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Blur - Ancient Curse

[Aoi & Kai] [Ruki & Uruha] [Karyu & Zero] [MC] [Singlework]
von

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Prolog

Autor: Arani Shadon 

Titel: Blur

Untertitel: Ancient Curse

Kapitel: 1/?

Serie: /

Band: the GazettE, Dir en grey, D'espairsRay

Pairing: Aoi&Kai; Ruki&Uruha; Karyu&Zero

Genre: fantasy, magic, parallel worlds, ooc, action, slash, blood, angst, dark 
 

Widmung: Rinsachi. Dafür, dass du so lange gewartet und trotzdem nie die Hoffnung aufgegeben hast.
 

Prolog
 

Kai wusste, dass er träumte.

Er machte dies an zwei Dingen fest.

Erstens besaß er keine Kleidung dieser Art.

Sie war in einem strahlenden Weiß und ähnelte in ihrer Art einem langen Nachthemd oder dergleichen. Im Grunde musste Kai wohl reichlich lächerlich damit aussehen, aber weil das hier sein Traum war und ihn sonst niemand sah, ging es in Ordnung, dass er so herum lief.

Die zweite Tatsache war, dass er barfüßig lief. Er trug immer Schuhe, Socken oder etwas anders, um seine Füße zu bedecken. Das machte er in seinem zu Hause so und er würde ganz sicher nicht in dieser fremden Welt damit aufhören.

Aber wenn man von diesen beiden Fakten absah, fühlte sich dieser Traum verdammt real an. Die Gräser und Blätter die er mit den Fingerspitzen streifte waren mit feinen Tautropfen bedeckt. Sie waren milchig weiß und glänzten perlmutt, doch Kai hatte sich daran gewöhnt, dass in Kistara die Farben und Formen nicht gerade der Norm entsprachen.

Er sah hinauf in den Himmel, doch die Wipfel der Bäume verdeckten jegliche Sicht; ihre Äste und Nadeln schlossen sich in einer einzigen Front und starrten irgendwie gruselig auf ihn herab. Kai schauderte. Kurz debattierte er mit sich selsbt, ob er versuchen sollte, auf einen dieser Riesen zu klettern. Er verwarf den Gedanken.

Real oder nicht, er würde da sicher herunter stürzen und wie ihm der gerade eingetretene Splitter bewies, schmerzte sein Traum recht heftig. Mit einem leisen Fluch zog er den kleinen Dorn aus seiner Ferse, schnippte ihn davon und schaute nach der Wunde. Sie war keiner Rede wert, blutete nicht einmal, weswegen sie entschlossen ignoriert wurde.

Kai lief weiter, suchte nach einem Grund, der ihn hier her gebracht hatte, doch nichts. Rechts und links erstreckte sich der seltsame Wald, hinter ihm verlor sich der Weg, den er entlang ging und vor ihm tauchte er nur stückchenweise auf.

Ob er in irgendeine magische Falle gelaufen war?

Ruki hatte ihm gesagt, dass es unzählige gab und er sich deswegen immer in der Nähe Aois oder einer seiner Generäle aufzuhalten hatte.

Aber das konnte nicht sein, denn Kai war in den Armen seines Geliebten eingeschlafen und hatte sich an die Weisung des Elfen gehalten.

Wurde er entführt?

Er schnaubte leise und schüttelte den Kopf. Das war auch nicht möglich, Aoi hätte dies nicht zugelassen. Sein Dämon war ziemlich aggressiv, was seine Besitzansprüche anging. Er machte wahrlich keinen Hehl daraus, dass Kai ihm und nur ihm gehörte und dass es niemand zu wagen hatte, sich auf mehr als zwei Meter zu nähern. Zumindest dann, wenn man kein General war. Und auch diese tolerierte Aoi mal mehr und mal weniger. Er war schon sehr hitzig, sein Aoi.

Kai schmunzelte für sich und hielt seine Gedanken bei diesem Thema, derweil er Schritt um Schritt tat. Er verspürte keinerlei Müdigkeit, obgleich er nun sicher schon einige Stunden gelaufen war. Sein Umfeld hatte sich in keiner Weise verändert und gerade als Kai sehr an sich und seinem wirklich seltsamen Traum zu zweifeln begann, teilten sich die Bäume um ihn herum.

Obwohl teilen das falsche Wort war. Sie verschwanden einfach, lösten sich auf und glitten mit dem Hauch eines Silberstreifs davon. Erneut legte Kai den Kopf in den Nacken, um ein Stück des Himmels zu erhaschen. Es blieb ihm nach wie vor verwehrt. Dafür erkannte er schlagartig den Ort, an dem er sich befand. Er war hier angekommen. Rechts von ihm lugte die gigantische Rutsche aus dem Dickicht und die Farne und Gräser strahlten ebenso intensiv, wie an dem Tag, an dem er ihnen das erste Mal begegnet war.

Und wenn er sich nun herum drehte, dann würde Ruki vor ihm stehen und mit einem Blick anstarren, der ihm die Haut bei lebendigem Leib von den Knochen ziehen konnte.

Doch als sich der Dunkelhaarige herum drehte war kein Elf da – lediglich schwere Stille begegnete ihm.

Und eine Öffnung im Unterholz. Sie lockte ihn näher zu kommen. Verführte ihn unwiderstehlich. Kai konnte dem nichts entgegensetzen, seine Füße agierten wie von selbst und ehe er richtig verstand, war er genau vor der Öffnung.

Im Grunde war es keine Öffnung. Es wirkte eher wie eine Wasserlache oder Pfütze, nur das diese senkrecht in der Luft schwebte und immer wieder in leichte Bewegung geriet, sobald ein Hauch Wind über sie floh. Sie verzehrte Kais Abbild, veränderte ihre Farben von blassen wasserblau zu grün, zu violett und schließlich zu anthrazit. Sie verhärtete sich, wurde dicker und glich nun einem flachen, glatten Stein, den jedes Kind zum Wasserspringen lieben würde, wenn er nur etwas kleiner wäre.

Kais Hand hoben sich – Neugier war wirklich aller Katzen Tod.

Die Oberfläche fühlte sich kühl an und es kribbelte dort, wo seine Fingerkuppen auflagen.
 

»Gefällt dir dein Grab?«
 

Ob der plötzlichen Stimme erschrak der Dunkelhaarige so sehr, dass er rückwärts strauchelte, über seine eigenen Füße stolperte und sich am Ende nach schwungvollem Fall auf seinem Rücken wiederfand. Bei dieser Gelegenheit hatte er sich auch den Kopf angeschlagen und wurde so fröhlich daran erinnert, dass dieser Traum in der Tat höllisch wehtun konnte. Er stöhnte leise, obwohl es mehr ein Fluch hätte werden sollen und kämpfte sich auf seine Ellenbogen.

Über dem steinähnlichen Kreis oder eher auf diesem saß die Quelle seines Schreckens.

Die Gestalt war verschwommen und Kai blinzelte, um sie in einen richtigen Fokus zu bekommen. Es war sinnlos.

Der Anblick seines Gegenübers veränderte sich nur minimal, verschwamm mal mehr und mal weniger, weswegen der Gefallene dessen Gesicht nur erahnen konnte. Seine Gestalt war schlank und er vermutete, dass sie ungefähr die gleiche Größe teilten, obgleich dies dank der Position des Anderen schwer zu definieren war.

Das Haar schien länger, braun und war möglicherweise gewellt. Die Augen konnte er nicht sehen, doch er fühlte den intensiven Blick. Darüber hinaus schien der Fremde eine Art Rüstung zu tragen – sie hingegen war erstaunlich klar zu erkennen.

Das, was er von Brust, Armen und Beinen sehen konnte, glich Leder, das wie die Schuppen einer Echse oder Schlange angeordnet war. Die Stiefel schienen ebenfalls ledern, doch darüber waren Schienen aus silbrig glänzendem Material fixiert, die ein auffälliges Ornament inne hielten. Es erinnerte Kai an die Flügel eines Vogels. Das gleiche Muster spiegelte sich an den Stulpen, die sich bis auf den Handrücken erstreckten. Rechts trug die Gestalt einen dunklen Handschuh – Kai nahm an, damit sie Waffen führen konnte – links hingegen erstreckte sich ein Geflecht an Silber, das in filigranen, schwarzen Krallen endete. Es war den Fingerringen seiner Welt nicht unähnlich, doch er vermutete, dass die Krallen nicht zum Schmuck getragen wurden, sondern um Schaden anzurichten. Tödlichen Schaden, ohne Zweifel.

Kai hatte derartiges noch nie gesehen.

Und wenn er ehrlich war, kroch ihm das Herz gerade den Hals hinauf und er würde es jeden Moment erbrechen.

Eine leises Wimmern löste sich aus seiner Kehle, als die Gestalt sich bewegte; sie sprang graziös von dem Stein und landete lautlos vor ihm im Gras, kam dann auf ihn zu, derweil Kai versuchte in Panik rückwärts zu krabbeln, um mehr Anstand zwischen sie zu bringen.

Es war sinnlos.

Innerhalb weniger Momente war der Fremde bei ihm, stoppte ihn in seinen Bewegungen, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte.

Kai fühlte eine jede der Krallen auf seiner Haut aufliegen – es war genug um ihn eine Starre zu bringen in welcher er nicht einmal zu tief einzuatmen wagte.

Alles das er tun konnte war, in das Gesicht des Anderen hinauf zu starren – es war noch immer verschwommen, doch er konnte grüne Iriden ausmachen, die ihn fixierten, als wäre er das Aperitif zu einem Festmahl.

„Wer...“, die Stimme versagte ihm und Kai leckte sich über die trockenen Lippen, „Wer bist du? Was willst du von mir?“

Die Lippen der Gestalt schienen sich in einem beunruhigenden Lächeln zu heben.
 

»Ich bin dein Untergang.«
 

Die Hand mit den Krallen bewegte sich und ein haarfeiner Riss entstand auf Kais Kehle.
 

»Und ich will, was nur du mir geben kannst.«

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Kai erwachte mit einem erschrockenem Schrei.

Der Blick verschwommen und seine Instinkte immer noch auf Flucht ausgerichtet, verfing er sich mit den Beinen in seiner Bettdecke und stürzte einen Moment später aus dem Bett.

„Kai?“

Die Stimme seines Geliebten klang weit entfernt, doch sie genügte, dass er aufhörte zu kämpfen – Aoi war da, er würde ihn beschützen. Wenig später fühlte er die Hand des Dämonen auf seiner Wange, dann verlor er den Boden unter sich, wurde getragen und auf einem der großen Sessel platziert, die vor den Fenstern standen.

„Kai. Sieh mich an.“

Er versuchte dem nachzukommen – irgendwo rasselte Atem und es brauchte, bis er begriff, dass er selbst es war, der dieses Geräusch machte. Er hielt die Luft einen Moment an, schluckte schwer, blinzelte dann. Aois schwarze Augen materialisierten sich vor ihm – sie waren mit Sorge behaftet, welche sich auch in der Hand widerspiegelte, die über seine Wange streichelte.

„Kai. Sag etwas.“

„Ein... ein Albtraum.“

Seine Stimme klang heiser und Aoi nickte, reichte ihm vom Tisch ein schlankes Glas, welches mit Wasser gefüllt war.

„Das ist mir nicht entgangen. Hast du dich beruhigt?“

Kai nickte leicht und Aois Lippen hoben sich in dem Lächeln, das nur für ihn reserviert war.

„Sehr gut. Erzähl mir was passiert ist?“

Es war als eine Frage formuliert, aber im Grunde war es ein Befehl – nicht, dass Kai sich gegen Aoi gewehrt hätte, trotzdem zögerte er einen Moment. Es war lang genug, dass Aoi sich erhob und ihre Position so veränderte, so dass Kai am Ende wie ein kleines Kind auf dem Schoss des Dämonen saß, welcher seinen Kopf mit einer Hand so führte, damit Kai ihn gegen Aois Schulter lehnen konnte.

Es war seltsam beruhigend so zu sitzen.

„Also?“

Der Braunhaarige nickte seicht, hielt sich leicht an dem Älteren, als er sich die Bilder seines Traumes in Erinnerung rief. Ein Beben löste sich und ließ ihn schaudern.

„Ich war in einem Wald. Er war unheimlich, alles war so verdammt still. Nicht ein Tier, oder Vogel.“ Jetzt, wo er bewusst darüber nachdachte, hätte ihm allein diese Tatsache weit mehr Angst machen müssen, als sie es getan hatte. „Ich bin gelaufen. Da war ein vorgegebener Weg, immer nur ein Stück. Hinter mir verschwand er, vor mir tauchte er auf. Es war unmöglich eine andere Richtung einzuschlagen. Dann verschwand der Wald... er hat sich einfach aufgelöst. Und stattdessen war da die Lichtung auf der Ruki mich gefunden hat, nachdem ich hier ankam. Ich hab erwartet, dass ich ihn da sehe, doch nichts. Stattdessen war da so ein seltsames Tor.“

Kai pausierte abermals, suchte sich die Form und den Anblick genau in Erinnerung zu rufen und Aoi ließ ihn, schwieg, derweil er immer wieder sachte über seine Schulter strich.

„Es war wie eine Art Spiegel und doch wieder nicht. Es ähnelte eher einer Wasserlache, die ihre Farben verändert hat. Dann wurde sie zu Stein, blieb aber weiter in der Luft stehen. Und dann...“

Sein Atem stockte, weswegen sich Aois Arm fester um ihn schob.

„Es ist vorbei. Sag mir, was dann passiert ist.“

„Da war ein Mann. Er... er hat mir Angst gemacht.“

Kais Hand griff den Stoff der Decke, in die er gewickelt war, fester und der Dämon nickte, summte leise, beruhigend.

„Ich weiß. Hat er etwas zu dir gesagt?“ Kai nickte. „Was war es?“

„Er sagte... ob es mir gefällt. Mein Grab. Und dass er etwas von mir will... dass er mein Untergang ist.“

Die letzten Worte waren immer leiser gesprochen worden; sie verloren sich in der Stille, die sie minutenlang einhüllte und erst gebrochen wurde, als sich Aois Lippen gegen seine Stirn legten, dort einen sanften Kuss hinterließen.

„Du solltest weiter schlafen.“

Der Jüngere nickte ergeben, ließ sich von seinem Geliebten ins Bett hinüber bringen, seufzte, als er zudeckt wurde. Aois Blick richtete sich auf ihn, nachdem dieser eine Öllampe entzündet hatte.

„Es gibt nichts, was dir Angst machen muss. Ich werde jedes Übel von dir fern halten.“

Kai nickte, lächelte zu Aoi hinauf, welcher mit dem Handrücken über seine Wange streichelte, bevor er sich hinab lehnte und seine Lippen fing.

„Schlaf.“

Der Braunhaarige folgte dem Wort des anderen Mannes binnen Sekunden – seine Atmung wurde ruhiger, tiefer. Trotzdem verharrte Aoi noch weitere Augenblicke, dann erst erhob er sich, schritt nackt durch den Raum in das angrenzende Arbeitszimmer, in welchem er vor den großen Fenstern zum Stehen kam und aus diesen starrte.
 

Weicher, fließender Stoff eines Morgenmantels schob sich über seine Schultern, gefolgt von Armen, deren Haut bronzen schimmerte.

„Was ist geschehen? Warum bist du auf?“

Uruhas sanft-melodische Stimme flutete nah an seinem Ohr, als ihn das Meerwesen aufmerksam ansah. Aoi erwiderte den Blick nicht, seine Augen blieben unverändert auf die Welt jenseits des Glases gerichtet.

„Kai hatte ein Albtraum.“

„Warum bist du dann nicht bei ihm?“

„Es beunruhigt mich.“

„So? Weswegen? Böse Träume haben wir alle hin und wieder.“

Uruha legte seinen Kopf auf die Schulter des Dämons, verschränkte seine Finger ineinander, derweil er in der Dunkelheit zu finden suchte, was Aoi so intensiv anstarrte.

„Es war kein einfacher Traum. Es klang eher nach einen Ruf.“

„Ein Ruf? Wohin?“

„Das weiß ich nicht. Aber ich werde es herausfinden. Uruha. Geh und wecke Ruki. Ich will, dass ihr beiden mit Kai nach Ulka geht.“

Das schöne Meerwesen löste sich ein Stück.

„Ulka? Du möchtest, dass er Die sieht?“

Aoi nickte, die königlichen Züge in eine harte, entschlossene Linie gesetzt.

„Ich will wissen, wen Kai in seinem Traum gesehen hat. Ich will wissen, mit wem wir es zu tun haben und was zu tun dieser Jemand im Stande ist.“

Der Langhaarige nickte, schob einige seiner Locken über die Schulter zurück.

„Natürlich, mein Herr.“

Er zog sich still zurück, blieb in der Tür aber noch einmal stehen, um zu seinem Herrscher zu blicken. Dieser hatte sich in keinster Form bewegt und wenn Uruha lange genug hinblickte, dann konnte er die Fäden der schwarzen Magie sehen, die um Aoi herum waberten und nur zu deutlich dessen Gemütszustand widerspiegelten.

Ein leises Seufzen floh von den Lippen des schlanken Mannes.

Er hatte gehofft, dass Kais Ankunft in Kistara – egal wie überraschend und unerklärlich sie auch gewesen sein mochte – ohne schwerwiegende Konsequenzen bleiben würde. Es wäre ein süßer Traum gewesen, aber im Grunde hätte Uruha es besser wissen müssen.

Er raffte den Stoff seines weit fallenden Schlafgewandes, als er die Stufen hinauf schritt, die ihn in die Gemächer Rukis bringen würden; er war sich sicher, dass dieser abermals nicht schlief. Seit Kai gekommen war zermartere sich sein Gefährte den Geist, wie das geschehen war. Ruki hielt alle Türen und Tore fest verschlossen. Er kannte alle Schleier der Welten, fühlte und spürte, wenn jemand sie berührte, sie verletzte oder gar durchdrang. Er hatte sofort gewusst, wo er nach Kai suchen musste. Der Mensch war wie ein Feuerwerk für seine Sinne gewesen, doch eben erst, als dieser schon in Kistara gelandet war. Es erzürnte Ruki maßlos, dass es da etwas gab, was er nicht greifen und kontrollieren konnte.

Uruha öffnete leise die schwere, hölzerne Tür, schob sich durch diese.

„Ruki?“

„Ich bin hier.“

Der Dunkelelf saß an seinem Schreibtisch, welcher unter dem Gewicht von Büchern, Karten und Schriftrollen stumm ächzte. Es war ein Wunder, wirklich, wie Ruki es schaffte, bei all dem Chaos einen Überblick zu behalten. Der Kleinere hatte ihm eine Hand entgegen gestreckt, welche Uruha ergriff und sich so nahe ziehen ließ, dass Ruki einen sanften Kuss auf sein Puls legen konnte.

„Warum schläfst du nicht?“

„Aoi hat nach mir gerufen.“

Ein leises Schnauben entfloh dem Rotbraunhaarigen. Es konnte mit einem 'Natürlich, was sonst' übersetzt werden, weswegen Uruha den Kopf schüttelte.

„Er hat nicht so nach mir gerufen. Es war seine Seele. Er ist aufgewühlt.“

Der genervte Ausdruck schwand von den Zügen des Dunkelelfen, als dieser sich erhob und Uruha zu dem Sofa hinüber führte.

„Was ist passiert?“

„Kai hatte einen bösen Traum. Aoi denkt, dass es ein Ruf war, von wem, das ist vollkommen unklar. Deswegen möchte er, dass du, Kai und ich nach Ulka gehen, um Die zu konsultieren. Er soll uns helfen ein klares Bild von dem Fremden zu bekommen den Kai in seinem Traum gesehen hat.“

Ruki nickte.

„Eine weise Entscheidung.“

Uruhas Lippen erhoben sich in einem liebevollen Lächeln, als er mit den feinen Haaren in Rukis Nacken spielte, immer wieder durch diese strich.

„Es ist erstaunlich, dass du seinem Wort so enthusiastisch zustimmst. Normalerweise hast du nahezu immer Bedenken.“

„Nicht dieses Mal. Sieh her.“ Ruki hatte sich erhoben, führte das Meerwesen zu den Fenstern, wo er die schweren Vorhänge beiseiteschob. „Die Monde nähern einander. Wenige Tage und sie werden eine Linie erreicht haben. Du weißt, was das bedeutet.“

„Die Magie in uns allen steigt zu einem unerträglichen Maß.“

Uruha blickte auf die Monde, welche auch Aoi angestarrt haben musste – er sah noch keine Veränderung, doch er war mit dem Himmel und der Erde nicht so nah verbunden, wie es sein Herr war. An seiner Seite nickte Ruki.

„Es ist eine gefährliche Zeit. Aoi weiß das. Er ist seit Tagen nervöser – sofern, man es als so etwas bezeichnen kann. Dir ist es doch auch aufgefallen. Deswegen suchst du so oft seine Nähe, um ihn zu beruhigen, nicht wahr?“

Abermals konnte Uruha nur zustimmend nicken. Alles, was Ruki sagte, entsprach der Wahrheit.

„Und nun dieser Ruf. Es kann nichts Gutes bedeuten. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Kai gar nicht hier sein dürfte.“

„Warum senden wir Kai nicht einfach zurück?“

Ruki schnaubte amüsiert; er machte sich nicht über Uruha lustig, das wusste der Langhaarige. Es war wohl mehr die gesamte Situation und diese Reaktion des Dunkelelfen eine Art Stressabbau.

„Abgesehen davon, dass Kai sich dagegen mit Händen und Füßen wehren würde, wäre es dumm ihn wegzuschicken. Wenn er bei uns ist, können wir ihn weit effektiver schützen. Irgendjemand ist an ihm interessiert oder versucht durch ihn an einen von uns heran zu kommen und das passt mir nicht.“

Uruha küsste Rukis Wange.

„Du wirst das zu verhindern wissen.“

„Worauf du wetten kannst.“

~~~~~
 

Ein feines Klingeln durchbrach die Ruhe, die über dem Fürstentum Elbaro lag.

Es war wie ein Glöckchen aus Kristall; hörbar nur für jene die den Atem der Zeit verspüren konnten. Und so sah Kaoru von seinem allabendlichen Tee auf, als sich sein Schützling in seinem Bett aufsetzte und da sich dieser nach einigen Herzschlägen noch immer nicht geregt hatte, erhob er sich von dem flachen Sitzkissen und trat durch die unzähligen Tücher die von der hohen, kuppelförmigen Decke herab hingen.

„Die?“

„Er hat geläutet. Der Baum der Weissagung.“

Der Hoheelf nickte, derweil er sich fließend neben dem Rothaarigen sinken ließ.

„Ich weiß. Ich habe es auch gehört.“

Die antwortete ihm nicht, starrte unsehend in die Ferne, eine Hand sachte in seinem Nachthemd, direkt über seinem Herzen, geballt.

„Ich habe geträumt.“

„Willst du mir davon erzählen?“

„Das kann ich nicht... es waren keine Bilder. Sondern... Gefühle. Wünsche. Dinge die sich so stark projiziert haben das sie meinen Schlaf gestreift haben.“ Dies Arme wanden sich schützend um seinen Oberkörper. „Mehr noch, sie haben nach mir gegriffen. Mich hinunter in die Schwärze gezogen. Es war schwer, ihnen nicht einfach nachzugeben und ins Nichts zu sinken.“

„Was für Gefühle?“

Kaoru löste eine Hand Dies, begann sanft damit die einzelnen Finger zu massieren, glitt mit wissenden Bewegungen in die Zwischenräume und über den Handballen. Der Rothaarige entspannte sichtlich unter dieser Berührung, er begann zu blinzeln, ließ sich dann langsam gegen die unzähligen, großen Kissen sinken.

„Wut. Solch große Wut auf alles in diesen Welten. Und Kummer. Herzzerreißend, so voll von Qual. Doch da war auch Kälte, kühl und kalkulierend... etwas boshaftes, finsteres, das vor nichts zurück schrecken würde. Und Liebe. Heiß, hell, strahlend wie ein Sonnensturm zur Midnirinacht. [1] Es war so verwirrend und gleichzeitig so klar. Ich habe es nicht verstehen können, mit meinem Verstand, aber mit meinem Herz.“ Dies freie Hand legte sich zur Faust geballt an seine Stirn. „Ich habe nicht herausfinden können, wo der Ursprung ist. Es tut mir leid.“

Kaoru summte tröstend, beruhigend.

„Du musst nicht alles fühlen und orten können, Die. Deine Gabe ist erstaunlich genug, zermartere dir nicht den Kopf darüber.“

„Aber solch harsche Emotionen sind gefährlich!“

Die sah ihn verstört an und der Hoheelf summte erneut, nickte.

„Ja, das ist wahr. Und wir werden mit Kyô darüber sprechen und gemeinsam einen Weg finden, den wir einschlagen können. Du vertraust mir doch?“ Auf Dies Nicken hin lächelte Kaoru väterlich. „Dann mache dies auch jetzt. Und nun komm, du musst dich waschen.“

Der Traumtänzer blinzelte verwundert.

„Warum?“

Kaoru hatte sich bereits erhoben und einige der Tücher beiseite gestreift; nun hielt er diese mit einer Hand, derweil er Die über die Schulter hinweg ansah.

„Weil ich möchte, dass du mit mir zum Baum der Weissagung kommst.“

„Gibt es einen bestimmten Grund, weswegen dies dein Wunsch ist?“

Kaoru nickte seicht.

„In der Tat den gibt es. Sobald wir die Prophezeiung am Baum vernommen haben, sollst du den Segen unseres Volkes erhalten. Du lebst nun lange genug bei uns, alterst mit uns, bist unseren Riten und Glauben treu. Es ist an der Zeit, dass dies gewürdigt und allen Elfen offenbart wird. Es ist bereits alles abgesprochen und in die Wege geleitet worden.“

Es war nicht überraschend, dass sich Die quasi in seine Arme stürzte, Tränen der Freude in den braunen Augen.

„Danke.“

„Du hast es dir selbst erarbeitet. Und nun, ab. Fort mit dir. Kyô erwartet uns.“
 

Der Baum der Weissagung war einen dreitägigen Ritt vom Fürstentum Elbaro entfernt.

Doch die Elfen pflegten mit weniger konventionellen Mitteln an ihr Ziel zu gelangen und Die – welcher das Rudel der Greifen durchaus schon aus der Ferne betrachtet, aber niemals nahe an sie heran getreten war – stand der Mund in kindlichem Erstaunen offen.

Die eleganten Tiere maßen eine Schulterhöhe die seine eigene Größe um das Doppelte übertraf, ihr Fell und Gefieder fühlte sich an wie Seide und Samt. Es war so weich, dass Die es am Liebsten unentwegt hätte berühren wollen. Bernsteinfarbene Augen blickten klug auf ihn herab, die Farben der atemberaubenden Wesen flossen herrlich weich über, verschmolzen braun, beige, gold und so vieles mehr zu einem wahren Feuerwerk an Wärme und Energie.

Es reisten nur wenige mit Kaoru und ihm.

Zum einen war da Kyô. Er regierte Ulka und nicht selten war Die vor seiner eindrucksvollen Präsenz zurück gewichen. Die schwarzen Iriden waren erhaben, ihr Blick stetig und fest. Das Tattoo, obgleich Ausdruck seines Verrats, trug der Hoheelf mit Stolz. Nie verdeckte er es oder tolerierte leise gewisperte Worte hinter seinem Rücken. Wenn sie etwas zu sagen hatten, dann sollten sie dies direkt vor ihm tun. Ein jeder in Elbaro hatte das Recht frei und offen zu sprechen – selbst mit ihrem König.

Sie mussten nur die Antwort ertragen können.

Neben Kyô wurden sie von Imgrail und Eoli begleitet. Sie beiden waren Jäger und Krieger und für ihren Schutz auf der Reise verantwortlich. Nicht, dass sie diesen wirklich nötig hatten – Kyôs Magie war vernichtend genug – doch die beiden bestanden ein jedes Mal darauf und ihr Herr ließ es zu. Ob es nun war, um ihnen einen Wunsch zu erfüllen, oder weil er der Diskussion über die Jahrhunderte müde geworden war, ließ sich nur schwer sagen. Doch es erfüllte die beiden noch relativ jungen Hoheelfen mit einem unglaublichen Stolz.

Es war Imgrail, der Riese, der Die an der Hüfte packte und ihm dabei behilflich war, auf den Rücken eines der kleineren, weiblichen Tiere zu klettern. Der Traumtänzer lächelte dankend auf ihn herab und erhielt dafür ein liebevolles Tätscheln seines Oberschenkels. Imgrail sah ihn noch immer als das Kind, dass vor all dieser langen Zeit mit Kaoru nach Elbaro gekommen war und Die hatte aufgegeben zu versuchen, ihn eines Besseren zu belehren. Außerdem war es hin und wieder ganz nett, wenn man verhätschelt wurde.

Er griff nach dem weichen Leder, welches um den Hals der Tiere lag und an dem er sich während des Fluges halten konnte – zwar waren sie alle mit einem Zauber belegt, der verhinderte, dass sie während der Reise abstürzten, doch auch dieser verlor sich, wenn die schönen Wesen gezwungen waren, drastische Flugmanöver einzuleiten, weil sie zum Beispiel von einem Drachen verfolgt wurden.

Der Rothaarige hatte dies nie selbst miterlebt, doch die grusligen Geschichten waren real genug erzählt worden, dass es ihm schwache Knie bereitet hatte.

Der größte der Greife, das Männchen, tat einen klackernden Laut mit dem Schnabel als Kyô zu ihnen kam, er schüttelte seinem Kopf wodurch die Federn und die darunter liegende imposante Mähne in Bewegung gerieten, bevor er diesen senkte und den Hoheelf begrüßte, was dieser mit einem kleinen schiefen Grinsen und einer Hand gegen den Schnabel erwiderte.

Die beobachte, wie dieser elegant aufstieg, wobei er die unzähligen Lagen seiner Robe mit Schwung hinter sich ausbreitete, dann reichte Eoli dem Fürsten seinen Stab und setzte letztendlich selbst auf.

Die hielt sich automatisch fester, als sein Greif sich aufrichtete und die Flügel ausbreitete; er hätte eine Art Anlauf erwartet, doch die Wesen drückten sich aus dem Stand in die Luft. Es war faszinierend zu fühlen, wie die Muskeln unter seinen Beinen arbeiteten, wie mühelos sie an Höhe gewannen.

Unter ihnen wurden die Lichter Elbaros immer kleiner und unter dem weiten Blick, der sich dem Traumtänzer nun bot, konnte er die Wälder von Sepram und die Windklippen erspähen. Beide Orte schüchterten den sensiblen Mann ein, sie strahlten Dunkelheit aus, der er immer ausweichen würde, wenn es ihm möglich war.

Der Ort, an dem der Baum der Weissagung wuchs, stand im starken Kontrast zu den Wäldern und Klippen, schon als sie sich näherten fühlte Die sich geborgen und behütet. Unterliegend gab es diese beeindruckende Kraft, so gewaltig und so alt. Sie löste ein Beben in Die aus, derweil sein Herz vor Aufregung laut zu pochen begann.

Die Greife sanken tiefer und wenig später berührten die mächtigen Pranken den dunklen Boden. Sie senkten sich tiefer, sodass ihre Reiter absteigen konnten und wieder war es Imgrail, der dem Traumtänzer sicher herunter half, welcher lächelte und an die Seite Kaorus huschte.

Genau hinter Kyô her zu schreiten war ein überwältigendes Gefühl und mehrmals suchte er den Blick zu seinem Vormund, welcher ihm beruhigend zunickte.

Sie überwanden eine kleine Anhöhe – ganz wie die Sanddünen bevor man das Meer erreichte – und dann bot sich dem Rothaarigen ein Anblick, der ihm schlicht jeden Atem stahl und Tränen in seine Augen brachte.
 

Der Baum war nicht groß, die Echna [2] im Schimmerwald übertrumpften diesen um Längen, doch dafür streckte sich sein Blätterdach weit in alle Himmelsrichtungen aus. Es war als würden sie unter das Dach des Firmamentes selbst treten – tiefblaue Blätter, sodass sie nahezu schwarz waren, glitzerten mit abermillionen von feinen Diamantsplittern die sich mit jeder ihrer Bewegungen veränderten. Sie bildeten Formen und Tiere, Buchstaben und Schriften, die der Traumtänzer noch nie gesehen hatte. Die Äste hoben sich, um ihren Weg freizugeben, sie senkten sich, um sie an den Schultern und Armen zu streifen. Blätter strichen wie warmer Sommerwind über sein Gesicht und mehrmals schloss Die einfach die Lider, konzentriere sich ganz auf das Fühlen und nichts anderes.

Der Boden um den Stamm herum war mit kleineren Steinen und dunklen Moosflechten übersät; Dies Finger streckten sich wie von selbst sie zu berühren. Wenn es ihm möglich gewesen wäre, dann hätte er sich wie ein kleines Kind auf diesen ausgebreitet.

Es war einfach so unglaublich – Die hatte viel Wundervolles gesehen, dass es in Kistara gab... doch dieser Anblick....

Ihm fehlten die Worte.

Kyô indes war zu dem Stamm des Baumes getreten, lehnte nun seine Stirn dagegen. Es war die einzige Berührung des Hoheelfen und der Baum reagierte augenblicklich. Die schweren Äste senkten sich, schlossen den Dunkelblonden in eine zärtliche Umarmung. Abermals erklang das feine Klingeln, dieses Mal in einer anderen Abfolge, sodass es eine Melodie ergab. Ein sanfter Gesang an den Hoheelfen und Propheten gerichtet, dessen Finger sanft über die schwarz-blauen Blätter strichen.

„Ich bin gekommen. Sag mir, was du in der Zukunft gesehen hast. Zeig mir den Weg, den unsere Realität einschlägt.“

Kyô ließ sich nach hinten sinken, wurde sanft von den Ästen gefangen und in die Luft gehoben.

Die beobachtete mit sprachlosem Erstaunen wie ihr Fürst die Augen schloss und sich das leuchtende Symbol Ulkas auf dessen Stirn abzeichnete – es war sonst nicht da. Kurz darauf bildeten sich Abfolgen von Strichen unter dem Blätterdach; Die konnte sie nicht lesen, doch er wusste, dass es Ekalo war. Die Drachensprache.

Die Linien schienen aus sich selbst heraus zu glühen, ein Effekt, der sich verstärkte, als sie sich lösten und sprialenförmig über dem Hoheelfen zu kreisen begannen, bevor sie sich senkten und innerhalb des Zeichens von Ulka verschwanden.

Der Traumtänzer keuchte mit Kyô, welcher sich unter der Macht der Prophezeiung krümmte, den Rücken in einer aufwärts zeigenden Kurve durchgedrückt.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann sank der Elf zu Boden, die Augen noch immer geschlossen.

Imgrail kniete sich an die Seite ihres Fürsten, bot diesem eine Hand und zu Dies Überraschung wurde diese zielsicher und fest ergriffen. Der größere Mann half Kyô in einer einzigen fließend-schwungvollen Bewegung auf die Füße, derweil das Zeichen auf der Stirn aufhörte zu leuchten, anschließend vollends verblasste und verschwand.

Die schwarzen Augen legten sich auf Kaoru, welcher den intensiven Blick ruhig erwiderte.

„Schick Kunde nach Obe. Aoi muss nach Ulka kommen.“
 

[1]Die Midnirinacht sind drei aufeinanderfolgende Nächte an denen es nicht dunkel wird, dies passiert, weil die Sonne, die Kistara wärmt, zwei Mal im Jahr in ihrer Umlaufbahn verharrt, da sie den Gravitationen der vier Monde ausgesetzt ist.
 

[2] Baumriesen, sie sind mit den Bäumen zu vergleichen die in im Regenwald oder aber Neuseeland vorkommen und die eine ungefähre Höhe von 60 m erreichen können.

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Die Nachricht aus Elbaro erreichte Aoi bei Sonnenaufgang.

Der Fakt, dass eine Prophezeiung gesprochen wurde, so kurz nachdem Kai in seinem Traum einen möglichen Ruf erhalten hatte, steigerte die Laune des Dämons nicht gerade. Eher im Gegenteil. Er wirkte, als würde er dem nächsten, dem er begegnete, die Hand abbeißen. Und so hielt man sich weitestgehend von dem Herrscher über Kistara fern.

Natürlich nur, wenn man nicht Reita hieß.

Das Geisterwesen hatte keinerlei Probleme damit mit Aoi auf Tuchfühlung zu gehen. Einen Arm um den Schwarzhaarigen geschlungen, schlenderte er neben diesen her, nickte immer wieder einmal, derweil Aoi mit düsterem Blick Befehle grollte. Reita sollte die Drachen bereit machen, sollte dafür sorgen, dass sie ohne Verzögerung aufbrechen konnten. Er sollte Tsukasa informieren und er sollte Aoi sein offizielles Schmuckschwert bringen.

Kurz bevor die beiden sich trennten, grinste der Blauäugige schief und klopfte Aoi auf die Schulter.

„Immer diese Prophezeiungen, ne Boss-man?“

Aoi knurrte etwas Unverständliches und nun sah auch der Blonde zu, dass er das Weite suchte. Wie es schien, kannte er die Grenzen doch gut genug.

Kai war in seinen Gemächern, saß dort auf dem Bett, auch Uruha und Ruki waren bei dem Menschen. Sie hatten diesen abholen wollen, unmittelbar bevor die Kunde aus Ulka eingegangen war. Nun würden sie gemeinsam reisen, ein Gedanke der in Kai verschiedene Gefühle auslöste.

Zum einen war da Aufregung; Kai hatte nur von Ulka gehört, seit er hier her gekommen war, es aber nie besucht und dass er nun die Gelegenheit dazu bekam freute ihn. Allerdings waren genau diese Gefühle von den jüngsten Ereignissen und der Unruhe in Aoi überschattet.

Kai war auf einer emotionalen Achterbahn gewesen, seit er hier her gekommen war. Als erstes war da Unglauben gewesen – eine andere Welt konnte nicht existieren! - und der Braunhaarige war der Ansicht, dass er das alles nur träumte und jeden Moment aufwachen würde. Nur nach und nach hatte er realisiert, dass dies hier Wirklichkeit war. In ihm war neben der immer vorhandenen Neugierde eine unglaubliche Faszination für das Land, seine Freunde und alles um ihn herum erwacht. Er hatte sich in Kistara verliebt und derweil ihn Aoi hatte nach Hause schicken wollen, protestierte der Jüngere vehement dagegen. Er wollte sich nicht von Aoi trennen, unter keinen Umständen. Der Dämon war sein Fixpunkt im Leben. Im Schatten seiner Präsenz verblasste alles.

Natürlich hatte es Konsequenzen. Ihre Band konnte, trotz der unterschiedlich voran schreitenden Zeit [1], nicht Co-existieren – obgleich die anderen vier das über Jahre sehr gut hin bekommen hatten – und so entschieden sie sich für ein Ende von theGazettE. Es war ein harter Entschluss gewesen und machte Kai traurig, denn den überwiegenden Teil seines Lebens war die Musik alles gewesen, dass er besessen hatte. Doch er hatte sich festgelegt und nun, wo er mehrere Monate hier gelebt hatte, war er überzeugt, dass es der richtige Weg war. Selbst seine familiären Bande waren nichts, dass ihn zum Wanken gebracht hatte. Er liebte seine Familie und er konnte sie nach wie vor besuchen. Das genügte ihm.

Und Uruha hatte ihm vor einigen Tagen gesagt, dass er immens glücklich war, endlich in der Lange zu sein Kistaras Schätze mit ihm zu teilen. Wie das Meerwesen hatte auch der Braunhaarige in eine frohe Zukunft geblickt und das sich nun erste Schatten offenbarten war ein herber Hieb.

Es zerstörte ein Stück weit eine süße Illusion.

„Seid ihr bereit?“

Er nickte auf die Frage des Dämons automatisch und aus dem Augenwinkel sah Kai wie die anderen Beiden ebenfalls den Kopf senkten.

„Lasst uns gehen.“

Aoi ergriff seine Hand und zog ihn in die Höhe; es geschah zärtlich und betrog so das anderweitige Auftreten des Älteren, das schon recht einschüchternd war und vor allem durch die komplett schwarzen Augen unterstrichen wurde. Ruki und Uruha flankierten sie, als sie durch die bereiten Gänge des Schlosses schritten. Immer wieder waren dumpfe Laute zu vernehmen; die Wachen schlugen sich in einem Zeichen des Respekts mit der rechten Hand vor die Brust ihres ledernen Harnischs.

Kai war schon immer von ihnen fasziniert gewesen – nun trug er selbst einen und hatte sich mehrere Minuten im Spiegel damit betrachtet. Es war ein sehr ungewohnter Anblick; trotzdem passt es zu ihm. Nicht nur, dass der eng anliegende Harnisch seinen muskulösen Oberkörper betonte, die dunkle Farbe und die übereinander liegenden Elemente von Brust und Schultern unterstrichen seinen sturen Kopf. Es nahm ihm seine Unschuld und ließ ihn würdig erscheinen, an der Seite des Dämons zu schreiten. Kai strich über die Schnallen an seiner Seite und stahl einen Seitenblick auf Aois Rüstung.

Sie war der seinen nicht unähnlich, allerdings waren die Abstände der einzelnen Platten größer und allgemein war sie schlichter; Kais eigener Harnisch wies mehrere Rundungen und Spitzen nach unten auf, die den Schutz mehr schmückten. Geschnallt wurde Aois Panzerung wie die seine an den Seiten, hinauf bis unter die Arme.

Über den Schultern lag nur eine einzige Lage Leder und wenn Kai es zugab, sorgte ihn das ein wenig. So war Aoi verwundbarer, auch wenn Kai um die immense magische Kraft wusste, die in den Venen des Dämons schlummerte. Immerhin hatte er Lindwürmer mit einem bloßen Blick auseinander gerissen.

Trotzdem beruhigte es ihn ungemein, als sie im Hof auf den ebenfalls gepanzerten Reita trafen und dieser einen weiteren Schulterschutz für Aoi in der einen Hand hielt.

Gleichzeitig brachte ihn dies auf den Gedanken, ob Ruki auch geschützt war. Außer seiner wallenden Robe schien dieser nichts zu tragen, doch Kai wagte nicht nachzufragen. Ruki war schon beim letzten Mal schlecht auf seine modische Option zu sprechen gewesen [2].
 

Hinter Reita warteten die Drachen. Auch Asra war unter ihnen und zauberte ein Lächeln auf die Züge Kais, als die Drachendame aufgeregt mit dem Kopf auf und ab wippte, dabei gurrte und – sobald Kai nahe genug war – eine Kralle um dessen Mitte schob und ihn so näher an den kühlen Körper des echsenartigen Wesens brachte.

„Ich freu mich auch, dich wieder zu sehen, Asra.“

Ein weiteres Gurren und dann schwebte das Auge nah zu ihm, schien ihn ganz genau zu mustern, bevor Asra Aoi sah und ihren Hals mit einem zärtlichen Laut in dessen Richtung streckte. Der Dämon tätschelte den Drachen, kletterte dann auf ihn, und reichte Kai die Hand, um ihn ebenfalls hinauf zu helfen.

Ruki, Uruha und Reita bestiegen jeweils einen eigenen Drachen. Sie gehörten alle zur gleichen Art – Feoar, wie Kai gelernt hatte. Sie zeichneten sich durch eine außerordentliche Fügsamkeit aus, sobald es gelungen war, sie zu zähmen. Wie alle ihrer Art wiesen sie eine markante, braun-gelbe Färbung der Schuppen auf, die im Bereich des Bauches in eine grüne überging. Sie zählten zu den mittelgroßen Drachen, ihre Schulterhöhe entsprach in etwa vier Metern, lang waren sie ungefähr das Doppelte. Die Männchen dieser Art waren mit sechs Metern Stockmaß etwas größer, aber vor allem aggressiver und kaum unter Kontrolle zu halten.

Kai war sicher nicht erpicht darauf, als Aperitif auf dem allabendlichen Festbankett eines solchen Wesens zu landen.

Die Tiere trugen mehrere lederne Riemen, den Tretbügeln der Pferde nicht unähnlich, dazu Griffe, deren ledernen Bänder auch um die Handgelenke gewickelt wurden. So konnten sie selbst dann nicht stürzen, wenn die Wesen Rollen schlugen oder in den Sturzflug gingen.

Anfangs hatte sich Kai gewundert, wie die Drachenreiter dann kämpften, wenn es zu Konfrontationen kam und war dann ein wenig überrascht zu erfahren, dass sie ausschließlich Magie anwandten. Das Element unter dem die Krieger der Staffel geboren wurden, war so grundlegend, dass sie nichts brauchten, um es anzuwenden. Es war mit dem Atmen zu vergleichen. Sie konnten es, bevor sie sprachen oder liefen.

Und sie hatten den Drachen selbst als Waffe. Asras Krallen waren beeindruckend und Kai war sich sicher, es kostete die Feoar nur ein müdes Blinzeln einen Baum wie ein Blatt Papier zu teilen. Ein Panzer aus Metall? Bitte, wollten sie Asra beleidigen?

Nein, es gab nicht viele Dinge, die solch ein Wesen aufhielten, deswegen waren die Rüstungen, die stand hielten, mit mächtigen Zaubern belegt, die quasi ein Schutzschild um den Träger herum aufbauten.

Die kleine Gruppe setze sich in Bewegung; die Tiere kletterten auf eine eindrucksvolle Platte aus einem metallähnlichem Material, welche mit Hilfe von Hydraulik in die Luft gehoben wurde und den Feoar so eine bessere Startmöglichkeit bot, denn so konnten sie ein kurzes Stück segeln und die Aufwinde nutzen, um an Höhe zu gelangen.

Und unter dem lauten Schrei Asras flogen sie los und überquerten die Moras Sümpfe, um nach Elbaro zu gelangen, welches in ostnordöstlicher Richtung von Ulka lag.

Die Kälte und der Wind wurden von der natürlichen Urmagie der Drachen gedämmt und das machte die Reise so um einiges angenehmer; was jedoch nicht bedeutete, dass Kais Frisur nicht in heilloses Chaos geriet, derweil sie flogen.

Kais einziger langer Flug mit Asra war der, den er vor einigen Monaten bei seiner Ankunft erlebt hatte. Damals war er mit Ruki von den Wäldern von Sepram nach Lutar geflogen. Seitdem hatten sich nur ein paar kurze Flüge ergeben und der Braunhaarige hatte es zu vermissen begonnen. Es war ein unglaubliches Gefühl, nicht nur ob des Anblicks der Landschaft unter einem. Wenn man auf einem solchen Wesen saß, dann musste man mit diesem agieren und arbeiten. Kai verglich es am liebsten mit einem Motorrad. Auch dort musste man sich mit in die Kurve und tiefer legen, wenn man die ergonomische Form des Fahrzeugs nutzen wollte.

Außerdem waren die Feoar extrem schnell.

Ritt man auf einem Pferd, so brauchte man einige Wochen um nach Elbaro zu gelangen, so kostete sie der Weg nur einige Stunden.

Es war eine beeindruckende Leistung.

Und für Kai die Möglichkeit, sich von all den Gedanken abzulenken, die im hinteren Teil seines Geistes lagen und dort unaufhörlich mit kleinem, hässlichen Kichern Ringelreihe tanzten. Die Worte des Fremden gingen ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf – wie auch? - und er grübelte immer wieder, ob er nicht ein Detail übersehen hatte. Ob es etwas Essentielles gab, dass Aoi half zu ergründen, wer der Fremde war der ihn gerufen hatte.

Er fand es erschreckend, dass es überhaupt eine derartige Möglichkeit gab – wie simpel es schien, in die Gedanken und Träume eines Anderen zu dringen. Uruha hatte ihm einen Teil seiner Angst genommen, denn so einfach, wie Kai dachte, ging es nicht und es gab auch solche, die mit einer solchen Gabe halfen und Gutes taten, trotzdem blieb ein unangenehmer Beigeschmack bestehen.

Aber es war egal, wie sehr sich Kai auch das Hirn zermartere, er kam zu keinem Ergebnis. Eher verschlimmerte er die Situation noch, indem er Dinge in den Traum hinein interpretierte, die gar nicht da waren. Und die Bilder an sich verblassten bereits, wurden schwerer und schwerer zu greifen.

Aoi hatte ihm verboten, noch weiter über den Traum nachzudenken, doch es war unmöglich sich seinem Wort vollständig zu beugen. Es kam immer wieder zu ihm zurück. Kai war unfähig, etwas dagegen zu machen.
 

Als sie das Gebirge des Eises und das davor liegende Tal von Novas überquerten schossen neben ihnen Schatten in die Luft.

Sie jagten Kai einen heftigen Schreck ein, doch der Mensch verhinderte, dass er wie ein kleines Mädchen zu schreien begann. Die Anderen reagierten auf die neuen Wesen – beschwingt und menschlich – mit einem sachten Kopfnicken. Sie waren es ganz offenbar gewöhnt und einen Moment später sank Uruhas sanfte Stimme in Kais Geist.

»Sie gehören zum Clan der Fenir. Sie leben im Tal von Novas und sind Nomaden, Vogelfreie. Sie beugen sich niemanden, obgleich sie eine Art Fürsten haben, der sie lose zusammenhält und Krieg innerhalb der Ihren verhindert. Da, das da ist er. Der mit den großen dunklen Schwingen. Er ist einer der Wenigen, die mit der Geschwindigkeit der Drachen mithalten können, deswegen ist er immer hier oben, wenn wir sein Land überfliegen.«

Es war nicht schwer denjenigen auszumachen, den Uruha meinte. Kurz vor Asra hielt sich ein muskulöser Mann mit stolzem Gesicht mühelos in der Luft. Er hatte die beeindruckensten Flügel, die Kai je gesehen hatte. Sie waren wie die eines Engels, tiefschwarz und so mächtig, dass er mutmaßte, dass sie nah an die Schwingen Asras heran kamen.

»Wie ist sein Name?«

»Hizumi.«

»Sein Auftreten ist imposant.«

Uruhas warmes Lachen antwortete ihm und als er den Kopf zu dem Meerwesen drehte, sah er dies auch auf den Zügen gespiegelt.

»So kann man es bezeichnen.«

»Warum begleitet er uns?«

Es war nicht so, dass Kai tatsächlich gelernt hatte, wie man sich mental unterhielt. Eher dachte er seine Antworten und die Anderen, die ihre Gabe weit geöffnet hatten, fingen seine Worte auf oder aber sie knüpften eine Verbindung zu ihm, so wie Uruha das gerade gemacht hatte.

»Er will sicher gehen, dass wir nicht hier sind, um sein Land anzugreifen oder die zu fangen, die ihm folgen. Aoi könnte dies tun, aber er sieht in Hizumi eher eine Stärkung Kistaras und hat kein Interesse daran, etwas zu verändern. Er will den Frieden in seinem Land halten.«

»Furchtbar oder? So gibt’s gar keine Action mehr.«

Reita hatte sich mit in das Gespräch gehangen und zwinkerte Kai nun fröhlich zu, derweil dieser schnaubte.

»Ich finde einen solchen Gedanken schön. Auch wenn es schon ein bisschen erstaunlich ist, dass er so friedfertig sein soll. Für einen Dämon meine ich.«

Nun lachte Reita nur und Uruha schüttelte den Kopf, setzte wohl zu einer Antwort an, doch Ruki kam dem Langhaarigen zuvor.

»Es liegt ganz sicher nicht an seinem Sinn für Frieden. Dämonen wählen zuerst den Weg des Kampfes und Aoi ist da keine Ausnahme, eher ist er der, der als erstes nach dem Schwert greift. Aber damit wir uns gegen die umliegenden Welten durchsetzen können, muss Kistara stark und einheitlich sein. Es gibt genügend Jäger, die sich das Maul lecken in das Land einzubrechen und es wie ein Schwarm Heuschrecken dem Erdboden gleich zu machen.«

»Sind deswegen die Schleier verschlossen?«

Kai hatte die ganze Sache mit den Schleiern zwischen den Welten immer nur nebenher aufgeschnappt und fragte nun ins Blaue hinein – man hatte ihm nur ein einziges Mal näher zu diesem Thema unterrichtet. Dies war damals in Lutar gewesen, Aoi hatte ihm erklärt, es sich wie das Internet vorzustellen, indem jeder Haushalt eine Welt repräsentierte. Die Schleier waren die Kabel dazwischen und verbanden sie miteinander.

Ruki nickte auf seine Worte.

»Ja. Aber es war nicht Aoi, der den Befehl dazu gab.«

»Wer dann?«

»Kova. Ein Feuerdämon und der erste wirkliche Herrscher über Kistara, wenn er auch später hier eintraf, als die Drachen und die Elfen. Er ernannte die ersten Generäle und schuf die größten Reformen im Land. Ich bin sicher, dass du Schriften in der Bibliothek von Ulka finden kannst, wenn es dich interessiert.«

»Wie sah er aus?«

»Ich zeige dir ein Porträt, wenn wir in Ulka sind.«

Er nickte auf Uruhas Worte, dann wanderte sein Blick zu Hizumi und den anderen Dämonen, die in diesem Augenblick tiefer glitten und sich in halsbrecherischen Manövern zwischen die Bäume stürzten. Kai hoffte, dass sie gut gelandet waren, obgleich seine Sorge sehr wahrscheinlich unbegründet war.
 

Nicht lange danach sanken auch ihre Drachen tiefer und Kai reckte neugierig den Kopf, um mehr sehen zu können. Sie waren über die Windklippen gekommen, die Kai auch schon am ersten Tag seiner Ankunft gesehen hatte. Er hatte geglaubt den Anblick der mächtigen Baumkronen in grün, blau und violett sowie die wie mit Silber gefüllten Wasserfälle würde so schnell nichts toppen können.

Ulka belehrte ihn eines Besseren.

Der Boden unter ihren Füßen glühte; Kai beobachtete in absoluter Faszination, wie ihre Fußabdrücke wenige Sekunden bestehen blieben, bevor sie verschwanden. Die niedrigen Sträucher und Büsche schienen gläsern oder aber kristallartig, ihre Äste waren schwer behangen mit Beeren und Früchten in den spektakulärsten Farben, die sich stark von der überwiegend hellen Landschaft abhoben.

Kai fühlte sich, als wären sie in die Zeichnung eines Kindes eingetaucht und seine Augen wurden noch größer, als ihm das erste Tier von Ulka begegnete.

Ein Schmetterling – schon etwas kitschig, wenn man ehrlich war – doch Kai war mehr damit beschäftigt, das filigrane Tier anzustarren, als darüber nachzudenken, ob es nun klischeehaft war oder nicht. Uruha stand hinter ihm, und hob seine Hand höher. Der Schmetterling folgte dem Ruf, ließ sich für einige Sekunden auf Kais Finger nieder.

Seine Beine kribbelten und Kai grinste wie ein Idiot, sah dann aber zum großen Tor von Elbaro, als ein dunkler Glockenschlag erklang und sich die Gruppe in Bewegung setzte.

Bisher hatte es keinen Ort gegeben, an dem nicht klar ersichtlich gewesen war, dass Aoi der Herrscher über Kistara war, doch hier schien sich Eindruck zu relativieren. Ob dies nun an dem Volk der Elfen selbst lag – und wirklich, wie konnte man nur so erhaben blicken? - oder an der Magie, die hier durch jede Ritzte und Pore floss, konnte Kai nicht sagen. Er war ohnehin maßlos beeindruckt und würde sicher einige Tage brauchen, bis er sich an die Architektur innerhalb Elbaros gewöhnt hatte.

Alle Gebäude trugen kuppelförmige Dächer, waren reich mit Ornamenten verziert, zum Teil nur Blumen und Muster, zum Teil vollständige Tafeln, die ganze Geschichten erzählten. Kai sah Schmiede, die Rüstungen herstellten, oder Waffen, die im Kampfgeschehen aufeinander trafen.

Er reckte und drehte sich in jede nur erdenkliche Richtung, überall kam Neues zum Vorschein, das den Anblick von noch ein paar Sekunden schon wieder vergessen machte. Eine Gruppe an Elfendamen kam ihnen entgegen; über ihren weit fallenden hellen Gewändern trugen sie eine durchsichtige Stola, die glänzte, als hätte man das Mondlicht selbst in ihr eingefangen. Überhaupt funkelte und glitzere es an jeder Ecke, Kais Augen begannen bereits davon zu tränen und so seufzte er erleichtert, als sich die Türen des Haupthauses hinter ihnen schlossen, was ihm relative Ruhe brachte, denn das Innere der Räumlichkeiten war ebenfalls hell gehalten, doch nicht so schwer mit all den Edelsteinen und Kristallen beladen.

Es war schlicht, wenn man es mit dem Feuerwerk außerhalb verglich.

Geradezu befand sich eine Art Sitzgruppe. Dabei handelte es sich um große, feste Kissen, die mit unzähligen Kleineren übersät waren; es erinnerte Kai stark an den orientalischen oder aber indischen Stil. Ein Elf kam aus dieser Richtung auf sie zu, sein Haar war dunkel und überraschend kurz.

Irgendwie hatte sich in Kai das Bild manifestiert, dass Hoheelfen langes und vor allem helles Haar hatten. Nun wurde er eines Besseren belehrt.

„Lord Aoi. Bitte, setzt Euch. Kyô wird gleich bei Euch sein.“

„Vielen Dank, Kaoru.“
 

Es war Uruha, der dem Elfen antwortete, Aoi schwieg, senkte lediglich den Kopf, derweil Kais Neugierde ihr kleines Näschen in die Luft hielt. Nun konnte sie endlich den sagenumwobenen Kyô kennenlernen, den sowohl Aoi als auch Ruki nicht ausstehen konnten.

Und der Mann ließ nicht lange auf sich warten.

Kai gab zu, dass er an sich halten musste, damit sein Kiefer nicht offen herunter hing. Die Aura, die den Andern umgab, war derartig mächtig, dass sie wie ein lebendiges Wesen um ihn herum zu spüren war. Kai schwörte, er konnte sie als hellen Schein erkennen, der mit jedem der gezielt gesetzten Schritte mit schwang. Sein Blick war intensiv, hart und hielt im Grunde nichts von dem Sanftmut den Kai immer mit Elfen in Zusammenhang gebracht hatte.

Wildes, dunkelblondes Haar rahmte ein markantes Gesicht und am Hals sah Kai ein Tattoo. Es verblüffte ihn maßlos, doch noch bevor er Uruha darauf ansprechen konnte, hatte sich der General Aois bereits erhoben und sich seicht vor dem kleineren Mann verbeugt.

„Fürst Kyô. Ihr habt eine Botschaft vom Baum der Weissagung für uns?“

Der Angesprochene senkte den Kopf, er blieb stehen, die Lider halb geschlossen.

Kai begann sich zu fragen, was das sollte – da öffneten sich die Lippen des Hoheelfen und dessen Stimme erklang, behaftet mit einer seltsam tiefen Vibration, die sich in einem unzähligen Echo von den Wänden brach. Die Worte an sich konnte Kai nicht verstehen und auch die Anderen machten nicht den Eindruck, als wüssten sie, was vor sich ging – allein Aois Kiefer trat unter dem angestrengten Aufeinanderpressen der Zähne hervor.

Der Dämon verstand die Botschaft offensichtlich hervorragend.

Der Hall hatte sich noch nicht ganz gelegt, als der Dunkelblonde ein weiteres Mal sprach. Dieses Mal in einer Sprache, der sie alle mächtig waren.

"Die reine Seele wird auferstehen, unter der Hand, welche den Schlüssel der Zeit hält, und damit wird zerbrochen was verschlossen blieb."

Nun knirschte auch Ruki mit dem Kiefer, derweil Reita und Uruha aussahen, als hätten sie etwas wirklich Bitteres geschluckt.

Das Schweigen war so dick, dass Kai es ohne Probleme mit einem Messer in kleine Scheiben schneiden konnte. Es artete in einen regelrechten Wettbewerb des Kampfstarrens aus und der Braunhaarige überlegte ernsthaft, sich einzuschalten, da fand Uruha seine Stimme wieder.

„Habt Dank, mein Herr.“

Kyô senkte den Kopf, musterte dann jeden einzelnen ihrer Gruppe, sprach dann wieder zu Uruha, obgleich der Blick auf Kai liegen blieb und diesem das Gefühl gab, dass er gern ein Loch hätte, in dem er sich nun verstecken konnte.

„Die Prophezeiung ist nicht der einzige Grund Eures Kommens. Ist es nicht so?“

Das Meerwesen nickte seicht, tat einen Schritt nach vorn und brach damit irgendwie die angespannte Atmosphäre – aber vielleicht lag es auch einfach an dem Langhaarigen selbst. Egal was es war, die Anwesenden entspannten sichtlich.

„Wir sind hier, um ein Treffen mit dem Traumtänzer zu ersuchen. Wir möchten einen Traum ergründen lassen.“

„Zu welchem Zweck?“

„Wir glauben, dass ein Ruf ausgesandt wurde, warum, das wissen wir nicht. Deswegen wollen wir erfahren, wer der Fremde war, der in den Träumen unseres Freundes wandeln konnte.“

Der Blick des Hoheelfen glitt zurück zu Kai, welcher aus Reflex lächelte – er erhielt keine Reaktion.

„Ich gestatte Euch, Die zu sehen. Kaoru. Leite alles in die Wege.“

„Ja, mein Herr.“

Der dunkelhaarige Elf nickte, verneigte sich dann, bevor den Raum verließ und Kyô – dessen Blick nun zum ersten Mal den Aois fand – sprach ein weiteres Mal.

„Ich gebe Euch einen guten Rat, Aoi. Tötet den Jungen. Es ist das Beste für Euer Land.“
 

[1] Eine Stunde auf der Erde entspricht vierundzwanzig Stunden auf Kistara.

[2] Auszug aus der Blurr: >...„Warum bist du so seltsam angezogen?“ 

„Das nennt man eine Robe. Ist das, was man hier als Elf so trägt und in der Regel erntet man dafür keinen Spott.“ ...<
 

Das ist der Kompass, den ich nutze, um mich in Kistara zu orientieren. Dazu lege ich den Mittelpunkt des Kompasses auf den jeweiligen Ort des Geschehens (z.B. Obe) und verlängere mit einem Lineal die Richtung zum Ziel (z.B Elbaro). Quelle über Kompasse im Allgemeinen sowie die Richtungen, siehe Wikipedia. (Kompass und Himmelsrichtungen)
 

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/e/eb/Kompass_de.svg/220px-Kompass_de.svg.png

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Auf die Worte sprang nicht nur Aoi fauchend auf seine Füße. Auch Ruki schnellte nach oben, die Waffe mit einem Schnarren auf den Hoheelf gerichtet. Dieser sandte nur einen Blick in Richtung des anderen Wesens; dann zischte dieses schmerzerfüllt, ließ die Barreta fallen, die mit lautem Poltern auf dem Boden aufschlug.

„Es war ein Rat. Ich werde den Jungen nicht anrühren.“

Die Warnung, dass Ruki es nie wieder wagen sollte, eine Waffe gegen den Dunkelblonden zu erheben, lag unausgesprochen in der Luft. Dann wandte sich der Herr von Ulka ab und verließ die Räumlichkeiten ohne ein weiteres Wort.

„Arschloch!“

Uruha trat zu Ruki, legte diesem eine Hand auf den Arm, um nachzusehen, ob dieser sich verletzt hatte. Erst als Uruha zufrieden war, dass nichts geschehen war, kniete er sich hinab und hob die Waffe auf, gab sie dem Kleineren.

„Das war unnötig.“, scholt er sanft, „Bitte mach das nicht noch einmal.“

Ruki schnaubte nur, starrte zur Tür hinüber, als würde er den anderen Elfen dorthin zurück wünschen können, um ihn dann fachgerecht auseinander zu nehmen und Uruha – zufrieden, dass Ruki nicht gleich aus der selbigen hinaus stürmte – sah sich nach dem Rest der Gruppe um. Es war schwer festzustellen, wer seine Hilfe nun als erstes brauchte. Kai war geschockt; er war blass, die Augen unfokussiert und er wankte seicht, obgleich er still stand. Mit einem Nicken in Reitas Richtung deutete Uruha an, dass sich dieser um den Braunhaarigen kümmern sollte. Reita erwiderte die Geste, trat dann zu dem Jüngeren, fasste ihn behutsam um die Schultern und führte ihn aus dem Raum.

„Komm, wir finden einen Ort, an dem du dich hinlegen kannst.“

Uruha hingegen schritt auf Aoi zu und legte diesem sanft eine Hand auf die Schulter. Auf die Berührung knurrte Aoi; es rumpelte durch seine gesamte Brust und wenn Uruha nicht wüsste, wie immens wichtig es war, dass sich der andere Mann beruhigte, so hätte er Abstand zu ihm gesucht.

„Aoi.“

Keine Antwort.

„Aoi.“

Die schwarzen Augen legten sich mit düsterem Blick auf ihn und Uruha hob seine Hand höher, strich über die Wange des Schwarzhaarigen, berührte flüchtig ein Ohr.

„Beruhige dich.“

Dieses Mal erhielt er ein Funkeln und theoretisch wusste das Meerwesen, dass Aoi für kein Argument offen war, trotzdem musste er es versuchen.

„Du kennst Kyô. Er hat keinerlei Taktgefühl, aber du weißt ebenso gut wie ich, dass immer Wahrheit in seinen Worten liegt. Das was er gesagt hat, Aoi, war eine Warnung. Kyô sieht immer das gesamte Land und nicht die einzelnen Individuen. Er riet dir, so hart das auch klingen mag, eine Schwäche deinerseits auszumerzen.“

„Bist du etwa auf seiner Seite?“

„Nein, natürlich nicht.“ Uruha schüttelte den Kopf, unterdrückte aber jede heftige Reaktion. „Ich versuche dir zu zeigen, welch Sinn in Kyôs Worten lag.“

„Und was für ein Sinn soll das sein?“

„Dir aufzuzeigen, dass du dich angreifbar gemacht hast, seit Kai bei dir ist.“ Uruha machte eine Pause, um tiefer Luft zu holen; das was er als nächstes sagen würde, passte nicht einmal ihm selbst. „Und damit hat er Recht, gerade wenn man die jüngsten Ereignisse beobachtet. Kai ist das schwächste Glied unserer Kette, deswegen wurde auch er von dem Fremden auserwählt. Du weißt ebenso gut wie ich, dass dies bei keinem von uns geglückt wäre. Und ich bin mir sicher, dass derjenige das ebenso weiß. Er weiß auch, dass du alles tun würdest, um Kai vor Gefahren zu bewahren. Der Fremde benutzt deine Liebe gegen dich. Nichts anderes hat Kyô dir gesagt.“

Aoi grollte erneut, schüttelte Uruhas Hand ab, um damit zu beginnen auf und ab zu schreiten. Er war wahrlich ein Tiger, eingesperrt und fest gekettet ob der Wahrheit die in Uruhas Wort lag.

„Und was soll ich nun deiner Meinung nach tun, General?“, das Meerwesen hielt dem finsteren Blick stand, obgleich ihn sein schneidend gesprochener Rang schmerzte. „ Kyôs Rat folgen? Kai umbringen? Den, den ich liebe? Den, den ihr alle liebt?“

„Red keinen Unsinn, verdammt!“

Nun erhob Uruha seine Stimme doch und fluchte darüber hinaus auch noch; er bereute es in der gleichen Sekunde, aber es sorgte dafür, dass sich ein Funken Erstaunen in Aois Tiefen legte – der Langhaarige hatte den Dämon mit seinem äußerst untypischen Ausbruch überrascht. Nun denn, vielleicht würde er ihm jetzt endlich einmal wirklich zuhören.

Mit einem leisen Seufzen schob er sein langes Haar über eine Schulter zurück, deutete dem anderen Mann sich zu setzen.

„Aoi. Hör mir zu.“

Er ließ sich neben seinem Freund nieder, legte eine Hand sanft auf den Oberschenkel, sein Tonfall ruhig, behutsam, eindringlich.

„Wir sollten darüber nachdenken, einen Bodyguard an Kais Seite zu stellen. Auf diese Art und Weise kannst du dich darauf konzentrieren, heraus zu finden, was genau die Prophezeiung zu bedeuten hat. Du kannst den Fremden suchen. Ich weiß, dass du eine Verbindung zwischen den beiden Ereignissen vermutest. Und ich weiß, dass es dich beunruhigt, gerade, weil die Prophezeiung das Artefakt der Zeit anspricht. Du hast Sorge, dass Zero in Aktion treten wird. Deswegen ist es so wichtig, dass du dich nur darauf konzentrierst. Reita könnte sich darum kümmern, Kai sicher unterzubringen. Ruki kann die Prophezeiung studieren und sie genauer ergründen und ich kann ihm dabei helfen.“

Der Dämon stützte einen Ellenbogen auf dem Knie ab, lehnte das Gesicht gegen seine Finger, die Augen geschlossen, als er sich zwang Uruhas Blickwinkel zu unterstützen, hinter die Wut zu schauen, die in heißen Wellen durch ihn rollte.

Sein Mund [1] hatte Recht.

Natürlich hatte er das. Aoi konnte sich an keinen Zeitpunkt ihrer Freundschaft erinnern, an dem das anders gewesen war. Uruha hatte schon immer die richtigen Worte gewählt und die passende Emotion für jede erforderliche Situation gefunden. Es war der Grund, warum Uruha derlei Gespräche übernahm. Gerade mit dem Volk der Elfen. Wie oft Aoi schon daran gewesen war, handgreiflich zu werden, konnte man nicht zählen. Alles hier machte ihn aggressiv. Die weiße Magie kribbelte unangenehm auf seiner Haut, obgleich er sie als Träger totaler Magie ebenfalls anwenden konnte. Sie tat ihm nicht weh; nicht so wie anderen Wesen, deren Gabe aus der negativen Magie geboren wurde. Trotzdem störte sie ihn. Sie erinnerten ihn konstant an Dinge, an die er nicht erinnert werden wollte. Und dies schloss auch Kyô mit ein.

Und so gern der Dämon den Hohelf vom Angesicht dieser Welt wischen wollte, seine Vernunft und sein Sinn für die Stärke von Verbündeten verbot es ihm. Kyô war – in jeder Hinsicht – unersetzlich. Trotz seines Verrats, für welchen Aoi ihn gebrandmarkt hatte. Es war genau hier passiert. In diesem Raum.

Es war das einzige Mal gewesen, dass Kyô und er allein miteinander waren. Ihr Streit war dermaßen heftig gewesen, dass sie Elbaro zu großen Teilen zerstört hatten. Geendet hatte es erst, als Ruki ihn wenig mitfühlend ohnmächtig geprügelt hatte. Kyô war es ähnlich ergangen, auch wenn man ihm nie die Details mitgeteilt hatte.

„Aoi?“

Er nickte, richtete sich dann gerade auf, weswegen Uruha und Ruki sofort reagierten und vor ihm auf die Knie gingen; sie machten dies nicht immer, doch hier waren sie in Ulka und Aois Autorität musste nicht nur gewahrt, sondern auch demonstriert werden.

„Ruki, geh und sichte die Schriften. Bring so viel wie möglich über das Artefakt der Zeit in Erfahrung. Ich will wissen, was Zero damit machen kann, außer in die Zukunft zu blicken. Wenn es wirklich er ist, mit dem wir es zu tun haben, hat er mit Sicherheit einen tieferen Sinn darin gesehen, es vor all diesen Jahren zu stehlen. Uruha, du hilfst Kai zu Die zu bringen und bewachst ihn, solange Reita nach einem Wächter sucht.“

„Ja, mein Herr.“

Die beiden hatten gemeinsam gesprochen, und wie Aois Krieger legten sie die Hand über ihre Brust, dann erhoben sie sich und verließen den Raum.
 

~~~~~
 

Entgegen dem was Kai eigentlich gewollt hatte, war er eingeschlafen und als er sich mit der Hand über das Gesicht wischte und gegen eine ihm fremde Decke blinzelte, verdächtigte er Reita, irgendetwas in sein Wasser getan zu haben.

Ja, er war nach Kyôs Worten geschockt gewesen. Und sicher auch blass – wer wäre das nicht? - aber er hatte sich nicht ausruhen wollen. Er hatte sich nicht von Aoi trennen wollen und nun schnaubte er, da Reita ihm geradewegs in das Gesicht gelogen hatte. Nur einen Moment zu sich kommen und beruhigen sollte er sich, hatte Reita gesagt. Einen Schluck Wasser trinken, dann würde der General ihn zu Aoi zurück bringen. Ein schöner Freund war das. Kai schnaubte leise, aber er konnte nicht genug Energie aufbringen, wirklich wütend auf das Geisterwesen zu sein; denn auch wenn es ihm nicht passte, er verstand die Beweggründe. Und er war sich auch ziemlich sicher, dass nicht Reita kommen würde, um ihn abzuholen.

Er setzte sich auf, sah sich in dem Raum um, in welchen er gebracht worden war. Er nahm an, dass es sich um eine Art Gästeraum handelte. Rechts von ihm befand sich ein großes Fenster, welches leicht geöffnet war, davor ein kleiner, runder Tisch und zwei Stühle. Die Möbelstücke waren aus einem hellen Gestein, geschwungen und mit fein gearbeiteten Mustern überzogen. An der Wand gegenüber dem Bett stand ein Sekretär mit einem weiteren Stuhl.

