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FMP: Nordatlantik

von

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Whispered II

1.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten eine geheime Versammlung zu sprengen. Sicherlich hatte jeder der Yakuza sie ein- oder zweimal in seinem bewegten Leben hinter sich gebracht, angefangen beim unerwarteten, plötzlichen Tod, weil einer der Kameraden an galoppierender Illoyalität litt, der Oyabun sein Misstrauensvirus mit Blut und Fingergliedern seiner Untergebenen zu beruhigen versuchte… Oder eine Horde Bewaffneter mit unheimlich präziser Planung einfiel, bevor auch nur einer von ihnen einen Finger rühren konnte.

Und eine bei weitem subtilere Art.

Es befanden sich siebzehn Leute in dem etwas abgelegenen Raum der Gaststätte, über vierzig Wachleute standen auf Posten, um dieses wichtige Treffen abzuschirmen. Es war eine Art Gipfeltreffen zwischen einer sehr bedeutenden Tokioter Gruppe und ihrem Gegenstück in Kyoto. Anders ausgedrückt, es ballte sich hier eine Macht, wie sie die meisten Landespolitiker nicht aufzubieten verstanden.

Und es ging auch um Geschäfte und Summen, die eben jene Landespolitiker nachhaltig eingeschüchtert hätten.
 

In diese Atmosphäre platzte einer der Wächter, stürzte neben seinem Oyabun zu Boden und flüsterte leise mit ihm. Danach legte er drei kleine Barren Feingold neben ihn auf den Tisch. Die Barren, deutlich mit den 24 Karat-Stempel versehen, wogen pro Stück fünf Unzen und hatten damit einen Marktwert von zweitausend amerikanischen Dollar.

Der alte Mann hob interessiert die Augenbrauen. Wer wollte sich hier für viel Geld den Weg an den Tisch erkaufen?

„Entschuldige bitte, Kurusu-tono“, sagte er zu seinem Kyotoer Kollegen, „es kommt gerade was dazwischen.“

Der andere Mann lachte bärbeißig. „Natürlich, Kawamura-tono. Das Geschäft geht vor. Das Geschäft geht immer vor.“

Der Yakuza-Lord nickte seinem Untergebenen zu, der sich sofort wieder erhob und den Raum verließ. Kurz darauf erschien er wieder an der Schiebetür, verneigte sich tief vor den Versammelten im Raum und anschließend in Richtung des Gastes.

Der kam in die Tür, zog seine Schuhe aus und trat in den Raum. Für einen Moment ließ er den Anwesenden Zeit, ihn zu mustern. Europäer, dunkelblondes Haar, gekleidet in einem modischen schwarzen Anzug mit schwarzer Krawatte, weißes Hemd.

Wussten die Yakuza, dass der Europäer nur den Kragen umklappen und einen zusätzlichen Druckknopf schließen musste, um aus dem Anzug ein schwarzes Etwas zu machen, was ihn mit der Finsternis verschmelzen lassen konnte?

Dann verbeugte sich der Mann leicht in Richtung des Oyabun.

Der nickte als Antwort und deutete auf die leere Matte neben sich.
 

Der Europäer nahm die Aufforderung an und setzte sich neben den Yakuza.

„Entschuldigen Sie die Störung, Tono. Ich hätte Sie gerne zu einer besseren Zeit aufgesucht, aber mein Anliegen ist sehr dringend.“

„Es ist unhöflich, sich nicht vorzustellen“, tadelte der alte Japaner. „Aber was kann man anderes von einem Gaijin erwarten?“

„Mein Name ist Thomas Kramer. Ich arbeite für eine freie Interessengruppe mit internationalen Kontakten.“ Er verneigte sich vor dem Japaner.

„Und diese Interessengruppe heißt?“

„Der Name tut nichts zur Sache.“ Thomas beobachtete die Reaktionen der Anwesenden, die wie er erwartet hatte, durch diese kesse Antwort unruhig wurden.

„Ich bin hier, weil mir gesagt wurde, dass Ihr für meine Fragen die beste Quelle in ganz Tokio seid, Kawamura-tono.“

„Hm? Die beste Quelle wofür, junger Mann?“

„Ich interessiere mich für… Elitesoldaten, Tono. Elitesoldaten mit erstklassiger Infanterieausbildung ohne den Hang wahllos zu töten.“ Thomas kniff die Lippen zusammen.

„So? Und was will Thomas-san mit diesen Elitesoldaten mit erstklassiger Ausbildung und ohne den Hang, wahllos zu töten?“

„Ich will sie aufspüren.“

Ein leises Raunen ging durch den Raum.

Ungerührt griff der Europäer in die Innenseite seines Jacketts, langsam, um seiner Nase nicht ein zusätzliches Atemloch im Hinterkopf zu verschaffen, und zog zwei weitere kleine Barren Gold hervor. „Bitte, Kawamura-tono. Ich bin mir sicher, wenn sich eine solche Truppe in Tokio aufhält, wenn eine solche Truppe in Tokio aktiv wird, dann wird Kawamura-tono wissen, wer sie sind, wo sie sich befinden und wer sie angeworben hat.“

Thomas Kramer schmunzelte. „Oder es herausfinden können.“

„Was würdest du tun, Thomas-san, wenn es meine Leute waren?“, fragte der Oyabun geradeheraus.

„Dann würde ich fragen, wie teuer die Information ist, wo sie sich jetzt gerade befinden.“

Die beiden Männer maßen sich mit ihren Blicken ab.

Schließlich beugte sich der Oyabun vor und strich die beiden Platten ein. „Hinterlass deine Handy-Nummer bei meinen Untergebenen, Thomas-kun. Ich werde dich so schnell wie ich die Information bekomme anrufen lassen.“

Der Europäer nickte, verbeugte sich leicht und erhob sich schließlich. „Bitte entschuldigen Sie mein Eindringen.“

Er ging zur Tür, zog seine Schuhe wieder an und schob sie zu.
 

„Das war ein amüsantes Zwischenspiel, Kawamura-tono!“, rief Oyabun Kurusu erfreut. „Und so einträglich für dich.

Das Lächeln auf dem Gesicht des Yakuza aus Tokio verschwand. „Sakai!“

„Tono!“

„Prüfe das! Und gib mir so schnell wie möglich Nachricht! Eine Elite-Einheit, die in Tokio ihrem Geschäft nachgeht, ohne unsere Familie zu informieren ist eine Gefahr!“

„Tono!“ Der Yakuza erhob sich und verließ ebenfalls den Raum.

Der Yakuza aus Kyoto wurde blass. „Du nimmst die Worte des Gaijin ernst, Kawamura-tono?“

Der Oyabun aus Tokio sah auf die Goldbarren hinab. „Es wäre leichtsinnig, ihn nur für einen Spinner zu halten, der sich für hunderttausend Yen den besonderen Kick holt, Kurusu-tono.“

**

„Was sollte das, Sousuke?“, blaffte Thomas in seinen Kommunikator, kaum das er die Gaststätte verlassen hatte. „Wenn einer der Yakuza den Lichtpunkt deines Laserzielsuchgerätes auf der Stirn des Oyabun gesehen hätte, wäre ich da drinnen Fleischwurst gewesen!“

Schwer atmend lehnte er sich gegen die nächste Wand, während fünf schwarz gekleidete Gestalten über die Mauer des Gartens der Gaststätte kletterten und sich geordnet zu einem wartenden Truck zurückzogen. Aus einem Baum sprang ein anderer herab, in der Hand ein wuchtiges Snipergewehr.

Vom Dach des gegenüberliegenden Hauses kam ein weiterer Mann herab.

„Willst du eine rauchen?“ So-sho Mao hielt dem Deutschen eine Zigarettenschachtel unter die Nase.

„Danke, ich rauche nicht. Aber ein Schnaps wäre jetzt nicht schlecht.“

„Das war ich nicht, Thomas.“

„Schnaps habe ich leider nicht. Aber ich halte Weber für dich fest, wenn dir das hilft.“

Der Angesprochene hob abwehrend eine Hand, während sie nebeneinander ebenfalls zum Truck gingen. „Nur ein Versehen. Ich hatte Infrarot eingestellt, um die Entfernung zu messen. Als der Opa dann fragte, was passiert wenn es seine Leute sind, die wir suchen… Ich dachte, ich müsste vielleicht schnell handeln.“

Wütend sah der Captain den anderen Deutschen an. „Akzeptiert. Hauen wir hier ab, bevor doch noch ein Unglück geschieht. Melissa, lass die anderen drei Gruppen ebenfalls abrücken.“

„Verstanden.“
 

Fünf Minuten später rumpelte der Truck über die Straßen der nächtlichen Gigantmetropole Tokio.

„Und was jetzt?“, fragte Melissa leise.

„Was, jetzt? Wir lassen die Yakuza bei unserer Arbeit helfen. Nachdem Sousuke neulich eine ganze Gruppe hoch genommen hat, wird ihnen jeder Infanterietrupp in ihrem Revier vorkommen wie Süßes auf einen blank liegenden Zahnnerv. Das heißt aber nicht, dass wir uns auf die faule Haut legen können. Nicht, dass das auch nur einer von uns will, solange Kim und Tessa irgendwo da draußen sind.“

Ein lauter Knall erklang, als Sousuke mit geballter Faust gegen das Blech des Containers schlug.

„Andererseits sollte einige von uns ruhiger werden.“

„Du hast gut reden!“, blaffte der Arm Slave-Pilot. „Du hast sie ja Tessa entführen lassen! Wenn ich da gewesen wäre, dann…“

„Halt die Klappe, Sousuke! Ich war dabei, ich habe Seite an Seite mit Thomas gekämpft! Wir hatten nicht den Hauch einer Chance und konnten uns bestenfalls abknallen lassen! Hätte dich das glücklich gemacht? Wäre das so besser gewesen?“

Mühsam entkrampfte der Gun-so seine Hände. „Nein. Natürlich nicht. Entschuldigt, bitte. Aber…“

„Schon klar. Dir macht es zu schaffen, dass Tessa schon wieder entführt wurde“, warf Kurtz Weber ein. „Denkst du, uns geht das weniger an die Nieren?“

„Von Kim mal ganz zu schweigen!“, blaffte Thomas wütend. „Oder habt ihr sie schon vergessen?“

„Niemand hat Kim vergessen. Aber wir kennen sie erst wenige Tage, und Tessa ist unsere Freundin, also machen wir uns mehr Sorgen um sie, das ist doch nur natürlich“, sagte Melissa sanft.

„Ich kenne sie auch nur ein paar Tage, und trotzdem mache ich mir um sie nicht weniger Sorgen als um Tessa“, hielt Thomas dagegen. „Verdammt, ich habe ihr mein Wort gegeben, das ihr nichts passiert. Ich habe ihr mein Wort gegeben, das ich auf sie aufpasse.

Eine Spur. Lieber Himmel, ich will doch nur eine winzige Spur.“

„Mehr wollen wir alle nicht, Thomas“, wandte Melissa ein.
 

2.

„Aua.“ Theresa Testarossa fuhr hoch und hielt sich den schmerzenden Schädel. „Was ist passiert?“ Ihr Blick ging durch den kahlen, schmucklosen Raum mit der Stahltür. Eine einsame Neonröhre verbreitete schummriges Licht und entriss ein zweites Bett der Dunkelheit. Fenster gab es keine.

„Sie haben uns entführt“, sagte die junge Frau, die auf dem zweiten Bett hockte. Sie hatte die Beine an den Körper gezogen und umklammerte sie mit beiden Armen.

„Sie? Wer ist sie?“

„Weiß nicht“, hauchte die junge Frau zurück.

„Kim? Geht es dir gut?“

„Wie soll es mir gut gehen?“, fauchte die blonde Frau. „Ich wurde entführt! Wir wurden entführt! Wer weiß, was sie noch mit uns machen werden? Das letzte Mal als mir das passiert ist, lag ich später in einem Tank und war dem Wahnsinn nahe! Ich…“ Sie schluckte heftig, begann kurz zu hyperventilieren und stark zu schwitzen.

„KIM!“ Tessa schwang sich aus dem Bett und kam zu der anderen Frau herüber. „Kim, was ist mit dir?“

„Sch… Schon gut. Für einen winzigen Moment habe ich… Habe ich etwas gesehen, was… Was vor der Zeit im Tank spielt. Es war so verwirrend, so…“ Wieder schluckte die junge Frau heftig, die vor nicht einmal einer Woche aus den Händen eines Waffenschiebers gerettet worden war. „Thomas, warum hast du dein Versprechen nicht gehalten? Warum hast du mich nicht beschützt?“ Übergangslos brach sie in Tränen aus.

Theresa zögerte einen Moment, dann setzte sie sich auf das Bett und zog die junge Frau zu sich heran. Sie umarmte die andere und flüsterte: „Ruhig, Kim. Ich bin mir sicher, er und die anderen stellen gerade ganz Tokio auf den Kopf um uns zu finden.“
 

Eine Zeitlang verbrachten sie so, Kim leise schluchzend und Tessa mit der tröstenden Umarmung und aufmunternden Worten. Endlich hatte sich die junge Frau wieder etwas gefangen. Sie sah aus verheulten Augen zu der Kommandantin der DANNAN herüber. „Danke, Tessa.“

„Keine Ursache. Bis Thomas und die anderen uns hier rausgeholt hat, passe ich eben auf dich auf.“ Theresa kniff lächelnd die Augen zusammen.

„Danke, das ist nett, Tessa. Aber sag mal… Mich haben sie direkt aus dem Labor entführt. Aber wie haben sie dich erwischt?“

Verlegen legte die weißblonde Italienerin eine Hand an den Hinterkopf und lächelte verschmitzt. „Das war ein dummes Versehen. Als der Alarm losging wollte ich in den Keller runter zu dem Personenschutzbunker. Aber dann ging die Fahrstuhltür ausgerechnet auf dem Stockwerk auf, in dem die Angreifer waren. Ich glaube, ich kann froh sein, dass sie mir nur eine mächtige Beule verpasst haben, und keine Kugel.“

Erschrocken sah Kim die andere an. „Das nenne ich wirklich Pech. Aber wenigstens hast du es jetzt hinter dir. So ein großes Pech hat man nur einmal im Leben.“

„Äh…“ Verlegen sah Tessa zur Seite. „Vermutlich hast du Recht.“ Etwas leiser fügte sie hinzu: „Schön wäre es jedenfalls.“
 

Die Tür öffnete sich und die Neonröhre flammte zu voller Leistung auf. Geblendet schlossen die Mädchen ihre Augen.

„Na? Seid ihr zwei endlich wach?“

Theresa blinzelte, bis sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Vor dem Bett stand eine große, asiatische Frau mit langem schwarzen, zu einem schweren Zopf gebundenem Haar und lächelte zu ihnen herab. Sie trug ein traditionelles chinesisches Kleid, hoch geschlitzt und bedeckt mit goldenen Drachen auf hellrotem Grund. „Geht es euch beiden gut?“

Verwirrt sahen sich die beiden Mädchen an. „Wir brauchen nichts außer unserer Freiheit.“

Die Asiatin runzelte die Stirn. „Ausgerechnet damit kann ich nicht dienen. Aber wie wäre es mit etwas zu essen, einem Bad, Kaffee?“

Die Aussicht auf feste Nahrung ließ Kims Magen aufknurren. Tessa aber starrte die Fremde ärgerlich an. „Nein, danke. Wir brauchen nichts von alldem.“

Die große Frau verdrehte die Augen. „Meinetwegen. Wie wäre es dann, wenn Ihr dieses Loch verlasst und mit rauskommt?“

Der Blick zwischen Tessa und Kim war mehr als irritiert. Sie sahen sich überrascht an. „Ich dachte“, begann Kim, „ich dachte, dies hier ist unsere Zelle.“

„Nein, hier haben wir euch nur her verfrachtet, bis ihr beide aufgewacht seid.“ Sie seufzte viel sagend. „Wenn man in Panik ist, entwickelt man gespenstische Kräfte. Und ehrlich gesagt hatte ich nicht vor, das Gästezimmer später wieder aufräumen zu müssen. Also, kommt ihr zwei?“

„Was erwartest du? Ihr habt uns entführt und… Und… Und…“

„Und?“ Sie lächelte Tessa freundlich an.

„Und… Und jetzt erwartest du, dass wir mitgehen? Das wir was essen? Das wir baden?“

„Ja, ich weiß, ich bin eine wirklich üble und durchtriebene Person, dass ich all diese schrecklichen Dinge von euch verlange. Alleine der Kaffee ist ja schon von Menschenrechtsorganisationen geächtet“, antwortete sie mit spöttischem Lächeln.

Tessa wurde rot. „D-du weißt genau, was ich meine! Sei gefälligst nicht so nett zu uns!“

Sie zuckte mit den Schultern. „Wenn ihr zwei es wirklich wollt, könnt ihr auch hier drin bleiben. Ich sperre einfach ab und wir warten, bis unsere Auftraggeber euch einsammeln. Aber ich versichere euch, draußen ist es viel angenehmer.“

Sie wandte sich um und ging voran. „Also, es liegt an euch, Theresa Testarossa und Kim Sanders.“
 

Die beiden Mädchen wechselten einen langen Blick. Kim sprang schließlich auf. „Wir kommen mit. Schlechter als hier kann es draußen auch nicht sein.“

Tessa sprang ebenfalls auf, soweit das ihr enger Rock zuließ und eilte der anderen Whispered hinterher. Sie kamen in einen engen, schlecht beleuchteten Gang.

Die Unbekannte führte sie hindurch, eine Treppe hinauf, mitten hinein in Tageslicht.

„Dies ist ein Landgut meiner Familie“, sagte die Asiatin ernst. „Im Haus patrouillieren zwei meiner Leute. Das Gelände ist videoüberwacht und es werden permanent zwei Arm Slaves bereitgehalten, um auf Notfälle zu reagieren. Draußen gehen noch mal vier Mann Streife.“ Sie sah die beiden Mädchen an. „Ihr dürft euch innerhalb des Hauses ungestört bewegen. Meine Männer sagen euch schon, in welche Räume ihr nicht dürft.

Es ist gerade zwanzig nach acht, Frühstück gibt es immer gegen halb neun. Mittag pünktlich um zwölf. Wer mag, ich habe immer Kuchen im Haus, Tee und Kaffee stehen nachmittags immer bereit. Abendessen ist auf achtzehn Uhr angesetzt.“

Die beiden Mädchen folgten staunend durch einen Korridor, der mit Gemälden, kostbaren Statuen und anderen Antiquitäten gefüllt war. Sie kamen in ein großzügig eingerichtetes Wohnzimmer, dessen riesige Fensterfront dem Sonnenstand nach zu urteilen nach Süden ging.

Ein großer Mann mit grauen Schläfen erwartete sie. In der Hand hielt er einen Becher mit dampfendem Kaffee. „Ah, Lin. Sind unsere Schätzchen also schon wach. Und, wie geht es ihnen?“

„Das kannst du sie auch selbst fragen, Robert.“ Die Frau namens Lin schmunzelte und deutete auf die Couchecke, die einen wirklich wundervollen Blick auf den Garten mit einem riesigen Teich bot. Der Mann namens Robert hatte in einem Sessel Platz genommen, die Fenster im Rücken und deutete ebenfalls auf die Couch. „Bitte, Kim, Theresa, setzt euch.“

Zögernd folgten die beiden jungen Frauen der Aufforderung. Es machte wenig Sinn, Lin aus dem Keller zu folgen und nun störrisch zu sein.

„Ich gehe dann das Frühstück vorbereiten. Soll ich vorher Tee oder Kaffee bringen?“

„Haben Sie Fruchtsaft?“, fragte Theresa zaghaft.

„Natürlich. Und du, Kim?“

„Kaffee ist in Ordnung. Thomas trinkt auch immer…“ Sie schluckte hart, um diese Erinnerung zu verdrängen.

Lin lächelte, vergewisserte sich, dass die Mädchen wirklich Platz genommen hatten und verließ den großen Raum durch eine andere Tür.
 

„Und was kommt jetzt?“, fragte Theresa leise. „Fragen Sie uns, ob wir uns schon eingelebt haben? Ob uns der Garten gefällt? Sagen Sie so was wie fühlt euch doch bitte hier wohl?“

„Ich gebe zu, ihr zwei habt allen Grund, ärgerlich zu sein. Teufel, wenn mich jemand entführt hätte, wäre ich wahrscheinlich stinksauer. Oder zu Tode geängstigt. Oder beides.

Aber die Sache war ein Auftrag. Und niemand bezahlt mich nun dafür, dass ich euch verhungern, verwahrlosen oder verdursten lasse.

Ich kann euch nicht sagen was mit euch geschieht, wenn mein Auftraggeber euch abholt. Aber zumindest hier habt ihr nichts zu befürchten.“

„Wie nett“, merkte Kim an. „Die Hölle ist also nur aufgeschoben.“

„So ist das Geschäft“, entgegnete Robert ernst.

„Und? Wann wird der Auftraggeber uns abholen?“, hakte Theresa nach.

„Ich habe noch keine Antwort auf meine Nachricht erhalten. Und ich erwarte auch so schnell keine. Mein Auftrag hatte ein Zeitfenster von zwei Wochen. Davon sind erst vier Tage vergangen. Es kann durchaus noch ein paar Tage dauern, bis eine Entscheidung getroffen wird. Und noch einige Tage, bis man euch wegholt.“

Theresa unterdrückte ein triumphierendes Lächeln. Statisch an einem Ort zu bleiben bedeutete, Möglichkeiten auszukundschaften, Pläne zu schmieden und zu fliehen. Sie war darin sicher nicht so gut wie Sousuke oder Melissa, aber es war eine Chance. Es war besser, als schwer bewacht wie ein Stück Transportgut von Ort zu Ort verfrachtet zu werden, niemals zu wissen wo man war, nicht die Möglichkeiten einschätzen zu können, die vielleicht zur Verfügung standen.

„Wie nett. Ihr Auftrag lautet uns zu entführen. Und bis Sie Ihre Beute abgeben können, sind Sie nett zu uns. Wirklich wundervoll, Robert. Das war doch der Name, oder?“, stellte Kim mit Bitterkeit in der Stimme fest.

