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Blur - Ancient Curse

[Aoi & Kai] [Ruki & Uruha] [Karyu & Zero] [MC] [Singlework]
von

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Aoi studierte die Bäume am Rande der Wälder von Sepram mit gerunzelter Stirn.

Sie bildeten eine finstere Linie, von welcher man innerhalb weniger Sekunden vollkommen verschlungen wurde; das Blattwerk in dunklem Grün und Blau, das sich gramgebeugt gen Boden neigte, etwas, das die hier herrschende Stimmung verstärkte. Es war, als würden sich Trauer und Schmerz einer Decke gleich um einen legen; das Atmen fiel schwerer und war begleitet von immer wieder streifenden Gedanken, dem Verlust des Fokus auf das Wesentliche.

Unsichtbar für das bloße Auge lag vor dem Eingang der Wälder das magische Siegel der Hoheelfen – Aoi konnte es wie ein Stahlseil um seine Brust fühlen, als er näher trat. Es zog sich mit jedem Schritt enger zusammen und machte es einfachen Wesen unmöglich in den Wald zu gelangen; sie verloren in der Regel das Bewusstsein, bevor sie dem Siegel überhaupt nahe kommen konnten.

Innerhalb des Waldes verschwand die Magie, was der Grund für Kais Überleben gewesen war und danach war Ruki bei ihm gewesen, geschützt durch einen weißen Zauber Kyôs, der es ihm erlaubt hatte, den Wald zu betreten, Kai zu finden und ihn an die Klippen außerhalb der Wälder zu bringen.

Kai hatte es ihm nicht angesehen, doch es hatte dem Dunkelelfen eine Menge abverlangt. Für ein Wesen mit negativer Magie war das Durchschreiten des Siegels von heftigen Kopfschmerzen, Krämpfen und Fieber begleitet. Rukis Magie war mächtiger und hatte ihn Efeu gleich umschlungen und so gegen die fremde Magie gekämpft; so war ihm zumindest das Fieber erspart geblieben.

Nicht einmal alle Hoheelfen konnten das Siegel durch schreiten und die, die es konnten, fühlten schlimmer, als es Aoi im Moment tat.

Wenn sich Zero tatsächlich noch in den Wäldern befand, schützte ihm vermutlich das Artefakt, wann immer er sie verließ.

Sie waren sich zwar nicht sicher, ob dem tatsächlich so war, oder ob Zero längst ein anderes Versteck gefunden hatte, doch Aoi scheute das Siegel lösen zu lassen, so lange es keine Gewissheit gab.

Gerade was Karyu anbelangte, war es mit einer Vielzahl von Risiken behaftet. Wenn der Todesengel erwachte, würde ihn das Siegel hoffentlich gefangen halten; allerdings war davon auszugehen, dass Zero einen Weg kannte, Karyu aus seinem Gefängnis zu befreien. Nichtsdestotrotz würde das Siegel ein solches Vorhaben erschweren und ihnen die Chance einräumen, dieses Mal fündig zu werden.

Aus diesem Grund war Aoi nun auch hier.

Ruki hatte er in Ulka zurück gelassen; dieser sollte die Schriften über das Artefakt weiter studieren. Uruha hingegen war gegangen, um seine Befehle zu überwachen und die restlichen Fürsten über die Vorkommnisse in Kenntnis zu setzen, Boten zu schicken, weswegen nun, neben Kaoru und weiteren Elfen, Reita an seiner Seite war. Das Geisterwesen stand einige Meter hinter ihm und rauchte, eine Hand in die Tasche geschoben, derweil Aoi nahe des Waldrands in die Knie ging und in das Dickicht blickte, ohne feste Formen oder Strukturen erkennen zu können.

»Du weißt, dass wir sie beim letzten Mal auch nicht gefunden haben, oder? Was macht dich sicher, dass es heute klappt?«

Reitas Stimme sank in seinen Geist, weswegen er die Zähne aufeinander presste.

»Nichts. Aber ich verweigere, untätig herum zu sitzen und abzuwarten bis Zero sich erneut zeigt. Und deswegen suchen wir noch einmal. Es muss hier etwas geben.«

»Und was gibt’s als Hauptpreis? Einmal zu Gast beim Todesengel?«

Aoi sah düster über seine Schulter zu dem grinsenden Reita, welcher den Rauch seiner Zigarette ausstieß und den Rest in Flammen aufgehen ließ.

»Zero. Und Kistaras Frieden.«

Der Dämon griff ein wenig des Erdreichs innerhalb des Waldes, roch daran, die Augen geschlossen. Er witterte dabei wie ein Tier, doch so konnte er die grundsätzliche Aura der Wälder aufnehmen und sensibler auf jede Veränderung reagieren.

»Bleib in meiner Nähe. Keine Alleingänge.«

»Yes, Sir, Aoi, Sir!«

Reita salutierte ihm, was Aoi ignorierte und sich fließend zu seiner vollen Höhe aufrichtete. Kaoru trat ebenfalls zu ihnen; er hatte das Siegel an sich kontrolliert, doch keine Risse oder Beschädigungen gefunden, was er Aoi mit einem kleinen Kopfschütteln bedeutete.

„Es ist vollkommen intakt.“

„Demnach kann Zero wirklich das Artefakt benutzen, um das Siegel zu durchdringen.“

„Das ist sehr wahrscheinlich. Die Macht des Kristalls ist noch nicht vollständig erforscht und viele seiner Fähigkeiten beruhen auf Legenden und Vermutungen.“

Aoi nickte, obgleich er am liebsten laut aufgestöhnt hätte. Es war alles so schwammig, vage und mit zu vielen Faktoren behaftet, die er nicht kannte, nicht einschätzen konnte. Aoi hasste es. Er schätzte Klarheit und ein deutliches Ziel. Seinen Gegner mit dem Schwert zu durchbohren und die Angelegenheit damit auf endgültige Weise zu klären war seine bevorzugte Vorgehensweise. Es stieß ihm auf, dass er mühselig nach Puzzleteilen suchte, derweil Zero das gesamte Bild vor Augen hatte.

Ein leises Grollen löste sich von seinen Lippen, dann tat er einen Schritt vorwärts und durchschnitt die Luft in mit der rechten Hand in einer energischen Bewegung; seine Magie rollte in einer heftigen Welle aus seinem Körper. Es prallte gegen das Siegel und öffnete es lang genug, dass Reita und Kaoru sowie die Elfen in den Wald treten konnten, bevor es sich mit einem unzufriedenen Brummen hinter ihnen schloss. Im Inneren empfing sie Stille; sie war schwer, aber nicht unnatürlich, denn hier und da gab es ein leises Rascheln in den Kronen und dem umliegenden Dickicht, Anzeichen für Tiere, die sich vor ihrer Präsenz verbargen.

