Du kannst es vertragen
Ich höre öfter mal, dass ich etwas, im Sinne von Essen, vertragen könnte. Ich habe darüber bis heute eigentlich nie nachgedacht. Heute stell ich dann fest, dass es mich irritiert. Vorab: Mein Körper ist dünn, mein BMI ist genau auf der Untergrenze von normal. Also was will eine Person jetzt sagen, wenn ich das Essen vertragen kann?
a) Du bist eh zu dünn, leg mal zu.
b) Wenn du dicker wirst, sieht man das eh nicht und wahrscheinlich verlierst du es wieder, wenn du bis heute noch nicht zulegen konntest.
c) Dass du das gerade nicht isst, stört mich, weil ich mich selbst nicht zügeln kann und Angst habe, aktiv dicker zu werden, wo du gerade aktiv dünn bleibst. Sei nicht so aktiv darauf hinweisend und mit ein schlechtes Gewissen machend!
Gehört die ganze Sache nicht aber eigentlich zu Bodyshaming? Ich habe meistens das Gefühl, dass man mit damit a) sagen will. Aber wieso? Weil man auch gleichzeitig c) meint? Oder weil man generell ein extrem enges Bild von dem perfekten Körper im Kopf hat, den man dann immer dem gegenüber mitteilen muss und Tipps geben muss, um den zu erreichen? Aber warum heißt es dann immer beim Kuchen, dass ich den vertragen kann, aber nicht zu meinem dicken Kollegen, dass ers vertragen könne, mal die Finger davon zu lassen? Und was sagt man dem "Normalo"kollegen? Wie viel Kuchen legt man dem ans Herz? Eine komplizierte Berechnung anhand seines bisherigen Tageskonsums?
Oder geht es darum, laut mitzuteilen, dass man die ganzen Magermodels nicht schön findet und den Wahn nicht unterstützen möchte? Und so den umliegenden Menschen mitteilen möchte, dass sie einen bitte nicht mit dem Magermodelanblick belästigen sollen? Wobei ich von Heidi Klum natürlich als dick eingestuft worden wäre. Normal-BMI! Widerlich. Da schwabbelt ja alles.
Vielleicht ist das aber auch ein uraltes Überbleibsel aus längt vergessenen Tagen der Kindheit unserer Eltern. Meine Eltern sind in den 60ern aufgewachsen, wo man im Supermarkt... oh, den gabs noch gar nicht. Man ging mit Gläsern in den Tante Emma Laden und die füllte einem das alles ab. Süßigkeiten gabs wenig und selten weil teuer. Tagtäglich vor der Konsole Chips essen und abens das Mikrowellenpopkorn und die TK-Pizza beim Netflixfilm reinziehen war nicht drin, weil noch gar nicht erfunden. Gewicht zulegen war also eher schwierig und Twiggy war noch nicht gefunden. Daher war Gewicht stets etwas Positives. Den Kuchen vertragen können war also eine nette Aufmunterung.
Aber so wie Twiggy unsere Sicht auf Gewicht veränderte (genau so aktiv wie Grumpy Cat, nämlich durch die Glorifizierung der anderen), so hätten sich auch diese Sprüche anpassen müssen. Und so schwirren sie nun irgendwie noch rum und verwirren, erinnern vielleicht an alte Tage oder beleidigen die neuen. Denn letztendlich bekommt man doch auch kein Lob dafür mehr, wenn man wirklich zugelegt hat.
Bekommt ihr manchmal auch Gewichtssprüche zu hören? Und damit meine ich nicht nur "ach bist du dünn" Sprüche, sondern vielleicht auch das Gegenteil. Wie geht ihr damit um?
Edit: Außerdem ist es bei "Pass mal auf dein Gewicht auf" ein schmaler Grad zwischen Sorge (Ich will nicht, dass du krank wirst) und Beleidigung (Mit diesem Gewicht bist du hässlich). Das kann man als Hörer, gerade mit einem niedrigen Selbstbewusstsein, nicht immer klar zuordnen.
With every ounce of my blood, with every breath in my lungs,
won't stop until I'm phe-no-menal.
However long that it takes, I'll go to whatever lengths.
It's gonna make me a monster though!