Alle Polster, sowie die Bettwäsche und die Tücher die von der Decke herab hingen – sie waren an der Seite des Bettes gebündelt und festgebunden – hatten einen warmen altrosanen Ton. Kai schob seine Füße über die Bettkante, stellte sie auf dem steinernen Fußboden ab. Dieser war erstaunlich warm, fast als würde er von unten beheizt werden.

Kai ließ seine Zehen einen Moment darüber gleiten, dann stand er auf. Seine Schuhe inklusive seiner Socken standen unter dem Bett, doch für den Moment beließ er sie an diesem Ort und trat zu dem Fenster hinüber, studierte die Karaffe mit Wasser und die Obstschale auf dem Tisch, bevor er nach draußen blickte.

Ein kleiner Wasserfall stürzte direkt vor seinen Augen zu Boden; auf den dazwischen heraus ragenden Felsen wuchsen kleine Pflanzen, deren herzförmige Blätter nach unten hingen – wie alles hier waren sie durchsichtig. Sie sahen aus, als würde ein zu heftiger Windstoß genügen um sie zu zerstören. Das galt für alles hier. Wie konnte Ulka nur so fragil und wunderschön sein, derweil sein Volk eine gewisse Härte inne hielt. Es passte nicht zusammen. Auf Kai machten die Hoheelfen den Eindruck eines recht kriegerischen Volkes. Anderseits, er hatte bisher nur mit einem von ihnen tatsächlich interagiert. Sofern man es so nennen konnte und ob Kyô nun wirklich derjenige war, an dem Kai sein Bild fest machen sollte?

Er seufzte leise, öffnete dann das Fenster weiter, stützte sich auf der Fensterbank ab, um die Hand in das Wasser zu halten. Es war von einem sanften Summen begleitet, so als ob das Land selbst auf ihn reagierte und ihn akzeptierte. Kai schauderte, erfüllt von Erstaunen und Faszination. Was war er doch nur für ein kleines Lebewesen im Angesicht solcher Wunder. Welch ein Glück er hatte hier zu sein.

„Es ist wunderschön, nicht wahr?“

Uruhas Stimme flutete durch den Raum und Kai lächelte, selbst wenn es mit Bitternis behaftet war. Genau die Person war es gewesen, mit der Kai gerechnet hatte.

„Ja, das ist es.“ Er zog die Finger zurück, um sich dem Älteren zuzuwenden. „Bist du hier, um mich zu Aoi zurückzubringen?“

„Nein.“, Uruha schüttelte sanft und entschuldigend den Kopf. „Ich bin gekommen, dich zu Die zu begleiten.“

„Ah. Was auch sonst.“

„Kai?“

Uruha klang verwundert, trat näher, doch Kai hatte sich von ihm abgewandt, sah wieder nach draußen.

„Er macht es wieder. Entscheidet über meinem Kopf hinweg und macht weiter, als ob nichts geschehen wäre.“

„Du tust ihm Unrecht, Kai.“

„Tue ich das? Er ist nicht hier, also kann es ihm nicht so wichtig sein, wie es mir geht.“

Uruha seufzte, ob des kindlich beleidigten Tonfalls. Wie es schien, musste er hier noch einen Kopf gerade rücken. Ja, er verstand Kais Gefühle durchaus, konnte nachempfinden, dass dieser sich gewünscht hätte, dass Aoi selbst kam, um nach ihm zu sehen. In den Gedanken und Sichtweisen des Menschen war es wichtig, dass der Partner zeigte, wie wichtig ihm die Beziehung und das Wohlergehen seines Geliebten war. Und er würde sicher wenig glücklich sein, wenn Uruha ihm offenbarte, dass Aoi ihm einen Bodyguard zur Seite stellte und sich von ihm trennte, um die Prophezeiung zu ergründen.

Nur war Aoi kein Mensch und Dämonen handhabten solche Angelegenheiten anders; Kai hatte mit Aoi an seiner Seite ein unwahrscheinliches Glück. Die meisten Dämonen, die Uruha begegnet waren, hielten ihre Gefährten entweder wie Sklaven oder sie waren in einen ständigen Wettstreit miteinander verwickelt, in dem jeder dem anderen beweisen wollte, dass er besser, größer und stärker war.

Aoi war sehr 'menschlich', was seine emotionalen Bande anging. Aber dies würde ein Thema zu einem anderen Zeitpunkt werden.

„Hör auf damit, denn du weißt, dass es nicht wahr ist.“, er trat auf Kai zu und schob die Arme um diesen, bot den körperlichen Kontakt an, den der Braunhaarige so dringend zu brauchen schien, „Aoi handelt immer zu deinem Besten.“

„Ich weiß.“, murmelte Kai und legte seine Hände über Uruhas.

„Dann verstehst du auch, warum er nicht hier ist. Er ist der Herr über Kistara.“

„Pflicht über Privatleben.“

„Exakt. Und nun komm, gehen wir zu Die.“

„Wird er noch kommen?“

Kai sah zu ihm auf und Uruha lächelte sinnlich, lehnte sich vor um einen Kuss auf Kais Lippen zu tupfen.

„Ja, das wird er.“

Der Braunhaarige schauderte unter der Berührung, schenkte ihm ein ehrliches Lächeln.

„Wenn nicht, dann kann ich noch immer mit dir fremdgehen, oder?“

Uruha lachte um Kais Willen, half so, die Stimmung zu lockern und Kai weiter zu entspannen.

„Wir können es ja versuchen.“, ein verführerisches Zwinkern folgte der Aussage. „Ich kenne da den einen oder anderen Ort in Ulka.“

Nun lachte auch Kai, löste sich dann aber aus seinen Armen und drückte den Rücken durch, als er ein weiteres Mal ernst wurde.

„Ich will ihm ebenbürtig sein, Uruha. Ich will, dass er sieht, dass ich auch Stärke in mir trage. Ich bin kein kleiner Junge, der versteckt werden muss.“

Uruha lächelte, strich Kai über die Wange.

„Das weiß ich, Kai.“

Es war traurig, wirklich, dass das harsche Licht der Realität ein ganz anderes Bild warf.
 

~~~~~
 

Reita hatte nicht lange überlegen müssen, um einen Mann zu finden, dem er nicht nur Kais, sondern sein eigenes Leben anvertrauen würde – wenn er denn sterben könnte.

Nachdem er Aoi verlassen hatte, war er zielgerichtet zurück nach Lagua geflogen. Um genau zu sein, war sein Ziel das Fürstentum Gebik, in welchem der Fürst des Landes residierte. Geokia ließ er vor den Toren der Stadt; im Gegensatz zu Obe war die Stadt nicht darauf ausgerichtet, Drachen zu beherbergen. Sein Mädchen gurrte, als er von ihrem Rücken glitt, stupste ihm in den Bauch, weswegen er breit grinste.

„Alles klar, Süße. Drei Hähnchen für dich, wenn ich da drin alles erledigt habe.“

Ein weiterer Stupser.

„Was, Obst auch noch? Du frisst mir noch mal alle Haare vom Kopf!“

Nun grollte die Drachendame, sah aus, als würde sie eine Augenbraue in die Höhe schieben und tippte mit einer Kralle auf seine Schulter.

„Was'n, ich? Ich soll gefräßig sein? Na sieh mal zu, wer dir das leckere Fleisch mitbringt. Ich werd's nämlich nicht sein!“

Geokia gluckste nur dunkel, wandte sich ab, um hüftschwingend davon zu traben – es war ein Bild für die Götter, wirklich – und Reita schnaufte und ging ebenfalls seiner Wege. Immer diese Drachen, wirklich! Alle ihren eigenen Kopf und frech waren sie obenauf auch noch!

Er schlenderte in die Stadt, als würde er sich auf einem Ausflug befinden, flirtete hier und da mit den hiesigen Damen, die daraufhin in ihre reich bestickten Schleier und Tücher kicherten. Als er den Marktplatz überquerte, wurde ihm ein Apfel zugeworfen, welchen er mit blitzschnellen Reflexen fing und hinein biss, bevor er den Händler grinsend grüßte. Dieser erwiderte die Geste und klopfte auf einen kleinen Sack – ohne Zweifel gefüllt mit noch mehr Obst – weswegen sich Reitas Grinsen weitete. Mit einem Kopfnicken versprach er, es später abzuholen.

Vor dem Schloss veränderte sich die Aura das Geisterwesen. Er ging aufrechter, verlor das Lächeln und ließ eine Hand auf dem Griff seines Schwertes ruhen, demonstrierte damit Macht und seinen Rang. Die Wachen - welche den warmen Tag auch eher dazu nutzten ein Schwätzchen miteinander zu halten, als starr geradeaus zu blicken - hasteten in eine offizielle Formation und schlugen sich gegen die Brust.

„Slua!“[2]

Reita nickte ihnen zu.

„Gebt Kunde an Tsukasa. Ich wünsche ihn zu sprechen.“

„Jawohl.“

Eine Wache eilte davon und eine andere begleitete das Geisterwesen ins Innere des Schlosses, durch die offenen Gänge der komplexen Gartenanlage hin zum Thronsaal. Dessen breite Säulen bildeten das Fundament zu einem surrealen, von Licht durchfluteten Raum, denn alle anderen Elemente bestanden aus buntem Glas. Sie zeigten die Bildnisse der letzten Herrscher und in dem größten der Fenster fand sich das Wappen von Gebik – ein Drache auf den Hinterbeinen, der das legendäre Schmuckwert in den Klauen hielt das damals für Kova gefertigt worden war und welches sich nun an der Hüfte Aois befand. Genau darunter standen drei große, aus Holz gefertigte, Stühle. Sie waren wesentlich kantiger und grober gearbeitet, als die feinen, filigranen Muster in Ulka. Die Stühle wirkten rau, rau und ungestüm so wie die Wesen, die sie einst erschaffen hatten.

Der größte von ihnen war für den Herrn über Gebik selbst bestimmt, rechts residierte seine Frau und links der Thronfolger. Im Fall des jetzigen Fürsten – der noch keine Braut erwählt hatte – wurde der rechte Platz von dessen Sterndeuter eingenommen. Auf dem linken Thron saß Reita. Vor allem dann, wenn er offiziell als General hier war. Hinter dem Podest reihten sich je vier Wachen; sie waren die Elite des Fürstentums, stark in Körperkraft und magischem Potential. Übertroffen wurden sie nur von den Drachenreitern.

Tsukasa erwartete sie bereits, aber damit hatte Reita gerechnet. Der Fürst hatte wahrscheinlich schon von ihm gewusst, als er das Tor zur Stadt passiert hatte. Nun erhob sich der schlanke Mann, ein ehrliches Lächeln auf den noblen Zügen. Sie gingen aufeinander zu und packten einander an den Unterarmen, grüßten sich auf diesem Wege.

„Reita. Was führt dich hier her? Und dazu noch in Rüstung? Ist etwas vorgefallen, von dem ich wissen sollte?“

Tsukasas Stimme war dunkel; sie enthielt eine natürliche Autorität, der sich jeder automatisch zuwandte. Der andere Mann musste nicht laut werden, damit man ihm zuhörte. Und er mochte es nicht, lange Reden zu halten, sondern brachte seine Gedanken und Meinungen gezielt und gekonnt auf den Punkt. Er war kein Mann großer Worte, ähnlich Kyô, doch im Gegensatz zu dem Hoheelf wusste Tsukasa geschickt zu sprechen. Sein Umgang mit Worten und Formen war dem Uruhas beängstigend ähnlich. Beide Wesen konnten ihre Gewandtheit wie eine scharfe Klinge einsetzen und nicht selten verteilten sie damit tödliche Hiebe.

„Es ist einiges geschehen, mein Freund, deswegen bin ich hier. Ich möchte dich um etwas bitten.“

„So? Worum geht es?“

Tsukasa bot ihm an, sich zu setzen, deutete einem Diener an, Wein zu bringen – dies alles geschah, derweil er weiterhin Reita ansah. Die dunklen Augen waren klug, gewieft. Sie zeigten mehr als alles andere, dass hinter der harmlos erscheinenden Fassade eines schönen Gesichtes ein scharfer Geist und genialer Stratege ruhte.

„Gestern Nacht wurde eine weitere Prophezeiung gesprochen. Außerdem erhielt Kai einen Traumbesuch. Wir vermuten einen Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen, daher will Aoi, dass Kai extern beschützt wird. Ich bin beauftragt, diesen Beschützer zu finden.“

„Mein Person, nehme ich an?“

Tsukasas Blick blieb unverändert, derweil Reita breit grinste und Tsukasa zu zwinkerte.

„Hast es erfasst, Alter.“

„Und weiß Aoi von deiner genialen Idee?“

„Nope. Aber er sagte 'finde jemanden, dem du vertraust' und das hab ich gemacht.“

„Es wird ihm nicht passen.“

„Jo. Aber Fakt ist, Tsu-man. Meinem Boss gefällt gar nichts, wenn er nicht selbst seine Finger im Spiel haben kann. Er wird schon drüber weg kommen. Und er vertraut dir auch, sonst hätte er dir Lagua nicht gegeben.“

Nun lächelte auch Tsukasa; aber es war dunkler, gefährlicher, als Reitas augenscheinlich sorgloses Grinsen.

„Nachdem du vor ihm auf den Knien gerutscht bist und meine Loyalität beschworen hast.“

„Oi!“, Reita schlug entrüstet nach Tsukasas Unterarm, landete einen deftigen Schlag dagegen. „Ich rutsche vor niemandem auf den Knien!“

„Gebettelt hast du dennoch.“

„Nennen wir es strategisch manövriert.“

Tsukasa lachte; es war ein angenehmer Laut, der nicht wenige Damen schwach werden ließ.

„Fein, mein Freund. Du hast mich überzeugt.“

„Wirst du auf ihn achten?“

„Ja, das werde ich.“

Reita griff nach Tsukasas Arm, drückte diesen dankend.

„Ich werde ihn zu dir bringen, sobald er den Traumtänzer gesehen hat.“

Tsukasa nickte, lehnte seine Wange gegen den Handrücken, als der sein Gegenüber mit einem durchdringenden Blick fixierte.

„Was hat die Prophezeiung offenbart?“

Reita grinste schief, fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, stützte dann die Unterarme locker auf die Knie, starrte geradeaus.

„Nur Probleme, Alter.“

„Sollte ich mich auf Übergriffe vorbereiten?“

Reita summte, sah schräg zu seinem Freund auf, blitzte ihn halb amüsiert, halb wissend an.

„Tsu, my man, du bist immer vorbereitet, das weißt du und das weiß ich. Ein kleines Fingerschnippen und ich hätte ein Messer an meiner Kehle.“

Keine Antwort aber ein Lächeln, das genug aussagte. Das Geisterwesen erhob sich, studierte einen Moment die monumentalen Bildnisse.

„Pass auf ihn auf, man. Ich will ihn nicht zu Grabe tragen müssen.“

Hinter ihm erhob sich Tsukasa, legte ihm die Hand auf die Schulter, nickte seicht.

„Du hast mein Wort.“
 

[1] Die Aufgaben der Generäle teilen sich wie folgt auf:
 

Uruha – Aois Mund: Botschafter, Diplomat, Vermittler

Ruki – Aois Auge: Wächter über die Schleier und Grenzen in Kistara, Späher, ranghöchster Magier

Reita – Aois Hand: Henker, Verfolger, gebietet über die Drachenreiter und das Herr Kistaras
 

[2] irisch, bed. Sire

4

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Kai hatte einen Moment geschwiegen, abermals aus dem Fenster gesehen, doch nun fixierte er Uruha mit einem entschlossenen Blick.

„Dann sag mir was los ist, Uruha. Lass mich am Tisch der Großen essen.“

Das Meerwesen seufzte leise, strich mit dem Handrücken über die Wange seines Freundes, nickte.

„Ich werde versuchen, es dir zu erklären. Komm, wir können dabei schon ein Stück gehen, Dies Haus liegt am anderen Ende von Elbaro.“

Dieses Mal nickte der Braunhaarige und Uruha fasste nach Kais Hand, sobald sie im Freien waren, verflocht ihre Finger miteinander. Sie liefen langsam die Hauptstraße von Elbaro hinab, ließen sich Zeit. Nicht nur, ob der Dinge die Uruha dem Jüngeren erklären sollte, Kai wollte die Chance erhalten, sich vollends zu beruhigen, denn auch wenn er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, Kyos Worte ließen ihn nicht los.

Wundert dich das, fragte eine kleine Stimme kichernd. Der Mann hat gerade verkündet, dass Aoi ohne dich besser dran wäre. Er will dich tot sehen!

Nein, debattierte ein anderer Teil in Kai zurück. Er sagte, dass es nur eine Warnung ist. Er ist alt und mächtig, es gab bestimmt einen Grund dafür.

Die erste Stimme schnaubte auf seine kindlich reinen Gedanken und streckte ihm den Mittelfinger entgegen, wobei sie etwas in der Richtung wie 'Mach dir nur was vor.' brummte. Und wenn Kai es ehrlich zugab, dann hatte er Angst davor, dass Kyo seine Worte in die Tat umsetzte, wenn er es für notwendig hielt. Er verschloss seine Gedanken, verbot sich, noch weiter in diese Richtung zu gehen. Es würde nur das bittere Gefühl der Beklemmung in im nähren. Im Moment half nur, sich ein Stück weit zu belügen und zu verleugnen, dass diese Worte überhaupt gefallen waren. Doch dies war ebenso schwer, wie zu versuchen, nicht mehr über den Traum nachzudenken.

„Um dir verständlich zu machen, warum Aoi so unruhig ist und warum Kyo sagte, was er sagte, muss ich dir zunächst aus unserer Vergangenheit berichten.“ Kai sah zu dem Langhaarigen, doch dieser erwiderte den Blick nicht. „Vor langer Zeit im Jahrtausend des Dämmermond gab es die Prophezeiung, dass ein Todesengel erwachen würde. Ein Wesen, dessen einziges Streben es ist, Finsternis und Qual in die Welt zu bringen. Ein Jahr lang leuchteten die drei Monde über Kistara rot, als sich eben diese Prophezeiung erfüllte. Das Kind, das nicht getötet werden konnte, wuchs in einem Körper heran, dessen Seele längst geflohen war.“

Die Augen des Menschen weiteten sich mit einem erschrockenen Keuchen, als ihm klar wurde, was genau Uruha sagte.

„Seine Mutter war tot? Wie konnte es leben?“

Das Meerwesen hob eine Schulter, schüttelte leicht den Kopf.

„Das weiß niemand. Es ist nur bekannt, dass es seine erste Todesbotschaft in dem Augenblick sandte, in dem es seine Augen zum allerersten Mal aufschlug.“

„Wen hat sie getroffen?“

Kais Frage war atemlos – es war nur schwer vorstellbar, dass es solch ein Wesen überhaupt gab und Uruha lächelte ein trauriges Lächeln.

„Seinen Cousin.“, nun schlug sich Kai die Hand vor den Mund, starrte den Älteren an, der so sanft weiter sprach, als wäre er Teil dieses Geschehens gewesen, „In ihrem Schock brachten die Einwohner des Dorfes den Todesengel fort. Sie setzten ihn tief in den Wäldern von Sepram aus und hofften, dass er dort Opfer einer wilden Bestie werden würde. Doch das Schicksal beschützte den Engel. Er wuchs unbeschadet auf und mit den Jahren erfuhr sein Cousin von ihm.“

Sie blieben vor einem Relief stehen, von denen es unzählige an den Häusern und Mauern der Stadt gab; es brauchte einen Moment, bis Kai registrierte, dass Uruha sie absichtlich hier her geführt hatte und er auf die bildliche Darstellung der Geschichte blickte, die Uruha ihm erzählte.

Er trat näher, strich über die Monde, die weinten, hin zu der Leiche einer Frau über welcher eine Kugel schwebte, in welcher Kai einen Embryo sehen konnte, bevor sein Blick weiter glitt, zu einem Rat an alten Männern, die alle strafend und mahnend auf das Abbild eines kleines Kindes starrten, mit dem Finger auf dieses deuteten. Er sah, wie der Todesengel in die Wälder gebracht wurde, die Bäume versehen mit furchtbaren Fratzen und klauenartigen Ästen.

„Wie hieß sein Cousin? Ist das bekannt?“
 

Uruha nickte hinter ihm. Kai sah es, weil er über seine Schulter geblickt hatte.

„Sein Name war Zero. Er erblickte am gleichen Tag wie der Todesengel Karyu das Licht der Welt.“

Kais Blick wanderte zurück zu dem Embryo und nach einem Moment der Suche fand er das zweite Baby – gehalten von den Armen einer weinenden, verzweifelten Frau. Er fühlte Tränen in seinen Augen brennen – die Bildnisse gingen ihm unglaublich nahe und er verstand, warum Uruha solch Mitgefühl in seinen Worten trug. Es war unmöglich, anders zu empfinden.

„Zero riss aus, um nach seinem Cousin zu suchen. Er ließ alles hinter sich, trennte sich von allen familiären Banden. Keiner weiß, warum er das getan hat, doch viele nehmen an, dass es der Zug des Schicksals war und Zero sich diesem beugte. Und dann geschah etwas bisher nie da Gewesenes. Zero und Karyu fanden zueinander, verliebten sich.“

Kais Blick wanderte von den sanften Augen seines Freundes zurück auf das Relief, wo er die Szene zweier Kinder fand, die miteinander aufwuchsen und zu jungen Männern wurden, die sich in zärtlicher Umarmung hielten.

„Doch Zero wurde Karyu entrissen.“ Die Stimme des Langhaarigen wurde leise, hielt eine Trauer inne, die Kai nur zu gut nachvollziehen konnte – er musste sich dazu nur in die Position Karyus versetzen und daran denken, Aoi zu verlieren. Er schauderte, schlang die Arme um sich. Er konnte den Gedanken nicht einmal zu Ende führen. „Das Urteil erfüllte sich und Zero starb. Versunken in Gram und Trauer brach Karyu in Ulka ein und suchte nach etwas, um seinen Geliebten zurück ins Leben zu holen. Er war erfolgreich, zumindest in weiten Teilen. Er fand das Ritual der Kigiri, ein Zauber, der es ihm ermöglichte seine Lebensenergie mit Zero zu teilen. Sein Geliebter wurde zu einem Geist und war fortan an seiner Seite. Doch Karyu sehnte sich nach einem richtigen Körper für Zero. Er begann Kraft zu sammeln, zog die Finsternis aus den Wäldern zu sich.“

Kai bebte erneut, als er auf die bildhafte Darstellung blickte; er konnte schwören, dass sich die Schatten um Karyu zu bewegen begannen, derweil dieser all seinen Schmerz und seine Pein in die Welt hinaus schrie.

„Er wollte die Schleier zwischen all den Welten zerreißen. Kova war es, der ihn stoppte. Er bannte Karyu, gefangen in einem ewigen Schlaf. Von Rache und Gram erfüllt tötete Zero daraufhin Kova. Kovas Sohn und viele Andere verfolgten ihn, doch er ist ein Geist. Nicht zu finden, nicht zu verfolgen und nicht zu töten. Die Elfen versiegelten die Wälder von Sepram, hofften, Zero dort mit einzuschließen, wenn er in der Nähe von Karyu war, oder um diesen zumindest von ihm zu trennen. Sie versagten, denn Zero gelang entweder die Flucht oder er war von dem Zauber nie berührt worden; er tauchte im Jahrtausend des Luma wieder auf und stahl das Artefakt der Zeit.“

Uruha stoppte an dieser Stelle und Kai sah zu diesem; nun war der Zeitpunkt gekommen, an dem die Erzählung in eine Erklärung für Aois und Kyos Verhalten überging, weswegen er nun noch genauer zuhörte.

„Es geschah unter Aois Herrschaft. Zeros Erfolg stieß Aoi heftig auf und seither versucht er verbissen, den Geist und das Artefakt zu finden. Er und Kyo wissen, dass es ein Wettlauf mit der Zeit ist. Damals war Zero nicht stark genug, das Artefakt zu nutzen, doch nun nach all diesen Jahren besteht die Möglichkeit, dass er es geschafft hat. Kombiniert mit deinem Traum und der Prophezeiung sowie den Monden, die in einigen Tagen in eine Reihe finden werden und unser aller magisches Potential extrem erhöhen, ist dieser Gedanke enorm gefährlich. Niemand weiß genau, zu welchen Mitteln Zero greifen wird, doch er wird alles in Bewegungen setzen, um Karyu zu befreien. Die Zuneigung dieser beiden Wesen zueinander kennt keine Grenzen und keine Kompromisse.“

Uruha griff abermals nach Kais Hand; es war unklar, ob er dies tat um den Mensch oder aber sich selbst zu beruhigen.

„Aoi hat schon einmal versagt, als Zero der Diebstahl gelang. Dieser Fehler wiegt schwer auf seinem Bewusstsein und er begleitet ihn Tag für Tag. Es ist sein ultimatives Ziel, Zero unschädlich zu machen. Und an dieser Stelle kommt Kyo ins Spiel. Er wies Aoi – wenig taktvoll – auf eine Schwäche hin. Und das bist du, Kai. Seit du bei Aoi bist, ist er angreifbar.“

Die Worte, egal wie mild sie gesprochen worden waren, trafen den Braunhaarigen wie eine heftige Ohrfeige. Er löste seine Hand, trat einige Schritte von Uruha weg; das Meerwesen sah ihn gepeinigt an, doch tat nichts, um ihm nachzukommen.

„Bitte verzeih, ich weiß, es ist sehr hart gesagt und schwer zu verstehen.“
 

Kai schüttelte den Kopf, atmete einige Male tief ein und aus – so war es ihm auch ergangen, als er Kyo hatte sprechen hören, doch an die Stelle der Verständnislosigkeit dieses Moments trat nun Uruhas Erklärung.

Und diese machte Sinn. Egal wie bitter es war. Kai war eine Schwäche. Er war ein einfacher Mensch, durchaus mit Stärke gesegnet, welche aber im Angesicht all der Wunder und Wesen um ihn herum verblasste. Er maßte sich an, zu verlangen, am Tisch der Erwachsenen essen zu wollen und nicht wie ein kleines Kind versteckt zu werden. Und dabei gab es nichts, mit dem er helfen konnte. Dieses Wissen tat weh.

„Deswegen wollte er mich nach Hause schicken, damals, oder?“

„Auch.“ Uruha lächelte bekümmert. „Aber vor allem wollte und will er, dass du sicher bist. Das wollen wir alle.“

Kai seufzte, sah zu Uruha und trat nach einem Moment zu diesem, schloss ihn in die Arme, lächelte tapfer, als er sich auf Armeslänge trennte.

„Ich weiß. Danke, dass du so ehrlich mit mir warst. Ich verstehe sie nun besser, Aoi und auch Kyo meine ich.“

Sein Freund lächelte, etwas heller nun, bevor er Kai ein weiteres Mal umarmte, wohl um sich zu vergewissern, dass zwischen ihnen alles in Ordnung war und Kai gab es gerne wieder.

„Uruha?“

Er summte, sah Kai in die Augen, welcher erst zu ihm und dann zum Relief sah.

„Haben wir noch ein wenig Zeit, bevor wir zu Die gehen?“

„Weswegen?“

„Ich würde mir gerne das Bild von Kova ansehen, von dem du gesprochen hast. Es interessiert mich, wie der erste Herr von Kistara aussah. Seine Taten haben Kistara so offensichtlich beeinflusst, ich möchte wissen, ob Aoi ihm ähnlich ist.“

Das Meerwesen lächelte milde, nickte dann.

„Es liegt auf dem Weg, ich denke, diesen kleinen Abstecher können wir uns noch erlauben.“

Er zwinkerte Kai zu, woraufhin dieser summte und ihn breit anlächelte – ein Anblick, der dem Langhaarigen wesentlich besser gefiel, als das lange und nachdenkliche Gesicht, das dieser bis eben getragen hatte.

Sie bogen nach rechts ab, schritten auf ein Gebäude zu, welches wie eine kleine Kathedrale aussah. Das Dach war – wie alle hier – kuppelförmig, doch nicht von hellem Gestein, sondern golden. Die Farbe reflektierte das Licht gleißend, ließ es wirken, als wäre die Sonne selbst vom Himmel herab gestiegen.

Zwei Krieger aus Granit bewachten den Eingang; ihre beiden Lanzen kreuzten sich an den Klingen und als Uruha und Kai unter ihnen durch traten, legte der Braunhaarige den Kopf in den Nacken. Jede Einzelheit der imposanten Waffe war perfekt ausgearbeitet. Nicht nur sie, auch die mächtige Rüstung mit den dornenbewährten Armschienen, dem massiven Brustpanzer und die Gesichter mit dem strengen, starken Blick waren so realistisch, dass es wirkte, als würden sie sich jeden Moment bewegen.

Im Inneren des kleinen Raumes herrschte Dämmerlicht – nur wenig Sonnenlicht berührte Wände und Boden. Dafür reflektierte es sich in den unzähligen Kristallen, die von der Decke hingen.

Die Edelsteine summten leise, wann immer sie der Wind berührte, der durch das geöffnete Fenster huschte. Es erinnerte Kai an den Gesang einer Frau. Er konnte keine Worte verstehen, doch die Melodie an sich vibrierte durch seinen Leib und berührte etwas tief in ihm. Es war nicht in Worte zu fassen; wie als würde Kai fühlen können, was die ersten Elfen und Dämonen gespürt hatten, als sie das erste Mal den Fuß in diese Welt gesetzt hatten.

Ihre Faszination für das raue, noch ungezähmte Kistara; ihre daraus resultierende Liebe. Ihren Ehrgeiz, mit welchem sie dies Land geformt hatten. Ihren Schweiß der harten Arbeit und ihren Zorn, als sich Schwerter in blutigen Schlachten kreuzten. Es war tief beeindruckend und Kai fragte sich, ob es das war, was Uruha und all seine Freunde mit jedem Atemzug inne hielten.

Solch eine derartige Verbindung zu seiner Erde und seinen Wurzeln hatte er in seiner Welt nie verspürt.

Ob es daran lag, dass er nie gelernt hatte, sie richtig zu betrachten?
 

Er ging langsam durch den Raum, hin zu dem Altar welcher mit brennenden Kerzen, Blumen und Tüchern geschmückt war. Das Gemälde des Feuerdämon Kova hing darüber. Der Blick des Mannes war imposant und hart wie Stahl. Die Augen, ebenso schwarz wie die von Aoi, folgten ihm und jeder Bewegung die er tat. Kova trug sein dunkelblondes Haar kurz; auf der rechten Seite war es, zusammen mit Muscheln und Kristallen, eng am Kopf nach hinten geflochten. Drei Narben zogen sich schräg über seine Stirn; die längste von ihnen begann am Haaransatz und endete unter der Braue. Es ließ ihn noch wilder erscheinen, als das durch den harten, dünnen Mund und den kräftigen Kiefer ohnehin schon der Fall war. Kova trug keine Krone, sondern einen massiven Reif aus Gold, in dessen Mitte ein ovaler Rubin ruhte.

Um den Hals, über der tiefroten, ärmellosen Weste, befand sich eine breite, ebenfalls goldene Kette mit einem runden Pendant. Auf diesem waren mehrere Figuren eingraviert und Kai hob die Hand, um sanft darüber zu streichen – es kam ihm nicht in den Sinn, dass es vielleicht verboten war und Uruha hinderte ihn nicht, langsam über die exakt ausgearbeiteten Linien zu fahren.

„Was ist das?“

„Die Wappen der drei Länder, vereint in dem Symbol, das für Kistara steht.“ Uruha trat nahe an Kai, deutete auf den Drachen im Zentrum des Pendants. „Dies hier, zusammen mit dem Schwert, steht für Lagua. Es ist ein Zeichen für die Quelle der Macht in Lagua, dem Land, in dem die Herrscher von Kistara leben. Die geschwungenen Blüten an beiden Seiten symbolisieren Ulka und damit die Magie Kistaras. An keinem anderen Ort kann man sie so sehr fühlen, wie hier. Die Sonne und die Monde stehen für Java. Sie repräsentieren die Natur an sich; Java ist das wildeste Land, es gibt dort keine Städte und nur wenige Tempel und Götzen.“

Kai nickte, studierte die Kette und Kova lange Momente.

„Er hat die gleiche Aura. Die Art, wie er blickt und sich hält. Es gleicht Aoi.“

Uruha summte.

„Es ist eine Erscheinung, die du nur bei den wahren Herrschern finden kannst. Alle Dämonen sind stolz und machtvoll, aber nur wenige können sich in dieser Art und Weise halten. Das ist der Grund, weswegen es bisher nur drei Herrscher gab. Kova, seinen Sohn und nun Aoi.“

„Wenn Kova einen Sohn hatte... warum wird ihm dann nicht auch hier geehrt?“

„Weil dies hier ein Mausoleum ist. Kovas Sohn ist noch am Leben und seine Taten sind im Tal der gefallenen Könige niedergeschrieben.“

Nun blinzelte Kai.

„Er lebt noch? Aber weswegen ist dann Aoi Herr über Kistara? Muss der Vorgänger nicht erst sterben?“

Von dem was er gehört und erzählt bekommen hatte, war es in Kistara durchaus üblich, dass ein solches Amt nur dann weiter gegeben wurde, wenn der Träger starb; Uruhas zustimmendes Nicken bestätigte Kai, dass er in dieser Hinsicht nichts Falsches verstanden hatte.

„Normalerweise ist es auch so, ja. Aber Aois Geburt und seine Herrschaft wurden prophezeit. Und dies setzt alle anderen Gesetze außer Kraft. Es ist ultimativ, so hat es Kova damals festgelegt.“

„Dann hätte Aoi sich niemals dagegen wehren können?“

„Nein.“

Ein Leben von Geburt an vorherbestimmt. Es fiel Kai schwer, daran zu glauben, dass sich Aoi unter dieser Bürde nicht unwohl oder gezwungen fühlte. Sein Sinn für die Freiheit der Entscheidung rebellierte jedenfalls stark dagegen. Allerdings glaubte man hier fest an die Vorherbestimmung und das Schicksal – möglicherweise würde Kai anders denken, wenn er ebenfalls hier geboren worden wäre.

„Warum ist Kovas Grabstätte hier in Ulka? Wenn es doch Lagua ist, wo die Herrscher residieren?“

„Es war Kovas Wunsch.“, auf den Lippen des Meerwesen lag ein warmes, zärtliches Lächeln; ein starker Ausdruck für die innige Liebe eines ehemaligen Herrschers. „Er und der Hoheelf Hina waren eng miteinander befreundet.“

„Wie war Kova? Hast du ihn kennen gelernt? Und diesen Hina? War er ein Vorfahre von Kyo?“

„Nein. Ich kenne keinen der beiden, nur ihre Geschichten. Und ja, Hina war Kyos Vater. Vielleicht finden wir einen Elf, der alt genug ist, um dir davon zu erzählen.“

Kai summte, wandte sich dann von dem Gemälde Kovas ab und Uruha zu.

„Du bist mir auch noch eine Erzählung schuldig, das weißt du, oder?“

Das Meerwesen lachte samten, nickte und zog seine langen Haare über eine Schulter nach vorne.

„Ich würde mich nicht wagen, es zu vergessen.“
 

Sie verließen das Mausoleum und erreichten wenig später ihr Ziel.

Das Haus des Traumtänzers war von außen nicht von den anderen Gebäuden zu unterscheiden, doch Kai sah sofort, dass es so etwas wie einen kleinen Garten gab. Dies war ihm bei keinem der anderen Häuser aufgefallen; die Elfen schienen die Natur dort wachsen und blühen zu lassen wo es dieser gerade passte, ohne aktiv in sie einzugreifen. Die gepflegte Anlage und der schön geharkte Kiesweg ließen Kai darüber sinnieren, ob Die vielleicht ein anderes Wesen war und nur hier in Ulka lebte.

An dem Tor hing ein Glöckchen, welches fein läutete, als sie eintraten; wohl ein Signal, denn die Tür vor ihnen öffnete sich, ohne dass jemand kam, um sie in Empfang zu nehmen.

Hinter dieser fielen lange Tücher von der Decke herab. Sie machten es schwer einen wirklichen Überblick von der Größe und Höhe des Raumes zu erlangen. Außerdem wirkten sie, als würde sich ihr Besitzer lieber hinter ihnen verstecken wollen.

„Seid willkommen, General.“

Die Stimme, die sie grüßte, war leise, behaftet mit Wärme und einer unschuldigen Zuneigung; wie, als würde die Person in niemandem etwas Böses sehen können. Kai fühlte sich sofort zu ihr hingezogen, Uruha hingegen lächelte sanft, strich einige der Tücher fort, hielt sie, sodass der Braunhaarige unter diesen hindurch tauchen konnte.

„Guten Tag, Die. Wie geht es dir?“

„Gut, danke der Nachfrage. Ihr habt mir einen Gast mitgebracht?“

Uruha summte und Kai – der sich neugierig nach dem Traumtänzer umsah – stieß mit dem Fuß gegen einen flachen Tisch, woraufhin die Karaffe darauf umstürzte. Er fluchte und entschuldigte sich sofort dafür, derweil er versuchte, das Gefäß am fallen zu hindern; es war zwecklos und Sekunden später zerschellte das Glas auf dem Boden.

„Gott, das tut mir leid!“

Kai fiel regelrecht auf die Knie, um die Scherben einzusammeln, doch noch bevor er die erste überhaupt anfassen konnte, legte sich eine blasse Hand auf die seine.

„Es ist in Ordnung, mach dir keine Gedanken. Ich bin sicher, eines der Kinder wird es wieder in Ordnung bringen können. Kai nickte nur stumm, zu keinem ordentlichen Satz fähig, derweil er in das Gesicht seines Gegenübers starrte.

Dunkle, sanfte Augen blickten zu ihm zurück, das Gesicht des Traumtänzers nicht so symmetrisch und perfekt wie er es bei den anderen Elfen gesehen hatte, die ihm begegnet waren, was seinen Verdacht verstärkte, dass Die kein Hoheelf war. Schockierend rotes Haar fiel tief in die Stirn des Traumtänzers; der Mann war schlank, er schwamm regelrecht in seinem weiten Gewand.

„Ich bin Die. Es ist schön, dich kennen zu lernen.“

„Kai.“

Er ergriff die Hand, die ihm entgegen gehalten wurde, behutsam, schüttelte sie.

„Du bist gekommen, um einen Traum zu ergründen?“

„Uhm, ja.“, Kai sah sich nach Uruha um, bettelte quasi, dass dieser ihn unterstützte und das Gespräch übernahm – doch das schöne Meerwesen hielt sich entgegen seines Charakters zurück und lächelte dem Braunhaarigen nur ermutigend zu, weswegen dieser wieder zu Die sah. „Ich hatte einen Alptraum und, uhm, Aoi meinte, es war vielleicht ein Ruf. Wir, ich meine, er will wissen, wer dieser Mann ist, der mich gerufen und wie er das gemacht hat.“

Seine Würde schlug sich in Scham die Hand vor das Gesicht, starrte ihn verständnislos an – zwei Verlegenheitspausen in einem Satz?

Kai, wirklich! So bedrohlich war Die nun auch wieder nicht! Eher im Gegenteil. Von dem anderen Mann ging eine derartige Sanftmut aus, dass Kai sich fragte, ob dieser in der Lage war, auch nur der kleinsten Fliege etwas zu leide zu tun.

Die lächelte ihn an – was für ein hübsches Lächeln! - und Kai erwiderte es automatisch, was Dies eigenes Lächeln nur verstärkte. Dieser fasste ihn anschließend behutsam an der Hand und führte ihn dann zu einem Lager aus Kissen und Decken. Augenscheinlich gab es keine Matratze oder Bettgestell, aber vielleicht sah der Mensch es nur nicht.

Es war jedenfalls extrem bequem, nachdem er sich darauf nieder gelassen hatte. Sein Blick wanderte erneut zu Uruha. Der Langhaarige hatte sich auf einem Sitzkissen in der Nähe des kleines Tisches nieder gelassen und die langen Beine im Schneidersitz gekreuzt, lächelte von diesem Ort zu ihm herüber.

Die Scherben auf dem Fußboden waren verschwunden, doch noch bevor Kai eine entsprechend verwunderte Frage stellen konnte, berührte Die seine Stirn.

Er streichelte in sanft kreisenden Bewegungen darüber, eine Geste die Kai ungemein beruhigte.

„Ich möchte, dass du deine Augen schließt. Zähl langsam bis zehn und denk an den Ort, an dem dein Traum begann. Kannst du das für mich machen?“

Kai nickte, ließ die Lider zufallen. Der Raum, Uruha und selbst Die entfernten sich – nur die Stimme des Traumtänzers und dessen wunderbar warmen Finger blieben erhalten.

„Du machst das gut, Kai. Und nun, halt den Ort ganz fest. Stell dir vor, es läge in deiner Hand, ein großes Geheimnis, unglaublich wichtig. Machst du das?“

Der Braunhaarige nickte, sank nach hinten in die Polster; seine Atmung wurde tiefer, eben.

Er schlief ein, glitt unter der sanften Führung des Traumtänzers in die Schwerelosigkeit seiner Träume. Die hob Kais rechte Hand, die zu einer Faust geballt war, in die Höhe. Er drehte sie so, dass die Innenfläche nach oben zeigte, dann schob er die Finger darüber. Schimmerndes Licht, perlmutt gleich, schimmerte zwischen den Spalten ihrer verbundenen Gliedmaßen hervor und alsbald ruhte auch Die, folgte Kai, tauchte in das ein, was nur der Mensch hatte sehen können.

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Die Schwärze, die dem Rothaarigen als erstes begegnete, war ihm nur zu vertraut und er streichelte sie sanft, als er durch sie hindurch schritt. Sie machte ihm keine Angst, sie führte ihn, bis er den Ort fand, an dem Kais Traum begonnen hatte.

Er sah es als kleines Licht, auf welches er zu schritt und schon bald hatte es ihn vollständig umhüllt und verschlungen. Um ihn herum entstand ein Wald, die Bäume schossen links und rechts von ihm empor, verdeckten, was er von einem strahlend blauen Himmel hatte erhaschen können. Er erkannte diesen Ort und es fröstelte ihn – welche Verbindung, bei den Göttern, hatte Kai mit den Wäldern von Sepram?

Der schlanke Mann sah sich um, bis er den Weg fand, welchen auch der Mensch gegangen war. Wie dieser war auch der Traumtänzer barfuß, fühlte den Untergrund an seinen bloßen Sohlen, das leichte Picken der Nadeln, dazwischen Sand, Stöcke, Gras und weiches Moos. Hinter ihm verlor sich der Weg, vor ihm tat er sich auf; es war untypisch und das erste Indiz dafür, dass es sich tatsächlich um einen Ruf handelte und Kai an eine ganz bestimmte Stelle geleitet worden war.

Die fühlte wie Kai, als er in den Splitter trat, handelte wie dieser, erreichte die Lichtung, die Kai so viel vertrauter gewesen war, als der voran gegangene Teil des Waldes.

Er sah die Sphäre, sah die Verwandlung und er sah den Fremden.

»Stopp.«

Seine Stimme bildete ein sanftes Echo, als jede Bewegung und jeder Laut des Traumes einfror. Wie in einem Film, bei dem man auf die Pausentaste gedrückt hatte, war es Die nun möglich Details wahrzunehmen, die Kai nicht hatte sehen können.

So erkannte er, dass der fremde Langhaarige tatsächlich einen Zauber nutzte, um sich in den Traum des Braunhaarigen zu bringen. Dies war auch der Grund, weswegen dessen Erscheinung nicht konstant bestehen blieb, sondern mal klarer und mal verschwommener schien. Es erforderte enorme Kraft so etwas zu realisieren; Die hatte nur von wenigen gehört die es in der Vergangenheit geschafft hatten. Er würde Aoi raten, sehr vorsichtig und wachsam zu sein.

Die hob eine Hand, bewegte sie durch die Luft, als würde er einen Tisch oder dergleichen abwischen.

Augenblicklich klärte sich das Abbild des Langhaarigen und der Traumtänzer trat einen Schritt näher, um diesen ganz genau zu studieren, damit er eine möglichst genaue Beschreibung wiedergeben konnte, wenn er zusammen mit Kai erwachte.

Die hellen, smaragdgrünen Augen waren erfüllt von Zorn, aber auch Klug- und Gerissenheit. Sie hatten viel gesehen, viel erlebt und ihr Träger wusste dies Wissen geschickt einzusetzen. Die schönen Züge täuschten über die gefährliche Aura des Mannes nicht hinweg; sie unterstrichen sie.

Dies Kopf kippte überlegend auf eine Schulter, derweil er den Fremden ansah und dieser geradewegs zu ihm zurück zu starren schien.

Er kannte dieses Gesicht, dessen war er sich sicher. Er hatte es schon einmal gesehen, doch wo?

Wo war es gewesen?

In einem seiner Träume? Die schüttelte sanft den Kopf. Nein, nicht dort.

Die Erkenntnis fiel wie Schuppen von seinen Augen und ließ ihn leise keuchen. Das Relief! Er war sich ganz sicher, dass es die Erzählung vom Todesengel und dessen Geliebtem war – schon auf den in Stein gefangenen Bildnissen war ihm der stechende Blick des Geistes in Erinnerung geblieben. Dies war Zero!

Zero hatte es geschafft, einen Zauber zu spinnen, der mächtig genug war, Kai in einem Traum einzufangen und an diese Stelle zu führen!
 

»Bravo, Traumtänzer.«
 

Der Langhaarige blinzelte plötzlich, die Lippen in einem sinnlich-dunklen Lächeln erhoben.

Die keuchte entsetzt und wich zurück.

Wie Kai fiel er über seine Füße und fand sich Sekunden später im Gras wieder, doch dies registrierte er nicht. Er hatte Zero nicht kommen gefühlt.

Kein Hauch, kein Gefühl, keine Vorahnung. Nichts hatte ihm angedeutet, dass jemand seine Magie überwunden und mit in einen Traum gesunken war, den der Traumtänzer allein nur hätte durchschreiten dürfen.

Er starrte zu dem anderen Mann hinauf, welcher in diesem Moment geschmeidig von seinem Sitz herunter sprang und katzenhaft auf der Erde aufkam.

»Sei nicht so überrascht. Immerhin bist du es gewesen, der mir die Chance gab, mich dir auf diese Art und Weise zu nähern.«

Dies Brauen zogen sich zusammen, als er sich zurück auf seine Beine kämpfte und dem kleineren Mann mit durchgedrücktem Rücken gegenüber stand, diesen und dessen Bewegungen genau verfolgte.

»Wovon sprichst du?«

Zero legte den Kopf ein wenig auf die Seite, spiegelte damit Dies vorherige Bewegung; es gab der unschuldigen Geste etwas boshaftes, was den Traumtänzer erschauern ließ.

»Du hast meine Emotionen wahrgenommen und nach mir gesucht. So konnte ich deine Aura aufgreifen und dich finden. Und nun befinden wir uns hier.«

»Die Wut, der Hass... das warst du.«

»Durchaus. Es ist ein bedauerlicher Nebeneffekt zu einem Traumruf. Um diesen ausführen zu können, ist es notwendig, meine Schilde zu senken und mich weit zu öffnen, um große Distanzen zu überwinden. Jeder, der in diesem Moment 'zuhört', kann mich dann wahrnehmen. Aber letztendlich ist selbst dies von Nutzen für mich, nicht wahr?«

Zero umkreiste Die, welcher die Bewegung gleich tat, um den Grünäugigen nicht aus dem Blick zu verlieren.

»Was willst du hier?«

»Dir eine Botschaft überbringen.« Zero war stehen geblieben, noch immer das kleine, gefährliche Lächeln auf den Lippen. »Worte und Bilder die Aoi, die Kyô und allen Wesen dieser Welt zeigen sollen, dass die Zukunft mir und mir allein gehört.«

»Was hast du getan?«

Der Rothaarige suchte seine bebenden Finger zu verstecken, indem er sie zu Fäusten ballte, doch es war sinnlos.

Zero hatte es gesehen und genoss es, Furcht und Unruhe in dem schlanken Mann auszulösen. Er wusste, dass Die wusste, dass er nicht nur bluffte.

»Ich habe die Figuren zu meinen Gunsten bewegt.« Er bewegte sich plötzlich, stand mit einem Mal nahe hinter Die, das Kinn des Traumtänzers in der krallenbewährten Hand, sodass diese in die helle Haut eindrangen und winzige Tropfen an Blut entstehen ließen.»Willst du sehen, was ich gesehen habe?«

Es war eine rhetorische Frage und Zero erwartete ganz sicher keine Antwort.

Stattdessen hob er die Hand; an einer langen, silbernen Kette baumelte ein tropfenförmiger, handtellergroßer Kristall – das gestohlene Artefakt der Zeit.

Man sagte, dass es, wenn man seine Magie soweit getrieben hatte, es zu nutzen, Blicke in die Zukunft geben konnte, was aber nur eine Eigenschaft von vielen dieses wertvollen Objekts war.

Dies Zittern wurde stärker und er wollte seine Augen verschließen, vor dem Anblick dieses magischen Gegenstands und dem Horror, den es inne hielt, doch er konnte nicht.

Er war in Bewegungslosigkeit erstarrt, unfähig nicht hinzusehen.

Und Zero wusste ganz genau, wie es ihm erging; das dunkle Lächeln des Geistes wurde weiter, seine Lippen nahe an denen des Traumtänzers.

»Sieh zu und dann lauf und erzähle, wie Kistara untergeht.«

Ein wimmerndes Keuchen löste sich von seinen Lippen und als sich eine Träne aus seinem Augenwinkel löste und über seine Wange lief, verschwand die Welt um ihn herum.

Das letzte, das der Rothaarige zu hören vermochte, war das leise Lachen Zeros.
 

~~~~~
 

Die Umgebung hatte sich vollständig verändert und es brauchte einige, donnernde Sekunden bis Die begriff, dass er sich inmitten der Vision des Kristalls befand.

Er saß auf einer Klippe, die Beine seitlich zu seinem Körper angewinkelt, als er sich mit den Händen in einer aufrechten Position hielt. Das Geröll unter seinen Fingern war scharfkantig und bohrte ihm unangenehm in die Handflächen, doch dies war nebensächlich.

Viel mehr machte Die die Stille Angst. Sie war allumfassend, schien ihn zu ersticken. Es gab kein Wispern der Erde, keine Tiere, keine Magie, die ihn schon immer mit sanftem Summen begleitet hatte. Diese Welt schien erstarrt in einem unbekannten Atem der Zeit, der an Dies Herz zog und es mit winzigen Krallen blutig schlug.

Er erhob sich langsam, zog sein Gewand enger um sich; der Wind war eisig, doch stumm. Er zerrte an ihm, peitschte Regen in sein Gesicht. Die Wolken hingen so tief, dass sie jeden Augenblick auf Die hernieder zu stürzen schienen.

Seine ersten Schritte waren unsicher, seine Beine versagten ihm nahezu den Dienst und Die suchte nach Halt an den wilden Felsen, deren Ecken wütend hervor standen.

Wo war er hier?

War dies überhaupt noch Kistara?

Wenn ja, dann erkannte der Traumtänzer es nicht wieder. Vorsichtig ging er an den Rand der Klippe, sah diese hinab; ein schmaler Weg würde ihn nach unten bringen und nach einem letzten, unsicheren Blick über seine Schulter machte sich er Rothaarige daran hinab zu steigen. Dies war die einzig offensichtliche Richtung; ihm blieb gar keine andere Wahl, solange er nicht wusste, wie er aus dieser Vision entkommen konnte.

Mehrmals verlor er die Balance, rutschte auf dem Hintern und Rücken tiefer, wobei er Abschürfungen und blaue Flecken erlitt. Es zwang ihn zu einer Pause am Fuße des Berges, wo er sich ein weiteres Mal umsah.

Rechts von ihm war ein Stück Stoff in einer Felsspalte eingeklemmt und Die zögerte, die Hand auszustrecken, um es zu berühren. Am Ende tat er es doch, befreite das Material und glättete es mit sinkendem Herzen auf seinem Schoss.

„Oh nein...nein...“

Es war ein Wispern, erfüllt von Angst und Trauer. Dies Hand strich über das Wappen von Ulka; diese Blüten würde er überall wiedererkennen. Zwischen dem Dreck und ausgefransten Fäden sah Die Blut; es war das eines Hoheelfen. Nur ihr Blut hielt einen sanften Schimmer inne, schien noch lebendig, obwohl es vergossen worden war.

Das Stück der Flagge an sich gepresst, drückte er sich zurück auf die Beine, raffte sein Gewand, als er zu rennen begann, erfüllt von so vielen unterschiedlichen Gefühlen, dass er sie nicht einmal zu sortieren versuchte, sondern sich schlicht von seiner Panik treiben ließ – die nächste Anhöhe war nicht ganz so steil und als er ihre Spitze erreichte, sah er den ersten von ihnen.

Einige Meter entfernt lag ein Elf, das Gesicht ihm zugewandt, die Augen offen und starr auf ihn gerichtet. Sein Bein war gebrochen, es stand in einem unnatürlichen Winkel zum Rest des Körpers ab. In seiner Brust steckte ein Sperr.

Die Waffe hatte die Rüstung und das darunter getragene Kettenhemd sauber durchtrennt. Sie war demnach magisch gewesen, kein normales Schwert konnte das speziell gefertigte Metall der Elfen zerstören, es war in ganz Kistara begehrt und wurde nicht nur von den Elfen, sondern auch anderen Wesen getragen.

Die Hand vor den Mund geschlagen ging Die weiter. Er entdeckte immer mehr von ihnen. Ein Meer von Toten.

Das Erdreich war getränkt von ihrem Blut und schwarz von den magischen Attacken die hier nieder gegangen waren.

Überall hatten Krater sie aufgerissen; Feuerbälle versenkt, was es einst an Gras gegeben haben mochte. Hier und da glänzen matt die Überreste von gewaltigem Eiszaubern; ihre Stacheln ragten starr in den Himmel, mahnten stumm, die Gefallenen nicht zu stören.

Der Saum von Dies Kleidung war von Blut und Dreck besudelt, doch der Traumtänzer bemerkte es nicht.

Tränen liefen über seine Wangen, als er Freunde und Bekannte fand; sie alle waren tot. Keiner von ihnen hatte den verheerenden Kampf überlebt, der hier stattgefunden hatte. Nicht einmal die Jüngeren waren verschont geblieben – jene Elfen, die in den Augen des Rothaarigen noch Kinder gewesen waren. Viele von ihnen hatten in ihren letzten Minuten ebenfalls geweint; die Spuren auf den bleichen Wangen waren noch nicht getrocknet.

War es das gewesen, was Zero wollte?

All diese Zerstörung? Wofür?

Simple Rache?

Konnte ein Wesen soweit gegen?
 

Er hob ein Schwert auf. Die Klinge war verkrustet, sodass man die feine Gravur nicht mehr erkennen konnte, doch Die wusste, dass sie da war. Die Hoheelfen schmückten all ihre Waffen mit den Namen ihrer Götter oder Vorfahren.

Nun gab es niemanden mehr, an den diese Kunst weiter gegeben werden konnte. Er nahm es mit sich, warum, das konnte er nicht rational erklären; vielleicht, um etwas zu haben, das er mit nach Hause nehmen konnte, obwohl er wusste, dass dies alles noch nicht geschehen war. Sein Unterbewusstsein agierte momentan stark gegen das, was er wusste, was er logisch erkannte.

Dieses war es auch, welches ihn einige Meter weiter zwang, schluchzend in die Knie zu sinken, das Gesicht gramvoll in den Händen vergraben.

Bei den Göttern, wie er sich wünschte, dass es etwas anderes gab, außer seinem harschen, abgehackten Atem. Doch nur die Stille blieb bestehen, harrte an seiner Seite aus und zeigte ihm auf, wie entsetzlich allein er sich fühlte. Wie allein er war.

„Ich weiß, ihr seid müde, doch bemüht euch dies eine letzte Mal für mich!“

Dies Kopf hob sich ruckartig. Innerhalb eines Herzschlags pulsierte der Funken der Hoffnung durch seine Brust, verengre sie, als er genau lauschte.

War es eine Illusion gewesen? Ein Trick, um die letzten Fetzen seines Herzens auseinander zu reißen?

„Erhebt euch und folgt mir! Jeder einzelne Angriff zählt!“

Nein! Da sprach jemand, ganz sicher. Der Wind hatte die Stimme zu ihm getragen und nun ließ Die das Schwert fallen, begann zu rennen, stürzte, schlug sich die Knie auf, kam stolpernd auf die Füße und hastete weiter.

Seine Hoffnung schwoll mit jedem hastigen Schritt, gab ihm ungeahnte Kraftreserven, half ihm die nächste Anhöhe zu erklimmen, auch wenn er sich dabei die Hände und Finger aufschnitt.

„Bleibt stark! Ihr werdet heute nicht sterben, dafür werde ich sorgen!“

Die bebte, ob der Worte, ob der Sicherheit und Stärke in ihnen; sie trugen sich weit über das Land, hafteten an jedem der Felsen und kargen, verkümmerten Bäume.

Aoi!

Es war Aois Stimme, die er hörte – kraftvoll, stark, unerschütterlich. Sie durchflutete Dies Körper mit ihrer Intensität, ließ ihn immer heftiger zittern.

Er zog sich am letzten, ihm im Weg stehenden, Felsen hoch und schluchzte, als er sie endlich sah, brach einmal mehr in die Knie.

Es war eine schockierend kleine Gruppe, die sich um den Herrscher von Kistara hielt.

Der Traumtänzer sah die Generäle, er sah Kyô, Kaoru und Tsukasa.

Etwas weiter hinten stand noch ein Mann mit großen, schwarzen Schwingen, dazu einige Drachenreiter und Wesen, die dem Rothaarigen fremd waren.

Zusammen hielten sie vielleicht eine Stärke von dreißig oder vierzig Mann inne.

„Hizumi! Nimm Kaoru und Tsukasa und sichere die linke Flanke!“, der Dämon festigte seine Rüstung, als er sprach, zog hart an den ledernen Riemen, die von Blut durchtränkt schwarz aussahen, „Reita, Uruha, Ruki ihr geht nach rechts! Teilt die Männer unter euch auf! Kyô und ich bleiben in der Mitte! Egal was geschieht, bleibt auf eurem Posten. Keiner von euch hat sich uns zu nähern, ist das klar?“

Ernstes Nicken war die einzige Antwort, dann bewegten sich die Kämpfer schnell und sicher, gingen auf ihre Positionen.
 

Der Traumtänzer starrte mit ihnen in nördliche Richtung; er keuchte heiser, als er das feindliche Heer kommen sah.

Wie eine Welle an schwarzem Nebel krochen sie über die Ränder der Anhöhe, füllten in Sekunden das Tal und kreisten die kleine Gruppe ein.

Es war eine Übermacht, wie sie größer nicht hätte sein können und dennoch wich nicht einer der Krieger zurück.

Die sah, wie Ruki seine Waffen zog – beidseitig – und diese entsicherte.

Reita führte eine Doppelklinge, wirbelte diese über seinen Kopf, bevor er sie ins Erdreich rammte und sein Schwert zog.

Auch Uruha bereitete sich vor, spannte den ersten Pfeil in seinen Bogen; das lange Haar des Meerwesens war zu einem engen Dutt gefasst, gab ihm die Aura eines Kriegers und nicht die des sanften Wesens, die der Rothaarige sonst kannte.

Hizumi zerriss die letzten Teile seines zerfetzen Oberteils, ließ sie achtlos auf den Boden fallen, als er seine Schwingen weit öffnete und den feindlichen Schergen entgegen brüllte; ein dunkler Laut der durch jeden Knochen des Traumtänzers drang und einen ungeahnten Funken an Willen zu kämpfen in ihm auslöste. Es war ein Schlachtruf, wie er mächtiger nicht hätte sein können.

Tsukasa hingegen stand mit hoch erhobenem Kopf da, die beiden Stilette in den Händen, doch noch entspannt. Ihm war nicht anzuerkennen, dass er in wenigen Augenblicken um sein Leben kämpfen würde.

Die Waffen und Rüstungen der Krieger hinter ihnen klirrten und krachten, als sie sich formierten und zu beiden Seiten wichen, sodass nur noch Aoi und Kyô in der Mitte zurückblieben.

Der Hoheelf streckte die Arme in einer kraftvoll-eleganten Geste über dem Kopf und rief dabei Worte, die durch das gesamte Erdreich vibrierten und dieses zum Beben brachten. Sie stahlen Die ein weiteres Mal den Atem; die Magie, die der Elf in diesem Moment nutzte, war unbeschreiblich. Es war dem Rothaarigen unverständlich, woher Kyo all diese Macht überhaupt bezog, denn als Wesen der Natur schöpfte er einen großen Teil seiner aus genau dieser. Aber die Erde unter den Füßen des Blonden war verbrannt, dort gab es nichts mehr, das ihn unterstützen konnte.

Und trotzdem ging von den Händen des Elfen ein strahlendes Licht aus – es schoss in die Höhe, verschwand dort mit einem Wetterleuchten in den dunklen Wolken, bevor es wenig später wie Schnee auf sie hinab fiel, alles und jeden in einem weiten Umkreis berührte.

Es war ein magischer Schild.

Die kleinen Punkte an Licht streckten sich, fanden einander, verbanden sich, überschlugen sich in ihrer Hast an Höhe zu gewinnen. Innerhalb von Herzschlägen war der Schild mannshoch und wuchs weiter. Die Ränder des weißen Lichts schimmerten golden – Kyôs Aurafarbe. Die keuchte, als er zu dem Hoheelfen starrte; dieser schrie, wieder und wieder, pausierte nur lang genug, um Luft für einen weiteren Schrei zu holen.

Der Hoheelf selbst floss in den Schild, gab seine Seele, sein Sein in diesen einen Zauber; Die konnte sehen, wie der Körper unter der Magie bebte, wie es ihn auseinander riss; er sah, wie Blut aus den Ohren lief und den hellen Kragen der Roben tränkte.

Kyo opferte sich.

Es war die ultimative Art Schutz zu spenden.

Und es zeigte Die mehr als alles andere, wie aussichtslos die Situation war.

Aois Grollen fügte sich in das konstante Beben der Erde ein. Wie bei Hizumi hatte Die nie zuvor einen Laut wie diesen gehört, doch im Gegensatz zu dem Kampfgebrüll des Beschwingten, der die eigenen Reihen stärken sollte, war Aois Ruf mit etwas anderem, sehr viel Finalerem behaftet. Der Dämon würde hier siegen oder mit seinen Feinden zusammen untergehen. Es war unmissverständlich und wie alle anderen auch, wusste der Rothaarige sofort, an wen er gerichtet war.

Sein Blick glitt über die feindliche Übermacht. Er suchte nach Zero und fand diesen auf der Anhöhe, hinter den Linien der feindlichen Truppen.

Der Grünäugige saß auf einem Pferd und hielt sich mit der Grazie eines Königs, das Haar in einem strengen Zopf nach hinten gebunden und ein kleines, zufriedenes Lächeln auf den Lippen.

Neben ihm, auf einem weiteren Pferd, ritt ein anderer Mann, den der Rothaarige nach einigen Sekunden als Karyu erkannte. Der Todesengel strahlte eine Trauer aus, die so heftig war, dass sie Die wie unter einem körperlichen Schlag auf die Knie werfen würde, wenn er sich dort nicht schon befunden hätte.

Der Traumtänzer hustete erstickt, packte den Stoff seines Gewandes, als der Blick Karyus seine Person fand und an ihr haften blieb. Selbst auf diese Entfernung, die es unmöglich machte die Augen genau zu sehen, fühlte er sich, als würde er ersticken müssen.

In ihm flammte ein Gefühl von Kälte und Leere auf. Sie griff nach seiner Seele, seiner Magie, saugte ihn aus.

Die kippte auf die Seite, wälzte sich von dort auf den Rücken, eine Hand in sein Gewand gepresst.

»Du wirst, wie sie alle, sterben. Ich bete, dass es schnell gehen wird.«

Die leise, traurige Stimme nahm ihm den Rest seines Atems; Die begann in das Erdreich zu sinken, wurde von diesem mehr und mehr verschlungen.

Und derweil die nasse, blutende Erde nach ihm griff, lösten sich die Ränder der Vision auf – wie ein loser Faden, der vom Wind gepackt davon wehte.

Löcher entstanden; erst im wolkenverhangenen Himmel, dann auf dem Boden und in der Landschaft. Schwärze quoll durch sie, raubte mehr und mehr des Traumes, zog den Traumtänzer weiter hinab.

Die hörte wie durch einen Nebel den Schrei des Angriffs, er hörte, wie sich die Massen in Bewegung setzten. Schwerter trafen aufeinander, ihr metallener Klang unnatürlich laut. Darüber hinweg ein weiteres Brüllen, wie von einem Drachen.

Die glaubte, die goldenen Schuppen des edlen Tieres zu sehen, kurz bevor die Erde und die Schwärze über sein Gesicht krochen und ihm das letzte Licht raubten.

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Aoi hatte sich in das alte Haus des Dämonen Kova zurückgezogen.

Von außen hatte es die gleiche freundliche und filigrane Fassade wie alle Gebäude in Elbaro, doch das Innere war rustikaler ausgestattet. Die Farben waren zwar warm, aber dunkler. Statt all dem Sandstein, Marmor und Granit herrschte im Inneren Holz in Kombination mit Fellen und großen bestickten Kissen vor.

Es entspannte ihn, was durch die Stille unterstützt wurde, die es ihm erlaubte, einen Schritt, von dem immer präsenten Bild, Macht und Stärke zu demonstrieren, zurückzutreten.

Er schloss die Augen, nachdem er sich auf einen der großen Sessel gesetzt hatte, rieb mit dem Zeigefinger über sein Nasenbein.

Seit der Prophezeiung gab es in seinem Unterbewusstsein dies dunkle Gefühl, das dort beständig nagte, immer wieder wisperte, dass dies hier nur sein Fehler war.

Wenn er Zero nicht mit dem Artefakt hätte entkommen lassen, wenn er ihn hätte finden können...

Schuldzuweisungen und Selbstzweifel, die ihn all die Jahre über begleitet hatten – nun schienen sie übermächtig, nährten seinen Zorn, seine Unbeherrschtheit.

Sie ließen ihn sich machtlos fühlen; er hasste es.

Er wollte ein Schwert nehmen und sich in das Gefecht stürzen, nur, dass es keinen Kampf zu schlagen gab. Alles was er hatte, waren eine paar vage Vorstellungen, gerade was das Artefakt anging. Ja, er hatte Ruki beauftragt, nach allen zu suchen, was sich als brauchbar heraus stellte. Aber er war realistisch genug, um zu wissen, dass es nur das sein würde, was sie schon bei der allerersten Suche zusammengetragen hatten. Es wäre ein Wunder, wenn es mehr gäbe.

Und Aoi glaubte nicht an Wunder.

Viele der Elfen hatten ihm gesagt, dass Zero solch eine Waffe niemals würde benutzen können; einzig Kyô war seiner Ansicht gewesen, dass Zero verbissen genug war, es so lange zu versuchen, bis es ihm gelang. Für den Geist gab es nur ein Ziel und wie viele Leichen seinen Weg dahin säumten war diesem egal. Er hatte seinen Geliebten über alles gestellt; eine Tatsache, die Aoi nicht nachvollziehen konnte und doch auf gewisse Weise bewunderte.

Wie zäh musste man sein, über all diese Jahrhunderte auszuharren? Wie tief gingen die Gefühle für dieses eine andere Wesen? Aoi liebte Kai ebenfalls. Und das mit einer feurigen Intensität, die ihn durchaus so manche Grenze vergessen oder gar brechen ließ. Aber Kai als einzigen Mittelpunkt in seinem Leben setzen? Aoi war sich nicht sicher, ob er dies jemals tun konnte.

Seine Augen schlossen sich; allein durch diesen Gedanken hatte er das Gefühl, Kai zu verraten und herunter zu stufen.

Er zwang seinen Geist in eine andere Richtung.

Wenn es wirklich Zero war, der nach Kai gerufen hatte, zu welchem Zweck war es geschehen? Wer war das tatsächliche Ziel des Geistes? Oder brauchte dieser wirklich Kai an sich? Der Mensch besaß eine gewisse Unschuld und vor allem eine reine Seele, die in vielen dunklen Ritualen gebraucht wurde. Nur weil sie kein magisches Potential enthielt, bedeutete dies nicht, dass sie weniger wertvoll war.

Welche Fakten hatten sie?

'Denk nach, Aoi!'

Da waren die Monde; sie würden in vier Tagen eine Linie bilden und damit enorme magische Kraft freisetzen.

Zero besaß das Artefakt der Zeit und hatte sich möglicherweise entschlossen, genau jetzt zu agieren.

Die Prophezeiung sprach von einer reinen Seele.

Kai war gerufen worden.

Ihm war gesagt worden, dass er etwas besaß, das nur er geben konnte.

Der Dämon öffnete die Augen, erhob sich und eilte mit sicherem, zielstrebigen Gang zu den Hallen der Schriften, in welchen er Ruki finden würde.

Der Geist plante eine Art Ritual.

Welches, das war völlig unklar, doch sie hatten etwas, nachdem sie suchen konnten. Eine Möglichkeit, ihr Ziel einzugrenzen.

Die Elfen senkten respektvoll den Kopf, als er das große Gebäude erreichte; Aoi registrierte es kaum, er pflügte zielstrebig durch die Haupthalle in die Bibliothek, in welcher er Ruki hinter einem der großen Tische sitzen sah, die Brauen zusammengezogen und Dutzende von Schriften und Büchern um sich herum. Sie schienen den kleineren Mann regelrecht zu begraben und immer wieder eilte ein schmächtiger Elf zu ihm und brachte noch mehr Bücher.

Aoi ging noch ein, zwei Schritte, im Begriff seinen Mund zu öffnen – da fühlte er es.

Magie.

Derart heftig, dass sie ihn wie ein physischer Schlag in der Mitte der Brust traf, was ihn kurz zurück straucheln ließ. Ruki erging es ebenso, er hörte das scharfe Einatmen des Dunkelelfen, doch er ignorierte ihn.

Stattdessen wirbelte er herum, sprintete aus den Hallen und in die Richtung aus welcher er die Entladung gefühlt hatte.

Das Haus des Traumtänzers.

Kai.
 

Die ersten beiden Dinge, die in seinem Geist registrierten, waren die Tatsachen, dass Kyô anwesend war und das alles in einem Umkreis von gut zehn Metern mit einer Substanz behaftet war, die wie Diamantenstaub aussah und es enorm schwer machte, überhaupt etwas zu erkennen.

Die Luft war heiß, wie nach einer Explosion, die Erde war aufgerissen, zentimetertiefe Spalten, die vom Haus des Traumtänzers fort führten. Das Gebäude selbst war abgesunken, stand nun merkwürdig asymmetrisch in der sonst perfekten Landschaft. Teile des Daches fehlten und Aoi hörte das Summen weißer, herrenloser Magie.

Kyôs dunkle Augen trafen einen Moment die seinen, dann fuhr der Hoheelf in seinem Handeln fort, wisperte einen Zauber, der die Sicht erleichterte und begann, die freie Kraft einzufangen. Aoi half seinerseits, das Haus des Traumtänzers zu stabilisieren und bahnte sich anschließend einen Weg hinein; Ruki dicht hinter ihm.

Die Atmung des Dunkelelfen war gepresst; er litt unter der hellen Magie, doch Aoi brauchte ihn, um die Trümmer beiseite zu schaffen, Zauber konnten sie hier drinnen nicht anwenden, dann würden sie einen weiteren Einsturz riskieren.

Den ersten, den sie fanden, war Uruha.

Das Meerwesen blinzelte immer wieder, seine Bewegungen träge und benommen. Blut tropfte aus einer Wunde am Haaransatz, lief über Schläfe, Wange und Ohr. Ruki fluchte, fiel neben dem Langhaarigen auf die Knie, zerriss Stoff, den er zusammenwickelte und gegen die Wunde presste. Aoi indes arbeitete sich weiter vor, zwängte sich zwischen zwei Balken hindurch und stieß wenig später auf Kai und den Traumtänzer.

Beide schienen unverletzt; sie schwebten zusammen einige handbreit über dem Boden, beide wie kleine Kinder zusammengerollt.

Kurz schloss der Dämon die Augen, gab sich diese paar Sekunden der Erleichterung, dann berührte er Kai am Arm, zog den schwebenden Mann zu sich.

Es hatte den Effekt, dass sich der Zauber, oder was immer es war, das den Braunhaarigen umhüllt hatte, löste und Aoi mit einem Mal das gesamte Gewicht zu halten hatte.

Es gelang ihm in seiner ungünstig gezwungenen Position nur geringfügig; den Kopf und die Schultern konnte er schützen, doch vor allem Beine und Füße schlugen hart auf den Untergrund.

Aoi zischte in Sympathie, doch Kai interessierte es nicht. Er blieb genauso still und unbewegt wie auch zuvor.