„Verteilt euch auf je fünf Meter zu meinen Seiten, haltet den Blickkontakt. Wenn ihr auf etwas stoßt, gebt ein Signal zum Halt.“

Er bekam ein Nicken, dann setzte sich der Suchtrupp in Bewegung. Immer wieder studierte Aoi die Karte, glich sie mit dem ab, was er vor sich sah. Es gab eine Unmenge an möglichen Unterschlüpfen, mal waren sie nur temporär geeignet, manches Mal taugten sie aber auch für weit mehr. Zwei der Orte, die sie fanden, zeigten Spuren der Benutzung; es gab eine Feuerstelle und Überreste von etwas, das ein Lager gewesen sein könnte. Aoi ging vor den Überresten abermals in die Knie, glitt mit der Hand über altes Moos und getrocknetes Gras. Es haftete dunkle Magie daran; kaum mehr wahrzunehmen, trotzdem kribbelte es an Aois Fingerspitzen, weswegen er die Hand zu einer Faust ballte.
 

„Zero war hier.“

„Mit Karyu?“

„Keine Spur von Hinas Magie.“ Aoi erhob sich, stieß mit der Stiefelspitze gegen die Steine der Feuerstelle, verschob sie so. „Es ist möglich. Ich kann die Signatur der Magie nicht mehr genau lesen. Fest steht nur, dass sie mit etwas dunklem behaftet ist, aber das kann so ziemlich alles heißen. Und es sagt uns, dass Zero Karyu mehrere Male bewegt hat. Ich nehme an, um eine geeignete Bleibe zu finden. Dieser Ort hier fiel allerdings nicht in seine enge Auswahl.“

„Verständlich.“ Reita drehte sich langsam um die eigene Achse, studierte den Unterschlupf genau. „Es ist schnell einsehbar, keine Möglichkeit, sich gegen harsche Witterung zu schützen. Der Boden ist zu hart, als dass man etwas in ihn treiben könnte. Allein und mit einem Wesen an der Seite, das vollste Unterstützung braucht, wäre ich auch nicht geblieben.“

Aoi nickte zustimmend, die gleichen Gedanken waren ihm ebenfalls durch den Kopf gegangen und nun fixierte er Reita mit einem harten, kalkulierenden Blick.

„Gib mir die Karte.“

Reita reichte die lederne Rolle an seinen Herrn, welcher die Karte öffnete, studierte und dann einen zufriedenen Laut in seiner Kehle tat. Genau das hatte er überprüfen wollen.

„Weiter nördlich gibt es tiefere Höhlen, in denen die Möglichkeit auf Wasser und weicheren Boden weit höher ist. Da machen wir weiter.“

„Ich sage Kaoru Bescheid.“

Reita verließ die Höhle in welcher sich Aoi ein letztes Mal umsah, bevor er ebenfalls an das Tageslicht zurück kehrte, zufrieden, dass sich der Suchtrupp bereits in die neue Richtung formiert hatte.

Er tat einen Schritt, um zu ihnen aufzuholen, als er das Prickeln einer mentalen Verbindung in seinen Gedanken fühlte – ohne Zweifel Kyô, dessen Stimme einen Herzschlag später hinter seinen Schläfen wider klang.

»Hizumi, der Fürst der Fenir, nähert sich den Wäldern von Sepram. Er ist auf der Suche nach Euch.«

»Hat ihn der Bote nicht erreicht?«

»Nein, da er zu diesem Zeitpunkt schon unterwegs war. Es geht ihm auch nicht um Zero. Er nannte keine genauen Gründe, nur dass es keinerlei Aufschub duldet.«

Aois Stirn legte sich in Falten – das klang nach einem weiteren Vorfall. Möglicherweise Teil des Puzzles, oder auch nicht. Definitiv störend und mehr als unpassend.

»Ich bin auf dem Weg.«

Er erhielt keine Antwort und kurz darauf schwand ihre Verbindung, die er nun seinerseits wieder aufbaute; allerdings zu Reita, der sich nach ihm umgedreht hatte und auf seinen Zügen sah, dass etwas geschehen war. Er fragte nicht nach, was es war, nickte nur, als Aoi sagte, er solle den Suchtrupp weiter führen, derweil er sich mit Hizumi traf. Aoi würde ihn ins Bild setzen, sobald er klarere Fakten hatte.
 

Der Fürst der Fenir erwartete ihn bereits, als er die Wälder verließ. Er senkte kurz und respektvoll den Kopf, dann streckte er Aoi den Arm hin, welcher ihn ergriff und den Ellenbogen umschloss.

„Hizumi. Du wolltest mich sprechen.“

Der kleinere Mann nickte, das Gesicht ernst, als er seine mächtigen Schwingen enger an den Körper faltete.

„Gestern Nacht gab es einige Kilometer von meinem Stamm entfernt einen Meteorenschauer. Wir flogen an den Ort des Einschlags um ihn zu ergründen, wobei wir auf dies hier stießen.“ Hizumi griff in das Innere seines Hemdes, aus welchem er ein in ein Tuch eingeschlagenes Objekt holte, das er Aoi reichte. „Es ist mit einer seltsamen Magie behaftet, die aber nicht gefährlich zu sein scheint. Wenn man es in den Boden schlägt, beginnt es zu pulsieren. Wie ein Signal.“

Die Falten auf Aois Stirn vertieften sich, als er die Ecken des Tuches aufschlug, um einen direkten Blick auf den Stein zu haben, der sich in dessen Inneren verborgen hatte.

Er war glatt, klar unnatürlichen Ursprungs und er trug das Zeichen der Heekshaai - einem Kriegervolk, das in einer anderen Welt hinter dem Schleier lebte.

„Es ist ein Signal.“, bestätigte Aoi Hizumis Vermutung mit finsterer Miene. „Es stammt vom Eisvolk der Heekshaai. Gab es noch andere Vorkommnisse außer diesem? Hat dein Volk Eindringlinge beobachtet?“

Der Beschwingte schüttelte den Kopf.

„Nein, nichts dergleichen. Wieso haben die Heekshaai etwas derartiges nach Kistara geschickt?“

„Damit sie wissen, wo ihre Truppen hin müssen, wenn sie sie durch die Schleier schicken.“

Nun legte sich auch die Stirn des Beschwingten in Falten.

„Eine Invasion? Zu welchem Zweck? Sie würden keinerlei Chance haben. Kistara ist vereint und stärker denn je.“

„Das ist eines der Dinge, die es heraus zu bekommen gilt. Aber es macht durchaus Sinn, dass es genau nun geschieht.“

„Weswegen?“

Aoi schlug das Tuch wieder über den Stein, gab diesen Hizumi zurück, begegnete dessen Blick ruhig und trotzdem war es dem Fürsten der Fenir anzusehen, dass dieser die tiefer liegende Botschaft, die Wichtigkeit der folgenden Worte ganz genau verstand.