„Wie ich schon sagte, es ist ein Geschäft.“

Tessa straffte sich merklich. „Nun gut, wenn es ein Geschäft ist, vielleicht kann ich dann etwas mit einer feindlichen Übernahme erreichen. Wie viel würde es kosten, Ihren Vertrag zu übernehmen?“
 

Für einen Moment wirkte der Söldner irritiert. Dann schüttelte er den Kopf. „Tut mir Leid, Theresa, aber ich kann es mir mit diesen Leuten nicht verderben. So mächtig bin ich nicht, dass ich mitten in einem Auftrag abspringen könnte. Vor allem nicht mit der Beute in der Hand.“

„Mithril zahlt das Doppelte!“ Ihr Blick wurde hart und fixierte den des großen Mannes mit den grauen Schläfen. „Und einen Bonus obendrauf, wenn Sie und Lin uns zurückbringen, bevor meine Leute richtig sauer werden!“

Sie dachte an Sousuke, und für einen winzigen Moment war sie sich sicher, absolut sicher, dass der Junge die ganze Stadt nach ihr auf den Kopf stellte. Nicht weil sie seine Vorgesetzte war, nicht weil er ihr etwas schuldete, sondern weil sie Freunde waren. Dieser Gedanke beruhigte, aber sie unterdrückte ihn, bevor er ihr Pokerface ruinieren konnte. „Also?“

Robert sah zu der Asiatin herüber, die mit einem Tablett zurückkam. „Was meinst du, Schatz?“

„Denkst du nicht, du hast bereits genügend Feinde? Musst du Amalgam nun mit Gewalt aufnehmen?“ tadelte sie ihn, während sie die Getränke servierte. „Andererseits warst du mit der Verbindung zu Amalgam nie wirklich glücklich. Und du weißt, ich folge dir überall hin.“

Robert griff nach seinem Kaffee und trank nachdenklich einen Schluck.

„Der Kaffee ist noch kochend heiß!“, rief Lin entsetzt.

„So? Dann sollte ich langsamer trinken.“

„Manchmal frage ich mich, ob es etwas in dieser Welt gibt, was dich aus der Ruhe bringen kann, Schatz.“

Robert lächelte nachdenklich. „Ich habe mir die Zunge verbrannt.“

„Und Sie verbrennen sich auch noch die Finger, je länger Sie uns hier festhalten“, fügte Theresa ernst hinzu.

„Es scheint, vollkommen unbeschadet wird niemand aus diesem Auftrag herauskommen“, murmelte Robert und zog die Augenbrauen zusammen. „Vielleicht kann ich für dich eine Sonderregelung treffen, Theresa. Du standest nicht auf der Auftragsliste.“

Tessa verstand, mit der Gewissheit einer Person, die einen Vorschlaghammer auf sich zurasen sah. Dennoch ergriff sie ohne zu zögern Kims Hände, bevor sich Entsetzen auf dem Gesicht der jungen Frau zeigen konnte und drückte sie fest. „Der Deal gilt für uns beide oder für keinen.“
 

Robert nickte schwer. „Es tut mir Leid, aber Amalgam hat mich bisher nie betrogen. Ich weiß nicht, ob ich tief genug sinken kann, um den Rest meiner Ehre fort zu werfen.“

Tessa griff nach ihrem Saft und packte das Glas mit beiden Händen, um das zittern zu verbergen. „Denken Sie schnell nach, Robert. Vielleicht lohnt es sich, diese Ehre fortzuwerfen. Vielleicht gibt es eine neue Ehre für Sie.“

„Vielleicht verbrenne ich mich auch daran“, erwiderte er barsch.

„Apropos verbrennen, irgendwas riecht angebrannt, finde ich“, meldete sich Kim zu Wort.

„DER TOASTER! Robert, ich habe dir so oft gesagt, dass die Arretierung klemmt! Du wolltest dich drum kümmern. Aber nein, jetzt hat er wieder Holzkohle produziert.“ Lin sprang auf und eilte in die Küche. „Das wird übrigens eine von deinen Scheiben!“

„Schatz, warum bist du so grausam zu mir?“

„Für seine eigenen Handlungen muß man ebenso die Verantwortung übernehmen wie für seine Unterlassungen“, spöttelte sie.
 

3.

„Sie haben was?“

Unwillkürlich duckte sich Thomas unter der wütenden Miene seines Gegenübers, auch wenn es nur eine Videoverbindung war.

„Hören Sie, Commander, ich habe das alles schon mit der Flottenzentrale Südpazifik durchgekaut. Es besteht überhaupt kein Grund, so spät in der Geschichte derart ausfallend zu werden!“

Commander Mardukas rückte seine Brille zurecht und starrte auf den Deutschen nieder. „Lassen Sie mich mal zusammen zählen. Sie haben Ihre Schutzbefohlene an ein Infanteriekommando verloren, ein Safe House der japanischen Regierung wurde verwüstet, ein französischer Arm Slave läuft frei durch Tokios Straßen, und zu allem Überfluss wurde mein kommandierender Offizier entführt! Und Sie erwarten von mir, dass ich nicht ausfallend werde?“

Wieder duckte sich Thomas. Diesmal tat es aber wirklich weh, denn all diese Vorwürfe hatte er sich schon selbst gemacht.

„Ich kann nichts anderes tun als mich dafür zu entschuldigen, Commander Mardukas. Und Ihnen versichern, dass ich bereits alles menschenmögliche tue, um die beiden wieder zu finden. Ihre sichere Rückkehr hat oberste Priorität für mich.“

„So, so. Was zum Teufel haben Sie denn bisher erreicht?“ Der Blick tat schon weh, aber die Stimmlage des erfahrenen Unterseebootfahrers war eine Strafe für sich.

„Ich habe diverse Kontakte zur hiesigen japanischen Mafia geknüpft und sie geschmiert, damit sie mir mehr über dieses Überfallkommando herausfindet. Außerdem habe ich bei den Selbstverteidigungsstreitkräften eine Untersuchung angeregt. Falls eine Elite-Einheit der Japaner im Einsatz war, oder ein befreundetes Land eine solche Truppe in Japan hat, werde ich es erfahren. Dazu habe ich dem Geheimdienst auf die Füße getreten. War es ein neutrales oder feindlich gesonnenes Land, werde ich es auch erfahren.“

„Mein lieber Captain Kramer“, begann Mardukas in seinem gefährlich leisen Tonfall, „Sie gehen also davon aus, dass es sich um reguläre Truppen gehandelt hat und nicht um Söldner.“

„Ja, Sir.“

„Abgesehen davon, dass diese Truppe bereits in alle Winde zerstreut sein kann, haben Sie dran gedacht, dass Miss Sanders und mein Captain bereits außer Landes sein können? Außerhalb Ihrer Reichweite?“

„Ich weiß“, knirschte Thomas und ballte die Hände zu Fäusten.

In einer sehr erschöpften Geste legte der Commander eine Hand an die Stirn und sah zu Boden. „Lassen Sie es gut sein, Captain Kramer. Ich bin sicher, Sie tun alles, was in Ihrer Macht steht. Lassen Sie mich nun mit Sho-so Mao reden.“

„Sir!“ Thomas salutierte und verließ den Raum, der ihnen in Sousukes Wohnung als Kommunikationsraum diente.
 

Auf dem Flur sah er Melissa an. Sie rauchte immer noch. Oder schon wieder. Auf jeden Fall war sie nervös, aufgeregt und hatte die Nacht nicht geschlafen. Wie sie alle. „Mardukas will dich sprechen.“

Übertrieben dramatisch zog sie an ihrer Zigarette und reichte das Röllchen dann Thomas. „Bin gleich wieder da. Den Anschiss hast du ja schon abgekriegt, hoffe ich.“

Thomas nahm die Zigarette an und nickte. „Aber kräftig.“

Sie nickte ernst, viel zu ernst, und ging zur Videoverbindung im Wohnzimmer.

Thomas ließ sich gegen die Wand sinken und rutschte daran herunter. Die Kippe hatte er sich zwischen die Lippen geklemmt.

„Nanu? Ich dachte, du rauchst nicht.“ Kurtz Weber reichte ihm einen Becher mit heißem Kaffee, ihrem bevorzugten Getränk in der verdammten, langen Nacht.

Dankbar nahm Thomas das Getränk von seinem Landsmann entgegen. „Ich rauche ja auch nicht. Aber die Gelegenheit war zu verlockend, ein wenig auf dem Filter herum zu beißen, den Melissa im Mund gehabt hat.“

„Indirekter Kuss, eh? Du bist ein wenig kindisch, mein Freund. Aber auf die Idee hätte ich auch mal kommen sollen.“

Thomas antwortete nicht. Er hielt in der Rechten den heißen Becher und sah gedankenverloren dem blauen Rauch nach, der an die Decke stieg.
 

„Hat Sousuke sich schon gemeldet?“

„Hat er. Vor fünf Minuten. Er hat dich und Kim krank gemeldet. Übrigens ist er nicht sehr erfreut darüber, dass er bei der Suche nicht mithelfen kann. Das wird wahrscheinlich der längste Schultag seines Lebens.“

„Daran kann man nichts ändern“, murmelte Thomas leise. „Wir haben jeden Baum in Reichweite geschüttelt. Nun müssen wir warten, bis etwas herunter fällt.“

Müde rieb er sich die Augen mit der linken Hand. „Außerdem muß einer von uns auf Kana-chan aufpassen, oder? Und wer ist dazu besser geeignet als ihr Freund.“

„Das würde ich Sousuke gegenüber besser nicht erwähnen. Bei dieser Geschichte ist er etwas empfindlich“, murmelte Kurtz und grinste breit. „Abgesehen davon, dass er der einzige ist der denkt, seine Zuneigung für sie wäre noch geheim, glaube ich, er würde im Boden versinken, wenn ihm jemand ins Gesicht sagt, was er für unseren Engel empfindet.“

„Jugend. Ist doch eigentlich ne tolle Zeit, was?“

„Du benimmst dich auch gerade nicht besonders erwachsen“, tadelte Kurtz den Landsmann. „Für einen Außenstehenden sieht es gerade so aus, als könntest du dich nicht zwischen Kim und Melissa entscheiden und das ist für beide eine unfaire Situation. Nicht dass ich glaube, Melisse würde etwas anderes mit dir machen als dir den Arsch aufzureißen.“

Thomas lachte dazu. Leider geriet dabei etwas von dem Rauch in seine Lunge, was wiederum einen heftigen Hustenreiz auslöste.

„Wer´s nicht verträgt, soll es lassen“, sagte Melissa müde und nahm dem Captain die Zigarette aus dem Mund. Nachdenklich nahm sie einen tiefen Zug. „Danke fürs aufheben, Thomas.“

„Da nicht für“, erwiderte der Deutsche. „Und was sagt der Eisenfresser?“

„Sie kommen rüber.“

„Wer? Mardukas und Kalinin?“

„Du verstehst mich falsch, Thomas. Sie, das sind die DANNAN und die FEANOR. In dreißig Stunden sind sie im chinesischen Meer.“ Melissa zog an der Zigarette und blies den Rauch in den Flur. „Wir sollten die Söldner bis dahin aufgespürt haben. Wenn ich meinen Arm Slave unter dem Hintern habe, brauche ich ein Ziel, sonst drehe ich durch.“

„Nicht nur du“, murmelte Thomas. „Scheiße, dann muß ich also dem Alten unter die Augen treten.“

Resigniert rieb er sich wieder die Augen. „Und den anderen.“

**

Den kräftigen Nieser ihres Skippers beantwortete die Crew der FEANOR mit einem kollektiven „Gesundheit“.

Johann Sander griff nach seinen Taschentuch, schnäuzte sich und murmelte: „Danke.“

Captain Sergej Karasov, Anführer der Infanterie, reichte dem Skipper einen Tee. „Vorsichtshalber“, murmelte er. „Wir können uns den Ausfall des Kapitäns nicht leisten.“

„Sie übertreiben, mein lieber Sergej“, erwiderte Sander amüsiert. „Erstens würde Sharon einen sehr guten Job als Skipper machen, und zweitens bin ich nicht erkältet. Ich schätze, da hat nur jemand an mich gedacht.“

Lieutenant Commander Allister registrierte den Wortwechsel des Skippers mit dem Schlammstampfer mit einem Stirnrunzeln. Beim Vornamen nannte Sander sie sonst nur unter vier Augen, oder wenn er ein bedeutsames Lob aussprach. „Sir?“

„Schon gut, Commander. Konzentrieren Sie sich auf die Durchfahrt durch die Straße von Malakka.“

„Aye, Skipper.“
 

Die Straße von Malakka, eine enge Meerespassage zwischen dem Festland von Malaysia und der Insel Sumatra, war eine der befahrensten Passagen der Welt. Wer nicht einen Umweg von zweitausend Kilometern um Sumatra in Kauf nehmen wollte, musste sie nehmen und anschließend ins enge Gewühl der Straße von Singapur eintauchen, einer ebenfalls hoch frequentierten Route, was nicht zuletzt an dem gewaltigen Umschlagshafen des Stadtstaates lag.

Johann machte sich nicht so sehr Sorgen um das Militär oder die Piraterie in dieser Region, als Unterseeboot hatten sie und die DANNAN da eindeutig Vorteile.

Aber im Gewühl der engen Passagen, eingeklemmt zwischen Dutzenden Frachtern, konnte eine Unaufmerksamkeit schnell zu Problemen führen.

Commander Mardukas, der die DANNAN zur Zeit führte, war nicht müde geworden, Sander auf die besonderen Feinheiten der Straße von Malakka hinzuweisen, Untiefen, Riffe, Schiffswracks, Patrouillenwege und dergleichen.

Der Engländer hatte es gut gemeint, aber Johann hatte schwer mit sich ringen müssen, um nicht dem Wunsch nachzugeben, den arroganten Tommy zu erwürgen.

Karasov hob fragend eine Augenbraue, aber der Skipper winkte ab. „Schon gut, Sergej. Nichts, was Sie tangieren würde.“

„Wenn das alles war“, erwiderte der Russe und raffte die Unterlagen zusammen, die er dem Skipper unterbreitet hatte, „dann finden Sie mich in der Verfügung.“

„Ich lasse Sie rufen, wenn es notwendig wird.“

Karasov nickte und wandte sich zum gehen.

„Ach, eines noch, Sergej. Wie macht sich Sam denn so bisher?“

„Nun, von dem, was ich bisher mitgekriegt habe, steht Second Lieutenant Samantha Rogers jederzeit vor einem cholerischen Anfall, und das Lazarett hält wohl schon Infusionen und einen Defibrilator für sie bereit… Aber ansonsten geht es ihr gut.“

„Hm? Freut mich zu hören. Und ich dachte schon, ohne unseren heiligen Thomas würde sie zusammenklappen und nicht wieder hochkommen.“

„Das wohl weniger. Aber neunzig Prozent ihrer Flüche beziehen Captain Kramer und seine Vorfahren mit ein.“

Sander musste lachen. Dabei klopfte er sich vor Vergnügen auf die Schenkel. „Wir sollten aufpassen, dass sie unseren guten Thomas am Leben lässt.“

„Vielleicht sollten wir die beiden auch aufeinander treffen lassen und abwarten was passiert“, erwiderte Sergej mit dem feinen Grinsen, welches schon gestandene Männer dazu gebracht hatte, etliche großen und kleinen Verfehlungen im Dienst zu beichten – ob ein Verdacht gegen sie bestand oder nicht.

„Auch keine schlechte Idee.“

Karasov grinste, tippte an seine Mütze und verließ die Brücke.
 

Die DANNAN lag gerade eine gute Seemeile vor ihnen. Commander Mardukas hatte darauf bestanden, die Führung zu übernehmen und die FEANOR durchzulotsen. Auf dem Abstand von einer Meile hatte er bestanden, weil die Boote in Verbandsfahrt leichter zu orten waren. Bei der Stealth-Technologie, welche für die Schiffe der DANNAN-Klasse angewandt worden war das nicht wirklich ein Problem. Aber man musste es dem Gegner – wer immer es gerade war – nicht aus Prinzip leicht machen.

„Ah, Major Karasov“, hörte der Russe die vertraute Stimme von Lieutenant Colonel Santos. Er blieb stehen und wartete auf den dicklichen Spanier.

Der recht große Mann hielt sich verbissen an die Tradition der Navy, dass es an Bord eines Schiffes nur einen Captain gab – und das alle anderen Dienstränge in ihrer Zeit an Bord ehrenhalber mit dem nächst höherem Rang angesprochen wurden.

Lächelnd wischte sich Miguel Santos den Schweiß von der Stirn. „Es scheint so, als würden wir in ein wirklich nettes Klima fahren, nicht wahr? Ich habe mir sagen lassen, das Wasser da draußen hat fünfundzwanzig Grad. Ich hätte wirklich Lust, den Skipper zu bitten die FEANOR auftauchen zu lassen und uns ein paar Stunden Badeurlaub zu gönnen.“

Als der Spanier die saure Miene des Infanteristen sah, murmelte er: „Nur ein Witz, Major.“

„Was? Nein, das ist es nicht, Colonel. Aber die allgemeine angefressene Laune an Bord macht mir zu schaffen. Der Skipper hat Commander Mardukas gefressen, Commander Allister kaut die Besatzung der Brücke das dritte Mal in Folge durch, Lieutenant Rogers jammert rum, dass man ihr am liebsten den Ruhestand bescheren möchte, und vom Rest will ich gar nicht erst anfangen. Unter diesen Umständen wäre ein Badeurlaub keine schlechte Idee.“

„Sie sollten noch den taktischen Offizier einfügen“, sagte Santos mit plötzlich ernster Miene, „der gerade die Analyse sämtlicher Aufzeichnungen über den Überfall auf das Safe House beendet hat.“
 

Die beiden Männer wechselten einen stummen Blick. „Was haben Sie herausgefunden?“

„Ich werde empfehlen, Captain Kramer nachhaltig zu rügen. Seinen Sold zu kürzen, wenn nötig, und wenn er uneinsichtig ist, ihn zu degradieren.“

Karasov hob fragend beide Brauen hoch.

„Nein, deswegen nicht. Der heilige Thomas hat weder gekniffen noch gravierende Fehler gemacht. Aber auf einer Außenaufnahme ist leider sehr deutlich zu sehen, dass dieser deutsche Betonschädel ohne Deckung auf dem Vorplatz stand und für jeden Scharfschützen ein mehr als deutliches Ziel war. Vom Mistral II, der kurz darauf auftauchte und ihn mit einem beiläufigen Ausfallschritt in einen großen Haufen Mett verwandeln konnte, ganz zu schweigen. Dafür, dass er einfach nur stehen blieb, um seinen Gegnern dramatisch hinterher zu schauen, braucht der Junge dringend eine Tracht Prügel. Dies hier ist kein schlechter Film und er ist auch nicht der Held, dem nichts passieren kann, bis er dem Endgegner gegenüber steht.“

„Verstehe.“ Karasov rieb sich nachdenklich das Kinn.

„Aber ansonsten kann ich ihm nichts vorwerfen. Weder von taktischer Seite, noch von seinem Engagement her. Ich habe mich bereits mit Sho-sa Kalinin unterhalten, der die Videodaten ebenfalls analysiert hat. Er hat zwar was davon geflucht, dass verdammte Arm Slave-Piloten es nicht vergessen sollten, wenn sie nicht in ihren Wannen sitzen, aber im Großen und Ganzen stimmt er mir zu.“
 

Die beiden setzten sich wieder in Bewegung, Richtung Hangar der FEANOR.

„Es ist gut zu wissen. Und es wird Sam beruhigen. Als ich sie zuletzt gesehen habe, hat sie bereits Fingernägel gekaut.“ Der Russe hob die Rechte und zeigte eine Stelle am zweiten Knöchel seines Zeigefingers. „Bis hier.“

Der Spanier verkniff sich ein grinsen.

Sie betraten den Gang, der direkt zum Hangar führte.

Schon von weitem hallte ihnen die Stimme von Timothy Scott entgegen.

Die beiden Männer sahen sich verwundert an. Eher hätten sie Sam erwartet, die übernervös ihre Leute zusammenbrüllte.

Danach klang die Stimme von Captain Valeri auf, dem Chef der Super Harrier-Staffel. Nach seiner Leistung in der Kingdom Sahara-Sache war er befördert worden, aber anscheinend nicht einen Deut leiser oder umsichtiger.

Darauf antwortete wieder First Lieutenant Scotts Stimme auf.

Stirn runzelnd sah Karasov dem Colonel an, der ratlos die Schultern hob.
 

Als sie den Hangar betraten, offenbarte sich ihnen eine mehr als merkwürdige Szene. Scott und Valeri standen sich gegenüber, umringt von ihren Leuten, Technikern und Arm Slave-Piloten und brüllten sich abwechselnd an.

Sam Rogers stand daneben und versuchte mit dünner Stimme zu schlichten.

„Also, DAS hätte ich nicht erwartet“, stellte Karasov fest. Er lächelte schmal, und wer ihn kannte, der wusste, dass dieses Lächeln nichts Gutes verhieß. Nicht für jene, die es sehen mussten.

Doch es war Santos, der zuerst handelte.

„ACHTUNG!“

„Können Sie mich nicht vorwarnen, Colonel?“, beschwerte sich der Russe und bohrte sich demonstrativ mit dem rechten Zeigefinger im Ohr. „Ich werde noch taub, wenn Sie das öfters mit mir machen!“

Über die ernste, ja, böse Miene des Spaniers huschte ein unauffälliges Lächeln. Zugleich erwachten die Protagonisten im Hangar aus ihrer erschrockenen Starre, erkannten den Colonel und den Captain und nahmen Haltung an.

Santos lächelte nun offener. Genauer gesagt auf eine brillant fiese Art, die man an ihm nicht kannte. Und das Schlimme war, dieses Lächeln schien ihm auch noch Spaß zu bereiten.

„Ich frage das nur ein einziges Mal. Was ist hier los?“

„Es ist Scotts Schuld, Sir! Er…“

„ANSTÄNDIGE MELDUNG!“

„Sir! First Lieutenant Scott und ich reflektieren über den letzten Einsatz gegen Amalgam auf Sri Lanka und analysieren gegenseitig unsere Leistungen. Dabei traten diverse Kritikpunkte auf, die wir nun diskutieren!“

„Müssen Sie dafür die Aufmerksamkeit den ganzen Hangars einnehmen?“, blaffte der Colonel scharf. Unwillkürlich wichen die Anwesenden mit schwächeren Nerven einen Schritt zurück.