„Ruki.“

„Ich bin hier.“

Das Gesicht des kleineren Mannes tauchte bei den Balken auf, derweil Aoi das Handgelenk bewegte, um eine Lichtkugel in die Luft zu bringen, die seine Umgebung erhellte.

„Die Balken müssen weg, sonst können wir keinen von ihnen bergen, es ist unmöglich hier drinnen genug zu manövrieren.“

Sein General nickte, verschwand und statt seiner erschien Uruha.

„Aoi? Sind sie in Ordnung?“

„Körperlich scheint dem so. Alles andere kann ich nicht sagen. Was ist mit dir?“

„Nur ein Kratzer, nicht der Rede wert. Ich habe ihn bereits mit einem Heilzauber belegt.“

Der Dämon nickte, bewegte Kai in eine möglichst stabile Position, bevor er nach Die griff und diesen ebenfalls auf den Untergrund legte, bevor der Zauber außer Kontrolle geraten konnte. Wie auch bei Kai reagierte Die nicht weiter und die Brauen zusammengezogen strich Aoi mit den Händen über beide Körper.

Er nutzte seine weiße Magie nicht oft, weswegen es etwas länger dauerte, als bei einem Heiler, aber nach einigen Minuten stellte er fest, dass es keine gebrochenen Knochen gab und nichts, das auf ein Schädeltrauma hinweisen würde. Atmung und Puls waren stabil – wenn Aoi es nicht besser wüsste, dann würde er glauben, dass beide nur ein kleines Nickerchen hielten.
 

Über ihm krachte und knackte es, Steine rollten davon, als Staub auf ihn hinab rieselte. Er konnte Magie fühlen – Kyôs Magie, um genau zu sein. Der Hoheelf trug das Haus von oben ab, setzte Stück für Stück in der unmittelbaren Nähe ab; Aoi konnte die Erde beben fühlen, wann immer ein Block aufsetzte. Es ging zügig, wenig später drang Tageslicht zu ihm und dann bewegten sich die Balken. Kaum, dass der Weg frei war, half Uruha Die zu heben und brachte diesen fort, Kai nahm Aoi selbst hoch, kletterte über die Ruine des Hauses bis er ebenen Grund erreichte.

Dort erwarteten ihn Elfen mit Wasser und einer Decke, die sie zusammengerollt unter Kais Kopf schoben, sich aber sonst von dem Dämon fern hielten, welcher mit dem Handrücken langsam über Kais Wange strich.

»Kai.«

Ein sanftes Seufzen entfloh den leicht geöffneten Lippen, dann blinzelte der Mensch, reagierte auf den eindringlich-mentalen Ruf.

Sein Blick war nicht ganz zielgerichtet und Aoi legte die Finger gegen das Kinn, bewegte es, sodass Kai sein Gesicht fand.

„Kai. Was ist passiert?“

Es dauerte einige Sekunden, dann schüttelte der Braunhaarige den Kopf.

„Ich weiß es nicht.“

Er setzte sich mit Hilfe des Dämons auf, akzeptierte dankbar das Wasser, welches ihm gereicht wurde, dann sah er sich um.

Ihr Umfeld wirkte, als wäre es einem Bombenangriff ausgesetzt gewesen. Er war so von dem Anblick schockiert, dass Aoi ihn mehrere Male ansprechen musste, bis er den Blick losreißen und sich statt dessen auf die Augen seines Geliebten konzentrieren konnte.

„Kannst du dich an etwas erinnern?“

Abermals ein Kopfschütteln. Das Letzte, das er noch wusste, war, dass er sich auf Geheiß des Traumtänzers hingesetzt hatte. Er war eingeschlafen, aber dann war da nur noch Leere.

„Geht es Die gut? Und Uruha?“

Aoi nickte, der Kiefer vor Anspannung hervor getreten und als Kai die Hand auf die Brust des Dämonen legte, konnte er den rasenden Herzschlag fühlen. Der Ältere hatte Angst um ihn, Kai. Er hatte befürchtet, dass ihm etwas zugestoßen war, ohne, dass er es hatte verhindern können. Es war das erste Mal, seit er Kistara betreten hatte, dass er an Aoi etwas anders, als dessen Stärke, Dominanz und Führung erlebte.

Diese Situation – so normal sie sein sollte, bedachte man, dass sie einander liebten und von daher natürlich Sorge um den anderen empfinden sollten – erschütterte Kai so sehr, dass er Aoi die Arme um den Hals schlang, um ihn irgendwie zu beruhigen.

Und zu seinem absoluten Erstaunen und entgegen allem sonstigen, vor allem öffentlichen, Handeln erwiderte Aoi die Umarmung, zog ihn so eng gegen sich, dass es beinahe weh tat.

„Ich bin okay.“

Kai strich über Aois nackten Arm, küsste die Halsbeuge, bis sich der Dämon löste und sie sich beide erhoben. Unweit von ihnen stand Kyô; er beobachtete sie mit ruhigem, neutralen Blick, schien aber eindeutig auf sie, oder zumindest den Schwarzhaarigen, gewartet zu haben, denn er sprach, sobald er ihre Aufmerksamkeit hatte.

„Die ist erwacht. Er konnte bestätigen, dass es Zero war, der einen Zauber nutzte und nach Kai rief. Und er konnte uns sagen, dass Zero das Artefakt der Zeit gemeistert hat. Er hat Die in eine Vision des Kristalls gestoßen, was auch das hier erklärt.“, der Hoheelf tat eine ausholende Bewegung mit der Hand. „Unfähig, sich zu befreien, hat Dies Magie agiert und eine Explosion ausgelöst, die ihn in die Realität zurück geholt hat. Es war eine instinktive Handlung; Die kann sich an nichts mehr erinnern. Aber er möchte Euch sehen und dich auch.“

Bei den letzten Worten war der Blick zu Kai herüber gewandert, welcher nickte, sich dabei aber die Arme rieb. Kyô war ihm noch immer unheimlich, auch wenn er dessen Handeln nach Uruhas Erklärung besser verstand. Da war einfach etwas an dem anderen Wesen, das er absolut nicht einschätzen konnte und ihn dementsprechend nervös machte. An seiner Seite senkte auch Aoi den Kopf, was als Dank genug aufgefasst wurde, denn Kyô drehte sich herum, führte sie zu dem Traumtänzer.

Diesen hatte man, ganz wie Kai, auf der Erde abgelegt und dort saß dieser noch immer, bleicher und aufgewühlter als Kai es war; allerdings war das wohl verständlich.
 

„Die?“

Der Mensch hockte sich neben den Rothaarigen, griff nach dessen Hand; sie wurde mit einem erleichterten Lächeln ergriffen.

„Kai. Geht es dir gut?“

Er summte, währenddessen auch Aoi in die Knie ging und die Unterarme locker über die Oberschenkel legte.

„Du hast mich beschützt.“, sagte er, obwohl er keine Ahnung hatte, ob dem tatsächlich so war, doch es beruhigte Die sichtlich und so lächelte er ihn sanft an. „Warum wolltest du uns sprechen?“

„Um Euch die Botschaft zu überbringen, die Zero mir mitgab. Aoi, Herr, Ihr müsst gewappnet sein. Der Geist wird Krieg und Verderben über das Land bringen. Viele Wesen werden fallen. Ich sah sie, ihre Leichen. Ich fühlte ihren Schmerz. Diese Leere. Solch entsetzliche Leere.“

Die letzten Worte waren immer leiser geworden, behaftet von unendlicher Trauer und Kai war geneigt, den Traumtänzer tröstend in die Arme zu schließen, hielt sich aber zurück, obgleich er auch in Aois schwarzen Augen einen ungewohnten Hauch Kummer und Mitgefühl entdeckte.

„Konntest du sehen, wie er dies geschafft hat? Hat er dir Hinweise gegeben?“

„Nein, aber...“, die freie Hand des Rothaarigen griff auf die ruhig gesprochenen Worte nach Aois, welcher sich minimal anspannte, bevor er die Berührung akzeptierte, „...er hat ihn zurückgeholt. Den Todesengel.“

An seiner Seite sog Kai scharf die Luft ein und Aois Stirn warf tiefe Falten, als dieser das Gesicht des Traumtänzers genau studierte.

„Bist du dir absolut sicher?“

„Ja. Er ritt an Zeros Seite. Er sprach mit mir.“

Aoi schwieg, die Züge in einer einzigen, harten Linie. Die Stille war so schwer, dass sie Kai auf die Lungen zu drücken schien, seine Atmung schwerer werden ließ. Er leckte sich über plötzlich trockene Lippen, dann berührte er den Dämon am Arm, bot stummen Beistand. Aoi reagierte, indem er seine Finger über Kais schob, trotzdem sah er weiterhin den Rothaarigen an.

„Kannst du mir diese Vision zeigen, in die Zero dich warf?“

„Ja.“

„Wann?“

„In einigen Stunden, mein Herr.“

Aoi nickte seicht, drückte kurz die Finger des Traumtänzers, bevor er sich entzog und erhob.

„Ruh dich aus.“

Kai lächelte Die noch einmal an, dann folgte er Aoi, die Stirn seicht gerunzelt. Im Grunde tendierte er dazu, die Entscheidungen seines Gefährten nicht zu hinterfragen, aber wenn man bedachte, was gerade mit Die und vor allem der Umgebung hier passiert war...

„Denkst du, dass es gut ist, dir diese Vision zeigen zu lassen? Nachdem was hier gerade passiert ist.“

Aoi sah ihn ruhig an.

„Das, was Die geschah, wird sich nicht wiederholen.“

„Woher willst du das wissen?“, Kais Stirn runzelte sich, „Die hat auch nicht gewusst, dass Zero in seinen Traum hinein spazieren würde. Er hat sich aus dieser Vision nicht allein befreien können. Was, wenn dir das auch passiert?“

„Das wird es nicht.“ Aois Tonfall war ebenso ruhig wie sein Blick, der nun gerade von einer Hand begleitet wurde, die Kais Kiefer streifte. „Die wird die Vision zwar für mich wiederholen, aber keiner von uns beiden wird dafür schlafen müssen. So kann Zero uns nicht erreichen und unsere Wälle bleiben gestärkt, was extrem wichtig ist. In Kistara ist mit der Macht der Gefühle viel möglich. Sie ist eng mit dem magischen Kern verknüpft, der in fast allem ruht, das es hier gibt. Starke Gefühle sind wie eine Art Auslöser – fehlt die Kontrolle über die Magie, beginnt diese von allein zu agieren. Sie tut alles, was in ihrer Macht steht, ihren Träger zu schützen. In solchen Momenten wird sie wie ein eigenständiges Wesen. Du hast gesehen, was Die getan hat, als seine Magie ihn befreit hat. Glaub mir, es gibt weit extremeres als das.“
 

~~~~~
 

Zeros Augen öffneten sich langsam, das kleine Lächeln noch immer auf den Lippen präsent, derweil er sich aufsetzte.

Er war zufrieden; alles entwickelte sich so, wie er es geplant hatte.

Behutsam schob er die Kette des Kristalls über seinen Kopf, dann erhob er sich. Das Gewicht war angenehm und erinnerte Zero jeden einzelnen Tag daran, dass er seinem Ziel ein Stück näher war.

Seine Schritte waren lautlos – auch eines der Dinge, die er dem Artefakt zu verdanken hatte; er konnte nun wieder eine feste Form annehmen – als er sich in der ausgebauten Höhle bewegte. Es war sicher kein Palast, aber es war besser, als das was Karyu und er ganz zu Beginn hatten, zu jener Zeit, als sie ungeschützt im Freien übernachtet hatten, ängstlich, dass jede Nacht ihre letzte sein würde.

Oh Zero hatte nicht vergessen.

Ganz sicher nicht!

Und ebenso wenig hatte er verziehen.

Keinem von ihnen, obgleich die meisten längst verstorben waren. Aber sie hatten Kinder und Enkel in diese Welt gebracht, um ihr Blut weiter zu vererben und Zero würde eben diese Blutlinien vom Angesicht dieser Welt wischen.

Er würde sich rächen und er würde sich nehmen, was ihm gehörte. Was ihnen beiden gehörte.

Seine Finger legten sich gegen den kunstvoll bearbeiteten Fels. Runen über Runen bedeckten diesen, Symbole und Zauber, einzig allein seinen Gefährten zu schützen. Zero hatte Jahrhunderte damit zugebracht, es in diese Perfektion zu bringen. Er murmelte leise Worte, berührte die Zeichen in einer nur ihm bekannten Kombination und trat einen Schritt zurück, als es in dem Fels knirschte. Träge setzte sich die gewaltige Masse in Bewegung, die Reibung der Gesteine begleitet von einem schleifenden Geräusch, das einem die Oberflächen der Zähne glatt hobeln konnte.

Die dadurch entstandene Öffnung war nicht groß; Zero musste sich ducken, um unter ihr hindurch zu tauchen, doch es genügte. Auch der angrenzende Raum war wenig spektakulär, zumindest was seine Maße betraf. In jede Richtung konnte man nur wenige Schritte gehen, bis man auf die nächste Wand stieß.

Diese allerdings waren ein beeindruckender Anblick. Ganz oben, eine Handbreit unter der Decke fanden sich Kombinationen aus Strichen und Punkten. Sie schienen keinerlei Sinn zu machen, doch Zero konnte sie mit geschlossenen Augen entziffern. Es waren Prophezeiungen vom Baum der Weissagung, geschrieben in der alten Sprache der Drachen, die nur noch wenige Zungen sprechen konnten.

Er hatte sie mühselig in den Fels übertragen, einzig aus seiner Erinnerung. Die originalen Schriften hatte er zwar auch gesehen, damals, als er das Artefakt gestohlen hatte, dort war aber keine Zeit geblieben, sie ebenfalls mitzunehmen.

Unter den Zukunftssagungen folgten Reliefs von seinem Leben mit Karyu. Er hatte ihre wichtigsten Erinnerungen festgehalten, damit keiner von ihnen sie je vergessen würde. Seine Finger strichen sanft über die Konturen des ersten Reliefs; an diesem hatte sein Geliebter noch mitgearbeitet. Es zu berühren löste eine nur zu bekannte Trauer und Einsamkeit in ihm aus. Zero schloss die Augen und wartete, bis sich das Gefühl wieder soweit zurück gezogen hatte, dass er sich weiter umsehen konnte.

Nach den Erinnerungen hatte er seine Ziele und seine Erfolge in den Stein gebracht; er wollte es Karyu zeigen können, wenn er diesen befreit hatte. Es war sein Geschenk an ihn. Es vervollständigte, was Karyu begonnen hatte, bevor man ihn von seiner Seite geraubt und in der Welt des Nichts eingesperrt hatte.

Unter den Bildnissen schließlich folgten weitere Runen und Zauber in jeder Sprache, die Zero hatte meistern können. Sie bedeckten auch den Boden und den steinernen Sockel auf welchem sich das Lager Karyus befand. Der Todesengel bewegte sich nicht, atmete kaum, bleich und still. Doch er war am Leben. Zero hörte sein langsam schlagendes Herz, den Rhythmus, nach dem er die letzten Jahrhunderte gelebt hatte.

Seine Finger glitten vorsichtig über die weichen Laken und Decken; Zero stahl sie hier und dort, wann immer er Ersatz brauchte und nahm sich dann die Zeit, sie zu besticken und so den Körper seines Geliebten zu beschützen. Er verflocht seine Hand mit der Karyus, legte einen sanften Kuss auf die langen, blassen Gliedmaßen. Er drückte sie sanft, ohne eine Reaktion zu erhalten. Der Geist war daran gewöhnt, erwartete es nicht mehr.

Er legte ihre Hände gegen seine Brust, als er sich über Karyu lehnte und zärtlich durch das dunkle Haar strich; es war weich und gepflegt, Zero kümmerte sich auch um dies.

„Hallo, Laibiri.“[1], er lächelte Karyu an, weil er wusste, dass man solch Gesten auch in der Stimme hören konnte, „Wie geht es dir heute? Kannst du die Monde fühlen? Sie nähern einander und in ein paar Tagen werden sie mir die Kraft geben, die ich brauche, um dich zu mir zurück zu holen. Die Welt hat sich so sehr verändert, Karyu. Es gibt so vieles, das ich dir zeigen und erklären muss, Dinge, die du sicher nicht verstehen wirst. Aber ich werde dir helfen, keine Sorge. Du wirst nicht eine Sekunde mehr allein sein müssen. Ich verspreche es dir.“

Zero presste einen sanften Kuss auf die kühle Stirn des Ruhenden, ließ seine eigene dagegen ruhen, die Augen geschlossen.

„Ich muss gehen. Es gilt noch Vieles vorzubereiten.“

Er berührte die Lippen, strich noch einmal durch den Pony des Engels, dann löste er sich langsam. Sorgsam aktivierte er alle Zauber, nachdem er den Raum verlassen hatte und schritt zu seinem Tisch herüber. Auf diesem und den vielen Regalen darüber stapelten sich Kräuter, Edelsteine, Metalle und Mineralien.

Er brauchte sie teilweise für seine Magie, allerdings handelte er auch mit ihnen, tauschte seltenen Schmuck gegen Dinge wie gutes, zähes Leder, Holz oder beschlagenes Metall, das er brauchte, um seine Waffen und Rüstungen zu schmieden.

Halb verdeckt von Leinen und Lederriemen lag eine kleine, dunkelblaue Schachtel. Sie war schlicht, vielleicht zwei handbreit lang und hoch. In ihrem Deckel waren drei einzelne Symbole eingearbeitet – Zero strich darüber, als er leise Worte murmelte:

~veruot van opende~
 

Es klickte leise, dann konnte Zero den Deckel der Schatulle anheben.

Im Inneren befand sich ein ovaler Stein in der Größe eines Eis. Er schien durchsichtig, denn er leuchtete schwach von innen heraus, derweil sich Fäden einer nebelartigen Substanz unter seiner Oberfläche bewegten. Sie sammelten sich an einem Punkt, als Zero den Stein aus seinem Samtbett hob, bildeten so eine kleine Kugel. Der Geist verwahrte die Schatulle in seiner Tasche, bevor er den Stein mit beiden Händen über seinen Kopf hielt.

~Furteal to mergramie eta shaturo~

Die Substanz flackerte mit jedem der Worte stärker. Ihre Leuchtkraft nahm zu und flutete den Raum alsbald mit hellem, bläulichen Licht, bevor sich dieses Licht in einem Strahl über Zero bündelte und sich anschließend in eine Pyramide um ihn weitete.

Lange Zeit hatte dieser Zauber, zu reisen, Zero nahezu alles an Kraft abverlangt. Als Geist war es ihm zwar möglich, kurze Strecken zu teleportieren und durch feste Hindernisse zu gehen, doch weite Wege waren keine Option. Er war an seinen Partner gebunden gewesen und konnte sich nur mit diesem bewegen. Damals, als Kova Karyu in die Ecke getrieben und gebannt hatte, waren es Zeros Leid, seine Trauer und sein Zorn gewesen, die seiner schwachen magischen Potenz die Kraft gegeben hatten das erste Mal eine ungeahnte Distanz zu überwinden und feste Form anzunehmen.

Er hatte sie genutzt, um den Mann, der ihm seinen Gefährten geraubt hatte, ein Messer in die Rippen zu stoßen.

Danach war seine Energie fast gänzlich erloschen; ohne Karyu, der ihn mit Ritualen schneller zu Kraft und Erholung verhalf, war er neben diesem vor sich hin vegetiert, unfähig, sich zu bewegen. Es hatte eine sehr lange Zeit gebraucht, bis er sich hatte erheben können.

Monate und Jahre, in denen er tagein, tagaus nichts anderes hatte als seine Gedanken. Sie hätten ihn schier in den Wahnsinn getrieben, wäre es Zero nicht gelungen, sie zu bündeln und zu fokussieren.

Es gab Nichts und Niemanden auf der Welt, der nachempfinden konnte, was er durchgemacht hatte. Dazu gezwungen in das bleiche Gesicht desjenigen zu blicken, der einem die Welt hatte zu Füßen legen wollen. Mit anzusehen, wie der Bann sich an diesem verzehrte, ihn verschmutzen und abnehmen ließ, denn für eine ganze Weile hatte Karyus Körper noch normal funktioniert.

Er hatte in seinem eigenen Urin gelegen, das Haar zerzaust, die Lippen aufgesprungen, blutig, die Haut wachsartig und rissig.

Karyus Anblick hatte seine Verzweiflung so lange genährt, bis sie Zero gänzlich erfüllt hatte; er hatte nicht einmal um diesen weinen können, ihn nicht halten, oder dafür sorgen, dass es ihm besser ging.

Und so war all das Leid in Zorn umgeschlagen; eine wilde ungezügelte Wut, die seinen Körper in krampfartigen Wellen durchzogen und alles mit sich gerissen hatte, was Zero einmal als Güte gegenüber anderen empfunden hatte. Sie ließ ihn hassen. Hassen und planen. Sie wurde seine Freundin, seine Zuhörerin, seine Geliebte.

Sie half ihm, seine Energien zu lenken und auf Karyu zu richten; das Unterbewusstsein des Todesengels hatte seinen Ruf augenblicklich erhört und gespendet, was möglich war. Im Gegenzug hatte Zero die ersten magischen Kristalle mit den bloßen Händen aus dem Fels gekratzt.

So hatten sie sich in den ersten vier Jahren nach Kovas Tat auf eine quälend langsame Art gegenseitig geheilt, bis es Zero möglich gewesen war mehr zu tun.

Er war in der ersten Nacht auf allen Vieren aus der Hölle gekrochen und hatte mit Hilfe neutraler Magie Moos und Laub zusammengetragen. Darauf hatte er Karyu gebettet, nachdem er die halbe Nacht damit zugebracht hatte, ihn an den Armen unter freien Himmel zu schleifen.

Zero war neben ihm zusammengebrochen, hatte Karyus Kopf auf seine Beine gehievt und dann hatte er geweint. Er hatte die Monde und Sterne angeschrien und alles aus sich gebracht, das die letzten Jahre in ihm gefangen gewesen war.

Am Ende waren die Tränen versiegt und Zeros Augen waren bis zum heutigen Tage trocken geblieben.

Das Portal hatte sich inzwischen vollständig geöffnet und Zero schloss seine Augen, als er von ihm ergriffen und davon gebracht wurde.

Er berührte die Schleier zwischen den Welten, sah sie, wie andere den Ozean, einen Baum oder den Himmel betrachten konnten.

Zero sah Rukis Magie; ein dunkles, leuchtendes Rot, welches unruhig zischte, ihn aber weder finden noch verfolgen konnte.

Denn der Geist zerriss keinen der Schleier oder verletzte sie, etwas, das Ruki sofort auffallen würde.

Er bog sie; ganz behutsam, ganz langsam, gerade so, dass er sich durch sie hindurch zwängen konnte.

Gelingen tat ihm dies nur mit dem Stein – das magische Objekt stammte nicht von Kistara und nur so war er den Häschern Aois auch so lange entkommen.

Hätte er es anders versucht, wäre Aois Auge auf ihn aufmerksam geworden.

So aber umhüllte den Späher und Magier Dunkelheit; Zero unterwanderte diesen und fand sicher an jeden Ort, an den er zu gehen begehrte.

Er war ihnen stets einen Schritt voraus.

Und er würde dafür sorgen, dass es so blieb.
 

[1] bedeutet Geliebter in der Sprache der Drachen

7

7
 

Sie waren gemeinsam in die große Bibliothek zurückgekehrt.

Sie, das waren Aoi, Ruki, Uruha, Kai, Kyô und Kaoru. Ruki hasste es. Oh, er sah den logischen Aspekt daran dass die Hoheelfen ebenfalls bei ihnen waren. Verstand ihn sogar. Doch nur weil Kyô ein starker Verbündeter war und Zero offenbar besser einschätzen konnte, als sie alle zusammen, musste das noch lange nicht heißen, dass es ihm passte. Und auch Kaoru passte ihm nicht, obgleich Kyôs rechte Hand die Bibliothek in- und auswendig kannte. Er hatte ihn auf einige Werke aufmerksam gemacht, die Ruki bei seiner Suche schlicht übersehen hatte. Diese funkelte er nun an, als würden sie die Schuld an seinem Dilemma tragen. Die Schriftrollen starrten unschuldig zu ihm zurück und lösten in dem kleinen Mann den starken Drang aus, sie in kleine Streifen zu reißen und dann einzeln anzuzünden.

Ja, man konnte durchaus sagen, dass Ruki schlecht gelaunt war.

Und das nicht nur ob der Präsenz der Hoheelfen. Der wirkliche Grund für seine miserable Stimmung war ein ganz anderer.

Versagen.

Das Wort nagte nun schon seit Stunden an ihm und ließ ihn bitter aufstoßen, als er die Wahrheit darin akzeptierte.

Er hatte versagt.

In seiner Aufgabe Zero zu finden, bevor dieser etwas anstellen konnte. Das verrückte an der Sache war, Ruki wusste, dass Aoi ihm keine Vorwürfe machte, oder Schuld an seiner Person sühnte. Eher das Gegenteil war der Fall; Aoi sah die ganze Sache als einen Fehler, den nur er zu verantworten hatte. Und Ruki wusste ganz genau, dass der Dämon alles, das nun passierte auf seine Schultern laden würde, unwillig etwas von der Bürde abzugeben oder zu akzeptieren, dass sie alle im gleichen Boot saßen

So war Aoi nun einmal; ein einsamer Streiter. Trotzdem würde Ruki nicht von seiner Seite weichen, nicht einmal dann, wenn er einen direkten Befehl dazu erhalten würde.

Er war seinem Herren loyal ergeben, auch wenn er mit ihm argumentierte, gar stritt. Er würde Aoi niemals allein lassen. Und seit Kai bei ihnen war, hatte sich dieser Sinn für Pflicht auch auf den Menschen ausgeweitet.

Wenn er ehrlich war, dann hatte er Aoi zu Anfang nicht verstanden. Dass er ihn hatte ein paar Tage bleiben lassen, okay. Das wäre noch einleuchtend gewesen. Aber so weit zu gehen, die Band in der anderen Welt aufzugeben? Es hatte ihn mehr als nur überrascht, vor allem weil Aoi selten bis nie mit einer Erklärung für seine Beweggründe heraus rückte. Er entschied und dann war es so. Allerdings war Kai leichter in die Ecke zu drängen und Ruki hatte diesen so lange verfolgt, bis er seine Gründe hatte.

Wenn man es einfach umschrieb, hatte Kai den Dämon so lange um den Finger gewickelt, bis dieser nachgegeben hatte.

Ging man in die komplexeren Gedankengänge ihres Herrschers, so war es eine Mischung aus Akzeptanz, Einsehen, Loyalität und Zweckmäßigkeit gewesen.

Akzeptanz, daraus resultierend, dass Kai ohnehin nicht Ruhe gab und Aoi dies ganz genau wusste. Kai war unter ihnen vielleicht der Schwächste, was die körperlichen Attribute anbelangte, doch sein Dickschädel konkurrierte mit dem Aois und wie der Dämon ließ Kai den Knochen nicht mehr los, wenn er ihn einmal gepackt hatte. Er hatte auf Aoi eingeredet und war mit einigen, sehr plausiblen, Gründen aufgewartet, warum es besser war, dass er in Kistara blieb. Einer davon war die Liebe zu Kistara selbst, die Kai zu fühlen begann, die aber in Aoi bereits tief verankert war. Kai wusste, dass Aoi sein Land vermisste, wann immer er in einer anderen Welt war. Und dieses Wissen hatte er frech und sehr direkt gegen seinen Geliebten verwendet und ihm so die Standfestigkeit in ihrer Diskussion gestohlen.

Hinzu kamen dann die praktischen Gründe. Kai immer an seiner Seite zu wissen, erlaubte Aoi viel freier zu agieren. Der Drahtseilakt aus Lügen die er Kai immer aufgetischt hatte, als dieser noch unwissend war, strengte an und verletzte darüber hinaus seinen Sinn für Wahrheit. Von ihnen allen log Aoi wahrscheinlich am allerwenigsten, wenn er nicht dazu gezwungen war.

Und der Dämon war seinem Land gegenüber unwahrscheinlich loyal. Er stellte Kistara immer vor seine eigenen Belange und genau dies machte ihn zu einem so großartigen Herrscher.

Es war also ein vielschichtiges Netz, dass es Kai erlaubt hatte, hier zu verweilen. Und Ruki würde es nicht mehr anders wollen.

Allerdings machte das ihre Probleme nicht geringer.

Und es machte Zero nicht weniger real.
 

Er entzündete sich eine Zigarette; zog nachdenklich an ihr. Kaoru blickte zur Seite und Sekunden später waren die Schriften vom Tisch verschwunden, dafür aber stand nun eine Art Aschenbecher da; eine gläserne Schale in deren Ränder die Schwingen eines Drachen geschliffen worden waren.

Uruha lehnte sich zu ihm, eine Malboro zwischen den Lippen, welche Ruki seinem Geliebten entzündete; Aoi hatte sich bereits selbst geholfen und Ruki gab das Feuerzeug an Kai weiter, indem er es über den Tisch schob. Allerdings war es der Dämon, der es fing, denn der Braunhaarige starrte in unverhohlenem Erstaunen auf Kyô.

Ruki war sich nicht sicher, ob das an dem Fakt lag, dass der Hoheelf überhaupt rauchte, oder daran, dass er seinen Daumen als Feuerzeug nutzte, denn darüber schwebte eine kleine Flamme, die verschwand, als der Blonde seine Hand wie nebensächlich schüttelte.

„Wie werden wir nun vorgehen?“, Uruhas sanfte Frage brachte Kai dazu, zum Meerwesen zu blicken, „Wir wissen nun definitiv, dass es Zero ist. Wir haben ihn bisher nicht finden können. Wie sollen wir das nun ändern?“

„Gar nicht.“ Aois Stimme war ruhig, als er den Rauch aus seinen Lungen stieß, wobei er sich vor lehnte, um die Asche in die Schale zu klopfen. „Wir konzentrieren uns darauf, heraus zu finden, welches Ritual Zero anwenden wird. Wir wissen, dass er Kai braucht, dessen Unschuld.“

Aoi ignorierte das leise Schnauben Kais – unschuldig fand sich dieser nun wirklich nicht! - und blickte stattdessen zu Kyô, unwillig mit diesem eine Konversation führen zu müssen und doch wissend, dass es unvermeidlich war.

„Er wird versuchen Karyu zu wecken.“

„Dazu reicht ihm eine Seele nicht. Sie wäre zu schwach den Bann zu brechen. Hina gab nahezu sein vollständiges, magisches Potential in diesen Zauber.“

Aoi nickte, akzeptierte die Worte des Hoheelfen, tat einen weiteren Zug seiner Zigarette.

„Was könnte es dann sein? Ruki?“

Der Rothaarige drückte die erste Malboro aus und entzündete gleich darauf die nächste.

„Es gibt einige Schriften und Bücher, die von vorbereitenden Ritualen sprechen, die die eigene magische Potenz erhöhen. Es wäre möglich, dass er genau das macht. Oder aber er sucht nach einem Körper, in dem er sich verankern kann. Vielleicht will er auch Heilmagie herstellen, möglicherweise um Karyu zu stärken. Das würde erklären, warum er so plötzlich und aggressiv agiert.“

„Sein Handeln ist nicht plötzlich.“, Kaoru erhob das Wort, konterte Rukis Gedanken, „Er rief Kai in seinem Traum und gleichzeitig löste sich eine Prophezeiung. Das spricht eher für eine akkurate Planung. Ich gehe sogar soweit, zu sagen, dass er die Sprache der Drachen lesen kann und wusste, wann er seinen Zug machen muss.“

„Und woher nimmst du dieses Wissen?“, knurrte Ruki, als er mit dem Finger auf den anderen Mann deutete, „Hat er ˈn kleines Schwätzchen mit dir gehalten, oder was?“

„Das unglücklicherweise nicht, sonst würden wir uns ja nun nicht in diesem Dilemma befinden, nicht wahr? Zero ist schlicht weg gescheit. Und er hat damals die Prophezeiungen gesehen.“

„Nichts in ihnen weist darauf hin, ihm einen richtigen Zeitpunkt zu nennen.“ Aois Stirn runzelte sich. “Oder gab es Voraussagen von denen ich nichts weiß? Kyô?“

Der Hoheelf schüttelte seicht den Kopf.

„Nein, alle Weissagungen die in Kistara gesprochen wurden, sind Euch bekannt. Aber es ist dennoch nicht ausgeschlossen, dass weitere folgen werden und das Zero in der Lage ist, diese zu lesen. Wie Kaoru sagte, er sah sie, als er das Artefakt stahl. Es ist möglich, dass er versucht hat, seine Magie auch in diese Richtung auszuweiten, um uns zu jedem Zeitpunkt voraus zu sein.“

„Ist es möglich, dass er am Baum auftauchen wird?“

„Ja, das ist es.“

Aoi nickte, drückte seine Zigarette aus.

„Schickt Wachen zum Baum, lasst ihn nicht unbeobachtet. Wenn Zero dort tatsächlich gesehen wird, verwendet nur Fessel- und Verteidigungszauber. Lasst euch auf keinen Fall auf ein Duell ein, solange wir nicht wissen,was er in der Zeit alles gelernt hat.“

Sein Blick wanderte zurück zu Ruki.

„Du sagtest, er probiert möglicherweise Heilzauber aus, um Karyu zu helfen. Was benötigt er dazu, neben der Seele und den Monden?“

„Große Mengen an Kräutern, wie Tigerholz und Zumerwurz. Dadurch, dass der Todesengel gebannt ist, wirken nur Zauber deren Wirksamkeit enorm in die Höhe geschraubt würde. Zero müsste Magie benutzen, die Dutzende von Leuten auf einmal heilen kann.“

„Überwacht alle Handelsplätze und Routen der Heiler und Giftmischer. Vielleicht ist Zero dreist genug, einen von ihnen zu bestehlen. Darüber hinaus möchte ich eine Karte mit allen Orten der natürlichen Vorkommen dieser Kräuter. Wenn sie fertig ist, entsendet Patrouillen dorthin.“

Er pausierte erneut, derweil ein Bote der Elfen eilte, das Wort des Herrschers auszuführen.

„Was ist mit einem Körper? Ist es möglich, etwas Genaueres heraus zu bekommen?“

Ruki schüttelte den Kopf.

„Nein. Jeder kommt in Frage.“

„Er wird nicht versuchen einen neuen Körper zu finden. Zumindest nicht für sich selbst.“ Kyô mischte sich ein, seine Stimme ruhig und doch irgendwie beeindruckend erhaben. „Das Artefakt gibt ihm die Macht, eine feste Gestalt anzunehmen. Allerdings kann es sein, dass Karyus Leib vom Bann derart zerstört wurde, dass er eine neue Hülle benötigt. Prallen so unterschiedliche Formen von Magie aufeinander, ist ein solches Resultat nicht auszuschließen. Und ist es Karyu, für den er einen Körper sucht, wird Zero nach einem möglichst getreuen Abbild seines Gefährten Ausschau halten.“

„Das grenzt die ganze Sache dennoch nicht ein!“, knurrte Ruki und Kyô schüttelte den Kopf.

„Doch, das tut es. Zero wird nach jemanden suchen, der negative Magie besitzt. Und nach jemanden, der unter den unheilvollen Elementen geboren wurde.“
 

Aoi hob die Hand, als Ruki den Mund öffnete, gleichzeitig legte Uruha sanft seine Finger auf den Unterarm des kleineren Mannes.

„Wir beziehen diese Möglichkeit auch in Betracht. Sucht nach Wesen, auf welche die Attribute passen und schützt sie, vermeidet aber sie an einen Ort zu bringen. Ich will Zero wahrlich nicht mit einem Festbankett an möglichen Hüllen entgegen kommen, auf welches er spazieren kann, um sich die Beste heraus zu picken.“

„Ich werde mich darum kümmern.“ Uruha senkte den Kopf, hielt aber noch immer Kontakt zu Ruki. „Was ist mit der Möglichkeit nicht Zero, sondern Karyu zu finden? Gibt es keine Spuren von Hinas Bann, denen wir folgen könnten?“

„Es gab sie.“, eröffnete Kaoru der Gruppe, „Doch die Spur verschwand, bevor wir ihren genauen Ursprung ausmachen konnten. Dies ist nun mehrere Jahrhunderte her und wir bemühen uns noch immer. Karyu befindet sich unseres Wissens nach noch immer in den Wäldern von Sepram.“

„Aber ihr seid nicht sicher!“

Wieder erhob Ruki das Wort, aufgebracht, wie es sonst nur Aoi war und Kaoru nickte zustimmend, fixierte den Dunkelelfen aber gleichzeitig mit einem harten Blick.

„Das ist wahr. Aber du weißt ebenso wenig, Auge Aois. “

„Genug nun!“

Aois Stimme brachte den Tisch zu augenblicklichen Schweigen, nicht unbedingt durch die Lautstärke der gesprochenen Worte, sondern durch das Grollen mit denen sie begleitet worden waren. Der Dämon streifte jeden einzelnen von ihnen mit düsterer Miene.

„Nun ist nicht die Zeit, über die Fehler des jeweils anderen herzufallen.“, seine Worte waren voll von Kraft und Uruha lächelte stolz – dies war sein Herr, den er so sehr liebte, „Wir müssen eine Einheit sein, sonst wird Zero das als Angriffsfläche nutzen, wenn er das nicht schon längst getan hat. Ich habe meine Befehle gegeben, seht zu, dass sie ausgeführt werden.“

Mit einem Nicken erhoben sich Ruki, Uruha und auch Kaoru vom Tisch, senkten den Kopf, bevor sie mit sicherem Schritt aus dem Raum gingen. Kai, Kyô und Aoi blieben in Schweigen zurück, welches der Dämon einen Moment später brach.

„Ich werde zu Die gehen, nachdem ich mit Kai gesprochen habe. Ich nehme an, ich werde dich dort treffen?“

Sein Blick lag abermals auf Kyô, welcher nickte.

„Ja.“

„Gut.“

Er bot Kai seine Hand an, zog ihn vom Sitz hoch und verließ mit ihm die Bibliothek ohne noch einmal zurück zu blicken – trotzdem spannten sich seine Schultern an, als die Stimme des Hoheelfen in seinen Geist sickerte.

»Entscheidet weise, wie Ihr mit dem Jungen verfahrt.«
 

Aoi verharrte einige Sekunden, dann presste er die Kiefer aufeinander und starrte geradeaus.

Sie waren ins Freie getreten und er schlug automatisch den Weg zu Kovas Unterkunft ein, da erhob Kai neben ihm das Wort.

„Kommt nun der Augenblick, in dem du mich wegschickst, um beschützt zu werden?“

Aoi seufzte für sich, blieb abermals stehen und blickte Kai ruhig an.

„Es ist zu deinem Besten.“

„Ich weiß.“, Kai lächelte, aber es war bekümmert, sodass Aoi die Lippen mit den Finger nachzog, „Ich würde trotzdem lieber an deiner Seite bleiben.“

„Es ist zu gefährlich.“

„Warum? Erklär es mir, Aoi! Warum sollte es bei dir gefährlicher sein, als an jedem anderen Ort? Wird Zero nicht ohnehin versuchen, mich zu bekommen? Oder meine Seele,... oder was auch immer er will?“

Kais Stimme hatte sich erhoben und der Dämon legte einen Finger gegen den Mund des Anderen; sein Geliebter verstand und wurde sichtlich ruhiger, trotzdem blitzte er ihn mit etwas an, das Aoi vielleicht als Wut bezeichnen würde, von dem er aber wusste, dass es Unverständnis war.

Kai sah sich überall in Gefahr. Und damit hatte er auch grundsätzlich Recht. Nur waren manche Orte brisanter als andere.

„Wenn du bei mir bleibst Kai, könnte ich dich töten. Sollte ich Zero begegnen, muss ich ihn besiegen. Ich darf mir keinen anderen Gedanken leisten und ich darf nicht zögern oder zurückschrecken mein volles Potential auszuschöpfen. Niemand wird in meiner Nähe sein, wenn ich dem Geist begegne.“

„Soll das heißen, du gehst allein?“

Innerhalb von Sekunden war Kais Wut einer Sorge gewichen, die ihn blass wie das Gestein hinter ihm werden ließ und abermals schüttelte Aoi den Kopf.

„Nein, aber meine Generäle und jedes andere Wesen kann schnell genug Abstand zu mir gewinnen. Eine Fähigkeit die dir fehlt, Kai. Versuch mich zu verstehen. Ich will, dass du in Sicherheit bist.“

Kai schloss die Augen, griff nach Aois Hand und presste sie gegen seine Wange.

„Versuch du mich zu verstehen. Ich fühle mich wie ein Spielzeug, das nach Belieben hin und her gereicht wird. Der eine will meine Seele für irgendeinen Zauber, der nächste will mich tot sehen, weil ich eine Schwäche darstelle und du...du schickst mich weg, weil du das Beste für mich willst. Aber niemand fragt mich, was ich will!“
 

„Ach K-man, du siehst das alles zu eng!“, Aois Lippen hatten sich geöffnet, doch bevor der Dämon etwas auf den Ausbruch des Braunhaarigen hatte sagen können, tauchte Reita neben ihnen auf, ein großes Grinsen im Gesicht, als er Kai den Arm um die Schultern legte. „Wenn das hier vorbei ist, dann gehst du mit Boss-man einen saufen und danach rollt ihr euch ˈn paar Tage durchs Bett. Das ist die beste Wiedergutmachung, ever! Und du könntest Aoi hier auch abverlangen, sich schon mal im Voraus für jedes einzelne Mal zu entschuldigen, wo er sich wie ˈn Arsch benimmt.“

Kais Lippen bewegten sich einige Momente stumm, unfähig auch nur irgendetwas zu finden, dass eine passende Erwiderung wäre – dann schlug er gegen Reitas Schulter, schnaubte, irgendwo zwischen wütend und belustigt.

„Du bist unmöglich!“

„Aww, aber du liebst mich trotzdem!“

Reita stupste gegen Kais Nase, dann verlor sich das Grinsen und er sah den Menschen ernst an.

„Und? Bereit mit mir zu kommen?“

Kai schüttelte den Kopf.

„Nein. Aber ich habe ohnehin keine andere Wahl, oder?“, er drehte sich zu Aoi, umarmte diesen, „Komm mich ja heil abholen, hörst du?“

Aois Hand schob sich in seinen Rücken; Kai erhielt keine Antwort, aber wenn er ehrlich war, dann hatte er mit keiner gerechnet. Er löste sich, nickte Reita zu und seufzte einen Herzschlag später gegen die Lippen seines Geliebten, welche die seinen in einem intensiven Kuss fingen, der seine Knie in Gelee verwandelte.

Verdammt noch mal, aber Aoi schaffte es doch jedes Mal!

Der Dämon strich ihm mit dem Handrücken über Wange und Kiefer, sah dann Reita an, welcher nickte und Kai frech die Arme um die Mitte schob, bevor er mit diesem verschwand. Aoi blickte noch einige Sekunden auf die Stelle, an welcher die Beiden eben noch gestanden hatten, dann wandte er sich ab und ging mit einem bitteren Nachgeschmack im Mund zu Die.

Er wusste, dass dies der richtige Weg war, aber jegliche, andere Möglichkeiten wären ihm willkommen gewesen.
 

Wie erwartet, war alles vorbereitet, als er Kaorus Haus betrat.

Der Traumtänzer saß mit gekreuzten Beinen in der Mitte des Raumes und Aoi ließ sich diesem gegenüber nieder, spiegelte dessen Position.

Sie hoben ihre Hände, spreizten ihre Finger, ohne, dass sie sich wirklich berührten, auch Worte fielen nicht zwischen ihnen. Die blickte ihn fragend an und er nickte seicht als Antwort, aus dem Augenwinkel heraus wahrnehmend, dass Kyô und Kaoru jeweils den Platz hinter ihnen einnahmen.

Im Gegensatz zu ihm und Die jedoch waren ihre Arme weit ausgestreckt, so als würden sie unsichtbare Fäden halten, die eine Art Barriere zum inneren Kreis schufen und Aoi wusste, dass kein Wesen nun so einfach eindringen würde können; er fühlte das Prickeln des Schutzzaubers wie dutzende von kleinen Nadeln auf seiner Haut.

Der Traumtänzer schloss die Augen, rief die Vision, stellte die Verbindung zu ihm her, was sich in den sanft pulsierenden Fäden äußerte, die zwischen ihren Fingern entstanden und mit rasanter Geschwindigkeit an Größe und Komplexität gewannen. Ihr Leuchten hüllte alsbald ihre gesamten Hände ein und erst dann ließ Aoi ebenfalls die Lider fallen, um die Bilder zu sehen, die Die derart geängstigt hatten.
 

~~~~~
 

Reita hatte sie zunächst zu den Drachen gebracht und nun ritten sie auf einem von ihnen zum Fürstentum Gebik.

Und im Gegensatz zu den Flügen mit Aoi – der sich mehr oder minder in Schweigen hüllte – war das Geisterwesen eine recht gute Unterhaltung. Es erzählte Kai die grobe Geschichte der Stadt und der Wesen die in ihr wohnten. Sein Beschützter, Tsukasa, war ein Vampir und der Herrscher über Lagua. Er war eng mit Reita befreundet - und wirklich, Kai überlegte, ob das gut oder schlecht war - und genoss volles Vertrauen seitens Reita aber auch Aoi. Der Blauäugige warnte ihn, sich nicht von Tsukasas Charme und Charisma einfangen zu lassen, aber wenn Kai ehrlich war, waren solche Dinge gerade vollkommen uninteressant. Abgesehen davon würde Aoi Tsukasa und ihn einen Kopf kürzer machen, wenn er mit diesem zu flirten begann. Reita fand diese doch recht trockene Aussage seinerseits offenbar sehr amüsant, denn er lachte minutenlang, derweil ihn der Mensch nur mit einer hochgezogenen Braue musterte.

Leider gab Reita keinen Hinweis darauf, was genau denn nun so komisch gewesen war, weswegen Kai es einfach fallen ließ und stattdessen die Landschaft unter ihnen beobachtete.

Sie flogen nicht noch einmal über das Hoheitsgebiet Hizumis, ein Fakt der Kai ein wenig traurig stimmte. Er hätte den Fürsten gerne noch einmal fliegen sehen, doch Reita hatte ihm gesagt, dass ihre Route schneller nach Gebik führen würde und, dass er es nicht riskieren wollte, dass Zero ihn vom Drachen stahl.

Kai hätte ja gerne gesagt, dass sie weit genug oben flogen, aber da er nicht wusste, ob Zero das nicht doch konnte, schwieg er lieber.

Es war ein beunruhigender Gedanke.

Und obwohl Kai den Rest der Zeit nervös nach unten gespäht hatte, war ihre Reise ohne Zwischenfälle verlaufen und nun sah sich der Braunhaarige dem gewaltigen Tor des Fürstentum Gebik gegenüber.

Es war aus massiven Holz gefertigt; sicher zwei Baumstamm dick und unwahrscheinlich hoch. Wenn Kai schätzen müsste, würde er sicher auf zehn oder mehr Meter tippen. Kräftige Beschläge waren in die Form von Drachenschwingen gebracht und darüber hinaus kunstvoll verziert worden. Darunter sah Kai metallene Röhren und Zylinder. Sie ächzten und zischten als sich das Tor langsam in Bewegung setzte.

„Reita?“

„Yo?“

„Was machen sie, wenn sie angegriffen werden? Sie können das Tor doch niemals schnell genug schließen?“

„Dann kappen sie die Hydraulik, die das Tor öffnet. Es steht unter derartiger Spannung das es wie eine Falle zuschnappt. Keiner kommt so schnell da rein.“

„Und die Bewohner?“

„Haben Mittel und Wege aus der Stadt zu gelangen. Aber das ist geheim.“

Reita zwinkerte Kai zu, schlenderte dann durch das Tor und der Mensch folgte, legte den Kopf in den Nacken, als sie das Tor passierten. Von nahem sah es noch mal viel beeindruckender aus. Dahinter folgte eine breite, gepflasterte Straße mit kleinen Steinhäusern rechts und links. Alles war sehr solide gebaut, ganz anders als in Ulka. Aber es hatte diesen romantisch-verspielten Charme, den Kai schon auf Postkarten aus Irland und anderen europäischen Gegenenden gesehen hatte. Vor den Eingängen zum Beispiel hingen Töpfe mit Blumen und Kräutern an Ketten herunter, die Fensterbretter glichen kleinen, präzise gepflegten Gärten. Immer wieder gab es steinerne Torbögen zwischen den Häusern in deren Mitte Wappen oder ihm unbekannte Zeichen in den Stein geschlagen worden waren. Man hatte sie liebevoll mit Farben bemalt, die alle natürlich hergestellt schienen; Kai sah Frauen, die beieinander saßen und lachten, derweil sie farbige Brocken eines lehmartigen Gesteins mahlten.

Hinter den Torbögen erspähte Kai kleine Gärten und Spielplätze oder aber Tische und Stühle, die ebenfalls aus Fels gefertigt worden waren. An einem solchen Tisch saßen zwei alte Männer und spielten eine Art Schach; zumindest würde Kai es so auslegen, auch wenn das Spiel sich über mehrere Ebenen in die Höhe schraubte und man die Figuren nicht nur oberhalb des Spielfeldes bewegte, sondern auch darunter.

Die Straße machte einen weiten Bogen dem sie beide folgten und hinter der Kurve erblickte Kai den größten Markt, den er je gesehen hatte.
 

Die schiere Anzahl an Ständen haute ihn buchstäblich aus den Socken; es herrschte ein reges Treiben und Wuseln. Wesen eilten hier hin, dort hin und schienen immer ganz genau zu wissen, wo sie eigentlich hin mussten. Kai sah Obst und Gemüse in den fantastischsten Farben, zum Beispiel Beeren die eisblau waren. Er war ja schon ein wenig unsicher, als Reita ihm die erste in den Mund steckte, dann schob sich seine Augenbraue fast in den Haaransatz.

Zur Hölle, war das lecker!

Reita lachte nur und nahm der jungen Frau einen kleinen Sack dieser Früchte ab; Schneebeeren, wie Kai erklärt wurde. Am nächsten Stand lauerten schon andere Süßigkeiten und Gebäck, dann folgten Fleisch, Fisch, Wurst, Käse, dazwischen Korallen, Kristalle und Perlen, Stoffe, Figuren, Teppiche und prachtvolle Kleider. Lebendes Vieh gab es ebenso, wie das über dem offenen Feuer gerillte Schwein, Trankmischer und Heiler philosophierten über die neusten und klügsten Rezepte. Es war quirlig und unglaublich lebendig.

Gebik schloss Kai sofort in sein Herz, dass Volk erkannte und verneigte sich abermals vor ihm, so wie es ihm schon passiert war, als er das erste Mal mit Aoi und seinen Generälen unterwegs gewesen war. Es war ihm immer noch genauso peinlich und hier und da half er einer alten Dame zurück auf die Füße.

In genau einer solchen Situation bekam er als Dank eine Kette geschenkt.

Er hatte sie ablehnen wollen, aber dann wäre die Hexe äußerst beleidigt gewesen und weil Kai es nicht riskieren wollte, verflucht zu werden – Reita hatte gesagt, dass es den Hexen egal sein würde, ob er Aois Geliebter war, wenn er sie verärgerte und er ein Geschenk besser annehmen sollte – ließ er sich die Kette um den Hals hängen und betrachtete sie eingehend, derweil sie weiter liefen.

Ein blaulich-grün-weißer Anhänger in Form eines Leviathan war an drei Lederbändern auf gefädelt und wann immer Kai den Wasserdrachen im Licht bewegte, glitzerte er wie von einem feinen Pulver bedeckt, doch die Oberfläche war glatt und ohne jeden Makel.

Kai fand es sehr beruhigend, darüber zu streicheln und auf dem Weg zum Schloss ertappte er sich mehrere Male, genau dies zu tun.

Reita bemerkte es auch und zog ihn hemmungslos damit auf, doch viel Zeit blieb Kai nicht gegen seine roten Ohren zu kämpfen, denn die ersten Ritter kreuzten ihren Weg, verneigten sich vor ihm aber auch Reita.

„Slua! Es ist uns eine Ehre, Euch so schnell wieder bei den unseren zu wissen.“

Reita lächelte, klopfte dem armen Kai kräftig auf die Schulter.

„Ich bin hier, um ihn hier in eure Obhut zu übergeben. Ich kann mich doch auf euch verlassen?“

Die Brust des größeren Mannes schien vor Stolz um das Doppelte anzuschwellen.

„Natürlich, Slua.“

„Fein, fein. Etwas Anderes habe ich nicht erwartet.“

Die Wache schlug sich gegen die Brust, bellte dann einen Befehl in einem Dialekt den Kai absolut nicht verstand und wenig später wurden sie von vier weiteren Rittern in das Innere des Schlosses begleitet.
 

Auch dieses erinnerte Kai in seiner Architektur an die Burgen und Schlösser aus Irland, Schott- und England. Das Gestein war dunkel marmoriert, die einzelnen Blöcke meisterhaft zu hohen Decken mit Kuppeln errichtet. Große Säulen dienten als Stützen für die Decke, dazwischen präsentierten sich gewaltige Fenster, entweder aus buntem oder aber kunstvoll geschliffenem weißem Glas. Kai sah, dass sich florale Muster des Öfteren wiederholten, so wie eine Rose, Efeu und etwas das Ähnlichkeit mit einer Lilie hatte, doch im Gegensatz zu dieser sechs statt fünf Blütenblätter besaß.

Sie wurden zum Thronsaal gebracht, einem Raum der alles, was Kai bis dahin im Schloss gesehen hatte, weit in den Schatten stellte. Er war sich sicher, er würde hier drinnen Stunden zubringen können und trotzdem neues erkennen. Allein die riesigen Glasfenster taten es ihm unglaublich an.

„Willkommen auf Schloss Draigh.“

Die dunkel Stimme, die sie grüßte, war fest und dominant in ihrem Klang, etwas, das sich im Gesicht ihres Besitzers widerspiegelte, der sich von seinem Thron erhoben und die wenigen Stufen hinunter getreten war, um sie in Empfang zu nehmen. Die Haut der Hand, die sich Kai entgegen streckte war kühl und bleich; sie deutete mehr als alles andere darauf hin, dass der andere Mann ein Vampir war, denn um dessen Hals hing ein Kreuz und damit widersprach er den 'normalen' Unsterblichen, von denen der Braunhaarige bisher gehört hatte.

„Mein Name ist Tsukasa.“

Sein Gegenüber hatte braunes, kurzes Haar, das in seinem Schnitt dem verschiedener Musiker, mit welchen Kai bekannt war, ähnelte. Der Pony hing weit in ein edles Gesicht hinein und verbarg so teilweise das goldene Diadem das Tsukasa trug. Das Schmuckstück war bei weitem nicht so weiblich, wie es Kai normalerweise assoziieren würde; das Metall war breiter geschmiedet, wand sich um einen großen Diamant ähnlichen Stein, der im Zentrum saß, etwas unterhalb versetzt dazu folgten drei weitere Steine. Es war eine würdige Krone ohne überheblichen Schnickschnack.

Kai fand, dass Aoi solch ein Diadem sicher auch großartig stehen würde; bisher hatte der Dämon nie so etwas getragen, aber vielleicht gab es trotzdem etwas in dieser Art?

„Kai.“

Er sagte es, derweil er den festen Handdruck erwiderte und obwohl es sicherlich ein schon bekannter Fakt war, was ihm das kleine Schmunzeln bestätigte.

„Komm, ich zeige dir deine Räumlichkeiten, solange du hier lebst.“

Was blieb ihm groß, als darauf zu nicken und Tsukasa zu folgen? Sie verließen den großen Saal, nahmen die rechte der mächtigen Flügeltreppen, um anschließend einen langen Gang hinab zu gehen, der immer wieder von Wachen gesäumt war. Ganz am Ende kamen sie vor einer Doppeltür zum Stehen; wie alles andere war auch sie mit Schnitzerei und Beschlägen verziert.

Tsukasa drückte sie mit beiden Händen auf; die Räumlichkeiten dahinter teilten sich in einen großen Hauptraum, eine Art Bad und ein weiteres kleines Zimmer auf.

Im zentralen Raum stand ein großes Bett dessen dunkelroter Himmel in einem schweren Fall aus Stoff zu Boden floss, der den gleichen Farbton wie die Decke und die unzähligen Kissen hatte. Etwas davon entfernt und vor dem Fenster sah Kai einen Schreibtisch, weiter links einen Esstisch mit acht Stühlen. Vor der Feuerstelle lagen weitere Felle und Kissen und über den massiven Holzschränken hingen gekreuzt Schwerter hinter mächtigen Schilden. Kai hatte keinen Zweifel daran, dass die Klingen scharf waren.

„Ich werde dir einen persönlichen Diener zur Seite stellen; sag ihm, was immer dir fehlen mag.“

Kai nickte, derweil er den kleinen Raum ansah, in dem es ein einfaches Bett, eine kleine Kommode und einen Tisch mit Stuhl gab. Im Grunde wollte er dagegen protestieren, es war ihm unangenehm bedient zu werden, doch er würde sich in diesem riesigen Schloss ohnehin nicht sofort zurecht finden und außerdem würde es sicher angenehm sein, jemanden zum Reden zu haben, der weniger erhaben als Tsukasa war.
 

„So, K, scheint, als wärst du gut untergebracht.“

Reita saß auf seinem zukünftigen Bett und der Braunhaarige nickte nur wieder; es war in der Tat schlicht weg atemberaubend. Sein Freund grinste breit, klopfte dann neben sich auf die Polster, weswegen Kai sich dort nieder und von dem Älteren in eine einarmige Umarmung ziehen ließ.

„Lass den Kopf oben, ne? Wir holen dich so schnell es geht zu uns zurück. Ich versprechs!“

Kai lächelte nur, schüttelte den Kopf.

„Pass lieber auf, dass ihr alle in einem Stück bleibt.“

„Ey!“

Reita boxte Kai in die Schulter, funkelte, weswegen der Mensch breiter lächelte und dann die Arme um Reita schlang; es war eine feste Umarmung und zeigte dem Geisterwesen deutlich was wirklich in seinem Freund vorging. Der Blauäugige erwiderte die Berührung in gleicher Stärke, strich dem Jüngeren am Ende mit einer kräftigen Bewegung durch das Haar und brachte es so in völlige Unordnung, dann erhob er sich, trat zu Tsukasa, welcher ihm den Arm hin streckte.

Reita packte diesen, fing den Blick des Vampirs, welcher den seinen entschlossen erwiderte.

„Du hast mein Wort. Ihn wird kein Schaden finden, so lange ich es zu verhindern weiß.“

„Ich weiß.“

Das Geisterwesen legte die freie Hand auf die Schulter des Vampirs, drückte diese – und verschwand einen Herzschlag später spurlos.

Kaum das Reita fort war, legte sich eine angespannte Stille über den Raum, die der Fürst effektiv brach, indem er zu Kai hinüber ging, sich vor diesem sinken ließ, um mit ihm zu sprechen. Es gab Kai den Eindruck, als wäre er ein kleines Kind und in den Augen des höchstwahrscheinlich viel älteren Wesens war er das vielleicht sogar.

„Der Hof isst in zwei Stunden zu Abend. Du solltest die Zeit bis dahin nutzen und dich mit dem Schloss vertraut machen. Ari wird dir alles zeigen und dich in die nötigsten Belange einweisen. Nach dem Essen solltest du zügig ruhen; du hast morgen einen erfüllten Tag vor dir.“

Die letzten Worte weckten Kais Neugierde – er war davon ausgegangen, dass er von heute an in seinem Zimmer zu bleiben hatte, um beschützt zu werden – weswegen er den Kopf zur Seite legte.

„Ein erfüllter Tag?“, wiederholte er fragend Tsukasa Worte. Der Vampir nickte, lächelte nun etwas weiter und Kai sah den Fang hinter den Lippen hervor blitzen.

„Du wirst eine Ausbildung erhalten und dementsprechend wie alle meine Krieger trainieren. Ich kann niemand in meinem Königreich gebrauchen, der nicht fähig ist, in einem Kampf seinen Anteil zu leisten.“

Tsukasa ließ Kai nicht die Zeit, eine passende Antwort zusammen zu setzen und gar auszusprechen; stattdessen erhob sich der Fürst, wandte sich ab und verließ die Räume, in welchen Kai noch immer mit offenem Mund auf dem Bett saß.

Der Mann wusste definitiv wie man den perfekten Abgang hinlegte.

8

8
 

Sie war da.

Die finale Nacht bevor die Monde in eine Reihe fanden.

Hizumi schloss kurz die Augen, bevor er tief durch atmete und sein Zelt verließ.

Außerhalb begrüßten ihn die hellen Feuer seines Clans; sie feierten und tranken auf den Anstieg ihrer Kräfte, doch dem Fürsten war nicht danach, sich an den Gelüsten von Leib und Seele zu beteiligen. Ihn zog es – wie auch schon die voran gegangenen Tage – in die Stille der umliegenden Steppe. Er liebte ihre raue Schönheit, mit den kargen, rötlichen Felsen auf dem sich bei Sonnenauf- und Untergang verschiedene Reptilen sonnten. Er mochte das, zum Teil, hüfthohe Gras, den Duft der wenigen wilden Blumen, die sich mit der würzigen Note von Kräutern mischten. Tiere und auch Essbares fand man nur, wenn man ein ausgezeichneter Jäger und Sammler war. Man konnte nicht nach Java kommen und erwarten, dass sich die Welt auf einem Silbertablett präsentierte und man nur zu zugreifen brauchte.

Eher das Gegenteil. Java war in weiten Teilen tödlich und erbarmungslos. Wusste man nicht, wohin man trat oder welche Art von Zeichen man richtig zu deuten hatte, konnte man hier schnell vergehen. Hilfe gab es nicht, selbst sein Clan unterstützte untereinander nur bedingt; Fremde wurden äußert argwöhnisch behandelt und nur nach langer Zeit endgültig in das Leben innerhalb der Nomaden aufgenommen.

Die Wesen die, wie er, Schwingen trugen, patrouillierten den Himmel alle paar Stunden. Auch er selbst flog oft über Java, suchte nach möglichen Feinden, aber auch Dingen wie rohen Kristallen und Metallen. Diese tauschten sie in den größeren Städten gegen Stoffe oder andere Waren, die sie in Java nicht fanden. Zum Teil floss das so erwirtschaftete Geld auch in magische Artefakte und Waffen, sowie Rüstungen. Hizumis Clan besaß mehrere, hervorragende Schmiede und einige Magier, doch auch ihnen waren Grenzen gesetzt und die Alchemisten sowie arkanen Meister[1] in Gebik stellten sie weit in den Schatten, aus dem einfachen Grund, dass sie Bücher lesen konnten, um ihr Wissen zu vergrößern. Sie hier in Java lernten allein aus den Prüfungen und Begegnungen des täglichen Lebens.

Hizumi bezweifelte stark, dass ein Trankmischer wissen würde, was er tun musste wenn er einer Hikail begegnete; eine kleine Schlange, die sich in den Ritzen und Vertiefungen neben den wenigen Wasserlöchern verbarg. Sie war nur eine Handbreit, doch ihr Gift tötete einen Dämon innerhalb von zwei Tagen. Andere Wesen starben sogar noch schneller. Es gab kein bekanntes Heilmittel, nicht einmal die weit verbreitete schwächere weiße Magie war ausreichend, aber man konnte dem Reptil zuvorkommen, indem man einige Brocken Salz neben dem Wasserloch verstreute. Dieses Mineral war derartig selten, dass eine Hikail einfach zuschlagen musste.

Im Gegensatz zu den normalen Schlangen besaß sie neben ihren Giftzähnen auch einige Fang-und Backenzähne, die in der Lage waren das Salz, aber auch Nüsse, Knochen und bestimmte Arten an weicherem Gestein zu zerbeißen. Sie war hervorragend auf ihr Leben in Java eingestellt und galt unter den seinen als einer der gefährlichsten Feinde, denen man hier begegnen konnte.

Mit einer agilen Bewegung schwang sich der dunkelhaarige Dämon auf einen der größeren Felsen und ließ sich im Schneidersitz auf diesen nieder. Einige Zeit starrte er zufrieden hinauf in das Sternenmeer, ließ seine Gedanken im Nichts treiben. Die Monde überstrahlten jene Sterne, die ihnen am nächsten standen; es war ein spektakulärer Anblick, denn je näher die Mode aufrückten, desto größer wurde ihr Glühen, bis es in der morgigen Nacht aussehen würde, als würde die gigantische Klinge eines silbernen Schwertes in der Luft hängen. Die Natur um ihn herum summte leise mit der ansteigenden Magie; es war wie ein Schwarm Bienen und je nachdem ob man ein Grashalm streifte oder nicht verändere sich der Ton in den Höhen und Tiefen. Und es glitzerte, als wäre alles von unzähligen Tautropfen bedeckt. Es war ein wunderbarer Anblick und Hizumi bedauerte jede Seele, die es sich nicht ansehen konnte.

Zarte Finger schoben sich über seine Schultern, gefolgt von schlanken bloßen Armen, deren helle Haut über und über mit fliederfarbenen Runen übersät war.

„Ich bin gekommen, dich abzuholen. Maikira wird gleich tanzen.“

Die Stimme war – passend zu den Händen, die nun mit dem Fell spielten, dass um seine Schultern lag – hell und weich. Sie hatte einen unnatürlichen Hall inne, bei dem jeder, der ihn zum ersten Mal hörte, schauderte. Hizumi hingegen schob seine Hand über die Kleineren, drehte den Kopf um den Ellenbogen mit den Lippen zu streifen.

„Um nichts in der Welt würde ich das verpassen wollen.“

Ein leises Lachen war seine Antwort.

„Warum? Hast du Angst, dass dir Mutter eines mit dem Kochlöffel überbraten wird?“

„Sie würde mir wohl eher ein Stilett zwischen die Rippen stoßen.“

Wieder ein Lachen, bevor sich die zierliche Frau weiter über seine Schulter beugte, sodass ihr langer Zopf aus geflochtenem Haar über ihre Schulter rutschte, derweil ihre hell bernsteinfarbenen Augen vergnügt funkelten.

„Dann hätte sie niemanden mehr, der für sie jagt, also kannst du dich noch ein paar Jahre in Sicherheit wiegen.“

„Zumindest so lange du noch brauchst, genauso gut zu werden, wie ich?“

„Ganz genau.“

Hizumi schnaubte leise, erhob sich aber und folgte seiner Tochter zurück in das Lager. Sie war noch kleiner als er selbst, doch sie kam nach ihrer Mutter und würde ihn – wie diese – sicherlich um einiges überragen, sobald sie wirklich erwachsen geworden war. Auch die Runen und die Augen stammten von Maikira. Die Nachtelfe war eine Ausgestoßene innerhalb ihres Clans, weil sie sich in den falschen Mann verliebt hatte.

Hizumi dachte besser nicht zu intensiv darüber nach. Die Vergangenheit löste einige blutige Gelüste in ihm aus.
 

Maikira fing seinen Blick, als er den zentralen Feuerplatz betrat und seinen rechtmäßigen Sitz auf dem Thron einnahm, welcher im Grunde ein breiter, robuster Stuhl war, der mit Fellen und bestickten Tüchern gepolstert war. Hizumi lag fast darin, was seiner fürstlichen Präsenz eine sehr entspannte Note gab und es den seinen einfacher machte ihn zu akzeptieren, denn viele von ihnen wollten nicht beherrscht werden. Dennoch, eine führende Hand war unerlässlich, wenn der Clan nicht im Chaos und ständigen Kämpfen um Gold und das Weib eines anderes untergehen sollte. Und so hatte Hizumi mit Maikira einfache, sehr klare Regeln erstellt, nachdem er sich seine Position in mehreren, rauen Auseinandersetzungen erobert hatte.

Nun – Jahre später – teilten sie ein recht friedvolles Miteinander, brauten Igar, einen Schnaps der einen mit einem Schlag umhauen konnte und bestellten kleine Felder, auf denen sie Jigal, Hebra und Imol züchteten. Es war ein einfaches Leben und obgleich Hizumi es auch anders haben könnte, war er zufrieden.

Nicht zuletzt deswegen, weil er eine stolze, starke und wunderschöne Gefährtin an seiner Seite wusste, die ihn mit zwei Söhnen und einer Tochter beschenkt hatte.

Und sie war fürwahr eine Augenweide. Sie trug ihr schwarzes, hüftlanges Haar stets in einem strengen Zopf, in den sie ab und an Juwelen, Muscheln oder andere Schmuckstücke einflocht. Ihre Augen ähnelten einem hellen Bernstein, dass manches Mal wie Honig und ein anders Mal wie pures Gold aussah. Ihre Runen waren rot-braun und hoben sich getrocknetem Blut gleich von dem Untergrund ihrer schneeweißen Haut ab. Sie hatte ihn im Augenblick ihrer ersten Begegnung gefesselt und dies hatte sich bis zum heutigen Tage nicht geändert.

Sie schenkte ihm ein wissendes Lächeln, welches er mit einem schiefen Grinsen seinerseits beantwortete – dann erhob sich der dunkle Ton der Schalmei, deren Klang wie ein feuriger Atem durch die Luft des Festplatzes spie. Ihm gesellten sich alsbald Trommeln und Goldrat hinzu, eine Art Streichinstrument, dessen tiefer Ton durch den Boden selbst vibrierte.

Es war ein klagender, düsterer Laut der im starken Kontrast zu dem Fest stand, das zwischen den Zelten tobte, doch die Geschichte der Monde brachte bei weitem nicht nur Gutes und Maikira war da, um alle seines Volkes daran zu erinnern.

Ihre Stimme hatte einen warmen Klang mit schwerem Akzent; sie rollte jedes 'r', fing die Worte mit Höhen und Tiefen verschiedener Noten und hielt darüber hinaus eine Emotionalität inne, die Hizumi nicht selten glauben ließ, sie hätte das Erzählte selbst gesehen und berührt.

Doch heute Nacht würde sie nicht singen, sondern tanzen.

Sie erschuf mit simplen Blicken und Gesten Bilder in jedem Geist; sie malte die Legenden mit ihren Bewegungen, ließ sie im Schein des Feuers zu greifbarer Realität werden und auch heute Nacht verharrte jeder, um sie tanzen zu sehen. Unlängst hatten sich die Kinder in der Nähe des größten Feuers zusammen gescharrt, doch nicht nur sie sahen mit großen Augen und offenen Mündern zu. Auch die Krieger waren aufmerksam, die Hände auf mächtigen Schwertern abgestützt, die Jäger und Wächter – sie alle verharrten in einem atemlosen Moment der Zeit, derweil Maikira sich in die erste Bewegung warf.

Ihre Geschichte erzählte die Legende der Monde, dem Kampf des Geistes mit dem Elfen. Es war eine kraftvolle Erzählung, riss einen mit sich - vor allem, wenn Maikira sich ihrer Magie bediente, um mächtige Schwingen in den Himmel zu projizieren, wenn alles um sie herum in bedrohlichen Farben und Formen explodierte.

Die Kinder ihres Clans jauchzten begeistert als sich ein Meer von hellen Blütenblättern in den pechschwarzen Himmel zeichnete, staunten als sich zwischen die Flammen ihres Feuers blau, grün und türkis mischten.

Maikira drehte sich um die eigene Achse, entrückt dieser Welt, so schien es, als sie mit sanft-fließenden Bewegungen über ihren Körper strich, dann langsam eine zur Faust geballte Hand ausstreckte und diese öffnete. Sand rieselte herunter, Zeit, die unwiderruflich verging und von niemandem mehr zurück gebracht werden konnte.

Sie tat die nächste Bewegung, eilte mit leichtfüßigen Schritten über den Platz, nur um an dessen Ende abrupt stehen zu bleiben und in die Nacht hinaus zu starren.

Dies war nicht Teil ihres Tanzes und auch Hizumi hatte sich erhoben, derweil die Frauen die Kinder an einem Punkt sammelten, um sie notfalls in Sicherheit zu bringen.

Weit entfernt von ihrem Lager und trotzdem so, dass man es mit bloßen Auge erkennen konnte, regneten grell leuchtende Steine vom klaren Himmel herab.

Seine Frau kam zurück, beobachtete das Schauspiel mit ebenso besorgten Augen wie auch der Fürst. Seine Tochter schmiegte sich an seine Seite, die Arme um seine Mitte geschoben, als sie zu ihm aufsah.

„Vater, was ist das?“

Hizumi schüttelte kurz den Kopf, sah sie dann an.

„Ich weiß es nicht, Meradi.“ Er drückte sie beruhigend näher an sich, fing als nächstes den Blick seiner Gemahlin. „Hast du etwas derartiges schon einmal gesehen?“

Sie schüttelte langsam ihr Haupt, die schöne Stirn in kleine Falten gelegt.

„Nein. Und mir sind auch keine Erzählungen meines Volkes bekannt.“

Während sie sprachen erhöhte sich die Zahl der Meteoren; sie stürzten mit rapider Geschwindigkeit und man hörte die Wucht ihres Aufschlags, sah das Nachglühen ihres Schweifs, der fehl platzierten Blitzen gleich mehrere Sekunden bestehen blieb und dann scheinbar Spurlos verschwand.