„Zero ist vor einigen Tagen in Aktion getreten. Ich habe veranlasst, Boten zu jedem der Fürsten zu schicken und diese über die Vorkommnisse zu informieren. Du warst allerdings schon hierher unterwegs, daher bist du noch nicht im Bilde. Kai wurde ein Traumruf von Zero geschickt, gleichzeitig löste sich eine Prophezeiung vom Baum der Weissagung. Ich vermute aus ihrem Inhalt und den Worten die Zero an Kai richtete, dass er an Kais Seele heran will, möglicherweise um unter den Monden ein Ritual vorzubereiten, das es ihm erlaubt, Karyu zu befreien. Ich bin alle möglichen Riten und Vorgehensweisen durchgegangen und habe entsprechende Vorkehrungen getroffen. Dass nun darüber hinaus dies Signal eingetroffen ist, bedeutet, dass Zero möglicherweise mit den Heekshaai verbündet ist. Mit ihm an ihrer Seite verbessern sich die Chancen des Eisvolks erheblich und das würde ihren plötzlichen Mut Kistara anzugreifen erklären.“

„Durchaus plausibel. Doch wozu das Eisvolk bemühen, wenn er an eine Seele heran möchte? Von dem, was ich über die Heekshaai weiß, macht es nicht wirklich Sinn. Sie besitzen keine großartige Magie, die Zero für ein Ritual von Nutzen sein würde.“

„Das ist wahr. Doch sie sind gute Krieger und die braucht Zero, wenn er an Kai heran möchte. Ich werde die Drachenreiter zu deiner Unterstützung schicken, je früher wir einer Invasion gewahr werden, desto schneller können wir sie eindämmen.“

Hizumi senkte den Kopf, spannte seine Schwingen auf, ohne Zweifel um zu seinem Clan zurück zu kehren und die Gegend zu beobachten, an welcher die Signale hernieder gegangen waren - er wurde jäh von dem Boten unterbrochen, der ihnen quasi genau vor die Füße fiel.

„Mein Herr.“, die Atmung des schmalen, schmutzigen Dämonen war abgehackt, die ledernen Flügel bebten immer wieder in einem klaren Zeichen von Überanstrengung, zumal der Bote nicht einmal das Bemühen unternahm, sich aufzurichten, nur erneut versuchte Worte zu formen, den Blick dabei nicht einmal vollständig gehoben.

„Mein Herr. Gebik wird angeriffen.“

Ein, zwei donnernde Sekunden lang herrschte eine Stille, die derart heftig auf sie nieder drückte, dass Hizumi glaubte, er würde sie wie Wasser in seine Lungen aufnehmen. Das Atmen war unsäglich schwer - zumindest so lange, bis auf den Zügen Aois der Ausdruck von Erkenntnis auftauchte, wie als hätte etwas im Kopf ihres Herrn klick gemacht.

Dann fauchte Aoi wutentbrannt und verschwand. Dort wo er gestanden hatte, rieselten aufgewühltes Erdreich und kleine Blätter zu Boden und man konnte noch immer das Grollen seiner Stimme hören, die Worte, die er von einem heftigen Fluch begleitet gespien hatte.