>Klar, wenn mir das nicht passt, kann ich das meinem Gegenüber ja sagen (auf die Gefahr hin, jenes Gegenüber total vor den Kopf zu stoßen und ebenfalls zu verletzen), aber normalerweise bekommt man das ja eher immer mal wieder zwischendurch von verschiedenen Personen zu hören. Da finde ich es dann etwas fraglich, wie viel eine solche Reaktion überhaupt bringt.
Da hast du natürlich Recht. Aber wenn eben einem viele Leute solche Sachen sagen und man sich mies fühlt mit jedem weiterem Kommentar dazu, dann wäre es doch gut, wenn einem die vertrautesten Personen solche Sachen nicht auch noch sagen.
>Ich bin wahrscheinlich mal wieder viel zu pragmatisch, aber wenn man doch ganz genau weiß, dass das Gegenüber einem ein Kompliment machen möchte (auch wenn man das Kompliment noch so unberechtigt und/oder blöd findet), wie kann man sich davon dann ernsthaft beleidigt fühlen?
Ich bin grade etwas von Schmerzen gestoned, also verzeih mir das schlechte Beispiel jetzt:
Ich hatte nie Beziehungen mit Männern und meine Mutter, vor allem aber meine Schwester haben dann immer versucht, mich mit jemand zu verkuppeln. Das ist in erster Linie eigentlich nett und vielleicht aus Sorge gemeint. Es hat aber dazu geführt, dass ich irgendwann totale Panikanfälle hatte, sobald ein Kerl sich auch nur einen Hauch für mich interessiert hat. So sehr, dass auch meine besten Freundinnen richtig irritiert und geschockt waren. Ich hab erst vor gut nem halben Jahr den Grund dazu rausgefunden. Ich hab dies auch meiner Mutter erzählt. Und trotzdem kamen später Sprüche wie "Hey, du hast doch noch am meisten Brust von uns allen! Männern mögen eh mehr Brust!"
Mir war auch in dem Moment klar, dass es wirklich nur aufmunternd und gut gemeint ist und gleichzeitig hätte sie mir kaum schlimmeres und einschüchterndes sagen können. In dem Moment war ich einfach nur versucht mich heulend irgendwo einzugraben und nie wieder rauszukommen.
Wie Salix bereits sagte: psychische Gewalt ist nicht immer eindeutig, nicht immer sichtbar. Und nicht jede psychische Gewalt ist wirkliche böse gemeint, manchmal sind die "Täter" einfach nur auf einer anderen Ebene, als der Geschädigte und verstehen nicht, was sie anrichten. Das ändert aber nichts daran, WAS es anrichtet.
Man ist nicht einmal böse auf jemanden, man sucht erstmal die Schuld bei sich, weil es eben nicht eindeutig böse war und dann fühlt man sich schuldig, weil man auf sowas negativ reagiert und das wird dann ein Teufelskreis. Vor allem wird man auch dünnhäutiger, je öfter und vor allem je öfter von nahestehenden Personen, einem sowas passiert.
―Terry Pratchett
... oder es ist einfach Frustration gegenüber den Göttern ... ;D
(ich sage gleich ein großes "ENTSCHUDLIGUNG" dafür, dass ich nur das Edit lese, und ja, ich hasse auch Leute, die sowas schreiben, weil ich denke: meine Fresse, les doch alles!.... daher: sorry)
Ich finde es unglaublich interessant, wie groß der Interpretationsspielraum dort ist. Ich würde diesen Satz nämlich immer (außer ich wusste, dass es Neid ist....aber ich gehe davon nie aus, daher würd ich das auch nie annehmen) als Sorge interpretieren.
Das heißt nicht, dass es nicht so sein kann, wie du sagst. Ich finde es nur eher interessant, weil ich bis jetzt nie daran gedacht habe, ihn anders zu interpretieren. Vielleicht sollte ich mir über manche Gespräche nochmal Gedanken machen... x'D
Es ist nicht so sehr aufregen, sondern mehr genervt sein, von wegen, nicht das Thema schon wieder.