Der russische Harrier-Pilot schluckte hart. „Nein, Sir. Wir… Wir sind wohl etwas laut geworden, als es um die Luft/Boden-Koordination ging!“

„Sir, wenn ich etwas dazu sagen darf. Der Fehler liegt bei mir und meinen Gernsback. Die Einweisung war ohne Captain Kramer nicht optimal, also kam es zu Fehlschüssen“, mischte sich Rogers kleinlaut ein. „Und…“

„Aber das ist doch gar nicht wahr! Dieser verrückte Jet-Pilot kann eben einfach nicht zielen!“, blaffte Timothy Scott aufgeregt.

„Aber du hast besser ausgesehen, ja? Du könntest ja ohne Einweisung nicht mal ein Scheunentor mit einer Pistole treffen, wenn du mit der Nase gegen pappst!“, hielt der Russe dagegen.

„ACHTUNG!“, blaffte der Spanier wieder.

Karasov schmunzelte dünn. Er kannte Miguel jetzt mitterweile drei Jahre und war sehr gespannt, welche Lösung der Mann ausgearbeitet hatte.

Wieder nahmen die Männer und Frauen Haltung an.

„Major Valeri. Kartoffeln schälen.“

„Aber Sir…“

„First Lieutenant Scott. Gemüse waschen.“

„Ich habe doch gar nichts…“

„RUHE! Second Lieutenant Rogers. Zwiebeln schälen.“

„Aber sie hat doch überhaupt nichts damit…“, begehrte Scott auf.

„Soll ich sie auslassen, weil sie in diesem Streit die leiseste war?“, fragte Santos ernst. „Ich glaube nicht. Und jetzt Ausführung. Ich erwarte, dass das Mittagessen pünktlich auf dem Tisch steht. LOS! LOS! LOS!“

Die beiden Männer und die junge Frau zögerten einen winzigen Sekundenbruchteil, dann sprinteten sie los.

„Der Rest geht wieder an die Arbeit! LOS! LOS! LOS!“
 

„Junge, Junge“, schmunzelte Karasov, während er dabei zusah wie die Leute wieder an ihre Arbeit stürzten, „sollte ich mal wieder Probleme mit Rekruten haben, helfen Sie mir dann mal aus, Colonel? Beeindruckend, beeindruckend.“

Er kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. „Also, was war los?“

„Sam hat Fehler gemacht. Beim Angriff auf Sri Lanka. Nichts gravierendes, aber sie hat ihren Job nicht so gut gemacht wie Thomas es getan hätte. Es ist kaum der Rede wert. Aber sie macht sich deswegen Vorwürfe. Vor allem weil sie sich Sorgen um Thomas macht, Sorgen um Tai-sa Testarossa und Sorgen um unsere Jane Doe.

Die anderen haben darauf reagiert, auf ihre ganz eigene Art und mit einer dümmlichen Form von Beschützerinstinkt.

Aber es ist ein Zeichen ihres Zusammenhalts, mit dem sie zu ihrer Kameradin stehen. Deshalb habe ich sie alle drei zusammen bestraft.“ Santos grinste schief. „Stärkt auch den Zusammenhalt.“

„Und der Preis ist der Mittagstisch. Ich glaube, ich danke Gott für die Mikrowelle in meiner Kabine und die Erfindung der Fertigpizza.“

„So schlimm wird es schon nicht werden“, wiegelte der Colonel ab. „Sie schälen und schneiden ja nur, sie kochen nicht.“

„Schlimm genug“, konterte der Russe.

Die beiden Männer schmunzelten sich an.

**

„Ne, Kana-chan, weißt du was mit Kramer-sensei los ist? Ich meine, er ist nicht da, und Kim-chan ist nicht da…“

„Kyoko!“

„Aber der Gedanke drängt sich doch auf. Er ist doch hier um auf sie aufzupassen. Und jetzt fehlen beide entschuldigt, und da muß man doch drüber nachdenken, ob die beiden nicht… Yaaa, ich kann gar nicht dran denken!“

„Kyoko!“

„Ach komm, Kana-chan, du hast da doch auch schon dran gedacht. Und diese Variante bietet sich ja auch an, nicht, Sousuke-kun? Sousuke?“

Die kleine Schülerin mit der Brille äugte zu Sagara herüber, der von der Konversation anscheinend nichts mitbekommen hatte. Stattdessen hing er mehr als er saß in auf seinem Stuhl und döste.

„SOUSUKE!“

„ICH BIN VOLL DA!“, rief der Arm Slave-Pilot, sprang auf und stieß dabei unglücklich mit dem linken Knie unter seinen Tisch. Mit einem lauten Schmerzenslaut landete er wieder auf dem Stuhl. Trotzdem ging der Blick des Gun-so suchend durch den Raum, um die Gefahr zu finden, die ihn aus seinem Dämmerschlaf gerissen hatte.

„E-entschuldige, Sousuke-kun, ich wollte dich nicht erschrecken.“

Erleichtert sackte Sagara in sich zusammen. „Ach. Du bist das nur.“ Er umklammerte sein Knie und brummte enttäuscht.

Für einen Moment wirkte die zierliche Kyoko wütend, erleichtert und sauer, aber sie fing sich schnell wieder und packte erneut ihr sonniges Gemüt aus. „Wir haben uns gerade darüber unterhalten, dass sowohl Kramer-sensei als auch Kim-chan fehlen. Und einige hier in der Klasse glauben…“

„Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun!“, blaffte Sagara hart. „Kramer-sensei ist in einer langwierigen Besprechung mit seinem Arbeitgeber und hat sich dafür freistellen lassen. Und Sanders ist mit Theresa unterwegs. Die beiden sind befreundet und haben sich verabredet. Ich wusste vorher nichts davon und…“

„Sousuke…“ Kaname stand auf und kam zu Sagara herüber. „Sousuke, ist das die ganze Wahrheit?“ Sie musterte den Arm Slave-Piloten mit ihrem düstersten Blick, ein Blick, der ihm normalerweise Schweißausbrüche bescherte.

„Mehr habe ich nicht dazu zu sagen“, konterte er ruhig.
 

Kaname schluckte hart. „Du hast es gehört, Kyoko. Ahaha. Ha, ha. So sieht es aus und nicht anders. Jetzt geh wieder auf deinen Platz, die nächste Stunde beginnt gleich.“

„Ich finde es trotzdem auffällig“, murmelte die Brillenträgerin ärgerlich, fügte sich aber.

„Sousuke. Als Theresa und Kim gestern nicht nach Hause gekommen sind… Wie schlimm ist es?“

„Richtig schlimm. Aber Thomas ist dran. Melissa und Kurtz auch.“

Betroffen schielte sie zu Sagara herüber. „So schlimm also? Kann ich helfen?“

„Ja, sorge dafür, dass ich früher gehen kann.“

„Kein Problem!“ Ihre Faust zuckte vor und traf den unvorbereiteten Sagara genau in der Magengrube. Seine Reflexe griffen nicht, also wurde er voll erwischt. Er schlug so laut auf der Tischplatte auf, dass das Geräusch die ganze Klasse herumfahren ließ.

„Sousuke geht es nicht gut. Ich bringe ihn auf die Krankenstation. Kyoko, sag bitte Kagurazaka-sensei Bescheid.“

„Ist gut, Kana-chan. Ist es ernst?“

Kaname winkte beruhigend ab. „Ach, das wird schon wieder, Sousuke ist so zäh.“

„S-soll ich vielleicht helfen?“, bot Kazama unsicher an.

„Lass nur, Shinji, dieses Fliegengewicht schaffe ich alleine.“

Kaname stemmte sich unter Sagaras Arm und hob ihn hoch. Mit ihrer Last verließ sie den Klassenraum durch die hintere Tür.
 

„Musstest du so hart zuschlagen?“

„Was willst du denn? Du bist doch auf dem Weg zur Krankenstation. Und von dort ist es nur ein kleiner Schritt, bis du aus der Schule raus bist und Thomas helfen kannst. Das wolltest du doch, oder?“

„Aber musstest du dafür so hart zuschlagen?“

Kanames Miene verzog sich zu einem düsteren Lächeln. „Ach, den hattest du verdient. Dafür, dass du mich so lange im Unklaren gelassen hast. Denkst du ich mache mir keine Sorgen um Kim und Tessa?“

Sagara schwieg, während er sich langsam von ihr löste, um alleine neben ihr durch den Korridor zu gehen.

„Tut mir Leid“, murmelte er schließlich. „Und vielen Dank.“

Kaname musste schmunzeln. „Gerne geschehen. Du hältst mich auf dem Laufenden?“

„Versprochen.“

„Okay, dann wollen wir doch mal eine gute Vorstellung liefern, damit die Krankenschwester dich nach Hause gehen lässt, was?“
 

4.

Gegen eine Wand zu laufen war eine Sache. Gegen eine Wand zu laufen, die einem auch noch einen Schwinger ans Kinn setzte eine andere. Die Wand entpuppte sich als riesiger Ausländer mit Fäusten wie Dampfhämmer und eine wütenden Miene, mit der man ganze Grundschulen hätte disziplinieren können.

Der Japaner, der sowohl in die Erfahrung der Faust als auch der düsteren Miene kam, fand sich auf dem Boden wieder. Ängstlich sah er hoch und hatte auch allen Grund dazu.

Als zwei kräftige Hände in seinen Kragen griffen und ihn hoch zerrten, quiekte er erschrocken auf.

„Also“, knurrte der Große wütend, „ich frage das jetzt nur ein einziges Mal. Der Angriff in der Innenstadt gestern, Infanteriekommando und mindestens ein Arm Slave vom Typ Mistral II!“

„I-ich weiß von nichts!“, jammerte der Mann.

„Kerl, ich sollte dich…“

„Nicht doch, Kramer-san“, sagte eine amüsierte Stimme hinter dem Großen. Ein nicht minder großer, glatzköpfiger Mann mit zwei wirklich fiesen Begleitern kam heran geschlendert. Mit einem Lächeln voller sadistischer Vorfreude zog der Mann ein Messer. „Auf diese Art erreichen Sie nichts. Lassen Sie es uns auf die Art der Mizuhara-Gumi probieren. Ein, zwei Finger werden ihn gesprächig machen.“

„So? Nun, es schadet nichts, Ihre Methode zu probieren.“ Thomas Kramer stieß den Gefangenen den drei Yakuza in die Arme.

„DER HAFEN!“, rief der Mann in höchster Not. „Eine Lagerhalle am Hafen! Mehr weiß ich nicht! Die Infanterie verbirgt sich dort, bis sich die Aufregung gelegt hat. Unsere Gruppe hat sie angeworben, die Halle besorgt und An- und Abfahrt übernommen!“

Wieder griff Thomas zu und zerrte den Mann hoch. „Die beiden Mädchen! Sind die Mädchen da?“

„Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass der Arm Slave abtransportiert wurde!“

Thomas sah dem Mann lange in die Augen, bevor er sicher war, dass der nicht log und keine Informationen zurückhielt. „Welche Halle?“

„Ich schreibe die genaue Adresse auf.“
 

„Wir nehmen den Mann erst einmal in unsere Obhut“, sagte der Anführer der Mizuhara-Yakuza. „Für den Fall, dass er gelogen hat. Wir werden uns dann angemessen um ihn kümmern.“

Der Gefangene quiekte wieder auf, diesmal entsetzt.

„Ich danke Ihnen, Tono. Ich muß mich jetzt um diese Lagerhalle kümmern. Und im Moment wäre ich sehr dankbar für ein eigenes Eingreifteam. Irgendwo in der Halle sind die Mädchen entweder gefangen oder ich finde einen Hinweis auf sie.“

„Eingreifteam?“ Die drei Yakuza schienen plötzlich sehr amüsiert zu sein.

**

„Ich glaube das nicht“, stöhnte Melissa.

„Genug ist genug! Das hören wir uns schon seit über einer halben Stunde an!“, blaffte Thomas ärgerlich.

„Aber… Aber…“ Hilflos deutete die Chinesin auf die Bildschirmreihe, die sechzehn Männer in Armor Suits zeigte. Zumindest in gepanzerten, hoch mobilen Einheiten, die zudem über Waffenunterstützung und neueste Sensortechnologie verfügten. Im Prinzip waren dies hier extrem verkleinerte Arm Slaves mit verkleinertem Potential. Aber im Einsatz gegen Infanterie sollten sie sich als sehr effektiv erweisen können.

Was Melissa Mao dabei belastete, das war das Äußere der Armor Suits. „Ich bitte dich, Thomas. Bonta-kuns? Bonta-kuns? Wir werden die Söldner überwältigen, weil sie sich tot lachen!“

„Der Weg ist mir egal! Hauptsache wir kommen voran!“ Thomas sah zu Sousuke Sagara herüber. „Wie gut sind sie trainiert?“

„Sie können es schaffen. Ich werde sie koordinieren.“

„Okay. Wir versuchen es. Kurtz, auf deine Position. Melissa und Sousuke, ihr bleibt bei mir, als Eingreifreserve.

Sousuke, gib das Angriffssignal. Und schärfe ihnen noch mal ein, dass wir Überlebende brauchen. Und sie sollen die Computer in einem Stück lassen.“

„Verstanden.“
 

Die Armor Suits, die wirkten wie gepanzerte Riesenteddybären bekamen ihr Go und stürmten vor. Nebelgranaten deckten ihren Angriff und bevor Thomas etwas einwenden konnte, hatten sie bereits das Haupttor aufgesprengt. Zügig, sich gegenseitig Deckung gebend, drangen die Bontas in das Gebäude ein. Helmkameras vermittelten von jedem einzelnen Angreifer den Standort und das, was er sah.

Sousuke saß ruhig da und gab den einzelnen Zweierteams Anweisungen.

Ihnen schlug beinahe sofort schweres Abwehrfeuer entgegen, aber die Suits fingen das ab.

Raum um Raum, Halle um Halle stürmten die Bontas, und dabei gingen sie sehr ziel gerichtet vor.

„Die sind wirklich gut trainiert.“ Misstrauisch sah Thomas zu Sagara herüber. „Warst du das, Großer?“

„Mit welcher Antwort kann ich gewinnen?“, erwiderte der Gun-so.

Für einen Moment tauschten die beiden einen Blick aus. Kurz huschte ein spöttisches Grinsen über Sagaras Mundwinkel.

„Weitermachen“, entschied Thomas. Es klang das erste Mal an diesem Tag amüsiert.
 

„Kurtz, wie sieht es bei dir aus? Versucht jemand zu fliehen?“

„Die Rückseite ist ruhig, Thomas. Aber die Bontas sind ja auch erst zwei Minuten drin. Ich bleibe wachsam.“

„Drei Minuten“, korrigierte Sousuke. Er sah auf, in Richtung von Thomas. „Alle Räume sind gesichert. Keine Spur vom Tai-sa und von Kim Sanders.“

„Okay. Melissa und ich gehen jetzt rein. Je schneller wir hier Antworten finden, desto besser.“ Thomas nickte der jungen Frau zu, die diese Geste entschlossen erwiderte. Sie lud ihre Pistole durch und steckte sie entsichert zurück ins Hüftholster.

Thomas verfuhr ebenso. Dann klopfte er Sousuke auf die Schulter. „Gute Arbeit, Soldat. Wenn ich darin etwas finde, dann wirst du es als erster erfahren.“
 

Mit gezogenen Waffen arbeiteten sich Melissa und Thomas zu den ersten Bontas vor. Der Yakuza in der Kampfrüstung nahm Haltung an, als er sie erkannte. „Fumo.“

„Er sagt, das Gelände ist gesichert“, erklang Sagaras Stimme über den Funkempfänger in Kramers Ohr.

„So was habe ich mir schon gedacht“, brummte der Deutsche ernst.

In der Tat hatten die großen Teddys mit der martialischen Ausrüstung alles unter Kontrolle. Im größten Raum der Halle trieben sie die Überlebenden zusammen. Thomas bemerkte erfrischend wenig Tote und herzlich viele Infanteristen, die noch in der Lage sein sollten zu sprechen.

„Haben wir Computersysteme gefunden?“, wandte sich Thomas an den erstbesten Bonta.

„Fumo. Fumomo. Fu.“

„Er sagt, sie suchen noch. Aber sicherheitshalber haben sie die Halle von Elektrizität und Telefonleitungen abgetrennt, damit niemand auf vorhandene Systeme zugreifen und sie löschen kann.“

„Danke“, brummte der Deutsche. „Aber es wäre einfacher, wenn du mir nicht immer erst alles übersetzen müsstest, Sousuke.“

„Du hättest ja auch eine Rüstung tragen können“, tadelte der Gun-so. „Dann würden ihre Worte nicht chiffriert werden.“

„Nichts in der ganzen verdammten Welt kriegt mich jemals in so eine läch… Ist nicht persönlich gemeint, Junge. Die Rüstung ist effektiv, aber definitiv nicht martialisch genug für meinen Geschmack“, meinte Thomas und klopfte dem Bonta auf den Rücken, der sich bei den Worten des Deutschen ärgerlich vorgebeugt hatte.

„Fumomo. Fumoffu. Fu. Fumomoffu.“

„Er sagt, dass es nicht auf das aussehen eines Soldaten ankommt, sondern auf seine Leistungsfähigkeit auf dem Schlachtfeld.“

„Irgendwie klingt da deine Stimme durch, Sousuke“, tadelte Thomas. „Darüber reden wir noch – wenn wir die Mädchen endlich gerettet haben.“
 

Thomas winkte dem ärgerlichen Bonta noch einmal beschwichtigend zu und trat dann vor die ansprechbaren Infanteristen. „Also, meine Herren. Redet jemand freiwillig, oder muß ich erst ein paar von euch umlegen lassen?“

„D-das würdet ihr Spinner von Mithril doch niemals machen!“

„Hm, da hat er eigentlich Recht. Was meinst du, Melissa?“

„Stimmt. Mithril würde so etwas niemals gutheißen.“

Melissa zwinkerte ihm zu und der Deutsche lächelte dünn.

„Danke für den Einwand, junger Mann. Also ist leider nichts damit, ein paar von euch zur Warnung zu töten.“

Ein leises raunen ging durch die Reihen der Söldner.

Mit düsterer Miene steckte Thomas seine Waffe fort und zog ein kurzes Messer hervor.

„Versuchen wir etwas anderes. Jeder von euch hat zehnmal die Gelegenheit zu reden. Für jede Gelegenheit, die er verstreichen lässt, schneide ich ihm einen Finger ab.“

„D-das würdet ihr Spinner von Mithril auch nie machen!“

Thomas grinste wölfisch. „Wie kommst du nur darauf, dass wir von Mithril sind? Die Herren in den Kampfrüstungen zum Beispiel sind Yakuza, für die ist Finger abschneiden ein Freizeitsport.“

Der Mann, den Thomas sich ausgesucht hatte, wurde kreidebleich, während die Bontas im Raum ihre Zustimmung gaben.

„Also, fangen wir mit dem Zeigefinger der Rechten an, dem Abzugsfinger? Oder arbeiten wir uns vom kleinen Finger die Hand hoch?“

„Thomas, wir haben ein Computersystem gefunden. Zweiter Raum hinten rechts.“

„Melissa und ich sind auf dem Weg.“

Die Infanteristen atmeten auf.

Thomas warf sein Messer einem der Bontas zu. „Macht hier weiter. Und ihr wisst was zu tun ist, wenn sie nicht reden wollen!“

Der Bonta fing das Messer und beugte sich mit düsterer Mimik zum Gefangenen vor. Genauso düster sagte er: „Fumoffuuuuuu…“

**

Als die beiden wieder in den Einsatzwagen zurückkehrten, war die örtliche Polizei mit paramilitärischen Spezialeinheiten dabei, die Gefangenen abzutransportieren. Für die Chance, die Männer einzusacken die ein Regierungsgebäude angegriffen hatten, drückten die Polizisten schon mal ein Auge zu und ignorierten den Abgang der Bonta-kuns und der Mitarbeiter von Mithril.

Genauer gesagt schienen die Polizisten gehörigen Respekt vor den großen Teddys zu haben.

Erschöpft ließen sich die beiden Arm Slave-Piloten in ihre Sessel sinken.

„Unser kleiner Bluff hat also geklappt, hm? Und wir mussten nicht mal einen Finger abschneiden. Wir brauchten nur einen zu Tode ängstigen, und alle redeten wie ein Wasserfall.“ Thomas lachte freudlos.

„Viel gebracht hat es aber nicht. Wenigstens wissen wir jetzt, wer diese Soldaten sind, wer sie ausgeliehen hat und was ihr genauer Auftrag war.“ Melissa seufzte. „Kaffee, bitte.“

Sousuke stand auf und goss den beiden je einen Becher ein. „Hier, bitte. Ich habe den Inhalt der Festplatten von hier aus kopiert und gleich weiter gereicht. Die Analyse dauert noch, aber ich bin auf einen weiteren wichtigen Hinweis gestoßen. Die Scheinfirma, die diese Halle angemietet hat, hat eine aktive Adresse. Die Adresse existiert wirklich und hat einen Telefonanschluss. Das ist interessant, denn zu Telefonanschluss gehört ein Konto, von dem die Gebühren monatlich abgezogen werden. Dieses Konto gehört einem Ausländer, der auf einem Landgut in der Nähe von Tokio lebt.“

„Ist das nicht zu einfach?“, murrte Thomas. „Da steht doch dick und breit Falle drauf geschrieben.“

„Aber bis die Auswertung der Festplatten fertig ist oder die Tokioter Polizei bei ihren Untersuchungen weitere Hinweise entdeckt, ist das unsere beste Spur.“

„Ich bin dafür, Thomas“, meldete sich Kurtz zu Wort und nahm dem Captain den Kaffeebecher aus der Hand. „Nachschauen können wir ja mal, oder?“

„Hey, das ist mein Kaffee.“

„Jetzt ist es meine Tasse. Außerdem ist zuviel Kaffee schlecht für den Kreislauf, Kumpel.“

„Kaffee weg, Spur da. Okay, sehen wir uns dieses Landgut an. Melissa?“

Die Unteroffizierin schreckte hoch. „Ja?“

„Was meinst du, ob uns jemand auf dieser Insel ein paar M9 oder wenigstens M6 leihen kann?“

„Von anklopfen und fragen hältst du wohl nicht viel, was, Thomas?“

„Anklopfen will ich ja. In einem gewissen Sinne“, erwiderte der Deutsche grinsend. Mit ein wenig Glück hatten sie entweder die Mädchen gefunden, oder einen ernsthaften Hinweis.
 