'Er hat uns abgelenkt!'
 

~~~~~
 

Das Metall des gegnerischen Schwertes prallte auf Kais und sandte dessen halben Arm eine heftige Welle an Schmerz hinauf.

Keuchend und gegen eine Wand gedrängt, konnte der Braunhaarige nicht viel mehr tun, als die Schläge seines Kontrahenten zu parieren und zu versuchen, diesen zurück zu zwingen. Dafür, dass Zero ihn lebend brauchte, zeigten die Eindringlinge nicht gerade Rücksicht oder Gnade ihm gegenüber.

Mit einem klirrenden Geräusch fiel seine Waffe zu Boden; er hatte den Halt auf sie verloren und noch bevor er nach vorne stürzen und sie zurück holen oder aber etwas anderes zur Verteidigung finden konnte, wurde er am Hals gepackt und grob nach vorne gezogen. Sein Gegner war größer als er, stank aus dem Mund und betrachtete ihn darüber hinaus mit einem Blick, den Kai nicht genauer definieren wollte. Und obgleich er sich geschworen hatte, mutig zu sein, kniff er nun die Augen zu, derweil er, in einem sinnlosen Versuch, mit den Fingern an der Rüstung seines Gegenüber kratzte, um sich zu befreien.

Erst ob des seltsam gurgelnden Geräusches, sah er wieder hin – ein Pfeil steckte ihm Hals seines Widersachers; die Pfeilspitze ragte aus der Kehle, war mit dunklem, blauen Blut behaftet. Der Griff des größeren Mannes löste sich und Kai taumelte rückwärts. Er verlor die Balance und landete schmerzhaft auf dem Rücken, auf dem er erschöpft liegen blieb und versuchte, seinen Atem zu regulieren. Dieser zischte und pfiff wie eine alte Dampflock, begleitet von einem unangenehm brennenden Gefühl, dass Kai glauben machte seine Lungen würden jedem Moment innerhalb seines Brustkorbs auseinander bersten.

Von seinem recht schrägen und damit wirklich bizarren Blickpunkt aus konnte er Ari sehen. Der Diener pflügte einen Pfad durch seine Feinde. Wen er nicht mit dem Bogen tötete, dem rammte er Messer in den Hals, oder drängte sie mit Hilfe seiner Magie zurück. Es dauerte nur einige Momente, dann war der Größere bei ihm, riss ihn am Arm in die Höhe.

Er studierte ihn kurz, sah aber keine offensichtlichen Wunden, weswegen er ihn hektisch mit sich zog und hinter einer Mauer zum Knien zwang, indem er die Hand auf seine Schulter schob und nach unten drückte.

Ari selbst spähte um die Ecke ihres momentanen Schutzes, dann schien er minimal zu entspannen, denn er hockte sich zu ihm, legte den Bogen ab, um beide Hände frei zu haben.

„Wurdest du verletzt?“

Kai konnte nur den Kopf schütteln.

Er wusste es nicht. Alles tat weh, sein Gehör war von dem überwältigenden Geräuschpegel des Gefechts gedämpft. Er erahnte Aris Frage mehr, als dass er sie wirklich verstehen konnte. Sein Fokus verschwamm immer wieder leicht und seine Schwerthand fühlte sich an, als wäre jeder Knochen darin pulverisiert.

Ari schien ihn und seine Probleme besser zu verstehen als er selbst, denn nachdem er nach Öffnungen oder Rissen in der Rüstung gesucht hatte, nahm er ihm den Helm ab und zauberte einen kleinen Wasserfall, der sich direkt auf Kais Haupt nieder senkte.

Die Kälte war unangenehm und ließ den Braunhaarigen erschrocken keuchen, aber die Welt gewann an Klarheit und Schärfe. Der allumfassende Lärm geriet in den Hintergrund. Noch immer brutal, noch immer ohrenbetäubend, doch erträglicher.

„Danke.“

Ari nickte ihm zu, spähte abermals hinter ihrem Versteck hervor.

„Wir müssen in den Thronsaal. Komm.“

Der Blonde packte Kai am Handgelenk, ließ seinen Bogen zurück und griff stattdessen nach einem der Schwerter der Toten, die ihren Weg säumten. Kai versuchte nicht zu genau hinzusehen, aber es war schwer den Blick abzuwenden, wenn einer der Ritter, die er gekannt hatte, auf einer Lanze aufgespießt vor ihm lag.

Sein Diener umging die meisten Gefechte geschickt, reichte ihm ein Schwert, als er es fand, dann glitt er mit den Fingern über die Mauer des Schlosses Draigh, drückte immer wieder gegen die Steine.

Einer von ihnen senkte sich unter dem zufriedenen Laut des Bogenschützen tiefer, bevor ein Mechanismus klickte und sich das Gestein unter Ächzen und Scharren in Bewegung setzte. Die entstandene Öffnung war nicht groß, Kai musste sich seitlich hinein quetschen, der Tunnel dahinter indes erwies sich größer und erlaubte Kai, sich nach Ari umzusehen. Dieser war direkt hinter ihm, eine Hand in seinen Rücken gelegt, um ihn vorwärts zu schieben.

„Lauf!“

Der Braunhaarige nickte, eine Sekunde bevor das bekannte Geräusch eines Pfeils durch die Luft vibrierte – Ari hörte es ebenfalls und blockierte Kais Körper mit dem eigenen – es war, als würde die Zeit für einen langen, qualvollen Herzschlag im Stillstand verharren.

Kai konnte in Aris Augen sehen, wann ihn der Pfeil traf. Das stechende Grün seiner Iris verdunkelte sich, trübte sich unter dem Schock von Schmerz, seine Atmung stockte minimal, dann kehrte die Zeit zu ihrer normalen Geschwindigkeit zurück und Ari drückte härter gegen Kai, schob diesen mit überraschender Kraft tiefer in den Tunnel.

„Lauf, verdammt!“
 

Kais Atmung fing sich, als er vorwärts stolperte – er wischte sich grob über die Augen, tilgte die aufkommenden Tränen. Er konnte, er durfte sie nicht zulassen, nicht jetzt!

Unter den angestrengten Anweisungen des Größeren schlug Kai enge Haken um die Ecken, mal links, mal rechts. Einige Mauern streifte er mit der Schulter, weil er den Abstand zu ihnen unterschätzt hatte – und an jeder dieser Kurven blickte er sich nach dem anderen Mann um, packte dessen Hand, als Ari an Tempo verlor.

Ihre Verfolger waren ebenfalls in den unterirdischen Tunneln; der Braunhaarige hörte ihre bellenden Stimmen, das Krachen ihrer Rüstungen und ihre schweren Schritte, die von überall herrühren konnten.

Ari strauchelte, prallte stöhnend gegen die Mauer, rang nach Atem, derweil sich seine Lider immer wieder schlossen und Kai packte dessen Arm, schlang ihn sich um die Schulter, hielt ihn so.

„Lass mich jetzt nicht im Stich, Ari. Komm schon, wo lang jetzt?“

Es kostete den Älteren einige Sekunden, dann deutete er mit einem Kopfnicken nach links und Kai setzte sich in Bewegung, schliff Ari mehr hinter sich her, als dass dieser eigenständig lief.

Sie erreichten eine Treppe, welche Kai Ari hinauf zerrte. Er musste seinen Freund loslassen, um die schwere Holztür zu schließen und um den massiven Balken zu heben und ihn mit einem Ächzen in die metallenen Klammern fallen zu lassen. Er beobachtete noch, wie sich weitere Bügel von oben um das Holz senkten, dann wandte er sich dem Blonden zu, welcher halb aufrecht gegen die Wand lehnte.

Sein Gesicht war bleich, auf der Stirn stand Schweiß und er schlug Kais Hände weg, als dieser ihn an den Armen fassen wollte.