Der Fürst presste die Kiefer zusammen, dann fällte er seine Entscheidung.

„Maikira. Hol dir Gai zur Seite und riegelt das Lager ab. Bringt die Kinder in die Höhlen, wenn sich heraus stellt, dass wir in Gefahr sind.“ Hizumi löste das Fell um seine Schultern, ließ es auf den Thron fallen, derweil er seine Flügel offenbarte. „Gabak, Jin und Kulareth. Ihr kommt mit mir. Wir sehen uns das näher an.“

Die Angesprochenen nickten, doch bevor sich Maikira tatsächlich von ihm trennte, umarmten sie einander, fest und dankbar, den Anderen an ihrer Seite zu haben. Es war Teil eines Rituals, in einem Leben in dem man einander schnell verlieren konnte. Auch seine Tochter und seine Söhne verabschiedeten ihn auf gleiche Art und Weise. Ihre Umarmung war nicht ganz so sicher, wie die seiner Frau, dann traten sie einen Schritt zurück und er erhob sich mit den anderen Kriegern in den Himmel.
 

Sie flogen nicht lange.

Der Schauer war ebenso schnell versiegt, wie er gekommen war, doch als sie landeten, konnte Hizumi den Geruch von brennendem Gehölz wahrnehmen und der Sand unter seinen Stiefeln splitterte, als sie sich dem ersten der Krater näherten. Die Hitze des Einschlags war derart intensiv gewesen, dass Glas entstanden war. Das Erdreich um das Loch war dunkel verkohlt, der ehemals feurige Ton verschwunden und auch wenn man sie nicht sah, so konnte man Magie auf der Zunge schmecken.

Es hinterließ eine Art leichtes Brennen und Ziehen; etwas Derartiges war Hizumi noch nie in seinem Leben widerfahren. Es machte ihn nervös.

Vor einem der Krater ging er in die Knie, spähte in die Dunkelheit. Im Inneren desselben konnte er einen eisblauen Stein sehen; er maß die ungefähre Länge seines Unterarms und schien an beiden Seiten spitz zu zulaufen, da er aufrecht im aufgebrochenen Erdreich steckte, dort immer wieder in langsamen Wellen pulsierte.

„Was denkst du, was das ist?“

Kulareth kniete sich an seine Seite, die hellen Schwingen eng an den Rücken angelegt und Hizumi schüttelte erneut den Kopf.

„Keine Ahnung. Aber ich werd mir das mal näher ansehen. Gib mir dein Seil.“

Die beiden Männer hatten sich erhoben und obgleich der Dämon die Stirn runzelte, reichte er das Gewünschte an den Fürsten weiter, welcher seine Flügel schwinden ließ und sich das Seil um die Hüfte band. Es war nicht so, dass er nicht ohne Hilfe hinunter oder später hinauf kommen konnte, eher im Gegenteil, allerdings wusste Hizumi nicht, ob er da unten nicht negativ beeinflusst werden würde. Nachdem das andere Ende des Seils fixiert worden war, rutschte der Schwarzhaarige die Füße voran in den Krater. Er stützte sich mit den Händen und Fersen, bremste und hielt die Balance, derweil Kulareth und Jin oben mehr des Seils gaben und ihm so eine relativ freie Bewegung ermöglichten.

Nun, wo er dem fremden Gegenstand näher war, verstärkte sich das Gefühl auf seiner Zunge und er zögerte einen Moment, stellte sicher, dass sich nichts anderes veränderte, erst danach ging er weiter und vor dem Stein abermals in die Knie.

Von nahen betrachtet war dieser eher einer Art Kristall ähnlich, die Kanten und Ränder waren unglaublich glatt und schienen nicht natürlich entstanden zu sein. Gefestigt wurde diese Vermutung von den feinen Gravuren die sich im Zentrum des Steines befanden und Hizumi an eine Schneeflocke erinnerten.

„Hizumi?“

„Alles in Ordnung.“

Er antwortete ruhig, derweil er die Hand ausstreckte und den Stein vorsichtig berührte. Unter seinen von Leder umhüllten Fingerspitzen entstand ein feines Summen, sonst veränderte sich weder die Magie noch das Pulsieren, weswegen Hizumi die ganze Hand um das fremde Objekt legte. Er konnte es vollständig umgreifen und nachdem er vorsichtig daran gerüttelt hatte löste sich der Stein, so dass er ihn aus dem Erdreich ziehen konnte.

Das Pulsieren erlosch wenige Herzschläge später, weswegen der Fürst die Stirn in tiefe Falten legte. Wenn er es nicht besser wüsste, dann würde er seinen Fund für eine Art Signal halten. Doch von wem war es gesandt worden? Und zu welchen Zweck? Er würde es Maikira zeigen; vielleicht konnte sie doch noch etwas dazu sagen, wenn sie es von Nahen betrachtet hatte. Und danach würde er Aoi aufsuchen – der Herr Kistaras musste informiert werden. Vielleicht gab es keinen Grund zur Beunruhigung und das Geschehnis war etwas, das Aoi erwartet hatte. Behutsam schlug er den Stein in seiner Schärpe ein, verwahrte ihn dann in seinem Hemd.

„Ich komme wieder hoch.“

Er kletterte behände an der steilen Wand hinauf, löste den Knoten des Seils und derweil Kulareth es zusammenrollte, zeigte er den drei anderen Dämonen den seltsamen Stein, aber auch sie standen vor einem Rätsel und hatten etwas derartiges noch nie zuvor gesehen. Als Hizumi sie nach der Wirkung der Magie befragte, gaben sie die gleichen Symptome an, die auch er selbst verspürte. Ein Brennen und Kribbeln im Gaumen und auf der Zunge, wie es auftrat, wenn man zu viel Galu gegessen hatte, eine Frucht mit dicken, pelzigen Fleisch.

Noch immer die Stirn gerunzelt schlug er den Stein wieder in das Tuch, steckte ihn ein und stieß sich dann mit einem kräftigen Schlag seiner Schwingen vom Boden ab; seine Begleiter folgten einige Momente später und flankierten ihn für den Fall, dass es zu unvorhergesehenen Zwischenfällen kam, wenn sie sich von der Fundstelle entfernten, doch nichts dergleichen geschah.

Hizumi setzte sicher im Zentrum ihres Lagers auf dem Boden auf, wo ihn seine Gemahlin erwartete und ihm in das Hauptzelt folgte.

In diesem saßen seine Kinder und die Magier seines Clans um eine große Feuerstelle herum.

Sie alle schwiegen, warteten, bis er das Gefundene ausgewickelt und an Maikira gereicht hatte, die aber nur den Kopf schüttelte und den Stein an Redrik, dem Ältesten der Magier, weiter reichte.

„Nichts daran löst eine Erinnerung in mir aus. Wie sah der Ort aus, an dem du es gefunden hast?“

„Der Boden war verbrannt, die Krater tief. Es steckte aufrecht in der Erde und hat pulsiert, so wie alle anderen auch, die wir während unseres Fluges gesehen haben. Ich halte es für eine Art Signal.“

„Für wen? Und weswegen?“

„Fragen, die ich nicht beantworten kann, Redrik. Aber ich werde aufbrechen, Aoi zu sehen und es ihm zeigen. Er wird in jeden Fall wissen, was zu tun ist, egal ob er den Stein, dessen Verwendung und Ursprung kennt oder nicht.“

Redik brummte zustimmend, auch wenn man am Gesicht sah, dass es dem alten Magier nicht passte, den Herrn Kistaras zu kontaktieren; er hielt nicht viel von diesem, aber dies war eine Angelegenheit, bei der man jegliche persönliche Ansicht hinten anstellen musste.

„Wen wirst du mitnehmen?“

„Niemanden. Allein bin ich am schnellsten und es droht keine unmittelbare Gefahr.“

Es fielen keine weiteren Worte, nachdem Hizumi entschieden hatte; die Magier verließen das Zelt, gefolgt von den Kindern, welchen der Fürst verschiedene Aufgaben zuwies. Es war wichtig, dass sie lernten, den Fokus zu wahren; gerade Meradi fiel dies unglaublich schwer. Hizumi hatte das Volk nie zuvor für eine längere Zeit verlassen müssen, wenn sie Aoi begegnet waren, war der Herr zu ihnen gekommen und nicht anders herum. Ihre Augen waren mit Tränen gefüllt, als sie ihm die Arme in einer letzten Umarmung fest um seinen Hals legte.

„Eine sichere Reise, Vater. Komm unversehrt wieder.“

„Sei ohne Furcht, Meradi. Es wird nichts geschehen.“

Sie nickte und versuchte ihm ein tapferes Lächeln zu schenken, bevor sie einen Kuss auf seine Wange presste und ebenfalls das Zelt verließ.

Seine Frau half ihm seine Rüstung anzulegen; sie war aus einem leichten Metall und schützte Brust, Rücken sowie seinen Schwertarm. Der andere Arm war frei, um ihm mehr Bewegungsfreiheit zu gewähren, denn auch wenn es bewegliche Glieder an den Gelenken gab, schränkte die Panzerung ein. Sie war mit einem groben, kantigen Muster graviert das den Runen der Nachtelfen glich und wurde mit Schnallen in seiner Seite und unter dem Arm gefestigt. Sie war darauf ausgelegt, dass man sie allein anlegen konnte, doch nun wo Maikira jede Schnalle überprüfte und fest zog ging es um die Intimität der Geste. Ihre schmale Hand blieb auf seiner Schulter liegen, als sie hinter ihm in Stillstand verharrte.

„Sei achtsam und erzwinge keine Konfrontation.“

„Du klingst, als würde ich in den Krieg ziehen.“

„Das nicht, aber ich kenne dich und deinen unverbesserlich dicken Schädel. Bitte denke nach, bevor du sprichst oder dich Hals über Kopf in eine unübersichtliche Situation stürzt.“

Mit einem liebevollen Lächeln legte er die Hand auf die seiner Frau, drückte sie behutsam, derweil er über seine Schulter sah.

„Ich gebe Acht.“

„Mehr kann ich nicht von dir verlangen.“

Ihre zweite Hand legte sich auf seine Brustpanzerung, als er sich herum drehte und die Hand um ihr Kinn legte, damit er sie in einen intensiven Kuss ziehen konnte, der aussagte, was Worte allein nicht auszudrücken vermochten. In ihm steckte all seine Liebe für seine Familie, sein Volk, sein Wille sie unter allen Umständen zu beschützen, aber auch die Sorge, was die Zukunft brachte, wenn das Gefundene nicht so harmlos war, wie es den Anschein hatte. Sie erwiderte die Berührung mit gleicher Leidenschaft, strich ihm sanft über die Wange, nachdem sie sich gelöst hatten.

Er griff ein letztes Mal nach ihrer Hand, lächelte sie an – dann atmete er tief durch und verließ das Zelt, um sich in den Himmel zu schwingen.

Maikiara sah ihm nach, bis er nicht mehr zu erkennen war, bevor sie ein Gebet für seine sichere Reise sprach; mehr konnte sie nicht tun, weswegen sie sich abwandte und zurück in das Zelt trat.
 

Keiner von ihnen konnte wissen, dass sie unter Beobachtung standen und das Zero in diesem Moment das Artefakt der Zeit sinken ließ und sich mit einem kleinen, zufriedenem Lächeln von dem Fenster weg drehte vor dem ein wütender Schneesturm toste. Es lief perfekt und der Fürst der Fenir war wie geplant in seine Falle getappt. Nun war der Weg für ihn geebnet. Er schloss die Augen, ließ die Magie des Artefakts durch seine Sehnen gleiten, seufzte ob des Gefühls das ihm diese gewaltige Macht schenkte. In einer zärtlichen Bewegung strich er über den Kristall um seinen Hals, dann trat er mit langen Schritten aus dem Raum.

Es war an der Zeit den kleinen Menschen zu holen.
 

~~~~~
 

Kai stöhnte lang gezogen, als er sich mit dem Gesicht voran und in voller Rüstung auf sein Bett fallen ließ.

„Oh Gott. Ich bin tot.“

Ein leises Lachen folgte auf seine um Mitleid heischende Aussage; Ari hatte den Raum kurz nach ihm betreten, legte nun die Waffen auf dem großen Tisch nieder, bevor er ans Bett heran trat und den Himmel ein wenig beiseite zog.

„Noch nicht ganz, aber wenn du weiter so liegen bleibst, Slua, dann schaffst du es sicher, dich zu ersticken bevor es Abendessen gibt.“

Kai stöhnte nur wieder, drehte aber seinen Kopf, damit er besser atmen konnte, aber selbst diese Bewegung war mit schier unüberwindlicher Kraftanstrengung verbunden.

„Ich kann meine Arme nicht mehr fühlen. Ich kann gar nichts mehr an mir fühlen.“

„Du wirst dich daran gewöhnen, Slua. Vertrau mir.“

Die Antwort des Menschen war unverständlich und konnte alles von 'Du hast recht' bis 'Ich sterbe, steh nicht nur herum' heißen, was Ari erneut schmunzeln ließ, währenddessen er weiter um das Bett trat, um Kais Füße zu erreichen und sie von den schweren Stiefeln zu befreien.

„Nicht...“

Der Protest war nur halbherzig; Ari hatte schnell gelernt, dass Kai es nicht mochte, wenn man ihn bediente, doch manches Mal war es effektiver und dies war nun der Fall. Der Kleinere brauchte allein gefühlte Stunden um seine Rüstung an oder ab zu legen; die vielen Schnallen und Verschlüsse waren zu unübersichtlich, wenn man sich nicht damit auskannte. Und so übernahm Ari dies, welcher die Stiefel neben sich stellte, derweil er die Braue hinauf schob.

„Kai.“

Ein Summen antwortete ihm, sonst passierte allerdings nichts.

„Du wirst dich aufsetzen müssen, wenn ich dich weiter abrüsten soll.“

„Wie kannst du noch immer so fit sein?“

Kai rollte sich schwerfällig auf den Rücken, schob sich dann an den Rand des Bettes, bevor er sich langsam aufsetzte – er erinnerte an einen Sack Kartoffeln, der Rücken so krumm es ging, als die Arme zwischen den Beinen baumelten.

„Übung, Slua. Selbst die Rangniedrigesten des Schlosses werden in Kampf und Verteidigung ausgebildet. Ich halte einen Bogen seit ich vier Jahre bin.“ Ari griff nach Kais Arm, löste die Schiene von diesem, dann öffnete er den Schulterschutz um an die darunter liegende Brustpanzerung zu gelangen. „Wenn man das mit dir vergleicht, dann schlägst du dich sehr gut.“

Kai schnaubte unzufrieden, obgleich er wusste, dass Ari mit seinen Worten die Wahrheit sprach. Viele der Krieger mit denen er in den letzten Tagen trainiert hatte, lobten seine Verbissenheit und seine schnelle Auffassungsgabe. Allerdings half dies seinen hoch gesetzten Ansprüchen in keiner Weise. Frustriert strich er sich durchs Haar, nachdem Ari ihm den Panzer abgenommen hatte.

Was erwartete er von sich?

Das er innerhalb kürzester Zeit so kämpfen konnte, wie Reita oder Ruki es konnten?

Das war absurd. Und trotzdem hatte er sich eben dies Ziel gesetzt, übte auch allein oder mit Ari, der ihm allerdings auch den Kopf gerade rückte, wenn er etwas versuchen wollte, dass absolut außerhalb seiner Fähigkeiten lag.

„Ich lasse dir ein Bad ein.“

„Danke.“

Ein Lächeln antwortete ihm und nachdem Ari im angrenzenden Raum verschwunden war, ließ sich Kai wieder auf das Bett fallen, starrte in den dunkelroten Himmel, die Arme zu beiden Seiten ausgestreckt. Es gefiel ihm auf Schloss Draigh. Nicht nur, weil man ihn nicht wie ein rohes Ei behandelte und auf seine Räumlichkeiten beschränkte, sondern weil er wie Mitglied des Hofs aufgenommen worden war und aktiv in alle Geschehnisse einbezogen wurde. Das war die ersten Stunden enorm anstrengend gewesen; ihm hatte der Kopf geschwirrt nachdem er Ari kennen gelernt und dieser ihm das Schloss gezeigt hatte. Am nächsten Morgen hatte er Tsukasa auf dessen Rundgang begleitet und er hatte seine Rüstung erhalten.

Sie war – auch wenn das kitschig klang – bedrohlich schön. Das Metall war schwer, schwarz und erinnerte Kai gerade bei den ebenfalls daraus gefertigten Schwertern an einen Splitter der Nacht. Die Bewohner von Gebik nannten es Esragol; es war das härteste Metall das in Lagua geborgen werden konnte. Eine Rüstung zu schmieden dauerte mehrere Tage harter, schweißtreibender Arbeit und es verblüffte Kai, dass sie seine so gut saß, immerhin war er nie zuvor in Gebik gewesen. Tsukasa hatte auf sein offensichtliches Erstaunen geschmunzelt und ihm den Schmied vorgestellt. Es hatte einen Moment gedauert, dann war die Realisierung gekommen, dass sie sich schon einmal in Lutar begegnet waren. Sie hatten allerdings nur ein, zwei Worte gewechselt und das der kurze Blick auf ihn gereicht hatte, um ihm diese Rüstung zu fertigen war unglaublich.

Er war bewundernd über ihre Gravur gefahren, die eher an ein abstraktes Ornament erinnerte und damit einmalig schien; alle anderen Rüstungen die er gesehen hatten trugen neben Blumen und Ranken vor allen die Drachenschwingen, die er hier im Schloss überall wahrnahm. Als er gefragt hatte, warum dem so war hatte Tsukasa ihm simpel geantwortet, dass er der Gefährte des Herrschers sei.

Kai war ein wenig errötet und hatte ihr Thema bewusst auf die zahlreichen Armbrüste und Speere gelenkt, bis es an der Zeit gewesen war, seine Rüstung in der Praxis zu testen.

Das erste Tragen hatte ihn enorm Kraft gekostet – und dabei war er nur herum gelaufen! Seine Panzerung wog schwer und nach einigen Stunden hatte der Braunhaarige geglaubt, seine Schultern ersetzten zu müssen. Dann hatte Ari ihm sein Schwert und einen Schild gegeben und ihn eines Besseren belehrt.
 

Allein das Schild oben zu halten hatte Kai nahezu alles abverlangt und dabei war er als Drummer gut trainiert und hatte auch seit er in Kistara war nicht aufgehört sich fit zu halten. Erst hatte er es mit beiden Händen gehalten und schlicht weg versucht den Schlägen seines Dieners Stand zu halten, dann hatte er es auf eine Hand gewechselt und sein Schwert gezogen. Zu sagen, dass die ersten Trainingsstunden in einem einzigen Dilemma ausarteten war noch milde ausgedrückt. Am Ende konnte Kai gar nicht mehr zählen, wie oft er unsanft auf seinen Rücken, seine Seite oder die Arme geprallt war. In seinen Ohren klingelte es von den Schlägen, die er gegen seinen Helm bekommen hatte. Alles hatte wehgetan und wenn Ari es zugelassen hätte, wäre er mitten auf dem Übungsplatz eingeschlafen.

Aber der größere Mann hatte ihn erbarmungslos auf die Füße zurückgezogen und ins Innere des Schlosses gebracht. Dort war es nicht nur viel wärmer gewesen – ging die Sonne in Kistara unter wurde es wirklich kalt! - sondern Kai war gezeigt worden, was ein mit Magie versetztes Bad für Wunder tat. Es ließ blaue Flecken und Abschürfungen verschwinden und bekämpfte die tiefer sitzenden Schmerzen, löste Verspannungen und Zerrungen. Aber auch an diesem Ort hatte der Braunhaarige nicht seiner Müdigkeit nachgeben dürfen und erst nach dem reichhaltigen Essen war er wie ein Stein in sein Bett gekippt und sofort eingeschlafen.

Am nächsten Morgen war es über ihn gekommen Ari besser kennen zu lernen, etwas das er am Tag zuvor vollkommen versäumt hatte.

Eines der ersten Dinge die ihm an dem blonden, grünäugigen Mann aufgefallen war, war sein kluger Geist und seine scharfe Zunge. Ari behandelte ihn mit Respekt, doch scheute nicht davor, ihm die Meinung zu sagen. Sie hatten nur ein Jahr Altersunterschied und trotzdem schien Ari sehr viel standfester in seinem Leben zu sein und als Kai dies hatte fallen lassen, hatte Ari nur gelacht und ihn daran erinnert, wie lange er denn in Kistara lebte, einer Welt, die dem Braunhaarigen in weiten Teilen noch immer unbekannt war. Darüber hinaus war er bisher immer bei Aoi gewesen, was es schwer machte einen wirklichen Blick auf das Leben hier zu erhaschen; der Dämon war nun einmal der Herrscher und von so lief in seiner Präsenz alles anders ab.

Das nächste, das Kai lernte war, dass Ari ein wahnsinnig guter Kämpfer war. Die Rüstung seines Dieners war ebenfalls aus Esragol, doch weniger stark gepanzert; der Blonde besaß zum Beispiel keinen Schulterschutz, damit er genug Freiheit besaß den Bogen zu spannen. Über der linken Hand trug dieser einen Schießhandschuh, was im Grunde drei Stulpen für Zeige-, Mittel- und Ringfinger war, deren Lederbänder über den Handrücken liefen, die an einem Lederband am Handgelenk befestigt waren. Rechts hingegen trug Ari einen Bogenhandschuh, weiches Leder das Daumen und Zeigefinger umschloss und so über die Stellen des Handrückens lief auf welcher der Pfeil aufgelegt wurde. Hinzu kamen Arm- und Beinschienen, allerdings ohne Helm, es würde das Sichtfeld des Schützen zu sehr eindämmen, auch wenn Ari einen besaß und ihn trug, wenn es zu extrem schweren Gefechten kam. Man konnte nie gut genug ausgerüstet sein.

Das hatte auch Kai sehr schnell begriffen; neben seiner Rüstung hatte er von Ari einen Ring erhalten, der seine Tragfähigkeit magisch erhöhte, was bedeutete, dass das Gewicht der Panzerung nun wesentlich leichter zu stemmen war. Darüber hinaus hatte er ein Heilpendant bekommen, welches er nun mit dem Leviathan unter seiner Kleidung trug. Es gab noch weitere verzauberte Schmuck- und Rüstungsgegenstände, aber keines davon nutzte Kai etwas, da er keinerlei Magie inne trug; ein Umstand den er zu bedauern begann.

Ari konnte das Wasser beherrschen; er war ebefalls kein wirklicher Zauberer aber er hatte die Begabung und verstärkte sie mit einem Stirnreif, eine Möglichkeit, die auch Kai offen stand, wenn er weit genug in seinem Training war. Ari hatte ihm erklärt, dass es durchaus möglich war, geistige Energie so zu lenken, dass einem die Elemente gehorchten, zumindest soweit, dass es zur Verteidigung reichte oder man einen Brand löschen konnte.

Und so war Kais Tagesablauf straff durchorganisiert. Ari würde ihn in den frühen Morgenstunden wecken, dann würden sie gemeinsam Laufen gehen, bevor es ein leichtes Frühstück gab. Danach folgten sogenannte Trockenübungen mit Schwert, Schild und Bogen sowie Kraft- und Konzentrationstraining. Nach dem Mittag wechselten sie in ihre Rüstung und übten vor allem Block und Angriff, sowie Kais Standfestigkeit auf verschiedenen Böden. Nicht selten zauberte Ari einen Eimer Wasser vom Himmel und verwandelte den Untergrund so in ein einziges Schlammbad in dem sich Kai regelmäßig auf dem Rücken wiederfand. Am Abend war er so erschöpft, dass er in sein Bett fiel und wenn Ari nicht auch nachts bei ihm sein würde, dann hätte er sich sicherlich schon den Tod gefangen, weil er sich nie zudeckte und vergaß das Feuer anzuheizen.
 

„Es ist fertig. Komm, du fühlst dich danach besser.“

Er hob den Kopf, als Ari – nun ebenfalls abgerüstet – zu ihm zurück kam und ihm eine Hand hinhielt, welche er ergriff und sich auf die Füße ziehen ließ.

Im Bad zog er sich bis auf die Unterhose aus und stieg in die Wanne, wo er mit einem Seufzen bis zum Kinn in das heiße Wasser sank.

Sofort bildeten sich entlang seiner Gliedmaßen kleine Luftbläschen, die angenehm kribbelten, wann immer er sich bewegte; die Magie sank sanft und unaufdringlich in ihn, weswegen er kurz die Augen schloss. Ja, so fühlte er sich doch tatsächlich wieder menschlich.

Ari saß bei ihm, wie die letzten Tage auch, und wartete ob er Fragen haben würde. Sie gingen den Tag noch einmal im Detail durch, sprachen über Schwächen und Stärken, sowie Methoden seine Fähigkeiten zu bessern und aktiv zu nutzen. Kai hatte eine sehr gute Schwerthand mit viel Wucht dahinter; nun musste er nur noch lernen, wie man den Block des Gegners besser durchbrach und keine Kraft damit vergeudete, auf das Schild oder die Waffe des Gegenüber zu prallen.

„Ari?“

„Ja, Slua?“

„Warum bildet ihr mich im Nahkampf aus? Ich meine, wäre es nicht sinnvoller, wenn ich auch ein Bogenschütze werden würde, so wie du?“

Ari schüttelte den Kopf, streckte sich auf der Bank neben der Wanne aus.

„Nein, wäre es nicht. Tsukasa will, dass du dich im Notfall allein verteidigen kannst. Natürlich werden wir darauf achten, dass du nicht allein bist, aber ein Gefecht kann schnell unübersichtlich werden und Tsukasa will, dass du möglichst schnell lernst, nicht gleich getötet zu werden.“

„Ein netter Beweggrund.“, murmelte Kai sarkastisch, doch der Blonde sah ihn nur ernst darauf an.

„Es ist der beste Grund und das weißt du auch. Du bist doch der, der mir immer wieder sagt, er möchte an Stärke gewinnen, um an Aois Seite stehen zu können. Wie sollte dies besser gehen, als wenn du lernst auf dich selbst zu achten?“

„Entschuldige.“

„Du musst dich nicht entschuldigen, nicht bei mir. Sieh lieber in den Spiegel, konzentriere dich und arbeite dich voran. Lerne aus deinen Fehlern und werde besser. Und dann wirst du sehen, sind Bäder wie diese nicht mehr nötig.“

Nun entlockte Ari ihm ein Lachen, bevor er demonstrativ noch tiefer ins Wasser sank.

„Nötig vielleicht nicht, aber ich genieße sie viel zu sehr, als das ich sie so schnell aufgeben würde.“

„Ich könnte dir einen Eimer Eis hinein schütteln, um dich zu entwöhnen.“, bot Ari hilfreich an, weswegen sich ein breites Grinsen auf Kais Züge legte.

„Danke, aber ich verzichte.“

„Wirklich? Zu schade.“

Eine Weile neckten sie noch einander und erst als Kai glaubte Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen zu entwickeln verließ er die Wanne, trocknete sich und schlüpfte in die Kleidung, die ihm sein Diener hingelegt hatte, welcher sich in dieser Zeit ebenfalls wusch und umzog.

Mit knurrenden Mägen liefen sie anschließend die vielen, verwinkelten Gänge entlang und Kai war stolz, dass er den Weg dieses Mal allein gefunden hatte. Es zeigte ihm, dass er doch Fortschritte machte und das er nicht immer rennen sollte bevor er gehen konnte.

Die Tafel im Hauptsaal war rund und erinnerte Kai stark an die Legende von König Arthur, doch sie war unglaublich gemütlich und erlaubte Tsukasa, obgleich Fürst, eher ein Mitglied seines Hofes zu sein, als die zentrale Figur. Gespräche konnten so auch besser geführt werden und Kai erhielt den Eindruck, dass sich die Ritter mit Absicht so setzen, dass sie quer über den Tisch brüllen und scherzen konnten.

Es war eine fröhliche Truppe, sie lachten enorm viel – auch etwas, an das sich hatte Kai gewöhnen müssen. Mit Aoi waren die Dinge meist sehr viel ernster, was wohl an dessen Wesen lag und Kai erstaunt an all die Zeiten in ihrer Band zurück denken ließ, in denen sein Gefährte sich wie ein kleines Kind benommen hatte. War all dies nur Schauspiel gewesen? Oder hatte Aoi sich auf der Erde wirklich freier gefühlt und nachgeholt, was ihm als Junge verwehrt geblieben war? Es war durchaus möglich. Kai machte sich eine mentale Notiz Aoi danach zu fragen, wenn sie sich das nächste Mal begegneten.

Nun aber schlug er erst einmal zu, häufte sich Hähnchen, Obst und Brot auf seine Platte, dazu noch zwei Würstchen und eine Art Rührei, nachdem er seit dem ersten Frühstück regelrecht süchtig war. Allerdings konnte nichts seine geliebten Eisbeeren übertrumpfen. Das hatte auch die Köchin des Hofs schnell bemerkt und ihm am zweiten Abend auf Schloss Draigh mit einer gesamten Schale davon überrascht, etwas worauf die Kinder enorm eifersüchtig waren. Allerdings konnte Kai die Wogen schnell glätten, indem er freimütig mit ihnen teilte, als sie nach dem Essen in der Bibliothek vor dem Feuer saßen und lasen.

Die Drillinge knieten dabei über ihren Kinderbüchern, derweil Ari und Kai eher Geschichtsbücher wälzten, weil es wichtig war den Geist ebenso fit zu halten wie den Körper. Außerdem mochte es Kai, über die alten Seiten zu fahren und den Geruch der Bücher, der – ganz anders als er es gewöhnt war – durchaus auch mal süßlich oder herb sein konnte, je nachdem ob man ein Buch über Magie in der Hand hielt oder nicht.

„Gute Nacht, Kai!“

„Gute Nacht ihr drei!“

Kai winkte den kichernden Mädchen zum Abschied, dann schloss er die Tür zu ihrem Gemach und begab sich in sein eigenes; Ari folgte ihm dabei derart leise, dass Kai sicher wusste, dass er einen Herzinfarkt erleiden würde, wüsste er nicht, dass der Grünäugige hinter ihm lief.

Mit einem zufriedenem Laut schob er die Türen zu seinen eigenen Räumen auf und zog sich schon halb aus, derweil er zum Bett hinüber ging.

„Slua?“

„Was ist?“

„Was hältst du von einer kleinen Herausforderung, morgen?“

Kai schob eine Braue in die Höhe, als er sich auf sein Bett setzte und die Stiefel auszog.

„Worum geht es?“

„Du könntest lernen, in Rüstung zu reiten.“

Kai grinste, ließ den zweiten Stiefel neben den ersten fallen.

„Reiten wir auch aus?“

Nun grinste auch Ari und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wenn du es schaffst im Sattel zu bleiben?“
 

[1] Hierbei handelt es sich um Männer und Frauen die Waffen, Rüstungen und Gegenstände verzaubern und ihnen so Effekte wie schnelleres heilen, mehr Ausdauer etc. geben.

9

9
 

Aoi studierte die Bäume am Rande der Wälder von Sepram mit gerunzelter Stirn.

Sie bildeten eine finstere Linie, von welcher man innerhalb weniger Sekunden vollkommen verschlungen wurde; das Blattwerk in dunklem Grün und Blau, das sich gramgebeugt gen Boden neigte, etwas, das die hier herrschende Stimmung verstärkte. Es war, als würden sich Trauer und Schmerz einer Decke gleich um einen legen; das Atmen fiel schwerer und war begleitet von immer wieder streifenden Gedanken, dem Verlust des Fokus auf das Wesentliche.

Unsichtbar für das bloße Auge lag vor dem Eingang der Wälder das magische Siegel der Hoheelfen – Aoi konnte es wie ein Stahlseil um seine Brust fühlen, als er näher trat. Es zog sich mit jedem Schritt enger zusammen und machte es einfachen Wesen unmöglich in den Wald zu gelangen; sie verloren in der Regel das Bewusstsein, bevor sie dem Siegel überhaupt nahe kommen konnten.

Innerhalb des Waldes verschwand die Magie, was der Grund für Kais Überleben gewesen war und danach war Ruki bei ihm gewesen, geschützt durch einen weißen Zauber Kyôs, der es ihm erlaubt hatte, den Wald zu betreten, Kai zu finden und ihn an die Klippen außerhalb der Wälder zu bringen.

Kai hatte es ihm nicht angesehen, doch es hatte dem Dunkelelfen eine Menge abverlangt. Für ein Wesen mit negativer Magie war das Durchschreiten des Siegels von heftigen Kopfschmerzen, Krämpfen und Fieber begleitet. Rukis Magie war mächtiger und hatte ihn Efeu gleich umschlungen und so gegen die fremde Magie gekämpft; so war ihm zumindest das Fieber erspart geblieben.

Nicht einmal alle Hoheelfen konnten das Siegel durch schreiten und die, die es konnten, fühlten schlimmer, als es Aoi im Moment tat.

Wenn sich Zero tatsächlich noch in den Wäldern befand, schützte ihm vermutlich das Artefakt, wann immer er sie verließ.

Sie waren sich zwar nicht sicher, ob dem tatsächlich so war, oder ob Zero längst ein anderes Versteck gefunden hatte, doch Aoi scheute das Siegel lösen zu lassen, so lange es keine Gewissheit gab.

Gerade was Karyu anbelangte, war es mit einer Vielzahl von Risiken behaftet. Wenn der Todesengel erwachte, würde ihn das Siegel hoffentlich gefangen halten; allerdings war davon auszugehen, dass Zero einen Weg kannte, Karyu aus seinem Gefängnis zu befreien. Nichtsdestotrotz würde das Siegel ein solches Vorhaben erschweren und ihnen die Chance einräumen, dieses Mal fündig zu werden.

Aus diesem Grund war Aoi nun auch hier.

Ruki hatte er in Ulka zurück gelassen; dieser sollte die Schriften über das Artefakt weiter studieren. Uruha hingegen war gegangen, um seine Befehle zu überwachen und die restlichen Fürsten über die Vorkommnisse in Kenntnis zu setzen, Boten zu schicken, weswegen nun, neben Kaoru und weiteren Elfen, Reita an seiner Seite war. Das Geisterwesen stand einige Meter hinter ihm und rauchte, eine Hand in die Tasche geschoben, derweil Aoi nahe des Waldrands in die Knie ging und in das Dickicht blickte, ohne feste Formen oder Strukturen erkennen zu können.

»Du weißt, dass wir sie beim letzten Mal auch nicht gefunden haben, oder? Was macht dich sicher, dass es heute klappt?«

Reitas Stimme sank in seinen Geist, weswegen er die Zähne aufeinander presste.

»Nichts. Aber ich verweigere, untätig herum zu sitzen und abzuwarten bis Zero sich erneut zeigt. Und deswegen suchen wir noch einmal. Es muss hier etwas geben.«

»Und was gibt’s als Hauptpreis? Einmal zu Gast beim Todesengel?«

Aoi sah düster über seine Schulter zu dem grinsenden Reita, welcher den Rauch seiner Zigarette ausstieß und den Rest in Flammen aufgehen ließ.

»Zero. Und Kistaras Frieden.«

Der Dämon griff ein wenig des Erdreichs innerhalb des Waldes, roch daran, die Augen geschlossen. Er witterte dabei wie ein Tier, doch so konnte er die grundsätzliche Aura der Wälder aufnehmen und sensibler auf jede Veränderung reagieren.

»Bleib in meiner Nähe. Keine Alleingänge.«

»Yes, Sir, Aoi, Sir!«

Reita salutierte ihm, was Aoi ignorierte und sich fließend zu seiner vollen Höhe aufrichtete. Kaoru trat ebenfalls zu ihnen; er hatte das Siegel an sich kontrolliert, doch keine Risse oder Beschädigungen gefunden, was er Aoi mit einem kleinen Kopfschütteln bedeutete.

„Es ist vollkommen intakt.“

„Demnach kann Zero wirklich das Artefakt benutzen, um das Siegel zu durchdringen.“

„Das ist sehr wahrscheinlich. Die Macht des Kristalls ist noch nicht vollständig erforscht und viele seiner Fähigkeiten beruhen auf Legenden und Vermutungen.“

Aoi nickte, obgleich er am liebsten laut aufgestöhnt hätte. Es war alles so schwammig, vage und mit zu vielen Faktoren behaftet, die er nicht kannte, nicht einschätzen konnte. Aoi hasste es. Er schätzte Klarheit und ein deutliches Ziel. Seinen Gegner mit dem Schwert zu durchbohren und die Angelegenheit damit auf endgültige Weise zu klären war seine bevorzugte Vorgehensweise. Es stieß ihm auf, dass er mühselig nach Puzzleteilen suchte, derweil Zero das gesamte Bild vor Augen hatte.

Ein leises Grollen löste sich von seinen Lippen, dann tat er einen Schritt vorwärts und durchschnitt die Luft in mit der rechten Hand in einer energischen Bewegung; seine Magie rollte in einer heftigen Welle aus seinem Körper. Es prallte gegen das Siegel und öffnete es lang genug, dass Reita und Kaoru sowie die Elfen in den Wald treten konnten, bevor es sich mit einem unzufriedenen Brummen hinter ihnen schloss. Im Inneren empfing sie Stille; sie war schwer, aber nicht unnatürlich, denn hier und da gab es ein leises Rascheln in den Kronen und dem umliegenden Dickicht, Anzeichen für Tiere, die sich vor ihrer Präsenz verbargen.

„Verteilt euch auf je fünf Meter zu meinen Seiten, haltet den Blickkontakt. Wenn ihr auf etwas stoßt, gebt ein Signal zum Halt.“

Er bekam ein Nicken, dann setzte sich der Suchtrupp in Bewegung. Immer wieder studierte Aoi die Karte, glich sie mit dem ab, was er vor sich sah. Es gab eine Unmenge an möglichen Unterschlüpfen, mal waren sie nur temporär geeignet, manches Mal taugten sie aber auch für weit mehr. Zwei der Orte, die sie fanden, zeigten Spuren der Benutzung; es gab eine Feuerstelle und Überreste von etwas, das ein Lager gewesen sein könnte. Aoi ging vor den Überresten abermals in die Knie, glitt mit der Hand über altes Moos und getrocknetes Gras. Es haftete dunkle Magie daran; kaum mehr wahrzunehmen, trotzdem kribbelte es an Aois Fingerspitzen, weswegen er die Hand zu einer Faust ballte.
 

„Zero war hier.“

„Mit Karyu?“

„Keine Spur von Hinas Magie.“ Aoi erhob sich, stieß mit der Stiefelspitze gegen die Steine der Feuerstelle, verschob sie so. „Es ist möglich. Ich kann die Signatur der Magie nicht mehr genau lesen. Fest steht nur, dass sie mit etwas dunklem behaftet ist, aber das kann so ziemlich alles heißen. Und es sagt uns, dass Zero Karyu mehrere Male bewegt hat. Ich nehme an, um eine geeignete Bleibe zu finden. Dieser Ort hier fiel allerdings nicht in seine enge Auswahl.“

„Verständlich.“ Reita drehte sich langsam um die eigene Achse, studierte den Unterschlupf genau. „Es ist schnell einsehbar, keine Möglichkeit, sich gegen harsche Witterung zu schützen. Der Boden ist zu hart, als dass man etwas in ihn treiben könnte. Allein und mit einem Wesen an der Seite, das vollste Unterstützung braucht, wäre ich auch nicht geblieben.“

Aoi nickte zustimmend, die gleichen Gedanken waren ihm ebenfalls durch den Kopf gegangen und nun fixierte er Reita mit einem harten, kalkulierenden Blick.

„Gib mir die Karte.“

Reita reichte die lederne Rolle an seinen Herrn, welcher die Karte öffnete, studierte und dann einen zufriedenen Laut in seiner Kehle tat. Genau das hatte er überprüfen wollen.

„Weiter nördlich gibt es tiefere Höhlen, in denen die Möglichkeit auf Wasser und weicheren Boden weit höher ist. Da machen wir weiter.“

„Ich sage Kaoru Bescheid.“

Reita verließ die Höhle in welcher sich Aoi ein letztes Mal umsah, bevor er ebenfalls an das Tageslicht zurück kehrte, zufrieden, dass sich der Suchtrupp bereits in die neue Richtung formiert hatte.

Er tat einen Schritt, um zu ihnen aufzuholen, als er das Prickeln einer mentalen Verbindung in seinen Gedanken fühlte – ohne Zweifel Kyô, dessen Stimme einen Herzschlag später hinter seinen Schläfen wider klang.

»Hizumi, der Fürst der Fenir, nähert sich den Wäldern von Sepram. Er ist auf der Suche nach Euch.«

»Hat ihn der Bote nicht erreicht?«

»Nein, da er zu diesem Zeitpunkt schon unterwegs war. Es geht ihm auch nicht um Zero. Er nannte keine genauen Gründe, nur dass es keinerlei Aufschub duldet.«

Aois Stirn legte sich in Falten – das klang nach einem weiteren Vorfall. Möglicherweise Teil des Puzzles, oder auch nicht. Definitiv störend und mehr als unpassend.

»Ich bin auf dem Weg.«

Er erhielt keine Antwort und kurz darauf schwand ihre Verbindung, die er nun seinerseits wieder aufbaute; allerdings zu Reita, der sich nach ihm umgedreht hatte und auf seinen Zügen sah, dass etwas geschehen war. Er fragte nicht nach, was es war, nickte nur, als Aoi sagte, er solle den Suchtrupp weiter führen, derweil er sich mit Hizumi traf. Aoi würde ihn ins Bild setzen, sobald er klarere Fakten hatte.
 

Der Fürst der Fenir erwartete ihn bereits, als er die Wälder verließ. Er senkte kurz und respektvoll den Kopf, dann streckte er Aoi den Arm hin, welcher ihn ergriff und den Ellenbogen umschloss.

„Hizumi. Du wolltest mich sprechen.“

Der kleinere Mann nickte, das Gesicht ernst, als er seine mächtigen Schwingen enger an den Körper faltete.

„Gestern Nacht gab es einige Kilometer von meinem Stamm entfernt einen Meteorenschauer. Wir flogen an den Ort des Einschlags um ihn zu ergründen, wobei wir auf dies hier stießen.“ Hizumi griff in das Innere seines Hemdes, aus welchem er ein in ein Tuch eingeschlagenes Objekt holte, das er Aoi reichte. „Es ist mit einer seltsamen Magie behaftet, die aber nicht gefährlich zu sein scheint. Wenn man es in den Boden schlägt, beginnt es zu pulsieren. Wie ein Signal.“

Die Falten auf Aois Stirn vertieften sich, als er die Ecken des Tuches aufschlug, um einen direkten Blick auf den Stein zu haben, der sich in dessen Inneren verborgen hatte.

Er war glatt, klar unnatürlichen Ursprungs und er trug das Zeichen der Heekshaai - einem Kriegervolk, das in einer anderen Welt hinter dem Schleier lebte.

„Es ist ein Signal.“, bestätigte Aoi Hizumis Vermutung mit finsterer Miene. „Es stammt vom Eisvolk der Heekshaai. Gab es noch andere Vorkommnisse außer diesem? Hat dein Volk Eindringlinge beobachtet?“

Der Beschwingte schüttelte den Kopf.

„Nein, nichts dergleichen. Wieso haben die Heekshaai etwas derartiges nach Kistara geschickt?“

„Damit sie wissen, wo ihre Truppen hin müssen, wenn sie sie durch die Schleier schicken.“

Nun legte sich auch die Stirn des Beschwingten in Falten.

„Eine Invasion? Zu welchem Zweck? Sie würden keinerlei Chance haben. Kistara ist vereint und stärker denn je.“

„Das ist eines der Dinge, die es heraus zu bekommen gilt. Aber es macht durchaus Sinn, dass es genau nun geschieht.“

„Weswegen?“

Aoi schlug das Tuch wieder über den Stein, gab diesen Hizumi zurück, begegnete dessen Blick ruhig und trotzdem war es dem Fürsten der Fenir anzusehen, dass dieser die tiefer liegende Botschaft, die Wichtigkeit der folgenden Worte ganz genau verstand.

„Zero ist vor einigen Tagen in Aktion getreten. Ich habe veranlasst, Boten zu jedem der Fürsten zu schicken und diese über die Vorkommnisse zu informieren. Du warst allerdings schon hierher unterwegs, daher bist du noch nicht im Bilde. Kai wurde ein Traumruf von Zero geschickt, gleichzeitig löste sich eine Prophezeiung vom Baum der Weissagung. Ich vermute aus ihrem Inhalt und den Worten die Zero an Kai richtete, dass er an Kais Seele heran will, möglicherweise um unter den Monden ein Ritual vorzubereiten, das es ihm erlaubt, Karyu zu befreien. Ich bin alle möglichen Riten und Vorgehensweisen durchgegangen und habe entsprechende Vorkehrungen getroffen. Dass nun darüber hinaus dies Signal eingetroffen ist, bedeutet, dass Zero möglicherweise mit den Heekshaai verbündet ist. Mit ihm an ihrer Seite verbessern sich die Chancen des Eisvolks erheblich und das würde ihren plötzlichen Mut Kistara anzugreifen erklären.“

„Durchaus plausibel. Doch wozu das Eisvolk bemühen, wenn er an eine Seele heran möchte? Von dem, was ich über die Heekshaai weiß, macht es nicht wirklich Sinn. Sie besitzen keine großartige Magie, die Zero für ein Ritual von Nutzen sein würde.“

„Das ist wahr. Doch sie sind gute Krieger und die braucht Zero, wenn er an Kai heran möchte. Ich werde die Drachenreiter zu deiner Unterstützung schicken, je früher wir einer Invasion gewahr werden, desto schneller können wir sie eindämmen.“

Hizumi senkte den Kopf, spannte seine Schwingen auf, ohne Zweifel um zu seinem Clan zurück zu kehren und die Gegend zu beobachten, an welcher die Signale hernieder gegangen waren - er wurde jäh von dem Boten unterbrochen, der ihnen quasi genau vor die Füße fiel.

„Mein Herr.“, die Atmung des schmalen, schmutzigen Dämonen war abgehackt, die ledernen Flügel bebten immer wieder in einem klaren Zeichen von Überanstrengung, zumal der Bote nicht einmal das Bemühen unternahm, sich aufzurichten, nur erneut versuchte Worte zu formen, den Blick dabei nicht einmal vollständig gehoben.

„Mein Herr. Gebik wird angeriffen.“

Ein, zwei donnernde Sekunden lang herrschte eine Stille, die derart heftig auf sie nieder drückte, dass Hizumi glaubte, er würde sie wie Wasser in seine Lungen aufnehmen. Das Atmen war unsäglich schwer - zumindest so lange, bis auf den Zügen Aois der Ausdruck von Erkenntnis auftauchte, wie als hätte etwas im Kopf ihres Herrn klick gemacht.

Dann fauchte Aoi wutentbrannt und verschwand. Dort wo er gestanden hatte, rieselten aufgewühltes Erdreich und kleine Blätter zu Boden und man konnte noch immer das Grollen seiner Stimme hören, die Worte, die er von einem heftigen Fluch begleitet gespien hatte.

'Er hat uns abgelenkt!'
 

~~~~~
 

Das Metall des gegnerischen Schwertes prallte auf Kais und sandte dessen halben Arm eine heftige Welle an Schmerz hinauf.

Keuchend und gegen eine Wand gedrängt, konnte der Braunhaarige nicht viel mehr tun, als die Schläge seines Kontrahenten zu parieren und zu versuchen, diesen zurück zu zwingen. Dafür, dass Zero ihn lebend brauchte, zeigten die Eindringlinge nicht gerade Rücksicht oder Gnade ihm gegenüber.

Mit einem klirrenden Geräusch fiel seine Waffe zu Boden; er hatte den Halt auf sie verloren und noch bevor er nach vorne stürzen und sie zurück holen oder aber etwas anderes zur Verteidigung finden konnte, wurde er am Hals gepackt und grob nach vorne gezogen. Sein Gegner war größer als er, stank aus dem Mund und betrachtete ihn darüber hinaus mit einem Blick, den Kai nicht genauer definieren wollte. Und obgleich er sich geschworen hatte, mutig zu sein, kniff er nun die Augen zu, derweil er, in einem sinnlosen Versuch, mit den Fingern an der Rüstung seines Gegenüber kratzte, um sich zu befreien.

Erst ob des seltsam gurgelnden Geräusches, sah er wieder hin – ein Pfeil steckte ihm Hals seines Widersachers; die Pfeilspitze ragte aus der Kehle, war mit dunklem, blauen Blut behaftet. Der Griff des größeren Mannes löste sich und Kai taumelte rückwärts. Er verlor die Balance und landete schmerzhaft auf dem Rücken, auf dem er erschöpft liegen blieb und versuchte, seinen Atem zu regulieren. Dieser zischte und pfiff wie eine alte Dampflock, begleitet von einem unangenehm brennenden Gefühl, dass Kai glauben machte seine Lungen würden jedem Moment innerhalb seines Brustkorbs auseinander bersten.

Von seinem recht schrägen und damit wirklich bizarren Blickpunkt aus konnte er Ari sehen. Der Diener pflügte einen Pfad durch seine Feinde. Wen er nicht mit dem Bogen tötete, dem rammte er Messer in den Hals, oder drängte sie mit Hilfe seiner Magie zurück. Es dauerte nur einige Momente, dann war der Größere bei ihm, riss ihn am Arm in die Höhe.

Er studierte ihn kurz, sah aber keine offensichtlichen Wunden, weswegen er ihn hektisch mit sich zog und hinter einer Mauer zum Knien zwang, indem er die Hand auf seine Schulter schob und nach unten drückte.

Ari selbst spähte um die Ecke ihres momentanen Schutzes, dann schien er minimal zu entspannen, denn er hockte sich zu ihm, legte den Bogen ab, um beide Hände frei zu haben.

„Wurdest du verletzt?“

Kai konnte nur den Kopf schütteln.

Er wusste es nicht. Alles tat weh, sein Gehör war von dem überwältigenden Geräuschpegel des Gefechts gedämpft. Er erahnte Aris Frage mehr, als dass er sie wirklich verstehen konnte. Sein Fokus verschwamm immer wieder leicht und seine Schwerthand fühlte sich an, als wäre jeder Knochen darin pulverisiert.

Ari schien ihn und seine Probleme besser zu verstehen als er selbst, denn nachdem er nach Öffnungen oder Rissen in der Rüstung gesucht hatte, nahm er ihm den Helm ab und zauberte einen kleinen Wasserfall, der sich direkt auf Kais Haupt nieder senkte.

Die Kälte war unangenehm und ließ den Braunhaarigen erschrocken keuchen, aber die Welt gewann an Klarheit und Schärfe. Der allumfassende Lärm geriet in den Hintergrund. Noch immer brutal, noch immer ohrenbetäubend, doch erträglicher.

„Danke.“

Ari nickte ihm zu, spähte abermals hinter ihrem Versteck hervor.

„Wir müssen in den Thronsaal. Komm.“

Der Blonde packte Kai am Handgelenk, ließ seinen Bogen zurück und griff stattdessen nach einem der Schwerter der Toten, die ihren Weg säumten. Kai versuchte nicht zu genau hinzusehen, aber es war schwer den Blick abzuwenden, wenn einer der Ritter, die er gekannt hatte, auf einer Lanze aufgespießt vor ihm lag.

Sein Diener umging die meisten Gefechte geschickt, reichte ihm ein Schwert, als er es fand, dann glitt er mit den Fingern über die Mauer des Schlosses Draigh, drückte immer wieder gegen die Steine.

Einer von ihnen senkte sich unter dem zufriedenen Laut des Bogenschützen tiefer, bevor ein Mechanismus klickte und sich das Gestein unter Ächzen und Scharren in Bewegung setzte. Die entstandene Öffnung war nicht groß, Kai musste sich seitlich hinein quetschen, der Tunnel dahinter indes erwies sich größer und erlaubte Kai, sich nach Ari umzusehen. Dieser war direkt hinter ihm, eine Hand in seinen Rücken gelegt, um ihn vorwärts zu schieben.

„Lauf!“

Der Braunhaarige nickte, eine Sekunde bevor das bekannte Geräusch eines Pfeils durch die Luft vibrierte – Ari hörte es ebenfalls und blockierte Kais Körper mit dem eigenen – es war, als würde die Zeit für einen langen, qualvollen Herzschlag im Stillstand verharren.

Kai konnte in Aris Augen sehen, wann ihn der Pfeil traf. Das stechende Grün seiner Iris verdunkelte sich, trübte sich unter dem Schock von Schmerz, seine Atmung stockte minimal, dann kehrte die Zeit zu ihrer normalen Geschwindigkeit zurück und Ari drückte härter gegen Kai, schob diesen mit überraschender Kraft tiefer in den Tunnel.

„Lauf, verdammt!“
 

Kais Atmung fing sich, als er vorwärts stolperte – er wischte sich grob über die Augen, tilgte die aufkommenden Tränen. Er konnte, er durfte sie nicht zulassen, nicht jetzt!

Unter den angestrengten Anweisungen des Größeren schlug Kai enge Haken um die Ecken, mal links, mal rechts. Einige Mauern streifte er mit der Schulter, weil er den Abstand zu ihnen unterschätzt hatte – und an jeder dieser Kurven blickte er sich nach dem anderen Mann um, packte dessen Hand, als Ari an Tempo verlor.

Ihre Verfolger waren ebenfalls in den unterirdischen Tunneln; der Braunhaarige hörte ihre bellenden Stimmen, das Krachen ihrer Rüstungen und ihre schweren Schritte, die von überall herrühren konnten.

Ari strauchelte, prallte stöhnend gegen die Mauer, rang nach Atem, derweil sich seine Lider immer wieder schlossen und Kai packte dessen Arm, schlang ihn sich um die Schulter, hielt ihn so.

„Lass mich jetzt nicht im Stich, Ari. Komm schon, wo lang jetzt?“

Es kostete den Älteren einige Sekunden, dann deutete er mit einem Kopfnicken nach links und Kai setzte sich in Bewegung, schliff Ari mehr hinter sich her, als dass dieser eigenständig lief.

Sie erreichten eine Treppe, welche Kai Ari hinauf zerrte. Er musste seinen Freund loslassen, um die schwere Holztür zu schließen und um den massiven Balken zu heben und ihn mit einem Ächzen in die metallenen Klammern fallen zu lassen. Er beobachtete noch, wie sich weitere Bügel von oben um das Holz senkten, dann wandte er sich dem Blonden zu, welcher halb aufrecht gegen die Wand lehnte.

Sein Gesicht war bleich, auf der Stirn stand Schweiß und er schlug Kais Hände weg, als dieser ihn an den Armen fassen wollte.

„Lauf weiter!“ Sein Atem rasselte, als er die Worte hervor presste. „Nach links und die Treppen hoch, sie bringen dich in den Thronsaal.“

Kai schüttelte den Kopf, verweigerte, den anderen zurück zu lassen. Sie mochten sich erst ein paar Tage kennen, trotzdem betrachtete Kai ihn als Freund. Ein Freund, der ihm in der letzten Stunde gefühlte hundert Mal das Leben gerettet hatte und in dessen Rücken ein Pfeil steckte, der ihm gegolten hatte.

„Ich werde dich nicht hier lassen!“

„Du musst!“

„Das ist mir egal. Komm schon, hoch mit dir!“

Ari tat einen protestierenden Laut, wehrte sich aber nicht, als Kai abermals nach ihm griff und den Arm in dem Moment zurück über seine Schultern zog, in dem ihre Verfolger mit einem heftigen Schlag gegen die Tür prallten und diese aufzubrechen suchten. Kai wartete nicht, ob sie damit Erfolg haben würden. Unter einem konstanten Murmeln von Worten, die vor allem ihn selbst antreiben sollten, erklomm er mit Aris zunehmend schwerer werdendem Gewicht die Treppen, setzte diesen behutsam im Thronsaal ab und drehte sich der Tür zu, schloss diese – und sah sich dann mit aufkommender Verzweiflung nach einem Balken oder etwas anderem um, mit dem er sie verbarrikadieren konnte.

Nichts, hier gab es nichts!

Von unten hörte er das Splittern des Holzes; ihre Angreifer hatten die Tür durchbrochen, oder waren zumindest nah daran. Kai stürzte zu Ari zurück, fiel vor diesem auf die Knie, schüttelte ihn behutsam an der Schulter. Er wollte diesem nicht unnötig weh tun, aber es musste einen Grund geben, warum Ari sie hier her gebracht hatte. Sie waren hier im Herzen des Schlosses ohne offensichtliche Möglichkeit zur Flucht; wenn man von der Haupttür und dem Weg absah, den sie gekommen waren. Also musste es etwas anderes sein.

„Ari!“, drängte er, schüttelte den anderen Mann ein wenig härter. „Ari! Wie schließe ich die Tür?“

Der Größere blinzelte, richtete sich stöhnend weiter auf.

„Um meinem Hals, die Kette. Drück den Anhänger in die Mitte der Tür.“

Kai nickte, zog mit den Zähnen an seinen Handschuhen, spuckte sie neben sich auf den Boden, als er nach der Kette suchte; sie war verfangen und mit einem entschuldigenden Blick an den Blonden riss er daran, so dass die schmalen Glieder brachen. Er hetzte zurück zur Tür – donnernde Schritte näherten sich ihr – suchte nach der Vertiefung und drückte die Drachenschwinge mit zitternden Fingern in die Vertiefung.

„Komm schon... komm schon, komm schon, komm schon!“

Ein leises Klicken, bevor sich die goldene Schwinge drehte und tiefer im Holz verschwand; dann schossen entlang der Tür metallene Verschläge aus der Wand und gruben sich Krallen gleich in das Holz. Von ihnen gingen kleinere, metallene Streben aus, die sich verlängerten, miteinander verbanden. Es erinnerte an ein gigantisches Spinnennetz, das sich innerhalb weniger Augenblicke über die gesamte Tür und zu je einem Meter daneben ausweitete. Außerdem glänzte es, als würde die Sonne an einem wolkenlosen Tag auf einen See scheinen. Es war mit Magie behaftet.

Kai erlaubte sich, erleichtert auszuatmen – sie schienen erst einmal sicher zu sein.

Er wischte sich über das Gesicht, durch das Haar, als er rückwärts von der Tür zurück wich und an der Seite Aris auf die Knie fiel, um nach diesem zu sehen und zu versuchen, die Blutung der Wunde zu stoppen.

„Schließ... schließ das Haupttor.“

Die grünen Iriden blinzelten zu ihm hinauf; Ari lag auf seiner Seite auf dem Boden, hatte sich nicht mehr aufrecht halten können und Kai nickte nur, kämpfte sich stöhnend zurück auf die Füße. Das Adrenalin in seinem Körper ließ nach und nahm die daraus resultierende Stärke mit sich. Nun setzten Zittern und Ermüdung ein, trotzdem zwang sich Kai, durch den großen Saal zu der anderen Tür zu sprinten.

Er spähte an ihr vorbei, doch der Flur dahinter war leer, weswegen er den ersten der beiden Flügel griff und zu bewegen suchte. Es war wahnsinnig anstrengend; Kai hatte ihn nur wenige Zentimeter bewegt, als er pausieren musste, die Stirn gegen das kunstvoll verzierte Holz gelehnt.

Er hustete trocken, spuckte den wenigen Schleim, der sich gebildet hatte, auf den Boden. Gott, er hatte Durst! Seine Kehle fühlte sich an, als wäre sie mit Sand gefüllt, seine Zunge und der Gaumen waren klebrig. Schlafen klang auch gut. Sich einfach hinlegen und die Augen schließen.

Ein Poltern riss ihn jäh aus seinen Gedanken; es sorgte dafür, dass eine neue, gehörige Portion Adrenalin ausgeschüttet wurde, die Kai dazu befähigte, derart heftig an der Flügeltür zu reißen, dass er sich beinahe selbst überbalancierte und gestürzt wäre, wenn er nicht den Griff festgehalten hätte. Das Krachen wiederholte sich und brachte Tränen der Verzweiflung und Frustration in Kais Augen.

Er würde die mächtigen Türen niemals rechtzeitig schließen können!

Ein resignierter Schrei löste sich von seinen Lippen; der letzte Ruf nach Rettung, bevor er am Ende des Ganges Zero kommen sah.
 

Der Mann aus seinem Traum hatte sich in keiner Weise verändert und trotzdem ängstigte er Kai nun weit mehr. Seine Schritte waren lang, gezielt, ein kleines Lächeln auf den Lippen, das sich weitete, als er unkontrolliert und hektisch am Flügel zerrte.

»Kai.«

Zeros Stimme sank in seinen Geist, weit weicher und melodiöser als er das erwartet hätte. Es war, als würde in diesem einen Wort, seinem Namen, noch sehr viel mehr gesprochen werden. Kai sollte aufhören zu kämpfen, einsehen, dass er nirgendwo mehr hin konnte. Er sollte sich in sein Schicksal fügen und zu Kais Entsetzen reagierte sein Körper bereits auf Zeros Wort; seine Muskeln entspannten sich, seine Hände, die den Türgriff hielten, lockerten ihren Halt.

Er blinzelte immer wieder; vor seinem Blickfeld entstanden Schlieren und Schleier, die Ränder verschwanden und verloren an Farbe.

Grau füllte sein unmittelbares Umfeld, seine Knie gaben seinem Gewicht nach, weswegen er mit der Schulter hart gegen die Tür prallte, doch keinen wirklichen Schmerz fühlte, denn selbst dieser war stumpf, distanziert.

Sein eigenes Herz füllte sein Gehör komplett aus, rumpelte mit langsamem, bizarren Schlag durch seinen Kopf, währenddessen er beobachtete, wie Zero näher und näher kam.

Kai sah, wie dieser die Hand nach ihm ausstreckte; gleich, gleich würde er ihn berühren – Finger packten ihn grob am Arm, rissen ihn herum und von der Tür weg, bevor seine Wange wie von Feuer berührt brannte und die Wirklichkeit zu ihm zurück brachte.

Mit einem Mal realisierte er vier, fünf Dinge gleichzeitig.

Man hatte ihm eine gehörige Backpfeife gegeben. Zeros glatte Züge waren einem Schnarren gewichen. Tsukasa war mit einem Mal an seiner Seite, begleitet von drei Rittern. Er war im Inneren des Thronsaals und die Türen geschlossen. Und der Fürst hatte ihn an den Schultern gepackt, schüttelte ihn, derweil er seinen Namen rief.

„Kai. Kai!“

Er nickte, fasste sich an die Schläfe, hinter welcher sich ein heftig pochender Kopfschmerz festgesetzt hatte. Was auch immer Zero getan hatte, es war verschwunden und ließ ein bittere Übelkeit zurück.

„Bist du verletzt worden?“

Nun schüttelte er den Kopf, antwortete, als Tsukasa ihn, unzufrieden ob seiner fehlenden Kommunikation, ein weiteres Mal schüttelte, so heftig, dass seine Zähne aufeinander schlugen und er sich auf die Zunge biss.

„Nein.“, japste er, seine Stimme zittrig. „Aber Ari... Ari wurde getroffen.“

„Bring mich zu ihm.“

Der Braunhaarige nickte abermals und konnte aus dem Blickwinkel sehen, dass die Wachen vor der Tür Posten bezogen und dass sich über die große Haupttür das gleiche spinnennetzartige Gebilde gelegt hatte – es kroch an der Wand entlang und weitete sich auf die riesigen Glasfenster aus, wobei es zunehmend Licht nahm und sie in einer bedrückenden Dämmerung zurück ließ.

Von außerhalb waren Detonationen zu hören, gemischt mit dem Kreischen von Magie, dem Aufeinander prallen von Schwertern; das Gefecht tobte erbittert und das nur wegen ihm.

In Kais Augen brannten erneute Tränen; all dies nur wegen ihm!

Wenn die Schuld ein hässliches Biest war, dann hatte sie ihm soeben ein ordentliches Stück Fleisch aus dem Bauch gerissen. Sein Innerstes war in einem Aufruhr, doch er drängte es zurück. Er konnte das nicht zulassen. Er durfte es nicht.

„Ari.“

Er sank neben dem Verletzten zu Boden, wenig graziös, doch es konnte ihn nicht weniger interessieren.

„Ari. Tsukasa ist hier.“

Der Blonde öffnete die Augen, Erleichterung in ihnen, als er zu seinem Fürsten blickte. Nun konnte er der lauernden Ohnmacht nachgeben, nun würde Kai beschützt werden und ihm war es erlaubt, einen Schritt zurück zu treten.

„Ihr seid hier.“

Tsukasa nickte.

„Und dass Kai ebenfalls hier ist, ist allein dein Verdienst.“

Der Fürst stützte ihn, als er ihn in halbwegs aufrechte Position brachte und seinen Rücken inspizierte.

„Kai, komm her, lass ihn sich gegen dich lehnen.“

Der Angesprochene rutschte näher, nahm Ari in den Arm, sodass sie Brust an Brust saßen und sein Freund den Kopf auf seine Schulter legen konnte.

„Ich muss den Pfeil raus ziehen. Halt ihn so fest du kannst.“

Er tat was ihm gesagt wurde, schob seine Arme enger um den Größeren, welcher im Gegenzug Halt an ihm suchte und dabei tiefe Atemzüge tat, als würde ihm das helfen, den kommenden Schmerz besser zu kompensieren. Tsukasa hielt Ari an der Schulter gegen Kai gedrückt, blickte diesen an, als er den Pfeil griff und kurz aber heftig daran zog. Es war zu schnell, als das der Blonde hätte schreien können, trotzdem löste sich ein gebrochener, klagender Laut, der Kai in der Seele weh tat.

Ohne es wirklich zu realisieren, begann er Ari hin und her zu wiegen. Kleine schaukelnde Bewegungen, die er immer bei Müttern beobachtete, egal ob diese ein Baby oder aber eine Vase im Arm hielten.

Tsukasa hingegen zog seinen Dolch aus dem Stiefel, schnitt sich damit über die Handfläche, nachdem er den Handschuh ausgezogen hatte. Er streckte die Finger, um den Schnitt weiter zu öffnen, hielt die Wunde dann über Aris Rücken und ließ das Blut auf dessen Verletzung fallen. Es zischte leise, wann immer ein Tropfen aufschlug, begleitet von einer feinen Rauchschwade und dem gelegentlichen Wimmern Aris.

Kai beobachtete mit morbider Faszination, wie sich Aris Wunde schloss und von innen heraus vernarbte; es war hässlich und erinnerte an stark verbranntes Fleisch, doch die Blutung war gestoppt. Tsukasa zog seinen Handschuh wieder an, nachdem sich der Schnitt geschlossen hatte, legte die Hand auf Kais Schulter, um dessen Aufmerksamkeit zu erhalten.

„Die Türen und Fenster werden Zero nicht ewig aufhalten. Wir müssen in Bewegung bleiben.“

Doch es war der Blonde in Kais Armen der als erstes nickte, derweil der Braunhaarige fragend blinzelte – wohin konnten sie denn jetzt noch gehen? Er war davon ausgegangen, dass Ari sie hierher gebracht hatte, weil der Schutz des Thronsaals ausreichend war.

Er erhielt die Antwort wenig später.
 

Tsukasa gab dem größten Thron einen heftigen Tritt, schleuderte die übrig gebliebenen Holzteile davon, bevor er eine Stelle auf dem Fußboden sorgsam von Staub und Splittern befreite. Er griff unter seine Rüstung und zog unter ihr die gleiche Kette hervor, die auch Ari besaß. Er senkte die Schwinge präzise in die Vertiefung am Boden, blickte dann geduldig auf sie hinab, derweil es vor der Haupttür mehrere Explosionen gab, die derart heftig waren, dass Risse im Mauerwerk entstanden und die Schmuckschilde von den Wänden fielen.

Kai zog Ari aus Reflex enger an sich, doch dieser löste sich bereits von ihm, griff nach seiner Hand, drückte diese.

„Komm schon, Kai. Konzentriere dich auf das, was du gelernt hast. Sieh dein Ziel, wahre deinen Fokus.“

Der Braunhaarige nickte langsam, schloss die Augen, derweil er drei Mal tief durchatmete.

„Was ist dein Ziel?“

„Überleben. Stärker werden, um an Aois Seite zu stehen.“

„Was ist jetzt wichtig?“

„Entkommen.“

„Exakt.“

Kai hob die Lider, nickte einmal kurz und stemmte sich dann auf die Beine, eilte zusammen mit Ari zu Tsukasa, welcher vor den Stufen wartete, die sich unter dem Thron in die Tiefe senkten. Der Fürst betrat sie als erstes, gefolgt von Kai und Ari; sie waren steil und führten tief unter die Erde. Kai konnte den feinen Geruch von Wasser und feuchter Erde wahrnehmen, derweil das Licht rapide abnahm. Am Ende war es stockdunkel und Kai hielt eine Hand konstant an der Wand, um nicht die Orientierung zu verlieren. Tsukasa warnte ihn an der letzten Stufe, wo sie einen Moment stehen blieben. Der Älteste entzündetet eine Fackel, die an der Wand gehangen hatte und hob diese höher, um ihre Umgebung weiter zu erhellen. Seine Augen warfen das Licht wie die eines Raubtieres zurück und ließen Kai schaudern; es war ein unheimlicher Anblick.

„Der Tunnel führt in eine Reihe von Höhlen und Gängen die sich in einem Labyrinth unter Gebik ausbreiten. Wir werden zur nördlichsten dieser Höhlen gehen, sie bringt uns zur Kultscharhochebene. Von dort werden wir zum Tempel der Hohen reisen. Zero wird nicht wagen, dorthin zu folgen.“

Tsukasa wollte sich in Bewegung setzen, doch Kai hielt ihn am Arm fest, starrte ihn mit so etwas wie Fassungslosigkeit an. Erschüttert, dass es dem Fürsten möglich war, Gebik so simpel den Rücken zu kehren.

„Was ist mit deinem Volk? Zero wird sie schlachten, wenn er mich nicht findet!“

Der Vampir legte seine Hand über Kais, drückte sie in einer Art tröstenden Geste.

„Sie wissen sich zu verteidigen. Sie wussten, was auf sie zukommt, als du zu uns kamst. Ich ließ ihnen die Wahl vorher zu gehen, ohne dass sie dafür in irgendeiner Weise an den Pranger gestellt worden wären. Sie alle, aber vor allem die Ritter und Ari entschieden sich dafür, dich zu schützen und zu verteidigen. Sie sind darauf vorbereitet, alles für dich zu geben. Ihr Leben gehört dir.“

„Warum? Warum würden sie das machen?“, Kais Stimme gewann mit jedem der Worte an Volumen und Höhe; er wirbelte regelrecht zu Ari herum, deutete mit dem Finger auf ihn, weil er nicht nahe genug stand, diesen in die Schulter des Blonden bohren zu können.„Warum tust du das? Warum wolltest du, dass Tsukasa dich an meine Seite stellt?“

„Du bist Aois Gefährte.“, antwortete der Blonde schlicht; so als würde es alles erklären, nur verstand Kai gar nichts, oder, besser gesagt, erahnte es, aber wollte es nicht wahr haben. Verleugnete, dass jemand sein Leben auf diese Art für ihn aufs Spiel setzen würde. Alles nur für ein Symbol. Ein Pflichtbewusstsein. Sein innerer Aufruhr kehrte zu ihm zurück, forderte Tränen, Schreien und die Ohnmacht des Entsetzens, das so an Kai nagte und dem er sich beständig verweigerte.

„Nein, nicht nur deswegen.“

Ari drückte sich von der Wand ab, gegen die er gelehnt hatte, trat so dicht zu Kai, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten und Kai begriff, dass er seine Gedanken wieder einmal, unbemerkt von ihm selbst, laut ausgesprochen hatte. Ari griff seinen Arm, hielt ihn am Ellenbogen; eine Geste, die Kai bereits einige Male gesehen hatte und nun kopierte, derweil sich Aris Tiefen in seine Seele bohrten.

„Du bist mein Freund. Du bist mir wichtig.“

Kai schluchzte, blinzelte gegen die verräterischen Tränen, die in seinen Augen brannten.

„Du kennst mich nicht einmal richtig.“

Ari lächelte weit und drückte seine Schulter mit der freien Hand.

„Das was ich von dir gesehen habe, das was ich mit dir erlebt habe, vor allem heute, lässt mich wissen, dass ich stolz sein kann, dich zum Freund erwählt zu haben. Ich habe keine Angst vor dem Tod, Kai. Und ich will mein Leben freimütig geben, wenn dies bedeutet, dass du dann lebst. Aber eine Zukunft in der du dich über dein zu schweres Schild beschwerst und in der du im Matsch liegst, ist mir wesentlich lieber.“

Der letzte Satz ließ Kai gebrochen lachen und er sah an dem zufriedenen Gesicht Aris, dass dies durchaus beabsichtigt gewesen war und so nickte er dem Anderen dankend zu, gewann zunehmend Kontrolle über sich.

Tsukasa legte ebenfalls eine Hand auf seine Schulter, sah ihn eindringlich an.

„Lasst uns gehen. Wir vergeuden wertvolle Zeit.“

Er reichte die Fackel an Kai und gab auch Ari eine, bevor er tiefer in den Tunnel trat.
 

