut geschlafen, war mehr als einmal aufgeschreckt und konnte danach nur noch schwer wieder einschlafen. Er seufzte und quälte sich mühsam aus dem Bett. "Bilde ich mir das ein oder ist es kälter als gestern..." Tatsächlich kam ihm der große Schlafraum um einige Grade kühler vor. Gillian schüttelte den Kopf. "Das... bildest du dir ein. Na komm. Wir haben Pflege magischer Geschöpfe." Mit diesen Worten ließ Gillian Draco allein zurück und verließ den Schlafsaal. Draco legte die Stirn in Falten und begann seine Schuluniform anzuziehen. Eine leichte Gänsehaut machte sich auf seiner blassen Haut breit. Fröstelnd packte er seine Schultasche, schulterte sie und trat in den ebenso kalten Gemeinschaftsraum. Am Torbogen warteten Gillian, Daken, Marcus und Blaise schon auf ihn.
Das Wetter hatte sich im Vergleich zum Vortag schwer gebessert. Zwar war der Himmel immer noch grau bewölkt, doch es regnete nicht mehr, als die Drei den Rasen hinunter zum verbotenen Wald schritten. Charlie wartete schon breit lächelnd auf die Klasse. "Willkommen! Kommt ruhig näher, keine Angst. Also ich bin Professor Weasley, freut mich sehr euch alle kennen zu lernen. Also... Wer ist alles da...? Brown?" Lavender, die bei den anderen Gryffindors stand, hob die Hand. Als schließlich Blaise nach Aufruf seines Namens die Hand gehoben hatte, klappte Charlie die Klassenbücher lächelnd zu und wandte sich einem kleinen viereckigen Tisch zu, auf dem ein Kästchen mit kleinen runden Kugeln lag. "Kann mir jemand sagen, was das ist?" Blaise hob die Hand, Hermines schnellte nur wenige Sekunden später nach oben. "Oh." Charlie hob überrascht eine Augenbraue. "Gut. Beide. Zabini, fang bitte an." Blaise räusperte sich. "Das sind Feeneier. Feen sind Wesen mit geringer Intelligenz, äußerst eitel und streitsüchtig. Sie können nicht reden sondern verständigen sich mit hohen Summtönen. Feen legen bis zu 50 Eiern auf die Unterseite von Blättern. Daraus schlüpfen dann hell gefärbte Larven, die sich im Alter von 6-10 Tagen einspinnen. Die voll entwickelte Fee schlüpft dann nach etwa einem Monat." "Sehr gut!" unterbrach Charlie ihn sanft. "Zehn Punkte für Slytherin. Granger, weiter bitte." Hermine nickte. "Feen werden häufig als Dekoration heraufbeschworen. Sie leben meist in Waldgebieten, Augureys sind ihre natürlichen Feinde. Sie sind menschenähnlich, haben jedoch insektenartige Flügel, die je nach Feenrasse durchsichtig oder bunt sind." "Schön. Und Zehn Punkte für Gryffindor. Richtig, dass sind Feeneier. Ich dachte wir machen so eine Art Projekt daraus. Jeder nimmt sich ein Ei und zieht es in den folgenden Wochen auf. Derjenige, dessen Fee als erste schlüpft, erhält 50 Hauspunkte sowie eine kleine Überraschung." Charlie winkte die beiden Klassen fröhlich heran. Draco zog es vor mit seiner Clique noch zu warten, bis der erste Ansturm vorüber war. "Woher weißt du eigentlich soviel über Feen?" Gillian starrte Blaise neugierig an. Dieser schüttelte seufzend den Kopf. "Ich lese halt." entgegnete er kühl und trat nach vorne an das Tischchen. In dem Kästchen lagen nur noch 3 Eier. Blaise betrachtete sein eigenes, leicht hellgrün schimmerndes. "Ihr müsst sie warm halten. Wer sein Ei verliert oder kaputt macht, erhält kein Neues! Futter könnt ihr euch bei mir holen. Damit ist die Stunde beendet!" Charlie packte das leere Kästchen ein, zwinkerte Draco und seiner Gruppe kurz zu und verschwand dann Richtung Schloss. "Hm. Was haltet ihr davon?" murmelte Gillian und hielt sein Ei ins Sonnenlicht. "Ich finde es interessant. Aber wenn du so weiter machst, ist es gleich kaputt." Blaise ordnete seine Bücher sorgsam in seine Tasche und verstaute das empfindliche Feenei in einer kleinen Dose. "Fehlt nur noch dass er sie chronologisch und nach Seitendicke ordnet..." murmelte Gillian, der Blaise beim Tasche packen beobachtet hatte.