„Lauf weiter!“ Sein Atem rasselte, als er die Worte hervor presste. „Nach links und die Treppen hoch, sie bringen dich in den Thronsaal.“

Kai schüttelte den Kopf, verweigerte, den anderen zurück zu lassen. Sie mochten sich erst ein paar Tage kennen, trotzdem betrachtete Kai ihn als Freund. Ein Freund, der ihm in der letzten Stunde gefühlte hundert Mal das Leben gerettet hatte und in dessen Rücken ein Pfeil steckte, der ihm gegolten hatte.

„Ich werde dich nicht hier lassen!“

„Du musst!“

„Das ist mir egal. Komm schon, hoch mit dir!“

Ari tat einen protestierenden Laut, wehrte sich aber nicht, als Kai abermals nach ihm griff und den Arm in dem Moment zurück über seine Schultern zog, in dem ihre Verfolger mit einem heftigen Schlag gegen die Tür prallten und diese aufzubrechen suchten. Kai wartete nicht, ob sie damit Erfolg haben würden. Unter einem konstanten Murmeln von Worten, die vor allem ihn selbst antreiben sollten, erklomm er mit Aris zunehmend schwerer werdendem Gewicht die Treppen, setzte diesen behutsam im Thronsaal ab und drehte sich der Tür zu, schloss diese – und sah sich dann mit aufkommender Verzweiflung nach einem Balken oder etwas anderem um, mit dem er sie verbarrikadieren konnte.

Nichts, hier gab es nichts!

Von unten hörte er das Splittern des Holzes; ihre Angreifer hatten die Tür durchbrochen, oder waren zumindest nah daran. Kai stürzte zu Ari zurück, fiel vor diesem auf die Knie, schüttelte ihn behutsam an der Schulter. Er wollte diesem nicht unnötig weh tun, aber es musste einen Grund geben, warum Ari sie hier her gebracht hatte. Sie waren hier im Herzen des Schlosses ohne offensichtliche Möglichkeit zur Flucht; wenn man von der Haupttür und dem Weg absah, den sie gekommen waren. Also musste es etwas anderes sein.

„Ari!“, drängte er, schüttelte den anderen Mann ein wenig härter. „Ari! Wie schließe ich die Tür?“

Der Größere blinzelte, richtete sich stöhnend weiter auf.

„Um meinem Hals, die Kette. Drück den Anhänger in die Mitte der Tür.“

Kai nickte, zog mit den Zähnen an seinen Handschuhen, spuckte sie neben sich auf den Boden, als er nach der Kette suchte; sie war verfangen und mit einem entschuldigenden Blick an den Blonden riss er daran, so dass die schmalen Glieder brachen. Er hetzte zurück zur Tür – donnernde Schritte näherten sich ihr – suchte nach der Vertiefung und drückte die Drachenschwinge mit zitternden Fingern in die Vertiefung.

„Komm schon... komm schon, komm schon, komm schon!“

Ein leises Klicken, bevor sich die goldene Schwinge drehte und tiefer im Holz verschwand; dann schossen entlang der Tür metallene Verschläge aus der Wand und gruben sich Krallen gleich in das Holz. Von ihnen gingen kleinere, metallene Streben aus, die sich verlängerten, miteinander verbanden. Es erinnerte an ein gigantisches Spinnennetz, das sich innerhalb weniger Augenblicke über die gesamte Tür und zu je einem Meter daneben ausweitete. Außerdem glänzte es, als würde die Sonne an einem wolkenlosen Tag auf einen See scheinen. Es war mit Magie behaftet.

Kai erlaubte sich, erleichtert auszuatmen – sie schienen erst einmal sicher zu sein.

Er wischte sich über das Gesicht, durch das Haar, als er rückwärts von der Tür zurück wich und an der Seite Aris auf die Knie fiel, um nach diesem zu sehen und zu versuchen, die Blutung der Wunde zu stoppen.

„Schließ... schließ das Haupttor.“

Die grünen Iriden blinzelten zu ihm hinauf; Ari lag auf seiner Seite auf dem Boden, hatte sich nicht mehr aufrecht halten können und Kai nickte nur, kämpfte sich stöhnend zurück auf die Füße. Das Adrenalin in seinem Körper ließ nach und nahm die daraus resultierende Stärke mit sich. Nun setzten Zittern und Ermüdung ein, trotzdem zwang sich Kai, durch den großen Saal zu der anderen Tür zu sprinten.

Er spähte an ihr vorbei, doch der Flur dahinter war leer, weswegen er den ersten der beiden Flügel griff und zu bewegen suchte. Es war wahnsinnig anstrengend; Kai hatte ihn nur wenige Zentimeter bewegt, als er pausieren musste, die Stirn gegen das kunstvoll verzierte Holz gelehnt.

Er hustete trocken, spuckte den wenigen Schleim, der sich gebildet hatte, auf den Boden. Gott, er hatte Durst! Seine Kehle fühlte sich an, als wäre sie mit Sand gefüllt, seine Zunge und der Gaumen waren klebrig. Schlafen klang auch gut. Sich einfach hinlegen und die Augen schließen.

Ein Poltern riss ihn jäh aus seinen Gedanken; es sorgte dafür, dass eine neue, gehörige Portion Adrenalin ausgeschüttet wurde, die Kai dazu befähigte, derart heftig an der Flügeltür zu reißen, dass er sich beinahe selbst überbalancierte und gestürzt wäre, wenn er nicht den Griff festgehalten hätte. Das Krachen wiederholte sich und brachte Tränen der Verzweiflung und Frustration in Kais Augen.

Er würde die mächtigen Türen niemals rechtzeitig schließen können!

Ein resignierter Schrei löste sich von seinen Lippen; der letzte Ruf nach Rettung, bevor er am Ende des Ganges Zero kommen sah.
 

Der Mann aus seinem Traum hatte sich in keiner Weise verändert und trotzdem ängstigte er Kai nun weit mehr. Seine Schritte waren lang, gezielt, ein kleines Lächeln auf den Lippen, das sich weitete, als er unkontrolliert und hektisch am Flügel zerrte.

»Kai.«

Zeros Stimme sank in seinen Geist, weit weicher und melodiöser als er das erwartet hätte. Es war, als würde in diesem einen Wort, seinem Namen, noch sehr viel mehr gesprochen werden. Kai sollte aufhören zu kämpfen, einsehen, dass er nirgendwo mehr hin konnte. Er sollte sich in sein Schicksal fügen und zu Kais Entsetzen reagierte sein Körper bereits auf Zeros Wort; seine Muskeln entspannten sich, seine Hände, die den Türgriff hielten, lockerten ihren Halt.

Er blinzelte immer wieder; vor seinem Blickfeld entstanden Schlieren und Schleier, die Ränder verschwanden und verloren an Farbe.

Grau füllte sein unmittelbares Umfeld, seine Knie gaben seinem Gewicht nach, weswegen er mit der Schulter hart gegen die Tür prallte, doch keinen wirklichen Schmerz fühlte, denn selbst dieser war stumpf, distanziert.

Sein eigenes Herz füllte sein Gehör komplett aus, rumpelte mit langsamem, bizarren Schlag durch seinen Kopf, währenddessen er beobachtete, wie Zero näher und näher kam.

Kai sah, wie dieser die Hand nach ihm ausstreckte; gleich, gleich würde er ihn berühren – Finger packten ihn grob am Arm, rissen ihn herum und von der Tür weg, bevor seine Wange wie von Feuer berührt brannte und die Wirklichkeit zu ihm zurück brachte.

Mit einem Mal realisierte er vier, fünf Dinge gleichzeitig.