5.

Es war keine Schwierigkeit gewesen, zwei Arm Slaves „auszuleihen“. Leider waren es nur M6 von einer amerikanischen Nachschubeinheit, aber die Mechas waren erstklassig gewartet und super in Schuss.

Die Schwierigkeit war es gewesen, die beiden Arm Slaves auf ihren bulligen Transportern zum Ziel zu schaffen, ohne einen Massenauflauf zu verursachen.

Wieder waren die Yakuza der Mikihara-Gruppe sehr hilfreich gewesen. Sie hatten auf Kanames Bitte einige Freunde in der Region verständigt, und so hatten die zwei Transportwagen einige erstaunliche Schleichwege in der Region nehmen können, die ansonsten für illegale Tätigkeiten verwendet wurden.

Thomas stellte keine eindeutigen Fragen, solange die Mission voran ging.
 

Mithril hatte zwar schon ein Spezialistenteam für die Ermittlungen zugesagt, die Fachleute in Sidney waren überdies schon dabei, die Festplatten zu analysieren. Aber das Argument des deutschen Captains, dass es in diesem Fall um Geschwindigkeit ging, hatte das Oberkommando schließlich dazu bewegt, dem provisorischen Kommando von der FEANOR und der DANNAN freie Hand zu lassen.

Aber im Moment steckte der Deutsche in einem wesentlich herausfordernderem Kampf als mit dem der Admiralität Pazifik.

„Warum sollte ich nicht einen der M6 nehmen? Nenn mir einen guten Grund, Thomas. Nur einen.“

„Sousuke kommt auf Maschine eins, ich gehe auf Maschine zwei. Basta.“

„Das ist kein Grund, das ist reine Willkür!“

„Das ist mir doch egal! Du wirst mit Kurtz hier im Überwachungswagen bleiben und unseren Einsatz koordinieren! Haben wir uns verstanden So-sho?“

Wütend schnaubend sah die Amerikanerin den Deutschen an. „Du brauchst mich nicht zu beschützen! Ich werde dafür bezahlt, dass ich meinen Hals riskiere!“

„Wer redet denn hier von beschützen? Erstens glaube ich, dass du hier an den Kameras die größere Hilfe bist, und zweitens bin ich der bessere Arm Slave-Pilot!“

„Sagt wer?“

„Sage ich!“

„Nee-chan, Thomas, vielleicht sollte ich ja…“

„Halte dich da raus, Kurtz! Schnapp dir dein Scharfschützengewehr und überwache das Gelände! Du hast eine halbe Stunde Zeit, um in Position zu kommen!“

Der deutsche Unteroffizier verzog sein Gesicht wie unter Schmerzen. „Ich bin immer noch der Meinung, dass Sousuke und ich im Zweierteam am erfolgreichsten wäre.“

„Kurtz“, blaffte Melissa, „du hast deine Befehle! Raus!“

„Okay, okay!“ Wütend schnappte sich der Unteroffizier Tarnausrüstung und Scharfschützengewehr. „Aber tut mir einen Gefallen und bringt euch nicht vorher gegenseitig um, ja?“
 

Die gepanzerte Tür des Wagens schlug hinter Weber zu und die beiden Streithähne widmeten sich wieder ihrem Lieblingsthema.

„Hör mal, Thomas. Wenn auf der anderen Seite des Berges etwas schief geht, wie soll ich das deinem Kapitän erklären? Entschuldigung, ich habe Ihren Chef der Arm Slaves verloren? Hallo, geht es noch?“

„Das ist mir egal! Du musst dich dann damit rumärgern, nicht ich!“

Wieder tauschten die zwei wütende Blicke aus.

„Falls ihr euch nicht einig werden könnt, ich kann den Angriff auch alleine ausführen“, murmelte Sagara, schnappte sich seinen Helm und ging zur Tür. „Ich checke meinen M6 durch.“

„Tu das“, erwiderte Melissa. „Ich komme auch gleich.“

„ICH komme gleich“, konterte Thomas.

„Ich dachte, das haben wir schon geklärt! Du bist Captain, und ich bin nur eine kleine So-sho! Wir haben keine Zeit zu erkunden, was uns da unten auf der anderen Seite erwartet und wir sollten das Risiko so klein wie möglich halten! Verdammt, ich will nicht schon wieder meinen kommandierenden Offizier verlieren. Nach McCarron und Tessa wäre das schon Nummer drei in diesem Jahr!“

„Und ich will dich nicht verlieren!“, blaffte Thomas zurück. „Tessa ist fort, Kim ist fort! Meinst du ich könnte es ertragen, wenn du auch noch verschwindest?“

Wütend starrte er die Asiatin an. „Geht das in deinen Kopf rein?“

„Aha! Du darfst so etwas sagen, so selbstsüchtig sein! Und ich darf es nicht?“

„NEIN!“

Wütend starrten sie sich an. Schließlich bracht Thomas das Schweigen. „So-sho, da Sie mir temporär unterstellt sind, erteile ich Ihnen hiermit den Befehl, hier zu bleiben und den Einsatz zu koordinieren, während Gun-so Sagara und ich mit M6 den Angriff führen werden. Gun-so Weber wird Sie als Sniper dabei unterstützen. Haben Sie verstanden, So-sho?“

„Ja, Sir“, erwiderte sie zähneknirschend.

Thomas grunzte zufrieden und schnappte sich seinen eigenen Helm.

„Es war gemein von dir, den Vorgesetzten hervor zu kehren“, murmelte sie leise.

„Ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen“, erwiderte Thomas ebenso leise.

Wieder schwiegen sie und der Deutsche spürte jede verstreichende Sekunde wie einen Schlag in seine Integrität. Schließlich raffte er sich auf und ging zur Panzertür.

„Thomas.“

Der Deutsche wandte sich noch einmal um.

„Pass auf dich auf. Und bring uns die Mädchen wieder.“

„Versprochen“, erwiderte Thomas und ließ die Tür hinter sich zufallen.

Melissa Mao erschrak bei dem metallischen Schlag, der dabei entstand und durch den Kommandowagen hallte.

**

„Also, wollen wir das doch mal zusammenzählen“, sagte Robert Hausen amüsiert. „Ihr seid jetzt nicht ganz zwei Tage hier und habt versucht… Moment, aha, zweimal in mein Computersystem einzubrechen, einmal über die Nordseite des Gartens zu entkommen, einmal über die Südseite und einmal habt ihr versucht, einen Wagen zu stehlen.“

Robert sah von seiner Lektüre auf. „Beachtlich, beachtlich. Ihr zwei entwickelt einen gespenstischen Einfallsreichtum. Liegt das vielleicht an eurem Talent als Whispered?“

Kim Sanders und Theresa Testarossa, die gerade gescholten wurden, starrten trotzig auf den Couchtisch. Beide waren nass bis auf die Knochen, die Sache mit dem Wagen hatte im kleinen See hinter dem Haus ihr Ende gefunden.

„Robert. Sei nicht so streng mit ihnen und lass sie sich erstmal abtrocknen.“ Lin reichte jedem der Mädchen ein Handtuch. „Ich habe frische Sachen für euch rausgelegt. Kim hätte steuern sollen, dann hättet ihr vielleicht die Grundstücksgrenze erreicht.“

„Ich kann doch kein Auto fahren“, rechtfertigte sich das blonde Mädchen grimmig.

„Sie bestrafen uns nicht?“, fragte Tessa misstrauisch.

„Ach, woher denn? Das ist mal ein ganz gutes Training für meine Leute. Hier draußen auf dem Land ist immer so wenig los, da rosten sie mir etwas ein.“ Lin lächelte freundlich.

„Letztendlich sitzen wir hier zwar gut behütet, aber immer auf dem Präsentierteller“, fügte Hausen hinzu. „Eine überlegene Einheit mit drei, vier Arm Slaves und gut ausgebildeten Piloten könnte sich durch die Abwehranlagen kämpfen und uns niederkämpfen. Dann bleibt uns nur die Flucht oder die Aufgabe.“

„Und? Was würden Sie wählen, wenn es soweit ist, Robert?“, fragte Theresa scharf.

„Na was wohl? Ich würde aufgeben. Außer Lin habe ich auf dieser Welt noch nichts getroffen was es wert wäre freiwillig in den Tod zu gehen.“

„Oh, ich fühle mich geehrt“, erwiderte die Chinesin und lächelte zu ihrem Mann herüber.

„Also, wenn es diesmal auch keine Strafe gibt“, sagte Kim und stand auf, „dann sollten wir uns jetzt umziehen gehen.“

„Tut das, Mädchen. Es ist bald Zeit fürs Abendessen.“
 

„Was machen wir denn jetzt? Diese Hausens, die machen sich einen Witz daraus, uns ihre Sicherheitsvorkehrungen austesten zu lassen“, stöhnte Kim. „Und wir spielen auch noch eifrig mit.“

„Ich fände es auch besser, wenn einer unserer Pläne geklappt hätte“, erwiderte Theresa. „Tut mir Leid. Mir ist einfach nichts Besseres eingefallen.“

„Mir doch auch nicht.“ Kim nahm Tessa bei den Händen. „Aber ich bin sicher, wenn die Hausens uns weiter spielen lassen und wenn wir zwei uns anstrengen, dann klappt es irgendwann.“

„So wie du es sagst ist es eine Schande, auch nur eine Sekunde dran zu zweifeln, Kim.“ Tessa lächelte die andere mit zusammengekniffenen Augen an. „Komm, wir haben noch die ganze Nacht, um etwas auszutüfteln. Mittlerweile kennen wir ja die Sicherheitsvorkehrungen ganz gut. Aber erst Mal sollten wir die Sachen wechseln und…“

Tessa verstummte mitten im Wort. Sie machte eine scharfe Geste, um Kim davon abzuhalten etwas zu sagen. Nur ihre Augen bewegten sich, während sie lauschte. „Irgendetwas kommt da.“

**

„Falke eins an Urzu sieben. Funkstille, bis du Angriffsbefehl kriegst.“

„Copy, Falke eins. Ich empfehle, dass ich zuerst rein gehe und Sie mir Deckung geben, Captain. Ihre Fernkampffähigkeiten sind besser als meine.“

„Und deine Nahkampffähigkeiten stellen meine in den Schatten. Einverstanden.“ Thomas lächelte dünn. Eine knappe, gute und sichere Analyse des Japaners. Sousuke Sagara war in jeder Hinsicht bemerkenswert. Und dank Kanames sanftem Einfluss kam er sogar im Zivilleben mehr und mehr zurecht.

Thomas ließ den M6 sich vom Transporter wuchten, Sousukes Arm Slave stand bereits.

Nachdem auch Thomas sicher stand, begann Sousuke sich den Berg hochzuarbeiten. Sie hätten auch die Straße um den Berg herum nehmen können, aber Thomas war dagegen gewesen. Über den Berg durch den Wald, das bot ihnen Deckung.

Sousuke hatte seinen Vorsprung etwas aufgebaut, aber das entsprach dem Plan. Kurz vor dem Berghang aber ließ sich der Gun-so einholen.

Thomas atmete aus, versuchte seine Hände zu beruhigen. Dann umschloss er die Kontrollen des Arm Slaves noch fester. „GO!“

Sagara reagierte sofort, wie ein von der Leine gelassener Kettenhund.

Er schoss mit seinem M6 über den Felsgrat, schlitterte auf der anderen Seite in die Tiefe und in den Wald hinein. Dort begann er zu laufen, wich den größeren Bäumen aus und schob die schwächeren zur Seite.

Thomas folgte auf dem Fuß, nahm aber eine seitlich versetzte Route. Auch er wich den größeren Bäumen respektvoll aus, ging mit den kleinen aber auch nicht zimperlich um.

Wieder erarbeitete sich Sagara einen großen Vorsprung, hielt direkt auf den Landsitz unter ihnen zu.

„Automatische Waffen“, klang Webers Stimme kurz über Funk auf.

Thomas zoomte an das Haus heran und erkannte fünf Waffenstellungen, die aus dem Boden fuhren. Schnell rotierende Gatlings, wahrscheinlich mit panzerbrechender Munition bestückt. Geeignet, Hubschrauber vom Himmel zu holen und schwächere Panzerungen zu durchschlagen. Genügend Kugeln würden sich auch durch die etwas schwächere M6-Panzerung nagen können.

Thomas gab sofort mit dem Scharfschützengewehr gezielte Schüsse ab, eines der Geschütze verging, bevor es Feuer aufnehmen konnte.

Die anderen eröffneten das Feuer, leuchtende Bögen zogen ihre Bahnen in den Wald und zeichneten mit Rauchfahnen und zersplitterndem Holz ihre Einschlagspuren nach.

Alle vier Geschütze zielten auf Sagaras M6, und Thomas bemühte sich, diesen Vorteil auszunutzen, indem er ein zweites Geschütz vernichtete.

„Wenn das so einfach weiter geht“, rief Thomas fröhlich, „lade ich euch alle nachher zum Eis ein.“

**

„Was ist das nur für ein Lärm da draußen?“, fragte Kim ängstlich.

Tessa wirkte wie ausgewechselt. Sie bedeutete der anderen, einen Moment zu schweigen. Dann schlich sie zur Tür. Auf dem Flur war niemand. Sie winkte Kim, die gerade mit wechseln fertig war, ihr zu folgen.

Wieder begegneten sie niemand, schafften es bis zur Vordertür.

„Das wäre jetzt der Witz des Jahres, wenn wir hier einfach vorne raus spazieren könnten“, flüsterte Kim, obwohl das bei dem Lärm, der gerade noch einmal beträchtlich zugenommen hatte, vollkommen unnötig gewesen wäre.

Hastig riss Tessa die Tür auf und… erstarrte.

**

Thomas Kramer musste ehrlich zugeben, dass Sousuke Sagara ein wahrer Virtuose auf seiner Maschine war. Der Japaner brachte auf dem M6 eine Leistung, die manchen Gernsback-Piloten hätte erstarren lassen.

Sousuke eröffnete das Feuer auf die restlichen drei Waffenstellungen aus kurzer Distanz und hatte auch noch die Frechheit zu treffen. Zwei der Schnellfeuerwaffen vergingen, um die dritte kümmerte sich Thomas.

„Keine Bewegungen im Komplex“, meldete Kurtz Weber.

Thomas rutschte mit seinem M6 weiter den Berg hinab und dachte dabei nach. Das große, alte Herrenhaus im europäischen Stil, der verwilderte Park, die beiden großen Scheunen, irgendwie fehlte nur noch die hohe Steinmauer gegen Arm Slave-Angriffe, und er würde sich wieder zurückversetzt fühlen, beim Angriff auf den Waffenschieber Kumanov.

Bei diesem Gedanken traten unwillkommenerweise die Flüchtlingslager wieder vor sein geistiges Auge. Er drückte diese Bilder mit Schuldbewusstsein und Ärger beiseite. Jetzt, gerade jetzt sollte er sich nicht ablenken lassen.
 

Sousuke hatte das Gebäude erreicht, umrundete es. „Ich scanne, erkenne aber keine Bewegungen im Gebäude.“

„Bewegungen bei der linken Scheune. Präzisiere, zwei Mann schieben ein Tor auf.“

„Okay, sagt den drei Greiftrupps Bescheid. Sie sollen runter kommen, wenn wir das Gelände gesichert haben. Kurtz, du sorgst dafür, dass keiner entkommt.“

„Wofür liege ich wohl sonst hier im Dreck?“, erwiderte der Scharfschütze bissig.

Thomas grinste grimmig. „Sousuke, wenn du um das Haus herumkommst, achte auf weitere automatische Waffenplattformen.“

„Habe schon zwei entdeckt, aber anscheinend können sie sich nicht in Richtung des Hauses drehen.

Wartet mal, ich erkenne einen Wagen, der die Scheune verlässt. Ein amerikanischer Humvee mit Bordschützen am Dach-MG. Das MG feuert auf mich.

Zweiter Humvee taucht auf, eröffnet ebenfalls das Feuer.“

„Ausschalten, Sousuke“, befahl Thomas ernst.

„Negativ. Ich glaube, wir sind hier falsch. Ich möchte den Besatzungen noch Fragen stellen können, Captain.“

Thomas erreichte seinerseits nun das Haus, wollte es umrunden.

Warum flohen die Humvees nicht? Warum eröffneten sie stattdessen das Feuer auf den M6, obwohl sie doch wissen mussten, dass es viel zu lange dauern würde, sich durch dessen Panzerung zu nagen? Warum… Moment, wenn sie hier wirklich falsch waren, dann…

„SOUSUKE! ABBRUCH! ABBRUCH!“

**

Der riesige Schatten entpuppte sich als großer, grimmig dreinschauender Leibwächter. Auf der linken Seite gab es noch einen von der Sorte. Zwischen ihnen aber stand ein dicklicher, kleiner Mann, der mit einem Taschentuch affektiert über seine schweißbedeckte Stirn strich. „Ein scheußliches Wetter. Und ich dachte, in der Zentralsahara wäre es warm gewesen.“

Tessa übersah die Lage sofort. Mehrere Hubschrauber waren auf dem Gelände gelandet, gut zwanzig schwer bewaffnete Soldaten sicherten das Terrain zusätzlich ab. Amalgam!
 

Hinter ihnen räusperte sich jemand. „Danke, dass ihr zwei Mr. Conrad die Tür geöffnet habt.“

Robert Hausen trat vor, musterte seinen Vorgarten. „Mr. Conrad, hm, übertreiben Sie es nicht etwas?“

„Übertreiben? Junger Mann, Sie haben hier zwei Whispered im Haus. Es wundert mich, dass die Anlage nicht einer Festung gleicht. Haben Sie überhaupt eine Ahnung, welchen Wert Sie mit den beiden in Händen halten? Sagen Sie, ist das Haus klimatisiert? Ich schwitze mich hier noch tot.“

Robert legte den beiden Mädchen je eine Hand auf die Schulter und zog sie leicht zurück. Dann dirigierte er sie vor sich her bis in Wohnzimmer.

Ächzend nahm Conrad Platz und akzeptierte dankbar den Eistee von Lin. „Sie sind wie immer ein liebenswürdiger Engel, meine Liebe. Es wundert mich, wie Ihr Gatte es so lange in der heißen Wüste ohne Sie aushalten konnte.“

Lin lächelte höflich, sagte aber nichts. Stattdessen setzte sie sich an Roberts Seite.

Die beiden Leibwächter stellten sich in die Tür, Tessa und Kim hatten im Sofa neben den Hausens Platz genommen.
 

„Um gleich zum Geschäft zu kommen, mein alter Freund, ich bin hier um Ihnen den vollen Betrag auszuzahlen. Darüber hinaus bekommen Sie noch zehn Prozent Bonus für die Schnelligkeit, mit der Sie agiert haben, mein lieber Robert.

Ach, und Sie bekommen die gleiche Summe noch einmal für Tai-sa Testarossa.“

„Ich bedaure, aber Tessa steht hier nicht zur Disposition.“

Kim warf dem Ehepaar einen Blick zu, erschrocken weil sie von Tessa getrennt werden würde, erleichtert weil es nun nur sie sein würde, die auf Nimmerwiedersehen verschwand. Aber sie kam ja ohnehin aus dem Nichts.

„Hm. So. Ja. Verstehe. Sie wollen den Preis ein wenig hochtreiben. Gut. Für Tai-sa Testarossa erhalten Sie zwanzig Prozent Bonus.“

„Es geht nicht um das Geld. Ich habe keinen Auftrag bekommen, Tessa zu entführen. Also ist es im Prinzip meine Sache, was ich mit ihr mache.“

Conrad starrte den Deutschen an, als würde der gerade mit scharfen Handgranaten jonglieren.

Einer der Leibwächter knurrte und langte unter seine Jacke, aber Conrad hielt ihn mit einer Kopfbewegung zurück.

„Mein lieber Robert. Ich hoffe Sie wissen eines: Mit Amalgam macht man keine Spielchen. Nicht wenn man überleben will.“

„Mein lieber Mr. Conrad, und Sie wissen hoffentlich eines: Ich habe meine Verträge mit Amalgam bisher immer zu Ihrer vollsten Zufriedenheit erfüllt. Nicht nur das, ich habe sie buchstabengetreu erfüllt. Wollen Sie mir das nun vorwerfen?“

Nun knurrte auch der andere Leibwächter, aber Conrad schwieg beeindruckt.

„Robert, Robert, Robert. Also gut. Uns ist beiden klar, dass ich ohne Tai-sa Testarossa nicht gehen werde. Und Ihnen ist klar, dass Ihr Wert für Amalgam immens ist, aber nicht unbegrenzt. Wie sieht Ihr, ah, Kompromiss aus?“

Lin sah kurz zu ihrem Mann herüber, der tätschelte unmerklich ihre Hand.

„Es gibt, hm, eine Möglichkeit. Was ist für Sie an Kim Sanders das Wichtigste, Mr. Conrad?“

„Ist das nicht offensichtlich? Ihr Wissen als Whispered natürlich.“

„Hm. Ich nehme an, bei Tessa ist es ähnlich, aber da kommt noch ihr Wert als Kapitän der TUATHA DE DANNAN hinzu.“

„Die Person wäre ein grandioses Druckmittel, aber ihr Wissen über die Black Technologie hat eindeutig Vorrang.“

„Dann ist es abgemacht. Geben Sie mir eine Viertelstunde zum packen, danach können wir los.“

Mr. Conrad wirkte reichlich überfahren. „Was ist abgemacht, mein lieber Robert?“

„Unser Handel ist abgemacht. Sie erhalten Tessas Wissen als Whispered. Sehen Sie das als persönlichen Bonus für Amalgam, quasi mein Geschenk an Sie für die langjährige, gute Zusammenarbeit.“

„Mir gefällt nicht, dass Sie so leicht einbrechen, Robert. Und mir gefällt nicht, dass Sie packen wollen.“

„Nun, das muss ich wohl, wenn ich mitkommen werde, oder? Immerhin muß ja einer auf mein Eigentum aufpassen, wenn Amalgams Wissenschaftler daran herumfuhrwerken.“

„Ihr Eigentum?“ Conrads Augen blitzten auf. „Ich verstehe. Sie wollen die beiden zurück haben, sobald wir das Wissen extrahiert haben.“

Robert Hausen lächelte dünn. „Ich denke, das ist nicht zuviel verlangt, oder?“

„Würde ein anderer als der legendäre Robert Hausen dieses Angebot machen, wäre er bereits getötet worden“, erwiderte Conrad streng.