Bei meiner Familie kommen solche Sprüche nicht mehr. Von Freunden und Arbeitskollegen schon. Ich merke auch, dass sie von denen nicht böse gemeint sind. Was es so lässigt und nervig macht ist die Häufung. Einen ähnlichen Spruch wie die oben, habe ich schon von all meinen Freunden zu hören gekriegt, auch mal öfter über die Jahre verteilt und von fast allen Arbeitskollegen. Und wenn man soetwas alle paar Wochen hört, bekommt man irgendwann schon das Gefühl, das mit einem wohl doch etwas (das Gewicht) nicht stimmt. Ich pendele seit ich sechszehn bin, bei einem bestimmten Gewicht, mal ein, zwei Kilo mehr, mal ein, zwei Kilo weniger. Mein Gewicht hat sich also nie gravierend verändert, trotzdem werde ich wieder und wieder und wieder drauf angesprochen.
Das führt dazu, dass ich mir Gedanken über mein Gewicht mache, obwohl ich es nicht bräuchte. . Und das kratzt am Selbstbewusstsein.
> In-Genius:
> (ich sage gleich ein großes "ENTSCHUDLIGUNG" dafür, dass ich nur das Edit lese, und ja, ich hasse auch Leute, die sowas schreiben, weil ich denke: meine Fresse, les doch alles!.... daher: sorry)
>
> Ich finde es unglaublich interessant, wie groß der Interpretationsspielraum dort ist. Ich würde diesen Satz nämlich immer (außer ich wusste, dass es Neid ist....aber ich gehe davon nie aus, daher würd ich das auch nie annehmen) als Sorge interpretieren.
> Das heißt nicht, dass es nicht so sein kann, wie du sagst. Ich finde es nur eher interessant, weil ich bis jetzt nie daran gedacht habe, ihn anders zu interpretieren. Vielleicht sollte ich mir über manche Gespräche nochmal Gedanken machen... x'D
>
(Ist okay^^)
Das kommt immer auf die Betonung und den Kontext an. Ich habe Sprachwissenschaft studiert und mich mit Kommunikationsmodellen befasst, da lernt man, dass ein Satz jede mögliche Bedeutung haben kann - abhängig davon, wer ihn zu wem sagt, in welcher Situation man steht, welche Vergangenhat man hat, welche Tonlage und Gestik benutzt wird und noch viele Variablen mehr.
Man kann den Satz eben so erweitern: "Pass mal auf dein Gewicht auf, das könnte sonst ernstliche Schäden verursachen und weil ich dich mag, möchte ich das für dich nicht."
Oder genauso gut: "Pass mal auf dein Gewicht auf, sowas kann doch keiner angucken und anfassen will das auch keiner. Ich wollte nicht so rumlaufen, ist ja hässlich."
Und wer eben, wie gesagt, von niedrigem Selbstwertgefühl geplagt wird oder wenn sich jemand sowieso immer als Opfer sieht, denjenigen liegen die beleidigenden Tonlagen näher, auch wenn der Gegenüber sich vermeintlich klar sorgend ausgedrückt hat. Wahrnehmung ist ja nicht exakt, sondern unterliegt bereits ersten Wertungen.
Kommunikation ist eben ein Wechselspiel zwischen Gemeintem, Gesagtem und Gehörtem und alle drei sind zu gleichen Teilen richtig.
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Das kam jetzt nicht so rüber, aber ich verstehe, was du meinst - Sprache ist unheimlich toll und faszinierend (bei Psychologie sieht man das auch sehr, sehr schön! Man hat nicht so viel Sprache, aber hat auch mehrmals die Feinheiten darin, die es zu beachten gibt).
Die "Theorie" ist natürlich so, ohne Frage. Daher war es auch Ernst gemeint: ich finde es unheimlich interessant, wie unterschiedlich man es interpretieren kann. Nicht nur diesen Satz, so viel, ja, im Endeffekt unsere gesamte Sprache und Leben! (Gestik, Mimik usw. kommen ja auch dazu!)
Du hast ohne Zweifel Recht - und genau darin liegt auch das Interessante.
(und durchaus hat auch einen Einfluss, welche Erfahrungen der Zuhörer gemacht hat - da wird auch manchmal ein eigentlich gut gemeinter Satz "böse" interpretiert, einfach, weil der Hörer Erfahrungen gemacht hat, die in diese Richtung gehen. Oder wie ich: Es nicht zu interpretieren, obwohl es so gemeint ist...)