Man hatte ihm eine gehörige Backpfeife gegeben. Zeros glatte Züge waren einem Schnarren gewichen. Tsukasa war mit einem Mal an seiner Seite, begleitet von drei Rittern. Er war im Inneren des Thronsaals und die Türen geschlossen. Und der Fürst hatte ihn an den Schultern gepackt, schüttelte ihn, derweil er seinen Namen rief.

„Kai. Kai!“

Er nickte, fasste sich an die Schläfe, hinter welcher sich ein heftig pochender Kopfschmerz festgesetzt hatte. Was auch immer Zero getan hatte, es war verschwunden und ließ ein bittere Übelkeit zurück.

„Bist du verletzt worden?“

Nun schüttelte er den Kopf, antwortete, als Tsukasa ihn, unzufrieden ob seiner fehlenden Kommunikation, ein weiteres Mal schüttelte, so heftig, dass seine Zähne aufeinander schlugen und er sich auf die Zunge biss.

„Nein.“, japste er, seine Stimme zittrig. „Aber Ari... Ari wurde getroffen.“

„Bring mich zu ihm.“

Der Braunhaarige nickte abermals und konnte aus dem Blickwinkel sehen, dass die Wachen vor der Tür Posten bezogen und dass sich über die große Haupttür das gleiche spinnennetzartige Gebilde gelegt hatte – es kroch an der Wand entlang und weitete sich auf die riesigen Glasfenster aus, wobei es zunehmend Licht nahm und sie in einer bedrückenden Dämmerung zurück ließ.

Von außerhalb waren Detonationen zu hören, gemischt mit dem Kreischen von Magie, dem Aufeinander prallen von Schwertern; das Gefecht tobte erbittert und das nur wegen ihm.

In Kais Augen brannten erneute Tränen; all dies nur wegen ihm!

Wenn die Schuld ein hässliches Biest war, dann hatte sie ihm soeben ein ordentliches Stück Fleisch aus dem Bauch gerissen. Sein Innerstes war in einem Aufruhr, doch er drängte es zurück. Er konnte das nicht zulassen. Er durfte es nicht.

„Ari.“

Er sank neben dem Verletzten zu Boden, wenig graziös, doch es konnte ihn nicht weniger interessieren.

„Ari. Tsukasa ist hier.“

Der Blonde öffnete die Augen, Erleichterung in ihnen, als er zu seinem Fürsten blickte. Nun konnte er der lauernden Ohnmacht nachgeben, nun würde Kai beschützt werden und ihm war es erlaubt, einen Schritt zurück zu treten.

„Ihr seid hier.“

Tsukasa nickte.

„Und dass Kai ebenfalls hier ist, ist allein dein Verdienst.“

Der Fürst stützte ihn, als er ihn in halbwegs aufrechte Position brachte und seinen Rücken inspizierte.

„Kai, komm her, lass ihn sich gegen dich lehnen.“

Der Angesprochene rutschte näher, nahm Ari in den Arm, sodass sie Brust an Brust saßen und sein Freund den Kopf auf seine Schulter legen konnte.

„Ich muss den Pfeil raus ziehen. Halt ihn so fest du kannst.“

Er tat was ihm gesagt wurde, schob seine Arme enger um den Größeren, welcher im Gegenzug Halt an ihm suchte und dabei tiefe Atemzüge tat, als würde ihm das helfen, den kommenden Schmerz besser zu kompensieren. Tsukasa hielt Ari an der Schulter gegen Kai gedrückt, blickte diesen an, als er den Pfeil griff und kurz aber heftig daran zog. Es war zu schnell, als das der Blonde hätte schreien können, trotzdem löste sich ein gebrochener, klagender Laut, der Kai in der Seele weh tat.

Ohne es wirklich zu realisieren, begann er Ari hin und her zu wiegen. Kleine schaukelnde Bewegungen, die er immer bei Müttern beobachtete, egal ob diese ein Baby oder aber eine Vase im Arm hielten.

Tsukasa hingegen zog seinen Dolch aus dem Stiefel, schnitt sich damit über die Handfläche, nachdem er den Handschuh ausgezogen hatte. Er streckte die Finger, um den Schnitt weiter zu öffnen, hielt die Wunde dann über Aris Rücken und ließ das Blut auf dessen Verletzung fallen. Es zischte leise, wann immer ein Tropfen aufschlug, begleitet von einer feinen Rauchschwade und dem gelegentlichen Wimmern Aris.

Kai beobachtete mit morbider Faszination, wie sich Aris Wunde schloss und von innen heraus vernarbte; es war hässlich und erinnerte an stark verbranntes Fleisch, doch die Blutung war gestoppt. Tsukasa zog seinen Handschuh wieder an, nachdem sich der Schnitt geschlossen hatte, legte die Hand auf Kais Schulter, um dessen Aufmerksamkeit zu erhalten.

„Die Türen und Fenster werden Zero nicht ewig aufhalten. Wir müssen in Bewegung bleiben.“

Doch es war der Blonde in Kais Armen der als erstes nickte, derweil der Braunhaarige fragend blinzelte – wohin konnten sie denn jetzt noch gehen? Er war davon ausgegangen, dass Ari sie hierher gebracht hatte, weil der Schutz des Thronsaals ausreichend war.

Er erhielt die Antwort wenig später.
 

Tsukasa gab dem größten Thron einen heftigen Tritt, schleuderte die übrig gebliebenen Holzteile davon, bevor er eine Stelle auf dem Fußboden sorgsam von Staub und Splittern befreite. Er griff unter seine Rüstung und zog unter ihr die gleiche Kette hervor, die auch Ari besaß. Er senkte die Schwinge präzise in die Vertiefung am Boden, blickte dann geduldig auf sie hinab, derweil es vor der Haupttür mehrere Explosionen gab, die derart heftig waren, dass Risse im Mauerwerk entstanden und die Schmuckschilde von den Wänden fielen.

Kai zog Ari aus Reflex enger an sich, doch dieser löste sich bereits von ihm, griff nach seiner Hand, drückte diese.

„Komm schon, Kai. Konzentriere dich auf das, was du gelernt hast. Sieh dein Ziel, wahre deinen Fokus.“

Der Braunhaarige nickte langsam, schloss die Augen, derweil er drei Mal tief durchatmete.

„Was ist dein Ziel?“

„Überleben. Stärker werden, um an Aois Seite zu stehen.“

„Was ist jetzt wichtig?“

„Entkommen.“

„Exakt.“

Kai hob die Lider, nickte einmal kurz und stemmte sich dann auf die Beine, eilte zusammen mit Ari zu Tsukasa, welcher vor den Stufen wartete, die sich unter dem Thron in die Tiefe senkten. Der Fürst betrat sie als erstes, gefolgt von Kai und Ari; sie waren steil und führten tief unter die Erde. Kai konnte den feinen Geruch von Wasser und feuchter Erde wahrnehmen, derweil das Licht rapide abnahm. Am Ende war es stockdunkel und Kai hielt eine Hand konstant an der Wand, um nicht die Orientierung zu verlieren. Tsukasa warnte ihn an der letzten Stufe, wo sie einen Moment stehen blieben. Der Älteste entzündetet eine Fackel, die an der Wand gehangen hatte und hob diese höher, um ihre Umgebung weiter zu erhellen. Seine Augen warfen das Licht wie die eines Raubtieres zurück und ließen Kai schaudern; es war ein unheimlicher Anblick.

„Der Tunnel führt in eine Reihe von Höhlen und Gängen die sich in einem Labyrinth unter Gebik ausbreiten. Wir werden zur nördlichsten dieser Höhlen gehen, sie bringt uns zur Kultscharhochebene. Von dort werden wir zum Tempel der Hohen reisen. Zero wird nicht wagen, dorthin zu folgen.“

Tsukasa wollte sich in Bewegung setzen, doch Kai hielt ihn am Arm fest, starrte ihn mit so etwas wie Fassungslosigkeit an. Erschüttert, dass es dem Fürsten möglich war, Gebik so simpel den Rücken zu kehren.