Sein Gesicht wurde weicher. „Aber Sie sind nun mal Robert Hausen. Einverstanden. Fünfzehn Minuten, sagten Sie? Lassen Sie sich ruhig ein wenig mehr Zeit. Wir sind nicht in Eile.“

Die beiden Mädchen wirkten unschlüssig, konnten die neue Entwicklung noch nicht einschätzen, aber immerhin gab es bei dieser Geschichte eine Chance, irgendwie wieder lebend raus zu kommen. Oder einen Verbündeten zu gewinnen.

Robert nickte den beiden zu, dann seiner Frau. „Wir packen, Schatz.“

„Einverstanden.“

**

Thomas warf seinen M6 herum, aber es war schon zu spät. Im Haus ging wer weiß wie viel Sprengstoff hoch, zerfetzte den alten Backsteinbau und bombardierte die Rückenpanzerung seines Arm Slaves mit einem Schrapnell aus hoch beschleunigten Steinen.

Der Arm Slave wurde heftig durchgeschüttelt.

Staub wirbelte auf, Flammen schlugen über ihm zusammen, der Mecha wurde von den Beinen gehoben. Als er wieder Bodenkontakt erlangte, rutschte der Arm Slave meterweit über den Boden.

„Verdammter Mist“, fluchte Thomas unbeherrscht. Er versuchte den M6 umzudrehen. „Sousuke, bist du da? Sousuke?“

Das letzte was er vom M6 des jungen Söldners gesehen hatte, das war das linke Bein gewesen, wie es hinter dem Haus verschwunden war.

Verdammt, Sousuke. Sie alle hatten mit eine Falle gerechnet, aber nicht gerade mit einer so gewaltigen Mine!

Wieder wurde sein M6 erschüttert. Thomas warf den Arm Slave endlich herum, sah auf… Und erkannte nur noch das riesige Trümmerstück, dass auf ihn herab fuhr.

**

Eine gut Stunde später, Conrad hatte sich mit der Zeit mehr als großzügig erwiesen, verließen die Hausens zusammen mit den Mädchen das Landhaus.

Mr. Conrad bedachte sie mit einem eigentümlichen Lächeln, bevor er sich ihrem Tross anschloss.

Gemeinsam gingen sie auf einen der Transporthubschrauber zu.

Kim zitterte, aber Tessa ergriff ihre Hand und drückte fest zu.

Die Zukunft sah nun nicht mehr so schlimm aus wie noch eine Stunde zuvor.

Beide glaubten nicht daran, dass Robert Hausen sie so einfach wieder würde mit nach Japan nehmen können. Aber wenn Amalgam seinen freien Mitarbeiter betrog, dann hatten sie vielleicht die Möglichkeit, ihn zu ihrem Verbündeten zu machen, wenn auch nur auf Zeit.
 

Sie hatten die Strecke fast geschafft, als einer der Leibwächter der Anlage – ausgerechnet der, der sie aus dem umgestürzten Auto an ihren Krägen herausgezerrt hatte – zu Lin kam und leise mit ihr sprach.

Sie nickte. „Okay, bereitet euch darauf vor. Es könnte sein, dass sie auch auf dieses Gelände stoßen. Gebt es notfalls auf, verstanden?“

Der Mann bestätigte und ging wieder.

„Stimmt etwas nicht, meine Liebe?“, fragte Conrad von hinten.

„Die Infanterie, die wir für den Angriff auf das Safe House angeworben haben, wurde heute ausgehoben. Ein paar Stunden später wurde eine Scheinadresse von Arm Slaves angegriffen. Meine Leute vor Ort mussten die Anlage sprengen. Dabei haben sie zwei M6 zerstört.“

Kim Sanders und Theresa Testarossa keuchten erschrocken auf. Jemand, der hinter ihren Entführern her war, der zudem Arm Slaves steuerte…

„Wie geht es den Piloten?“, fragte Kim aufgebracht.

„Darüber liegen mir noch keine Informationen vor“, wich Lin aus.

Robert trat hinter die beiden jungen Frauen und schob sie mit leichtem Druck die Rampe des Hubschraubers hoch. „Darüber reden wir, wenn die Zeit gekommen ist. Jetzt lasst uns erstmal an Bord gehen.“

Wieder wechselten die Mädchen ängstliche Blicke. Jeder hatte an Bord der Arm Slaves sein können: Kurtz, Melissa, Thomas, Sousuke. Und zwei zerstörte M6 konnten das Schlimmste für die Piloten bedeuten!
 

6.

Als Thomas Kramer aufschreckte, sank er sofort wieder zurück auf seine Kissen. Ihm wurde schwarz vor Augen und er musste hart mit sich kämpfen, um nicht sofort wieder bewusstlos zu werden.

Eine Hand legte sich auf seine Stirn. „Ruhig, Thomas. Du bist noch lange nicht bei Kräften.“

„M-melissa?“, hauchte der Deutsche.

„Ich bin hier. Es war eine Falle, Thomas, eine riesige Falle. Dich hat es ordentlich erwischt. Du hast dir den linken Unterarm gebrochen, Speiche und Elle, dazu ein paar Rippen, Dutzende blaue Flecken und dazu das linke Bein. Außerdem hast du ne Menge Blut verloren.“

„Mist.“

„Falls es dich interessiert“, klang die Stimme Webers auf, „ich bin auch noch hier, Nii-chan.“

„Kurtz. Was ist passiert?“

„Nachdem die Humvees auf Sousuke gefeuert haben, ging der Ärger erst los. Ich habe im Haus eine kleine Explosion gesehen, danach kam die große Explosion. Ich tippe auf einen Staubzünder pro Raum, die das ganze Gebäude zu einem einzigen Schrapnell gemacht haben.“

„Was ist mit Sousuke?“

„Er war zwischen dem Haus und mir, als es hoch ging. Ich konnte nichts sehen. Die Experten haben zwei Tage nach den Resten seines M6 gesucht, ihn aber nicht gefunden.“

„Ich war also mindestens zwei Tage bewusstlos. Und? Wird Sousuke als gefallen oder vermisst geführt?“

„Es sind mittlerweile drei Tage. Du bist auf Melina Island, dem Stützpunkt der DANNAN. Die DANNAN und die FEANOR sind seit gestern hier und… Sousuke wird als vermisst geführt. Wir konnten nicht viel vom Cockpit finden, also besteht noch Hoffnung.“

„Außerdem hat der Bursche ein verteufeltes Glück“, fügte Kurtz hinzu. „Ich muss mal dringend mit ihm nach Vegas fliegen.“

Thomas winkte schwach ab. Im Hintergrund hörte er leise die Geräte piepsen. Er hing also zumindest an Überwachungsanlagen für seine Vitalfunktionen.

„Ich kann nichts sehen.“

„Du hast dir eine kräftige Gehirnerschütterung zugezogen. Dein Gehirn ist angeschwollen und das Gewebe drückt auf die Sehnerven. Es wird noch ein oder zwei Tage dauern, bis du wieder was sehen kannst. Die CT fiel jedenfalls positiv aus, sagen die Ärzte. Ein paar Tage musst du also noch liegen bleiben.“

„Drei Tage“, murmelte Thomas erschüttert. „Verdammt. Haben wir eine neue Spur? Irgendeine Ahnung, wo sie hin sind? Irgendetwas?“
 

„Lassen Sie mich das beantworten“, erklang eine ruhige, ältere Stimme.

„Skipper!“

„Thomas, wie geht es Ihnen?“

„Ich habe Tai-sa Testarossa, Kim Sanders und nun auch noch Sousuke Sagara verloren. Mir geht es natürlich blendend, Skipper.“

Thomas spürte eine Hand schwer auf seiner Schulter ruhen. „Ich gebe zu, im Moment sieht es schlecht für uns aus. Aber Ihre gute Vorarbeit zeitigt nun Früchte.“

„Wie soll ich das verstehen?“

„Ihre Zusammenarbeit mit den Yakuza hat…“

„Die Mizuhara-Gruppe hat das Lagerhaus für uns gestürmt.“

„Das meinte ich nicht. Die Bestechung des Oyabuns, Sie erinnern sich, Thomas? Diese Spesenabrechnung hat die Zentrale in Sidney in helle Aufregung versetzt.“

Beinahe glaubte Thomas, seinen Kapitän schmunzeln zu sehen.

„Ich habe vorhin mit Kawamura-san telefoniert. Wir haben jetzt ein paar Namen und Adressen. Und was noch viel wichtiger ist, wir haben eine Spur nach Süd-China.“

„Namen?“, echote Thomas.

„Ein freier Agent. Wir wollten ihn schon selbst anwerben, konnten aber nie die richtigen Kontakte etablieren. Robert Hausen, Deutscher. Sehr fähiger Mann.“

„Hm. Der arbeitet also gerade für unsere Gegner?“

Melissa Mao nahm ihre Hand von seiner Stirn. „Und höchstwahrscheinlich verantwortlich für den Angriff auf das Save House, als Kim und Tessa entführt wurden.“

„Er ist vor einer Woche nach Japan eingereist. Ein Team der Polizei hat ihn beobachtet“, führte Sander aus. „Sein erstes Ziel in Tokio war die Jindai High School.“

Erschrocken fuhr Thomas hoch. Diesmal wurde ihm nicht schwindlig. Diesmal setzte er sich auf. „Dieser verdammte Bastard! Ich wusste, mit dem stimmt was nicht! Wir haben ihn gesehen, damals, als wir mit den Kids die Schule verlassen haben!“

„Was?“, kam ein erschrockener Zwischenruf von Kurtz.

„Der Typ? Verdammt!“ Melissa Mao klang schockiert und wütend.

„Wie dem auch sei, Captain. Wenn Sie sich an der Jagd beteiligen wollen, werden Sie erst einmal wieder gesund.“

Die große, kräftige Hand drückte ihn wieder auf das Bett zurück, nachdrücklich aber nicht grob.

Der Kopf des Deutschen hatte kaum sein Kissen berührt, als er schon merkte wie er weg sackte. Verdammt, er hätte sich gerne noch mit den anderen unterhalten, mehr über diese Spur nach Süd-China erfahren. Irgendwie, auf irgendeine Weise geholfen. Das war viel besser, als in diesem Bett gefangen zu sein. Eigentlich.

**

Sander scheuchte die beiden Soldaten der DANNAN vor sich her auf den Gang.

„Es tut mir weh, einen guten Offizier so zu sehen“, seufzte Johann Sander.

„So schlimm, Sir?“

Die Stimme, die gefragt hatte, gehörte einer ziemlich besorgten Second Lieutenant Samantha Rogers. Die Augen, die ihn fragend ansahen, mindestens zehn weiteren Leuten seiner Crew.

„Es wird langsam. Der Bruch verheilt gut, die CT ergab keinen Befund. Und wenn er sich zwei Tage Ruhe gönnt, wird er bald wieder aufstehen können.“

Erleichtert raunten die Besatzungsmitglieder der FEANOR auf.

„Aber es wird mindestens ein Vierteljahr vergehen, bevor er wieder in den Dienst kann“, schränkte Sander ein. „Allein der Armbruch wird eine sehr langwierige Sache. Was aber nicht heißt, dass er nicht bald einen Schreibtisch steuern kann.“

Timothy Scott, Chef der Kampfhubschrauber, hob eine Hand. „Sir, eine Frage. Was bedeutet bald im Fall vom Heiligen?“

„Mindestens zwei Wochen.“

Wieder wurde geraunt.

Schuldbewusst sah Captain Valeri, Chef der Super Harriers, zu Boden. „Muss an den Verletzungen liegen, die er im Kingdom Sahara einstecken musste. Wenn ich etwas besser…“

„Captain, halten Sie die Klappe. Seine jetzigen Verletzungen sind dadurch entstanden, weil ihm eine halbe Hauswand das Cockpit zertrümmert hat. Im Prinzip ist es wieder mal sein unglaubliches Glück, dass er nicht zu einem unförmigen Haufen organische Masse zerstampft wurde“, tadelte Sander. „Er wird wieder gesund werden, das verspreche ich ihnen. Ihnen allen.

Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich habe eine Besprechung mit Chu-sa Mardukas und der Admiralität.“ Er nickte kurz So-sho Mao zu, setzte seine Schirmmütze auf und ging.
 

Die Offiziere und Mannschaften der FEANOR machten ihrem Skipper respektvoll Platz und wünschten ihm viel Erfolg bei der Besprechung. Was sie nicht taten, war den Gang vor Kramers Zimmer zu verlassen.

Sander seufzte leise.

Als er um die nächste Ecke bog, blieb er abrupt stehen. Mehr oder weniger lässig an die Wand gelehnt erwarteten ihn drei Offiziere seines Schiffs. Captain Karasov kniff kurz die Augen zusammen. „Es geht ihm einigermaßen?“

Lieutenant Commander Allister winkte ab. „Was reden Sie nur, Sergej Ivanowitsch, natürlich geht es ihm gut. Wir reden hier immerhin über den heiligen Thomas. Nicht, Skipper?“

Die letzten Worte hatten viel zu sehr als betroffene Frage geklungen, um als Rhetorik durchzugehen. Sander unterdrückte ein schmunzeln. „Keine Sorge. Der Tag, an dem eine Hauswand Thomas Kramer stoppen kann, ist noch lange nicht gekommen.“

Er wandte sich dem dritten Anwesenden zu, der wie ein Häuflein Elend auf einer Bank saß und betreten zu Boden sah. „Colonel Santos, würden Sie mich bitte begleiten?“

„Was? Sir, ich würde gerne… Natürlich, Skipper.“ Der Spanier erhob sich und folgte seinem Vorgesetzten.
 

„Nun, Miguel, ist noch jemand an Bord auf seinem Posten, oder stoßen wir auf den Korridoren auf weitere Besatzungsmitglieder?“

„Verstehen Sie das nicht falsch, Skipper. Es gibt genügend Leute an Bord, denen es herzlich egal ist, wie es dem Heiligen geht, solange es sie nicht direkt betrifft. Und der Rest ist keinesfalls geschlossen hier versammelt. Und ja, wir haben eine Bordwache auf der FEANOR. Minimale Besetzung.“

„Hm. Dafür war die Palette an Personen aber recht eindrucksvoll, finden Sie nicht, Miguel?“

„Ich persönlich hätte nicht mit Sharon Allister gerechnet, Skipper, sie hat sich immer am meisten mit Thomas und seinem Kommandostil gerieben. Aber sie scheinen sich zusammengerauft zu haben. Ich bin sicher, wenn sie in diesem Zimmer liegen würde, dann würde Thomas auch vor ihrer Tür stehen und auf gute Nachrichten warten.“

„Wahrscheinlich. Miguel, sorgen Sie dafür, dass die Leute da weg kommen. Erstens behindern sie die Arbeit des Krankenreviers und zweitens steht es nicht kritisch um Thomas. Außerdem wirft das ein schlechtes Bild auf unsere Professionalität.“

„Ich werde etwas Entsprechendes veranlassen, Skipper.“

Sander schüttelte amüsiert den Kopf. „Die wichtigsten Offiziere. Das sollte ich Thomas beim nächsten Besuch mal erzählen. Dieser Zuspruch wird ihn freuen.“

„Eher wird er uns schelten, weil wir die Zeit vor seiner Tür auch zur Vorbereitung für den nächsten Einsatz hätten verwenden können“, erwiderte der Lieutenant Colonel mit saurer Miene.

„Oder das.“ Sander schmunzelte. „Oder das.“
 

„…hat der Gegner für die Falle zwei Sorten Sprengsätze verwendet. Zuerst eine Bombe in jedem Zimmer, um vorbereitete Portionen Staub in der Raumluft so dicht und gleichmäßig zu verbreiten“, klang ihnen die Stimme Mardukas´ entgegen, als sie den Besprechungsraum betraten. „Danach detonierten Feinstaubzünder. Selbst wenn in jedem Zimmer zwei dieser Sprengsätze standen, war es für die Scanner der M6 unmöglich, sie aufzuspüren. Diese Falle war extrem trickreich, gut durchdacht und leider auch erfolgreich.“

„Was wollen Sie uns sagen, Commander. Waren wir zu dumm oder war der Feind zu schlau?“

„Gewöhnen wir uns an den Gedanken, dass es von beidem etwas war, Admiral.“

Sander nahm auf einem freien Stuhl Platz, Santos postierte sich hinter ihm.

Sofort aktivierte sich ein holographischer Aufzeichner, der Sanders Bild zu allen anderen Konferenztischen sandte, die rund um die Welt verteilt waren. „Entschuldigen Sie die Verspätung, meine Herren. Ich war noch bei meinem Offizier. Er ist gerade aufgewacht.“

„Ah, Captain Sander. Wir versuchen gerade herausfinden, wie umsichtig Captain Kramer gehandelt hat. Immerhin haben wir zwei M6 und einen exzellenten Piloten verloren. Genauer gesagt, den einzigen Piloten, der den Arbalest steuern kann.“

„Das Cockpit von Gun-so Sagaras Arm Slave wurde bisher nicht gefunden“, gab Sander zu bedenken.

„Deshalb führen wir ihn ja auch nur als vermisst und nicht als gefallen“, erwiderte Admiral Jerome Porter. „Aber Sie haben Glück. Sogar Commander Mardukas sagt, dass diese Falle in der Form nicht hatte entdeckt werden können. Wir haben einen trickreichen Gegner in diesem Fall.“

„Amalgam“, warf Sander ein. „Wir haben es mit Amalgam zu tun. Keine Organisation hat außer Mithril von Kim Sanders gewusst. Nun, es hätte zumindest keine andere Organisation in dieser kurzen Zeit einen Versuch unternehmen können, diese Whispered zu entführen. Einmal ganz davon abgesehen, dass es nur eine Handvoll Organisationen und eine ebenso kleine Handvoll Staaten gibt, die mit einem Whispered arbeiten können.“

„Zugegeben“, erwiderte der Admiral.

„Einigen wir uns darauf, dass der Einsatz ein Fiasko war. Allerdings, wenn man die Dringlichkeit der Situation bedenkt, ein Fiasko, das noch viel schlimmer hätte ausgehen können. Ich ziehe deshalb eine Degradierung von Captain Kramer als mögliche Maßregelung in Betracht“, meldete sich der Chef der Soldstelle zu Wort. „Möglich wäre auch eine Reduzierung der Bezüge.“

„Meine Herren, gehen wir da nicht etwas zu weit?“, fragte Sander aufgeregt.

„Er hat einen Mann und zwei Arm Slaves verloren. Ich denke, mit solch einer Strafe kommt er relativ glimpflich weg. Vergessen Sie nicht, Captain Sander, letztendlich…“

„Ja. Letztendlich muß einer die Verantwortung übernehmen.“

„Korrekt. Und Captain Kramer war der ranghöchste Offizier in der Aktion.“ Admiral Porter machte eine abweisende Handbewegung. „Aber schieben wir das ein wenig auf. Wichtiger ist, was wir mit dem Hinweis machen, den uns die Yakuza zugespielt haben. Können wir diesem Hinweis überhaupt trauen?“

„Sho-sa Kalinin ist bereits dabei, die angegebene Region untersuchen zu lassen“, meldete sich Mardukas zu Wort. „Die Topographie der Umgebung ist bekannt. Es handelt sich um eine verlassene Bunkeranlage an der vietnamesischen Grenze. Vietnam und Süd-China sind seit der Teilung engste Verbündete. Es erschien damals also logisch, einen Teil der Stellungen aufzugeben.“

„Sie rechnen also damit, dass sich Amalgam in einem dieser Bunker eingenistet hat.“

Mardukas nickte. „Ich und Sho-sa Kalinin sind der Meinung, dass wir dort auf einem mittleren Stützpunkt Amalgams treffen können. Größer jedenfalls als den, den wir auf Sri Lanka ausgehoben haben.“

„Hm. Haben wir Karten?“

„Selbstverständlich, Admiral Porter.“

Auf dem Tisch entstand das Abbild einer subtropischen, bergigen Landschaft.

„Wie Sie sehen können, ist das Gelände unwirtlich in Richtung Vietnam, in Richtung China jedoch gut ausgebaut. Jetzt im Nachhinein nehmen wir an, dass die Venoms, die vor ein paar Monaten in Hong Kong aktiv waren, von diesem Stützpunkt gekommen sind. Was einiges, was vieles erklären würde. Ein Angriff von Süden wäre fatal, allerdings sollten wir auch hier neuere Daten der Investigationen von Sho-sa Kalinin abwarten. Norden oder Osten sollte eine ordentliche Zangenbewegung begünstigen, aber nach Captain Kramers Erkenntnisse in der Falle auf dem Landgut müssen wir zumindest mit automatischen Waffenplattformen rechnen.“

„Können diese Waffenplattformen Partikeltarnungen erkennen? Die M6, die Kramer eingesetzt hatte, verfügten nicht über diese Tarnung, richtig?“

„Richtig, Mr. Secretary. Aber in diesem Punkt sind wir auf Spekulationen angewiesen. Was wesentlich schwieriger ist und was für uns das eigentliche Problem darstellt ist: Befinden sich Venom-Einheiten mit dem Lambda Driver in der Region, und wenn ja, wie zahlreich sind sie?

Und wie können wir sie aus dem Stützpunkt extrahieren?“

„Ich entnehme Ihren Worten, mein lieber Mardukas, dass Sie in jedem Fall angreifen wollen.“

„Natürlich, Admiral. Mein Captain ist wahrscheinlich in dieser Anlage, und mein Captain kann sich darauf verlassen, dass ich ihn holen komme.“

Die Anwesenden raunten leise.

„Nun gut, beenden wir die Besprechung hier. Ich erteile Marschbefehl für die TDD-1 TUATHA DE DANNAN. Die TDD-2 FEANOR erhält hiermit den Befehl, ihr Schwesterschiff mit Personal und Material sowie Kampfeinheiten zu unterstützen. Heben Sie mir diesen Stützpunkt aus. Wir kommen nach dem Einsatz wieder zusammen.“

Mardukas und Sander bestätigten mit einem Nicken.
 