Ich persönlich habe aber auch schon hin und wieder zu Freunden/Freundinnen etwas in der Art gesagt wie "Du verträgst ruhig was".
Ich persönlich habe damit aber nicht gemeint, dass ich neidisch bin oder es als spitze Bemerkung gemeint. Ich meinte es eher so, dass Diejenigen sich das gönnen sollten. Weil man ja oft nicht die Möglichkeit hat, sich einfach mal ohne irgendwelche Hintergedanken machen zu müssen, eine fette Sahnetorte reinspachteln zu können (ums mal platt zu sagen).
Zumindest ist das meine Erfahrung, denn ich persönlich verdiene zwar sehr gut, aber viele meiner Freundinnen/Freunde eben nicht so viel, dass sie sich das einfach gönnen können (finanziell gesehen). Ich kenne aber auch die andere Seite (also wenig Geld haben und daher so gut wie nie Süßes bekommen), deshalb meine ich das auch immer eben eher so, "Genieß es ruhig, wenn du kannst, hast es dir verdient, manchmal musst du dir auch selbst was Gutes tun".
Wie das Andere meinen, weiß ich natürlich nicht per se, aber zumindest habe ich es bisher nur in einem ähnlichen Zusammenhang wahrgenommen/mitbekommen. Also eher in Richtung "du kannst es dir ruhig gönnen".
Und, was bei mir noch hinzukommt, ich hab eher meistens etwas Sorge, wenn jemand arg dünn ist, dass er eben körperlich negative Auswirkungen bekommt, wenn er für seine Größe zu wenig Gewicht hat.
Schlagt mich, wenn ihr meint, aber manchmal sieht ein Körper einfach auch nicht "gesund" aus, egal was BMI und Co. sagen. Ob der BMI nun drunter oder drüber ist, ist da irrelevant. Nur, wenn ich eine Freundin sehe, die immer dünner wird und dann einfach kränklich aussieht, dann mache ich mir schon Gedanken und dann kann es auch sein, dass ich etwas wie oben sage. Ebenso in die andere Richtung.
Ich schreibe niemandem vor, wieviel Gewicht er zu haben hat. Aber als Freundin sollte man schon auch im Blick behalten, ob sich etwas gar arg verändert. Oder eben auch mal anmerken, dass sich Jemand etwas gönnen darf, weil er/sie es sonst nicht tut und es von der Figur her nicht auffallen würde.
chiriomiep
Die Finanzielle Seite hatte ich damals gar nicht im Blick. Heute fällt mir sowas auch mehr auf. Letztens sah ich eine Nordseewerbung mit dem Spruch "Nicht Jedermanns Sache? Armer Jedermann." was wahrscheinlich gegen Leute gemeint war, die keinen Fisch mögen. Ich lese da aber drin, dass es auch gegen Leute gesagt werden kann, die sich den Fisch nicht leisten können und das finde ich dann ziemlich auf die 12 von der Werbung.
Finde ich toll, dass du das so erwähnst, so habe ich den Satz "Gönn dir was" oder du kannst es dir leisten nämlich auch noch nicht gesehen.
Ich war damals nur pampig, weil alle um mich herum dauernd meinten, ich sei zu dünn, das hat sich damals wirklich arg gehäuft und irgendwann leidet man drunter. Auch Sprüche wie "du bist schon wieder dünner geworden" etc, was wahrscheinlich kümmernd gemeint ist, in der Menge dann aber irgendwann in mangelnde Akzeptanz umschlägt bei dem, der es dauernd hören muss. Ich habe mich körperlich seit über 10 Jahren nicht verändert. Mein Blogeintrag ist 4 Jahre her.
Ich denke, wenn sich jemand wirklich permanent ins Dünnere ändert, wirst du aber mehr zu ihr sagen. Ich habe eine Freundin, die hat dann mehr als "du bist schon wieder dünner geworden" gesagt. Die hat ganz lieb gefragt und dann erklärt, dass sie sich Sorgen macht und interessiert nachgefragt. Wir haben dann Besprochen, was ich esse, wie mein Gewichtsverlauf ist und danach war alles gut. Das war sehr einfühlsam und das war total ok.
Danke für deine neuen Denkanstöße :)