„Was ist mit deinem Volk? Zero wird sie schlachten, wenn er mich nicht findet!“

Der Vampir legte seine Hand über Kais, drückte sie in einer Art tröstenden Geste.

„Sie wissen sich zu verteidigen. Sie wussten, was auf sie zukommt, als du zu uns kamst. Ich ließ ihnen die Wahl vorher zu gehen, ohne dass sie dafür in irgendeiner Weise an den Pranger gestellt worden wären. Sie alle, aber vor allem die Ritter und Ari entschieden sich dafür, dich zu schützen und zu verteidigen. Sie sind darauf vorbereitet, alles für dich zu geben. Ihr Leben gehört dir.“

„Warum? Warum würden sie das machen?“, Kais Stimme gewann mit jedem der Worte an Volumen und Höhe; er wirbelte regelrecht zu Ari herum, deutete mit dem Finger auf ihn, weil er nicht nahe genug stand, diesen in die Schulter des Blonden bohren zu können.„Warum tust du das? Warum wolltest du, dass Tsukasa dich an meine Seite stellt?“

„Du bist Aois Gefährte.“, antwortete der Blonde schlicht; so als würde es alles erklären, nur verstand Kai gar nichts, oder, besser gesagt, erahnte es, aber wollte es nicht wahr haben. Verleugnete, dass jemand sein Leben auf diese Art für ihn aufs Spiel setzen würde. Alles nur für ein Symbol. Ein Pflichtbewusstsein. Sein innerer Aufruhr kehrte zu ihm zurück, forderte Tränen, Schreien und die Ohnmacht des Entsetzens, das so an Kai nagte und dem er sich beständig verweigerte.

„Nein, nicht nur deswegen.“

Ari drückte sich von der Wand ab, gegen die er gelehnt hatte, trat so dicht zu Kai, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten und Kai begriff, dass er seine Gedanken wieder einmal, unbemerkt von ihm selbst, laut ausgesprochen hatte. Ari griff seinen Arm, hielt ihn am Ellenbogen; eine Geste, die Kai bereits einige Male gesehen hatte und nun kopierte, derweil sich Aris Tiefen in seine Seele bohrten.

„Du bist mein Freund. Du bist mir wichtig.“

Kai schluchzte, blinzelte gegen die verräterischen Tränen, die in seinen Augen brannten.

„Du kennst mich nicht einmal richtig.“

Ari lächelte weit und drückte seine Schulter mit der freien Hand.

„Das was ich von dir gesehen habe, das was ich mit dir erlebt habe, vor allem heute, lässt mich wissen, dass ich stolz sein kann, dich zum Freund erwählt zu haben. Ich habe keine Angst vor dem Tod, Kai. Und ich will mein Leben freimütig geben, wenn dies bedeutet, dass du dann lebst. Aber eine Zukunft in der du dich über dein zu schweres Schild beschwerst und in der du im Matsch liegst, ist mir wesentlich lieber.“

Der letzte Satz ließ Kai gebrochen lachen und er sah an dem zufriedenen Gesicht Aris, dass dies durchaus beabsichtigt gewesen war und so nickte er dem Anderen dankend zu, gewann zunehmend Kontrolle über sich.

Tsukasa legte ebenfalls eine Hand auf seine Schulter, sah ihn eindringlich an.

„Lasst uns gehen. Wir vergeuden wertvolle Zeit.“

Er reichte die Fackel an Kai und gab auch Ari eine, bevor er tiefer in den Tunnel trat.
 

Es hatte etwas beklemmendes an sich, unter der Erde zu gehen.

Kai vermisste das Licht und die frische Luft innerhalb kürzester Zeit. Hinzu kam die Stille; außer ihren Schritten gab es nichts zu hören. Sie unterhielten sich gar nicht oder nur wenig; Ari und Tsukasa waren noch immer wachsam und Kai wollte nicht wie ein kleines Kind erscheinen, indem er alle paar Minuten die Lippen öffnete. Genug einfallen würde ihm. Er hatte Tonnen an Themen, über die er jetzt, genau in diesem Moment, sprechen könnte. Aber er blieb stumm und eilte hinter dem Vampir her, welcher das Labyrinth unter Gebik offensichtlich so lange studiert hatte, bis es in seinem Kopf als perfekte Abbildung projiziert wurde. In 3D. Anders war eine derartige Zielsicherheit nicht zu erklären; Tsukasa schien nicht ein einziges Mal zu zögern oder nicht zu wissen, wo er sich befand.

„Tsukasa.“

Der Fürst drehte sich zu ihnen, um zu Ari zu sehen, welcher die Stimme erhoben hatte.

„Lass uns rasten. Wir sind erschöpft.“

Ari sagte zwar 'wir', aber Kai glaubte, dass er vor allem wegen ihm gesprochen hatte; seit der Vampir die Wunde des Blonden geschlossen hatte, war jegliche Müdigkeit aus den Zügen verschwunden. Auch die Atmung hatte sich sofort reguliert, was Kai wundern ließ, ob es im Blut des Vampirs so etwas wie ein Beruhigungsmittel gab. Etwas das besänftigte und Schmerz nahm, ohne die Sinne zu vernebeln.

„Ein wenig noch. Dann erreichen wir einen alten Unterschlupf in dem wir Kleidung finden können. Unsere Rüstungen sind zu auffällig, sobald wir an der Oberfläche sind.“

Ari nickte und lächelte ihn an, als der Fürst weiter voran ging. Er schloss zu seiner Seite auf, spendete so mehr Nähe, die es Kai erträglicher machte, hier unten zu sein.

Tsukasa hielt Wort; nicht lange und der bisherige Tunnel weitete sich aus, gab eine kleine Höhle mit mehreren Nischen frei. Es gab klare Anzeichen dafür, dass sie benutzt worden war – oder noch immer wurde, denn der kleine Tisch und die vier Stühle waren in einem guten Zustand, ebenso die beiden Betten auf denen Stroh, Leinen und sogar dickere Decken aus Wolle lagen.

„Setzt euch, rüstet ab. Ich hole Wasser.“

Tsukasa deutete mit einem Nicken auf den Tisch und verschwand am anderen Ende der Höhle praktisch in der Wand; Kai musste die Stelle genau fixieren, um zu erkennen, dass hinter dem hier überall wuchernden Moos ein weiterer Gang versteckt war. Ari folgte dem Befehl als erstes; allerdings nicht bei sich selbst. Mit wenigen Schritten war er bei Kai, packte diesen am Arm, um ihn mit zu dem Tisch zu ziehen.

Kai konnte sich eines langen, zufriedenen Stöhnens nicht erwehren, als sein Hintern in soliden Kontakt mit dem Holz des Stuhls kam. Gott, es tat gut, die Beine zu strecken! Ari schmunzelte, arbeitete an den Schnallen seines Schulterschutzes, derweil Kai die Armschienen löste.

Der Blonde räumte alles in eine leere Kiste neben sich, in welche auch sein Brustpanzer und der Helm passten. Auch seine Stiefel und die Beinschienen zog Kai aus, was er nutzte, um die Füße zu dehnen und die Zehen zu spreizen. Ari stellte ihm wenig später Stiefel aus Leder hin - und Kai hatte gelernt, weder zu fragen, noch darüber nachzudenken, wem diverse Kleidungstücke zuvor gehört haben könnten – in welche der Braunhaarige schlüpfte. Seine Hosen und das Oberteil unter dem Panzer waren schlicht und dunkel, sie würden nicht auffallen. Aris Rüstung wanderte neben die seine; das Shirt des Blonden war blutverschmiert, weswegen er es auszog und noch bevor er in das neue, dunkelblaue schlüpfen konnte, erhob sich Kai.

„Warte. Lass mich erst das Blut abwischen.“