Nach und nach erloschen die Hologramme, die Worte „Link disabled“ leuchteten über jedem Sessel auf.

Sander sah zu Mardukas herüber, Mardukas zu Sander.

„Es ist Ihr Hinterhof, Chu-sa. Bitte übernehmen Sie das Oberkommando.“

„Ich nehme dankend an, Captain Sander. Selbstverständlich übernehmen Sie den Posten als Stellvertretender Kommandeur der Einsatzgruppe.“

„Ich habe nichts anderes erwartet, Chu-sa. Wann beginnen wir mit den Planungen?“

„Sho-sa Kalinin hat uns die ersten Ergebnisse der Satellitenauswertung für Morgen früh zugesagt. Gleich nach der Besprechung brechen wir auf.“

Mardukas starrte auf die Tischplatte. „Elitetrupps der DANNAN werden die Anlage observieren und uns weitere Informationen übermitteln. Dann sollten wir über alle Informationen verfügen, die wir für den Angriff brauchen. Und vielleicht wissen wir dann auch schon, ob sich Tai-sa Testarossa und Miss Sanders in dieser Anlage befinden.“

„Ich werde Kramer mitnehmen“, sagte Sander mit Nachdruck.

„Gönnen Sie dem Jungen lieber seine Genesung. Er hat gute Arbeit geleistet, egal was die Soldstelle sagt.“

„Das ist es nicht. Aber jetzt wo Gun-so Sagara vermisst wird, werden wir ihn brauchen – er ist der einzige Mensch bei Mithril, der den Kampf gegen einen Lambda Driver gewonnen hat.“

„Mit Hilfe von zwei Super Harrier.“

„Unter seiner Koordination, unter Zeitdruck und erfolgreich.“

Mardukas lachte rau. „Einverstanden. Nehmen Sie ihn mit.“
 

7.

Es kam eher selten vor, dass die Schiffe der Dannan-Klasse auftauchten. Die Gefahr, von Satelliten fotografiert zu werden oder Oberflächenschiffen ein erstklassiges Ortungsbild zu liefern war zu hoch.

In diesem Fall aber, bei bewölktem Himmel und ruhiger Abendsee, fuhren beide Schiffe im lockeren Verband an der Oberfläche Richtung chinesisches Festland. Oberflächenschiffe, Flugzeuge und Unterseeboote waren nicht in der Ortung, Satelliten konnten nicht durch die dichte Wolkenschicht fotografieren.

Diese und ähnliche Gedanken gingen Thomas Kramer durch den Kopf, während er mit einer Krücke bewaffnet über das Landedeck humpelte.

Grund für das auftauchen war eine Umladeaktion. Vier Gernsback der FEANOR wurde mit ihren Piloten auf die DANNAN verbracht, von wo aus sie in den Einsatz gehen würden.

Thomas hatte die beiden Zweierteams selbst ausgesucht. Falke drei, Yussuf Ben Brahim und seine Flügelfrau Falke vier, Jasmin Smith sowie Falke fünf, Samantha Rogers mit ihrer Flügelfrau Falke sechs, Jennifer Carthy würden am direkten Angriff der DANNAN auf den vermuteten Stützpunkt Amalgams teilnehmen, während Falke sieben, Sandra Ciavati mit ihrem Flügelmann Falke acht, Ken Ibuto, die Absicherung des Unterseebootes übernehmen würden.

Die FEANOR würde Unterstützungsfeuer geben und einen eventuellen Fluchtkorridor offen halten, während die DANNAN verdammt nahe an die Küste heran rücken würde.

Ein riskanter Plan, aber die DANNAN war ein gutes Schiff und auch ohne das Genie Theresa Testarossa konnte die Crew der DANNAN Wunder vollbringen.

Mardukas war ein viel zu erfahrener Unterseeboot-Fahrer, um nicht selbst ein paar Tricks im Ärmel zu haben.
 

Gerade starteten Falke drei und vier mit Hilfe der Dampfkatapulte. Sie würden eine enge Schleife ziehen und anschließend auf der DANNAN landen. Falke fünf und sechs machten sich gerade bereit, während das Katapult neu gespannt wurde.

Falke fünf wandte sich um, beugte sich in die Richtung von Thomas. „Sir“, klang die Stimme von Sam Rogers auf.

Ungläubig bohrte sich der Deutsche mit dem kleinen Finger im Ohr. „Ich glaube, ich stehe noch unter Drogen. Hast du mich gerade Sir genannt, Sam?“

„Nun werde nicht frech!“, blaffte die Amerikanerin wütend. „Sonst steige ich dir mit meinem M9 auf die Zehen!“

Etwas leiser fügte sie hinzu: „Sir.“

Misstrauisch sah Thomas hoch. „Was willst du, Sam? Soll ich mich für eine Solderhöhung einsetzen?“

„Ja, das könntest du wirklich mal für deine beste Pilotin tun, Thomas“, erwiderte sie spöttisch. „Wäre ja auch dringend an der Zeit.“

„Aber?“

„Kein Aber. Ich wollte dir nur sagen, dass… Dass wir unser Bestes geben um Tai-sa Testarossa und Kim Sanders zurück zu holen.“

Der Arm Slave wandte sich um, ging auf das Dampfkatapult zu, wurde zusammen mit Falke sechs verlinkt.

Kurz vor dem Countdown wandte sich der Gernsback noch einmal halb um und Rogers rief über die Lautsprecher: „Wir wetzen deinen Fehler schon wieder aus, Thomas!“

Drei Sekunden später wurden die Arm Slaves gestartet, was Sam die reichlich harsche und blumenreiche Erwiderung des Captains ersparte.
 

Fünf Minuten später war das Flugdeck noch immer nicht geschlossen worden und niemand traf Anstalten das Deck zu räumen.

„Chief, worauf warten wir noch? Sollte nicht längst der Tauchbefehl kommen?“

„Mit vier zusätzlichen Arm Slaves wird es etwas eng auf der DANNAN. Deshalb übernehmen wir einen Teil ihrer Infanterie, ein paar Hubschrauber und verstauen einen M9 für sie.“

„Hm. Das müsste dann die Maschine von Sousuke sein.“ Erschrocken suchte er den Himmel ab. Tatsächlich, eine kleine Flotte Hubschrauber startete von der DANNAN und setzte zu ihnen über.

Und unter einem hing… „Der Arbalest.“

„Richtig. Da die FEANOR den Türstopper spielt, hielt es Chu-sa Mardukas für besser, ihn bei uns zu parken. Für alle Fälle.“

Thomas pfiff anerkennend.

„Sir, wenn es das gewesen ist, verlassen Sie bitte das Landedeck. Wenn hier vier Helikopter reinkommen, haben wir verdammt wenig Platz.“

„Ist in Ordnung, Chief.“

Schmunzelnd machte sich der Captain auf dem Weg zum nächsten Verladefahrstuhl.
 

Zehn Minuten später kam der Befehl zum tauchen bei langsamer Fahrt. Die Crew des Hangars war noch damit beschäftigt, die Hubschrauber auf dem frei gewordenen Platz festzuzurren und den Arbalest neben dem M9 von Thomas zu fixieren, während das Schiff bereits mit leichtem Neigungswinkel in die Tiefe steuerte. Auch die DANNAN würde nun wieder tauchen.

Langsam humpelte der Arm Slave-Pilot zum Arbalest herüber.

Nachdem die Verladearbeiten beendet waren und die Infanterie der DANNAN aus dem Hangar geführt worden war, ging Thomas direkt an den Arm Slave heran. Äußerlich sah er einem regulären M9 Gernsback sehr ähnlich, aber der Captain kannte die Leistungsunterschiede nur zu genau.

„Junge, Junge. Erst verschwindet Sousuke, und nun nehmen sie auch dich aus dem Rennen. Drüben kann dich wohl keiner steuern, was, Großer?“

„Negativ, Captain. Jeder autorisierte Pilot ist in der Lage, mich zu steuern“, antwortete die Künstliche Intelligenz des Arbalest. „Aber Chu-sa Mardukas sieht keinen Sinn darin, meine Existenz aufs Spiel zu setzen, wenn der Pilot den Lambda Driver nicht einsetzen kann.“

„Du bist aktiviert?“, staunte der Deutsche.

„Ich nutze die Gelegenheit für ein paar Selbstdiagnosen, Sir. Vor allem der Lambda Driver bedarf genauester Beobachtung.“

„Ich erinnere mich. Es gibt ein paar Störungen in dem Ding. Die Frage ist halt, sind sie technischer oder menschlicher Natur?“

„Sie sind wie immer sehr scharfsinnig, Sir. Diese Frage haben sich die Techniker auf der DANNAN ebenfalls schon gestellt. Vor allem deshalb, weil die Fehlfunktionen des Lambda Drivers beständig zurück gehen, seit Gun-so Sagara die Leibwächtertätigkeit für Kaname Chidori priorisiert hat.“

Thomas runzelte die Stirn. „War das eine Information, die ich erhalten darf, Al?“

„Da Sie die letzten Tage mit Kaname Chidori verbracht haben, sehe ich da kein Problem. Andererseits sollte ich Sho-sa Kalinin zu diesem Thema befragen können. Oder Kaname Chidori selbst.“

„Moment Mal, Moment. So wie du das sagst, klingt es als wäre Sho-sa Kalinin hier an Bord.“

„Das ist er auch, Major Kramer!“
 

Der deutsche Captain fuhr herum, wobei er fast über seine Krücke gestolpert wäre. Aber zwei kleine, aber kräftige Hände, die sofort zugriffen, bewahrten ihn vor dem Schlimmsten.

„Danke“, ächzte er der kleinen Gestalt in der grünen Infanterie-Uniform von Mithril zu.

Kaname Chidori sah hoch und lächelte mit zusammen gekniffenen Augen. „Kein Problem, Thomas.“

„Kaname? Wie bist du denn an Bord gekommen?“

„Mit mir, Major Kramer.“ Der große, weißbärtige Mann neben ihr benutzte den nächsthöheren Rang, um den Deutschen anzusprechen, da es an Bord nur einen Captain geben konnte, und streckte Kramer die Rechte entgegen. „Sho-sa Andrej Kalinin.“

Thomas ergriff die Hand des Russen. „Captain Thomas Kramer. Es ist mir eine Ehre, Sie kennen zu lernen, Sho-sa.“

„Und es ist mir eine Ehre, Sie zu treffen. Man sieht sehr selten einen Piloten, der den Kontakt mit einem Lambda Driver überlebt hat. Personen, die einen Arm Slave mit Lambda Driver besiegt haben, kann man an zwei Fingern abzählen.“

„Ich hatte Hilfe“, wiegelte Thomas ab.

„Nonsens. Außer Ihnen und Gun-so Sagara gibt es niemanden, der das je geschafft hat. Und Sagara hatte auch Hilfe.“ Der Russe deutete auf Kaname Chidori neben ihm, die verlegen einen Arm hinter den Kopf legte. „Ach, das bisschen. Sousuke hat doch alles alleine gemacht. Die paar Ratschläge.“

„Du hast Sousuke geholfen, Kaname?“

„Sie ist eine Whispered, vergessen Sie das nicht, Major Kramer. Im Einsatz kann das Wissen über die Black Technologie sehr hilfreich sein. Das ist auch der Grund dafür, dass ich sie mitgebracht habe. Nachdem Tai-sa Testarossa und Kim Sanders verschollen sind, ist Kaname Chidori die derzeit einige Whispered, die wir in so einen Einsatz mitnehmen können.“

„Sie wollen Kaname mitnehmen?“, rief Thomas entsetzt.

„Schon gut, schon gut“, winkte Chidori ab. „Ich werde nur auf der Brücke eingesetzt, vielleicht im Dom. Äh. Brücke! Auf der Brücke! Außerdem ist es nicht das erste Mal, dass ich an der Front stehe.“

Kalinin legte der jungen Frau eine Hand auf die Schulter. „Wenn man es genau nimmt, hat Kaname Chidori mehr Kampferfahrung als mancher erfahrene Soldat. Und sie hat die Nerven, diese Gefahren immer durch zu stehen. Und in einer Notlage wie dieser…“

„Verstehe. Du willst also Tessa und Kim helfen?“, hakte Thomas nach.

„Ja, natürlich. Jetzt wo Sousuke wieder auf einer Extratour ist, muß ich ja wohl.“

„Extratour?“

„Dieser Waffenfreak steckt irgendwo da draußen und macht irgendeinen Quatsch, das weiß ich!“ Wütend ballte sie die Hände. „Er würde es nicht wagen, ohne meine Erlaubnis zu sterben!“

„Verstehen Sie jetzt, Captain?“, klang Als Stimme auf.

„Keine weiteren Fragen“, erwiderte Thomas leidlich amüsiert. „Kaname, wenn ich dir mit irgendetwas helfen kann, sage nur Bescheid. Ich bin zwar auf leichten Dienst beschränkt, aber ich habe immer noch Offiziersrang.

Sho-sa Kalinin, die FEANOR und die DANNAN sind weitgehend identisch, deshalb sollten Sie keine Orientierungsschwierigkeiten haben. Aber wenn ich Ihnen helfen kann, in welcher Form auch immer, sagen Sie es ruhig.“

Wieder streckte Kalinin die Hand aus und der Deutsche ergriff sie ohne zu zögern. Es hatte etwas ironisches, immerhin war es noch gar nicht so lange her, da wäre ein Händedruck zwischen einem russischen Geheimdienstoffizier und einem deutschen Piloten ins Reich der Utopie verwiesen worden. Aber immerhin waren es heutzutage deutsche Geheimagenten in Rumänien, die in den Flüchtlingslägern humanitäre Hilfe leisteten, polnische Freiwillige, die dort für Recht und Ordnung suchten und russische Offiziere, die versuchten, die vielen kleinen Kriegsparteien unter Kontrolle zu bekommen.

„Ich nehme dankend an, Major. Darf ich Sie gleich in Anspruch nehmen? Ich muß meine Leute koordinieren und Kontakt zu meinen Einsatztrupps aufnehmen, die sich derzeit der Basis nähern. Können Sie Kaname Chidori zur Brücke bringen? Ich habe Befehl, sie Captain Sander vorzustellen.“

„Selbstverständlich.“

„Danke.“ Der Russe wandte sich mit einem Nicken an die beiden ab, ging ein paar Schritte und begann laut zu brüllen. Das hektische Gewühl, welches seine Leute bisher veranstaltet hatten, wurde nun mehr und mehr zu einem geordneten Chaos.
 

„Danke für das Gespräch, Al. Ich beginne das richtig zu schätzen.“

„Sie ehren mich, Sir. Aber Sie sollten das Gespräch mit einem Menschen vorziehen.“

„Du hast den Arbalest gehört, Kaname. Du bist eindeutig ein Mensch.“

Die Schülerin lachte pflichtbewusst.

Thomas lächelte dünn und deutete auf das nächste Schott. „Also, lass uns auf die Brücke gehen.“

Chidori setzte ein gemäßigtes Tempo an, das Thomas trotz seiner Krücke problemlos mithalten konnte. Es ging ohnehin eher darum, den Bruch zu entlasten als das Bein zu schonen, deshalb war der Deutsche ohnehin recht schnell unterwegs.

Aber das war ein schwacher Trost angesichts der Selbstzweifel, die ihn plagten, seit er in diese Falle geraten und dort verwundet worden war.

„Wollen wir vorher einen Abstecher zur Kantine machen und etwas Eis abstauben? Europäisches Eis“, schlug der Deutsche vor.

Kaname schüttelte den Kopf. „Ich muß erst mit Kapitän Sander sprechen.“

Diese Antwort irritierte Thomas nun doch ein wenig. Er hatte die junge Frau mit dem langen, blauschwarzen Haar eigentlich als Naschkatze in Erinnerung. Nahm sie die Sache mit Sousuke so sehr mit? Er schalt sich einen Idioten. Natürlich nahm sie die Sache mit, sonst wäre sie jetzt nicht hier auf der FEANOR.
 

Sie erreichten die Brücke, auf der geschäftige Betriebsamkeit herrschte. Kramer trat kurz zu Commander Allister, aber die winkte ihn und Chidori wortlos und mit merkwürdig funkelnden Augen zum Skipper weiter.

„Danke, Thomas. Das wäre im Moment alles“, sagte Johann Sander.

Der Arm Slave-Pilot fühlte sich erheblich abgefertigt.

Aber gehorsam trat er an die Seite, in Richtung von Sharon Allister.

Die empfing ihn mit einem dünnen Grinsen. „Na, wie geht es dem Glückspilz der Woche? Was machen die Prognosen?“

„Mir geht es gut. Ich kann wieder sehen, meine Kopfschmerzen sind fast weg und ich darf sogar schon mit einer Krücke herumlaufen. Danke der Nachfrage.“

„Dann sind Sie ja morgen schon wieder fit, um in einen Arm Slave zu steigen. Zu schade, dass ihr M9 gerade generalüberholt wird – und der Arbalest auf Gun-so Sagara geeicht ist“, seufzte sie.

„Das macht Ihnen Spaß, nicht wahr, Sharon?“ Er sah vom Skipper zum Commander. „Oh, entschuldigen Sie, Commander. Das ist mir nur so raus gerutscht.“

„Was denn? Ich hätte mich schon beschwert, wenn es mir unangenehm wäre, von Ihnen geduzt zu werden. Und ja, es macht mir Spaß. Schalten Sie doch endlich mal ein paar Gänge runter, Thomas. Es sind wirklich gute Leute an der Mission dran, beide Schiffe der Dannan-Klasse sind im Einsatz und wir sind dabei, Amalgam nach der Sri Lanka-Sache noch einmal tüchtig den Arsch aufzureißen. Und jeder hier würde einen Arm dafür geben, um Tai-sa Testarossa und Kim Sanders zu retten.“ Sie musterte ihn amüsiert. „Andererseits, einige brechen sich ihn auch nur.“

„Sehr witzig, Sharon.“

„Sehen Sie es doch locker. Immerhin haben wir Sie nicht auf Melina Island gelassen, oder? Ehrlich gesagt rechnen wir nicht mit Arm Slaves, die den Lambda Driver haben. Aber sollte das doch der Fall sein, kriegen Sie Ihren Einsatz. Als taktischer Berater am Kartentisch.“

„Na danke. Ich bin in einen Arm Slave gestiegen, um an der Front zu sein. Nicht um von hinten zu steuern.“

„Jeder nach seinen Fähigkeiten, Möglichkeiten und Notwendigkeiten“, erwiderte die Nordirin nonchalant.

„Von wem ist das? Sun-Tsu? Patton?“

„Nein, Thomas, das ist ein Sharon Allister-Original. Sehen Sie es als persönlichen Gefallen meinerseits, dass ich Sie an meiner Weisheit teilhaben lasse.“

„Na, danke“, erwiderte der Captain säuerlich.

Sharon starrte an Kramer vorbei, und der Deutsche drehte sich automatisch um. Dabei sah er, wie der Skipper Kaname eine Chipkarte reichte. Sofort wandte er sich wieder um. „Ich sollte das sehen, richtig?“

Die Irin nickte. „Neben dem Skipper und mir sollte es noch einen Mann an Bord geben, der über diese Karte Bescheid weiß. Beschützen Sie diese Karte, Thomas. Notfalls mit Ihrem Leben. Sie enthält den Schlüssel zum größten Geheimnis der Dannan-Klasse.“

„Und warum kriege ich dieses Geheimnis aufgehalst?“, raunte Thomas wütend.

„Weil Sie die meiste freie Zeit haben.“

„Na danke“, erwiderte der Deutsche bissig. Aber bei dem spitzbübischen Lächeln der Irin konnte ihr wirklich niemand ernsthaft böse sein.
 

„Major Kramer, bitte zeigen Sie Miss Chidori nun ihr Quartier.“

„Aye, Skipper. Haben Sie sonst noch Aufträge für mich?“

„Ja, einen noch. Stolpern Sie nicht über Ihre Krücke und brechen Sie sich nicht den Hals. Wir brauchen Sie noch.“

„Bitte immer nur einen Tiefschlag pro Tag, Sir.“

„Ich verspreche nichts“, erwiderte der deutsche Skipper schmunzelnd. „Besprechung in zwölf Stunden. Versuchen Sie ein wenig zu schlafen, Kaname Chidori. Es kann durchaus sein, dass es ganz schnell ganz hektisch wird. Und dann muss jeder ausgeruht und voll belastbar sein. Das gleiche gilt für Sie, Thomas.“

Als Sander den Vornamen Kramers benutzte, duckte dieser sich wie unter einem elektrischen Schlag. Das verhieß normalerweise nichts Gutes. „Aye, Skipper.“

Sander musterte den Chef seiner Arm Slaves einen kurzen Moment lang unschlüssig, dann nickte er. „Weitermachen.“
 

Mit Chidori im Schlepp verließ Kramer die Brücke wieder. Seine Finger juckten, wenn er an diese Karte dachte. Und vor allem interessierte ihn das größte Geheimnis der Dannan-Klasse.

„Kaname, diese Karte“, begann er leise.

„Du hast sie gesehen?“ Unsicher sah sie zu ihm herüber.

„Kaname. Diese Karte existiert nicht, hast du mich verstanden? Offiziell gibt es sie nicht und du hast sie nie gesehen und nie bekommen.“

„Das hat mir der Skipper auch gesagt.“

Thomas schnaubte geräuschvoll. „Dann hör auf ihn, bitte.“

„Keine Sorge, das ist nicht das erste Mal, dass ich so eine Karte in Händen halte. Ich weiß, was ich damit tun muß. Und wie wichtig sie ist.“

„Damit weißt du schon mehr als ich“, murmelte der Deutsche enttäuscht.

„Hm, willst du wissen, worum es geht? Ich meine, wenn du sie schon gesehen hast.“

„Natürlich will ich es wissen. Aber du wirst es mir nicht sagen. Das ist ein Befehl.“

Kaname verzog das Gesicht zu einem gemeinen Lächeln. „Erstens unterstehe ich nicht deiner Befehlsgewalt und zweitens hätte ich dir ohnehin nichts gesagt.“ Mit diesem Lächeln und den Worten schritt sie voran.