Es hatte etwas beklemmendes an sich, unter der Erde zu gehen.

Kai vermisste das Licht und die frische Luft innerhalb kürzester Zeit. Hinzu kam die Stille; außer ihren Schritten gab es nichts zu hören. Sie unterhielten sich gar nicht oder nur wenig; Ari und Tsukasa waren noch immer wachsam und Kai wollte nicht wie ein kleines Kind erscheinen, indem er alle paar Minuten die Lippen öffnete. Genug einfallen würde ihm. Er hatte Tonnen an Themen, über die er jetzt, genau in diesem Moment, sprechen könnte. Aber er blieb stumm und eilte hinter dem Vampir her, welcher das Labyrinth unter Gebik offensichtlich so lange studiert hatte, bis es in seinem Kopf als perfekte Abbildung projiziert wurde. In 3D. Anders war eine derartige Zielsicherheit nicht zu erklären; Tsukasa schien nicht ein einziges Mal zu zögern oder nicht zu wissen, wo er sich befand.

„Tsukasa.“

Der Fürst drehte sich zu ihnen, um zu Ari zu sehen, welcher die Stimme erhoben hatte.

„Lass uns rasten. Wir sind erschöpft.“

Ari sagte zwar 'wir', aber Kai glaubte, dass er vor allem wegen ihm gesprochen hatte; seit der Vampir die Wunde des Blonden geschlossen hatte, war jegliche Müdigkeit aus den Zügen verschwunden. Auch die Atmung hatte sich sofort reguliert, was Kai wundern ließ, ob es im Blut des Vampirs so etwas wie ein Beruhigungsmittel gab. Etwas das besänftigte und Schmerz nahm, ohne die Sinne zu vernebeln.

„Ein wenig noch. Dann erreichen wir einen alten Unterschlupf in dem wir Kleidung finden können. Unsere Rüstungen sind zu auffällig, sobald wir an der Oberfläche sind.“

Ari nickte und lächelte ihn an, als der Fürst weiter voran ging. Er schloss zu seiner Seite auf, spendete so mehr Nähe, die es Kai erträglicher machte, hier unten zu sein.

Tsukasa hielt Wort; nicht lange und der bisherige Tunnel weitete sich aus, gab eine kleine Höhle mit mehreren Nischen frei. Es gab klare Anzeichen dafür, dass sie benutzt worden war – oder noch immer wurde, denn der kleine Tisch und die vier Stühle waren in einem guten Zustand, ebenso die beiden Betten auf denen Stroh, Leinen und sogar dickere Decken aus Wolle lagen.

„Setzt euch, rüstet ab. Ich hole Wasser.“

Tsukasa deutete mit einem Nicken auf den Tisch und verschwand am anderen Ende der Höhle praktisch in der Wand; Kai musste die Stelle genau fixieren, um zu erkennen, dass hinter dem hier überall wuchernden Moos ein weiterer Gang versteckt war. Ari folgte dem Befehl als erstes; allerdings nicht bei sich selbst. Mit wenigen Schritten war er bei Kai, packte diesen am Arm, um ihn mit zu dem Tisch zu ziehen.

Kai konnte sich eines langen, zufriedenen Stöhnens nicht erwehren, als sein Hintern in soliden Kontakt mit dem Holz des Stuhls kam. Gott, es tat gut, die Beine zu strecken! Ari schmunzelte, arbeitete an den Schnallen seines Schulterschutzes, derweil Kai die Armschienen löste.

Der Blonde räumte alles in eine leere Kiste neben sich, in welche auch sein Brustpanzer und der Helm passten. Auch seine Stiefel und die Beinschienen zog Kai aus, was er nutzte, um die Füße zu dehnen und die Zehen zu spreizen. Ari stellte ihm wenig später Stiefel aus Leder hin - und Kai hatte gelernt, weder zu fragen, noch darüber nachzudenken, wem diverse Kleidungstücke zuvor gehört haben könnten – in welche der Braunhaarige schlüpfte. Seine Hosen und das Oberteil unter dem Panzer waren schlicht und dunkel, sie würden nicht auffallen. Aris Rüstung wanderte neben die seine; das Shirt des Blonden war blutverschmiert, weswegen er es auszog und noch bevor er in das neue, dunkelblaue schlüpfen konnte, erhob sich Kai.

„Warte. Lass mich erst das Blut abwischen.“

Er tauchte ein Stück Stoff in eine kleine Pfütze neben dem Tisch, trat dann zu dem Älteren herüber, strich über dessen Haut, säuberte sie.

Von nahem und vor allem ohne die Rüstung sah die Narbe des Pfeils viel übler aus – sie war fast so groß wie die Innenfläche seiner Hand. Die Eintrittsstelle des Geschosses hob sich in einem deutlich milchigen Weiß vom Rest ab, rund um sie wanderten kleine Flechten zu allen Seiten ab. Es sah aus wie ein kleines Spinnennetz, nur dass die Fäden viel wirrer waren, auch kreuz und quer verliefen. Wie, als hätte man ein Stück Papier zerknüllt.

„Was fasziniert dich da so?“

„Schmerzt es dich?“

„Nein, nicht mehr.“

Ari sah ihn über seine Schulter hinweg an, als er leise seufzte und das Stück Stoff auf den Tisch warf. Es ließ ihn einfach nicht los. Der Anblick nicht und auch nicht Aris Beweggründe. Und Kai war sich sicher, dass es ihn sein gesamtes Leben über begleiten würde. Trotzdem antwortete er nicht, schüttelte nur den Kopf. Ari wollte noch etwas sagen, doch er wurde von dem wiederkehrenden Tsukasa unterbrochen, welcher zwei Wasserschläuche und ein Füllhorn trug und dies nun ihnen gab, bevor er sich ebenfalls seiner Panzerung entledigte.

Kai nahm einige tiefe Schlucke, reichte das Füllhorn an Ari weiter.

„Was ist mit dir?“

„Ich habe mich an der Tränke genährt.“

„Das ist gut...“ Kai schwieg einen Moment, dann wurde ihm klar, was genau Tsukasa meinte. „Oh! Das...“

Der Vampir lachte herzlich über seine Unfähigkeit einen vollen Satz zu bilden.

„Es war niemand, den du gekannt hast, Kai.“

Nun lachte auch Ari und Kai funkelte den Fürsten an – wirklich, dieser hatte einen sehr seltsamen Sinn für Humor.
 

Sie hielten nicht lange, doch die Rast erfrischte Kai, nicht zuletzt durch ein anderes, besseres Heilpendant, das Tsukasa aus einer kleinen Schatulle unter dem Bett geholt hatte. Sein altes bekam nun Ari, welcher einen neuen Bogen erhielt und Kai in seiner Annahme bestätigte, dass dieser Unterschlupf regelmäßig benutzt oder aber zumindest für Notfälle wie diesen in Stand gehalten wurde. Er selbst bekam ein neues Schwert, Tsukasa legte sich mehrere Wurfmesser an. Sie alle trugen ihre Waffen offen; das war in Kistara nichts ungewöhnliches; auch die bodenlangen Capes würden nicht weiter auffällig sein.

Sie nickten einander zu, als sie die Kapuzen ihrer Umhänge über den Kopf hoben; Tsukasa hatte auch seine Tiara abgelegt, was ein seltsamer Anblick war. Das Schmuckstück gehörte zu dem Fürsten, aber Kai war klar, dass es zu auffällig war.

Ohne die Rüstung und erholter setze sich ihre Reise weit schneller fort; die Wege begannen anzusteigen, die Gänge zum Teil so schmal, dass sie nur geduckt durch diese gehen konnten.

Kai hörte in der Ferne Wasser rauschen; sie gingen in diese Richtung und je näher sie kamen, desto mehr drängte das gesamte Sein des Braunhaarigen darauf, endlich wieder ans Tageslicht zu gelangen. Alsbald flutete Licht den Gang, welches zunehmend heller wurde, bis sie vor einem Wasserfall zu stehen kamen, nur kurz, bevor Tsukasa unter diesem hindurch tauchte.

Ari und Kai folgten diesem; sie waren nass bis auf die Knochen, doch im Angesicht der wärmenden Nachmittagssonne war es unwichtig. Aois Gefährte schloss die Augen und drehte sein Gesicht in Richtung des Himmels, atmete tief und befreit durch, als der Wind über seinen Körper strich und es endlich wieder Geräusche gab. Er drehte sich zum Wasserfall um, sah in die Richtung, aus der sie gekommen waren, um einen Blick auf Gebik zu erhaschen, doch außer einer fernen Rauchschwade konnte er nichts erkennen.

Er seufzte leise, hoffte, dass die Bewohner Gebiks nun nicht noch größere Verluste erlitten, weil er geflohen war, dann folgte er Kai und Ari, die sich bereits in Richtung des üppigen Waldes bewegten.

Im Gegensatz zu den Wäldern von Sepram, die, obwohl beklemmend, mit den interessantesten Farbvariationen aufwarteten, glich die Umgebung hier einem mitteleuropäischen Wald. Kai erkannte Laubbäume, die mit Birken, Kastanien oder Buchen verwandt sein konnten. Ihre Kronen waren von saftigem Grün, durch welches hin und wieder die Sonne blitzte und helle Flecken auf den von Moos überwucherten Boden warf. Überall sah Kai Pilze, auch diese für die Verhältnisse in Kistara sehr normal, da sie oft braune oder beige Kappen trugen.

Vögel zwitscherten und hier und da erspähte Kai ein Reh; es war dermaßen friedlich, dass es den Braunhaarigen schon wieder beunruhigte. Aber auch Tsukasa und Ari waren entspannter als in den Höhlen und ihre Stimmung färbte auf Kai ab, weswegen er lockere Gespräche aufwarf und hier und da sogar einen Scherz machte.

Fast konnte er sich vormachen, nur auf einer Reise zu sein und nicht auf einer Flucht; es gab Kai ein wenig glückselige Sorglosigkeit.

Doch dann lauerte die Realität hinter der nächsten Weggabelung und ließ den Braunhaarigen in panischer Regungslosigkeit erstarren.

Zero lehnte gegen einen Baum, das kleine Lächeln in den Zügen, das er auch schon im Schloss gesehen hatte und so nonchalant als wären sie Bekannte, die sich zufällig an diesem Ort trafen.

„Hallo Kai.“

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Die Zerstörung Gebiks waren erdrückend und sie zerrte an Uruhas Herz.

Sein sanftes Wesen ertrug weder das klagende Wimmern der Frauen oder das Weinen der Kinder, noch die stoischen Masken der überlebenden Kämpfer, die vor all ihren gefallenen Kameraden Stärke beweisen mussten.

Dazu verdammt, nichts weiter tun zu können, als Trost und leere Worte zu spenden, waren die Generäle und der Herrscher von Kistara über die blutverschmierten Straßen gewandelt, hatten sich zu den Überlebenden gekniet, Hände und Schultern gedrückt. Sie hatten geholfen, große Brocken an Gestein zu heben, löschten magische Feuer und sammelten Wertgegenstände aus dem Staub.

Doch es fühlte sich viel zu wenig an.

Uruha wischte sich über die Augen, legte eine Hand über sie, um die Tränen zurück zu drängen, die ihn begleiteten, seit er nach dem Kämpfen hier eingetroffen war. Es gelang ihm nur mit Mühe – und noch schwerer war es, den halbwüchsigen Jungen anzusehen, der, mit tapferem Gesicht und starr an den Seiten geballten Fäusten, auf ihn zu kam und ihn dann mit Augen so voller zwiespältiger Emotionen ansah, dass es dem Langhaarigen das Herz auseinander riss. Er zwang sich zu einem warmen Lächeln, kniete sich zu ihm hinab, wobei seine in einen einfachen Zopf gefassten Locken wie ein Wasserfall um seine Füße spielten.

„Was kann ich für dich tun?“

„Meine kleine Schwester hat mich geschickt. Sie sagte, du bist ein General und kannst uns helfen.“ Der Junge machte eine Pause, die dem Langhaarigen sagte, dass er nicht so zuversichtlich wie sie war, doch dann sprach er weiter, wohl weil seine Schwester sie beobachtete. „Wir suchen unseren Vater. Er hat an der Seite von Fürst Tsukasa gekämpft, als wir ihn das letzte Mal gesehen haben.“

Uruhas Magen zog sich schmerzhaft zusammen, doch sein Lächeln blieb intakt, als er nickte und sich fließend aufrichtete.

„Ich weiß, wo die Garde des Fürsten ist. Komm, ich bringe euch zu ihnen, dort haben wir die beste Chance auf euren Vater zu treffen.“

Er hätte dem Jungen gerne die Hand hin gestreckt, um ihm zu zeigen, dass er nicht allein war, doch das hätte dieser wohl nicht allzu positiv aufgefasst, auch wenn er die Hand seiner kleinen Schwester so fest umklammert hielt, dass er ihr sicher weh tat.

Sie indes sagte kein Ton, sah nur verzweifelt-hoffnungsvoll zu ihm auf, als er ihren Bruder mit einer Hand an der Schulter führte. Je näher sie dem Schloss kamen, desto stärker zögerten die beiden Kinder, bis sie am Ende ganz stehen blieben. Tränen liefen über ihre erschrockenen, schmutzigen Gesichter und die freie Hand des Jungen zitterte darüber hinaus in unterdrückten Zorn.

Uruha konnte es nur zu gut nach vollziehen.

Das ehemals stolze Schloss Draigh glich nun mehr einer Ruine.

Mehre magische Treffer hatten riesige Löcher in die äußere Fassade gerissen, der Nordturm war zunichte gemacht – die Überreste dessen lagen außerhalb der Stadtmauern. Die aufwendig bestickten Banner und Fahnen hingen in Fetzen an ihren Aufhängungen, das ehemals edle, dunkel Gestein war von Rauch und Ruß überzogen. Es sah aus, als hätte man es verbrannt. Fast alle der unglaublichen Glasfenster waren zerstört, Reste der Splitter und Scherben reflektierten das Licht der untergehenden Sonne blutrot.

Uruha schloss selbst einen Moment lang die Augen, bevor er die beiden sanft nach vorne schob, damit sie weiter gingen. Behutsam umrundete er mit ihnen Trümmer und Gräben, die von Blitzeinschlägen herrührten, bis er den Kapitän der Drachenreiter ausmachte.

Er wollte ihn zu sich rufen, doch bevor er dazu kam, sah dieser zu ihn und mit einem Mal geriet hektische Bewegung in den Trupp der wenigen Männer.

Der Dunkelblonde runzelte die Stirn, versuchte zu verstehen, was diese Aufregung verursachte, nur um einen Moment später schlagartig zu verstehen. Ein einzelner Mann kam auf sie zugestürzt, die kräftige Stimme von unterdrücken Tränen durchsetzt, rief er die Namen seiner Kinder.

Diese warfen sich in seine starken Arme, als er, noch nicht ganz bei ihnen, auf die Knie brach, seinen Helm fort warf, um sie so nahe an sich zu bringen, wie es ging. Er übersäte sie mit Küssen, strich durch ihr Haar, drückte sie immer wieder an sich. Er sprach mit ihnen und sie mit ihm, alles gleichzeitig, aber sie schienen sich zu verstehen und - Gott! - Uruhas Herz quoll über, so überwältigend war diese Szene inmitten des Chaos das sie umgab. Es war die Hoffnung, die sich niedergetrampelt, geschunden und blutig geschlagen aus den Staub erhob und das Kinn stolz empor reckte. Sie würde nicht zu besiegen sein.

Nicht, solange es noch Flamme in der Seele der Kistarianer gab.

Uruha beobachtete es länger als ihm zustand – es gab noch so viel, um das er sich kümmern musste – aber er konnte sich einfach nicht abwenden. Und dann drehte sich der Junge zu ihm herum, grinste ihn mit einer Lücke in den Zähnen an, die so gar nicht zum Rest des Kindes passen wollte, formte wortlos ein 'Danke' auf welches Uruha nicht anders konnte, als mit einem eigenen, weitem Lächeln zu antworten.

Er erhielt ein Strahlen im Gegenzug, dass sein schweres Herz ein wenig leichter machte; er winkte beiden Kindern zu, bevor er sich letztendlich abwandte und in das Schloss ging, in welchen Aoi und Ruki auf ihn warteten.
 

Hier drinnen stand noch der Rauch der Explosionen, die es schwer machten, richtig Luft zu bekommen. Unter den Geruch von Schwefel mischte sich verbranntes Fleisch und versengtes Haar. Uruha musste sich einen Moment an der Wand stützen, um es zu verkraften zu lernen. Erst dann konnte er dem Weg folgen, der in den Hauptsaal führte.

Auch hier waren die Wunden der Verwüstung nur zu deutlich. Einst mächtige Figuren lagen zertrümmert auf ihrer Seite oder es gab nur noch Sockel, die auf ihre vergangene Existenz hinwiesen.

Die mächtigen Türen des Thronsaals waren auf gesprengt – Reste von Aois Magie hafteten noch daran, also war dieser so hier hinein gelangt. Uruha berührte sie leicht, bevor er in den großen Raum trat. Es herrschte nur dämmriges Licht und zwei Wachen entzündeten gerade Fackeln, um die Sichtverhältnisse zu bessern. Uruha wusste, es war nötig, dennoch wünschte sich ein Teil von ihm, dass sie es einfach unterlassen würden. Die Risse in den Wänden zeigten deutlich die Ausmaße der Gewalt, unter welcher die Räumlichkeit gelitten hatte. Die Fenster und die Tür am hinteren Ende waren magisch verriegelt, doch an mehreren Stellen war selbst dieses Siegel gebrochen. Aoi stand mit Ruki bei dem Größten der drei zersplitterten Throne, wo er gerade vor einer Falltür in die Knie ging. Ruki sprach mit dem Dämon, aber auf diese Entfernung konnte Uruha nicht hören, worum es ging – allerdings sah er nur zu deutlich die Anspannung in Aoi, die Art, wie er sich bewegte und mühsam, fast schon gepresst Luft holte.

Er war wie ein Vulkan, der kurz vor der Explosion stand.

Uruha nahm einen tiefen Atemzug, dann eilte er zu dem beiden hinüber. Ruki sah ihn als einziger an, die Züge streng und verbissen; nicht einmal die Augen lächelten und das obwohl sonst immer einen Funken Wärme und Liebe für Uruha in ihnen wohnte. Der Langhaarige presste die Lippen fest aufeinander, strich Ruki seicht über den Unterarm, bevor er sich neben Aoi kniete und vorbeugte, damit er versuchen konnte, in dessen versteinerten Zügen zu lesen.

„Aoi.“

Es war ein sanftes Rufen, ein Flüstern, ein Flehen sich zu öffnen. Es war Beistand, Frage und Bitte zugleich. Aoi schmetterte alles ab, indem er sich erhob und an einen Punkt irgendwo auf der anderen Seite des Saals hinüber starrte.

„Wie ist der Zustand der Stadt?“

Uruha warf einen schnellen, besorgten Blick zu dem Dunkelelfen hinüber, dann gab er Aoi den verlangten Bericht. Die Schäden waren immens, die Verluste von Waffen und Technik hoch, wenn auch ersetzbar und die Opfer der Kämpfe dank Tsukasas Voraussicht geringer, als befürchtet. Dadurch, das der Fürst die Händler und viele der Schätze Gebiks gleich bei der Ankunft Kais hatte fortschaffen lassen, hatte es nicht viel gegeben, was geplündert hätte werden können. Auch viele der Familien waren in das Fürstentum Obe geflüchtet, nur die Frauen und Kinder der Drachenreiter und derer, die hatten für Aoi, für Kai kämpfen wollen, waren zurück geblieben. Darüber hinaus waren Aoi und Ruki zügig und zentral im Gefecht eingetroffen und hatten den Ausgang der Schlacht mit roher Gewalt und immensen, magischen Potential an sich gerissen.

Uruha hatte auf den Straßen gehört, wie Aoi inmitten eines grell leuchtenden Feuers aufgetaucht, wie ihr Herr über die Leichen des Eisvolks gestiegen war, denen er die Kehle und Gedärme mit bloßen Händen heraus gerissen hatte. Bewunderndes Wispern erzählte, wie Aoi Zauber mit dem bloßen Heben der Hand in der Luft gestoppt, wie er die Kraft absorbiert hatte. Eis war unter seinen Fingern zu harmlosen Rinnsalen zerflossen, Gestein hatte sich neu geformt und sich zu seinem Schutz in die Höhe geschraubt. Aois schwarze Runen – so flüsterten selbst die Drachenreiter – waren wie Öl über die blasse Haut gewandert, zischend und fauchend, dem Wort ihres Herrn zu folgen und nichts als Vernichtung in ihrem Pfad zurück zu lassen. Stolz und Ehrfurcht wog schwer in den Herzen der Männer und Frauen, die ihrem Herrn die Finger küssten, wann immer er sich ihnen nährte.

Sie dankten dem Dämon aus den Tiefen ihrer Seele, ahnungslos, dass Aoi das, was sie als große Tat ansahen, als zu gering empfand.

Nicht, dass er dies jemals sagen würde – Uruha wusste dennoch, dass es der Wahrheit entsprach.

Nachdem Ruki und er berichtet hatten, was sie konnten, befahl Aoi die Toten im Atrium aufzubahren und nach Kyō und somit Shinya, dem letzten, menschlichen Drachen, zu schicken – das stolze Wesen der großen Reptilienhaften und er würden den Gefallenen die Ehre des letzten Weges erweisen.
 

Der Langhaarige eilte dem davon schreitendem Dämon nach und folgte diesem in Tsukasas Räume.

Es war Tradition und Protokoll, dass Aoi die Räume des Fürsten nutze, um sich auf die Totenwache vorzubereiten. Selbst wenn Tsukasa noch bei ihnen gewesen wäre, würde Aoi dessen Roben und Schmuck tragen. Es gab etliche Diener, die genau zu diesem Zweck ausgebildet und vorbereitet worden waren, allerdings schickte Uruha sie alle mit einem schmalen Lächeln und einer Handbewegung davon.

Aoi würde niemand an seiner Seite dulden – vielleicht nicht einmal den General selbst, doch Uruha war bereit, dieses Risiko einzugehen. Er schloss die Türen des großen Bades, entzündete einige Kerzen. Die Sonne stand nur noch als winziger Streif am Horizont – darüber gingen die vier Monde in all ihrer fantastischen, majestätischen Größe auf.

Kistara sang unter ihnen, jeder Stein, jedes Gras leuchtete von innen heraus und machte die beginnende Nacht wesentlich heller, als sie das eigentlich sein dürfte. Uruhas eigene Magie wand sich wie eine unruhige Bestie, hin und her gerissen zwischen Euphorie und Ausbruch. Es war unglaublich schwer zu beschreiben, wie ein Fieber; es konsumierte jede Faser und ließ nichts unberührt. Uruha kannte Wesen, die sich in solchen Nächten einschlossen oder gar fesselten und er kannte viele, andere, die tanzten und zelebrierten. Auch in Lutar und Gebik würde es normalerweise riesige Festlichkeiten geben.

Doch nicht heute.

Uruha entledigte sich seiner Stiefel, trat leise zu Aoi, welcher in die Mitte des Bades gegangen war und sich dann nicht mehr bewegt hatte. Er löste behutsam die Schnallen der Rüstung; der Dämon hinderte ihn nicht augenblicklich, was ein gutes Zeichen war. Das Meerwesen arbeitete behutsam, doch effizient. In wenigen Minuten hatte er Arme und Oberkörper von Leder und darunter liegenden Stoff befreit, welches er in eine bereit gestellte Truhe legte. Nun trat er um Aoi herum und sah diesem einfach nur ins Gesicht. Zwar gab es einige tiefe Kratzer und eine Wunde in der Seite, die er noch behandeln würde müssen, nun aber ging es ihm um etwas anderes. Und darauf würde er warten müssen. Es dauerte, doch letztendlich fanden Aois schwarze Augen die seinen und in diesen sah der Langhaarige genau das, was er erwartet hatte.

Er schob die Finger in den Nacken seines Herrn, wob sie zwischen die Spitzen des dunklen Haares und zog ihn mit einem zärtlichen, singendem Geräusch an sich.

Es war keine wirkliche Umarmung und Aoi duldete es nicht lange, allerdings in den paar Momenten, in denen er den Kopf an der Schulter seines langjährigen Freundes vergrub, fing sich dessen Atem, begleitet von einem halb ersticken, unterdrückten Schluchzen.

Es war das deutlichste an Emotion, dass der Schwarzhaarige seit langer Zeit hatte hervor brechen lassen und es sagte Uruha mehr als alles andere:

Ich habe Angst, zu versagen.

Ich will nicht zu spät sein, aber ich glaube, dass ich das schon bin.

Ich habe zwar diese Schlacht gewonnen, aber ich befürchte, mein Land gegen einen Feind zu verlieren, den ich nicht besiegen kann. Ein Feind, der meinen Gefährten in seiner Gewalt hält.

Ein Feind, der weiß, dass ich kommen werde und ihm gebe, was er will, weil er meine Schwäche gegen mich verwendet.

Ich weiß, Kyō hatte Recht, aber ich habe mich gegen diese Wahrheit geweigert und tue es noch.

Ich werde der Untergang Kistaras sein.

Er presste seinen Kopf gegen Aois, küsste die Schläfe, bot stumm Trost und Beistand, dann ließ er den Dämon los und brach den Augenblick, welcher schwand, als wäre er nie da gewesen.

Uruha akzeptierte dies, auch wenn es so vieles gab, dass er gerne gesagt hätte. Manchmal war das laut gesprochene Versprechen, an der Seite seines Herrn zu stehen, machtvoller, als das Wissen um die Loyalität seiner Untergebenen.

Er nahm einen Lappen aus einer flachen Schale, tränkte diesen in warmen Wasser, welches er über den Schultern und Oberkörper des Älteren ausdrückte und so Blut, Dreck und Schweiß davon spülte. Auf dem Boden, unter ihren Füßen, bildete sich ein kleiner, bläulich verfärbter Rinnsal, der in die Mitte des Bades lief und dort im Abfluss versickerte.

Aoi beugte sich unter der Führung des Meerwesens nach vorn, sodass dieses sein Haupt und Haar waschen konnte, dann öffnete es die Hosen seines Herrn, legte diese fort und wusch auch den Rest des schlanken Leibes.

Uruha führte Aoi näher an die Fenster, trocknete ihn dort und legte ihm die neue, strahlend weiße Kleidung an, die von den anderen Dienern hier her gelegt worden war.

Er schloss das weite, robenartigen Gewand, legte Aoi die breite, rote Schärpe um, glättete umsichtig jede Falte und als er sich drehte, um den Stirnschmuck aus seiner reich verzierten Schatulle zu nehmen, sprach Aoi unvermittelt und ließ Uruhas Herz unangenehm schwer in seiner Brust springen.

„Uruha? War es richtig? Vorzugeben, ich sei menschlich?“

Das Meerwesen lächelte liebevoll, als er Aoi den Schmuck aufsetzte und fest in dessen unergründliche Iriden schaute.

„Es ist nie falsch, seinen Gefühlen nachzujagen, mein Herr. Ihr solltet nun nicht beginnen, zu zweifeln. Zweifel sind ein schlechter Weggefährte.“

Der Hauch eines Lächeln legte sich auf Aois Lippen, etwas, dass Uruha mit einem weiten Eigenen erwiderte. Die Hand des Dämons hob sich, um sich auf seine Schulter zu legen und diese sanft zu drücken, bevor der Herrscher Kistaras barfüßig an ihm vorbei schritt und den Raum verließ.

Uruha sah diesem nach, dann verließ auch er das große Bad und wechselte stattdessen in ein Kleineres; es würde seinen Ansprüchen sich zu waschen und auf die Zeremonie vorzubereiten genügen, zumal er ob seines Ranges ohnehin nicht im Waschraum des Herrschers hätte verbleiben dürfen. Er stand in der Hierarchie unter Aoi. Mit einem Seufzen streifte er seine eigene Rüstung und Kleidung ab, verwahrte sie für einen späteren Zeitpunkt in einer Truhe, ähnlich der, in welche er auch Aois Sachen platziert hatte. Er griff nach einer Bürste, wollte zunächst die Knoten aus seinem langen Haar kämen, aber er kam nicht dazu.

Kaum das er die Locken über seine Schulter nach vorn gezogen hatte, wurde seine Hand mit der Bürste ergriffen und fest gehalten.

Ruki.

Es zauberte ein zärtliches Lächeln auf Uruhas Lippen. Niemand sonst würde sich ihm so unbemerkt nähern oder sich erlauben, ihn nackt zu betrachten.

„Lass mich das machen.“

Ruhige Worte, auf welche Uruha nur nickte, Ruki sein Haar überließ und schlicht diesen Moment der Nähe genoss. Sie waren hier zwar allein, doch nicht ungestört genug, um sich ihrer aufgestauten, kochenden Passion hinzugeben. Das wussten sie beide und deswegen begnügten sich sich mit minimalen Streicheln, derweil Ruki sein Haar flocht und er dessen Robe öffnete. Unter anderen Umständen hätte sie nichts und niemand voneinander halten können – sie mussten sich beide auf körperlicher Ebene einander versichern, so ihre Liebe und Bindung stärken. Sie verarbeiteten so ihre Ängste und Zweifel, ihre Wut und all das, was kein Platz in Worten fand. Nun war es einfach nicht möglich; sie würden es sich aufheben und dann würde es umso intensiver werden. Trotzdem nahmen sie sich fest in den Arm, atmeten tief ein, um sich wenige Sekunden in den Geruch des jeweils anderen fallen zu lassen, dann blickten sie sich an, nickten und verließen das Bad, um ins Atrium hinab zu steigen und dort während der Zeremonie an Aois Seite zu stehen.
 

Dort angekommen trafen sie auf Reita und gingen gemeinsam die aufgebaute Treppe am nördlichen Ende des Platzes hinauf, die zu einem Podest führte, auf dem ein großer Thron und drei weitere Kleinere standen. Sie ließen sich auf ihre Plätze sinken, wo sich Uruha einen Moment nahm, sich nahe zu dem Geisterwesen zu lehnen und nach dessen Hand zu greifen. Reita und Tsukasa waren eng befreundet; Uruha wollte nicht, dass sich der Blonde so fühlte, als hätten das alle um ihn herum vergessen. Er erhielt ein schmales, dankbares Lächeln in Reaktion, dann wandte sich der Blick der Hand auf den Platz vor ihnen.

Am östlichen Ende öffneten sich in diesem Moment die Türen, vor welchen Aoi verweilte. Durch diese traten Kyō, Kaoru und überraschender Weise auch Die, aber kein Shinya, wie sie erwartet hatten.

An seiner Seite zog Ruki die Stirn zusammen, doch seine Fragen würde bis nach der Wache warten müssen. Aoi hingegen trat auf den Hoheelfen zu, senkte kurz den Kopf. Die Roben des Blonden waren im Gegensatz zu denen des Herrschers und aller anderen Beteiligten von einem dunklen Rot. Er stach damit deutlich hervor; es unterstrich seine Rolle als Priester, die die Toten geleitete – abermals etwas das nicht den normalen Ritus entsprach. Shinya sollte diese Kleidung tragen und die des Hoheelfen der Seinen ähneln. Das der Drachen nicht bei ihnen war, beunruhigte einen jeden von ihnen. Leises, unsicheres Murmeln erhob sich zwischen den Trauernden und Kämpfern, die an den Seitenlinien der Bahren standen; es wurde unterbunden, indem Aoi eine Hand zur Faust geballt in die Höhe hielt.

„Kyō.“, seine Stimme war klar ruhig und machtvoll, „Was hat das zu bedeuten. Wo ist Shinya?“

Der Elf sah Aoi ruhig an, aber der Griff um den weißen Stab festigte sich sichtlich.

„Er ist unpässlich und hat mich an seiner Stelle geschickt.“

»Wir können ihn nicht finden. Er reagiert nicht auf meinen Ruf.«

Die Gedanken des Hoheelfen waren beunruhigt, der Kiefer Kyōs arbeitete immer wieder, währenddessen sich jeder Muskel in Aoi nacheinander anzuspannen begann. Es brachte ein heftiges Stechen in seinen Kopf, trotzdem nickte er nur, seine nächsten Worte kräftig und an sein versammeltes Volk gerichtet.

„Sehr wohl. Wir beugen uns den Wünschen des Drachen. Der Hoheelf Kyō ist mehr als fähig, die Toten zu geleiten.“

Dem Elfen mitzuteilen, ihm zu berichten, was geschehen war, war unnötig. Sie wussten beide, dass darüber gesprochen werden würde. Nicht nur, was Shinya betraf, sondern auch, warum der Traumtänzer hier war.

Nun aber wandten sie sich den Toten zu.

Aoi nahm eine Fackel und entzündete sie mit einem Blick; ihr magisches Licht in einem leuchtenden Violett – das Feuer der Seelen. Derer, die in der Schlacht um Gebik gefallen waren. Jene, die ihren Land und vor allem ihren Herrscher so treu ergeben gewesen waren, das sie ihm das ultimative Opfer dar gebracht hatten.

Jeder der Gefallenen wog schwer auf Aois Schultern und würde ihn für den Rest seines Lebens begleiten. Manchmal würde er aus ihnen Kraft ziehen und manches Mal würden sie ihn unter Gram ersticken, bis er stark genug war, sich über sie und ihr stetiges Wispern hinweg zu setzen.

Das Feuer der Fackel sprang auf das Holz über, welches leise zischte und knisterte, derweil es verzehrt wurde und dem Flammen erlaubte, höher und höher zu klettern, den in weiß eingewickelten Leichnam zu erklimmen, zu umarmen. Das Licht wurde heller, begann leise zu singen, ein trauriges Lied in welches erst Uruha, Ruki und Reita einstimmten, dann folgten immer mehr Stimmen, bis es am Ende ein ganzer Chor war unter dem mehr und mehr Feuer zum Leben erwachten.

Es war das Lied des Geleits, über welchen sich Kyōs Stimme in einem anderen, tieferen Ton erhob, seine Worte mehr Sprache, denn Gesang. Der Hoheelf trat zu jedem der Toten, die Aoi zuvor in Brand gesteckt hatte, strich mit den Händen über und in die Flammen, formte sie zu einer Drachenschwinge, die die Seele umgarnen und in das Reich der Anderen bringen würde.

Gebadet im Licht der vier Monde erstrahlte das Atrium des Schlosses Draigh wie ein Amethyst; es war ein unwirklicher und zugleich bezaubernder Anblick, der den zurück gebliebenen Wesen einen Moment des Friedens gewährte.

Umso größer der Horror, als unvermittelt ein kreischender, grellgrüner Feuerball durch das lilane Licht schnitt und in den Stufen des Podestes einschlug, die Aoi und Kyō in diesen Moment hinauf gestiegen waren.

Ruki, Reita, Uruha und Kaoru reagierten instinktiv – sie alle bewegten sich wie ein einzelnes Lebewesen, griffen nach den beiden Fürsten vor ihnen und begruben sie unter ihren eigenen Leibern, um sie, wenn nötig, mit dem eigenen Leben zu schützen. Vom Platz selbst kamen panische Rufe, darüber die donnernden Stimmen der Drachenreiter, die versuchten, die aufgebrachte Meute wieder in eine Ordnung zu bringen. Es dauerte einige Herzschläge, die so laut in Uruhas Ohren hämmerten, dass er darüber nichts anderes mehr verstehen konnte.

Er löste sich von Aoi, welchen er unsanft umgerissen hatte, um sich über ihn zu werfen, glitt hektisch mit den Händen über dessen Gesicht, Hals und Oberkörper, kontrollierend, ob den Dämon Schaden gefunden hatte. Es war Ruki, der seine Gelenke packte und ihn so zwang aufzuhören und es war auch der Dunkelf, der heiser in sein Ohr wisperte, dass Aoi in Ordnung war. Niemanden war etwas geschehen.

Und trotzdem starrten ein jeder von ihnen in den Himmel, wo sich das Gesicht des Geistes mit erschreckender Detailgenauigkeit abzeichnete.

Das kleine, amüsierte Lächeln auf den Lippen starrte Zero erhaben auf sie herab und als er die Lippen öffnete, um zu sprechen, hallte es nicht nur von den Ruinen des Schlosses sondern auch in den Köpfen jedes Anwesenden wieder.

„In drei Stunden im Dunkelwald. Ich erwarte euch allein, mein Herr.“
 

~~~~~
 

Schmerz.

Das war das Erste, das in Kais diffusen Geist als real registrierte. Es war keine konstante Pein, die er fühlte. Sie war mehr wie das Meer; rollte in langsamen Wellen durch seinen Körper und brach sich am Ende in der Nähe seiner Hand- und Fußgelenke. Er konnte sie nicht bewegen, aber das galt für all seine Gliedmaßen. Entweder lag das daran, dass er seine Gedanken nicht genug darauf konzentrieren konnte, oder aber er war gefesselt. Es gab nur eine Möglichkeit das heraus zu finden, doch das Öffnen seiner Augen gestaltete sich schwieriger als angenommen und gelang dem Braunhaarigen erst nach einigen Versuchen. Sein Umfeld war vage, die Farben wabbelten wie Wackelpudding und erst nach einem nochmaligen Blinzeln definierten sie sich klarer und erlaubten Kai auszumachen, wo er sich überhaupt befand. Er lag auf einer Art steinigen Boden, der uneben und in seinen Farben schwer zu identifizieren war. Es wirkte auf den ersten Blick wie perlmutt, doch dann mischten sich mehrere Stufen von weiß und beige hinein; Kai bekam Kopfschmerzen, als er die genaue Bezeichnung auszuloten suchte, weswegen er aufgab und stattdessen den Kopf bewegte, um mehr von seiner Umgebung sehen zu können. Es war frustrierend wenig. Seine Zelle war nicht viel größer als seine Person, die Wände in der Länge nur wenige Zentimeter von Kopf und Füßen entfernt. In die Breite ging sie auch nicht viel weiter als er selbst; vielleicht konnte ein weiteres Wesen hier drinnen stehen, wenn sich dieses neben seinen Beinen befand und wenn eben besagte Person nicht größer als ein Mann durchschnittlicher Höhe war.

Kai bezweifelte, dass er genug Platz haben würde, um seine auf dem Rücken gefesselten Hände über seine Beine nach vorne zu ziehen, aber das hinderte ihn nicht daran, es zu versuchen. Nach etlichen Winden, Krümmen, Keuchen und üblen Flüchen hatte er seine Hände soweit, dass sie unter seinem Hintern waren, nun musste er sich nur noch vor ziehen. Er rollte sich zusammen – fluchte noch einmal, was in einem halben Schrei endete – und war letztendlich etwas beweglicher als zuvor. Denn nun konnte er sich auf den Bauch rollen und hoch stemmen. Nun kniete er zumindest und so hob er seine Hände, betrachtete die Fesseln. Es waren Ringe aus einem ihm unbekannten Metall und sie wiesen neben unzähligen Zeichen weder einen Verschluss noch eine Naht auf. Sie waren absolut makellos und das wiederum bedeutete, dass sie magisch waren. Er seufzte und ließ seine Hände ernüchtert sinken.

Was auch sonst.

Es wäre ja zu viel verlangt, wenn einmal die minimale Chance bestanden hätte, dass er sich befreien könnte. Nein, das war ihm, Kai, garantiert nicht gegönnt. Mit Sicherheit saß das Schicksal auf seiner Wolke und lachte sich über ihn kaputt.

„Verdammt noch mal!“, schimpfte der Mensch leise, als er sich gegen die Wand seines erdrückenden Gefängnisses fallen ließ

Er wischte sich wütend über das Gesicht, starrte vor sich hin und ignorierte dabei erfolgreich das leise, bissige Summen – bis aus seinem Augenwinkel unvermittelt eine Hand auftauchte, die sich gegen die andere Seite der, bis eben noch undurchsichtigen, Wand presste. Eine blutige Hand.

Kai fuhr erschrocken zurück, prallte dabei gegen die andere Seite, welche in Resonanz leise zu schwingen begann, der gleiche hohe summende Ton, der Kai in den Ohren zu schmerzen begann. Allerdings realisierte er es nur im Hintergrund, sein Fokus lag ganz auf dem Mann zu dem die Hand gehörte.

„Ari!“

Hektisch rutschte Kai näher, legte seine Hände gegen die seines Freundes.

„Ari, kannst du mich hören?“

Der Grünäugige nickte nur und Kais Stirn legte sich in besorgte Falten – Blut klebte an Aris Schläfe und sein halbes Gesicht hinunter, aber es war alles getrocknet, was bedeutete, dass die Wunde nicht schlimm sein konnte. Trotzdem waren die grünen Tiefen benommen und die Pupillen unnatürlich weit geöffnet. Eine Gehirnerschütterung? Kai presste die Lippen zusammen. Das wäre übel. Sein Blick wanderte an dem Anderen hinab; die Arme waren ebenfalls voller Blut, wie auch die Kleidung seines Freundes. Es ließ Kais Herz vor Furcht krampfen.

„Ari! Ari, wo bist du überall verletzt?“

„Das... ist nicht mein Blut.“

Endlich eine Antwort, auch wenn die Stimme belegt klang; der Größere sprach langsam, es schien ihm viel abzuverlangen, die Worte überhaupt zu formen, nichtsdestotrotz begriff Kai und seine Augen weiteten sich in Horror.

„Tsukasa...“

Ari nickte nur.

„Wo ist er? Hast du ihn gesehen?“, drängte Kai mit aufkommender Panik, währenddessen er sich gegen die Wand presste, als würde allein seine Präsenz dafür sorgen, dass die Barriere zwischen ihnen fiel. Doch sie gab nicht nach, brummte nur, nun tiefer, und zwang den Braunhaarigen sich zurück zuziehen. Ari indes hob eine Hand Hand und deutete auf die gegenüberliegende Wand der Zelle. Kai verstand augenblicklich, rutschte zur anderen Seite um sie zu berühren. Sie war kühl und surrte ärgerlich, aber sie verlor an Dichte und gab einen Blick auf das dahinter Liegende frei.

Es ließ Kai entsetzt keuchen.
 

Anders als er und Ari stand der Vampir in seinem Gefängnis – nein, er wurde aufrecht gehalten.

Zwei Sperre im Oberkörper des Fürsten fixierten Tsukasa an der Wand, gaben ihm keine Möglichkeit sich zu bewegen. Darüber hinaus war der Man gebunden und anders als bei ihm führten von seinen Fesseln an Händen und Füßen schwere Ketten quer durch die Zelle, die in Boden und Decke verankert waren. Die Lippen des Vampirs waren leicht geteilt, aber Kai konnte beim besten Willen nicht erkennen, ob dieser noch atmete – musste er es als Vampir überhaupt? Kai konnte sich nicht erinnern, ob er es zuvor getan hatte. Auch die Augen waren geöffnet, was in Kai die Hoffnung keimen ließ, mit dem Fürsten zu kommunizieren.

„Tsukasa.“

Nichts.

Kai drückte die Panik zurück, legte die Hand gegen die Wand; er schauderte unter dem nun deutlich lauteren Surren. Gott, es klang wie ein Schwarm Hornissen! Trotzdem er gab nicht auf, auch wenn das Geräusch seine Ohren zum klingeln brachte und ihm so seinen Sinn für sein Gleichgewicht zu stehlen begann.

„Tsukasa!“

Dieses Mal blinzelte der Vampir langsam, wie als würde er gerade aufwachen, aber abgesehen davon, wies nichts darauf hin, dass der Fürst ihn wahrnahm. Es trieb Kai Tränen in die Augen. So kurz er den Vampir kannte, so sehr respektierte und schätze er ihn und ihn nun so zu sehen, machtlos etwas dagegen zu tun, ließ ihn verzweifelt schreien, wieder und wieder.

Es war zwecklos.

Tsukasa hörte ihn nicht, bewegte sich nicht, tat nichts, um das Blut aufzuhalten, das den Sperr entlang lief und vor ihm auf den Boden tropfte und dort eine immer größer werdende Lache bildete. Gott, wie viel Blut durfte er verlieren, bis es fatal werden würde? Brachte eine solche Verletzung einen Vampir überhaupt um? Kai wusste nicht genug, um es mit Sicherheit sagen zu können und das wiederum machte ihn noch panischer. Sie waren ausgeliefert, gefangen und es gab nicht die leiseste Chance auf Entkommen.

„Schön, dass du das einsiehst.“

Kai fuhr in die Höhe, vergessend, dass seine Füße gefesselt waren, weswegen er erst gegen die Seitliche, dann gegen die hinter ihm liegende Wand prallte, an welcher er sich keuchend abzustützen schaffte, derweil er zu Zero starrte, welcher in aller Seelenruhe durch die Wand seiner Zelle glitt, als wäre sie nichts als ein Stück Stoff, dass er beiseite streifen musste.Ein kleines, süffisantes Lächeln lag auf den Zügen des Geistes – Kai begann es zu hassen.

„Ich hoffe, du hast es bequem?“ Der Braunhaarige legte den Kopf abschätzend auf die Seite, musterte ihn. „Ich würde mich ja wegen der Fesseln entschuldigen, aber wie du mir bewiesen hast, bist du nicht sonderlich kooperativ. Daher diese etwas... drastischen Maßnahmen.“

Kai starrte den Geist einfach nur an. Wovon zum Teufel sprach dieser? Was für eine Kooperation? Er suchte fieberhaft nach Erinnerungen, aber in seinem Gedanken fand sich nur Schwärze. Er wich soweit zurück wie er konnte, derweil Zero näher kam, aber die Wand im Rücken blockierte diese Bewegung effektiv. Dennoch schlug er nach Zeros Fingern, als diese sich auf seine Wange legen wollten.

„Fass mich nicht an!“, zischte er, weit mutiger und aufgebrachter, als ihm tatsächlich zumute war. In Wahrheit war er verängstigt, sodass ihm kotzübel war und sein Herz flatterte in seiner Brust wie ein nervöser Kolibri; er hatte das Gefühl, es würde jeden Moment bersten.

Der Langhaarige lachte samten auf seine Worte, ignorierte sie und legte einen der krallenbewährten Finger unter sein Kinn. Die metallene Spitze bohrte sich in seine Haut und ließ Kai still verharren.

„Du solltest nett zu mir sein, Kai. Immerhin halte ich weit mehr als nur dich in meiner Gewalt, nicht wahr? Wir würden doch nicht wollen, dass jemand leidet, nur weil du nicht weißt, wie du mit mir zu sprechen hast?“

Zeros Tonfall und seine Stimme waren so krankhaft süß, dass Kai noch übler wurde; alles, wirklich alles an dem anderen Mann war hassenswert. Und auch wenn er diesem am Liebsten in seinen feinen Züge gespuckt hätte, um ihm zu zeigen, was genau er von ihm hielt, so blieb er doch still. Er erkannte eine Drohung, wenn er sie hörte. Er würde Ari und Tsukasa nicht riskieren. Nicht mehr, als es ohnehin schon passiert war. Zeros Lächeln weitete sich wissend und seine Kralle glitt über Kais Wange.

„Eine kluge Entscheidung. Und nun komm, ich möchte mit dir dinieren.“

Die Fesseln von Kais Füßen fielen, die an seinen Händen auch, weswegen er instinktiv über seine Gelenke rieb; er zischte ob der wunden Haut, die er berührte. Trotz allem hörte er nicht damit auf. Der Eingang zu seiner Zelle schmolz wie Wasser und erlaubte ihm aus dieser zu treten. Für einen winzigen Moment gab es einen Impuls, der ihm sagte, dass er rennen musste, doch er wischte ihn harsch beiseite. Er hätte keine Chance.
 

Er folgte dem Geist durch mehrere Gänge, die alle aus dem gleichen, unerkennbaren Material bestanden wie es Kai auch schon in seinem Gefängnis umgeben hatte, mit dem Unterschied, dass hier feine florale Ornamente aus den Wänden wuchsen – sie veränderten sich, sobald Kai länger darauf blickte und sie folgten Zero, als er an ihnen vorüber schritt. Wie als würden sie ihn erkennen und - mehr noch - verehren.

Es war ein unheimlicher Anblick. Feuer oder Fackeln gab es hier keine, aber von der Decke über ihnen hingen fluoreszierende Wurzeln herab, die ihrer Umgebung sanftes blau-weißes Licht spendeten. Allerdings trugen sie wenig zum Wohlsein Kais bei.

Wo waren sie hier nur?

War dies überhaupt noch ein Teil von Kistara?

Er hatte sich mit alten Karten und Routen beschäftigt, aber sein Wissen reichte bei weitem nicht aus. Ihr Weg stieg ein wenig an; die Wände wurden durchsichtiger und Kai konnte hier und da einen Blick nach draußen erhaschen. Die Umgebung zeichnete sich allerdings nur in Umrissen ab – es war Nacht und mehr als ein paar scharfkantigen Konturen vermochte Kai nicht zu erspähen. Sie gingen nach links, umrundeten eine weitere Ecke nach welcher sich der Gang unvermittelt in einen große, weite Halle öffnete.

Es erinnerte an eine Art Aussichtsplatform; rund in ihrem Design bildete der neue Raum am Rand dicht aneinander liegende, deckenhohe, fensterartige Gebilde, die eine wahnsinnig weite Aussicht am Tage bieten mussten. An der Decke hingen wieder die gleichen Wurzeln hinab, aber sie waren hier dicker, massiver. Sie lösten einen heftigen Schauer in Kai aus. Zusätzlich gab es aber auch Fackeln, deren warmer Schein gespenstisch mit dem anderen, kälteren Licht kontrastierte. Mobiliar fand sich nur wenig; um es spezifisch auszudrücken, gab es nur eine große Tafel mit den dazugehörigen Stühlen. Sie stand in Zentrum des Raumes auf einem Podest und zu dieser wurde er nun geführt.

Zero zog einen der Stühle zurück, bedeutete ihm sich zu setzen. Kai kam der Geste steif und angespannt nach.

Es war nur für sie beide eingedeckt worden. Tisch, Stuhl und Geschirr waren aus dem gleichen Material; ihr Ton-in-Ton-Aussehen erinnerte Kai an einen Ort ohne Leben. Er schauderte abermals.

Die Speisen hingegen sahen gut genug aus und erinnerten Kai brutal daran, dass er nicht mehr wusste, wann er das letzte Mal etwas gegessen oder getrunken hatte.

Wie lange war er schon in Gewalt des Geistes?

Wie lange war er bewusstlos gewesen?

„Iss. Du musst bei Kräften bleiben. Aoi würde mir nie verzeihen, wenn ich dich verkümmern lasse.“

Kai funkelte Zero an – wie konnte es dieser wagen, von Aoi zu sprechen, als wären sie alte Freunde! Zero lachte leise und zeigte Kai damit, dass er seinen Gedanken ganz klar erkannt hatte, denn er tat ihm reichlich auf, bevor er die Hände unter dem Kinn faltete.

„Wie wenig du doch weißt, Kai. Aoi und ich, wir teilen eine Vergangenheit die bereits mehrere Jahrhunderte andauert.“

„Das macht euch nicht zu Freunden.“, konterte Kai unverblümt. Aoi würde ausrasten, wenn er nur hörte, dass der Geist ihn als einen Freund bezeichnete. Zeros hochmütiges Lächeln war seine Antwort.

„Das liegt im Auge des Betrachters. Ich bin sicher, Aoi wird Freund genug sein, mir zu geben, was ich will.“

„Und dabei dachte ich, du hast es schon?“

Kai schob eine sarkastische Braue in die Höhe – abermals waren seine Worte und Gesten sehr viel mutiger, als er sich tatsächlich fühlte, aber er schien Zero zu amüsieren und somit kaufte er Ari und Tsukasa Zeit. Denn solange sich der Braunhaarige mit ihm beschäftigte, ließ er die anderen beiden in Ruhe. Zero summte leise, hob seinen reich verzierten Kelch, um an diesem zu nippen, bevor er Kai mit einen durchdringenden Blick fixierte.

„Noch nicht ganz, wie ich zugeben muss. Aber es ist nur noch eine Sache von Stunden.“

„Was hast du mit meiner Seele vor?“

Kai wusste es im Grunde – es waren genug Vermutungen angestellt worden, aber er wollte es von Zero direkt hören. Er wollte wissen, was ihn erwartete, damit er sehen konnte, ob er es nicht möglich war, es weiter hinaus zu zögern. Durch die Monde war Zero an Zeit gebunden. Ein halb gebackener Plan entstand in Kais Geist. Lenke Zero ab, gewinne Zeit. Hoffe, dass Aoi dich retten kommt. Befreie Ari und Tsukasa. Er hatte zwar noch keine Ahnung, wie er diese Ziele miteinander verbunden umsetzen sollte, doch dann würde er improvisieren. Irgendwie... halbwegs...

Zeros lautes, amüsiertes Lachen riss ihn nicht nur aus seinen Gedanken, es zog ihm regelrecht den Boden unter den Füßen weg. Der Geist hatte den Kopf in den Nacken gelegt, ganz so, als ob er gerade etwas furchtbar Witziges gehört hatte. Es irritierte Kai ohne Ende. Was, verdammt noch mal, war daran lustig?

Zero war so gnädig es ihm zu beantworten.

„Mit deiner Seele, kleine Puppe? Mit diesen kleinen Licht habe ich gar nichts vor. Du interessiert mich nur aus einen einzigen Grund.“ Eine kleine, bedeutungsschwangere Pause, die der Geist mit voller Absicht setzte, dann: „ Du bist der Köder.“

Es wirkte; Kais Herz fiel bis in seine Fußspitzen.

„Aoi.“, murmelte er tonlos, unfähig zu handeln, zu denken.

„Exakt.“, gurrte Zero entzückt, „Und wenn mich nicht alles täuscht, wird er gleich hier sein, um mit uns zu speisen.“

11

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Der Dunkelwald war kein Ort, an dem Aoi sich gerne aufhielt.

Es lag nicht an den bösen Geistern oder negativen Energien, die hier zwischen den niedrig gewachsenen Bäumen und Sträuchern hingen oder dem sumpfartigen Boden unter seinen Füßen. Der Dämon konnte nicht einmal genau bestimmen, was es nun war, dass ihn hier massiv störte. Es war einfach so.

Schon als Kind – als er mit seinen Lehrern hierher gereist war – hatte er diesen Teil von Kistara abgelehnt. Er gehörte zu seinem Land, wie die Schatten einer jeden Seele und von soher akzeptierte er es als Teil eines Ganzen, aber darüber hinaus gab es keine Emotion, die er mit dieser Landschaft verband.

Wie der Name bereits vermuten ließ, gab es hier nur wenig bis gar kein Licht. Es war nicht einmal ein richtiger Wald, denn zwischen mageren Baumgruppen mit krüppligen Ästen gab es immer wieder weite Flächen, die mit schimmeligen Flechten, vertrockneten Moos oder rottendem Laub bedeckt waren. Woher all die Blätter, die in ihrer Anzahl den Bäumen weit überlegen waren, kamen, war eines der Geheimnisse, die der Ort nicht preis gab.

Eine Hand des Dämonen ballte sich immer wieder leicht, wobei seine Fingernägel sachte gegen die Innenfläche dieser schabten; es war eine unterbewusste Bewegung. Es fiel Aoi nicht einmal auf, dass er sie seit seiner Ankunft konstant praktizierte. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet, der Rücken gerade, das Kinn erhoben, derweil er wartete und beobachtete, wie sich aus der gemütlich schmatzenden Teergrube kleine Kugeln matt grünlich schimmernden Lichtes lösten.

Zero würde ihm zeigen, wohin er musste, dessen war er sich sehr sicher.

Abermals schwebte eine der Kugeln empor und Aois Blick folgte ihr.

Es war ein unförmiges Ding, wirklich.

Sie war nicht einmal ganz rund, sondern wackelte und waberte, als wüsste sie nicht, wie sie ihre Form festigen und halten sollte. Sie stieß mit kichernden Gurgeln gegen andere ihrer Art, rangelte und platzte letztendlich, wobei sie auf den umliegenden Pflanzen der Grube hellgrüne Sprenkel hinterließ, die Löcher in das dunkle Blattwerk fraßen.

Aoi konnte hören, wie sich der Sekundenzeiger der Zeit bewegte.

Tick.

Tack.

Tick.

Tack.

Er tat einen tiefen Atemzug und die Welt mit ihm – dann verharrte sie gänzlich.

Ein paar Fuß weit von ihm entfernt tat sich ein Riss auf. Ein Schleier, der manipuliert worden war.

Aois Augen verengten sich.
 

Es war ihm bewusst gewesen, dass Zero ein effektives System entwickelt hatte, sich von Ort zu Ort zu bewegen, doch das er dazu tatsächlich die Schleier selbst benutzte und dennoch den Sinnen Rukis entfloh, war alarmierend. Aoi schwor sich, das Artefakt der Zeit eigenhändig zu Staub zu zerbröseln, sobald er es erst in den Händen hielt. Er trat einen Schritt näher an den geduldig wartenden Riss, tastete ihn aus Kontrollzwang mit seiner weißen Magie ab. Er konnte nichts daran feststellen, dass sein Leben unmittelbar bedrohen würde, doch das dem so sein würde, hatte er gewusst.

Zero hätte sich all den Aufwand sicher nicht gemacht hätte, wenn ihm seine Leiche ausreichen würde. Nein, Aoi ging es um Fessel- oder Bannzauber. Nicht, dass er sich wehren würde, solange Kai auf dem Spiel stand, aber der Dämon wollte vorher wissen, ob ihm die Hände gebunden waren oder nicht. Aber auch diese Art der Suche brachte keine Ergebnisse.

Was blieb Aoi also anderes zu tun, als die letzte Distanz zu überwinden und majestätisch in den Riss zu treten; dieser schloss sich hinter ihm mit einem kleinen, zufriedenem Seufzen, so als wäre es das höchste Glück, den Herrn Kistaras umschließen und fort bringen zu können.

Es war dunkel, solange er reiste.

Nicht ungewöhnlich, auch wenn Aoi schon Lichter und Farben während eines Transports wahrgenommen hatte, zum Teil auch Stimmen und Gefühle. Auch der Ort an dem er ankam war ohne nennenswerte Lichtquellen, doch die Monde spendeten ausreichend Helligkeit und sagten den Schwarzhaarigen, dass er noch immer in Kistara war. Er tat einige Schritte, um seine Umgebung besser sondieren zu können.

Er stand auf einem Felsvorsprung, dessen helles Gestein hin und wieder funkelte, als würden Diamanten darin existieren.

Das Kristallgebirge also. Ein Ort, der Aoi überraschte, wenn er es zugab. Er hätte nicht vermutet, dass Zero sich ausgerechnet hier aufhalten würde, in Ulka und so nahe an den Elfen. Vielleicht war dies hier aber auch nur der Übergabeort; die Kristalle warfen magische Energie gerne gebündelt zurück und waren deswegen dafür bekannt, Teil verschiedener, komplexer Zauber zu sein. Ja, das machte mehr Sinn, als ein Versteck.

Die stärker schimmernde, klar verzauberte Felswand zu seiner Rechten tat sich mit knirschenden Geräusch auf, nachdem er seine Hand dagegen gelegt hatte und als er eingetreten war, schloss sie sich auf die gleiche Art und Weise. Aoi verharrte einen Moment, um über seine Schulter zu blicken, dann folgte er den in das Gestein geschlagenen Stufen.

Hier unten erhellten Wurzeln die Umgebung; es war ein schwaches, kaltes Licht aber es reichte aus, Schatten auch wirklich Schatten zuzuordnen und Bewegungen als solche zu erkennen. Und bisher war Aoi allein auf einem Weg, der ihn erst tiefer brachte und dann in ein kurvenreiches Gewirr überging, welches hart an den Nerven des Dämonen zehrte. Für solche Spielchen war er nicht gemacht.

Ein Grollen rumpelte durch seine Brust, als er die nächste Kurve nahm und dahinter nur noch mehr Gang entdeckte.

Zeros Lachen antwortete ihm, gefolgt von leisen, geisterhaften Worten.

Ihr habt es fast geschafft, mein Herr. Gebt nur nicht auf.
 

Tatsächlich endete der Gang nach einer weiteren Kurve und öffnete sich in eine größere Höhle, an deren gegenüberliegende Seite abermals Stufen in die Höhe führten. Er schritt zu ihnen, stieg sie hinauf. Sie brachten ihn nur wenige Meter, dann stand er wieder im Freien. Es war kühl hier. Gletscher zu beiden Seiten strahlten eine Kälte ab, die Aoi Gänsehaut bescherte. Seine Kiefermuskeln arbeiteten konstant, derweil er weiter lief, dem Pfad folgte, der ihm von schwebenden, magischen Kugeln aufgezeigt wurde.

Die Luft wurde dünner, Aoi konnte es mit jedem Atemzug fühlen und trotzdem marschierte er eisern weiter, obgleich er inzwischen bereits einige Stunden unterwegs war.

Über ihm begleiteten ihn die Monde, was die Wirkung auf ihn, der in ihrem Licht wandelte, verstärkte. Er konnte fühlen, wie seine Magie unruhig unter die Oberfläche schwamm, sich dort gegen die Barriere drückte, die seine mentale Kontrolle war. Seine Zeichnungen, die typisch waren, wenn er seine Mächte rief, geisterten wirr über seine blassen Arme und das was man von Schlüsselbein und Gesicht sah. Sie wollte sich lösen und frei toben. Sie war wie ein eingekerkertes Raubtier.

Und Aoi, dessen Seele in der gleichen Unruhe war, heizte seine Magie nur noch weiter an, bis sich schließlich kleine Blitzen zwischen den Fingern des Dämons bildeten. Ihr Knistern hallte an den Wänden wieder, die es auf einschüchternde Art und Weise verstärkten.

Aoi nahm es mit einen dunklen Lächeln wahr.

Gut so.

Einmal noch nahm der Weg eine Kurve, tauchte er in die Felsen ein, dann erreichte er eine Art große, runde, überdachte Plattform. Zwei Dinge registrierten Aoi augenblicklich.

Ob der tragenden Säulen am Rande gab es keine Möglichkeit zu kämpfen, ohne dabei einen Einsturz zu riskieren – weswegen der Stratege in ihm Zero zähneknirschend applaudierte – und an dem einzigen Mobiliar hier, dem Tisch, saß Kai.

Dessen Augen füllten sich mit Tränen, als sich ihre Blicke trafen, gleichzeitig wanderten die unterschiedlichsten Emotionen über das blasse Gesicht.

Es gab Liebe, es gab die Freude, ihn zu sehen, immense Erleichterung aber auch Wut und Verzweiflung, gemischt mit einem Flehen, dass derart heftig war, dass Aoi es auch ohne jegliche Worte, telepatisch oder normal, deuten konnte.

Flieh!, sagten ihm die dunklen Augen. Flieh und lass mich hier.

Niemals!, erwiderte die Seinen. Er war gekommen, seinen Gefährten mitzunehmen und zufrieden, dass dieser scheinbar unversehrt war. Er ganz sicher nicht ohne diesen gehen.

Ein weiterer, erkundender Blick zeigte Aoi, dass er weder Tsukasa noch einen der Begleiter des Fürsten sehen konnte, die der Braunhaarige mit Sicherheit bei sich gehabt hatte. Das er nicht anwesend war, bedeutete entweder, dass der Vampir tot oder aber an einen anderen Ort als diesen gefangen und somit unmöglich zu erreichen war. Aois Hand ballte sich. Er und Tsukasa mochten keine Freunde gewesen sein, doch er hatte den anderen Mann respektiert und seine Fähigkeiten geschätzt. Ein Verlust wie dieser wog schwer im Geist des Herrschers.

Doch nun gerade gab es keinen Raum für derartige Trauer.

Der Geist, Zero, stand hinter Kai, eine Hand auf dessen Schulter gelegt; wohl um diesen daran zu erinnern, keine unüberlegten Aktionen zu wagen.

„Guten Abend, mein Herr.“

Aoi knurrte nur leise, derweil ihm sein Unterbewusstsein hoffnungsvoll verschiedene Szenarien unterbreitete, auf welche Art und Weise er das Lächeln aus dem Gesicht seines Gegenüber wischen konnte. Sie klangen alle verlockend.

Ein leises Lachen flutete aus der Kehle des Langhaarigen und dessen Augen funkelten in Amüsement.

„Mir war nicht bewusst, dass Ihr verlernt habt, wie man eine Konversation führt, Aoi.“

Das Knurren wurde lauter, die kleinen Blitze zwischen den Fingern heftiger, dann:

„Ich bin hier. Lass ihn gehen.“

Zero legte den Kopf schräg und summte nachdenklich, einen Finger gegen seine Lippen gelegt, derweil er Kai umrundete und näher auf Aoi zu trat.

„Nein, ich denke nicht, dass ich das machen werde. Zumindest nicht, bevor Ihr mir gebt, was ich von Euch benötige.“

Aois Augen verengten sich einen Moment, dann machte auch er einen Schritt auf den anderen Mann zu, was die Anspannung in dem Raum nur ansteigen und Kai von seinem Sitz aufspringen ließ. Vermutlich befürchtete sein Geliebter, dass die Situation eskalierte. Doch noch würde der Herr Kistaras verhandeln.

„Komm mir entgegen und beweise, dass du ihn tatsächlich gehen lässt, dann gebe ich dir, was du verlangst.“

„Aoi...!“

Kais Ruf wurde von einer Handbewegung Zeros abrupt unterbrochen; seine Kiefer schlugen hörbar aufeinander, dann setzte sich der Braunhaarige unfreiwillig wieder hin und schien unsichtbar fest gekettet.

„Du bist nicht Teil dieses Gesprächs.“ Zeros Tonfall war nonchalant, doch seine wachsamen Augen verließen niemals Aoi, dann lächelte er diesen entwaffnend an. „So, wo waren wir stehen geblieben? Ah. Ihr möchtet einen Beweis.“

Kai, samt seinen Stuhl schoss durch den Raum, was diesen panisch keuchen und Aoi einen halben Satz nach vorne machen ließ, doch der Mensch stoppte an der gegenüberliegenden Wand, wo sich ein Eingang offenbarte.

„Er kann gehen, sobald Ihr Euren Teil der Abmachung eingehalten habt.“
 

Aoi nickte.

Die Lippen fest aufeinander gepresst, begann er kühl zu kalkulieren. Kai würde es hinaus schaffen, so nah wie dieser sich am Eingang befand und Ruki würde dessen Signatur aufspüren können, sobald er unter freien Himmel war, dafür hatten sie im Vorfeld gesorgt. Zero zu besiegen war momentan keine Option, aber vielleicht würde Aoi ihn schwächen können. Es war ziemlich sicher zu sagen, dass er das Artefakt der Zeit um den Hals trug und Aoi war fest entschlossen, ihm dieses abzunehmen.

Er musste nur nah genug an ihn heran kommen.

Zero indes schlug die Hände in freudiger Erwartung vor den Lippen zusammen.

„Ich sehe, Ihr seit kooperativer als Euer Gefährte, mein Herr. Bitte, kommt hier her.“

Zero deutete zum Tisch und Aoi folgte langsam, studierte das Geschirr und die Speisen auf diesem.

„Setzt Euch. Es wird später besser für Euch sein.“

Zero zog lächelnd einen der Stühle ein wenig zurück und glitt in den daneben Stehenden; Aoi folgte zähneknirschend, derweil er beobachtete, wie der Geist ein kleines, gläsernes Gefäß in die Hand nahm.

Der Dämon kannte es.

Es war ein Jikan, ein Objekt, mit welchen man Magie einfangen und für eine kurze Zeit speichern konnte. Je nach Art der Konzentration der Magie, die man zu transportieren suchte, musste das Jikan speziell geschliffen und verstärkt sein. Zeros Jikan war extrem präzise und stabil gearbeitet. Es gab keine Lücken, keine Risse oder Lufteinschlüsse. Es war dazu gemacht, immenses magisches Potential zu halten.

Aois Magie.

Darum war es Zero die ganze Zeit gegangen.

Nun wo es in Aois Geist 'klick' machte, ergab alles einen Sinn und der Dämon würde sich am liebsten eine Hand vor die Augen schlagen. Er – sie alle - waren dumm gewesen, es nicht zu sehen. Es war nicht die Seele, die Zero für ein Ritual brauchte. Und auch kein Körper. Es ging dem Geist allein um Kraft. Kraft, die nur wenige Wesen auf Kistara besaßen. Deswegen hatte der Geist auf die Monde gewartet. Hinas Zauber würde seiner verstärkten Magie niemals stand halten. Karyu würde befreit werden und die Welt würde in der Dunkelheit von dessen Schwingen untergehen.

Unter diesem Aspekt geriet das Erlangen des Artefakts der Zeit in Vergessenheit und ein neuer Gedanke keimte.

Aoi musste es jetzt beenden.

Es gab nur noch eine Möglichkeit, einen Pfad, den er beschreiten konnte.

Der Herr Kistaras musste sterben.

Er musste sich selbst töten und Zero die Möglichkeit versagen, seine Kraft zu bekommen. Dann gab es nur noch ein Wesen mit totaler Magie. Und dieses würde unanfechtbar sein. Kyô besaß keine Schwäche, wie Kai, der Aoi zu Fall brachte. Und Kai war wertlos für Zero, er würde sich nicht weiter mit ihm abgeben, eher im Gegenteil, er würde ihn leben lassen, damit er litt.

Sein Blick glitt zu Kai hinüber, dem stumm Tränen über die Wangen liefen. Sah er, was Aoi vorhatte? Konnte er es fühlen?

Kai.

Uruha. Ruki und Reita.

Er bereute es, sie zurück lassen zu müssen. Seine Generäle würden verstehen. Sie würden um ihn trauern, aber sie würden seine Beweggründe besser verkraften als Kai.

Sein Kai. Viel zu naiv für diese harte Welt und dennoch immerwährend darum bemüht, zu ihm aufzuholen, stärker zu werden.

Aoi – nicht der Dämon, nicht der Herr, sondern einfach Aoi, der Wesenzug, den Kai auf der Erde kennen gelernt hatte – würde ihn gerne noch ein letztes Mal in die Arme schließen.

Und wenn es nur dafür war, ihn um Verzeihung zu bitten.

Dafür, dass er ihn nun allein ließ.

Dafür, dass er ihn nicht mit der äußerlich gezeigten Intensität geliebt hatte, die Kai verdiente.

Dafür, dass Kai sich sicherlich zurück gesetzt und einsam gefühlt hatte, seitdem er in Kistara war.

So musste ein Blick genügen. Stumm, ohne den Trost spenden zu können, den der Braunhaarige verdient hatte.

Kai schluchzte unterdrückt, schüttelte immer wieder den Kopf.

Nein! Bitte, bitte nicht!

Aoi konnte es deutlich sehen, das Flehen, die aufwärts spiralende Hysterie und Verzweiflung. Zu gerne hätte er Kai noch einmal angelächelt. Seine Lippen so fest aufeinander gepresst, das feine weiße Linien um diese herum entstanden, drehte er mit atemberaubender Geschwindigkeit seine Hand, dazu bereit, sie in sein Innerstes zu stoßen und die Sache hier zum Wendepunkt zu bringen...
 

Zeros Hand schloss sich wie eine Schraubstock um sein Handgelenk.

„Ich denke, dass ist keine gute Idee, mein Herr.“, sagte er mit sanften, fast zärtlichen Tonfall, aber seine grünen Augen waren stahlhart.

Aoi kämpfte gegen den Geist, suchte sich zu entziehen, doch der schlanke Mann war überraschend stark. Aois Haut brach unter den Krallen, die dieser trug und stattdessen er Abstand zwischen sie bringen konnte, wurde er mit einer ruckartigen Bewegung des Geistes so nahe gezogen, dass sich ihr Atem mischte.

Sie sahen einander nur an; bis Aoi den Kopf mit einem schmerzhaften Fauchen in den Nacken warf. Zero hatte seine gefangene Hand um den Jikan geschlossen, hielt diese nun unerbittlich fest. Im Hintergrund konnte Aoi Kai schreien hören und als er seinen verschwommenen Blick in diese Richtung lenkte, sah er, das Kai, von seinem Fesseln befreit, vom Stuhl aufgesprungen war und auf ihn zugerannt kam.

Dummkopf!

Dies schrie Aois Seele, dies war gefangen in seiner Kehle, aber nicht ein Laut brach sich von den Lippen. Aoi war machtlos. Er konnte sich nicht regen, nicht denken, nicht fokussieren.

Ausgeliefert musste er zusehen, wie Kai an einem Schild abprallte, dass ihn einige Meter zurück schleuderte. Der Dämon verfolgte benommen, wie sich der Braunhaarige zurück auf die Beine kämpfte, wie Zero den Kopf über die Schulter drehte und etwas zu Kai sagte.

Aber die Bilder, Stimmen und Geräusche wurden immer langsamer, verloren an den Rändern an Farbe und Lautstärke. Wind entstand, zerrte an ihren Haaren, ihrer Kleidung. Stimmen begannen harsch zu wispern, laut, durcheinander, nicht zu verstehen. Zu ihrer rechten entstanden Risse in der Wand und einer der Säulen brach entzwei. Ein dunkles Rumpeln folgte und der gesamte Raum sackte ein Stück nach unten.

Die einzige Konstante in diesem Chaos war der Jikan. Aois Kopf kippte mit einem Stöhnen in den Nacken.

Die Falle hatte sich aus seinem erzwungenen Griff gelöst und schwebte nun direkt vor der Brust des Dämons, die sich unter mühsamen Atemzügen hob. Ihre facettenreich geschliffene Oberfläche glitzerte wie der edelste Diamant und mit jeder Sekunde, die sie Aois Kraft raubte, wurde das Funkeln intensiver, brillanter. Die schwarzen Runen des Dämons wanderten allesamt in Richtung Zentrum, sie wanden sich unruhig, schienen sich wehren, ohne eine Chance gegen den Zug des Jikans zu haben. Feine, goldene Fäden spannen sich in der Luft, verbanden Körper und Falle effektiver.

In Reaktion brach sich ein gepeinigtes Keuchen von den aufreißenden Lippen des Herrschers und seine Fingerspitzen zuckten seicht. Zu mehr war er nicht fähig.
 

„Aoi!“

Kais verzweifelter Schrei annektierte sein schwächer werdendes Bewusstsein. Als einzige Stimme lauter als der Chor und der kreischende Wind. Sie brachte ihm Fokus. Adrenalin kroch wie ein Feuersturm durch seinen Sehnen, als es Aoi ein Stück zurück in die Realität riss. Es gab ihn einige Sekunden, einen Gedanken zu fassen. Nicht, dass es schwer war, ihn zu finden. Wenn er sich schon nicht hatte töten können, dann musste er das Artefakt der Zeit zerstören.

Er würde Zero diesen Sieg nicht ohne Kampf überlassen.

Ein Knurren bildete sich in seinem Rachen, erst leise und kaum zu verstehen, doch dann wurde es lauter, wandelte sich in einen Schrei, der so düster und aggressiv war, dass jeder vor ihm zurück gewichen wäre. Er alarmierte auch Zero. Die Augen des Geistes verengten sich und dessen Hand hob sich schützend auf seine Brust und über das verborgene Artefakt. Aoi musste direkt darauf gestarrt haben und Zero so gezeigt haben, was sein Plan war. Es interessierte den Herrscher nicht, dass der Geist es realisierte, denn dieses Mal war Aoi der Schnellere.

Er umschloss die Kette eisern, zog harsch an ihr. Der Geist fauchte aufgebracht, packte abermals sein Handgelenk, zerstörte Haut und Muskeln mit seinen Krallen, was den Dämon unter brennenden Schmerz zischen ließ. Aber er lockerte sein Griff nicht. Zerrte weiter, bis er die Kette und den Anhänger unter der Rüstung hervor ziehen konnte.

Nun griff Zero auch mit der anderen Hand zu, doch Aoi war überlegen. Getrieben von dem einzigen Gedanken, das Artefakt zu zerstören, schüttete der Körper des Mannes unglaubliche Mengen an Hormon aus, die ihm die notwendige Kraft gaben und es ihm ermöglichten, den Kristall gegen den Jikan zu schlagen.

Beide magischen Objekte summten mit einem schrillen Ton, der die Trommelfelle Aois und Zeros zerfetzte.

Er sah, dass Zero schrie, die Züge voller Zorn – dann explodierte die Welt in Weiß. Der Dämon konnte spüren, dass er samt seinem Stuhl in die Luft gehoben und gewaltsam durch diese geschleudert wurde, bevor die Dunkelheit kam und ihm alle Reste seiner verbliebenen Sinne raubte.

Er bemerkte nicht mehr, dass er gegen die Wand schlug, oder das sich Splitter durch seinen Körper bohrten.

Aoi fühlte nicht, dass seine Knochen brachen, als er auf den Boden prallte und durch die schräge Lage der Plattform in Richtung Säulen und Abgrund rutschte.

Er konnte seinen Donner ohne Hall nicht mehr hören, der von seiner Magie ausging, bevor sie ihm entrissen wurde.

Der Herr über Kistara war zerbrochen.
 

Und am Baum der Prophezeiung glitt ein feines Klingeln durch die Luft.
 