Er tauchte ein Stück Stoff in eine kleine Pfütze neben dem Tisch, trat dann zu dem Älteren herüber, strich über dessen Haut, säuberte sie.

Von nahem und vor allem ohne die Rüstung sah die Narbe des Pfeils viel übler aus – sie war fast so groß wie die Innenfläche seiner Hand. Die Eintrittsstelle des Geschosses hob sich in einem deutlich milchigen Weiß vom Rest ab, rund um sie wanderten kleine Flechten zu allen Seiten ab. Es sah aus wie ein kleines Spinnennetz, nur dass die Fäden viel wirrer waren, auch kreuz und quer verliefen. Wie, als hätte man ein Stück Papier zerknüllt.

„Was fasziniert dich da so?“

„Schmerzt es dich?“

„Nein, nicht mehr.“

Ari sah ihn über seine Schulter hinweg an, als er leise seufzte und das Stück Stoff auf den Tisch warf. Es ließ ihn einfach nicht los. Der Anblick nicht und auch nicht Aris Beweggründe. Und Kai war sich sicher, dass es ihn sein gesamtes Leben über begleiten würde. Trotzdem antwortete er nicht, schüttelte nur den Kopf. Ari wollte noch etwas sagen, doch er wurde von dem wiederkehrenden Tsukasa unterbrochen, welcher zwei Wasserschläuche und ein Füllhorn trug und dies nun ihnen gab, bevor er sich ebenfalls seiner Panzerung entledigte.

Kai nahm einige tiefe Schlucke, reichte das Füllhorn an Ari weiter.

„Was ist mit dir?“

„Ich habe mich an der Tränke genährt.“

„Das ist gut...“ Kai schwieg einen Moment, dann wurde ihm klar, was genau Tsukasa meinte. „Oh! Das...“

Der Vampir lachte herzlich über seine Unfähigkeit einen vollen Satz zu bilden.

„Es war niemand, den du gekannt hast, Kai.“

Nun lachte auch Ari und Kai funkelte den Fürsten an – wirklich, dieser hatte einen sehr seltsamen Sinn für Humor.
 

Sie hielten nicht lange, doch die Rast erfrischte Kai, nicht zuletzt durch ein anderes, besseres Heilpendant, das Tsukasa aus einer kleinen Schatulle unter dem Bett geholt hatte. Sein altes bekam nun Ari, welcher einen neuen Bogen erhielt und Kai in seiner Annahme bestätigte, dass dieser Unterschlupf regelmäßig benutzt oder aber zumindest für Notfälle wie diesen in Stand gehalten wurde. Er selbst bekam ein neues Schwert, Tsukasa legte sich mehrere Wurfmesser an. Sie alle trugen ihre Waffen offen; das war in Kistara nichts ungewöhnliches; auch die bodenlangen Capes würden nicht weiter auffällig sein.

Sie nickten einander zu, als sie die Kapuzen ihrer Umhänge über den Kopf hoben; Tsukasa hatte auch seine Tiara abgelegt, was ein seltsamer Anblick war. Das Schmuckstück gehörte zu dem Fürsten, aber Kai war klar, dass es zu auffällig war.

Ohne die Rüstung und erholter setze sich ihre Reise weit schneller fort; die Wege begannen anzusteigen, die Gänge zum Teil so schmal, dass sie nur geduckt durch diese gehen konnten.

Kai hörte in der Ferne Wasser rauschen; sie gingen in diese Richtung und je näher sie kamen, desto mehr drängte das gesamte Sein des Braunhaarigen darauf, endlich wieder ans Tageslicht zu gelangen. Alsbald flutete Licht den Gang, welches zunehmend heller wurde, bis sie vor einem Wasserfall zu stehen kamen, nur kurz, bevor Tsukasa unter diesem hindurch tauchte.

Ari und Kai folgten diesem; sie waren nass bis auf die Knochen, doch im Angesicht der wärmenden Nachmittagssonne war es unwichtig. Aois Gefährte schloss die Augen und drehte sein Gesicht in Richtung des Himmels, atmete tief und befreit durch, als der Wind über seinen Körper strich und es endlich wieder Geräusche gab. Er drehte sich zum Wasserfall um, sah in die Richtung, aus der sie gekommen waren, um einen Blick auf Gebik zu erhaschen, doch außer einer fernen Rauchschwade konnte er nichts erkennen.

Er seufzte leise, hoffte, dass die Bewohner Gebiks nun nicht noch größere Verluste erlitten, weil er geflohen war, dann folgte er Kai und Ari, die sich bereits in Richtung des üppigen Waldes bewegten.

Im Gegensatz zu den Wäldern von Sepram, die, obwohl beklemmend, mit den interessantesten Farbvariationen aufwarteten, glich die Umgebung hier einem mitteleuropäischen Wald. Kai erkannte Laubbäume, die mit Birken, Kastanien oder Buchen verwandt sein konnten. Ihre Kronen waren von saftigem Grün, durch welches hin und wieder die Sonne blitzte und helle Flecken auf den von Moos überwucherten Boden warf. Überall sah Kai Pilze, auch diese für die Verhältnisse in Kistara sehr normal, da sie oft braune oder beige Kappen trugen.

Vögel zwitscherten und hier und da erspähte Kai ein Reh; es war dermaßen friedlich, dass es den Braunhaarigen schon wieder beunruhigte. Aber auch Tsukasa und Ari waren entspannter als in den Höhlen und ihre Stimmung färbte auf Kai ab, weswegen er lockere Gespräche aufwarf und hier und da sogar einen Scherz machte.

Fast konnte er sich vormachen, nur auf einer Reise zu sein und nicht auf einer Flucht; es gab Kai ein wenig glückselige Sorglosigkeit.

Doch dann lauerte die Realität hinter der nächsten Weggabelung und ließ den Braunhaarigen in panischer Regungslosigkeit erstarren.

Zero lehnte gegen einen Baum, das kleine Lächeln in den Zügen, das er auch schon im Schloss gesehen hatte und so nonchalant als wären sie Bekannte, die sich zufällig an diesem Ort trafen.

„Hallo Kai.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2012-11-28T10:49:54+00:00 28.11.2012 11:49
Ich kann voll und ganz verstehen warum du das Kapitel magst.
Es war der Hammer.
Ich konnte gar nicht mehr aufhören es zu lesen und war so traurig, als das Kapitel dann geendet hatte.
Es ist aber auch fies von dir gewesen an der Stelle aufzuhören, das muss ich echt mal sagen.

Einen Augenblick lang habe ich echt gedacht, dass war es jetzt mit Ari, aber zum Glück hat Tsukasa ihm helfen können.
Es wäre echt schrecklich gewesen, wenn ihm etwas passiert wäre, ich mag ihn ja so.
Ari ist echt in Ordnung.

Was muss das nur für ein Gefühl sein, wenn man all das Leid der anderen sieht und weiss, dass es wegen einem selber ist.
Dass so viele Leute ihr leben für einen lassen wollen, obwohl diese einen gar nicht wirklich kennen.
Ich kann Kai echt verstehen, dass er es nicht versteht.
Ich glaube, ich würde es auch nicht verstehen.
Und doch finde ich es schön, dass es auch noch Menschen gibt, die nicht nur an sich selbst denken, sondern auch an andere, auch wenn der Preis hier, ziemlich hoch ist.


Jaja, Zero hat sie ganz schön reingelegt.
Es muss Aoi echt rasend wütend machen, dass er sich so hat manipulieren lassen.
Da dachte er, er tut das richtige und dabei war es genau das, was Zero wollte.
Hoffentlich kann es Aoi rechtzeitig schaffen, die anderen zu finden, immerhin ist Zero so nah dran, an Kai.

Wie gesagt, dass Kapi war der Wahnsinn.
Ich freue mich jetzt schon riesig, auf das Nächste.
Bis dahin & LG Cat


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