Thomas unterdrückte ein Auflachen. „Na warte, lass uns nur wieder in der Schule sein, dann lasse ich dich durch meinen Kurs rasseln, Kaname.“

„Wie fies, Sensei.“

Die beiden sahen sich an und lachten.
 

8.

Der deutsche Geschäftsmann und Agent Robert Hausen ließ es sich nicht nehmen, bei den Sitzungen der beiden Whispered anwesend zu sein. Unter den Amalgam-Wissenschaftlern war er bereits berüchtigt; seine beständigen Hinweise, dass er sein Eigentum ohne Folgeschäden zurück haben wollten hatte dazu geführt, dass die ansonsten eher leichtfertig arbeitenden Spezialisten erheblich milder vorgehen mussten.

Normalerweise wurde das Wissen eines Whispered mehr oder weniger mit Gewalt extrahiert. Hausen aber bestand auf ein schonendes Verfahren, wie Mithril es benutzte.

Wie gesagt, für die Amalgam-Wissenschaftler war die Anwesenheit des Deutschen eine Belastung. Solange Direktor Conrad aber nicht einschritt, waren sie gezwungen, auf die Wünsche des Deutschen einzugehen.
 

Auch diesmal war Hausen anwesend. Nicht nur das, er nahm die erschöpften Mädchen nach der Sitzung in den Tanks persönlich in Empfang.

„Geht es euch gut?“, fragte Robert besorgt, als Tessa taumelnd auf die Beine kam.

„Das ist so falsch, so verdammt falsch!“, beschwerte sie sich. „Bei Mithril hätte ich nach einer Sitzung nicht solche Kopfschmerzen.“

Sie stolperte, aber Hausen fing sie auf. Ihm wurde schmerzhaft bewusst, dass er die Distanz, die er normalerweise zu den Gegenständen seiner Aufträge einhielt, bereits weit überschritten hatte. Er und seine Frau Lin hatten sowohl Tessa als auch Kim ins Herz geschlossen. Alleine aus diesem Grund war er das Wagnis eingegangen, mit Amalgam zu pokern.

Und jetzt, mit beiden Mädchen in den Händen der rücksichtslosen Interessengemeinschaft internationaler Großindustrieller, konnte er nur hoffen, dass seine Arbeit für Amalgam zu wichtig war, als dass sie freiwillig auf ihn verzichtet hätten.

Der Preis dafür war nicht nur das Wissen über die Black Technologie, welche Tessa und Kim in sich trugen. Nein, solange die Untersuchungen und Extrahierungen nicht abgeschlossen, er nicht Kim, Tessa und Lin in einen Flieger gesteckt und abgeflogen war, solange bestand das Risiko, dass er den Bogen überspannte und ein für allemal als Partner der Organisation indiskutabel wurde.

Aber daran wollte er jetzt nicht denken. Noch nicht. Jetzt ging es ihm erst mal darum, dass den beiden Mädchen nichts geschah.

Vorsichtig half er Tessa, bis sie wieder selbst stehen konnte.

In dieser Zeit kam Kim aus dem Tank. Sie hielt sich wesentlich besser, ein deutliches Anzeichen dafür, dass die kleinere und zerbrechliche Tessa wieder einmal dagegen angekämpft hatte, dass Amalgam ihr ihr Wissen über die Black Technologie raubte.

Insgeheim bewunderte Hausen die kämpferische Ader der jungen Frau. Es passte so überhaupt nicht zu ihrem Erscheinungsbild, zu ihrer tollpatschigen Art. Aber es bewies wieder einmal, dass Mithril die richtige Frau auf den richtigen Posten gesetzt hatte.

„Bist du in Ordnung, Kim?“

Die junge Whispered ohne Vergangenheit – das war nicht ganz richtig, denn Amalgam und speziell Robert Hausen kannte diese Vergangenheit – warf dem Deutschen einen missfallenden Blick zu. Sie nahm es Robert und seiner Frau immer noch übel, dass sie Theresa da mit rein gezogen hatten. Kim war der festen Meinung, hier nicht wieder lebend raus zu kommen. Die weißblonde Italienerin darin zu involvieren war damit auch ihr Todesurteil.

Soweit ging ihre Logik, und Robert gestand sich ein, dass sie der Realität erschreckend nahe kam. Er selbst musste nur einen winzigen Fehler machen, um für Amalgam wertlos zu werden. Wertlos bedeutete entbehrlich. Entbehrlich bedeutete Entsorgung.

Dennoch akzeptierte sie Roberts Hilfe, als dieser ihr in den langen Bademantel half.

Wenn die Wissenschaftler schon den Verstand der beiden Mädchen missbrauchten gab es keinerlei Veranlassung, den Männern auf dem Stützpunkt auch noch extra Service zu bieten. So hatte es jedenfalls Lin sehr wütend geäußert, und Robert war der Logik dieser Worte seufzend gefolgt.
 

„Mr. Hausen.“

Robert sah auf, als die schlanke Wissenschaftlerin auf ihn zutrat. Er kannte sie, hatte sie im Safe House gerettet. Es wunderte ihn nicht, sie hier an diesem Ort wieder zu treffen, galt sie doch als Koryphäe bei der Analyse von Black Technologie. Und es wunderte ihn auch nicht, dass sie sich von Tokio ganz alleine bis hierher durchgeschlagen hatte. Auf eigenen Wunsch, versteht sich.

„Ms. Lear. Es freut mich, Sie wohlbehalten wieder zu sehen, nachdem Sie meine Gastfreundschaft abgelehnt haben.“

Er winkte die beiden Wachen heran, die ihn und die Mädchen normalerweise eskortierten. „Direkt in das Appartement. Keine Umwege“, befahl er den Männern.

Die beiden Infanteristen nickten zustimmend.

Danach wandte er sich wieder der Wissenschaftlerin zu. „Was kann ich für Sie tun, Ms. Lear?“

„Vielleicht kann ich etwas für Sie tun, Mr. Hausen. Quasi als Dankeschön für meine Rettung.“

Interessiert hob der Deutsche die Augenbrauen.

„Sie sind sich darüber im Klaren, dass Sie der meistgehasste Mann in diesem Labor sind? Ich selbst war Zeuge davon, wie die lieben Kollegen eine Petition verfasst haben, um Sie aus dem Labor zu verbannen. Sie sagen, Robert Hausen behindert ihre Arbeit und verhindert mit seiner unnötigen Rücksicht Erfolge.“

„So etwas habe ich mir schon gedacht. Aber wenn ich keine sabbernden Wracks mit nach Hause nehmen will, muß ich eben ein klein wenig anecken.“

Die große Frau strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Die Petition wurde beantwortet. Robert, das Eis, auf dem Sie stehen, wird langsam dünn. Halten Sie sich mehr zurück.“

Der Blick des Deutschen wurde ernst. „Ich danke Ihnen für diese Warnung, Ms. Lear.“

„Quitt pro quo, Robert.“

„Verstehe.“
 

Auf dem Gang hatte er die beiden Mädchen und ihre Wachen schnell eingeholt.

„Was wollte die bebrillte Giftschleuder denn von dir?“, fragte Kim wütend. Sie hasste diese Frau, immerhin war sie es gewesen, die sie in Kumanovs Haus in einen Tank gesteckt hatte. Tatsächlich war Doktor Lear auch für die Amnesie verantwortlich, aber das brauchte Kim nicht zu wissen.“

„Nur ein kleiner Plausch unter Profis.“

Tessa nickte verstehend. Kim runzelte nur verärgert die Stirn.

„Nur ein kleiner Plausch.“ Robert lächelte, aber es erreichte seine Augen nicht. Der Boden wurde heiß, definitiv heiß. Nun hieß es die Mädchen opfern. Eigentlich.

**

Im Appartement angekommen, fiel ein Großteil der Belastung von den Mädchen ab. Es war nicht gerade eine Befreiung, aber das Appartement war ihnen bei weitem lieber als eine Gefängniszelle.

Wie immer ersparte sich Lin einen Kommentar, nickte nur mitfühlend und drückte jedem der Mädchen ein Bund mit frischer Wäsche in die Hand.

Sie war der festen Meinung, dass man sich nach dieser Tortur körperlich reinigen musste, um das Wohlgefühl des eigenen Körpers zurück zu erlangen.

Und sie hatte Erfolg mit dieser Therapie.

Tessa und Kim hatten sich angewöhnt, zusammen ins Bad zu gehen, und zusammen ihren Dämonen zu begegnen, die sie nach solch einer Sitzung heimsuchten. Zwar verfügte das Bad nicht über eine große Gemeinschaftswanne, aber die Mädchen brauchten diese Abgeschlossenheit, Isolation, ihr privates Revier, um die Gedanken zu ordnen.

„Geht nur“, sagte der deutsche Geschäftsmann freundlich. Er ließ sich auf die Couchecke neben seiner Frau fallen.

Die beiden Mädchen sahen kurz neugierig zu den Hausens herüber, betraten dann aber das Bad.
 

„Wie schlimm ist es?“, fragte Lin sofort.

„Wie weit bist du?“

„Ich kann keinen meiner Brüder kontaktieren, tut mir Leid. Wir sind hier gut isoliert. Wenn es dir nicht gelungen ist, eine Nachricht raus zu schmuggeln, brauchen wir nicht auf Hilfe zu hoffen. Ist es also wirklich so schlimm?“

„Es ist so schlimm. Ich weiß nicht, wie lange Conrad mich noch beschützt. Oder wie lange er noch Lust darauf hat. Wir müssen die beiden Mädchen aufgeben, Lin.“

„Das glaubst du ja wohl selbst nicht!“, brauste die chinesische Arm Slave-Pilotin auf. „Wem willst du hier was vormachen? Mir oder dir?“

„Hör mal, Lin-Schatz. Ich habe Waffen im Wert von mehreren Milliarden verkauft. Damit wurden Kriege angeheizt und Menschen getötet. Ich habe selbst schon Auge in Auge gemordet und ich habe auch dabei geholfen, den Bürgerkrieg in Osteuropa anzuheizen. Wenn du einen Gutmenschen suchst, bist du bei mir falsch.“

„Du tust immer was du für richtig hältst.“

„Richtig. Und jetzt halte ich es für richtig, dass wir unsere Sachen packen und… Haben die Mädchen geschrieen?“

„Ich habe nichts gehört. Hm, du sagst, du willst hier verschwinden, wie? Zugleich aber richten sich bei dir sämtliche Haare auf, wenn du meinst, die zwei könnten in Gefahr sein. Du bist so ein erbärmlicher Lügner.“

Hausen beugte sich vor, legte beide Hände ineinander. „Ich bin bisher immer den leichteren oder profitableren Weg gegangen, Lin. Lass uns packen und von hier abfliegen. Vielleicht kriegen wir die Mädchen ja doch zurück.“

Lin rutschte zu ihrem Mann herüber. „Okay, Robert Hausen. Ich mache was du mir sagst. Tu, was du für richtig hältst.“

Wütend starrte der Deutsche die Chinesin an. „Du bist fies, hat dir das schon mal jemand gesagt?“

„Was? Ich habe nur gesagt, dass ich deine Entscheidung hinnehme und mittragen werde. Ist es nicht das, was du willst, Robert?“

Hausen stützte seinen Kopf auf den Händen ab. „Ich bin nicht dafür geboren, gut zu sein. Ich bin kein strahlender Ritter! Ich bin schlecht, ich bin ein Spieler, ein Abenteurer und ein Mörder. Das kann ich! Das beherrsche ich! So war ich und so werde ich immer sein!“

Lin lächelten ihren Mann an. „Also, wie sieht der Plan aus?“

„Wir klauen einen Venom und einen Jeep und brechen hier aus. Im Moment sind keine Venom-Piloten in der Anlage, die den Lambda Driver benutzen können, soweit ich weiß. Also sollte uns die Flucht gelingen. Dann versuchen wir, in die nächste südchinesische Stadt zu kommen. Von dort sollten wir deine Brüder oder deinen Vater erreichen können. Was danach ist… Keine Ahnung.“

Robert seufzte viel sagend. „Es tut mir Leid, dass ich dich mal wieder in meine vertrackte kleine Welt hinein ziehe. Es tut mir Leid, dass ich…“

„Pssst, Robert. Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich deine Entscheidung mittrage. Und wie es der Zufall so will, habe ich doch tatsächlich heute Morgen einen Venom präpariert. Einen Wagen zu bekommen sollte dann unsere kleinste Schwierigkeit sein. Gibt es noch etwas Wichtiges?“

„Ich überlege gerade, womit ich eine Ablenkung inszenieren könnte. Aber vielleicht reicht es auch, wenn wir nachts fliehen.“

„Es wird schon werden“, erwiderte Lin und schmiegte sich an ihn. „Es hat doch bisher immer geklappt.“

Robert lächelte düster. „Bisher ja.“ Um der Mädchen willen hoffte er auf das Gesetz der Serie.

„Es ist ja nicht so, als würde ich plötzlich ein Gutmensch wie diese Idioten bei Mithril werden“, rechtfertigte sich der Agent. „Aber Amalgam hält den Vertrag nicht ein und bezahlt haben sie uns auch noch nicht. Das kann ich doch nicht durchgehen lassen.“

Lin küsste ihn sanft auf die Wange. „Wenn du es so sehen willst, damit es dir leichter fällt, ist das in Ordnung, Schatz.“

„Ich bin nicht gut“, brummte er widerspenstig.

„Das weiß ich doch, mein großer, böser Agent.“

„Amalgam wird schon noch merken wie groß und wie böse.“

Lin lächelte ihn an, beinahe schon verklärt. „Das ist mein Robert.“

**

„Hast du was dagegen wenn ich zuerst rein gehe, Tessa?“

„Nein, mach nur.“ Die Italienerin gähnte herzhaft. „Immer dieser Lagg, wenn du erst richtig begreifst, dass du raus aus dem Tank bist. Widerlich.“

„Ja, das nervt wirklich. Du hast ja richtig Angst, dass du im warmen Wasser einschläfst, untertauchst und ertrinkst.“

„Ich kann ja mit rein kommen und auf dich aufpassen“, neckte Tessa.

„Damit wir beide einschlafen und ertrinken, was?“ Kim zwinkerte der anderen zu.

„Hm, das ist merkwürdig“, murmelte die blonde Whispered. „Es scheint als sei am Lüftungsschacht ne Fliese gesprungen. Ob die hier heimlich eine Kamera hinter dem Gitter installiert haben?“

„Um was? Robert beim rasieren zu zu sehen?“, witzelte Tessa. Sie nahm sich einen Hocker, stellte ihn vor das Lüftungsgitter und sah hinein. „Keine Kamera. Aber das wären tolle Bilder geworden.“

„Du weißt, was ich meine! Alle Männer sind Augen fixiert und Instinkt gesteuert.“

Tessa seufzte viel sagend, räumte den Hocker wieder weg und trat ans Waschbecken, um sich die Zähne zu putzen. „Sind sie leider nicht. Die, bei denen man es am meisten braucht, sehen einen nicht mal, wenn man nackt vor ihnen auf und ab geht, weil sie eine ganz andere im Sinn haben.“ Wieder seufzte sie.

Kim grinste dämonisch und lehnte sich auf Tessas Schultern. „So, so, die junge Dame hat also schon negative Erfahrungen in der Liebe gemacht. Wer hat dich denn enttäuscht? Wer ist denn der liebreizenden Theresa Testarossa nicht sofort mit Haut und Haaren verfallen?“

„I-ich weiß gar nicht, worüber du sprichst.“

„Ach, komm.“ Kims Blick wurde verschlagen. „Es gibt da doch bestimmt einen Mann, der absolut keine Angst vor Tessa, dem Mensch, hat. Der aufrichtig, geradlinig, ehrlich und direkt ist. Der dir so gut gefällt, dass du ihn um keinen Preis teilen willst. Wer ist es denn? Stehst du eher auf den väterlichen Typ? Wie heißt er doch gleich, Kalinin? Der ist so groß und so breitschultrig, da ist das anlehnen doch die reinste Freude. Und ich wette er riecht auch gut.“

„Es ist NICHT Kalinin!“

„Mardukas vielleicht? Obwohl, da würde ich schon einen handfesten Opa-Kompelx vermuten.“

„Auch nicht Chu-sa Mardukas.“ Tessa biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut zu lachen. „Sag ihm das mit dem Opa-Komplex ja nie, hörst du?“

„Hm, wen habe ich denn noch auf meiner Liste? Du wirst doch nicht etwa auf Thomas stehen? Ich meine, Hey, Thomas gehört mir, und wenn ich mich mit wem um ihn streite, dann nur mit Melissa.“

„Es ist auch nicht Thomas. Obwohl ich dich verstehen kann. Er ist der Typ, der in einen Kugelhagel springt, um einen Hundewelpen zu retten, nicht?“

Kim seufzte viel sagend. Sie wandte sich um, öffnete ihren Bademantel und zog das Hemd aus, welches sie bei den Sitzungen im Tank tragen musste. „Er ist ein verdammter Held. Noch schlimmer als dein Sousuke Sagara. Hoffnungslos, an ihn ranzukommen.“

Tessa sah im Spiegel dabei zu, wie sie rot wurde – und die Röte bis zu den Haarspitzen schoss. „Ich versuche nicht an Sagara ranzukommen!“

„Aha, erwischt“, erwiderte Kim mit einem süßen Lächeln. „Ich habe nämlich von mir selbst und Thomas gesprochen.“

Für einen Moment wirkte Tessa, als würde ihr Kopf explodieren.

„Keine Sorge, ich werde es Sagara schon nicht verraten, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.“

„Ich sagte doch schon, ich versuche nicht, an ihn ranzukommen!“

„Ach, Mädchen. Wenn wir unter uns sind, darfst du ruhig ehrlich sein. Im Club der Mädchen der unerwiderten Liebe verrät keine die andere, versprochen.“

„Blöder Club“, murrte Tessa. „Blöde Idee. Wieso überhaupt unerwidert?“

„Kaname Chidori.“

„Kaname ist eine Freundin“, brummte die Italienerin in düsterem Tonfall.

„Nanu, so wie du es sagst, klingt das eher nach einem Todfeind.“

„W-wir kommen sehr gut miteinander aus!“, rief Tessa hastig.

„Solange es nicht um Sagara geht, eh?“ Kim kam zurück, gab der anderen einen Kuss auf die Wange und sagte: „Mach nicht so ein Gesicht, Schatz, das gibt doch nur Falten. Also, ich gehe dann zuerst rein.“
 

Kim griff nach einem Handtuch, legte es sich um den Körper und zog die restliche Unterwäsche aus. Dann öffnete sie den Vorhang der Badewanne.

„Äh, Tessa, vielleicht solltest du zuerst in die Wanne gehen.“

Sie zog den Vorhang wieder zu, angelte nach der Hand der Italienerin und zog sie zu sich heran.

„Warum soll ich denn zuerst in die Wanne… Zieh doch nicht so, und ausziehen kann ich mich auch alleine… Kim, lass das, nicht da anfassen… Das kann ich selbst… Isjaschongut. Her mit dem Handtuch.“

Kim betrachtete die nur mit einem Handtusch bekleidete Theresa wie ein sadistischer Drillsergeant seinen jüngsten Rekruten. Schließlich nickte sie. „Ab in die Wanne, Tai-sa Testarossa.“

„Wer ist hier eigentlich der Söldner, du oder ich?“, murrte Tessa in Kims Richtung und zog den Vorhang auf. Sie seufzte tief, setzte das erste Bein in die Wanne und sah auf.

Direkt in das schwitzende Gesicht von Sousuke Sagara.

Tessa riss die Augen auf, dazu den Mund und starrte den Gun-so an.

Der drängte sich so weit er konnte an die Wand und fixierte die Vorgesetzte wie das sprichwörtliche Kaninchen die Schlange.

Kim hatte unterdes erhebliche Mühe, sich selbst davon abzuhalten, laut aufzulachen. Mit einer Hand hielt sie sich den Bauch, mit der anderen den Mund.

Theresa Testarossa hob langsam die Arme zum Kopf, ihr Mund öffnete sich zu einem Entsetzensschrei, während das Handtuch plötzlich den Entschluss fasste, der Schwerkraft nachzugeben.

Die Augen des Gun-so weiteten sich auf eine unwirkliche Größe.

„Alles was Recht ist“, sagte Kim amüsiert, während sie eine Hand auf Tessas Mund und die andere auf das Handtuch legte, bevor es zu Boden fallen konnte, „aber Sonderservice gibt es heute nicht für dich, Sousuke. Umdrehen, aber fix!“

„Ja-jawohl!“

„Und schrei nicht so! Nebenan sind die Hausens!“

„…jawohl…“

„Mmmmhwwww! Mwww!“

„Schreist du, wenn ich die Hand wegnehme, Tessa?“

„Mff!“

„Also gut.“

„Wawawawas macht denn Gun-so Sagara hier?“

„Das würde mich auch interessieren. Und was macht er in unserer Wanne?“

„D-das ist das Ergebnis der Verkettung unglücklicher Umstände!“

„Ich sagte doch du sollst nicht schreien. Sousuke!“

„Ver-verzeihung!“

„So, mein Lieber, du hast wahrlich genug gesehen. Ich verbinde dir jetzt die Augen, dann steigst du aus der Wanne und verschwindest in der Dusche. Und du wirst die Augenbinde aufbehalten. Und währenddessen erzählst du uns, wie du es in die Basis geschafft hast. Und warum du ausgerechnet in unserem Badezimmer gelandet bist.“

„Jawohl.“
 

Kim verband dem Söldner die Augen, dann zog sie ihn ziemlich unsanft aus der Wanne raus, dirigierte ihn in die separate Dusche und schloss den Vorhang hinter ihm.

Dann nickte sie Tessa zu. „Du brauchst wohl noch etwas, um dich zu fangen, also gehe ich zuerst in die Wanne.“

„D-du willst baden? Während Gun-so Sagara im Raum ist?“

„Wenn wir da ungebadet rauskommen, werden Robert und Lin nur misstrauisch. Also, ich gehe zuerst.“

Sicherheitshalber schloss Kim den Vorhang, wenngleich sie sich sicher war, dass Männer Frauen nichts abgucken konnten. Aber nur für den Fall des Falles, der Gun-so hatte schon mehr als genug gesehen, und sie wollte ja nicht, dass er glücklich starb. „Na, dann erzähl mal, Sousuke. Und beginn ab der Entführung im Safe House.“

„Jawohl.“
 

Zehn Minuten später tauschten Kim und Tessa die Plätze. „Soweit so gut, Gun-so Sagara“, spottete Kim, während sie sich die Haare abtrocknete. „Ihr habt also das Landhaus mit den beiden geliehenen M6 angegriffen.“

„Das Haus erwies sich als Falle. Es war geschützt mit automatischen Geschützstellungen, die Captain Kramer und ich schnell ausschalteten. Als wir aber das Landhaus erreichten, entdeckte ich zwei Fahrzeuge vom Typ Humvee, die aus einer Scheune starteten und zu fliehen versuchten.