~~~~~
 

„Eine Evakuierung?“

Ruki starrte Kyô an, als wäre dem Hoheelfen ein zweiter Kopf gewachsen. Gemeinsam mit Uruha, Reita, Kaoru und Die saßen sie im Besprechungszimmer des kleinen Rats von Schloss Draigh, einer der wenigen Räume, der relativ unversehrt geblieben waren.

Kyô summte in Bestätigung, derweil er seine Zigarette ausdrückte und sich dann in dem hohen Stuhl zurück lehnte.

„Es gab eine weitere Prophezeiung, die uns vermuten lässt, das Zeros Zorn sich zuerst nach Ulka richten wird. Kurz danach hatte Die einen Traum, der dies bestätigt hat. Deswegen ist er auch hier.“ Die Blick aller Anwesenden richteten sich auf den stillen Mann, der unter der plötzlichen Aufmerksamkeit in sich zusammen zu sinken schien. „Ich hielt es für das Klügste, Euch zeigen zu können, was er sah.“

Ruki nickte, die Arme vor der Brust verschränkt, als er an seiner Zigarette zog. Er begriff den Sinn der Worte, die Kyô gesprochen hatte. Dennoch, er verstand sie nicht. Wie sollte Zero Ulka angreifen können? Und zwar in einem Ausmaß, dass es den selbstsicheren Hoheelf zu so einer Reaktion zwang? Es war nicht möglich. Nicht einmal mit dem Artefakt der Zeit, denn sonst hätte es der Geist schon längst getan.

„Ist Karyu bei Zero?“

Uruhas sanfte Frage ließ Ruki den Blick auf diesen richten, aber dieser sah den blonden Mann an, der den Kopf schüttelte.

„Die Prophezeiung ist nicht klar genug, um es mit Sicherheit zu sagen. Und auch Die sah nichts, was darauf hinweist.“

„Aber es ist möglich?“

Kyô schwieg, die Kiefer fest aufeinander gepresst, dann:

„Ja, es ist möglich.“

Es war nicht der Herr Ulkas der gesprochen hatte, sondern seine rechte Hand, Kaoru. Der dunkelhaarige Elf faltete seine Hände akkurat auf dem Tisch vor ihm, dann fuhr er fort.

„Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass es ihm gelingt, ihn zu wecken. Vor allem nun, da Kai in seiner Gewalt ist und Aoi so leichtsinnig in seine Falle läuft.“

Ein wütendes Knurren brach sich von den Lippen des Dunkelelfen. Was glaubte dieser aufgeplusterte Scheißkerl eigentlich? Das Aoi das hier auf die leichte Schulter nahm? Das er nicht wusste, wie sehr sein Handeln und seine Entscheidungen Kistara affektieren würden? Begriff Kaoru, was es hieß zu lieben? Mit jeder Faser seines Seins mit einem anderen Wesen verbunden zu sein? Wäre es Uruha, der in Zeros Händen wäre...

Er würde alles, aber auch alles, tun um diesen zu befreien. Nichts und niemand würde ihn stoppen können und er würde auf seinem Weg einen Pfad der Zerstörung hinterlassen. Und nur weil Aoi sich für sein Herz entscheiden hatte, sprach dieser Arsch von Leichtsinnigkeit? Verdammt, ja, es war ein Risiko, aber das gab ihm kein Recht...!

„Ruki!“

Er ignorierte Uruha – wenn er ehrlich war, dann hatte er nicht einmal bemerkt, wann er sich bewegt hatte, aber zur Hölle, es tat gut diesen weißen Bastard an seinem feinen weißen Gewand in die Höhe zu reißen und direkt in sein stolzes Gesicht zu zischen.

„Das Leben eines geliebten Menschen steht auf dem Spiel! Sag mir, was würdest du machen, an Aois Stelle? Würdest du hier sitzen und Däumchen drehen, während er leidet und letztendlich abgeschlachtet wird?“

Kaorus dunkle Augen trafen die seinen kühl und mit einer Überlegenheit, die Ruki diesem am liebsten den Kiefer brechen lassen würde – doch dann folgte ein simples Wort.

Ein Wort mit dem Ruki nicht gerechnet hatte und welches ihm effektiv den Boden unter den Füßen stahl.

„Ja.“

„Was...“

Er schaffte es nicht einmal die Frage vollständig zu formulieren, starrte Kaoru nur an, welcher seine Hände griff und von seiner Robe löste. Ruki ließ es ohne Widerstand geschehen.

„Ich würde ihn sterben lassen, wenn es ein Volk rettet. Was ist das Leben von einem gegen das von Tausenden?“

„Du weißt nicht, was du da sagst.“, Rukis Stimme war nur ein Wispern, noch immer durchsetzt von Fassungslosigkeit. „Du hast noch nicht geliebt, sonst würdest du so etwas nicht sagen.“

Uruha, der sich ebenfalls erhoben hatte und Ruki nun eine Hand auf die Schulter legte, drückte diese, um seinen Geliebten zu zeigen, dass er für ihn da war. Kaoru hingegen richtete sein Gewand und schüttelte leicht den Kopf. Sein Blick traf kurz den Kyôs, dann sah er zurück zum Rothaarigen.

„Es tut nichts zur Sache, was ich getan habe oder empfinde. Es würde nichts an den Geschehnissen ändern, die Aoi mit seinem Handeln in Bewegung gesetzt hat. Karyu wird mit seiner Hilfe erwachen. Wir sollten uns darauf konzentrieren, wie wir die Schäden so minimal wie möglich halten.“

So sehr Ruki es hasste, er musste zugeben, dass Kaorus Worte klug waren.

„In Ordnung.“, murmelte er für sich, dann sah er die anderen an und wiederholte die Worte lauter, fester. „In Ordnung. Sinken wir in Dies Traum, dann fällen wir eine Entscheidung.“
 

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Als Ruki wieder zu sich kam, schnappte er nach Luft.

Seine Lungen und Muskeln brannten, als wäre er eine viel zu lange Zeit zu schnell gerannt. Hinzu kam dieses Gefühl von Panik, dass sich in jeder seiner Poren festsetzte und er musste sich regelrecht zwingen, nicht ständig über seine Schulter zu blicken, um nach einem Feind zu sehen, der gar nicht da war. Neben ihm hatte Uruha sich abgewandt, um sich diskret die Tränen aus den Augen zu wischen und Reitas Gesicht war ashfahl.

Dies Traum war derart intensiv und emotional gewesen, dass Ruki Schwierigkeiten hatte, diesen und die Realität zu trennen.

Es war nur eine Möglichkeit.

Er sagte es sich wie ein Mantra. Nur eine Möglichkeit. Kein Muss. Die Zukunft hatte viele Gesichter. Ja, die Hoheelfen und somit sie als Generäle und Aoi als Herrscher, vertrauten auf Träume und Prophezeiungen, da sie akkurater waren, als Runen und Kristalle, aber dennoch. Nichts stand in Stein gemeißelt. Die Zukunft wurde von dem Handeln eines jeden einzelnen beeinflusst.

Aber Ruki verstand nun, warum Kyô derart erpicht auf eine Evakuierung Ulkas war und als er sich über das Gesicht wischte und den Blick den Blonden suchte, konnte er in dessen Augen zum allerersten Mal eine verstörende Unruhe lesen. Es war nur einen Augenblick und der General hätte sich irren können, aber er wusste, dass es da gewesen war.

Es war genug, um Rukis Welt aus der Achse zu heben. Er mochte Kyô nicht, hasste ihn sogar zu gewissen Teilen. Aber er hatte ihn immer als eine Konstante in Kistara anerkannt. Als eines der ältesten und mächtigsten Wesen hatten sich alle hinter Kyô anzustellen. Und der Mann hatte nie etwas anderes als raue Stärke gezeigt. Wie eine Klippe im tosenden Ozean hatte er sich gegen alle Widrigkeiten behauptet. Ruki verweigerte, zu glauben, dass es dieses Mal anders sein würde.

„Wie weit seit ihr in eurem Plan, Ulka zu evakuieren? Was ist mit den Artefakten in den magische Gewölben? Wir sollten auch Kunde nach Java schicken, sie müssen ebenfalls vorbereitet sein.“

Kyô entzündete eine neue Zigarette, tat einen Zug von ihr, bevor er dem General antwortete.

„Sie sind bereit zu gehen, wenn wir das Signal dazu gehen. Wir haben unsere Häuser und Erinnerungen soweit es ging versiegelt. Die magischen Gewölbe sind leer. Zero wird aus ihnen keinen Nutzen ziehen können.“

Reita, welcher die Wachen an der Tür angewiesen hatte, einen Boten nach Java zu Hizumi zu schicken und Uruha, der Die ein Glas Wasser gebracht hatte, sahen bei den Worten zu Kyô, aber der Mann machte keine Anstalten sich zu erklären.

Erst als Ruki seine Brauen zusammen zog und spezifisch fragte, was der Hoheelf implizierte, sprach dieser weiter.

„Wir haben die Artefakte mittels eines alten und seltenen Rituals in die Begabtesten von uns gesenkt. Zero wird nicht an sie heran kommen, selbst wenn der Elf, der einen solchen Gegenstand trägt, sein Leben verliert.“

„Wie können sie dann zurück geholt werden?“, mischte sich Reita zum ersten Mal aktiv in das Gespräch ein, eine herausfordernde Braue in die Höhe gezogen.

„Das werde ich Euch nicht sagen.“, kam Kyôs Antwort, ruhig und in einem Tonfall der keinen Raum für Argumentationen hielt. Reita sah aus, als wolle er erst widersprechen, hielt aber nach einem warnenden Blick des Meerwesens den Mund. Mit dem Blonden aneinander zu prallen, war niemals eine kluge Idee. Trotzdem brummte Reita unzufrieden und der Langhaarige befürchtete, dass dieser doch noch eine Spitze in Richtung Hohhelfen werfen würde – aber wie sich heraus stellte, kam das Geisterwesen nicht dazu.
 

Unter einem dunklen Rumpeln, dass klang, als würde Kistara selbst einen klagenden Laut ausstoßen, begann die Erde um und unter Schloss Draigh zu beben.

Risse zogen sich über das ohnehin geschwächte Mauerwerk, Stücke brachen heraus und fielen unter höllischen Lärm zu Boden. Die wenigen, noch intakten Fenster barsten unter Erschütterungen, die stetig stärker wurden. Uruha stieß einen erschrockenen Laut aus, als sich ein Stück der Decke löste und ihn unter sich begraben hätte, wäre Reita nicht gewesen, der ihn grob zurück gerissen hätte. Kaoru hielt Die an sich, einen Arm über dessen Kopf, um ihn zu schützen, derweil Ruki fluchend auf die Beine kam und sich am zerbrochenen Tisch hielt. Kyô stand in der Mitte ihres Raumes, die Augen geschlossen, die Hände zu den Seiten ausgestreckt und in Richtung Boden gewandt – er hielt den Raum stabil, so viel war klar. Doch es strengte ihn ungewöhnlich stark an; Schweiß stand auf der zusammengezogenen Stirn, weswegen Ruki seinen schwarzen Teleportationsstab herbei rief und diesen in die Höhe riss.

Einen Atemzug später bogen sich die Wände des Raumes scheinbar nach innen, als die Wesen innerhalb des Zaubers gegriffen und fort transportiert wurden.

Keinen Moment zu früh, denn die Decke gab vollständig nach und begrub, was noch intakt gewesen war.

Sie landeten wenig graziös auf der Wiese außerhalb der Stadt – die Erde bebte noch immer, aber es ließ bereits nach.

Ruki fluchte, weil er mit dem Ellenbogen auf einen Stein schlug, Kaoru und Die fielen übereinander und sahen seltsam verdreht aus mit ihrem Gliedmaßen, die nicht am richtigen Platz zu sein schienen. Uruha und Reita kamen in seiner Nähe auf und Ruki kämpfte sich auf die Füße und stolperte zu ihnen. Sein Meerwesen schien unversehrt, weswegen der General lautlos seufzte und dem Langhaarigen eine Hand reichte, um ihm auf die Beine zu helfen, doch dieser reagierte darauf nicht.

Er starrte unsehend in die Ferne, die Augen in Furcht geweitet, die Lippen blutleer zusammen gepresst und die Hand so eng um Aois Anhänger geschlossen, dass die Knöchel weiß hervor stachen.

Ruki und auch Kyô und Reita, die hinter den beiden aufgeschlossen hatten, folgten den Blick. Und sie alle taten gleichermaßen einen Schritt zurück, als sie sahen, dass der Himmel am Horizont in schwarzen Flammen stand. Es sah aus wie Nebel, aber Ruki wusste es besser. Die Art und Form glich einem Feuer. Feuer, das nur Aoi herauf beschwören konnte. Und ebenso wie er wusste, dass es Aois Magie war, die er da sah, wusste er, dass es kein Kampf war, der sie losgelöst hatte. Sie waren nicht bewusst gesteuert worden, sondern sie hatte sich von allein vom Inneren des Dämonen gelöst.

Rukis presste die Kiefer zusammen. Das war nicht gut. Definitiv nicht gut.

Uruhas Lippen bebten leicht, als sich das Meerwesen hin und her wiegte, ein leiser Laut in dessen Kehle, dass wie ein Wimmern klang. Der Rothaarige ließ sich neben Uruha auf die Knie fallen, schob einen Arm um dessen Schultern.

„Uruha.“

Der Langhaarige tat keine Regung, die zeigte, dass er seinen Geliebten bei sich realisierte und Ruki zog die Brauen zusammen, als er bei näherem Betrachten von Uruhas Hand sah, dass diese leuchtete. Oder vielmehr der Anhänger in deren Inneren. Das hatte er noch nie gemacht, in all den Jahren nicht, die das Meerwesen die Kette nun schon trug.

„Uruha? Was ist das?“

Er schob seine Hand sanft über die seines Geliebten, arbeitete behutsam daran, die einzelnen Finger zu öffnen, damit er einen Blick auf das Schmuckstück werfen konnte. Uruha ließ es nur widerwillig zu. In der Tat ging von den großen Stein in der Mitte des Medallions – der unter normalen Umständen einen warmen, brauen Ton inne trug – ein Glühen aus, dass diesen orange-golden verfärbte. Es war nicht ganz so grell wie der Dunkelelf vermutet hätte und es pulsierte immer wieder. Ein stetiger, doch sehr langsamer Rhythmus.

»Uruha.« Er rief seinen Geliebten zärtlich auf mentaler Ebene, hoffte so, besser zu ihm durchdringen zu können und tatsächlich drehte der Langhaarige den Kopf in seine Richtung. »Uruha, sag mir, was das zu bedeuten hat?«
 

Die Lippen des schlanken Mannes öffneten sich, doch kein Laut perlte von ihnen. Uruha sah regelrecht hilflos aus, weswegen Ruki leicht die Brauen zusammen zog.

„Uruha?“

„Er kann dir deine Frage nicht beantworten.“, der Blick der beiden Generäle wanderte zu Kyô, welcher sich zu ihnen hockte. Der Tonfall des Blonden war ruhig – Ruki wagte sogar zu sagen, sanft – als die dunklen Augen die des Meerwesens hielten, „Er weiß nicht, was das ist. Zumindest nicht mit dem Kopf. Hier weiß er es sehr genau.“

Bei seinen letzten Worten legte sich Kyôs Hand auf Uruhas Herz und Ruki war alarmiert zu sehen, dass sich die Augen seines Geliebten mit Tränen füllten, als dieser nickte.

„Das was du fühlst Uruha,“, erklärte Kyô leise, „Ist Aoi. Du hast das Ritual der Genjai benutzt, oder? Du wolltest eine Möglichkeit haben, mit Aoi auch über große Strecken hinweg verbunden zu sein, um zu wissen, wann er in Gefahr ist. Du hast in den Schriften der deinen davon gelesen und es ausprobiert, ohne zu wissen, ob es überhaupt funktioniert hat. Ohne es verstanden zu haben. Habe ich nicht recht?“

Eine einsame Träne löste sich aus Uruhas Augenwinkel, rollte eine blasse Wange hinab, als dieser abermals nickte.

„Könntest du aufhören in Rätseln zu sprechen?“, knurrte Ruki ärgerlich. „Sag uns, was du weißt!“

Kyô seufzte schwer, reichte Uruha eine Hand, um diesen auf die Füße zu helfen, dann schob er das Meerwesen in Rukis Arme, der seinen Geliebten automatisch fest hielt und so fühlen konnte, dass er immer wieder von Beben erfasst wurde. Was auch immer Uruha über seine Verbindung zu Aoi spürte, es raubte ihm all seine Selbstkontrolle.

„Das Ritual der Genjai ist eine überlieferte Schrift der ersten Meerwesen, die Kistara besiedelten. Es beschreibt einen Zauber, zwei Wesen über ein Schmuckstück miteinander zu verbinden, vorausgesetzt, der Zaubernde hat intensive Gefühle für den Bezauberten. Nicht im Sinne von körperlicher Zärtlichkeit, mehr auf der emotionalem Ebene. Bindungen wurden oft von Müttern eingegangen, die ihre Kinder sicher wissen wollten, oder von Brüdern und Schwestern. Es wird daher auch das Familienritual genannt. Es zu praktizieren ist einfach. Es gibt genaue Schriften über die Symbole und Kreise. Alles, was darüber hinaus benötigt wird ist ein Gegenstand und etwas aus dem persönlichen Besitz des Bezauberten. Uruha – und viele vor ihm – nahm an, dass der Zauber in der Kette ihn alarmieren würde, wenn Aoi in Gefahr gerät. So übermitteln es einem auch die Schriften. Nicht wahr?“

Das Meerwesen nickte leicht.

„Aber es geschah nie etwas und du dachtest, das Ritual hätte versagt. Es geriet in Vergessenheit. Und genau hier liegt der Fehler in den Schriften, wurden sie nicht korrekt überliefert und korrigiert. Das Ritual warnt den Träger nicht vor jeder Gefahr, in die der Bezauberte gerät. Es aktiviert sich nur, wenn die Seele desjenigen, mit dem man verbunden ist, erlischt. Das ist sein Sinn. Es soll die Wesen zusammenführen, damit sie sich kurz vor dem Tod noch einmal sehen.“

Uruha schlug sich eine Hand vor den Mund, um das Schluchzen zu unterdrücken, dass sich lösen wollte, derweil Ruki einfach geradeaus starrte.

In der schweren Stille die sich um sie herum ausbreitete, löste sich Die zaghaft von Kaoru, um zu dem Meerwesen zu gehen, um es aus einem tiefgreifenden Mitgefühl heraus zu trösten. In den Augen des Traumtänzers standen Tränen; er konnte sich nicht ausmalen, wie sehr Uruha leiden musste. So etwas zu fühlen...

Sanft drückte er die kalten, bebenden Finger, blickte auf den Stein, der noch immer langsam pulsierte. Ein. Aus. Atemzüge, die mit jeder Sekunde schwächer wurden.

„Gibt es keine Möglichkeit ihn zu erreichen? Irgendein Weg?“

Seine Frage war leise, bar jeder Hoffnung, als er mit mitleidigen Blick von Uruha zu Kyô hinüber sah, der leicht den Kopf schüttelte.

„Selbst mit Rukis Teleportation wären wir nicht schnell genug.“

„Warum? Noch ist Aoi am Leben.“,mischte sich Reita ein, „Ruki ist mächtig genug, uns alle in ein paar Sekunden an den Ort zu bringen an dem Aoi ist. Wenn der Stein dazu da ist, Wesen zusammenführen, dann gibt er auch eine Richtung und ein Ziel an.“

Ruki nickte zustimmend, den Stab bereits in die Höhe gerissen, als er von Kyô gestoppt wurde.

„Das ist nicht das Problem.“, erwiderte dieser ruhig. „Wir haben niemanden, der Aoi heilen kann.“

„So ein Bullshit! Du kannst heilen, Kaoru kann es, sogar Uruha kann helfen! Wir sollten aufhören, hier blöd rum zu labbern und zu ihm gehen!“

Kyô presste die Lippen zusammen, doch das sah Reita nicht mehr, denn er wirbelte wieder zu Ruki herum. Sie hatten keine Zeit zu verlieren, verdammt! Doch dann sprach Kyô erneut und dessen Worte ließen Reita schockiert erstarren.

„Ich werde ihn nicht heilen.“

12

12
 

Nach seinem Treffen mit Aoi war Hizumi zu seinem Clan zurückgekehrt, um das Wort des Herrn Kistaras zu überbringen und seine Männer anzuweisen, die Fundstelle zu bewachen. Dann hatte er seine beschwingten Soldaten entsandt, Java vom Himmel aus auf Ungewöhnliches zu kontrollieren.

Nun – nachdem er gegessen und geschlafen hatte – war er zu ihnen gestoßen und patrouillierte mit Gabak und Kulareth die Pfade nah der Grenze zu Ulka. Im Reich der Hoheelfen schien Aufregung zu herrschen; mehrere Male sahen sie große leuchtende Strahlen von Magie, die wie Schwerter in den nächtlichen Himmel ragten. Die Intensität hinter den gewirkten Zauber war so stark, dass sich die feinen Haare auf Hizumis Armen aufstellen, so als wären sie elektrisiert. Der Fürst der Fenir runzelte die Stirn. Ob diese Ereignisse auch mit Zero zusammen hingen? Er und Aoi hatten nicht lange miteinander sprechen können und es war gut möglich, dass in der Zwischenzeit noch etwas geschehen war, über das man ihn noch nicht hatte informieren können. Oder es war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Bei den Hoheelfen wusste man nie.

„Hizumi.“

Er blickte zu Kulareth hinüber; der andere Dämon hatte nicht laut gesprochen, aber das war auch nicht nötig. Hizumi hatte ein exzellentes Gehör. Der Fürst folgte mit dem Blick der ausgestreckten Hand seines Begleiters; sie wies in Richtung Kristallgebirge und verursachte, dass sich die Falten auf der Stirn vertieften, als er die Worte Kulareths vernahm.

„Eine der Felsspalten, strahlt eisblaues Licht ab. Ich habe solch eine Art von Licht noch nie in Zusammenhang mit dem Gebirge oder den Elfen gesehen.“

Hizumi nickte, ging dann in Schräglage, um eine Kurve zu fliegen, die sie näher an die mächtigen Berge bringen würde.

„Wir sehen uns das an.“

„Hältst du das für klug?“, warf Gabak an seiner anderen Seite ein, immer darum bemüht, die Hoheitsrechte der Elfen und die politischen Grenzen zu wahren, „Elbaro könnte es missverstehen.“

Hizumi brummte leise und rollte die Augen. Die Elfen verstanden alles falsch, das man ihnen nicht schwarz auf weiß und in dreifacher Ausfertigung überreichte. Hizumi hatte keinen Nerv für derartige Debatten. Man würde sie nur wieder in eines dieser kleinen, hübschen Häuser setzen und sie zum warten zwingen. Aber es gab dennoch eine Möglichkeit, mit der sie am Ende alle zufrieden sein würden.

Ein schiefes Grinsen zupfte kurz an seinen Lippen.

Nun ja. Fast alle.
 

„Gabak. Flieg nach Elbaro und unterrichte sie von unserem Fund und Vorhaben. Vielleicht können sie zu uns stoßen. Kulareth und ich werden inzwischen schauen, was das Licht da unten verursacht.“

„Ja, mein Fürst.“, seufzte Gabak schwer, dann drehte er ab, um in Richtung des Fürstentums zu fliegen. An seiner Seite lachte der dunkelhaarige Kulareth samten.

„Nun habt Ihr ihn gestraft, Hizumi.“

Der Fürst der Fenir zuckte mit den Schultern.

„Er wollte, dass die Regeln gewahrt bleiben. Also soll er sich in einer dieser glitzernden Hütten den Hintern platt sitzen.“

„Ihr wollt das auch.“, erwiderte Kulareth amüsiert, „Aber Ihr wollt Euch nicht mit Kyō auseinander setzen. Oder schlimmer noch, Kaoru.“

Hizumi schüttelte sich in gespielter Theatralik.

„Alte Götter verschont mich. Lieber ziehe ich gegen Lindwürmer, als mich noch einmal durch die Papierberge der Hoheelfen zu wälzen.“

Ein warmes Lachen war seine Antwort, dann sanken sie tiefer und kamen alsbald in der Nähe der Spalte auf dem Boden auf. Beide Dämonen ließen aus praktischen Gründen ihre Schwingen schwinden – so konnten sie sich wesentlich besser verstecken.

Zunächst pressten sie sich auf den Boden, robbten an die Spalte heran, um hinab zu spähen. Das Licht war hier intensiver, aber noch nicht so hell, dass es in den Augen brannte. Und es war, wenig überraschend, magisch. Aber offenbar keine weiße Magie; Kulareth würde so etwas sofort spüren. Selbst kleinste Spuren davon brannten auf der Haut des Blutdämons, weswegen dieser sich von Elbaro und allen Kultstätten der Hoheelfen aber auch den Heilern im Clan der Fenir fern hielt. Wunden Kulareths heilten auf natürliche Art und Weise oder aber durch Blut.

Einige Augenblicke sondierten sie nur, doch sie fanden kein Anzeichen dafür, dass sich jemand in ihrer unmittelbaren Nähe befand, weswegen sie behutsam in die Spalte hinab rutschten.

Schnee und Geröll löste sich unter ihren Sohlen, glitt leise in die Tiefe. Sie blieben zunächst geduckt hocken, lauschten intensiv, doch nur die Stille der Berge umfing sie. Hizumi fing den Blick seines Begleiters, nickte diesem zu, dann schlichen sie die Spalte entlang. Das Erste, das ihnen hier unten auffiel war, dass es nicht die ganze Spalte war, die leuchtete. Das Licht war zentraler nun, gebündelt in einem einzigen Strahl. Kulareth strich mit einer Hand hindurch; es brach sich an seinen Fingern wie normales Sonnenlicht und es war stumm. Die beiden Dämonen sahen sich an. Magisches Licht tendierte dazu zu summen; dass es das in diesen Fall nicht tat war... beunruhigend.

Dennoch würden sie ihm folgen. Es war ihr einziger Anhaltspunkt. Der Weg wurde nach einigen Metern zunehmend steiler, bis sie am Ende unvermittelt ins Rutschen kamen. Sie fingen sich an den Unterarmen, um nicht auseinander getrieben zu werden und dann blieb ihnen nicht viel mehr übrig, als zu versuchen, nicht irgendwo anzuschlagen. Letztendlich fielen sie ein Stück steil abwärts und schlugen dumpf auf einem Haufen Schnee auf.

Hizumi fluchte leise; das hätte besser laufen können. Kulareth rollte sich auf die Beine, nickte dann den schmalen Gang hinab.

„Hizumi. Sieh.“
 

Der Fürst folgte dem ausgestreckten Arm; das eisblaue Licht glitt tonlos über sie hinweg, führte noch tiefer.

Was zum Teufel?

Hizumi runzelte die Stirn. Ob es sich hier um eine andere Art von Signal handelte? Warum? Die Rohsteine des Kristallgebirges speicherten und reflektierten zwar Kräfte, aber zumeist waren sie nutzlos, da sie zu schwer zu kontrollieren waren. Es sei denn...

Vielleicht wollte jemand hier schürfen, gezielt Material abtragen, um es zu magischen Objekten zu wandeln.

Das würde den Elfen aufstoßen, um es milde zu sagen. Kristall, Metall und Gestein das aus Ulka kam, war mit jedem Stück verifiziert und eingetragen. Es hatte sogar eine beschissene Urkunde, damit man es zurückverfolgen konnte. Illegale Machenschaften wurden in Ulka scharf geahndet.

Nun denn, zumindest in diesem Punkt waren sich Elfen und Vogelfreie einig. Verbrechen wurde nicht geduldet.

„Lass uns das Teil aufspüren und diesen Bastarden einen Strich durch die Rechnung machen.“

Kulareth, welcher wohl zu der gleichen Schlussfolgerung wie auch Hizumi gekommen war, nickte grimmig. Gemeinsam folgten sie dem mühseligen Weg, der ihnen vom Licht aufgezeigt wurde. Alsbald mussten sie auf allen Vieren kriechen, am Ende auf dem Bauch voran robben. Hizumi fluchte zischend. Das Eis war scharfkantig, der Schnee verwandelte seinen Unterleib und die Oberschenkel in Klumpen gefrorenen Fleisches. Der Fürst war schwer versucht, ein nettes Feuer zu erzeugen, damit die gottverdammte Kälte schwand, aber das war mit zu viel Risiko behaftet. Dass sie bisher niemanden begegnet waren, hieß nicht, dass Keiner hier war.

„Hier geht es wieder runter. Warte, ich glaube ich kann mich drehen, dann kannst du mir runter helfen.“

Hizumi brummte in Zustimmung, zog so gut es ging sein Gesicht und Oberkörper weg, als sich der Dunkelhaarige vor ihm drehte, dann packte er fest dessen Hände, ließ ihn langsam in die tiefer gelegene Ebene hinab. Er hing bis zu Mitte über der Öffnung, bis es Kulareth möglich war das letzte Stück zu springen. Dann war Hizumi an der Reihe.

Der Fürst drehte sich so, dass seine Beine zuerst aus der Öffnung ragten, dann schob er sich rückwärts, bis er nur noch mit den Fingern Halt hatte.

Einen letzten, prüfenden Blick warf er zu Kulareth, welcher ihm zunickte, dann ließ er sich fallen. Der andere Dämon verdichtete die Luft unter ihm, bremste so seinen Fall, trotzdem war es nicht die eleganteste Landung. Nun ja, besser, als sich die Knochen zu brechen.
 

Sie stoppten hier einen Moment um sich umzusehen. Die Höhle hier war groß – nicht nur hoch genug, dass sie aufrecht stehen konnten, sondern an die sechs Meter schraubten sich ihre beeindruckenden Wände in die Luft. In ihrer Weite maß sie mindestens das Doppelte und war übersät mit Stalagmiten und Stalaktiten. Ein kleiner Fluss führte quer durch sie, verlor sich am anderen Ende irgendwo in den bläulichen Felsen. Ihr Licht kam aus einem Eingang der knapp daneben lag und dem ersten Augenschein nach würden sie hier noch einmal hindurch kriechen müssen. Hizumi rollte die Augen. Warum auch sollte es anders sein. Nichts war jemals einfach. Also zurück auf die Knie.

Der Gang endete überraschend schnell und auf ebenen Grund. Hizumi, welcher dieses Mal zuerst gegangen war, zog Kulareth auf die Beine, welcher ihm dankend zunickte. Abermals ließen sie den Blick schweifen und runzelten synchron die Stirn. Das Gebilde vor ihnen waren definitiv nicht Teil des Gebirges.

Wenn Hizumi wetten könnte, würde er sagen, es stammte nicht einmal von Kistara.

Es war quaderförmig und die Wände aus einem Material, das der Fürst der Fenir nie zuvor gesehen hatte. Nach einem ersten, vorsichtigen Näherkommen, konnten sie vier solcher Kammern ausmachen; sie sahen die Trennlinien, die nur um Nuancen im Farbton variierten. Ohne das blaue Licht oder eine andere Quelle der Helligkeit würde es keinen Unterschied geben. Es war nicht viel höher und breiter als ein Mann, Hizumi bezweifelte, dass man die Arme zu beiden Seiten ausstrecken konnte, wenn man sich darin befand.

„Sieh. Es kommt von dort drinnen.“

Hizumi nickte, presste die Kiefer aufeinander. In der Tat hatte das Leuchten dort seinen Ursprung; es penetrierte die blickdichte Wand und ließ die beiden Dämonen grübeln, was sich wohl dahinter befand.

Es gab nur einen Weg das heraus zu finden.

Hizumi sah sich suchend um, bis er einen losen Gesteinsbrocken fand, der in seine Hand passte. Er wog ihn einen Moment prüfend, dann holte er aus und schmetterte sein Geschoss gegen den Quader.

In Antwort surrte die Wand des seltsamen Objektes wie ein aufgebrachter Schwarm Bienen – dann geschah etwas ganz außergewöhnliches.

Das Material, welches bis eben undurchdringlich gewesen war verlor an Intranzparenz – als wenn man über einen von Schnee bedeckten See streichen würde, um das darunter liegende Eis frei zu legen. Und derweil es zunehmend transparenter wurde, kniffen Hizumi und Kulareth die Augen zusammen, um die Konturen auszumachen, die sich dahinter zeigten.

„Verdammte Scheiße!“

Hizumis Fluch hallte von den Wänden wieder, aber den Fürsten konnte es nicht weniger interessieren.

Mit drei langen Schritten waren er und Kulareth an dem Quader angekommen, der sich als ein Gefängnis entpuppt hatte und versuchten diesen nun aufzubrechen. Hektisch, suchend, glitten sie mit den Fingern über die brummende, zischende Oberfläche. Sie suchten nach Nähten, Rissen, Schlösser, irgendetwas.

Ohne Erfolg.

Am Ende rammte Hizumi die Wand mit seinem gesamten Gewicht, schlug mit den Fäusten darauf ein.

„Tsukasa! Tsukasa, verdammt!“

Und obwohl unter der Gewalteinwirkung die gesamte Konstruktion bebte, tat der Vampir in ihrem Inneren keine Regung, die darauf hinwies, dass er überhaupt noch am Leben war. Sein Kopf war nach vorne gesunken, die Speere in seiner Brust von seinem Blut besudelt, dass sich wie ein dunkler See zu den Füßen des Braunhaarigen ausgebreitet hatte. Es gab kein Hauch eines Atemzuges – ein monumentales Stillleben, das dem Fürsten der Fenir Tränen der Wut in die Augen trieb.

Wer immer das dem größeren Mann – seinem Freund! – angetan hatte, er würde büßen. Hizumi würde seine bloße Hand in den Brustkorb des Wesens rammen, das Hand an Tsukasa gelegt hatte. Er würde sein blutiges Herz verspeisen!

Wieder holte er aus, schlug hart gegen die dünne Mauer, die ihn und den Vampir voneinander trennte, wollte sich schon abwenden, doch Kulareth packte seine Schulter, drückte fest zu und zwang den Dämonen still zu stehen.

„Sieh.“
 

Seine Augen weiteten sich.

Ein Riss.

Ein gottverdammter Riss!

Hizumis Schläge kehrten mit neu erwachter Kraft zurück. Wieder und wieder. Bis der Spalt größer wurde. Bis sie das erste Stück heraus brechen konnten. Und von da an ging es nur noch um rohe Gewalt. Der Schwarzhaarige packte die beschädigte Stelle mit beiden Händen, stemmte seinen Fuß an den unteren Bereich des Quaders und zerrte. Zerrte, fluchte und schrie, bis die Öffnung groß genug war, dass er hindurch passte. Mit Kulareths Hilfe zog er sich hoch und in das Gefängnis hinein.

Er landete mitten in Tsukasas Blut; es war einfach überall! Hizumi würgte trocken, blendete es aus, so gut es ging, als er die Ketten und Fesseln packte. Sie zu zerstören war nach dem Eindringen ein Leichtes. Wie Staub zerbröckelten sie unter den glühenden Händen seiner Feuermagie.

Nun sah er auch, dass das Licht von Tsukasas Brust kam, oder vielmehr von der Kette dort, die halb unter dem Oberteil hervor hing.

Seine eine Hand stützte Tsukasa an der Schulter, als er den ersten der Speere packte und im gleichen Moment versiegte das Licht. Er presste die Lippen zusammen. Es war also tatsächlich ein Signal gewesen, dazu gemacht, Tsukasa zu finden. Er atmete tief ein, entschuldigte sich stumm – dann zog er die Waffe mit einem Ruck aus der Brust. Tsukasa reagierte nicht. Nicht mal ein Zucken.

In Hizumis Brust explodierte Panik. Ohne lange nachzudenken, entfernte er den zweiten Speer. Tsukasa, seiner ihn aufrecht haltenden Stütze beraubt, kippte ihm wie ein Sack Steine entgegen. Es war schwierig den Vampir abzustützen und noch komplizierter, ihn aus der Öffnung hinaus zu bekommen. Hizumi zuckte, wann immer der leblose Körper an ein Hindernis schlug, aber letztendlich lag er außerhalb des Gefängnisses auf dem Boden.

Die edlen Züge waren grau, die Lippen blutleer und nachdem Kulareth das Oberteil zerrissen und Schnee benutzt hatte, um das Blut grob von der Brust zu wischen, damit sie bessere Sicht auf die Wunden hatten, zischte der Blutdämon besorgt. Es trat kein Blut mehr aus; die Ränder der Wunden waren ausgefranst und das Gewebe wie abgestorben. Hizumi würgte abermals, presste die Faust vor seinen Mund.

Das war übel. Wirklich übel.

Nach einem Pulsschlag brauchten sie nicht zu suchen – Vampire besaßen keinen. Es war nicht so, dass ihr Herz gar nicht schlug. Aber alle körperlichen Prozesse wie Kreislauf, Atmung und Verdauung in einem gewandelten oder geborenen Vampir waren stark verlangsamt, bis zu dem Punkt an den man zu dem Irrtum kam, es würde gar nicht existieren. Aber dieses Wissen nutzte dem Fürsten in diesen Moment nicht im Geringsten. Er würde auf Kulareth bauen müssen – seine Art war der der Vampire nicht unähnlich. Der Dunkelhaarige würde viel besser einschätzen können, was getan werden musste.

„Kannst du ihm helfen?“

Hizumis dunkle Augen flehten den Blutdämon an, zu nicken. Sie wollten, dass Kulareth seine Schulter drückte und sagte, dass alles gut werden würde. Doch dafür war es zu früh. Und Kulareth war niemand, der falsche Hoffnung säte. Hizumi wusste es und würde es nicht anders wollen. Trotzdem klammerte sich Hoffnung in seinen Unterleib, als er ein sachtes Senken des Kopfes wahrnahm.

„Ich werde es versuchen.“

Hizumi atmete geräuschvoll aus. Mehr konnte er nicht verlangen.

Der Fürst beobachtete, wie sein Begleiter Tsukasa zu sich zog und dessen Kopf auf seinen Knien bettete, bevor er sein Messer griff und es über seinem Handgelenk positionierte. Dann hob sich der Blick der violetten Iriden, die von einem schmalen roten Ring umgeben waren – Auswirkungen des Blutes, das Kulareth hier wahrnahm.

„Wenn er zu trinken beginnt,“, begann der Blutdämon ernst, „ wird er nicht stoppen. Das musst du für ihn tun oder er wird mich umbringen. Und dich möglicherweise auch, deswegen ist es wichtig, dass er so geschwächt bleibt, dass du ihn körperlich dominieren kannst. Tsukasa wird in einem Blutrausch sein – es wird dauern, ihm klar zu machen, wer wir sind. Wenn wir das erst einmal geschafft haben, brauchen wir so schnell wie möglich Nahrung.“

Hizumi nickte verbissen.

„Fang an.“

Kulareth nickte, dann glitt die Klinge über sein Gelenk, brach die Haut und ließ dunkle Flüssigkeit darunter hervor quellen.

Er drehte es so, dass sein Blut direkt auf Tsukasas Lippen perlte. Es sammelte sich am Mundwinkel und lief von dort über das Kinn.

„Komm schon, Tsukasa.“, murmelte Hizumi, derweil er beobachtete, wie sich mehr und mehr des roten Goldes auf den leblosen Zügen sammelte, „Trink, verdammt!“

Nichts.

Weitere Augenblicke vergingen in angespanntem Schweigen und an der Art wie Kulareth die Stirn runzelte, erkannte Hizumi, dass dieser ihren Versuch jede Sekunde aufgeben würde. Er war bereits im Begriff den Arm wegzuziehen, da öffneten sich ruckartig Tsukasa Augen.
 

Das normalerweise warme Braun war verschwunden, ersetzt durch einen durchdringenen bernsteinfarbenen Ton, der dermaßen furchterregend war, dass sie beide zurück zuckten.

Tsukasa folgte ihnen; schneller als Hizumi es je beobachtet oder für möglich gehalten hätte, packte der Vampir Kulareths verwundeten Arm, leckte das Blut ab, wobei er dunkel schnurrte.

Es war ein derart wilder, animalischer Laut, dass sich Hizumis Atem fing; sein Blick traf den des Blutdämonen, derweil er all seine Muskeln anspannte, dazu bereit, den Vampir zu greifen und von seiner Beute zu trennen. In diesen Augenblick war Kulareth nicht mehr als das, denn Tsukasa hatte diesen gegen die Wand des Quaders gezwungen, hielt ihn dort unbewegt. Sein Interesse für die Wunde am Arm war verschwunden, stattdessen drehte er den Kopf des kleineren Mannes mit einer morbiden Zärtlichkeit, um mit den Nagel über die Halsschlagader zu streichen.

Abermals ein Schnurren, als sich die Lider des Vampirs halb senkten, er seinen Fang entblößte – Hizumi war zum Sprung bereit, aber noch hatte Tsukasa nicht getrunken. Er musste ihn zubeißen lassen. Die Kiefer so eng aufeinander gepresst, dass seine Zähne knirschten, wartete er ab.

Er hörte das scharfe Einsaugen von Luft und wusste, der Fang hatte die Haut gebrochen. Der Fürst vernahm ein Wimmern, irgendwo zwischen Schmerz und Genuss. Hizumi zählte langsam bis zehn, dann packte er Tsukasa an den Haaren und trennte ihn grob von seinem Opfer.

„Das ist nun genug, Tsukasa!“

Ein Fauchen antwortete ihm; kurz danach rammte Tsukasa den Ellenbogen unter seine Rippen. Seiner Atmung beraubt und plötzlichem Schwindel ausgesetzt hatte Hizumi Schwierigkeiten Herr über die Lage zu bleiben. In Sekunden hatte ihn Tsukasa auf den Boden befördert und kniete nun über ihm, seine Handgelenke in einem unnachgiebigen Griff über seinen Kopf gedrückt.

Der Fürst der Fenir fluchte, stemmte sich gegen den Griff, ohne Wirkung zu erzielen. Ein gehetzter Blick in Richtung seines Begleiters sagte ihm, was er schon gewusst hatte. Kulareth würde ihm nicht helfen können. Der Blutdämon war damit beschäftigt, bei Bewusstsein zu bleiben und die Blutung zu stoppen. Er war am surrenden Gefängnis hinab gerutscht und hatte dabei eine weitere Wand durchsichtig gemacht.

Doch Hizumi blieb keine Zeit, nachzusehen, ob sich auch darin Gefangene befanden. Er hatte ein dringenderes zu lösendes Problem über sich.

„Tsukasa.“

Er wusste, reden würde nutzlos sein – zumindest solange Tsukasa ihn für ein nettes Aperitif hielt – aber seine Stimme lenkte den lauernden Vampir ab. Er legte den Kopf schräg, ganz so als würde es ihn verwirren, dass sein Opfer derartige Töne von sich gab. Die Worte mochten sinnlos sein, aber sie verschafften Hizumi wertvolle Sekunden. Und so redete er; zusammenhanglose Brocken an Sätzen und Gedanken, gemischt mit reichlichen Flüchen die in ihrer Bandbreite variierten wie Tag und Nacht.

Letztendlich gelang es Hizumi, seine Beine um die Hüften Tsukasas zu schlingen. Er atmete tief ein, zählte bis drei, dann mobilisierte er alles das er an Kraft aufbringen konnte, um sie herum zu wälzen und sich auf den Vampir zu setzen, damit er ihm am Boden halten konnte.

Es funktionierte.

Tsukasa war mit dem Wechsel der Positionen nicht glücklich.

Er fauchte heiser, bäumte sich unter ihm auf, schlug nach ihm; Hizumi stöhnte unter einigen derben Treffern, die der Größere an seinen Armen, den Hals und seinem Kopf erzielte. Die wild umher fliegenden Arme einzufangen, ohne dabei blutige Kratzer davon zu tragen war ein Kraftakt, aber es gelang.

Und nun war es schlicht eine Frage der Ausdauer.

Hizumi redete wieder – dieses Mal in dem Versuch, Tsukasa zu Sinnen zu bringen. Er rief eindringlich dessen Namen, rezitierte gemeinsame Erinnerungen und als Tsukasas wehrhaftes Winden schwächer wurde, dieser am Ende knurrend und schnaufend unter ihm lag, wagte Hizumi, seine Stirn auf die des Anderen zu legen.

Sie sahen sich in die Augen, beide keuchend und der Fürst schniefte wenig fürstlich, verfluchte die gottverdammte Kälte um sie herum, derweil er mit den Händen Tsukasas Gesicht fing, dieses streichelte.

„Verflucht, komm zurück, Tsukasa. Wenn ich anfangen muss zu betteln, dann gibst du die nächsten Runden Igar aus.“

Er musste seine Lider einen Moment gesenkt haben, denn als er diese wieder öffnete, blinzelten ihn träge, braune Iriden an, die aus einem erschöpften, kranken Gesicht zu ihm empor starrten.

„Solch ein Gesöff würde selbst einen Kojoten umbringen, Giftmischer.“

Die Worte waren gekrächzt und klangen in keiner Form nach dem Fürsten von Gebik, aber sie waren unverkennbar Tsukasa, weswegen Hizumi den Kopf in den Nacken warf und laut lachte.

Bei den alten Göttern, was für eine Nacht!
 

Es brauchte einen kleinen Moment, sich unter Kontrolle zu bringen und vom Abgrund der Hysterie zu treten – Hizumi war hart gesotten und hatte in seinem Leben viele Dinge gesehen und getan, die für andere unvorstellbar waren... aber mit einem wild gewordenen Vampir zu ringen, war auch auf seiner Liste neu.

Apropos Vampir...

Sein Blick fiel zurück auf Tsukasa, doch der Größere hatte abermals das Bewusstsein verloren; die Kraft die der Blutrausch ihm gegeben hatte, war verflogen und hatte den Fürsten ausgelaugt zurück gelassen. Er brauchte Nahrung. Sein Blick glitt zu Kulareth, der sich auf die Beine gestemmt hatte und nun zu ihm gekommen war, doch bevor er diesen nach seinem Zustand fragen konnte, gab es hinter ihnen einen dumpfen Laut, so als würde etwas zu Boden fallen.

Hizumi wirbelte nach oben und herum, dazu bereit anzugreifen – und ließ seine erhobene Hand perplex sinken, als er sah, dass der Laut von einer Faust produziert worden war, die sein Besitzer gegen die Wand des Quaders geschlagen hatte.

Es gab tatsächlich einen weiteren Gefangenen!

Unordentliches blondes Haar rahmte ein junges Gesicht mit intensiv grünen Augen, die Kleidung ließ Hizumi vermuten, dass dieser Mann zu Tsukasa gehörte, die Stoffe und Schnitte kannte er aus Gebik, da sie mit typischen Ornamenten verziert waren.

„Geh beiseite.“

Für den Fall, dass man ihn nicht hören konnte, deutete er dem Fremden an, sich an die eine Wand seines Gefängnisses zu pressen. Seiner Aufforderung wurde prompt Folge geleistet, weswegen Hizumi Feuermagie wirkte, die er bei Tsukasa nicht hatte anwenden können. Die Mauer summte wütend, aber sie konnte seiner Wucht nichts entgegenbringen und wenig später trat der Blonde ins Freie und verneigte sich zu großer Überraschung vor den beiden Dämonen.

„Mein Fürst der Fenir und auch Ihr, mein Herr. Habt Dank, dass Ihr das Leben meines Fürsten und meines gerettet habt. Mein Name ist Ari und ich gehöre dem persönlichen Stab meines Herrn Tsukasas an. Wie kann ich Euch zurückzahlen, was ihr getan habt?“

„Du könntest damit aufhören, so hoch gestochen daher zu reden.“, auf Aris sprachloses Gesicht grinste Hizumi schief, fuhr dann fort, „Erklär uns lieber, wie du und Tsukasa hier gelandet seid und was zum Geier das da ist.“

Ari fuhr sich durch das Haar, kniete sich dann neben Tsukasa und bettete dessen Kopf auf seinen Knien; es schien unbewusst zu passieren, deswegen kommentierte es der Fürst der Fenir nicht, wartete einfach ab.

„Zero griff Gebik an.“ Ari sah auf, wie um zu bestätigen, dass Hizumi dieses Wissen teilte, weswegen der Dunkelhaarige nickte. „Tsukasa und ich brachten Kai in Sicherheit, so wie es von meinem Herrn zugesichert worden war. Wir dachten, wir hätten es geschafft, doch Zero... Er kam uns zuvor. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat oder was im Einzelnen danach geschehen ist. Es gab einen Kampf.

Als ich wieder zu mir kam, war ich hier.“ Der Blonde deutete mit der Hand zu seinem Gefängnis. „Tsukasa und Kai ebenfalls. Doch Zero hat Kai mitgenommen. Ich habe keine Ahnung wohin...“

Die letzten Worte waren leiser geworden, behaftet von Verzweiflung und Schuldgefühl. Es war deutlich zu sehen, dass Ari sich Versagen vorwarf und zu jedem anderen Zeitpunkt wäre Hizumi geneigt gewesen, Trost und positive Worte zu spenden, doch nun hatte anderes Vorrang.

„Zero ist hier?“

Ari nickte und Hizumi überlegte fieberhaft. Sie waren zu wenige und definitiv kraftmäßig unterlegen. Aber er konnte die Chance den Geist fest zu setzen nicht vorüber ziehen lassen. Doch Tsukasa brauchte Nahrung. Kulareth war angeschlagen, er würde nicht kämpfen können und Ari war dem Anschein nach nichts weiter als ein Mensch. Hizumi sah zu seinem Begleiter, studierte die blasse Haut, die Schicht an Schweiß auf dessen Stirn. Verdammt!

„Mein Herr.“ Aris Stimme lenkte seinen Blick zurück auf diesen und in dessen Augen konnte er einen beeindruckend eisernen Willen entdecken. Ganz offenbar hatte Ari einen scharfen Geist, der Hizumis Gedanken folgen konnte, ohne dass er sie ausgesprochen hatte. „Gebt euren Begleiter Blut von mir, um ihn zu stärken und meinen Fürsten in Sicherheit zu bringen und ich werde Euch folgen und mit Euch kämpfen.“

„Weißt du, was du da sagst?“, erwiderte Hizumi, der Tonfall unbewusst scharf, „Du setzt dein Leben so leichtfertig aufs Spiel?“

Ari betete Tsukasas Kopf behutsam auf dem Boden, bevor er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete und damit wesentlich würdevoller aussah, als man es seiner Art zutrauen würde. Die grünen Augen fest und ohne Furcht auf den Dämonen gerichtet nickte der Blonde.

„Für Kai gibt es keine Grenze, die ich nicht überschreiten würde. Ich habe geschworen, ihn sicher zu halten und ich habe versagt. Wenn ich diese Chance auf Wiedergutmachung erhalte, werde ich sie nicht verstreichen lassen. Ich bitte Euch, mein Herr. Ich werde Euch nicht im Weg sein.“

Hizumi schwieg und sah stattdessen zu Kulareth. Sie kommunizierten eine ganze Zeit nur über diesen einen Blick, bis der Blutdämon am Ende seicht nickte. Er vertraute dem Menschen also auch. Respektierte dessen Mut und schnelle Auffassungsgabe, denn Ari hatte von sich aus verstanden, dass Kulareth zu geschwächt war, den bewusstlosen Vampir fort zu bringen und hatte eine Lösung angeboten, die unter diesem Umständen mehr als logisch war.

Kulareth würde nicht so viel Blut brauchen, wie Tsukasa und Ari nur minimal schwächen.

Es war das Beste an Karten, das sie ziehen konnten.