Draco hatte sich etwas abseits seiner Freunde hingestellt und blickte Ron nach, der munter mit Harry schwatzend hoch zum Schloss ging. Wann hatte das ganze eigentlich angefangen? Er versuchte zurück zu denken. War es im letzten Jahr? Ohne es je zugegeben zu haben war er neidisch auf Potter. Potter, den Goldjungen. Potter, der -richtige- Freunde hatte. Hätten Crabbe und Goyle jemals etwas für ihn getan, wenn er es ihnen nicht befohlen hätte? Ein Grinsen huschte über Dracos Lippen. Er wandte den Kopf zur Seite und sah zu Gillian und Blaise, die jetzt über die Notwendigkeit von Ordnung stritten und zu Daken und Marcus, die nach ihrem Unterricht zu ihnen gekommen waren, um sie abzuholen und sich nun genervt den Kopf hielten. War die Tatsache, dass er jetzt richtige Freunde hatte, der Grund, warum er Interesse an Ron hatte? Und dabei wusste er nicht einmal genau, was er eigentlich fühlte. Draco senkte den Kopf wieder und starrte auf die Grasbüschel zu seinen Füßen. Warum musste die Welt so schrecklich kompliziert sein...?
"Leihst du mir mal dein "Verwandlung für Fortgeschrittene, Band 5"?" Daken streckte den Arm quer über den kleinen Tisch und griff ohne Blaises Antwort abzuwarten nach dem Buch. Draco hing konzentriert über einem bereits 8' Zoll langem Aufsatz über die komplizierte Verwandlung von Menschen in Tiere und die dabei wichtige Unterscheidung zu Animagi. "Wetten, das kommt in den nächsten Stunden dran?" Gillian tippte ihn mit dem Ellenbogen an. Draco knurrte, zog seinen Zauberstab und tippte auf den quer über das Pergament gehende Strich, den er Gillians Stoß zu verdanken hatte. "Glaube nicht. Wir hatten das erst in der 6." Marcus lehnte sich zurück. Draco zuckte mit den Schultern, warf Gillian noch einen vernichtenden Blick zu und beugte sich wieder tief übers Pergament. "Ja, aber wir haben doch dieses Jahr ZAGs." warf Blaise ein und kaute nachdenklich an dem Ende seiner Feder. "Das ändert daran doch nichts, Kleiner. Na ja, wir werden's sehen. Ich mach mich dann mal an die Planung fürs Quidditch-Training." Marcus stand auf, packte seine Sachen zusammen und verließ die Bibliothek. "Ahh... Wenigstens ein Vergnügen in diesem Schuljahr." Gillians Augen glänzten. "Dieses Jahr ziehen wir Gryffindor ab!" "Und selbst wenn müssen wir noch Ravenclaw und Hufflepuff schlagen..." nuschelte Blaise, die Nase nah an dem Pergament. "Locker doch." rief Daken überschwänglich und sah einer ihm wütend ansehenden Gruppe Hufflepuffs nach, die hinter den nächsten Bücherregalen verschwanden. "Wie dem auch sei..." Daken zog einen Schokofrosch aus seiner Tasche und riss das Papier ab. "Hey!" Gillian, der mit dem Stuhl gekippelt hatte, fiel fast nach hinten um als sein Bruder so aufschrie. "Nr. 485, Brunhilde, die Krötige!" Er grinste breit. "Leute, ich geh zu Dumbledore. Mal sehen was er dafür gibt. Nimm meine Sachen mit." Ehe der angesprochene Gillian etwas erwidern konnte war sein Bruder aus der Bibliothek gestürmt.
Als die drei eine halbe Stunde den Slytherin-Gemeinschaftsraum betraten fröstelnden sie. "Uah... Scheiße, ist das kalt!" Draco zog seinen Umhang fester um die Schultern. "Was denken die sich eigentlich dabei?" "Ähm... Hilfe?" Draco und Gillian, die beide schon im Gemeinschaftsraum standen, drehten sich um - und begannen laut loszulachen. Blaise hatte es nicht schnell genug durch die Mauer geschafft und diese hatte nun seinen Umhang zwischen ihren Steinen eingeklemmt. Gillian wischte sich über die Augen. "Ach Blaise, du Schnecke. Reinblüter!" Die Wand knirschte. Gillian hob fragend eine Augenbraue, trat zu der Wand und tippte sie mit dem Finger an. "Reinblüter!" Resigniert ging die Wand gerade so weit auf, dass Blaise seinen Umhang rausziehen konnte. Blaise schüttelte mit leicht roten Wangen den Kopf. "Hier hat auch alles ein Eigenleben...Dämlicher Bogen!" Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, öffneten sich die Steine und krachten laut wieder zusammen. Blaise machte einen Satz rückwärts und stolperte mit weit aufgerissenen Augen in Gillians Arme. "Du solltest sie vielleicht nicht beleidigen. Hey, Dray!" Gillian ließ Blaise los und drehte sich zu Draco um, der sich auf einem der Sofas nieder gelassen hatte. "Also? Sind deine Gefühle jetzt klarer?" Draco biss sich auf die Unterlippe. Warum fing er schon wieder damit an? Heftig schüttelte er den Kopf. "Hör mal..." Gillian setzt sich neben ihn. "Ich kann verstehen, dass du Angst hast. Gerade auch wegen deinem Vater..." "Mach mir nur Mut." zischte Draco. Gillian lachte auf. "Nein, so war das nicht gemeint. Aber sag mal... Was macht dich so unsicher?" Draco kaute auf seiner Lippe rum. Ja, was eigentlich? Er überlegte kurz, eher er wieder anfing zu reden: "Ich weiß es nicht... Ich mein, er ist Potters bester Freund, er... Da hast du's doch schon! Er! ER! Er ist ein Junge! ... Und ich auch. So etwas... geht doch gar nicht..." "Natürlich geht das. Draco, die Liebe macht vor so etwas lächerlichem wie dem Geschlecht keinen Halt. Der Liebe ist es egal ob Junge oder Mädchen, Alt oder Jung, Schüler oder... Lehrer." Draco konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Obwohl Gillian es seit Monaten vehement abstritt, wirkte Snapes Gegenwart auf ihn besser als jeder Wabbelbein-Fluch. Vor seinen Freunden konnte er nicht verheimlichen, dass er reges Interesse an dem Zaubertrank-Lehrer hatte und dieses Interesse beruhte, zu Gillians Glück, auf Gegenseitigkeit. Überhaupt war Draco über Gillians Anwesenheit mehr als dankbar. Er kam gegen Ende des letzten Schuljahrs vor der 3. Aufgabe des Trimagischen Turniers plötzlich auf ihn zu und sprach ihn an. Er habe ihn beobachtet und sei der Meinung, dass Gorillas kein richtiger Umgang für so einen hübschen Jungen wären. Ob er nicht lieber zu seiner Clique kommen wollte? Draco konnte im Nachhinein nicht sagen ob es Gillians Dreistigkeit war oder das freundliche Lächeln, mit dem er ihn ansah. Er bereute sein Zustimmen nicht. Gillian war sein bester Freund und erster Ansprechpartner, wenn es Probleme gab. Draco nickte sich selbst zu. Mit Gillian konnte er reden und auch Blaise, der wieder in seinem Buch versunken war, war keine Belastung. "Meinst du...? Aber... selbst wenn ich etwas für diesen Weasley empfinden sollte... Ich glaube nicht, dass das, so wie bei dir, auf Gegenseitigkeit beruht. Er hasst mich." Gillian schüttelte den Kopf. "Sag das nicht. Manchmal müssen Menschen erst merken, was sie an dem Gegenüber haben. Hm? Wo soll bei mir was auf Gegenseitigkeit beruhen?" Gillian stieß Draco in die Seite. "Noch so ein Kommentar und du solltest aufpassen, was du trinkst!"
Draco rannte durch die Hogwarts-Flure. Es war totenstill um ihn herum, nicht einmal seine Schritte waren zu hören. Er wusste nicht wo er hinrannte, konnte nur abwarten, wohin sein Körper ihn trug. Die Rüstungen und Bilder, an denen er vorbeikam, sahen ihm mit kalten Augen nach. Er hörte ein unangenehmes Gelächter in seinen Ohren, es waren eine männliche und eine weibliche Stimme, die er jedoch nicht zuordnen konnte. Allmählich wurde sein Tempo langsamer, er ging nur noch, bis er schließlich vor einem großen goldenen Portrait stehen blieb. Eine fette Dame, die ihn unter ihrer schwarzen Kapuze hervor ansah, zischelte böse. "Passwort?" fragte sie. Draco merkte wie ein Wort aus seinem Mund kam, schaffte es jedoch nicht es zu hören, geschweige denn es sich zu merken. Aber es musste wohl richtig gewesen sein, denn die fette Dame schwang auf und ließ ihn ein. Unsicher stieg Draco in einen kleinen engen Flur, er blinzelte, konnte am Ende des Flures einen roten Lichtschein erkennen. Seine Beine setzten sich wieder von alleine in Bewegung, trugen ihn gerade zu in den Lichtschein hinein. Um ihn herum war es rot. Draco sah sich um, konnte einzelne Gryffindor-Schüler ausmachen. Und da, vor ihm, saß Ron auf einem goldenen Thron, links und rechts von ihm saßen Harry und Hermine. Draco wollte etwas sagen, doch wie schon bei dem Passwort merkte er zwar -das- er etwas sagte, konnte aber nicht hören was. Was er dafür umso deutlicher hörte war das gellende Gelächter, in das Ron ausbrach. Unangenehm schrill hallte es in seinen Ohren, sein Kopf schmerzte, doch er brachte es nicht über die Hand zu heben, um sie auf seine Stirn zu legen. Er konnte einfach nur stumm dastehen und das Lachen über sich ergehen lassen. Und so plötzlich wie Ron begonnen hatte, hörte er auch wieder auf. Er sah ihn lange an, dann streckte er den Arm wortlos aus. Harry und Hermine erhoben sich, packten Draco unter den Armen und zerrten ihn wieder in Richtung des kleinen Flures. Draco öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne dass er auch nur einen Ton hörte. Als sie am Portrait angelangt waren, stockte ihm der Atem. Da, wo eben noch der lange Hogwarts-Flur gewesen war, klaffte jetzt ein dunkler, schwarzer Abgrund. Er versuchte noch etwas zu sagen, suchte nach einem Halt, doch ehe er auch nur einen Mucks von sich geben konnte, hatten Harry und Hermine ihn bereits hinab gestoßen...
