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Eine Begegnung und viele Gedanken

Autor:  Toki-chan
Ich befinde mich auf dem Heimweg, alleine, steige die Treppen von der U-Bahn-Station zur Straße hoch, höre Musik; ein Tag wie jeder andere. Ich sehe zum Himmel hoch, der in den letzten Tagen eigentlich ausnahmslos in einem fröhlichen Blau leuchtet, und freue mich darüber, dass die Sonne scheint, auch wenn sie nicht wärmt. Das Lied, das ich gerade höre ("Zarter Engel" von Subway to Sally) gefällt mir und macht mich ein wenig nachdenklich. Der Text ist eigentlich konträr zu meiner sonstigen Einstellung, er handelt von Liebe, von absoluter Liebe irgendwie, vom nie-mehr-weggehen. Klar träume ich oft davon, bei irgendwem Ruhe zu finden, idealerweise nur noch eine Person zu lieben und mit dieser glücklich zu sein - in Ewigkeit Amen. Jedes Hollywood-Happy End löst den Wunsch aus, die "Liebe des Lebens" zu finden und eine Möglichkeit zu haben, sie auch halten zu können. Ein Grund mehr weshalb ich solche Filme nur in sehr eigenartigen Stimmungslagen mag und ansonsten nach Möglichkeit vermeide. Denn trotz diesen Träumereien und gelegentlichen Idealvorstellungen bringt mich mein Freiheitsdrang um Beziehungen, die sicher das Potential dazu hätten, "ewig" zu halten und auch schön zu sein. Ich habe ein Talent dafür, auf Leute zu treffen, die absolut lieben, die kaum noch andere Personen ansehen und die einen sicherlich niemals betrügen würden. Wonach sich andere sehnen jagt mich davon; ich kann nicht einmal mit Leuten zusammenbleiben die mir alles zu Füßen legen und mir jeden Fehler verzeihen. Undankbar? Vermutlich. Ich höre oft, dass ich es später einmal bereuen werde, dass ich mich nach so einem Partner sehnen werde, aber bis jetzt bereue ich nichts. Ich suche weiter, wenn ich auch nicht weiß, wonach. Mit den Begriffen "für immer", "bis in alle Ewigkeit" und "unendlich" kann man mich jagen, wenn man sie im Zusammenhang mit Beziehungen oder Liebe verwendet. Sie machen mir Angst.
Doch bei Liedtexten wie diesen frage ich mich doch manchmal, ob es nicht schön wäre, sich bei jemandem anlehnen zu können, jemanden zu haben bei dem man es aushält. Einmal nicht den Kopf aus eigener Kraft hochzuhalten und sich durchs Leben zu beissen, sondern sich ganz klein zu machen und sich in beschützende Arme zu schmiegen, die Augen zu schließen und sich tragen zu lassen. >...schenk' dein Lächeln mir, lass mich nie mehr geh'n. Komm, berühr' mich, halt mich fest in deiner Hand. Komm und führ' mich, sei der Stern der für mich wacht. Komm und liebe mich, komm in meine Einsamkeit. Komm, ich brauche dich, jetzt und für immer...< Mit diesen Gedanken stehe ich auf der Bushaltestelle und sehe vor mich hin, total eingehüllt in meine Musik. Eine alte Frau kommt auf mich zu, eigentlich scheint sie eher an mir vorbei zu gehen, ich registriere sie nur ganz am Rande meines Bewusstseins. Sie sagt irgendwas zu mir, ich höre es nicht, keine Ahnung wie ich es bemerke ohne sie wirklich anzusehen.
Ich drehe die Musik leiser, nehme einen Hörer aus meinem Ohr und frage nach, was sie gesagt hat. Sie wiederholt es, irgendein unwichtiger Kommentar darüber, dass der Bus noch nicht da ist. Ich lächle. Über die Busse kommen wir ins Gespräch, besser gesagt beginnt sie, vielleicht durch mein Lächeln ermutigt, zu reden. Freundlich, fröhlich, nicht eindringlich. So, dass ich ihr gerne zuhöre. Ich habe nichts dagegen, mit Menschen zu reden oder ihnen einfach nur zuzuhören, sofern sie nicht auf diese penetrante, belehrende Art sprechen, die vielen alten Menschen so eigen ist.