„Gut. Gehen wir es an.“
 

~~~~~
 

Uruha trieb dahin.

Sein Fokus schwand und kehrte wieder, wie die Wellen eines Ozeans. Ebenso war es mit seinen Sinnen. Seinen Emotionen.

Einen Augenblick nahm er seine Realität mit kristallener Schärfe wahr, hörte die aufgebrachten Stimmen von Ruki und Reita, das Knistern von schwarzer Magie, in einem anderen schwand all dies und etwas viel Allumfassenderes umfing ihn.

Furcht.

So tief greifend, so entsetzlich, dass er Mühe hatte, einen richtigen Atemzug zu tun. Seine Hände umfassten seinen Hals, als er immer wieder keuchte. Ihm war so schlecht. Schwindlig. Aber er konnte sich gar nicht darauf konzentrieren. Es gab nur einen Gedanken.

Aoi.

Aoi!

Er musste zu ihm. Er musste ihn berühren, an sich halten. Jede seiner Fasern schrie nach seinem Herrn, herrschte ihn an, sich endlich in Bewegung zu setzen, aufzustehen, in den Streit einzugreifen, der um ihn herum tobte. Begriffen sie nicht, dass sich anschreien nichts brachte? Dass jeder Herzschlag, den sie hier vergeudeten, Aoi wertvolle Sekunden kostete?

Uruha wusste es.

Dennoch konnte er sich nicht bewegen.

Konnte es nicht in Worte fassen, seine Stimme hörbar machen, obwohl sie in seinem Inneren unentwegt klagte, tobte, betete.

Seine Augen fielen zu, als er seinen Hals fester umschloss. Seine Nägel drückten sich in die Haut, als würde ihm das helfen, Luft zu bekommen.

Oh Gott, Aoi!

Ein Wimmern perlte von seinen Lippen, als er sich vornüber beugte, würgte.

Halt durch. Bitte halt durch.

Es war sein Mantra. Begleitete jedes schwaches Pulsieren. Als würden die Worte allein reichen, seinem Herrn Kraft zu geben. Weiter am Leben fest zu halten. Nicht aufzugeben.

„... du beschissenes Arschloch...!“

Ruki. Seine Stimme durchdrang einen Moment den Nebel, der ihn umgab, dann schwand sie wieder. Es war so surreal. Uruha kicherte hysterisch. Begann so heftig zu zittern, dass seine Kiefer aufeinander schlugen. Tränen tropften von seinem Gesicht und zu seiner Rechten schlug ein Blitz schwarzer Magie in den Boden. Ein neuer Puls glitt durch den Stein, noch langsamer, noch schwächer. Seine Hand krallte sich verzweifelt in sein wirres Haar.

Was machten sie hier nur?

Sie würden zu spät kommen.

Es würde vorbei sein.

Alles würde vorbei sein.

Sie würden ihn nicht retten. Nicht so.

Uruha...

Ein Seufzen. Ein Wispern im Wind?

So schwach, dass es hätte Einbildung sein können. Leicht zu ignorieren, zu überhören.

Doch der Mund des Herrschers registrierte es. Erstarrte. Lauschte. Die reale Welt stürzte auf ihn ein; all ihre zu grellen Farben, ihre zu lauten Geräusche und zu intensiven Gefühle. Feuer brannte um ihn herum; er konnte die verbrannte Erde riechen. Ruki hatte Kyō an seinem Gewand gepackt und einen Fuß über dem Boden gegen eine eingestürzte Mauer gepresst. Er herrschte den Hoheelf an, ebenso wie Reita, der neben den beiden stand. Kyōs Lippen waren fest aufeinander gepresst und um diesen knisterte weiße Magie. Ein Drache, der nur darauf wartete, loszuschlagen. Kaoru, in einem Versuch die beiden zu trennen, packte Ruki an der Schulter und wurde prompt einige Meter durch die Luft geschleudert. Er prallte auf den Boden, wo er benommen liegen blieb. An seiner Seite, direkt über seinem Kopf schrie eine weitere Stimme und Uruha fühlte die Hände, die auf seinen Schultern lagen und zu hart zudrückten. Die.

Dazu stand im starken Kontrast der Stein auf seiner Brust. Er war warm. Seine einzig verbliebene Verbindung zu Aoi.

Er packte die Finger des Rothaarigen entschlossen und strich sie sich von den Schultern, derweil er sich auf seine zitternden Beine kämpfte. Er langte nach Atem, fühlte sich, als wäre er gerade mehrere Stunden gerannt. Galle saß in seinem Rachen und hatte sein Kinn und seine Kleidung besudelt. Er hatte gebrochen.

Wann?

Die Frage war flüchtig und verschwand schnell wieder. Sie war unwichtig. Der Traumtänzer stand unsicher neben ihm; er war mit ihm aufgestanden, die Hände erhoben, wie als wolle er ihn berühren, aber er zögerte. Uruha war es egal. Es gab nur noch Eins. Sie hatten bereits genug Zeit verschwendet. Sein Kopf hob sich. Er fixierte die Streitenden mit einem harten Blick, obgleich er sie nur schemenhaft erkennen konnte. Dann öffnete er die Lippen, sprach:

„Hört auf!“

Seine Worte erzielten augenblicklich Wirkung. Nicht, weil sie laut gesprochen worden waren.

Sondern weil sie mit Aois Stimme erklungen waren. Uruha selbst bemerkte das nicht einmal, aber sofort lagen alle Augen auf ihm.

Ruki ließ von Kyō ab, kam, die Stirn in Falten gelegt, auf ihn zu, doch dass Meerwesen wich zurück, hob abwehrend eine Hand. Ruki blieb stehen, zog die Brauen noch weiter zusammen, als er seinen Gefährten studierte. Das zu bleiche Gesicht, das wilde Haar und die unordentliche, verschmutzte Kleidung. Es roch nach Erbrochenen und als Ruki suchte, fand er Spuren auf dem Oberteil. Sorge flammte lodernd in ihm auf und er hob die Arme, um sein Meerwesen an sich zu bringen. Dieses hingegen sah ihn einfach an.

„Bring mich zu Aoi.“

Ein simpler Befehl, ohne Raum für Argumentation zu lassen. Der Dunkelelf presste die Kiefer aufeinander, so fest, dass sich die Sehnen abzeichneten. Dann hob er die Hand und rief seinen Stab. Sein Geliebter trat zu ihm, legte eine Hand auf seine Schulter, sah zu ihm hinab. Der Blick war... nicht leer, aber auch nicht der Mund des Herrschers.

Ruki fluchte, als er nach Uruhas Anhänger griff. Er hatte keine Zeit, dass zu ergründen. Aoi hatte Vorrang. Er umfasste den Stab – dann verschwanden sie.
 

Nebel umgab sie, als sich die Magie löste.

Nein, das war kein Nebel. Der Dunkelelf hob eine Hand, fing die Substanz und rieb sie zwischen seinen Fingerspitzen, sah sich um. Es war Staub. Staub, der von den umliegenden, eingestürzten Felsen rührte. Alles um sie herum war zerstört, bis hin zu dem Punkt, dass man nicht einmal mehr erahnen konnte, was es einmal gewesen war. Die Chance so etwas zu überleben war verschwindend gering. Ruki presste die Lippen aufeinander. Aoi hatte es geschafft. Und dennoch. Das Auge wollte Uruha am Liebsten zurückhalten. Ihn vor dem möglichen Anblick Aois beschützen. Gleichzeitig wollte er ihn schütteln, damit er endlich aufwachte und sein verdammter Geliebter zu ihm zurückkehrte, doch dieser lief zielstrebig durch das Chaos, fand offenbar mühelos einen Pfad.

Es war unheimlich.

Trotzdem machte Uruha ihm keine Angst, zumindest nicht direkt.

Er erkannte ihn nur nicht wieder und begann zu mutmaßen, dass es noch mehr mit dem Ritual auf sich hatte, als sie bislang gewusst hatten. Dass passte ihm nicht, denn es entzog sich seiner Kontrolle. Ruki hasste es, die Kontrolle zu verlieren. Kyō, dieses verfluchte Arschloch hatte es bestimmt schon erkannt, darauf würde Ruki seinen Allerwertesten verwetten. Und selbst wenn es nicht so war, dann versteckte er es hinter seiner arroganten Visage. Gott, wie gut es tun würde, ein oder zwei Faustschläge mitten hinein zu landen. Ein Ziel, an dem er seine angestaute Frustration, seinen Zorn auslassen konnte.

Doch er konnte keine Hand an ihn legen. Das hatte ihn die Vergangenheit bitter gelehrt; dass letzte Mal, als er dem anderen Elf eine hatte scheuern wollen, hatte er sich den gesamten Unterarm verbrannt.

Alles das ihm übrig blieb, war, ihn zu ignorieren und genau das tat er nun. Stattdessen fixierte er sich auf Uruha der wendig über einen Felsen kletterte und es allen anderen überließ, ob sie folgten oder nicht.

Ruki kletterte nach und rutschte ungelenk auf der anderen Seite hinab, rieb die Hände aneinander, als er sich hoch kämpfte – es war eiskalt hier, aber Uruha schien das nicht zu fühlen. Er war vor einem größeren Brocken stehen geblieben, eine Hand gegen die Oberfläche gelegt. Ruki nutzte es, um aufzuschließen und seine Finger um Uruhas Oberarm zu schließen. Er wollte ihn an sich ziehen, irgendetwas tun, um seinen Halt an das Gewohnte wieder zu finden, aber wie zuvor entzog sich das Meerwesen einfach.

„Mach das weg.“

Rukis Blick wanderte in die Höhe, studierte die Lage des Felsen. Er wusste nicht, wie tragend er war und so schüttelte er den Kopf.

„Ich kann nicht.“

Uruhas Augen verengten sich; es war frappierend, wie ähnlich er dabei Aoi war. Ruki war schnell darin, weiter zu sprechen.

„Ich weiß nicht, ob die Decke einstürzt, Uruha.“

Dies schien eine akzeptable Antwort, denn der Andere drehte den Kopf über die Schulter, starrte nun Kyō und Kaoru an.

„Könnt ihr die Decke stabil halten?“

Die beiden Hoheelfen nickten, weswegen Uruhas Blick zurück zu Ruki glitt.

„Beseitige es.“ Die Augen legten sich auf Reita. „Du hilfst.“

„Soll ich nicht lieber schauen, wie es auf der anderen Seite aussieht?“

„Nein. Ich weiß es bereits.“

„Woher?“

„Ich weiß es.“ Uruha blinzelte und eine Sekunde schien der Mann wie ausgewechselt, der Blick viel sanfter und so wie sie ihn alle kannten. „Vertrau mir.“

Reita zögerte kurz, dann nickte er und trat zu dem Dunkelelfen, hob eine Schulter.

„Er scheint zu wissen, was er tut.“

Ruki runzelte die Stirn, schwieg aber und hob nur seine Hand, ließ seine Magie frei. Der Felsen krachte entsetzlich und Ruki zog automatisch die Schultern vor. Es klang, als würde er die Knochen eines Wesens pulverisieren. Die Decke sackte nach unten und wurde von dem schwirrenden Netz aus schimmernder Lichtmagie aufgefangen. Es war ein spektakulärer Anblick, aber Ruki könnte es nicht weniger interessieren. Kaum das ein Weg frei war, zwängte sich Uruha durch die Spalte und Ruki, der leise fluchend hinterher eilte, stockte als er halb hindurch war.

Klagelaute.

Sie waren kaum wahrzunehmen, aber Rukis Herz erkannte sie.

Kai.

Aoi.

Sie hatten sie gefunden. Uruhas Ritual hatte ihnen tatsächlich den Weg gewiesen. Die leisen Zweifel tief in ihm, seine Irritation ob Uruhas und der Zorn waren wie weggeblasen. Hoffnung eroberte sein schmerzendes Herz im Sturm und trieb ihn an, sich schneller zu bewegen. Hektisch drückte er sich weiter voran. Der Ausgang lag im Freien und er musste einen Arm in die Höhe reißen, um seine Augen vor dem Eisregen zu schützen. Seine steifen Finger klammerten sich an den Fels, als er in der Dunkelheit einen Weg suchte. Den Weg, den auch Uruha genommen haben musste, denn sein Gefährte war nicht in der unmittelbaren Nähe. Reita packte seine Schulter, deutete geradeaus und Ruki nickte harsch. Er sah es. Nacheinander krochen sie den Pfad hinab und an seinem Ende fanden sie, was sie gesucht hatten.
 

Kai hielt Aoi in den Armen, wiegte sich mit ihm, die Augen fest aufeinander gepresst. Das Gesicht war im schwachen magischen Licht über ihm schmutzig, mit Blut besudelt und aschfahl. Seine Lippen waren blau vor Kälte, wie auch seine Fingerspitzen. Er schüttelte sich in krampfartigen Wellen, schien nichts und niemanden um sich zu registrieren. Seine Atemzüge waren unregelmäßig und immer wieder öffneten sich die Lippen in lauten, schrillen Schreien. Sie waren ohrenbetäubend und herzzerreißend. Ruki wollte sich die Ohren zuhalten und an Reitas Augen sah er, dass es dem Geisterwesen ganz genauso ging.

Hinter Kai saß ein Mann den Ruki noch nie gesehen hatte. Er war jung und weinte ebenfalls, sein Blick dabei einzig auf Kai fixiert, eine Hand auf dessen Unterarm. Aois Gesicht sah man nicht und dafür war Ruki dankbar. Der Arm mit der unnatürlich verformten Hand war schmerzlich genug. Neben den Drein hockte Hizumi, Fürst der Fenir. Seine Gesichtszüge waren hart, die Lippen zu einem schmalen Strich verzogen. Er redete nicht; vielleicht hatte er es inzwischen aufgegeben. Kai nahm ohnehin nichts wahr. Die Ankunft ihrer Gruppe war dem Menschen ebenso egal, wie der stärker werdende Regen. Er zeichnete ein Bild, von dem Ruki wusste, es würde ihn Jahre heimsuchen kommen.

Und dann war da Uruha.

Er hatte einige Meter entfernt gestanden und nur observiert. Nun aber bewegte er sich und eine winzige Stimme in Rukis Bewusstsein war zufrieden, dass sein Gefährte nicht er selbst war. Es hielt den Horror noch von ihm entfernt. Ruki schnaubte. Seine eigenen Gedanken begannen ihn zu verwirren, weswegen er sich zwang, im Hier und Jetzt zu bleiben. Der Schritt des Meerwesens war zielstrebig, sicher. Er glitt vor der Gruppe elegant in die Knie, legte seine Hände sanft auf Aois Oberschenkel.

„Kaoru. Komm hier her und hilf mir, ihn zu heilen.“

Der Elf trat nach einem Blick zu Kyō, welcher seicht nickte, widerspruchslos näher, kniete sich neben Uruha und runzelte seicht die Stirn. Kai hielt Aoi zu fest; so würde er nicht an ihn heran kommen. Uruha ging dieses Problem sofort an, indem er den Kopf hob, zu Kai blickte. Die Augen waren stahlhart, ebenso wie die Stimme. Der Mund war einzig und allein auf die Heilung seines Herrn fixiert.

„Kai. Lass ihn los.“

Der Braunhaarige brach seinen Schrei ab. Den Kopf schüttelnd, lehnte sich beschützend über seinen Geliebten. Eine Handlung, die Ruki nur zu gut nachvollziehen konnte, aber in diesem Moment die Falsche. Sie würde nicht geduldet werden. Uruhas Hand schoss nach vorne, hinderte Kai an seinem Vorhaben, indem er ihn an der Schulter packte.

„Lass ihn los!“

Kai wimmerte gebrochen, schüttelte wieder den Kopf und dieses Mal hatte Uruha genug. Er löste Kais Arme einfach und als dieser gegen das Meerwesen kämpfte, wurde er von diesen in Hizumis Arme gedrückt, welcher den sich windenden Körper in Schach zu halten hatte. Der Fremde griff ein, indem er nahe zu Kai rutsche. Er hielt dessen Gesicht mit seinen Händen, redete auf ihn ein, presste den Kopf gegen den des Menschen. Eine Flut aus Trost und Versprechen erhob sich; sie alle wussten, dass sie einzuhalten schwer war, aber Kai musste es dennoch hören. Es gab ihm etwas, an das er sich klammern konnte. Uruha glitt mit seinen Fingern über Aois Stirn, kämmte das Haar zurück. Seine Hände leuchteten in einem warmem Bronzeton, als er heilte, doch es war klar, dass es nicht genug war. Einige Wunden schlossen sich nur teilweise, andere bluteten weiter.

„Er muss hier weg.“, murmelte Reita und Ruki stimmte mit knappen Nicken zu.

„Wenn sie ihn genug stabilisieren, können wir ihn nach Lagua bringen.“

„Das wird nichts nutzen.“, Kyōs Stimme erklang ebenmäßig hinter ihnen und ließ Ruki über seine Schulter blitzen; dieser Bastard sollte besser seinen Mund halten, „Lagua verfügt nicht über die Macht und das Wissen, die Stränge der Seele zu festigen. Aois Körper mag hier sein. Aber das ist auch alles. Es ist zu viel Zeit vergangen. Das Ritual ist, was seinen Körper am Leben erhält.“

„Willst du sagen, seine Seele ist bereits in der Geisterwelt?“ Reita schnaubte verächtlich. „Das hätte ich gespürt.“

Kyō sah Reita ruhig an.

„Hast du dir die Zeit genommen, zu fühlen?“

Reita öffnete die Lippen, doch Ruki hielt ihn am Arm. Sie hatten bereits genug Zeit verschwendet und ja, auch durch ihn. Umso wichtiger war es nun, den Fokus zu waren.

„Du bist der Ansicht, wir sollen die Fenir bitten, uns Zutritt zu ihrem Heiligtum zu gewähren. Einem Ort, den sie streng bewachen und mit dessen Riten wir in keiner Weise vertraut sind.“

„Wenn euch daran gelegen ist, Aoi zurück in diese Welt zu holen, ja.“

„Das ist Wahnsinn!“ Reita sah von einem Elf zum anderen. Verloren sie alle den Verstand? „Wir könnten Aoi ebenso gut einen Dolch in die Brust jagen! Wir wissen zu wenig über die Vogelfreien!“

„Ich weiß ja nicht, was ihr glaubt, was wir im Heiligtum machen.“, mischte sich Hizumi irritiert ein, aufgebracht, dass man nicht nur sein Volk beleidigte, sondern, dass man sprach, als wäre er nicht anwesend, „Aber wir fressen dort sicher keine kleinen Kinder. Aoi ist auch unser Herr. Wir werden alles tun, das in unserer Macht steht, ihm zu helfen und zu heilen. Meine Frau kennt den Ritus des Seelenfang. Wenn es jemanden gelingen kann, dann ihr.“
 

Ruki knirschte mit den Zähnen auf die Worte; es war offensichtlich ihre einzige Option. Kyō schien den Fenir zu trauen, hatte also ganz offensichtlich mehr Wissen, als sie – und verdammt noch mal, das stieg Ruki bitter auf, aber er würde die Weisheit des Hoheelfen nicht in Frage stellen. Kyō würde den Herrscher Kistaras nicht in die Hände der Vogelfreien geben, wenn es diesen ernsthaft in Gefahr brachte. Was ein Paradoxon war, wenn man bedachte, dass es der Hoheelf selbst war, der explizit ablehnte, Aoi zu heilen.

Seine Augen verengten sich. Irgendetwas stank hier gewaltig und er würde Kyō darauf festnageln, sobald er die erste Gelegenheit hatte. Er hatte es zuvor nicht bemerkt, aber es machte einfach keinen Sinn. Der weiße Bastard half alles und jedem. Er verweigerte sich niemanden in Not, es war einfach das Wesen der Hoheelfen und auch Kyō konnte sich dem nicht entziehen.

„Wenn wir Aoi ins Heiligtum bringen wollen, sollten wir es sofort machen.“, holte Hizumi Ruki aus seiner Überlegung. „Uruhas Kräfte sind erschöpft.“

Rukis Kopf schnellte zu Uruha, welcher keuchend über Aoi gebeugt saß. Seine Finger zuckten immer wieder, glommen nur noch. Das Meerwesen stand kurz vor der Bewusstlosigkeit und nun würde der Dunkelelf einschreiten. Er war geduldig genug gewesen, hatte zugesehen ohne einzugreifen oder zu hinterfragen. Die Grenze war erreicht. Mit zügigen Schritten trat er zu Uruha, legte die Hände auf dessen Schultern, als er sich an dessen Ohr hinab beugte.

„Uruha. Das ist nun genug.“

Das Meerwesen stoppte. Einfach so. Vielleicht hatte das Ritual geendet oder seine Stimme war endlich zu seinem Gefährten gedrungen. Es war nicht wichtig. Alles, das Ruki wusste war, dass er nun die Führung übernehmen konnte und keinen Herzschlag zögerte, genau dies zu tun.

„Hizumi. Du wirst mich leiten müssen. Deine Gedanken sollten mich zu euch bringen.“ Der Fenir nickte und Rukis Blick legte sich auf den Fremden. „Du. Hilf Kai. Kyō und Kaoru ihr nehmt Aoi.“

Seinem Wort wurde augenblicklich Folge geleistet, was Ruki mit zufriedenem Nicken beobachtete. Der blonde Mann half Kai zu stehen; wisperte ihm immer noch zu, er selbst zog Uruha nahe an sich, indem er einen Arm um dessen Taille schlang. Der Traumtänzer half Kai stehen zu bleiben, als dessen Knie versagten. Kyō hatte Aoi hoch gehoben, nachdem Kaoru seine Robe um ihn gewickelt hatte und diesen in schlichten Hosen und Hemd zurück ließ. Ruki warf einen Blick über ihre unmittelbare Umgebung, sondierte, ob es etwas Wichtiges gab, das es mitzunehmen galt. Er fand nichts, weswegen er seinen Stab rief und die Gruppe um sich sammelte, damit sie von diesem Gott verdammten Ort verschwinden konnten.

13

13
 

Ruki erwachte mit einem Ruck.

Was verflucht noch mal war passiert?

Seine Gedanken wirbelten munter umher, jagten sich mit Erinnerungen, ohne wirklich Sinn zu ergeben. Er richtete sich auf und schwang seine Beine über das Bett, stöhnte leise, als er dem hämmernden Schmerz hinter seinen Schläfen gewahr wurde. Erst umsehen, dann nachdenken, entschied er, als er mit dem Handballen gegen seine Schläfe presste. Der Raum, in dem sich der Dunkelelf befand, schien direkt in den Fels eines Berges hinein geschlagen worden zu sein. Nischen, auf denen brennende Kerzen standen, waren grob herausgearbeitet und auch der Rest war recht spartanisch eingerichtet. Es gab ein simples, überraschend gemütliches Bett mit dunklen Fellen und fein gewebten Leinen, der natürlich eingefärbt worden war. Am Fuß desselben stand eine Truhe. Sein Teleportatiosstab ruhte dagegen und brachte Ruki auf den Gedanken, an sich hinab zu blicken.

Man hatte ihn umgezogen. Er war barfüßig und trug schlichte Hosen sowie ein einfaches Hemd. Beides trug eine grobe Stickerei am Saum, deren Symbole er aus Java kannte. Zu seiner Rechten gab es einen kleinen Tisch. Darauf stand, neben einer Karaffe und einem Becher, eine Schüssel mit Wasser, in der ein Lappen schwamm. Als er hinein fasste, stellte er fest, dass es warm war.

Wieviel Zeit war vergangen?

Er war im Heiligtum der Fenir, dessen war er sich ziemlich sicher, denn sonst lebten die Vogelfreien in großen Zelten. Nun musste er nur noch herausfinden, was passiert war, nachdem sie hier angekommen waren.

Ruki ließ seine Augen zufallen und erlaubte den wilden Erinnerungen über ihn herzufallen. Nach einigen Sekunden absoluter Verwirrung, begannen sie sich zu sortieren und erlaubten dem Dunkelelf das Geschehen zu rekonstruieren. Sie waren direkt am Fuße eines Berges angekommen. Und man hatte sie erwartet. Hizumi musste seiner Frau telepathisch mitgeteilt haben, dass sie kommen würden. Ruki erinnerte sich vage, von ihrem Antlitz beeindruckt gewesen zu sein. Es war lange her, dass er einen Nachtelfen gesehen hatte. Dieses Volk war antisozialer als die Hohelfen – was einiges sagte. Sie war groß und überragte sogar Uruha, ihre Augen waren wachsam und intelligent. Sie hatte sie nacheinander gemustert und dann war ihr Blick an dem Unscheinbarsten von ihnen allen hängen geblieben.

Sie hatte dem Traumtänzer ein sanftes Lächeln geschenkt und die Hand in dessen Richtung erhoben.

'Lass sie schlafen, Die. Sie alle brauchen die Ruhe.'

Ihre Stimme war mit einem merkwürdigen Hall behaftet gewesen; wie als würde er sie mit den Ohren und mit dem Geist hören können. Sie war warm gewesen und machtvoll. Sie hatte Ruki einen Sinn von Frieden gebracht und verbunden mit dem behutsamen Zauber des Traumtänzers gab es nichts, dass er entgegen zu setzen gekonnt, oder gewollt hätte. Ruki hatte Uruha näher an sich gebracht, als ihm die Knie versagt hatten und er hatte geschlafen, noch bevor sein Haupt in die Hände anderer, wartender Fenir gesunken war.

Nun war der anfängliche Kopfschmerz verschwunden und er fühlte sich erholt, gerade so, als hätte er Stunden im eigenen Bett geruht und Ruki nahm an, dass Die der Grund dafür war. Er würde dem Traumtänzer danken müssen.

Aber zuerst musste er Uruha finden, dann Aoi und den Rest.

Entschlossen erhob er sich und trat zur „Tür“ seines Raumes; eigentlich war es ein schweres Tuch, auf welchen die Sonne, ihre Monde und Sterne aufgestickt worden waren.

Ruki schob es beiseite – und erstarrte.

Vor ihm lag eine breite Treppe, die sich in beide Richtungen durch das Gestein schlängelte und in ihrer Art an eine Wendeltreppe erinnerte, obgleich dies hier gewiss kein Turm war. Aber es war nicht ihre schiere Größe, die ihm den Atem stahl.

Es war das Wasser, welches weich und lautlos über die sorgsam geschlagenen Stufen floss. Hunderte von Kerzen erleuchteten den Weg, Blumen und Ranken zierten die Wände. Es war solch ein Kontrast zu dem simplen Raum, welcher hinter ihm lag. Blütenblätter glitten mit dem Wasser und streiften seine Zehen, als er einen Schritt nach draußen tat. Von hier konnte er noch mehr Details erkennen – die Wände waren bemalt, sie erzählten Legenden von Kistara. Es gab Gemälde von einzelnen Völkern, aber auch zusammenhängende Bilder. Es war eine Chronik ihres Landes. Rukis Finger legten sich behutsam gegen die sorgsam geführten Striche.

Er hatte nicht gewusst, was die Fenir hier geschaffen hatten und das obgleich er schon lange an der Seite Aois war und gedacht hatte, Kistara zu kennen.

War es ihrem Herrn bewusst gewesen?

War er schon einmal hier gewesen? War diese Stufen entlang gewandelt? Vielleicht mit Hizumi an seiner Seite?
 

„Es lässt einem fühlen, als wäre man in einer anderen Welt gelandet, nicht wahr?“

Die Stimme überraschte Ruki.

Er wirbelte herum und blickte geradewegs in die brauen Tiefen eines Vampirs.

„Tsukasa. Was tust du hier?“

„Eine lange Geschichte. Komm. Ich erzähle sie dir, derweil ich dich zu Uruha bringe.“

Er fasste Ruki behutsam am Unterarm und der Dunkelelf registrierte, dass dieser die gleiche Kleidung wie er selbst trug.

„Nachdem Zero Gebik angriff“, begann Tsukasa, als sie die Treppen hinab liefen, „brachte ich Kai ins Labyrinth. Wir hatten vor, zum Tempel der Hohen zu reisen. Ein Ort, an dem ich Kai sicher glaubte, aber Zero fing uns ab. Ich habe keine Vorstellung, davon, wie er das gemacht haben kann; die Tunnel reichen so weit und sind verzweigt. Wir hätten überall hingehen können. Es kam zu einem Kampf in dem ich bitter unterlag. Mir war bewusst, dass ich ihn nicht hätte schlagen können, dennoch glaubte ich, machtvoll genug zu sein, um Kai und Ari die nötige Zeit zu einer Flucht zu verschaffen. Es misslang.“

Tsukasa stoppte einen Moment und presste die Kiefer aufeinander. Eine so vernichtende Niederlage kratzte mit Sicherheit am Stolz des Vampirs. Ruki konnte es gut nachvollziehen.

„Ich erwachte erst wieder in meinem Gefängnis. Von Kai und Ari fehlte jede Spur. Zero war effektiv in dem, was er mit mir tat. Er fesselte mich und sorgte dafür, dass ich langsam ausblutete. Ich weiß nicht viel von dem, was danach alles geschehen ist. Ich erinnere mich vage, Zero gesehen zu haben. Er nahm Kai mit, aber er tat ihm nicht weh. Dann war da Lärm. Orientierungslosigkeit. Blut. Und schließlich Hizumi. Man sagte mir, dass mich Hizumi fand und dass mein Leben zu diesem Zeitpunkt nahezu verwirkt gewesen war.Du wirst ihn oder Kai fragen müssen, wenn du noch weitere Details erfahren willst.“

Ruki nickte, stoppte als auch der Vampir anhielt und wusste, dass sie an ihrem Ziel angekommen waren. Er legte dem Vampir eine Hand auf die Schulter, drückte diese leicht.

„Ich danke dir.“

„Wofür? Ich habe versagt.“

„Du hast Kai am Leben erhalten. Das war es, was du Reita geschworen hast. Er war sicher bei dir.“

„Nicht sicher genug.“

Ruki nickte auf Tsukasas bittere Worte.

„Das ist wahr. Dennoch hast du deine Aufgabe gemeistert. Nimm deine Niederlage um zu erstarken und nach vorn zu sehen. Du wirst dich an Zero rächen können.“

Tsukasa hob den Kopf ein wenig höher und nickte. Er verabschiedete sich nicht einmal, als er sich herum drehte und ging; Ruki verfolgte es einen Moment, dann hob er den Stoff beiseite, der ihn in Uruhas Raum brachte.
 

Sein Meerwesen schlief noch, doch als Ruki näher trat, erkannte er erste Anzeichen des Erwachens. Er setzte sich zu ihm und umschloss behutsam die schmalen Finger mit den seinen. Auch Uruha war umgezogen worden, außerdem hatte man sein Haar gekämmt und in einem geflochtenen Zopf zurückgenommen. Das würde seinem Gefährten aufstoßen, aber Ruki nahm an, dass es in ihrer derzeitigen Lage wohl kaum von Bedeutung war. Es gab ganz anderes, auf das sie sich konzentrieren mussten. Man hatte Uruha die Kette abgenommen und derweil der Dunkelelf darauf wartete, dass Uruha vollständig zu Bewusstsein erlangte, legte sich sein Blick darauf. Der Stein hatte aufgehört zu leuchten.

Es sah wieder wie ein ganz normales Schmuckstück aus.

„...Ruki?“

Uruha blinzelte zu ihm hinauf und er schenkte diesem ein sanftes Lächeln, verhinderte mit einer Hand, dass er sich aufsetzte.

„Bleib noch etwas liegen. Es ist besser.“

Zu seiner Erleichterung fügte sich sein Meerwesen augenblicklich. Ruki hätte nicht gewusst, was er getan hätte, wäre dieser noch immer von dem Zauber des Ritus belegt.

Er öffnete seine Lippen, wollte erfragen, wie sich der Langhaarige fühlte, doch dieser kam ihm zuvor.

„Was ist passiert?“ Uruhas schöne Stirn legte sich in Falten. „Wo sind wir hier?“

„An was kannst du dich erinnern?“

Die Gegenfrage ließ Uruha verharren; die Brauen zogen sich noch weiter zusammen, dieses Mal in Konzentration.

„Ich erinnere mich, dass Kyō sagte, er wolle nicht helfen. Ich kann mich an dich und deine Wut erinnern... danach wird es verschwommen. Mehr Empfindungen, als tatsächliche Erinnerungen.“

„Was für Empfindungen?“

Nun ließ Ruki zu, dass Uruha sich erhob. Er öffnete seine Arme für ihn und der Langhaarige sank in diese, suchte nach Halt.

„Angst. Verzweiflung. Dann Wärme, ein Ruf“, Uruha verstummte, vielleicht weil er zu greifen suchte, was genau er gefühlt hatte, dann, plötzlich hob sich dessen Kopf und die Finger krallten sich in Rukis Arme, „ Aoi. Oh, bei den Göttern, Aoi...“

Der Dunkelelf tat einen beruhigenden Laut, strich sanft über den Kopf und die Wange Uruhas.

„Es ist alles gut. Beruhige dich. Du hast es geschafft. Du hast ihn erreicht. Er ist bei uns.“

Tränen schwammen in Uruhas Augen; sie ließen auch Rukis brennen. Es war so viel, dass durch ihn tobte, seinen Geist und sein Herz überforderte. Da war das Glück, diese ach so süße Empfindung, dass sein geliebtes Meerwesen wieder bei ihm war. So sanft, so bezaubernd, wie er es kannte. Dann war da Stolz. Stolz, dass Uruha geschafft hatte, was er in seiner Wut nicht gekonnt hatte. Er hatte Aoi gerettet. Wie auch immer genau das passiert war. Hätte Uruha nicht getan, was er getan hatte, Ruki war sich sicher, sie wären zu spät gewesen. Er war erleichtert und voller Hoffnung, dass Aoi sich erholte. Zero rückte einen süßen Moment lang in den Hintergrund, als sich der Dunkelelf ganz auf seinen Gefährten und seine Familie konzentrierte. Er beugte sich vor und hauchte einen zärtlichen Kuss auf Uruhas Lippen.

„Du hast es geschafft“, wiederholte er. Uruha sah ihn an, nickte schließlich.

„Wo sind wir hier?“

„Im Heiligtum der Fenir. Kyō war der Ansicht, dass man Aoi hier am besten helfen kann. Sein Körper wurde durch den Ritus der Genjai, seine Verbindung zu dir am Leben erhalten, doch seine Seele driftet bereits. Hizumis Frau holt sie für uns zurück. Er wird schneller wieder da sein, als du es dir vorstellen kannst.“ Sein Finger strich sanft über Uruhas Wange, lächelte. „Ich bin so stolz auf dich.“

Sein Meerwesen lehnte sich vertrauensvoll in die Berührung.

„Ich weiß nicht einmal genau, was passiert ist“, murmelte es, „Wie kannst du dann sagen, dass du stolz auf mich bist?“

„Weil es ein Fakt ist. Ich weiß nicht genau, was das Ritual mit dir gemacht hat. Du warst... verändert. Aber genau diese Veränderung hat dir geholfen, zu tun, was nötig war. Du hast dort einen kühlen Kopf bewahrt, wo ich nur noch Wut verspürte. Du hast uns geführt und zu ihm gebracht. Ohne dich, ohne deinen Zauber, wären wir zu spät gewesen.“

Uruha nickte sacht, akzeptierte seine Worte, doch sie beide wussten, dass sie Antworten brauchten. Sie mussten wissen, was genau mit Uruha geschehen war. Aber es war ein Rätsel für einen späteren Augenblick.

„Bringst du mich zu Aoi?“

Ruki umschloss Uruhas Finger und drückte sie zärtlich.

„Ich bin nicht sicher wo genau er ist, aber wir werden ihn finden.“

Der Langhaarige nickte, erhob sich dann, sah sich um, Ruki an und an sich herab.

„Wo sind unsere Sachen?“

„Sie wurden in den Truhen vor den Betten verstaut. Hier.“ Ruki nahm die Kette und reichte sie Uruha.“Das hast du doch gesucht?“

Ein Summen antwortete ihm, als Uruha das Schmuckstück über seinen Kopf streifte; Ruki half, den Zopf hervor zu ziehen. Er presste einen sanften Kuss auf die Schläfe, bevor er abermals ihre Finger verflocht und Uruha aus dem Raum führte.
 

Das Wasser streifte ihre Füße und er konnte den sachten Laut hören, den der Braunhaarige in der Kehle tat. Er musste es vermissen, sich in dem kühlen Nass zu bewegen, darin zu schwimmen. Es schien bereits ewig her, seitdem er es das letzte Mal getan hatte.

Sie waren einen Moment unentschlossen, wohin sie gehen sollten. Hinauf? Hinab? Ruki entschied, unten zu suchen. Er vermutete das Heiligste dieses Ortes im Inneren des Berges; dort wo es am besten geschützt war. Ab und an begegneten ihnen Fenir in langen, grauen Roben; sie alle waren Stimmen; die Priester im Heiligtum.

Abermals wurde Ruki bewusst, wie unabhängig sie waren, die Vogelfreien. Er hatte es immer akzeptiert, dennoch fühlte sich Ruki, als würde er zu wenig wissen und auch Uruha machte nicht den Eindruck, dass er exakt nachvollziehen konnte, was man hier tat.

Lediglich Kyō schien mehr zu wissen. Bastard. Ruki hasste den Fakt, dass der Hoheelf immer mit einer Antwort aufwarten konnte. Es ließ ihn sich dumm fühlen. Und das war ein beschissenes Gefühl.

„Lass das“, kommentierte Uruha leise und Ruki sah diesen an, eine Braue in die Höhe geschoben.

„Ich tue nichts.“

„Oh doch.“ Sein Meerwesen blieb stehen und hob eine Hand, damit er einen Finger zwischen seine Brauen legen konnte. „Du hast kleine Falten. Die bekommst du nur, wenn du zu viel nachdenkst und unzufrieden bist. Und liege ich falsch, wenn ich behaupte, es hat mit Kyō zu tun?“

Ruki lächelte ertappt.

„Woher weißt du das?“

„Es ist nicht schwer zu erraten“, Uruha zuckte mit den Schultern. „Er wollte, dass wir hier her kommen. Keiner kennt die Fenir richtig. Er offenbar schon und du hasst es, nicht das zu wissen, was er weiß.“

„Ich möchte wissen, wie dieser Bastard das immer macht“, brummte Ruki. „Es ist, als würde er den ganzen lieben langen Tag Bücher und Schriften lesen. Hat er nicht Ulka zu regieren?“

„Nenn ihn nicht so“, schalt der Langhaarige sanft, „ Und bedenke, dass er älter ist als du und anderen Pflichten nachkommen muss. Er hat den Luxus, viele seiner Tage nach seinem Sinn zu gestalten.“

Ruki schnaubte leise. Also doch den ganzen Tag Bücher und Schriften. Kyō hatte seine wahre Berufung verfehlt. Er hätte Quacksalber werden sollen. Sie kamen am Fuße der Treppe an und bogen um eine Ecke, um in einen weiteren Gang zu gelangen. Stimmen drifteten von einem Raum zu ihrer Linken und Ruki rollte mit den Augen.

Es war ja so klar gewesen, dass sie den verdammten Hoheelfen über den Weg laufen mussten.
 

„Setz dich.“

Kaoru klang außergewöhnlich sanft und war das Sorge in seiner Stimme? Ruki zog eine Braue in die Höhe und warf einen Blick zu Uruha, bevor er näher zum Raum trat. Das schwere Tuch davor war nur teilweise geschlossen und erlaubte dem Rothaarigen, Kyō und Kaoru zu sehen, die sich in einer ungewöhnlichen Pose befanden.

Der Blonde saß auf dem Bett, den Kopf in den Nacken gelegt. Er trug seine Roben noch – immer hatte er eine Extrawurst, dieser Bastard! – doch er hatte den oberen Teil von den Schultern gestreift, so dass sie nun, vom Gürtel gehalten, um seine Taille lagen. Darunter trug er ein hautenges, beiges Oberteil ohne Ärmel. Gegen die hellen Farben seiner Kleidung stachen die dunklen Striche seiner tätowierten, vor der Brust verschränkten Arme umso stärker ab. Ruki konnte sich nicht erinnern, jemals Hoheelfen mit derart vielen Zeichnungen gesehen zu haben.

Aber – wie beeindruckend sie auch sein mochten – die Tattoos waren nicht das, was Rukis Augenmerk fing. Es war das Blut, das aus Kyōs Nase tropfte und über sein Kinn gelaufen sein musste, denn es gab Flecken auf dem Gewand. Kaoru stand zwischen den Beinen des Blonden, die Stirn in besorgte Falten geworfen, als er den Kopf des Kleineren behutsam nach vorne führte, wobei er den Lappen aus der Schüssel gegen die Nase presste.

Allein der Fakt, dass Kyō sich so widerstandslos fügte, machte Ruki sprachlos. Und um ein Haar wäre er genau damit heraus geplatzt, doch wie praktisch immer rettete ihn Uruha und sein Gefühl für Takt.

Das Meerwesen hatte sich geräuspert und damit gezeigt, dass die beiden Hoheelfen nicht mehr unter sich waren. Man konnte sehen, dass Kyōs Schultern an Spannung gewannen, aber das taten auch Kaorus Finger im Nacken des kleinen Mannes und so blieb dessen Kopf unten.

Kaoru hingegen sah die beiden Zuschauer über seine Schulter hinweg an. Die Lippen waren zu einem angestrengten Lächeln erhoben und es war recht offensichtlich, dass der Hoheelf lieber mit seinem Herrn allein wäre. Aber Kaoru war genauso taktvoll wie Uruha und so blieb die Situation genau so, wie sie war.

„General. Es ist schön, zu sehen, dass Ihr wieder bei uns seit.“

Das Meerwesen senkte dankend den Kopf, tat dann einen Schritt näher.

„Benötigt Ihr unsere Hilfe?“

„Nein, dennoch danke der Nachfrage.“

Die Antwort war schnell gewesen und sie war das, womit die beiden Generäle gerechnet hatten. Und wo jeder andere am scharfen Tonfall erkannt hätte, dass das Gespräch nun vorüber war, hakte Uruha sacht nach.

„Er blutet, Kaoru.“

„Er ist nicht verwundet, wenn Ihr das impliziert, General.“

»Er ist anwesend«, mischte sich Kyō gereizt in das Gespräch ein. »Und er hätte gerne etwas Freiraum.«

Eine derart pampige Aussage von den Lippen des Hoheelfen war ungewöhnlich, weswegen Uruha die Brauen zusammen zog.

„Das du blutest, hat das etwas mit dem Ritual zu tun, dass ich gewirkt habe, um Aoi zu finden?“

»Nein.«

„Was ist es dann?“, fragte Uruha erneut und Ruki war überrascht, dass sein Meerwesen so verbissen war – wo war das Taktgefühl hin, dass er eben noch so gelobt hatte?

„Ihr solltet es ihnen sagen.“

Kaorus Vorschlag war behutsam und ließ Kyō mit den Zähnen knirschen. Ruki war sich ziemlich sicher, dass sie aus dem Mann nichts heraus bekommen würden und er hatte Recht. Kyō schwieg eisern, sodass Kaoru leise seufzte, bevor er sie ansah und leicht den Kopf schüttelte.

„Ich bitte Euch, nun zu gehen.“

Sie fügten sich; senkten die Köpfe und zogen sich zurück. Und derweil Uruha an seiner Seite einfach nur verwirrt aussah, triumphierte die kleine Stimme in Ruki, die Kyō den Mittelfinger entgegen streckte.

'Gotcha, du Arschloch!'

Ruki hatte die Zeichen richtig gedeutet. Etwas stimmte mit Kyō nicht. Nun galt es nur noch heraus zu finden, was es war.
 

~~~~~
 

Seit Ari erwacht war, saß er auf dem Bett, die Knie angezogen und starrte an die Decke.

In einem zweiten Bett lag Kai. Er schlief und Ari hielt es für das Beste. Dennoch konnte er sich nicht helfen, bei jeder vermuteten Regung zu diesem zu blicken.

Er war heiser gewesen, als sie am Heiligtum angekommen waren; jetzt fühlte er sich erholt und er hoffte inständig, dass es Kai ebenso gehen würde.

Ari versuchte seine Gedanken so eng beisammen wie möglich zu halten; er befürchtete, sich sonst an die Hysterie zu verlieren und das würde Kai nicht helfen. Sein Freund brauchte eine Schulter, einen Fels, etwas das ihn konstant hielt und ihm erklären konnte, was passiert war. Der ihn – wenn die Zeit gekommen war – zu Aoi brachte.

Der Blonde grub eine Hand in sein Haar, starrte zu dem Liegenden.

Er wusste immer noch nicht, was er ihm sagen sollte.

Er konnte doch unmöglich mit der vollen Wahrheit aufwarten und Kai in aller Grausamkeit erzählen, was sich abgespielt hatte.

Verdammt, er selbst war sich ja nicht einmal sicher, ob es so gewesen war.

Aber Hizumi war bei ihm gewesen und ihre Erinnerungen deckten sich.

Der Fenir hatte ihm die Schulter gedrückt und ihm gesagt, dass er für einen Menschen gar nicht mal so übel war. Er war stark, dass waren die genauen Worte gewesen, sonst hätte er nicht überlebt.

Ari schnaubte.

Er fühlte sich nicht stark. Er fühlte sich wie ein totaler Versager.

Und dabei war er sich so sicher gewesen, in seinem Handeln, in seinen Worten, nachdem Hizumi ihn aus diesem elenden Kasten herausgeholt hatte. Kulareth hatte sich Tsukasa wie einen Sack Kartoffeln über die Schulter geworfen, nachdem dieser etwas Blut von ihm genommen hatte. Ein Stück waren sie gemeinsam gegangen, dann hatte der Blutdämon eine Spalte gesehen, die ihn und Tsukasa relativ bequem nach draußen bringen konnte.

Er und Hizumi waren weiter gegangen; sie hatten einen Weg gefunden. Denselben Weg, den Zero und Kai auch gegangen sein musste.
 

Der Fenir konnte eine Fäulnis riechen, wie sie nur von Todesmagie stammte und die die feinen Haare auf Aris Armen aufstellte. Die Präsenz von etwas Bösem, von Zero, war hier so stark, dass dem Blonden flau im Magen war. Sie erwarteten hinter jeder Biegung auf den Geist zu treffen.

Der Donner ohne Hall war unvermittelt, ebenso wie das Erdbeben, das den Berg erfasste. Hizumi fluchte heiser und packte seinen Arm mit knochenbrechender Kraft. Ari war ziemlich sicher, dass er einen heftigen Bluterguss zurück behalten würde und dennoch tat er keinen Laut, der über ein gepresstes Zischen hinausging. Mit einer kraftvollen Bewegung brachte der Fürst sie beide gegen die Wand, ihre einzige Deckung, bevor Licht den Gang erhellte, so grell, dass es Ari noch hinter seinen zusammen gepressten und mit dem Arm geschützten Lidern schmerzte. Die Luft wurde dünner; so als wären sie mit einem Mal im Himmel, etwas das Ari durchaus gewöhnt war, aber mit diesem plötzlichen Auftreten ließ es ihn erstickt keuchen und selbst Hizumi hatte Schwierigkeiten, Luft zu holen. Das Licht war noch nicht ganz versiegt, da rasten die magischen Flammen den Gang hinab. Hizumi sah sie als Erster, Ari war noch immer geblendet und nahm lediglich eine verschwommene Suppe aus Farben wahr.

Ihm war schwindlig und er stolperte mehr hinter Hizumi her, denn dass er diesem folgte, als dieser harsch an seinem Arm zog und sie zurück drängte. Einige Schritte entfernt lag eine Nische, in die er Ari und sich nun zwängte; der Fenir passte nicht ganz hinein, ein Teil es Rückens blieb unbedeckt. Hizumi offenbarte seine Schwingen unter einem peitschenden Knall, legte sie einem Schild gleich vor ihr Versteck. Sie waren in vollkommene Finsternis gehüllt, was das Kreischen des Feuers nur umso schlimmer machte. Ari vermochte verbrannte Haut und angesengte Federn zu riechen und ihm war danach, den Arm des Vogelfreien zu packen, um ihnen beiden einen Sinn von Nähe zu geben.

Doch Ari unterließ es, obgleich Hizumi in unterdrücktem Schmerz grunzte.

Draußen war es still geworden, dennoch wartete Hizumi noch einige Zeit, bevor er seine Position aufgab und sich vor der Nische aufrichtete. Der Blonde folgte und strich sich das Haar aus der Stirn, musterte Hizumi, ohne ersichtlich schwerwiegende Verletzungen zu finden.
 

Sie blieben einen Moment stehen, um nachzusehen, ob der Weg noch vorhanden war. Staub lag in der Luft, so dicht, dass es schwer war, mehrere Meter weit zu sehen. Ari strich mit den Fingerspitzen über die verbrannten Wände; die darauf zurück gebliebene Asche war silbrig, glänzte.

„Hier lang.“

Ein paar Brocken, waren in den Weg gefallen, herab gebrochen von den nicht stabilen Teilen des Tunnels, aber es war ihnen möglich, sich daran vorbei zu drängen. Kurz darauf wurde der Weg steiler und am Ende erreichten sie etwas, dass vielleicht einmal ein Plateau gewesen sein mochte.

Große Felsen waren hier hinab gestürzt, die Wände voller Risse, unzählige kleine und einige so breit, dass sie Ari nicht mit einer Hand bedecken konnte. Er sah nach oben; musterte die Decke. Es war unmöglich zu sagen, wann sie einstürzte.

Hizumi war weiter in den Raum hinein gewandert.

„Ari.“

Der Blonde sah in Richtung des Fenirs; dieser hockte am Boden, vor einem schwarzen Fleck. Als Ari näher kam, erkannte er, dass sich die Oberfläche bewegte. Wie Öl rollte sie behäbig von Seite zu Seite, ganz so, als wären sie auf einem Boot. Er berührte sie sachte mit einem Schuh, was sie mit einem satten Schmatzen quittierte.

„Die Flammen haben hier ihren Ursprung.“

„Wo ist ihr Träger? Wo ist Aoi?“

Ari befürchtete, mit der Stiefelspitze genau in ihm zu stehen. Hizumi sah sich kritisch um, wies dann in eine Richtung, die in das Freie führte. Dazwischen ragten Reste, von etwas, dass einmal Säulen gewesen sein mochten, gebrochen in die Höhe.

„Ich schätze dort drüben. Die Druckwelle hat sich von hier in alle Richtungen ausgebreitet und das ist der einzige Ort, wo sie einen Körper hätte hin schleudern können. Wenn es woanders wäre, hätten wir bereits Blut und Knochen gefunden.“

Der Blonde presste die Lippen zusammen. Kai war möglicherweise hier gewesen. Er hätte ohne Schutz keine Chance gehabt.

Der Fürst erhob sich und Ari folgte. Schon in der Nähe der Schlucht waren Wind und Kälte kaum auszuhalten; Aris Finger und Zehen waren taub, doch er biss die Zähne zusammen. Er war es, der einen schmalen Pfad fand, den man hinab steigen konnte, worauf Hizumi anerkennend nickte.

Hinter ihnen rumpelte es. Sie fuhren beide mit dem gleichen Gedanken herum; die instabile Decke hielt dem Druck nicht mehr stand.

Umso überraschter waren sie, Zero gegenüber zu stehen. Der Geist war mit Dreck und Blut besudelt, sein linker Arm hing nutzlos an seiner Seite, ein Auge war stark zugeschwollen. Und er war zornig. Ohne einen Herzschlag zu zögern, hob er die rechte Hand, um welche Zwei Ketten geschlungen waren, an denen ein seltsam geformtes Objekt hing. Keiner der beiden Männer erkannte es; wohl aber die schwarzen Flammen, die daraus schlugen und direkt auf sie zurasten. Hizumi zerrte Ari grob zu sich, und brachte seine Schwingen zum Schutz um sie, doch die Magie traf sie nicht. Stattdessen krachte sie einige Meter vor ihnen in die Decke und brach einen Felsen aus dieser, der ihren Rückweg effektiv abschnitt.

Hizumi bezweifelte, dass es das war, was Zero im Sinn gehabt hatte, aber es beendete eine Konfrontation, bevor sie beginnen konnte und gab dem Geist die Möglichkeit zur Flucht.

Der Fürst fluchte. Das wäre die Gelegenheit gewesen!

Er trat gegen den Brocken, starrte ihn einen Moment an, als würde allein sein Blick genügen, ihn zu schmelzen und erst Aris Stimme holte ihn zurück. Der Mann war blass, wirkte aber alles in allem recht gefasst, abermals dem Geist begegnet zu sein. Trotzdem waren die Brauen des Grünäugigen zusammen gezogen, was auch Hizumi die Stirn runzeln ließ.

„Was ist?“

„Er war verletzt.“

„Ja und?“

Hizumi ging davon aus, dass Ari wohl kaum Mitleid empfand, also musste es etwas anders sein, dass ihn irritierte.

„Als ich ihm das letzte Mal begegnet bin, konnten Tsukasa und ich ihn nicht verletzten. Unsere Waffen haben ihn durchschnitten, als wäre er Luft.“

„Was hat sich verändert?“

Ari hob die Schultern.

„Tsukasa sagte, dass Zero nur seine Form halten und in Bewegung bleiben kann, weil er von der Symbiose mit Karyu und dem Artefakt der Zeit zehrt.“

Hizumi brummte nachdenklich.

„Vielleicht hat es etwas mit Aoi zu tun. Wenn sie gekämpft haben und Zero dessen Magie absorbiert hat, könnte ihn das verwundbar machen. So etwas Mächtiges ist nicht leicht zu zähmen und hat mit Sicherheit einen Tribut gefordert.“

Ari nickte und machte sich daran, den Pfad hinab zu steigen. Es war schwer und er konnte kaum sehen, aber sie mussten Aoi finden und einen anderen Weg gab es nicht. Hizumi folgte ihm, nachdem er magische Lichter erschaffen hatte; ohne Zweifel für Ari, der dankend nickte.

Der Pfad führte nicht tief hinab und er endete auf einem Felsvorsprung, der vielleicht einige Meter maß.

Dort, nahe am Rand saß der Geliebte Aois und hielt den Herrscher Kistaras in den Armen.
 

„Kai“, wispere Ari gebrochen. Tränen brannten ob des Anblicks in seinen Augen und nach einem Moment stürzte er an die Seite seines Freundes, streckte die Hände nach ihm aus. Er hatte ihn noch nicht ganz berührt, da öffnete der Mensch den Mund und schrie.

Ari musste seine Ohren bedecken, bis es vorbei war.

Hizumi ließ sich auf der anderen Seite der beiden Gesuchten nieder; sein Augenmerk lag auf dem Dämon, doch er konnte unmöglich sagen, ob dieser überhaupt noch atmete.

Sein Gesicht und Teile seines Leibes lagen gegen Kais Körper verborgen. Das was man an Haut und Fleisch sehen konnte, war aufgerissen, zerschrammt und verletzt. Fetzen von Kleidung hingen um die Wundränder, Blut war auf den Boden gelaufen und hatte den Untergrund dunkel gefärbt. Hizumi presste die Lippen zusammen, ignorierte den weiteren Schrei von Kais Lippen und griff nach Aois Handgelenk.

Es war warm und dort wo die Finger des Fürsten auflagen, glomm die Haut in einen warmen, bronzenen Ton. Hizumi fühlte sich augenblicklich beruhigt; wie ein Kind, dass von seiner Mutter im Arm gehalten wurde.

Das Ritual der Genjai.

Uruha.

Der General hielt den Herrscher am Leben. Hizumi erlaubte sich ein leises Seufzen der Erleichterung. Wenn das Ritual aktiv war, dann war es nur eine Frage der Zeit, bis die Generäle hier sein würden. Hoffentlich hatten sie Hoheelfen dabei. Aoi würde sie bitter benötigen.

Und als ob sein bloßer Gedanke die fraglichen Personen beschworen hatte, kam der Mund Kistaras den gleichen Pfad hinab, den auch sie genommen hatten. Der Langhaarige war verändert. Es fiel Hizumi sofort auf, doch er kommentierte es nicht. Er wollte Uruha nicht von seinem Ziel ablenken. Dem Meerwesen folgten die anderen Generäle und – zu Hizumis Erleichterung – Kaoru und Kyō.

Aois Leben war so gut wie gerettet.

Umso irritierter war er, als die Gruppe einfach stehen blieb und nur Uruha näher kam und bei ihnen in die Knie sank. Ari erging es genauso, der Fürst sah es an dessen Blick.

Was, zur Hölle,...?

Uruha sprach. Ruhig, bestimmend, in einem Tonfall und einer Stimme, die nicht ganz der Mund des Herrschers waren. Es erinnerte eher an Aoi? Der Fenir runzelte die Stirn. Was es auch war, Kaoru folgte dem Wort ohne Gegenwehr. Kai hingegen weigerte sich und Hizumi könnte schwören, das er Zorn in den dunklen Tiefen des Meerwesens aufflammen sah. Einen Moment später fand sich Kai hysterisch in seinen Armen wieder und Ari rutschte hektisch zu ihnen beiden, versuchte Kai durch Wort und Berührung zu beruhigen. Es gelang nur minimal, aber immerhin konnten Uruha und Kaoru nun mit der Heilung beginnen.
 

Danach waren sie hier her gekommen. Ins Heiligtum der Fenir. Was Ari in die jetzige Situation brachte.

Der Blonde seufzte schwer und fuhr sich abermals durch das Haar. Es war inzwischen vollkommen wirr, doch er konnte damit nicht aufhören. Er fluchte leise und erhob sich mit einem Ruck vom Bett, ging dazu über, durch den Raum zu laufen. Hin und her. In regelmäßigen Abständen blieb er stehen, sah auf Kai hinab, fasste dessen Finger, drückte sie behutsam.

Nichts, der Mensch erwachte nicht.

Und auch wenn Ari dessen Schlaf für sinnvoll hielt, er begann sich zu Sorgen. Es waren nun schon Stunden und Priester, die nach ihnen sahen, hatten dem Grünäugigen bestätigt, dass der Rest der Gruppe unversehrt und bei Bewusstsein war. Kai brauchte Flüssigkeit und Nahrung und er musste seine Glieder bewegen. Zwar hatte Kaoru Wunden und erfrorene Stellen an Fingern, Zehen und Beinen geheilt, aber Kai würde fühlen, dass da etwas gewesen war.

Gerade entschied er, dass er gehen würde, um jemanden zu holen, da traf er genau im Eingang auf Die. Sie wären um ein Haar zusammengeprallt, weswegen Ari automatisch die Arme hob, um den zurück strauchelnden Traumtänzer zu stabilisieren.

„Die.“

Sie kannten sich nicht, aber Ari wusste, wer der andere Mann war und was er für Gaben hatte. Ihm antwortete ein unsicheres Lächeln.

„Ari“, grüßte der Rothaarige langsam, sah ihn dabei prüfend an, wohl um an seiner Reaktion zu sehen, ob er seinen Namen richtig aussprach. Ari nickte leicht und das Lächeln weitete sich ein wenig.

„Du siehst erholt aus.“

„Ich nehme an, das habe ich dir zu verdanken.“

Die nickte leicht.

„Hohepristerin Maikira sagte, dass es wichtig war, euch allen Ruhe zu schenken. Jeder von euch ist auf seine eigene Art traumatisiert und mein Zauber gab euch die Chance einige Stunden tief und ohne Träume zu schlafen.“

„Ist das der Grund, weswegen Kai noch schläft?“

Der Rothaarige summte, trat an das Bett des Ruhenden und ließ sich behutsam auf der Kante nieder. Er griff sorgsam nach den Fingern, strich leicht darüber, wie als wollte er sie wärmen.

„Kais Geist und Seele sind zerbrechlicher, als die euren. Er ist ein Mensch...“

„Das bin auch“, unterbrach Ari sanft, die Brauen leicht zusammengezogen und Die nickte abermals, sah zu ihm auf.

„Das ist wahr. Aber du wurdest hier geboren, in Kistara. Du bist mit der Welt, ihrer Magie und ihren Schrecken vertraut. Kai nicht. Außerdem ist das nicht der einzige Grund.“

Ari schloss die Augen. Die sprach es nicht aus, aber der Blonde wusste dennoch, worauf dieser hinaus wollte. Kai war bei Zero und Aoi gewesen, als es zum Kampf gekommen war. Er hatte es mit ansehen müssen. Wie Aoi unterlag, wie ihm seine Magie entrissen wurde.

Kai war der Geliebte Aois.

Und auch wenn Menschen nicht wie die Dämonen oder Elfen lieben konnten, so gab es doch Bände und Emotionen, die es unmöglich machten, sich so etwas nur vorzustellen.

Kai hatte es gesehen. Und er hatte Aoi gefunden, hinterher.

Ari würgte trocken.

Dennoch, sein Freund musste erwachen.

„Kannst du ihn aufwecken?“

„Aus diesem Grund bin ich hier. Er muss erst verstehen, bevor er Aoi sehen kann.“

„Aoi? Hast du ihn gesehen? Mit ihm gesprochen?“

Die keimende Hoffnung in Aris Brust wurde von dem Kopfschütteln jäh nieder getreten.

„Nein. Niemand außer der Hohepristerin ist bei ihm. Es ist keinem anderen Wesen gestattet. Nicht einmal der Hand, was diese sehr erzürnt hat.“

„Aber sie kann ihm helfen?“

„Das hoffen wir alle inständig.“

Der Grünäugige presste die Lippen zu einem dünnen Strich, derweil sich Die wieder Kai zuwandte. Der Rothaarige strich sanft über die Stirn, ließ seine Finger, dann dort liegen.

„Wach auf, Kai.“
 

Die Lider des Braunhaarigen flatterten leicht und Aris Herz machte einen aufgeregten Satz. Er kniete sich zu Kai, damit dieser bekannte Gesichter wahr nahm, lächelte, als sich die Augen auf seine Gestalt legten.

„Du bist hier.“

Es war ein Flüstern und Ari nickte, griff nach der Hand des Liegenden, drückte sie.

„Es tut mir leid, dass ich nicht schneller war.“

Kai schüttelte leicht den Kopf, dann versuchte er sich zu erheben – beide Männer griffen behutsam ein, führten Kai, bis er aufrecht saß. Ein leises Stöhnen perlte von dessen Lippen, als er die Finger gegen seine Schläfe presste.

„Die Schmerzen werden gleich aufhören“, tröstete Die leise und Kai nickte, sah sich dann um.

„Wo sind wir hier?“

„Im Heiligtum der Fenir.“ Ari setzte sich zu Kai auf das Bett, musterte ihn. „Du hast lange geruht.“

Kai nickte leicht, blinzelte. Alles in allem wirkte er sehr gefasst. Ari und Die sahen sich besorgt an. Möglicherweise verdrängte Kai das gesamte Geschehen. Es wurde ihnen einen Moment später bitter bestätigt.

„Wo ist Aoi?“

Der Blonde drückte die Hand fester, zwang Kai so, ihm in die Augen zu sehen.

„Kannst du dich nicht mehr erinnern?“

„Erinnern?“, Kai zögerte. „An was?“

„Es gab einen Kampf. Einen furchtbaren Kampf“, sagte Die langsam, „Du wurdest verletzt. Aoi wurde verletzt.“

Kai lachte leise, unsicher, strich sich durch das Haar.

„Was soll das? Wenn ihr mir Angst machen wollt, dann ist das nicht witzig. Was soll das heißen, Aoi und ich wurden verletzt? Ich war doch in Gebik...“

Die Worte verloren sich abrupt. Ari zischte leise, als Kai seine Hand packte, sie quetschte. Er wurde schneeweiß, die Augen und Lippen öffneten sich in nacktem, blankem Entsetzen. Er konnte es sehen. Seine Atmung beschleunigte sich, fing sich. Ari führte Kai so, dass dieser mit beiden Füßen auf den Boden saß, teilte die Beine, damit er sich dazwischen knien konnte. Er packte Kai im Nacken und drückte ihn gegen seine Brust, sodass dieser seinen Herzschlag hören konnte.

„Schließe die Augen“ befahl er. „Atme mit mir. Ein. Aus.“

Er holte betont Luft, hielt Kais Kopf gegen seinen Oberkörper gepresst.

„Atme. Atme. So. So ist es gut.“

Nach und nach übernahm Kai Aris Rhythmus. Die Hysterie schwand. Dafür hoben sich Hände des Braunhaarigen und klammerten sich an seinen Freund. Ari ließ ihn. Er war der Anker. Der Fels. Er sagte es sich immer wieder. Kai begann zu schluchzen. Es war durchsetzt von einem Klagen, das Ari nie zuvor bei einem Wesen gehört hatte. Sein Bauch krampfte schmerzhaft. Seine Augen brannten. Er kniff sie zusammen, konzentrierte sich auf seine Atmung. Keine Tränen. Er musste stark bleiben. Kai brauchte ihn. Über Dies Gesicht liefen Tränen des Mitgefühls; er strich Kai sanft über den Arm und Ari ließ den Traumtänzer für sie beide weinen. Es brauchte, bis sich Kai beruhigt hatte, bis er ruhig und still gegen Ari gelehnt lag.

„Ist er am Leben?“

Die Frage war tonlos. Kai starrte an die Wand, als er sie stellte. Sein Freund löste sich behutsam und Kai vermisste augenblicklich die Wärme des anderen Körpers. Finger legten sich sanft unter sein Kinn, drehten es und zwangen ihn, in Aris Augen zu sehen. Sie waren so sicher, so standfest. Sie erinnerten ihn an Aoi und er konnte einen fragilen Halt an ihnen finden.

„Ja, er lebt“, beantwortete Ari seine Frage. „Aber es wird brauchen, bis er wieder bei dir sein kann.“

Kai nickte. Tat tiefe Atemzüge, um ruhig zu bleiben. Es war ein enger Pfad, in seinem Kopf, auf dem er sich bewegte und er befürchtete, jeden Moment davon abzurutschen; hinein in den Horror seiner Erinnerungen, die wie wütende Schlangen an den Rändern seines Bewusstseins zischten.

Er wollte sie nicht sehen.

Seinen Aoi.

Zero.

Er wollte sie nicht hören.

Die Worte die gefallen waren. Aois Zorn. Zeros Überheblichkeit.

Er wollte es nicht fühlen.

Die Angst. Den Schmerz, als er gegen die Barriere geprallt war. Es hatte ihn wie einen Blitzschlag durchdrungen. Er war von ihr immer weiter zurück gedrängt worden, als der Jikan Aois Magie gestohlen hatte, bis er am Ende an die Wand gepresst kaum noch hatte Luft holen können.

Sein Schrei.

Er hatte Aoi erreicht, aber danach war es nur noch schlimmer geworden. Licht hatte ihn geblendet, gefolgt von Hitze, Flammen, Rauch. Der Schild war gebrochen und Steine waren auf ihn herab geregnet. Ein Stück hatte seinen Oberschenkel durchbohrt und im seinem gesamten Körper war Schmerz explodiert. Er hatte das Bewusstsein verloren. Und als er wieder aufgewacht war, war es still gewesen.

„Kai?“

Ari rief ihn sanft und der Braunhaarige nickte, um zu zeigen, dass er noch bei ihnen war. Die Bilder des Plateaus wichen Aris grünen Augen. Halt. Er hatte an ihnen Halt.

„Wie...“, er hustete und Die reichte ihm ein Glas Wasser, „Wie hast du mich gefunden?“

Der Blonde half seinem Freund zu stehen. Kai musste sich bewegen und dieser folgte, ohne das Tun bewusst zu realisieren.

„Hizumi befreite mich und Tsukasa. Er und ich sind dem Weg gefolgt, den du mit Zero gegangen bist; so haben wir dich und Aoi gefunden.“

Kai nickte, runzelte dann leicht die Stirn. Er ächzte, als er einen Schritt nach dem anderen tat. Gott, warum war er so steif?

„Was ist mit Tsukasa?“ Er machte eine kurze Pause. „Den Anderen? Uruha, Ruki?“

„Es geht ihm gut. Es geht ihnen allen gut.“

Kai nickte, lächelte dann unglücklich. Allen, bis auf Aoi. Ari schenkte ihm einen mitfühlenden Blick, drückte seine Schulter.

„Auch er wird sich erholen. Er lässt dich nicht allein.“

Ja, dass wusste der Braunhaarige. Aber dieses Wissen machte es nicht leichter. Das Biest Namens Schuld kam angesprungen und biss ihm mit freudigen Knurren fest in den Unterleib. Ari sah es an seinem Blick, aber er bot keine Worte des Trosts, wofür Kai dankbar war. Es würde doch eh nicht besser werden.

„Könnt ihr mich zu ihnen bringen?“

Ari nickte, aber es war Die der sprach.

„Natürlich. Kommt.“

Der Traumtänzer trat an den Eingang und hob das Tuch. Kai hielt sich noch einen Moment an Ari, bevor er sich löste und nach draußen trat. Er keuchte überrascht, blieb stehen und auch Aris Atem fing sich voll Bewunderung. Es war schlicht wunderschön.

Gerade wollte sie sich in Bewegung setzen, da zog der Hauch des Eises über die Treppe; ein Wind, so kalt, dass er in den Lungen eines jeden Wesens schmerzte, den es berührte. Kai packte den Stoff von Aris Oberteil. Er hatte Angst. Eine Angst, die nichts mit der zu tun hatte, die er empfunden hatte, als er Zero begegnet war oder als er hatte Aoi fallen sehen. Das hier war tiefer. Furchtbarer.

„Ari?“, wisperte er, doch er erhielt keine Antwort.

Sein Atem kondensierte in der Luft, Reif legte sich über die Blüten und Ranken. Das Wasser gefror teilweise auf den Stufen, bildete bizarre Gebilde.

„Ari? Die? Was passiert hier?“

Seine Stimme hob sich mit den letzten Worten – dann erlosch alles Licht und ließ sie in völliger Finsternis zurück. Und in dieser Dunkelheit sprach Die. Ernst, wie der Schlag einer Totenglocke.

„Karyu ist erwacht.“

14

In den ersten Sekunden seines Erwachen erblickte er ein Meer aus herrlichen Farben über sich.

Sie flossen ineinander, bildeten Wirbel und Formen von rot, gelb, orange und gold. Ab und an schienen sie von einem Wind getroffen, da sie dann behäbig von der einen zur anderen Seite schaukelten.

Wind war es auch, der leicht über sein Gesicht strich und Aoi letztendlich blinzeln ließ. Die Farben schwanden, transformierten in bunte Blätter von mächtigen Bäumen.

Der Herrscher Kistaras lag in einem Wald auf weichen Moos. Sein Kopf rollte träge von rechts nach links, während er sich umsah und an einen anderen Ort erinnerte.

Aoi lächelte und tat einen tiefen, zufriedenen Atemzug. Er hatte es vermisst. Diesen Sinn für Ruhe. Das Gleiche, das er auch verspürt hatte, als er das erste Mal in Kais Welt angekommen war.

Die Erde dort war nur Erde. Sie schwieg, so wie hier.

Es gab keine starken magischen Impulse, die seinen Leib durchdrangen, gab kein fortwährendes Wispern in der Luft, dass ihm sagte, wer er war.

Diese Welt hier, sie gehörte ihm nicht. Er musste sie nicht beschützen und konnte bedenkenlos auf ihr wandeln.

Blätter dunkelroten Ahorns fielen lautlos auf ihn hinab, streiften seine Stirn und blieben neben ihm liegen. Aoi streckte die Finger, nahm eines von ihnen und hob es in die Höhe. Die Nachmittagssonne machte die zarte Membran durchscheinend. Feine Äderchen präsentierten sich dem Herrscher und er drehte es einige Male, fasziniert und gefangen von diesem Anblick.

Ein leises Klingeln, wie die Glöckchen am Seelenbaum.

Es durchdrang die Stille seiner Welt, riss ihn aus seinen Beobachtungen.

Der Dämon lauschte und setzte sich auf. Das Klingeln wiederholte sich, rief ihn, weswegen er sich fließend zu seiner vollen Höhe aufrichtete. Sein Körper wurde von einen schwarzen Yutaka umhüllt, der mit einem goldenen Obi gebunden war. Dieser und auch die Ärmel seines Gewandes waren ungemein lang. Beides glitt hinter ihm über den Boden, ohne Spuren in der Endlosigkeit aus gefallenen Laub und Moos zu hinterlassen.

Aoi lief auf Geta, traditionellen japanischen Schuhen, die ihn immer gestört hatten, wenn er sie hatte tragen müssen. Nun schwebte Aoi in ihnen dahin, bis er eine Brücke erreichte.

Behutsam legte er eine Hand auf das Geländer. Sie war aus Holz, filigran, doch schlicht gearbeitet, mit mehreren Bögen und sorgsam über dem schmalen Fluss ausgerichtet. Er trat auf und über sie hinweg, folgte dem sich dahin schlängelnden Weg. Vögel huschten über diesen, saßen in den Baumwipfeln und zwitscherten leise, als würden sie ihn begleiten.

Aoi war von dem Frieden hier berauscht, ein Mundwinkel leicht angehoben.

Alles hier war wie ein Traum, aus dem man erholt erwachte. Einfach herrlich.

Der Pfad endete und er erreichte eine Treppe aus schwarzen, glatten Gestein. Etliche Meter erstreckte sie sich monumental in die Höhe, gesäumt von Kirschbäumen, die in ihrer vollen Blüte standen. Wann immer der Wind wehte, lösten sie sich einige der zarten Gebilde, um lautlos zu Boden zu gleiten. Sie säumten seine Füße, als er die ersten Stufen hinauf schritt und als er stehen blieb, um das leicht funkelnde Gestein genauer zu betrachten.

Es hielt Muster inne, große Blüten mit unzähligen schlanken Blättern. Man nannte sie Pfingstrosen. Aoi kannte sie gut. Sie waren Kais liebste Blumen. Es hatte in seiner Wohnung immer eine Vase mit ihnen gegeben und der Dämon hatte auf Uruhas Rat hin einige Samen nach Kistara mitgenommen und sie im Garten von Lagua gesät.

Wann immer er sie sah, erinnerten sie ihn an seinen Gefährten. Auch nun keimte dies bekannte Gefühl in ihm und wie gewohnt drehte der Dämon den Kopf über seine Schulter, hoffend Kai hinter sich zu sehen.

Er blieb allein.

Ein Seufzen, dann straffe er die Schultern und schritt weiter hinauf. Die Treppe schien endlos und dennoch strengte es den Dämon in keiner Weise an sie zu erklimmen. Der Himmel über ihm war wolkenlos, die Äste der Bäume ragten über seinen Kopf, so das Rosa und Blau wundervoll miteinander kontrastierten.

Es war ein Anblick den Aoi hätte Stunden über Stunden betrachten können und er vermisste ihn bereits, als er das Ende der Treppe erreichte. Er sah über seine Schulter und blickte den Weg zurück, den er gerade gekommen war.

Aoi musste zu lange dort gestanden haben, denn das Glöckchen erklang abermals und lockte ihn weiter zu gehen.

Er folgte willenlos.

Hinter ihm fielen Treppe, Bäume und Pfad lautlos in sich zusammen, verschwanden in einem hellen Nebel, der hinter dem Dämon schwebte.

Aoi registrierte es nicht. Sein Blick blieb geradeaus gerichtet.
 

In einiger Entfernung fand er ein traditionell japanisches Gebäude, dessen Schiebetüren geöffnet waren. Dahinter ließ sich ein Steingarten erahnen und als Aoi die weitläufige Veranda betreten hatte, sah er sorgsam arrangierte Muster und Wellen. Auch diese kannte er aus Kais Welt: ein Zen-Garten.

Er vermittelte er dem Dämon Ruhe, eine Art von Frieden, die in Kistara nicht existierten konnte. Ein kleiner Pfad führte durch den Garten, vorbei an einen Wasserlauf mit hölzerner Pumpe und endete an einer Wiese. Mitten auf dieser stand ein weiterer ausladender Kirschbaum, darunter befand ein flacher Tisch mit drei Sitzkissen.

Zwei von ihnen waren bereits besetzt.

Eine der beiden Personen war hellblond und trug das Haar in einem sorgsam gesteckten Dutt, in dem ein Schmuckstäbchen steckte, eine Strähne säumte ein schmales, doch klar männliches Gesicht. Schlanke Hände ragten unter den Ärmeln des ausladenden Gewandes hervor und gossen Tee ein. Der andere Mann war ebenfalls blond, aber größer und weit rauer im Antlitz. Seine Kleidung war schlichter und ähnelte mehr der des Dämonen, doch mit kürzeren Ärmeln, die einen Blick auf kräftige Arme voller Narben preisgaben. Sein Blick war stechend, der Kiefer kantig und die Augen schwarz, ganz so wie Aois.

Der zierlichere Mann schenkte ihm ein warmes Lächeln und hob einladend die Hand.

„Willkommen. Bitte, setze dich und zelebriere mit uns einen Tee.“

Der Dämon kam der Aufforderung nach, trat näher und ließ sich auf das Kissen sinken. Er senkte dankend den Kopf, als ihm ein zierlicher Becher mit Deckel gereicht wurde. Diesen hob er an seine Lippen, trank einen winzigen Schluck. Kai hatte ihn immer ermahnt, weil er seinen Tee zu schnell getrunken hatte.

„Ich nehme an, deine Reise hier her war angenehm?“

Abermals hatte der hellblonde Mann gesprochen, weswegen Aoi leise summte, ihn musterte. Das Gesicht war ihm vertraut. Vor allem die Augen. Jenes warme Braun, auch wenn es in seiner Erinnerung immer mit einem härteren Glanz behaftet war.

Es waren Kyōs Augen die er da sah. Allerdings war der Mann vor ihm definitiv nicht Kyō. Trotzdem war er sich sicher, auch diese feinen Züge zu kennen.

Doch wo?

Wo waren sie sich begegnet?

Irritation sickerte durch seinen Geist, schwach und kaum wahrnehmbar. Irgendetwas war seltsam hier, er konnte nur noch nicht deuten, was genau.

„Wo sind wir hier? Was ist das für ein Ort?“

Wind fuhr in die Krone des Baumes über ihnen, weswegen einige Blütenblätter auf sie herab regneten – und verschwanden, bevor sie das Haupt der beiden ihm gegenüber sitzenden Männer berührten.

„Dies hier ist, was du erschaffen hast“, erhob der kantige Mann zum ersten Mal das Wort. Seine Stimme war dunkel, rau und klang unangenehm. „Es sind Gedanken und Erinnerungen, mit denen du Einklang und Harmonie verbindest.“

„Demnach ist es nicht real.“

„Es ist so wirklich, wie du es gerne willst“, entgegnete der zierliche Mann. Die Worte waren melodiös, wenn er sprach, weich und fließend wie Wasser.

Aoi nippte abermals an seinem Tee und genoss den Geschmack. Genau so bereitete Kai ihn auch immer zu.

Zeitweilig herrschte Schweigen zwischen ihnen und Aoi studierte die beiden Männer mit leicht gerunzelter Stirn. Die von ihm gesuchte Erinnerung entfloh ihn immer wieder.

„Ich kenne euch“, sagte er schließlich.

Sanftes, melodisches Lachen erfüllte die Luft statt einer Antwort. Der zierliche Mann legte die Finger in einer vornehmen Geste vor das Gesicht, um ein Lächeln zu verbergen, das wirklich bildhübsch war. Doch Aois milde Irritation wuchs dadurch nur an. Er mochte es nicht sonderlich, wenn man lachte, ohne seine Fragen zu beantworten. Der andere Mann warf dem Zierlicheren einen strengen Blick zu, auf welchen dieser entschuldigend den Kopf senkte und die Hände wie ein Porzellanpüppchen übereinander legte.

„Bitte verzeih mir. Ich konnte nicht an mich halten“, erwiderte er.„Wir dürften dir lediglich aus Schriften und Bildnissen vertraut sein. Das ist Kova. Ich bin Hina.“

Kova und Hina.

Die Legenden.

Der erste wahre Herrscher Kistaras und der mächtigste Hoheelf den Kistara je gesehen hatte. Hina hatte den Todesengel Karyu gebannt, Aoi kannte die Lieder, war mit jedem Wort der Schriften vertraut.

Kova hatte den Frieden ins Land gebracht, indem er die Schleier geschlossen und die Gesetze geschaffen hatte. Er hatte die Generäle ins Amt gerufen und den Zauber geformt, der Aois Wachstum aufgehalten hatte, bis er die seinen gefunden hatte. Kova hatte Zero besiegt und so ermöglicht, das Hina nah genug an Karyu heran gekommen war. Er war ein Ideal nach dem Aoi viele Jahre gestrebt hatte.

Nun saß er ihnen gegenüber, trank mit ihnen Tee und begriff, dass sie so normal wie er selbst waren. Es machte ihre Taten nicht weniger beeindruckend, doch es nahm etwas von ihrer gar göttlichen Präsenz. Es stellte sie und ihn auf die gleiche Stufe.

Und es machte seinem erwachenden Geist bewusst, dass es diese Situation so nicht geben konnte. Behutsam stellte er seine Tasse ab, musterte beide Männer eindringlich.

„Ihr seit tot.“
 

„Wie scharfsinnig“, kicherte Hina amüsiert, „Ich sehe, der Schlag auf den Kopf hat deinem Denkvermögen keinerlei Abbruch getan.“

Der Herrscher Kistaras schnaubte leise. Er konnte dem Ganzen nur wenig humorvolles abgewinnen, sah aber ein, dass dies offensichtlich Hinas Wesen war.

Mit neu erwachtem Auge studierte er seine Umgebung ein weiteres Mal.

Es hätte ihm bereits zuvor auffallen müssen. Diese Welt, sie war zu perfekt. Alles in ihr schien sich nach Aoi zu richten, um ihn so besänftigt wie nur irgend möglich zu halten. Es war viel mehr als einfache Erinnerungen. Das Glöckchen ertönte und als Aoi suchte, entdeckte er es, an einer roten Kordel befestigt, in den Zweigen des Kirschbaumes. Genauso eines hatte auch in Kais Fenster gehangen.

Sein Geliebter war hier überall, jedes Detail schrie nach ihm – nur der Mann selbst war nicht anwesend und Aoi fragte sich, warum dem so war.

Wieso hatte er sich nicht Kai geschaffen? Sondern Kova und Hina? Es musste einen Grund geben.

Er nippte erneut an seiner Tasse und bedachte die beiden Männer über ihren Rand hinweg mit einem langen, ernsten Blick.

„Warum seid ihr hier?“

„Weil du es so wolltest“, entgegnete der Hoheelf sanft, „Du hast Fragen und suchst nach Antworten, die dir Kai nicht geben kann.“

Aois Stirn zog sich zusammen.

„Welche Art von Fragen?“

„Das weißt nur du allein.“ Kovas dunkle Augen fanden die seinen und hielten sie gefangen. Es war hypnotisch, wirklich. „Konzentriere dich auf dein Ziel. Suche danach, dann wirst du deine Frage finden.“

Aois atmete tief ein und beruhigte seinen Geist. Er dachte nicht bewusst nach, sondern ließ es fließen, im Einklang mit seiner Umgebung. Es brauchte nicht lange, da fand er etwas, das ihn drängte, es näher zu studieren und zu erkennen, warum er hier war. Der Herrscher trat einen Schritt darauf zu und streckte die Fingerspitzen danach aus, berührte es und wusste seine Frage klar zu formulieren.

„Wie besiege ich Zero?“

Hina legte den Kopf interessiert auf die Seite.

„Das ist eine verblüffend“, stellte er fest und Kova brummte zustimmend auf die Worte. „Ich hätte damit gerechnet, das du nach Karyu fragst. Ist er für dich nicht die wesentlich größere Gefahr?“

Aoi zog die Brauen zusammen, schwieg.

Ja, warum?

Hina hatte recht, er sollte sich mehr Gedanken um Karyu machen, als um Zero. Die Kräfte des Geistes waren zwar außergewöhnlich mächtig aber Karyu konnte – und würde – die Schleier einreißen. Er würde die Welten fusionieren und so Kistara, die Erde und etliche andere Zivilisationen dem Untergang weihen.

Weswegen war es ihm also wichtiger, Zero vernichtet zu wissen?

Lag der Ursprung für dieses Verlangen in der Schmach seiner Niederlage?

Abermals runzelte sich seine Stirn, überlegend, bis er von einem ungewohnten Geräusch aus seinen Gedanken gerissen wurde. Irritiert sah er sich um, bis sich der Laut wiederholte.

Ein Lachen.

Das Lachen eines Kindes.

Aoi erhob sich, ließ den Blick schweifen. Unweit von ihnen fiel die Landschaft ab, glitt einem Wasserfall gleich aus Blüten und Gras den Abhang hinunter. Dort, wo es ebener wurde, tobten die Kinder. Es waren sechs, nein, sieben.

Sie jagten nach den großen Schmetterlingen, rannten hintereinander her, oder rollten sich durch das Gras. Sie waren befreit von allen Zwängen und Ängsten, von aller Verantwortung, die Erwachsene plagte.

Es war schön zu beobachten und zu wissen, dass für sie die Sonne tatsächlich so hell und rein strahlte, wie sie am Himmel stand und deren Wärme Erwachsene nicht mehr richtig wahrzunehmen wussten.

Aoi seufzte leise, als er ihnen zusah, fest davon überzeugt, dass ihre positive Energie das war, was sein Unterbewusstsein dazu bewegt hatte, sie in diese Welt hinein zu projizieren.

Bis eines der Kinder den Kopf hob und direkt in seine schwarzen Augen starrte. Aus Iriden die so bekannt, so zeitlos waren, dass es Aoi für einen Moment den Atem stahl.

Kyō.

Er würde ihn überall wieder erkennen.

Nur was tat er hier?

„Zero und Karyu sind nicht die Antwort auf deine innersten Fragen, Aoi. Sie mögen eine Bedrohung für dich, dein Land und deine Familie sein, doch er ist hier, dir die Antworten zu schenken, die er in der realen Welt niemals über die Lippen bringen würde. Er ist hier, damit ihr über Vergangenes sprechen könnt. Eine Wunde in dir, eitrig und unfähig zu heilen.“

Hina war an seine Seite getreten, lautlos wie der Geist, der er war. Auf seinen Zügen lag ein zärtliches Lächeln, als er Kyō einen Moment beobachtete und dann die Hand hob, um seinen Sohn zu ihnen zu rufen. Kyō folgte augenblicklich, ließ die anderen Kinder hinter sich.

„Wähle weise, was du ihn fragst.“

Aoi nickte seicht, weswegen Hina sanft seinen Unterarm drückte. Ihre Blicke trafen und hielten einander.

„Eine Antwort möchte ich dir noch geben, der Ruf des Vergangenen, der bleiben wird, auch wenn du erwachst: Zero ist der Puppenspieler, Karyu die Puppe. Trenne die Fäden, die die beiden miteinander verbinden, doch zerreiße sie nicht, forme sie neu. Mehr kann ich dir nicht mit auf den Weg geben, Herr über Kistara. Wir waren hier, um dir Kraft zu geben, dir zu zeigen, dass du ebenso Großes vollbringen kannst, wie wir es getan haben. Wenn du uns in deinem Herzen mit dir führst, dann wird es dir gelingen Zero und Karyu von Angesicht dieser Welt zu tilgen.“

Aoi senkte den Kopf, erwies den beiden Männern seinen Respekt.

„Es war mir eine Ehre, euch kennen zu lernen.“

Der Hoheelf und auch Kova spiegelte die Geste. Hina legte eine schmale Hand auf Kovas Brust, derweil dieser lose einen Arm um den schlankeren Mann schob.

„Denk an meine Worte und sei wachsam, Aoi. Kistara wird großes Leid erfahren und es mag der Augenblick kommen, an der alle Hoffnung versiegt. Dein Herz wird zerreißen, aber es wird schlagen. Und solange es dies tut, ist nichts verloren. Vergiss das niemals.“
 

Sie schwanden, lösten sich in einem sanften Sturm von Blüten und Funkeln auf und nahmen mit sich die gesamte Welt. Sie schmolz unter Aois Füßen, fiel in sich zusammen wie ein Gemälde, das mit Wasser überschüttet worden war. Das Lachen der Kinder wurde schwächer, entfernte sich und verstummte am Ende ganz.

Was zurück blieb war Schwärze.

Und Kyō.

Die kindliche Version des Hoheelfen glühte sanft von innen heraus, die einzige Quelle an Licht, die noch existierte. Seine Augen waren auf ihn gerichtet, die Pose entspannt.

Der Dämon straffte seine Schultern und ging die wenigen Schritte, die ihn von dem Hoheelf trennten. Der Kopf des Kindes hob sich, um ihn direkt ansehen zu können, klar wartend, das Aoi das Gespräch begann. Er würde ihm seine Fragen offen beantworteten. Nicht in Rätseln und kryptischen Worten verpackt oder in kleinen Brocken vor seine Füße gespuckt, immer nur gerade soviel, wie Aoi wissen musste, damit Gefahren von Kistara abgewandt wurden.

Hier in dieser Welt die Aoi für sich selbst erschaffen hatte würde er offen sein – vielleicht zum ersten Mal. Hinas Worte entsprachen der Wahrheit. Hier ging es nicht um Zero oder Karyu oder Kistara.

Hier ging es nur um Aoi und seine Wunde, die nicht aufhörte zu bluten. Seine Lippen öffneten sich und stellten die Frage, die er sich in hundertern von dunklen Nächten gestellt hatte, die seit diesem Tag vergangen waren und die nicht einmal Kai hatte wirklich erhellen können.

„Warum hast du es getan, Kyō? Warum hast du ihn mir entrissen? Du wusstest, dass ich ihn liebe, dass ich ihn zu meinen Gefährten ernennen wollte – warum mein Engel?“

Das Kind vor ihm blinzelte ob des deutlichen Schmerzes in der Stimme nicht einmal, sah ihn einfach an und antwortete: „Es war notwendig, um Kistara zu retten.“

Seine Stimme war leise, melodisch, ähnlich der von Hina, ihr Klang so sanft, dass jedes Wort verzaubert schien.

„Das ist nicht wahr!“, zischte Aoi, plötzlich ebenso aufgebracht, wie in dieser Nacht, „Er hatte damit nichts zu tun!“

„Du verleugnest die Fakten, mein Fürst. Der Engel war alles, das ihnen fehlte. Sie hätten ihn benutzt, um Kistara zu zerstören. Das konnte ich nicht zulassen. Es war meine Pflicht.“

„Wir hätten einen anderen Weg gefunden“, erwiderte Aoi bitter, derweil er vor dem Hoheelfen in die Knie sank,“Du hättest nur mit mir reden müssen.“

„Aber das habe ich doch getan,“ Kyōs kleine Hand hob sich und legte sich auf Aois Wange, die Berührung seltsam beruhigend und warm,“Du wolltest es nicht hören, Aoi. Du warst der Überzeugung, ihn zu schützen und Kistara retten zu können. Es war nobel und großmütig, doch es hätte nicht funktioniert.“

Aoi starrte in die dunklen Augen.

„Wie kannst du dir so sicher sein?“

Die Finger wanderten langsam über seine Wange, hinauf zu den Augen und schließlich zur Stirn, wo sie im Zentrum stehen blieben.

„Weil ich es gesehen habe.“

Aois Herzschlag setzte aus.

Er hatte es gesehen? Das hatte er nicht gewusst. Oder hatte er einfach nicht gut genug zugehört, verblendet von Zorn? Kyō sprach weiter, wobei er ihn eindringlich ansah, als müsse er Sorge tragen, dass Aoi jedes Wort registrierte und verstand.

“Ich sah, wie sie dich zerstören würden und Kistara ebenfalls. Das konnte ich nicht zulassen. Für mich gibt es nichts, dass wichtiger als Kistara ist. Um es zu retten, würde ich alles machen. Immer wieder und egal, welche Konsequenzen das für mich hat. Auch nun, da sich die Vergangenheit wiederholt.“
 

~~~~~
 

Reita saß im Schneidersitz auf der Brüstung eines kleinen Balkons und starrte in den Horizont. Sein linker Arm ruhte auf seinem Oberschenkel, der rechte führte ein Messer, dessen Spitze sich immer wieder in das grob gehauene Gestein bohrte und kleine Splitter aus diesem schlug. Der Geist war hier hoch gekommen, um seine Gedanken zu sortieren, doch sie sprangen noch immer umher wie eine ungezähmte Bande von Kobolden.

Aoi und Zero.

Kai und Tsukasa.

Kistara.

Das Artefakt der Zeit.

Sein Versagen.

Kai wäre Zero nicht in die Hände gefallen, wenn er bei Tsukasa geblieben wäre. Und dann wäre diese ganze Scheiße nicht passiert. Das jedenfalls schrie sein Herz, sein Kopf konterte indes klar und nüchtern, dass es andere Aufgaben für ihn gegeben hatte.

Aber was hatten diese Befehle genutzt? Nichts und wieder nichts.

Reita seufzte schwer und fuhr sich durch das Haar. Bei Kova, er redete sich Dinge ein, die gar nicht stimmten! Seine Befehle waren gut gewesen, logisch, in Anbetracht der damaligen Situation. Es war Wunschdenken, sich die Schuld an dem Desaster geben und zu hoffen, dass es ihm danach besser ging. Es wäre der einfache Weg und der war wesentlich bequemer zu bestreiten, als sich einzugestehen, dass er in Wahrheit ein ganz anderes Problem hatte.

Er wollte Kai sehen.

Und Tsukasa.

Und diesen Jungen Namens Ari.

Trotzdem saß er hier oben und verbarg sich vor ihnen. Weil er Angst hatte, ihnen in die Augen zu blicken und darin Enttäuschung zu finden. Hinzu kam die Schmach, dass man ihm den Zutritt zum Innersten Heiligtum verwehrt hatte. Ihm, der Hand des Herrschers! So etwas hatte er noch nie erlebt.

Was trieben sie nur da drinnen? Seit Stunden waren sie darin zugange und nicht ein verdammtes Wort, wie es um Aoi stand.
 

Seitlich des Balkons hielt sich Geokia am Gestein fest und reckte ihren Kopf in seine Richtung. Sie stieß leise Töne aus, die ihn trösten sollten. Ein schwaches Lächeln huschte über seine Lippen, als er die freie Hand gegen ihre Schnauze legte.

„Is' schon gut, Hübsche. Ich komm' schon klar.“

Sie glaubte ihm nicht. Das tat sie nie, wenn er sie anlog.

Sacht stieß sie gegen seine Schulter, klappte das Maul auf und stieß dann einen leisen Ton aus, der an den Ruf eines Kauzes erinnerte. Es klang auffordernd fragend, weswegen Reita seufzte. Er straffte die Schultern und wollte sein Herz ausschütten, da blieb sein Messer in Gestein des Balkons stecken.

Er musste zu hart zugestoßen haben, doch als er nach unten sah, stellte er fest, dass die Klinge in soliden Eis steckte. Seine Brauen zogen sich zusammen. Solche aus dem Nichts auftauchende Phänomene bedeuteten in der Regel nichts Gutes.

Wind kam auf, eisig kalt drückte er gegen seinen Körper. Das Geisterwesen presste eine Hand gegen sein Schlüsselbein, suchend den Schmerz zu lindern, der in seinen Lungen ausbreitete

Geokia kroch rückwärts und klackte verstört mit den Zähnen. Sie zog sich auf den Fels über den Balkon zurück, reckte sich, um ihren Kopf gegen Reita zu pressen. Er hob seinen Arm, um sie beruhigend zu streicheln, murmelte leise Worte, völlig zusammenhanglos, weil er versuchte zu verstehen, was gerade passierte.

Eiszapfen hingen der Brüstung, der Fels selbst war mit Reif bedeckt, die Sonnenstrahlen fühlten sich kühl auf seiner Haut an. In ihm gab es den Drang zurück zu weichen, wie als müsse er einem Angriff entgehen. Nur gab es keine offensichtliche Gefahr.

Die Falten auf seiner Stirn wurden tiefer, als Reita seine Augen schloss und die Sinne streckte, um nach der Quelle zu suchen.

Eine Technik, die Ruki ihm gelehrt hatte, aber es war eine Weile her, dass er diese Fähigkeit des Sehens benutzt hatte und dementsprechend holprig war der Beginn: Wie ein unbeholfenes Junges wanderte der Blick seines inneren Auges über die umliegenden Felsen, fiel und überschlug sich, bevor er an Geschwindigkeit gewann und über die Landschaft von Java raste. Vorbei an hohen Grassteppen, Felsen und über den Fluss, bis sein Blick unvermittelt gefangen und in eine andere Richtung gezwungen wurde.

Es war derart ruppig, dass er die Orientierung verlor und dann tauchte Zero direkt vor ihm auf.

Reita war, als würde der Geist sein Kinn packen; es war unmöglich sich zu regen oder den Blick abzuwenden.

„Eigentlich habe ich mit einem anderen Boten gerechnet“, begrüßte Zero ihn nonchalant, „Doch die Hand des Herrn ist mir natürlich weit lieber. So kannst du mein Wort direkt überbringen: Sag deinen Hoheelfen, das Ulka untergehen wird. Er kann es sich gerne ansehen. Das Heiligtum der Fenir bietet eine gute Sicht.“

Ein kurzes Lächeln, ließ er Reita los und seine Gabe wurde zurück geschleudert, so stark, dass er rückwärts taumelte. Er prallte gegen Geokia, die ängstlich fiepste und mit den Flügeln schlug. Reita keuchte, spuckte aus und suchte, sich zu halten und gleichzeitig die Drachendame zu beruhigen. Es gelang beides nur mäßig. Mit einer Hand krallte er sich an der Brüstung fest, weil seine Beine nicht im Traum daran dachten, sein Gewicht zu halten. In seinem Schädel dröhnte es dumpf und alle Geräusche waren verzerrt. Er schüttelte den Kopf, aber es brachte nur geringfügig Linderung. Geokias Laute wurden lauter, ängstlicher – sie glich den Affen, die Reita in Kais Welt kennengelernt hatte. Reita versuchte zu ihr zu sprechen, streckte wieder die Hände nach ihr aus, doch sie ließ es nicht zu, kletterte nervös über und um den Balkon, schlug mit den Flügeln, so als würde sie am liebsten davon fliegen und nur ihre Verbindung zu Reita sie hindern.

Er fand den Grund für ihre Hysterie, als sich sein Blick genug stabilisiert hatte und über den Horizont glitt: Am Himmel über Ulka zeichneten sich schwarze Schwingen in den Himmel. Bedrohlich und unaufhaltsam verdrängten sie Licht und Farben des Sonnenuntergangs, tilgten Rot, Orange und Violett.

Lange starrte Reita es nur an, Kopf und Körper unbewegt und leer. Seine Lippen bebten, bevor sie sich öffneten. Ein Name, erst nur gewispert, dann immer lauter, immer schneller, bis es durchdringende Schreie waren.
 

Sie fanden ihn auf den Knien sitzend vor, die Arme locker an den Seiten, das Gesicht blass und die Augen starr auf den Horizont gerichtet.

Uruha stürzte sofort an seine Seite, warf sich neben zu Boden ihn und schlang die Arme um ihn. Der Rest von ihnen sammelte sich dahinter. In erster Reihe Ruki, Kyō und Kaoru, danach Hizumi, Tsukasa, Kai, Die und Ari.

Sie alle hatten Reitas gellende Schreie vernommen, die ihn durch Mark und Bein gefahren waren und wie er sahen sie nun die schwarzen Schwingen ihre langen Schatten über Kistara warfen. Ihre äußeren Spitzen reichten beinahe bis an das Heiligtum heran, umgeben von einem bedrohlichen Glühen.

Kyō – die Lippen in einer dünnen Linie zusammengepresst – trat neben Reita und Uruha. Er sah aber nicht sie an und auch nicht die Schwingen. Stattdessen fixierte er einen Punkt weiter westlich, nahe der Felsen.

„Ich weiß, dass du hier bist! Du kannst dich uns zeigen und das Versteckspiel sein lassen!“ forderte er und an der Stelle an der eben noch nichts gewesen war, regte sich die Luft, begleitet von einem leisen Lachen.

„So herzlich, wie sein Vater seinerzeit“, säuselte Zero, während sich sein Gesicht aus dem Flimmern erhob, „Und dabei hatte ich gar nicht vor, euch zu belästigen und wollte lediglich Zeuge des fantastischen Werks meines Gefährten werden.“

Stoff flatterte laut, dann das Geräusch der Baretta, die entsichert wurde, doch bevor Ruki feuern konnte, legte Kyō die Hand auf die Waffe.

„Nutzlos“, raunte er leise, „Es ist nur eine Täuschung, ein Abbild. Der echte Zero würde sich nie so nah an uns heran trauen.“

„Welch wahre Worte der Hoheelf spricht!“ Das Spiegelbild hatte sich inzwischen zu einer vollständigen Person entwickelt und stolzierte vor ihnen in der Luft hin und her. „Wahrlich ein kluger Mann. Aber nicht klug genug, nicht wahr?“

Kyō schwieg, während die Täuschung stehen blieb und den Elf nach vorn übergebeugt und die Hände auf den Hüften gestützt spottend ansah. Im Gegenzug wurde Zero von ihnen allen gemustert.

Eine große, hässliche Narbe zog sich über seine Wange zur Schläfe hinauf, die rechte Hand ruhte tiefer in der Hüfte als die linke und war von einem Handschuh verhüllt. Außerdem schien Zero sie nicht zu einer Faust schließen zu können. Verletzungen, die von Aois Magie stammen mussten. Es machte sie zufrieden, sie zu sehen.

Zero kratzte unterdessen mit einer Kralle seines linken Handschuhs über Lippen und das Kinn des Hoheelfen.

„So stolz, so unnahbar. Der große Hoheelf. Ob es Euch Euer Kaoru verzeihen kann, dass Ihr zulasst ganz Ulka zu opfern? Für das eine, große Ziel? All das Blut, das fließen wird, das verbrannte Fleisch und die zersplitterten Knochen – werdet Ihr zwischen den Euren wandeln, mein Herr? Werdet Ihr klagen, wie es Euer geliebtes Kistara nun tut?“

Hinter Zeros lächelnden Abbild, hoben sich die Schwingen im Himmel, bis sich ihre Spitzen berührten und dann wie ein Blitz nach unten in die Erde fuhren.

Der Stille folgte ein Beben. Ein rumpelnder Laut, der schnell lauter wurde. Solch ein grausames Geräusch, befremdlich und surreal. Selbst die Wesen die Kais Welt besucht hatten, die Atomexplosionen kannten, konnten es nicht greifen.

Sie hatten Angst, jeder einzelne von ihnen.

Denn dies hier war kein Monster, war keine Magie mit der sie je konfrontiert worden waren. Dies hier war schlimmer.

Kyōs Herzschlag pochte heiß in seinem Hals und seinen Schläfen. Sein Mund war trocken, seine Zunge fühlte sich geschwollen an.

Am Himmel zeichnete sich ein greller Blitz ab, dann begann es zu donnern. Lauter und lauter.

Die, Kai und Ari warfen sich zu Boden, auch die anderen folgten, doch es war klar, dass sie unsicher waren, wie sie sich vor dem schützen sollten, was sie sahen.

Würde es sie doch erreichen?

Was konnten sie tun, wenn es so war?

Es war zu spät, sie in Sicherheit zu bringen. Kyō hörte Hizumi brüllen, doch ignorierte es. Er trat nach vorn, an Uruha und Reita vorbei, hin zur Brüstung, auf die er sacht ein Hand legte.

Hinter ihm entfachte sich mächtige schwarze Magie.

Ruki.
 

Das Auge Aois würde die anderen hier weg bringen und das war gut so. Er hingegen konnte nicht gehen. Sie ja, er nicht. Seine Hand hob sich und seine Magie reagierte auf seine Ruf, kroch träge und benommen an die Oberfläche. Beinahe war sie zu langsam, er konnte bereits fühlen, wie Rukis Magie ihn umschloss, doch dann stand sein Schild. Die gegensätzliche Magie beider Elfen prallte zischend und knisternd aufeinander, haschte sich wie zwei wütende Wölfe. Ruki rief ihn, doch Kyō reagierte nicht, drehte nicht einmal den Kopf.

Kaoru würde dafür sorgen, dass sie gingen. Er würde Kyō verstehen und begreifen, warum er bleiben musste.

Der Himmel sah aus, als würde sich aus ihm die Hölle gebären von der Die ihn manches Mal erzählt hatte, aber Kyō wusste, es war in Wirklichkeit die Erde, die Bäume und Blüten Ulkas. Sie schrien in ihren Qualen und der Elf konnte es hören, fühlen. Es legte sich wie eine Kette um ihn, die sich enger und enger zusammenzog.

Durch den Plan der Evakuireung mochte er den größten Teil seines Volkes gerettet haben, aber die Lebewesen und Pflanzen, all die Schätze seines geliebten Landes, seiner heiligen Erde, die hatte er nicht bewahren können.

Seine Lippen pressten sich in einer blutleeren Linie zusammen.

Die heilige Eule des Schimmerwaldes, eine alte und gute Bekannte. Kyō hatte sie gewarnt, doch die ihren lebten weit verteilt – war es ihr gelungen, sie alle zu finden, ihnen zu sagen, was bevorstand? Was würde aus den Saphirbergen mit ihren wunderschönen blauen Kuppen, was aus den Tal des Lichts und den Kristallbergen?

Kyō hatte gewusst, dass es soweit kommen würde. Er hatte es gesehen und mit aller Macht versucht, es zu verhindern. Waren all seine Entscheidungen wirklich die richtigen gewesen? Hätte er Kais Leben beenden müssen, nachdem Aoi dafür zu schwach war? War nicht er selbst auch zu schwach gewesen?

Kais Tod durch seine Hand hätte seine Verbannung nach sich gezogen. War nicht seine Angst Kistara verlassen zu müssen zu groß gewesen, um tatsächlich zu handeln? Kyō liebte diese Welt – nie, niemals hatte er ihr weh tun wollen und nun war der größte Schaden entstanden, weil er sie nicht hatte loslassen können.

Es gab so viele Welten. War es da nicht egal, wo er lebte? Eine Heimat definierte sich nicht durch den Standort. Kluge Worte eines goldenen Drachen und Kyō hatte sie weder verstanden, noch beachtet.

Ein weiterer Blitz zog über den Himmel, fuhr mit ohrenbetäubenden Krach nach unten und im Nachhall des Donners hörte Kyō den Klang der feinen Glöckchen, erst noch deutlich, dann starben sie. Eines nach dem anderen und mit ihnen der Baum der Weissagung.

Er presste eine zitternde Hand gegen seinen Bauch, mit der anderen krallte er sich an der Brüstung fest. Ein schmerzerfülltes Stöhnen brach sich, ein Klagelaut unter vielen. Kyō stand in Flammen, fühlte sich, als würde ihm gewaltige Stücke Fleisch aus dem Leib gerissen.

Nie. Nie hatte es in seinem langen Leben eine solche Pein gegeben.

Sie war so gewaltig, so physisch, dass er kaum Stand bewahren konnte. Sein Atem war abgehakt und harsch – er spuckte aus, doch sein Hals war zu trocken und so brannte es nur noch schlimmer als zuvor. Er stieß sich die Hüfte, als der Arm an der Brüstung nachgab und er ein Stück nach unten sackte.

Seit dem Tod seines Vaters hatte Kyō nicht mehr geweint.

Nun tat er es und die Tränen rannen über sein Gesicht und die Hand, die er sich vor den Mund geschlagen hatte, um die wimmernden Laute gefangen zu halten, die sich von seinen Lippen brachen. Sie mischten sich mit dem Blut, das abermals aus seiner Nase lief, schneller und stärker als zuvor.

Was gäbe er nicht dafür, in sich zusammenzusinken, sich einzurollen, wie es kleine Kinder taten. Kurz nur wollte er allem entfliehen. In die Leere einer Ohnmacht, sich selbst entrückt. Aber das Wissen, dass er von Zero beobachtet würde und das sich der Geist an seiner Gram erfreute, ließ ihn halb aufrecht verharren und bis zuletzt zusehen.

Der Himmel war pechschwarz nun, voll von Rauch, der die Monde und die Sterne bedeckte.

Es machte die Nacht und die Welt um sie herum so viel dunkler, doch nichts davon reichte an die Schwärze der Trauer heran, die nun in seiner Seele regierte.

15

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Rukis Zauber hatte sie in das Innerste des Heiligtums gebracht. Genau vor die Füße der Hohepriesterin Maikira, wo sie alle in einem wirren Knäuel in und übereinander verschlungen dalagen.

Wie Puppen, die man kaputt gebrochen und weggeworfen hatte. Hizumi regte sich als erster, befreite sich von Ruki und Reita. Kai und Ari hielten einander in einen Todesgriff und es war schwer zu sagen, wer von beiden heftiger zitterte. Uruha erhob sich nur halb; sein langes Haar lag über seinem Gesicht und verschleierte es. Maikira kniete sich hin, um die langen Strähnen beiseite zu nehmen. Schock war es, dass sie in den Augen der Gruppe lesen konnte. Schock, Trauer, Zerrissenheit und das hier, im Allerheiligsten, wo negative Emotionen Gift waren. Ein Ort, den Ruki niemals hätte wählen dürfen. Doch sie waren hier und nun galt es, den bereits entstandenen Schaden zu minimieren. Derart viele Gefühle würden den Herrn Kistaras aus dem heilenden Schlaf reißen, in welchen ihn die Hohepriesterin versetzt hatte. Ihr Blick glitt zu ihrem Mann, stumm stellte sie ihre Fragen.

Was war geschehen?

Warum waren sie hier?

Nichts von außen drang je an diesen Punkt mitten im Berg, zu abgeschirmt war er durch Fels aber auch durch mächtige Magie. Hier unten war alles bar jeder Gefühle, die in der Außenwelt regierten. Hizumis Antwort war ebenso stumm. Etwas furchtbares war geschehen. So grässlich, dass die Lippen des stolzen Mannes blutleer waren. Sie presste ihre Zähne aufeinander, dann schoben sich ihre großen Hände unter Uruhas Arme.

„Hoch mit dir!“, kommandierte sie.

Jahre, die unter Befehlen wie diesen gelebt worden waren übernahmen den Körper des Generals und ihm folgte der Rest, bis sie alle standen und in einen angrenzenden Raum geleitet werden konnten.

Erst dort erhob Hizumi das Wort, erzählte seiner Frau von Zero, von Karyu und den Schwingen, von der Hölle, die aus dem Himmel auf Ulka hinab gestützt war und auch das Herz der Hohepriesterin zog sich zusammen. Automatisch fiel ihr Blick auf Kaoru, doch der Hoheelf zeigte keine Reaktion. Seine Gesichtszüge waren leer, die Hände gegen die Oberschenkel gepresst. Wie eine Statue stand er neben dem Lager auf dem Ruki breitbeinig saß, die Hände auf den Knien und den Kopf dazwischen. Die Nachwirkungen, die Magie des Allerheiligsten gestört zu haben, wogen schwer auf dem Auge Aois. Maikira schöpfte Wasser, das sie erst an Ari und Kai reichte, dann auch an Uruha. Dessen Mund zuckte ganz kurz, der Hauch eines dankbaren Lächelns.

Sie erwiderte es, derweil sie einige Frauen zu sich orderte, die sich um das weitere Wohl der Gruppe kümmern würden. Sie selbst musste zu Aoi zurück und nachsehen, ob dieser in irgendeiner Form affektiert worden war.

Dies teilte sie auch ihrem Mann mit, der brummte. Hizumi war mit den Gedanken bereits bei einer möglichst sicheren Route nach Ulka, auch wenn er im Grunde nicht daran glaubte, dass sie sich vor Zero und Karyu verbergen konnten, wenn diese beiden einen weiteren Angriff führten.

Es sah übel aus. Wirklich übel.

Neben ihm erhob sich Kai, als sich Maikira zum Gehen wandte. Er griff nach ihrer Hand, hielt diese fest.

„Wie geht es ihm?“

Sie legte ihre freie Hand über die den jungen Menschen.

„Er lebt. Unser Herr ist stark.“

„Ich will ihn sehen.“

Maikira schüttelte den Kopf, löste ihre Berührung. Sie empfand Mitleid für den Menschen, wirklich, das tat sie, aber Aoi war zu wichtig, als das sie dies zulassen konnte. Der Herr Kistaras musste leben und ihn zu isolieren war er einzige Weg. Es hatte lange gedauert, das Netz zu spinnen, dass die verlorene Seele zum Körper zurück führte und es war zu empfindlich, konnte mit einer unbedachten Bewegung zerrissen werden. Sanft strich sie mit dem Daumen über eine der blassen Wangen, ein schwacher Trost und nicht das was Kai wollte. Aber ihre Antwort stand fest.

„Nein.“

„Warum nicht?“

Kais Stimme war leise und ruhig nach außen hin, aber in seinem Inneren wütete ein Sturm. Er war es so leid! War er nicht brav gewesen? Hatte er sich nicht allen Befehlen unterworfen und gemacht was sie alle von ihm gewollt hatten?

Warum konnten sie nicht verstehen, dass er einfach nur bei dem Mann sein wollte, den er liebte und den er das letzte Mal gesehen hatte, als dieser gegen einen übermächtigen Feind angetreten war?

Niemand von ihnen konnte sich vorstellen wie es war, dabei zuzusehen! Wie machtlos man war, wie hilflos. Er hatte nichts machen können! Gar nichts!

Und jetzt war er in genau der gleichen Situation. Nur, dass es ihm schlicht verboten wurde und das konnte er nicht hinnehmen. Maikira runzelte ein wenig die Stirn.

„Er ruht und würde nichts außer deiner Aufgewühltheit fühlen, die ihm Schaden zufügen würde“, erklärte sie sanft doch

Kai hörte die Antwort nicht.

In seinen Ohren gab es nur Rauschen, als sich all die Sorge, die Angst und der Schock zu einem harten Ball in seinem Bauch zusammenzogen und dort eine ungeahnte Wut entfachten. Zorn, der ihn nun antrieb. Zorn, der alles rationale Denken hinwegfegte.

Störrisch den Kiefer zusammen gepresst, starrte er kurz geradeaus, fixierte und setzte sich ruckartig in Bewegung. Geradewegs auf die Doppeltür zu, die vorhin so sorgsam geschlossen worden war. Maikira aber auch Ari waren mit wenigen Schritten an seiner Seite. Die Hohepriesterin versuchte Kai mit einer Hand auf der Schulter zu stoppen, doch er schüttelte sie grob ab, knurrte sogar.

Die Brauen zusammengezogen stellte sie sich Kai in den Weg, aber Kai drückte mit der Schulter gegen sie, hebelte ihren Stand aus und stürmte weiter voran. Weit kam er nicht, andere Priesterinnen mischten sich ein, hielten ihn an den Armen. Sie redeten in strengen, gewisperten Worten auf ihn ein, das wusste Kai, weil er sah, wie sich ihre Lippen bewegten. Aber es war ihm egal, er wand sich wie ein Aal, packte die nach ihm greifenden Hände.

Ari sprang zu ihm in die Bresche, half Kai sich zu befreien, was wiederum Tumult unter all den anderen Anwesenden auslöste. Es wurde gebrüllt, gekeift, gezerrt und Waffen gezogen, hitzige Duelle entstanden zwischen den Vogelfreien und den Generälen Aois.

Kai ignorierte es, sein einziges Ziel waren die noch immer verschlossenen Türen.

Niemand würde ihm verweigern zu Aoi zu gehen, diesen zu halten und sich zu vergewissern das sein Dämon noch am Leben war!

Niemand rechnete in all dem wilden Durcheinander damit, dass es Aoi war, der zu ihnen kam.

Der Herr Kistaras schob sich durch die ein Spalt weit geöffnete Tür wie ein Kind, dass noch nicht Kraft genug besaß, sie ganz zu öffnen. Er lehnte sich mit dem Rücken an diese, um sie wieder zu schließen und dann beobachtete die Wesen, deren Geschrei und wüstes Ringen laut genug war, um an den Wänden widerzuhallen, die Jahrhunderte lang nichts als Stille gekannt hatten.

Seine Stimme würde nicht laut genug sein, sie zu stoppen, dass wusste er. Aoi blinzelte langsam, suchte und nutzte das mentale Band, das er zu seinem Mund hielt. Seit jeher hatte Uruha den feinsten Sinn für Veränderungen und auch nun registrierte er es sofort. Er ließ davon ab, Rukis Arm zu halten, der im Begriff war eine der Priesterinnen grob zu schubsen. Stattdessen packte er die Hand des Auges und riss ihn zu sich herum, um ihm zu zeigen was er sah. Das Schnarren auf den Lippen Rukis erstarb, seine Muskeln entspannten und aller Kampfgeist löste sich in Luft auf. Die Reaktion veränderte die Atmosphäre des Raumes, alle blieben wie festgefroren in ihrer letzten Handlung.

„Aoi.“

Niemand wusste, wer den Namen sagte, aber in dem Nachhall rauschten alle in einer Welle auf den Dämon zu, umringten ihn, Hände gestreckt und doch zögerten sie ihn zu berühren. Wie ein Ei, dass vielleicht zerbrach. Aoi nahm ihnen die Entscheidung ab. Er packte Kai bei der Schulter, stützte sich auf diesen und dann auch auf Ruki. Er sah sie an, aber seine Augen hatten Probleme zu fokussieren, seine Atmung war schwer und Schweiß stand auf der Stirn.

„Aoi?“

Abermals sein Name, fragend nun, weil er schwieg, weil er sich nicht bewegte. Der Dämon drehte den Kopf zu Kai, lehnte ihn auf dessen Schulter, kommunizierte stumme Zuneigung. Er sah zu Kai auf, seufzte dann.

„Es geht dir gut“, wisperte er. Sein Finger streifte Kais Wange, sein Kinn, während dieser nickte und gegen die Tränen ankämpfte, nicht wissend, ob er dem Lächeln oder dem Schluchzen den Vortritt geben sollte.

„Du hast mich gerettet“, erwiderte er ebenso leise und strich mit der Nase über Aois dunkles Haar. Es war voller Knoten. Der Dämon war so fragil und Kais Herz klopfte schmerzhaft in seiner Brust, als sich sein gesamtes Bewusstsein darauf reduzierte Aoi sicher zu wissen. Kai wand seinen freien Arm um die Mitte des Dämonen. Er konnte ihn beben fühlen, seine Muskeln noch nicht bereit sein Gewicht zu tragen. Abermals küsste er den dunklen Schopf, tat einen langsamen Schritt vorwärts. Ruki folgte und zwischen ihnen bewegten sich auch Aois wacklige Füße, unkoordiniert und unbeholfen. Nur die Götter wussten wie es der Dämon vom Allerheiligsten bis hier her geschafft hatte.

„Komm. Komm du musst dich hinlegen.“

„Was ist passiert? Wo sind wir hier?“

Es war eine kaum hörbare Frage, die Stimme belegt und rau, doch wie es schien, erholte sich Aois Geist weit schneller als sein Körper, der ihm sogar verweigerte den Kopf von Kais Schulter zu heben. Letztlich wurde er getragen und behutsam auf dem hastig vorbereiteten Lager platziert. Reita hatte seine Jacke als Kissen zusammen gerollt und die Robe von Kaoru diente als Decke.

„Wir sind in Falm, bei Hizumi und dessen Leuten.“ Uruha sprach, während sich Kai neben Aoi auf den Boden setzte, nach dessen Hand griff und sie mit beiden eigenen festhielt. „Wir haben dich hier her gebracht, nachdem wir dich gefunden haben.“

Die Worte des Meerwesens verloren sich, als der Kloß in seinem Hals zu dick wurde um weiter zu sprechen. Dennoch versuchte er es. „Keiner wusste, ob du es schaffen würdest. Es sah schlimm aus.“

„Eure Seele hatte sich verloren.“ Aois Blick wanderte träge zu Maikira. Die Hohepriesterin kniete sich neben Kai, eine Hand legte sie von Aois Stirn, half ihm, den Fokus zu wahren. Sie sprach langsam, sodass jedes ihrer Worte verstanden wurde.

„Als man Euch hier her brachte war es fast zu spät, mein Herr. Euren Körper zu heilen war nicht schwer, selbst wenn Ihr Euch noch einige Tage schwach fühlen werdet. Aber um Eure Magie und Eure Seele einzufangen musste ich das Netz der Semar spinnen und fast wäret Ihr mir gänzlich entglitten. Es gelang mir die Fäden an den Fußsohlen zu festigen, doch der Halt ist fragil. Ich werde das Ritual noch einmal stärken müssen, um sie ganz in Euch zu betten.“ Sie machte eine Pause, schätzte ab, ob Aoi noch zuzuhören vermochte. Sie lächelte zärtlich, als Aoi angestrengt blinzelte und nickte „Eure Magie wird sich von allein füllen“, fuhr sie fort und strich sanft über den Kopf des Herrn von Kistara. „Seid gewarnt, dass dies mehrere Wochen in Anspruch nehmen kann. Versucht Ihr zu zaubern bevor sie ganz zurück ist, werdet Ihr dies körperlich fühlen. Habt Ihr mich verstanden?“

Aoi nickte abermals, leckte sich über seine gesprungenen Lippen. Reita sah es und füllte einen Becher mit Wasser, den er Kai gab. Dieser befeuchtete seine Finger und strich mit ihnen über die wunden Stellen, wagte es aber nicht, Aoi trinken zu lassen. Nichtsdestotrotz seufzte der Herr über Kistara unter dieser Behandlung, die Augen einen langen Moment geschlossen und als er sie wieder öffnete waren sie klarer, huschten über die Gesichter der Anwesenden. Kurz runzelte sich die Stirn, dann stoppte der Blick bei seiner Hand.

„Was ist mit Zero?“, fragte er und Ruki presste die Lippen zu einer dünnen weißen Linie zusammen.

„Zero konnte entkommen.“

Aois Augen schlossen sich und Ruki ballte eine Faust. Resignation spiegelte sich auf Aois Gesicht. So sollte der Herr Kistaras niemals fühlen müssen. Es sollte nicht so hoffnungslos aussehen. So nah am Rande einer nicht abzuwendenden Katastrophe.

„Aber er wurde von Euch verwundet, mein Herr“, erhob Ari das Wort und trat so weit zu Kai, dass ihn der Dämon sehen konnte. Eine Hand hielt er respektvoll über der Brust, während er weiter sprach und die Details offenbarte, die er beobachtet hatte, als er dem Geist mit Hizumi begegnet war.

„Und er war verändert, menschlich. Er hatte eine Narbe und ich vermute, dass er seine Hand oder aber den Arm nicht mehr richtig benutzen kann. Er hing kraftlos an seiner Seite.“

Rukis Kopf ruckte zu Hizumi herum, welcher die Worte Aris mit einem Nicken bestätigte.

„Du gehörst zu den Männern Tsukasas.“

Aois Stimme brach sich und Kai strich abermals mit feuchten Fingern über die Lippen seines Geliebten. Ari hingegen nickte auf die Feststellung und verneigte sich.

„Ich bin damit beauftragt worden, Kai zu beschützen, mein Herr.“

„Wie lautet dein Name?“

„Ari, Herr.“

Aoi musterte den jungen Mann, sah, wie Kai zu diesem hinauf lächelte und kurz den Oberschenkel streifte. Schien, als wäre Ari mehr als ein Beschützer.

„Du bist ein guter Beobachter, Ari.“

Ob des Lobes verbeugte sich der Blonde tiefer.

„Danke, mein Herr.“

„Was könnt ihr mir noch über Zero sagen?“

Aoi stützte sich mit einem Arm auf, wohl um sich nach oben zu drücken, aber er zitterte so stark, dass es ihm nicht gelang. Es war offensichtlich, dass die Kräfte des Herrn gänzlich erschöpft waren. Kai legte eine Hand auf Aois Schulter, drückte ihn nach unten, schüttelte den Kopf und kämmte zärtlich das Haar aus der Stirn.

„Das reicht nun“, bestimmte er, „Du musst dich ausruhen. So schadest du dir und das wird Kistara nicht helfen.“

Aoi antwortete nicht, aber er gab sich geschlagen und zeigte dies, indem er liegen blieb und die Augen schloss. Kai strich sanft über eine Schläfe, der Blick auf die Gruppe gerichtet.

„Ich weiß, dass ihr alle bei ihm sein wollt. Aber bitte gewährt mir Zeit mit ihm, auch wenn es egoistisch sein mag.“

Uruha schlang in einer Antwort die Arme um den Hals seines Freundes und drückte ihn fest an sich.

„Ich wäre genauso egoistisch. Versprich, dass du auch schläfst?“

Kai summte, die Hände erhoben, um die enge Umarmung zu erwidern. Ruki, Reita und Ari drückten seine Schulter, der letztere sagend, dass er in der Nähe bleiben würde und das Kai nur rufen bräuchte. Tsuaksa und Hizumi nickten lediglich und waren die ersten, die den Raum verließen. Letztlich blieb nur Maikira bei Kai und Aoi zurück und zunächst breitete sich ein unangenehmes Schweigen zwischen ihnen aus, dass Kai durch ein Räuspern zu brechen suchte.

„Ich möchte mich für mein Verhalten vorhin entschuldigen. Ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle.“

Die Hohepristerin akzeptierte es mit einem Nicken, dann setzte sie sich und faltete ihre langen Beine unter ihren Körper. Trotzdem ragte sie noch immer über Kai hinaus und machte ihm abermals bewusst, wie riesig diese Frau im Gegensatz zu allen andern war.

Kais Blick wanderte ziellos in dem Raum umher. Eine der Frauen kehrte zurück, brachte ihnen Kissen und Decken, die Kai dankbar aber verwirrt entgegen nahm, bis ihm klar wurde, dass Maikira den Befehl dafür gegeben haben musste. Sein langsames Denken und die Unfähigkeit Zusammenhänge zu sehen, trieb ihm Schamesröte ins Gesicht. Reflektierend betrachtet war er ein totaler Trampel gewesen. Er musste wohl gestöhnt haben und vielleicht sogar etwas gesagt, denn Maikira lachte plötzlich und stupste ihm unter dem Kinn an, als wäre er ein kleines Kind.

„Mach dir nicht so viele Gedanken über alles, Kai. Du bist nicht der erste, der nur nach seinen Emotionen gehandelt und damit Schaden angerichtet hätte. Wichtig ist, daraus zu erstarken und zu lernen. Deine Fehler helfen dir dabei und der einzige der von dir erwartet perfekt zu sein bist du selbst.“

Sie sprach, als würden sie sich schon ewig kennen. Kai sah in ihr Gesicht und die klugen Augen, die ihn beobachteten. Es war, als würde ein Knoten in ihm platzen, denn plötzlich sprudelten Worte des Zweifels über seine Lippen, Gefühle der Ausgeschlossenheit, egal wie sehr er sich bemühte.

Es war ihm nicht klar gewesen, gab er zu, zumindest nicht bewusst, aber es war, als würde er immer einen Schritt hinter seinen Freunden stehen. Schon früher war es so gewesen, doch seit er hier lebte war es schlimmer geworden, mehr aufgefallen. Und gleichzeitig schämte sich Kai für solche Gedanken. Denn Aoi und Uruha, auch Ruki, Reita und vor allem Ari taten nichts, um ihn nicht als gleichwertig zu sehen. Sie ermutigten ihn, waren geduldig mit ihm, beschützten ihn wie einen kleinen Bruder. Er schämte sich auch dafür, in diesem Moment sein Herz auszuschütten, anstatt sich um Aoi zu sorgen oder um Kyō, der oben auf dem Dach zurück geblieben war und an den er nicht einen Gedanken verschwendet hatte.

Was, wenn Zero ihm etwas getan hatte?

Kai war schon halb aufgesprungen, aber Maikira hielt sein Handgelenk und zwang ihn, sich zu setzen. Er wurde angewiesen tief durchzuatmen, was er tat. Die Priesterin legte eine Hand auf seine Brust, eine auf seinen Rücken. Wärme strömte durch seinen Körper, entspannend und tröstend. Kai fühlte, dass er in sich zusammensackte. Seine Schultern senkten sich, sein Steiß wurde schwer, als würde sich das Zentrum seine gesamten Gewichtes dort befinden.

„Ich bin sicher, mein Mann wird sich um Kyō kümmern. Du wirst hier an Aois Seite viel mehr gebraucht.“ Ihre Worte waren Balsam, egal ob Wahrheit in ihnen lag oder nicht. „Du hast gut daran getan, mir dein Herz zu öffnen. Solch Gift muss dem Körper entzogen werden.“

Ihre Finger kreisten langsam über Kais Nieren, während er sich nach vorne beugte, sodass er mit dem Kopf neben dem seines Geliebten lag. Seine Finger wanderten zärtlich über Aois Braue und Schläfe.

„Ja, aber es passiert immer in den unpassendsten Momenten“, murmelte er in einer Antwort, mehr zu sich selbst, als das er mit Maikira sprach. Sie lachte darauf und tätschelte ihn.

„Das passiert allen einmal. Vertrau mir. Ich habe lange genug gelebt, um es mit eignen Augen gesehen zu haben.“

„Danke für Eure Worte.“

Ihre Finger wanderten zu seinem Nacken und auch wenn er sie lächeln sah, verschwamm es vor seinen Augen und dann hüllte ihn Dunkelheit ein.
 

~~~~~~
 

In der Luft hing der Geruch von Tod und Leid.

Rauchschwaden zogen wie ziellose Gespenster zwischen schwarz verbrannten Bäumen umher und begleiteten jeden von Zeros stillen Schritten. Seine Finger hoben sich, strichen über einen Ast. Das Holz fiel in sich zusammen, hinterließ nichts als eine weitere Narbe auf dieser zerstörten Welt.

Zero zerrieb die zurück gebliebene Asche auf seinen Fingerspitzen. Er lächelte zufrieden.

Karyus Magie war absolut verheerend gewesen. Ein wunderschönes Schauspiel aus Feuerregen, Aschewolken und explodierender Erde. Berstende Edelsteine, die das Licht der Flammen wie ein Blutregen reflektierten, bevor sie herab fielen und eins wurden mit dem tatsächlichen Blut, dass in Rinnsalen durch aufgebrochene Narben floss und von scharfen Ecken und Kanten tropfte.

Dort wo einst Ulka gelegen hatte, das Land der stolzen Elfen mit ihrem Hochmut und ihrer Arroganz, da gab es jetzt nur noch das Echo von Schreien. Schrecklichen Schreien, wie sie ein Wesen nur in den höchsten Qualen ausstieß.

Zero hatte jeden einzelnen davon genossen.

Nur ein einziger Akt war noch herausragender gewesen und wenn Zero die Augen schloss konnte er ihn glasklar vor sich sehen. Beseelt von seiner Rache war es ein Rausch Kyō zu sehen, den Sohn Hinas und zu wissen, dass er – Zero – es war, der diesem solchen Schmerz beigebracht hatte. Den Elfen mitansehen zu lassen, wie seine Heimat schwand war weit brutaler als jede Wunde, die er ihm hätte zufügen können. Diese geschaffene Erinnerung würde Kyō immer bleiben, in seinem Leben der Ewigkeit und ohne die Möglichkeit es jemals wieder zu vergessen. Es würde weh tun, jedes einzelne Mal als würde es wieder und wieder und wieder geschehen.

Oh wie er hoffte, dass Kyō sich schnell genug erholte, um dem nächsten Teil seiner großartigen Inszenierung beizuwohnen!

Es würde nicht ausreichen den Herrscher Kistaras allein zu Staub zu zermalmen. Nein, er wollte sie alle mit einem Schlag bezwingen und aufzeigen, dass er alle Widrigkeiten überdauert, dass er gerissener und zäher als sie war.

Der Geist hatte über vierhundert Jahre auf diesen Zeitpunkt gewartet. Nun sog er jede Sekunde auf wie süßes Parfüm, kostete es wie Schlucke eines seltenen Weins. Er konnte Kistara nicht hören, diese Gabe hatte er nicht, aber er sah die Leichen von Tieren und Pflanzen. Zu Staub verwandelt und in ihrem Moment der Vernichtung eingefangen.

Am Rande des Fürstentums Elbaro, der Stadt deren wundersamer Architektur ebenso untergegangen war wie alles andere, stand Karyu unbewegt. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt, um den blauen Himmel zu betrachten. Zero blieb stehen, beobachtete ihn.

Allein zu sehen, dass der andere hier stand, dass er atmete und sich bewegte war ein unvorstellbares Glück. Es floss puren Gold gleich durch die Adern des Geistes und erwärmte seinen Körper, seine Seele bis in den letzten Winkel.

Nachdem Aoi sein Vorhaben gestört und die magischen Artefakte zueinander gebracht hatte, war Zero lange Zeit in der Dunkelheit der Bewusstlosigkeit gefangen gewesen. Die Kraft in ihm war schwach, wie eine Kerze, die drohte zu erlöschen.

Doch wie bei hartnäckigen Ungeziefer war Zero unwillig gewesen, hatte sich an sein Leben geklammert und war am Ende erwacht.

Zum ersten Mal seit Jahrhunderten hatte er dabei die Schwere eines tatsächlichen Körpers gefühlt und mit diesem Schmerz, Hunger und Durst. Es war verblüffend gewesen, irritierend und unpassend. Als Geist war Zero durch Hindernisse hindurch geglitten, fähig sich frei von seiner Umgebung zu bewegen. Doch nun war er unter einem Berg von Steinen begraben gewesen, die harsch auf seine Schenkel, Schultern und Hände drückten. Er fühlte sich benommen, seine Gedanken nicht mehr fähig, präzise Lösungen anzubieten. Hinzu kam ein Gefühl, das er fast schon vergessen, aber das ihn mehr und mehr eingenommen hatte: Beklemmnis, Panik.

Wie lange hatte er hier gelegen?

Er musste zurück zu seinem Geliebten! Zero hatte seine Muskeln angespannt und sich vom Boden hoch gedrückt. Die ersten Male hatte er dabei versagt, doch es war ihm gelungen. Knurrend und schnaubend war er durch den Schutt an die Oberfläche gekrochen. Größere Steine waren davon gerollt und zu Zeros Missfallen war er nicht allein gewesen. Hizumi, Fürst der Fenir und diese kleine blonde Assel, die Kai so hart verteidigte, hatten ihm gegenüber gestanden. Glücklicherweise waren sie zu überrascht gewesen, um zu reagieren und hatten Zero so wertvolle Sekunden gegeben, zuerst anzugreifen.

Danach war er geflüchtet, wie ein geschlagener Hund. Sein Stolz hatte mächtig aufbegehrt, aber das Ziel Karyu zu ihm zurück zu holen war weit wichtiger.

Und es war gelungen. Die Macht hatte gereicht, auch wenn Zero befürchtet hatte, dass die beiden fusionierten Objekte nicht richtig arbeiten würden.Sie hatten seine Erwartungen überstiegen und Karyu hatte die Augen aufgeschlagen und sich bewegt.

Zero trat zu diesem. Er verflocht zärtlich ihre Finger miteinander, als er zu dem größeren Mann aufsah.

„Das war fantastisch“, gurrte er und streifte die Knöchel mit seinen Lippen, „deine dunkle Magie ist noch genauso stark wie ich es in Erinnerung hatte.“

Karyu antwortete ihm nicht, aber das erwartete Zero nicht. Sein Todesengel hatte so lange geschwiegen. Er würde Zeit brauchen, sich an den Klang von Stimmen und Worten zu erinnern. Ähnlich wie seine ersten Schritte die eines unbeholfenen Kindes gewesen waren, würde Karyu schnell lernen und bis dahin würde Zero für sie beide sprechen.

„Oh sieh dich um! Unsere Rache, dass was wir immer wollten, wir konnten sie endlich einfordern! Du hättest ihn sehen sollen, Laibiri! Sein Gesicht war grau vor Gram und er krümmte sich, als würde man ein glühendes Eisen in seinen Unterleib stoßen! Es war ein köstlicher Anblick!“

Zero löste ihre Hände, um Karyus nackten Arm hinauf zu streichen. Am Ende legte er die Finger gegen Karyus Wange, verbittert, dass es ihm nicht mehr möglich war, das schöne Gesicht mit beiden Händen einzurahmen.

„Wenn du dich ein wenig ausgeruht hast, werde ich dir unser Schlachtfeld zeigen. Der letzte Akt in diesem Schauspiel. Es wird großartig werden! Aoi und seine jämmerlichen Generäle, die Hoheelfen, all dies Gewürm, wir werden es hinwegfegen in einem Sturm aus Feuer und Eis. Ich kann doch auf dich vertrauen?“

Abermals keine Antwort, aber als Zero Karyu sanft am Nacken zu sich hinab zog und ihn küsste, erwiderte dieser zärtlich und gab dem Geist so alle Antwort die er benötigte.
 

Er lächelte als sie sich lösten. Hand in Hand schritten sie durch die Ruinen Elbaros, wie Totenwächter, doch selbst die Stille floh vor der Präsenz der Mörder, die sie waren. Zero lachte wie ein kleines Kind, als er auf zerstörten Mauern balancierte und über eingestürzte Hauswände setzte. Dort wo einst die monumentale Mahntafel gestanden hatte, jenes Werk das ihre Geschichte erzählte, blieb Zero stehen. Nichts war übrig geblieben. Der Boden war grau und ungesund, von schwarzen Fäden durchzogen, ein Parasit, der alles verschlang, dass es hier noch an Hellem und Gutem gab.

Summend ließ sich der Geist auf die Knie nieder, wischte in einer ausholenden Bewegung über den Boden, entfernte Staub und Asche in einem armbreiten Kreis. In diesem platzierte er behutsam die dunkelblaue Schachtel, richtete sie akribisch aus, sodass sie parallel zu seinen Füßen stand. Ein Finger glitt langsam über die drei Symbole im Deckel.
 

~veruot van opende~
 

Leises Klicken in Reaktion auf die gesprochenen Worte, dann konnte Zero den Deckel anheben. Er beließ den ovalen Stein im Inneren, legte lediglich seine Hand darauf und wartete, bis sich die milchig scheinende Substanz darin zu einem kleinen Ball zusammengezogen hatte.
 

~Furteal to megramie eta shaturo~
 

Der Geist erhob sich, entfernte sich von der Schachtel, als der Stein zu leuchten begann. Ein weißes kaltes Licht füllte alsbald die gesamte Lichtung aus. Zero trat neben Karyu, griff wieder nach dessen Hand. Es vergingen einige Augenblicke, bis sich das Portal vollends errichtet hatte. Einem gefrorenen See gleich breitete es sich unter ihren Füßen aus, kroch über Staub und Steine, nahm diese mit sich und schichtete sie an den Rändern auf. Seine Oberfläche reflektierte matt den bewölkten Himmel, dann brach sie auf, türmte sich in der Mitte höher. Ein Berg mit groben Kanten und Spitzen entstand, der unter klirren und splittern schwand und an seiner Stelle ein Wesen vom Eisvolk der Heekshaai zurück ließ.

Die humanoiden Wesen überragten Zero und den größeren Karyu ein ganzes Stück. Außerdem waren sie weit muskulöser was ihre Bewegungen und ihrem Kampfstil grob und rau machte. Sie setzen auf ihre Stärke, Raffinesse und Magie kannten sie nicht. Und sie hungerten nach Kistara. Seit Jahrzehnten schon wollten sie es in Besitz nehmen und wertvolle Rohstoffe der Erde entreißen. Sie hatten bereits mehrere Angriffe gestartet, einer erfolgloser als der nächste. Sie waren die perfekten Partner; leicht zu kontrollieren und angetrieben von den süßen Versprechen, die der Geist ihnen gemacht hatte, als er das erste Mal in ihre Welt gereist war. Zero lächelte arrogant, als er einen Schritt nach vorn trat und den Kopf in einer Geste senkte, die Respekt bedeuten sollte und doch von ihm ausgeführt mehr verspottete.

„General.“

„Zero.“ Die Stimme des Größeren war unangenehm, ein Krächzen begleitet von seltsamen Klicken auf manchen Buchstaben. „Ihr sagtet, Ihr würdet uns nach Kistara holen, aber alles was ich hier sehe ist eine verfluchte Ödnis! Was soll das?“

Zero ließ sich weder von dem schroffen Tonfall noch der großen Axt beeindrucken, die der General provokant von seinem Gürtel löste. Er gurrte beruhigend, lächelte, als er eine ausholende Bewegung tat.

„Dies hier ist Kistara, General. Ihr steht auf dem Boden von Ulka, dem Land der Hohehelfen. Bedauerlicherweise war es notwendig, es zu zerstören, um Euch den Weg hier her zu ebnen. Wenn Ihr mir nicht glaubt, seht Euch nur in Ruhe um. Gleich hinter Euch könnt Ihr Ruinen entdecken.“

Der General grunzte und stampfte schwerfällig zu dem Haus herüber, auf welches Zero gewiesen hatte. Der Geist schlenderte hinterher, beobachtete, wie der Heekshaai grob auf das Dach einschlug und ein Stück heraus brach. Er untersuchte es, brach unversehrte Schmucksteine aus ihren Vertiefungen. Er fuhr über den glatten Stein, konnte sich weder von ihm lösen, noch aufhören ihn zu berühren, als er sich wieder zu Zero herum drehte.

„Wo soll ich die Truppen sammeln?“

Nun klang der General ganz anders und Zeros Lächeln weitete sich. Was für eine Macht von materiellen Werten ausging, wie einfach man mit ihnen manipulieren konnte!

„Hier ist ein guter Ort, die Elfen werden nicht wieder hier herkommen.“

„Und da seit Ihr Euch sicher?“

„Sehr sicher, Herr General. Habe ich je Anlass dazu gegeben, dass man meinen Worten nicht vertrauen kann? Karyu und ich haben die Hellen unter die Erde und in ihre Verstecke getrieben. Sie werden nicht wagen aus ihren Löchern zu kriechen, bis man sie ruft und dann, mein Herr General, werden wir längst bereit sein und auf sie warten“

Abermals ein Grunzen, dann schwerfällige Schritte die zum Siegel zurück führten. Die Rüstung schepperte, als der General in die Knie ging und dann zu Zero sah. In dieser Position waren sie zum ersten Mal auf gleicher Augenhöhe, trotzdem war klar, dass es der Geist war, der das Handeln bestimmte.

„Kehrt mit wenigen Männern zurück und organisiert den Rest in stündlichen Intervallen von zwanzig Kriegern, mehr Kapazität hat das Siegel nicht. Ich werde dafür sorgen, dass es stabil bleibt.“

„Wie Ihr wünscht, Zero.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (27)
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Von:  yamimaru
2017-09-17T19:45:55+00:00 17.09.2017 21:45
Hallo Arani,

oh mein Gott,, ich freu mich gerade so dermaßen, dass du diese FF tatsächlich noch weiterschreibst.

Mir gefällt dieses Kapitel wahnsinnig gut. Erst Kai und Aoi und Kais Erleichterung darüber, dass es seinem Liebsten den umständen entsprechend gut geht. und dann die lange, ausführliche Szene aus Zeros Sicht. Ich kann dir gar nicht sagen, wie es mich schmerzt, dass zero und Karyu hier die Zerstörer sind. Ich kann Zeros Hass auf die Welt so gut nachempfinden, immerhin sind Karyu und er genaugenommen auch nur Opfer. Aber dennoch ist es Grausam, was er den Bewohnern Kistaras im Strom seiner Wut alles antut. Ich bin sehr gespannt mehr über Karyu zu erfahren und auch noch mehr über Zeros Beweggründe. Es macht mich jetzt schon traurig, wenn ich daran denke, wie die Geschichte möglicherweise enden könnte. Denn dass es kein gutes Ende sein wird, egal aus wessen Sicht, davon gehe ich mal aus.

Hab ich schon gesagt, dass ich mich super darüber freue, dass du wieder schreibst? *lacht*
Und ich wäre auch super happy darüber, wieder mehr von dir lesen zu können.
Vielen Dank für dieses schön zu lesende Kapitel, hat mir wirklich sehr viel Freude bereitet.

Alles Gute dir und bis hoffentlich bald.

Lg
yamimaru
Von:  BleedingRose
2014-05-21T12:14:25+00:00 21.05.2014 14:14
Hey!!
Als erstes ein riesengroßes SORRY, weil ich mich jetzt erst melde. Es hat diesmal echt lange gedauert, aber dafür ist meine Krise auch ausgestanden :-)
***

Wow, also das Hizumis Frau so groß ist das sie sogar Uruha überragt, damit habe ich echt nicht gerechnet. Muss ja echt ein super süßes Bild abgeben, wenn Hizu und Sie nebeneinander stehen. Hoffentlich hat Hizu damit nicht so viele Probleme wie ein Freund von mir. Der sieht neben seiner Freundin nämlich auch wie ein zu kurz geratener Zwerg aus.

Gott bin ich erleichtert, dass es Tsukasa gut geht und er die Strapazen gut überstanden hat. Ich habe mir nämlich echt sorgen um ihn gemacht.
TsuTsu soll sich nur nicht zu dolle Vorwürfe machen. Er hat sein bestes getan, um Kai und Ari zu helfen. Auch wenn ich gut nachvollziehen kann, dass eine solche Niederschlag ein derber Schlag ist. Aber man darf auch nicht vergessen dass Zero nicht irgendwer ist und wie Ruki schon sagte… Er hat Reita versprochen Kai am Leben zu halten und das hat er getan.

Mensch. Ruki scheint ja diesmal richtig in Hochform zu sein. Erst hat er für Tsukasa die richtigen Worte gefunden und jetzt bei Uruha. Wobei es bei Uruha ja zu erwarten war, schließlich gehören die beiden zusammen. Und sie sind so süß zusammen.

Uruha soll Rukis Worten einfach mal Glauben schenken. Immerhin ist es auch sein Verdienst mit, dass Aoi wieder genesen wird (hoffentlich).

Und da ist er wieder, der Ruki wie ich ihn kenne. Wenn es um Kyo geht, scheint er ja echt schnell in die Luft zu gehen. Unserem kleinen Giftgnom scheint es ja überhaupt nicht zu passen, dass Kyo mehr weiss als er selber. Wieder einmal. Ob die beiden jemals zueinander finden?
Wenn Ruki so weiter macht, wird er sich irgendwann noch grün und blau ärgern.

Hm, ich bin derselben Ansicht wie Ruki, mit Kyo scheint wirklich irgendwas nicht zu stimmen, nur was? Er kommt mir irgendwie immer so… arschig vor und als wenn er andere von oben herab betrachtet. So als wenn er der Meinung wäre, dass er alles weiss und die anderen keine Ahnung haben. Irgendwie stört mich das ganz gewaltig, weil ich solche Menschen absolut nicht ab kann, die denken, dass sie besser sind als andere. Aber auf der anderen Seite, macht das Kyo auch so interessant. Gerade weil man bei ihm absolut nicht weiss, was er vor hat und vor allem was er so denkt. Ich hoffe er bleibt auch weiterhin so geheimnisvoll, auch wenn er ab und zu mal etwas netter sein könnte :-) [Schon alleine um Rukis Nerven wegen.]

Ich kann nur immer und immer wieder betonen, dass ich Ari mag. Er, Kai und Hizumi sind meine absoluten Lieblinge in deiner FF. Ari hat irgendwie was Sanftes an sich, dass man ihn am liebsten immer um sich haben möchte. Und dann ist er auch noch so ein guter Freund. So jemanden wie Ari, gibt es in unserer Welt ja leider kaum noch.

Dieses Kapitel scheint das Kapitel der Selbstvorwürfe zu sein. Erst Tsukasa, dann Uruha und jetzt auch noch Ari. Dabei haben alle drei ihr bestes getan und dass ist die Hauptsache.
Und der arme Aoi. Scheint ja wirklich nicht gut um ihn gestanden zu haben, aber zum Glück konnte ihm geholfen werden. Da fällt mir echt ein Stein vom Herzen.

Der letzte Satz aber, gefällt mir ja mal überhaupt nicht. Karyu ist jetzt also erwacht? Na das kann doch nichts Gutes heißen. Ich bin schon sehr gespannt, was nun alles noch passieren wird und wie und wann Zero noch einmal in Erscheinung tritt. Und auch auf Karyus ersten richtigen Auftritt freue ich mich schon.
***

Dieses Kapitel war mal wieder der Hammer, aber das brauche ich dir bestimmt kein weiteres mal zu sagen, oder? Ich bin ja eh nichts anderes von dir gewohnt.
Mensch, da kann man ja richtig neidisch werden. Ich finde es echt bemerkenswert, wie du es immer und immer wieder, Kapitel über Kapitel fertig bringst, dass ich das Gefühl habe mitten drin zu sein. Deine Beschreibungen von der Umgebung und alles drum und dran sind einfach der Wahnsinn. Es macht jedes Mal aufs neue Spaß, deine Werke zu lesen.

Als letztes für heute kann ich dann nur noch sagen: Bis hoffentlich bald. Ich kann es vor Spannung kaum mehr aushalten und freue mich schon jetzt, auf das nächste Kapitel.
LG
Von:  BleedingRose
2014-03-24T16:44:38+00:00 24.03.2014 17:44
Hey!
Endlich funktioniert mein Internet wieder einwandfrei, sodass ich endlich ein Kommi dalassen kann.
***

Dieses Kapitel war ja echt eine Auf- und Abfahrt der Gefühle.
1. Glücksgefühle:
Natürlich weil Hizumi wieder aufgetaucht ist :-)

2. Angstzustände:
Wegen Tsukasa. Was du dem Armen angetan hast war echt nicht nett. Zum Glück waren Hizumi und Kulareth da, bzw. haben ihn gefunden. Mein armes Herz musste in den nächsten folgenden Sätzen echt eine Menge mitmachen.
Es klopfe wie wild und litt mit allen dreien mit. Mit Kulareth weil er sich Tsukasa ja praktisch als Essen angeboten hat, dabei ist es nicht sehr klug, einem ausgehungerten Vampir sein Blut anzubieten. Zum Glück war Hizumi da und hat Tsukasa stoppen können, doch...
Dann bangte ich mit Hizu mit, der nun Tsukasa am Hals kleben hatte (im wahrsten Sinne des Wortes). Doch zum Glück, hat er seinen alten Kumpel TsuTsu, mit seinen Worten erreichen können.

3. erneute Glücksgefühle:
Tsukasa ist also erst einmal gerettet, gut so.
Und dann konnte auch noch Ari befreit werden, was mich persönlich auch sehr gefreut hat. Er ist mir im Laufe der FF wirklich sehr ans Herz gewachsen, nicht zuletzt, weil er sich so rührend um Kai kümmert.

4. Angstzustände, gepaart mit einem kleinen Wutausbruch:
Oh mein Gott. Uruha leidet echt Höllenqualen. Der macht sich Sorgen um seinen Herrn und Freund und will eigentlich nur, dass er endlich gefunden wird und was tun Ruki und Kyo... die streiten sich. Als wenn es nichts Wichtigeres zu tun gibt, als sich gegenseitig anzugiften. Also Freunde werden die Beiden so schnell bestimmt nicht.

5. ein kleiner Funke Hoffnung, der leider viel zu schnell wieder erloschen ist:
Endlich. Sie haben Aoi gefunden, aber... und da gibt es ein ganz dickes ABER... Es sieht nicht gut um ihn aus.

6. mehr als nur Angstzustände:
Ich konnte es mir wirklich sehr gut vorstellen, wie Kai mit Aoi im Arm sitzt und um seinen Geliebten weint (bzw. sich die Kehle aus dem Leib schreit). Das war so Herzergreifend und unsäglich traurig. Daran erkennt man wirklich seht gut, wie sehr die Beiden sich lieben. Doch Kai muss von Aoi ablassen, wenn ihm geholfen werden will. Und da kann ich Uruha auch sehr gut verstehen, dass er erstmal keine Rücksicht auf Kai nehmen kann, wo doch Aoi Hilfe braucht. Und die scheint er ja auch zu bekommen, das freut mich.

So, das war sie also... die Auf- und Abfahrt meiner Gefühle, die du mir mit diesem Kapitel beschert hast.
Doch bei so viel Drama und Mitfieberrei, ob denn auch alles gut geht, gab es aber auch einen Moment, da musste ich lachen. Und das war Hizumis Satz zu Reita (ich hoffe es war Reita):
"Ich weiß ja nicht, was ihr glaubt, was wir im Heiligtum machen, aber wir fressen dort sicher keine kleinen Kinder."
Der Satz war herrlich und hat die traurige Stimmung wieder ein wenig angehoben.

Und ich kann es fast selber nicht glauben, aber... Kyo hat sich einen Pluspunkt bei mir eingefangen. Warum? Weil er Hizumi vertraut. Und jeder Freund oder Vertrauter von Hizumi, ist automatisch ein Freund von mir :-)
***

So, dass war es dann erst einmal wieder von mir.
Wie schon in der letzten Mail erwähnt, war dies ein grandioses Kapitel und ich freue mich schon jetzt, wenn ich das Nächste in den Händen halten kann. Natürlich mit der Hoffnung, dass es gute Nachrichten in Bezug auf Aois Genesung gibt.
LG Kathi
Von: abgemeldet
2013-11-01T17:09:37+00:00 01.11.2013 18:09
sehr schöne ff bis jetzt
freue mich auf das nächste kapitel
lg kai ^^
Von:  BleedingRose
2013-10-25T11:42:03+00:00 25.10.2013 13:42
Ich hatte mich ja so gefreut gehabt, als ich deine Ens bekam.
Nur noch einen Tag warten, dachte ich und dann kann ich endlich wieder was neues Lesen.
Doch ausgerechnet dann, musste mein Internet macken machen, und mich immer wieder rausschmeißen.
Darum kommt mein Review erst jetzt, ein paar Tage später.
Mann ey, ich hatte die letzten Tage ja solch eine Hochexplosive Stimmung.
Aber genug sinnloses geplapper, hier kommt mein Review...
***

Aoi ist also endlich auf dem Weg zu Kai...
Gut so würde ich ja sagen, aber da ja bekannt ist, dass Zero, Aois Seele will,
würde ich am liebsten schreien: Weg da Aoi... geh da nicht hin.
Aber er muss ja Kai retten und Ari und Tsukasa.

Oh weh, der arme Tsukasa.
So viel Blut wie der mittlerweile wohl schon verloren haben muss...
Das kann bestimmt nicht gut für ihn sein.
Es ist schön zu lesen gewesen, dass Aoi sich auch um ihn sorgen macht.
Auch wenn er und Tsukasa nicht gerade Freunde waren.

So, weiter im Text...
Aoi ist endlich angekommen, er und Zero stehen sich endlich gegenüber.
Ich will mir gar nicht vorstellen, was gerade in den Köpfen von Aoi und Kai vor sich geht.
Klar das kai Angst um Aoi hat, denn er weiss ja, dass Zero dessen Seele will.
Einerseits wird er erleichtert sein, seinen Aoi endlich wieder zu sehen, aber andererseits...
Du bist echt nicht gerade nett zu den beiden.
Und Aoi... der sieht, dass sein Kai unverletzt ist und es ihm gut geht.
Das hat er ja eh immer nur gewollt.
Klar das er will, dass Zero ihn gehen lässt, aber so blöd ist Zero nicht.

Und da kommen wir zu Zero.
Ich habe ja schon öfter geschrieben, dass mir Zero irgendwo leid tut.
Das tut er immer noch und im Moment ist er einer meiner Lieblingscharaktere.
-> Nicht traurig sein Hizu... du bleibst meine Nummer 1 :-)
Aber natürlich nicht weil Zero so charmant und liebreizend ist, sondern weil er...
Antwort von:  BleedingRose
25.10.2013 14:03
-> Blöder Computer, macht in letzter Zeit was er will... genauso wie die Maus, geht einfach auf Senden, obwohl ich nur was markieren wollte, naja... muss ich das Review halt hier fortführen.

Also, Zero ist derzeit mein Lieblingscharakter, und zwar, weil er nicht einfach nur das Böse in Person ist, sondern es einen Grund gibt, warum er ist was er ist und warum er tut was er tut.
-> Ich hoffe du verstehst, was ich mit diesem wirren Satz sagen will ;-)

Aoi will sich selber opfern, um Zeros Plan zum scheitern zu bringen...
Ganz schlechte Idee, Aoi, ganz schlechte Idee - die gefällt mir nicht.
Ich meine, was wird denn dann aus Kai? Der braucht doch seinen Aoi, genauseo wie alle anderen. Reita, Uruha, Ruki...
Aoi ist nicht zu ersetzen, weder als Freund, noch als Herrscher und schon gar nicht durch Kyo.

Kyo hat sich schon etliche Minuspunkte bei mir eingeheimst und sein letzter Satz, hat nicht gerade dazu begesteuert, dass ich ihn irgendwie noch liebgewinnen könnte.
Natürlich weiss man noch nicht genau, warum er Aoi nicht heilen will, doch die Tatsache das er es nicht tun will, es zerbricht mir das Herz.
Und macht Kyo zum meistgehasst Chara, hier in deiner FF.
Und wenn man bedentk, dass eigentlich Zero der ?Böse? ist, soll das schon was heißen.

Uruha... Nein, was tust du nur mit Uruha?
Er tut mir ja so unendlich leid.
Was er in dem Moment fühlen muss, ich will es mir nicht mal im Traum ausmalen.
***

Mein Fazit dieses Kapitels:
Es ist der Hammer und dermaßen Emotional... ich musste am Ende echt weinen.
Du machst es unseren Jungs nicht gerade einfach, und uns Lesern auch nicht.
So fies wie du hier aufgehört hast... Willst du uns irgendwie bestrafen?
An solch einer Stelle kannst du doch nicht aufhören, dass ist Folter... jawohl.
Ich hoffe sehr, dass das nächste Kapitel bald kommt, denn ich halte es vor Spannung kaum mehr aus.
Diese FF ist mein absoluter Favorit und für diese wundervolle, spannende und sehr emotionale FF, danke ich dir jetzt schon sehr.
Mach weiter so... Ich warte auf das nächste Kapitel, egal wie lange es dauern mag.

Bis zum nächsten Mal.
LG
Von:  Vampirelady0
2013-10-24T19:26:51+00:00 24.10.2013 21:26
Du hast echt an einer total gemeinen Stelle aufgehört. Aber das weißt du ja selber. ^^
Ärgerst uns gerne, ne?
Ich könnte Zero echt den Hals umdrehen. Ich mag ihn absolut nicht.
Ansonsten kann ich mich nur Nori anschließen.
Von:  Ashanti
2013-10-22T18:54:02+00:00 22.10.2013 20:54
Oh mein Gott ich habe Herzklopfen! Ruki tut mir so Leid wegen der Sorge um Uruha und Uruha muss sich furchtbar fuehlen und oh Gott was ist jetzt mit Kyô, ich sterbe bald, was soll das heissen er wird Aoi nicht heilen?Ich muss sagen du hast mich mit deiner FF echt gekoedert :'D
Es ist wirklich fluessig zu lesen und mal was neues^ ^


Von:  BleedingRose
2013-07-03T08:34:15+00:00 03.07.2013 10:34
Hallo erstmal!!!

Wie habe ich mich gefreut, als ich sah, dass es hier weiter geht.
Ein dreiviertel Jahr Pause war echt eine Qual. und kaum auszuhalten :-)

Mit einem mulmigen Gefühl, bin ich an dieses Kapitel rangegangen, da das letzte ja so fies aufgehört hatte.
Umso erleichtert war ich, als ich las, dass es mit Uruha weitergeht, auch wenn sich die Erleichterung sehr schnell umgeschlagen hat.
Die Zerstörung von Gebiks hast du wirklich sehr anschaulich beschrieben und ich wundere mich immer wieder, wie du das nur so hinbekommst.
Ich hatte echt eine Gänsehaut und konnte mit Uruha sehr gut mitfühlen.
Solch ein Leid will man im realen Leben, echt nicht miterleben wollen.

Dann ging es mit Kai weiter und ich wusste echt nicht, ob ich weiterlesen soll oder nicht.
Die Neugierde allerdings hat gesiegt und ich las weiter.
Ari scheint ja nicht so sehr verletzt zu sein, und Kai zum Glück auch nicht, aber...
Der arme Tsukasa, wie kannst du ihm nur so etwas antun? Das hat er echt nicht verdient.

Zum Schluss kam dann Zero und... ich hasse ihn (Nein, natürlich nicht)
Der ist so durchtrieben und... keine Ahnung, mir fehlen einfach die Worte ;-)
Charakterlich gefällt mir Zero ja sehr gut, denn so richtig böse ist er ja nicht.
Er will sich nur für sein und Karyus Schicksal rächen. Man kann ihn irgendwo verstehen.

Ich bin also etwas im Zwiespalt.
Einerseits kann ich Zero verstehen, aber andererseits.
Er will Aoi schaden und so wie ich es verstanden habe, seine Seele benutzen.
Das wiederum finde ich ganz und gar nicht nett.
Ich weiss also im Moment nicht, wer mir mehr leid tut.
Aoi, weil er offensichtlich genau so gehandelt hat, wie Zero es wollte und ihm das viel zu spät klar wurde, oder
Zero, dem alles genommen wurde und der sich, verständlicherweise, dafür rächen will.

***

Dieses Kapitel war mal wieder der Hammer, aber nichts anderes bin ich von dir gewohnt.
Ich hoffe, dass nächste Kapitel ist bald zum Lesen bereit, denn ich kann es kaum mehr abwarten, wie es weitergeht.
Auf ein Zusammentreffen von Zero und Aoi, warte ich nämlich schon lange.

Bis zum nächsten Mal also.
LG

PS: Bitte nicht wundern... Ich war früher Cat2010
Ich hatt meinen Acount gelöscht gehabt, weil ich auf Animexx nicht mehr so viel unterwegs bin.
Nach vielem hin und her überlegen, habe ich mich dann aber doch wieder angemeldet, da es schon noch die ein oder andere FF gibt, die ich gerne lese und da gehören deine mit dazu.
Ich liebe deine FF's einfach und wenn ich sie schon lese, dann will ich auch immer ein kleines Kommt da lassen :-)
Von:  TakashimaKouyouUruha
2013-06-28T11:44:30+00:00 28.06.2013 13:44
Einfach so genial beschrieben <3 Ich kann es nicht in Worte fassen aber deine FanFiction ist so klasse *_* Sie hat so viel Story und so <3
Von: abgemeldet
2012-11-28T10:49:54+00:00 28.11.2012 11:49
Ich kann voll und ganz verstehen warum du das Kapitel magst.
Es war der Hammer.
Ich konnte gar nicht mehr aufhören es zu lesen und war so traurig, als das Kapitel dann geendet hatte.
Es ist aber auch fies von dir gewesen an der Stelle aufzuhören, das muss ich echt mal sagen.

Einen Augenblick lang habe ich echt gedacht, dass war es jetzt mit Ari, aber zum Glück hat Tsukasa ihm helfen können.
Es wäre echt schrecklich gewesen, wenn ihm etwas passiert wäre, ich mag ihn ja so.
Ari ist echt in Ordnung.

Was muss das nur für ein Gefühl sein, wenn man all das Leid der anderen sieht und weiss, dass es wegen einem selber ist.
Dass so viele Leute ihr leben für einen lassen wollen, obwohl diese einen gar nicht wirklich kennen.
Ich kann Kai echt verstehen, dass er es nicht versteht.
Ich glaube, ich würde es auch nicht verstehen.
Und doch finde ich es schön, dass es auch noch Menschen gibt, die nicht nur an sich selbst denken, sondern auch an andere, auch wenn der Preis hier, ziemlich hoch ist.


Jaja, Zero hat sie ganz schön reingelegt.
Es muss Aoi echt rasend wütend machen, dass er sich so hat manipulieren lassen.
Da dachte er, er tut das richtige und dabei war es genau das, was Zero wollte.
Hoffentlich kann es Aoi rechtzeitig schaffen, die anderen zu finden, immerhin ist Zero so nah dran, an Kai.

Wie gesagt, dass Kapi war der Wahnsinn.
Ich freue mich jetzt schon riesig, auf das Nächste.
Bis dahin & LG Cat


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