"Ich bin jetzt bald 80 Jahre alt." erzählt sie mir. Sie hat lange weiße Haare und trägt eine weiße Wollweste. In ihren Augen liegt ein fröhliches Leuchten. "Vielleicht werde ich 120 und bleibe immer noch so vital!" Ich sage ihr, dass ich das schön fände. "Nur im Rollstuhl möchte ich nie sitzen. Sobald man im Rollstuhl sitzt, ist man abhängig. Abhängig zu sein ist das Schlimmste was einem geschehen kann im Leben." Wieder gebe ich irgendeinen Kommentar ab, was sie ermutigt, weiter zu sprechen. "Ich habe immer darauf geachtet, von niemandem abhängig zu sein. Ich hab' immer geschaut, dass ich Arbeit habe, damit ich später eine Pension bekomme. Von meinen zwei dummen Ehemännern habe ich mich scheiden lassen. Ich hätte etwas verlangen können bei der Scheidung, aber ich hab' mir gesagt nein, von diesen Menschen brauche ich nichts. Ich bin alleine klargekommen, hab mich nie auf andere Menschen verlassen. Das ist einer der schlimmsten Fehler die man machen kann. Lassen sie sich gesagt sein: Vertrauen sie nicht auf andere Menschen. Wenn sie einen Glauben haben, können sie auf Gott vertrauen, auf Jesus können sie vertrauen, aber niemals auf andere Menschen. Das sagt ihnen eine alte Frau." Sie lächelt mich an, sympathisch, irgendwie ein wenig spitzbübisch. Ich bin verblüfft, da das was sie mir da erzählt so sehr an meine Gedanken anknüpft, an meine Überlegungen von wegen Freiheitsdrang oder ewigen Beziehungen. Ich setze an, ihr zu sagen, dass ich ihre Meinung teile, nicht in allen Punkten, aber immerhin. Doch in diesem Moment kommt mein Bus, die alte Frau verabschiedet sich und geht und ich steige in den Bus und fahre nach Hause, noch nachdenklicher als zuvor.
Solche Begegnungen sind mir unheimlich, aber auf eine schöne Art. Sie lassen mich ein wenig zwischen Schicksal und Zufall schwanken. Die alte Frau hat mir vielleicht keine direkte Antwort auf die Frage gegeben, die ich mir zuvor gestellt hatte, aber sie hat genau dieses Thema angesprochen und dafür gesorgt, dass ich noch lange darüber nachdenken werde. Denn so bewundernswert ich es auch finde, dass sie alles ganz alleine geschafft hat, so ist ihre Einstellung doch traurig. Auch wenn sie in keinster Weise verbittert oder enttäuscht klang so tut es mir doch weh daran zu denken, dass diese Frau wohl oft enttäuscht wurde, oft genug, um sich nicht mehr auf Freundschaften einzulassen. Wenn der Verlust der Fähigkeit zu vertrauen mit der Unabhängigkeit einher geht, dann will ich lieber darauf verzichten. Lieber werde ich fünfhunderttausendmal enttäuscht, mache mir wieder Mut, versuche es auf ein neues und sammle dafür auch schöne Erfahrungen, als dass ich so einfach aufgebe. Solange man genug Superkleber bei sich trägt um sein Herz immer wieder aufs Neue zusammen zu kleben, geht das Leben weiter. Und nur weil ich jemandem vertraue, mit jemandem befreundet bin, jemanden liebe, muss ich mich ja nicht in allen Punkten meines Lebens von ihm abhängig machen. Vielleicht liegt genau darin der Denkfehler, der es mir derzeit unmöglich macht, eine Beziehung zu führen. Ich will niemanden, der FÜR mich aufsteht, wenn ich falle. Ich will nur jemanden, der mir die Hand reicht, damit ich mich daran hochziehen kann...


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