Zu gleichen Zeit explodierte das Landhaus, wahrscheinlich durch eine massive Staubexplosion. Captain Kramers M6 wurde ebenso hart getroffen wie mein Arm Slave.

Ich fand mich ohne Kontakt zu Falke eins am Boden liegend wieder, aber in der Scheune. Dort stand ein weiterer Humvee, und ich nutzte die Gelegenheit, um… Urgs!“

„Was sagst du da? Thomas war in einer Explosion gefangen?“

Wütend schüttelte Kim den Söldner am Kragen seiner grünen Uniform. „Sieh mich an, wenn ich mit dir rede! Was ist mit Thomas?“

„Thomas ist ein erfahrener Soldat und ein guter Arm Slave-Pilot. Wenn ihn so etwas wie eine hinterhältige Sprengfalle umbringen könnte, dann wäre er schon vor langer Zeit gestorben. Ich bin mir sicher, dass er in Sicherheit ist. Und dass unsere Kameraden von Mithril bereits auf unserer Spur sind. Darf ich meine Augenbinde wieder gerade rücken? Sie ist durch dein schütteln verrutscht, Kim.“

Die junge Whispered sah zu Sagara hoch, der sie mit einem freien Auge ansah, dann an sich selbst herab – sie trug nur Unterwäsche. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, als sie hastig einen Schritt zurücktat und den Vorhang wieder schloss.

„Also, noch mal für die billigen Plätze“, kam es von Tessa. „Thomas und du waren durch die Explosion des Hauses getrennt. Du hast die fliehenden Fahrzeuge entdeckt und dich entschlossen, ohne weitere Befehle abzuwarten, ihnen auf eigene Faust zu folgen.“

„Ich hatte keine Zeit, weitere Befehle einzuholen. In Fällen wie diesen empfiehlt Sho-sa Kalinin immer Eigeninitiative. Und ich war mir ziemlich sicher, dass ich die Humvees verlieren würde, wenn ich nicht schnell handelte. Da ich bis auf schmerzende Rippen und einen verstauchten Knöchel unverletzt war, handelte ich.

Ich nahm den dritten Humvee und fuhr den anderen beiden nach. Wie ich erwartet hatte, achteten sie in ihrer Aufregung nicht auf mich und führten mich zu einem weiteren Landhaus in relativer Nähe. Ich ließ den Humvee zurück und infiltrierte das Gelände. Da sich dort gerade zwei Parteien belauerten, jene der Gastgeber und jene des Gastes, war es ein Leichtes von außen einzudringen. Es fiel mir auch relativ leicht, an Bord eines der Hubschrauber zu kommen, nachdem ich gesehen hatte, dass Tai-sa Testarossa und Miss Sanders auf einen großen Transporter gebracht worden waren.

Es war einfach, mich unter die Infanterie zu mischen, die Männer waren schlecht organisiert und undiszipliniert. Niemand schöpfte Verdacht, solange ich ebenfalls ein Gewehr trug und meine Mütze tief ins Gesicht gezogen behielt.“

„Gun-so! Darüber reden wir noch mal! Das Glück derart herauszufordern hätte tödlich enden können!“, begehrte Tessa auf.

„Jawohl! Jedenfalls gelang es mir, so diese Basis zu infiltrieren. Der Zugang zu den Labors oder zu einem leistungsfähigen Funkgerät blieb mir verwehrt, die Kontrollen ließen das nicht zu. Also suchte ich mir eine sichere Operationsbasis, um meine nächsten Schritte zu planen.

Schließlich entdeckte ich das Appartement, in dem der Tai-sa und Miss Kim gefangen gehalten werden und infiltrierte es über den Lüftungsschacht. Zu dem Zeitpunkt entdeckte ich die Anwesenheit von Mrs. Hausen im Appartement und zog mich hinter den Vorhang der Badewanne zurück. Dort richtete ich mich auf eine lange Wartezeit ein, wobei ich nach vierzig Stunden ohne Schlaf eingenickt sein muss. Ich erwachte, als Miss Kim den Vorhang zur Seite zog.“
 

„Genau rechtzeitig zum Sonderservice“, kommentierte Kim mit einen dünnen Lächeln. „Den Rest wissen wir.“

Nachdrücklich zog sie den armen Gun-so wieder aus der Dusche hervor und nahm die Augenbinde ab.

„Also, Gun-so“, sagte Theresa ernst, „wie sieht Ihr Plan aus?“

„Teil eins des Plans war die Erkundung der gegnerischen Basis, soweit mir das möglich war. Teil zwei war die Kontaktaufnahme, um die Flucht vorzubereiten. Teil drei wird die Flucht selbst sein. Ich werde für eine Ablenkung sorgen, anschließend fliehen wir mit einem Fahrzeug aus dem Hangar Richtung Norden.“

„Warum schnappst du dir nicht einen Arm Slave von denen und haust hier alles kurz und klein, bevor wir gehen?“

„Ich halte es für sicherer, keine unnötige Aufmerksamkeit über den Fakt der Flucht hinaus auf uns zu ziehen. Meinen Ermittlungen nach gibt es einen Amalgam-Piloten in dieser Anlage, der den Lambda Driver des Venom benutzen kann. Mit einem Arm Slave zu fliehen würde bedeuten, eine riesige Zielscheibe zu sein.“

Die beiden Frauen wechselten einen erschrockenen Blick.
 

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen. Robert Hausen trat halb herein, in der Hand eine Walter mit Schalldämpfer. „Guten Abend, Gun-so Sousuke Sagara. Darf ich Sie darüber informieren, dass Sie zu laut waren?“

Zögerlich hob Sousuke die Hände.
 

9.

Chu-i Clouseau, der neue Chef der Arm Slaves der DANNAN musterte die anwesenden Piloten der Hubschrauber und Arm Slaves. Zusätzlich zu den Besatzungsmitgliedern der DANNAN hatten auch sechs Gernsback-Piloten von der FEANOR samt ihrer Maschinen übergesetzt.

Der große Europäer fühlte sich einen winzigen Augenblick unsicher, es geschah nicht alle Tage, dass er eine Einsatzbesprechung leiten musste.

Aber Chu-sa Mardukas war auf der Brücke und Sho-sa Kalinin auf der FEANOR.

Clouseau straffte sich. „Gentlemen! Hinter mir sehen Sie die Anlage, wie uns die Unterlagen beschreiben, welche Süd-China uns zukommen ließ. Dazu gehören holographische Blaupausen, und was noch wichtiger ist, topographische Aufnahmen.“

Chu-i Clouseau zeigte hinter sich. Dort wurde gerade ein mit Wald bewachsener Hügel dargestellt. Auf seinen Fingerzeig hin begannen Stellungen zu feuern, Hangars bildeten hell erleuchtete Nischen aus und verborgene Bunker am Hang und am Fuß des Hügels erwachten zum Leben.

„Ursprünglich war diese Anlage ein Bollwerk gegen das kommunistische Vietnam, dementsprechend sind die Schießscharten der Hauptwaffen und Raketenstellungen nach Süden und Südwesten ausgerichtet. Diese Waffen wurden deinstalliert und spielen in unserer Planung keine Rolle.

Aber das bedeutet für uns, dass die Anfahrtwege alle im Norden, Nordosten und Nordwesten liegen. Um Umschließungsangriffen vorzubeugen wurden diese Wege mit vollwertigen Bunkeranlagen abgedeckt, die kleinere Angriffe im Fiasko hätten enden lassen. Dazu kamen groß angelegte Netze von Schützengräben, um jederzeit kleineren Kontingenten von Fußsoldaten mit Panzerfäusten und Antiluftraketen zu erlauben, zu den Brennpunkten zu kommen.

Unsere Satellitenaufnahmen zeigen, dass zumindest die Schützengräben verwildert und teilweise eingefallen sind. Unser Augenmerk gilt den Anfahrtwegen und den Bunkern. Die Wege sind so stark ausgelegt, um notfalls zwei Panzer nebeneinander passieren zu lassen und tragen zu können. Sprich, Arm Slaves können auf diesen Routen sehr schnell vorankommen.“
 

Clouseau musterte die anwesenden Soldaten. Im Gegensatz zu vielen anderen Soldaten an Bord schätzte er die Kameraden, die von der FEANOR übergesetzt waren. Die meisten stammten aus dem Kommando Nordatlantik, und mit vielen hatte er während seiner Zeit auf dem europäischen Festland zu tun gehabt. Er wusste gut genug, dass sie denen des Pazifiks kaum nachstanden. Auch der Ausfall ihres Anführers, Captain Kramer, sollte sie nicht bemerkenswert verlangsamen.

„Wir rechnen damit, dass maximal ein Drittel der Bunker ähnlich automatisiert wurde wie die Waffenstellungen auf dem Landgut, dem Captain Kramer und Gun-so Sagara zum Opfer gefallen sind.“

Unwillkürlich krampfte Melissa Mao die Hände um ihren Stuhl, der einzige Hinweis darauf, wie sehr ihm die Ungewissheit Sagara betreffend nahe ging. Aber Clouseau sah sie dennoch.

„Des Weiteren erwarten wir mindestens zehn Arm Slaves vom Typ Venom.“

Aufgeregtes Raunen antwortete ihm. „Die übrige Verteidigung, bestehend aus Infanteristen und Panzertruppen, ist nicht bekannt. Wir werden den Umständen entsprechend improvisieren müssen.

Zur Strategie… Ja, Sergeant Ben Brahim?“

„Ich weiß, es ist etwas viel gefragt, aber besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die Piloten der Venoms den Lambda Driver benutzen können?“

„Dazu komme ich noch. Zuerst aber die Strategie.

Unsere Arm Slaves machen den Anfang. Sie werden nahe der Küste von der TUATHA DE DANNAN per Katapult gestartet und brechen ins Hinterland auf. Danach folgen von DANNAN und FEANOR die Kampf- und Transporthubschrauber. Die Jets starten als Letzte.

Den Gernsback fällt die Aufgabe zu, die Bunker zu säubern und die aktiven Stellungen in der eigentlichen Festung zu vernichten. Funktioniert der Plan wie gewünscht, ziehen wir die Infanterie nach, die entweder versucht, Tai-sa Testarossa und Miss Sanders zu finden und zu retten oder die Anlage zu nehmen. Die Super Harrier bleiben knapp außer Ortungsreichweite in Bereitschaft.

Ihre Frage betreffend, Sergeant Ben Brahim, hier kommt Ihre Antwort. Captain Kramer?“
 

Das Hologramm verschwand. Stattdessen zeigte es den Sitzungsraum der FEANOR, der randvoll mit Infanteristen und Hubschrauberpiloten voll gepfropft war.

„Danke, Chu-i Clouseau. Ich habe den taktischen Ausführungen nichts mehr hinzu zu fügen.

Kommen wir zu meinen persönlichen Erfahrungen mit dem Lambda Driver. Während des Angriffs wird Amalgam alle Piloten aktivieren, wir bekommen es dann im schlimmsten Fall mit zehn Venoms zu tun. Sollten einer oder mehrere dieser Arm Slaves in der Lage sein, den Lambda Driver zu nutzen, heißt es Fersengeld geben. Jeder Versuch, die Festung dennoch zu nehmen wird dann in einem Blutbad enden, und damit Sie mich richtig verstehen, in einem Blutbad für Mithril.

Unsere Scharfschützen werden alle Venoms nach ihrem Auftauchen und danach regelmäßig unter Feuer nehmen, um sie auf aktive Lambda Driver zu testen.

Entdecken wir einen aktiven Driver, wird die Aktion sofort abgebrochen.“ Kramer hob abwehrend die rechte Hand. „Ich weiß, was Sie sagen wollen. Der FEANOR-Besatzung ist es gelungen, einen Lambda Driver zu vernichten. Das ist richtig. Ich werde Ihnen jetzt sagen wieso. Der Lambda Driver ist auf Emotionen angewiesen, um zu funktionieren. Extrem starke Emotionen. Amalgam führt diesen Zustand durch Medikamente herbei, ihre Piloten sind also permanent, nun, unter Drogen.

Mein Gegner in der Sahara war bereits Stundenlang auf der Jagd, war erschöpft und übermüdet. Seine Konzentration war am Boden und er konnte die Emotionen, die er für den Abschluss der Mission brauchte nicht aufrechterhalten. Als die riesige Lawine aus Geröll auf ihn niederging verließ ihn der Mut. Das kostete ihm sein Leben.

Für Sie heißt das: Sie treten gegen ausgeruhte, kampfbereite Soldaten an, die ihre Lambda Driver sehr wohl für Stunden konzentriert einsetzen können. Da sie unter Drogen stehen müssen wir zudem annehmen, dass sie besonders aggressiv sind, vielleicht sogar in einem Tötungsrausch. Deshalb hören Sie auf Chu-i Clouseau, wenn er die Aktion abbricht.

Sobald dieser Befehl kommt, werden wir versuchen, das Gelände mit Hilfe der Harriers zu bombardieren und einzunebeln. Selbst ein Arm Slave mit Lambda Driver kann nur verfolgen was er sieht. Danach sammeln Sie sich an den Notfallpunkten, die Cu-i Clouseau für Sie festlegen wird.“

„Aber das ist nicht Sinn der Aktion, dass wir den Schwanz einkneifen und fliehen!“

„Es ist auch nicht Sinn der Aktion, dass wir alle sterben. Übernehmen Sie wieder, Chu-i Clouseau.“

Für einen Moment schwieg der Europäer beeindruckt. Nicht eine Sekunde hatte der andere Offizier mit seinem Erfolg in der Sahara geprotzt. Stattdessen hatte er sehr genau die Gründe definiert, die den Venom-Piloten getötet hatten.

Er unterdrückte ein breites Grinsen. Anständiger Bursche. Hoffentlich waren das seine Leute auch. „Aufbruch in zwei Stunden, zehn Minuten. Ausführung!“

Übergangslos verwandelte sich der Besprechungsraum in ein organisiertes Chaos.

**

Für den Angriff blieb die FEANOR zwanzig Seemeilen hinter der DANNAN zurück. Da von ihr nur Kampfhubschrauber, Jets und Transporter gestartet werden würden, alles Elemente der zweiten und dritten Welle, konnten sie sich ruhig ein wenig Distanz gönnen, bildlich gesprochen. Außerdem würde die FEANOR dem Schwesterschiff die Tür offen halten. Es war allgemein bekannt, dass Amalgam über Unterseeboote verfügte und diese auch einsetzte. Dass die eine oder andere Luftflotte in der Region vielleicht eine kleine Gefälligkeit für das Milliardenkonsortium leisten würde, stand ebenfalls zur Debatte.

Grund genug für die FEANOR, Aufpasser zu spielen.

Der Abflug der Helikopter und der Harrier geschah in großer Hektik, aber bestens organisiert, wie es sich für ein Schiff mit Elitebesatzung gehörte.

Die Sache hatte nur einen Haken. Thomas war nicht mit dabei.

„Du musst dir keine Vorwürfe machen, Thomas. Wenn die Operation beginnt, bist du wenigstens im Kontrollraum“, sagte Kaname im vergeblichen Versuch, den Deutschen aufzuheitern.

„Du doch auch“, brummte Thomas verstimmt. Verdammt, Kaname hatte so einen Ton nicht verdient, aber der Arm Slave-Pilot war schon immer schlecht darin gewesen aufzugeben oder zurückzustecken. Auch wenn ihn seine Selbstzweifel wieder mal zerfressen hatten, aufgegeben hatte er nie. Und gerade jetzt, wo er mehr und mehr Vertrauen in seine Fähigkeiten als Menschenführer und Pilot gewann, musste er wegen der Brüche auf dem Schiff bleiben. Stattdessen hätte er den Einsatz lieber vor Ort geleitet.

Ein Schmunzeln huschte über das Gesicht des Deutschen, als er das Knie des Arm Slave tätschelte, auf dessen Fuß er saß. „Du darfst nicht in den Kontrollraum, Großer.“

„Positiv, Captain.“

„Und was kann ich da machen? Im Hintergrund sitzen und Däumchen drehen und hoffen, dass sie Tessa und Kim da raus holen. Und dann weiß ich immer noch nicht, wo Sousuke ist und…“

„Es geht ihm gut“, beschwichtigte Kramer die junge Frau.

„Wie kannst du das sagen? Das weißt du doch überhaupt nicht. Das ist eine glatte Lüge.“

„Ja, da hast du Recht, Kaname-chan. Es ist eine glatte Lüge. Und? Fühlst du dich besser, wenn du sie hörst?“

Für einen Moment wirkte die Japanerin, als würde sie explodieren wollen. Dann aber entspannte sie sich und nahm auf dem zweiten Fuß des Arbalests Platz. „Etwas.“

„Na siehst du. Außerdem stirbt Sousuke nicht so leicht. Wäre er jemand, der von einer simplen Explosion getötet werden könnte, dann wäre er schon vor langer Zeit in Helmajistan gestorben. Und das ist keine Lüge.“

„Damit fühle ich mich auch besser.“

Thomas sah mitfühlend zu ihr herüber. „Du magst ihn ziemlich gerne, oder?“

„Definiere mögen.“

„Er macht dir nur Arbeit und du hast ihn trotzdem gerne um dich.“

Kaname lachte rau auf. „Ja, wenn du es so formulierst dann mag ich ihn wohl wirklich.“

Sie sah zu Thomas herüber. „Und du meinst wirklich, dass Sousuke in Ordnung ist?“

„Nun, in Ordnung wird er nicht sein. Wenn er mir das nächste Mal nicht mit ein paar ordentlichen Verletzungen unter die Augen tritt – oder eine verdammt gute Ausrede – dann falte ich ihn auf zwei Dimensionen zusammen. Aber am Leben ist er auf jeden Fall. Ich habe seine Akte gesehen. Alleine dass er die Sache mit dem Behemoth überlebt hat – unglaublich. Ich erwähne das, weil du dabei warst, Kaname. Beachtlich für eine Zivilistin.“

Chidori verzog ihr Gesicht zu einem wehmütigen Lächeln. „Das hat Chu-sa Mardukas auch gesagt. Er meinte, ich hätte Leistungen erbracht, die für die meisten Soldaten unmöglich sind.“

„Allerdings. Und Sousuke hat noch viel verrücktere Dinge geschafft, oder? Ich darf nicht im Detail darüber sprechen, aber in Helmajistan hat er eine noch viel gefährlichere Situation bravourös gemeistert.“

„Er spricht nie über diese Mission. Aber wenn ich ihn darauf anspreche, sind seine Augen so alt. Ich… Ach, ich weiß auch nicht. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ob er gefangen ist oder irgendwo sterbend im Dreck liegt oder…“

„Hm. Al, was meinst du? Was ist mit Gun-so Sagara passiert?“ Thomas klopfte nachhaltig gegen das Mechbein.

„Benötige zusätzliche Informationen.“

„Ersetze die fehlenden Informationen durch Wahrscheinlichkeiten. Hat Gun-so Sagara die Explosion des Landhaus und die Vernichtung seines M6 überlebt?“

„Positiv, Captain.“

„Wo befindet sich Gun-so Sagara gerade? Er hat überlebt und uns nicht kontaktiert. Das bedeutet…“

„Das bedeutet, er ist an einem Ort, von dem aus er keinen Kontakt zu uns aufnehmen kann. Eventuell wurde er gefangen genommen und an Amalgam ausgeliefert.“

„Oder er hat die Anlage selbst infiltriert.“

„Negativ. Die Chancen für eine solche Aktion wären viel zu gering.“

„Es würde mich trotzdem nicht wundern“, erwiderte Thomas bissig. „Nicht bei Sousuke Sagara.“

„Mich auch nicht.“ Chidori seufzte tief.

„Positiv.“

„Siehst du“, sagte Thomas mit einem strahlenden Lächeln, „sogar Al vertraut auf Sousuke.“

Kaname taxierte den deutschen Arm Slave-Piloten mit einem amüsierten Blick. Sie erhob sich von ihrem Platz, kam herüber und klopfte ihm auf die Schulter. „Danke für die Aufmunterung, Thomas. Ich gehe dann schon mal rüber in die Zentrale. Vielleicht kann ich nützlich sein. Irgendwie.“

„Ich komme nach“, versprach Kramer.
 

Thomas sah ihr nach, bis sie den Hangar verlassen hatte. „Sie ist sehr stark. Und sie hat schon Dinge erlebt, die andere hätte verzweifeln lassen. Sousuke, Sousuke, worauf hast du dich da nur eingelassen?“

Er lachte laut auf. „Aber sie passt zu ihm. Vielleicht braucht er das auch. Vielleicht brauchen beide das auch. Die zwei können sich schön aneinander reiben, und irgendwann ecken sie aneinander und kommen nicht mehr voneinander los.“

„Positiv, Captain.“

„Ich würde deinen Programmierer wirklich sehr, sehr gerne kennen lernen, Al“, meinte der Deutsche schmunzelnd.
 

10.

In schneller Folge wurden die Arm Slaves auf den Dampfkatapulten abgeschossen.

Zuerst kamen die zwei Scharfschützen der zusammen gewürfelten Einheiten, Gun-so Kurtz Weber und Sergeant Yussuf Ben Brahim. Sie würden vor fliegen und sich von den Covert Ops, Sho-sa Kalinins Spezialtruppe, die den Bau seit acht Stunden versteckt überwachten, in Scharfschützenpositionen für ihre Arm Slaves einweisen lassen.

Eine Viertelstunde später folgten die Arm Slaves der Angriffstruppe unter dem Kommando von Chu-i Clouseau.

Danach starteten die Hubschrauber.

Die Super Harriers folgten als Letzte. Alle hofften, dass ihr Einsatz nicht nötig sein würde.
 

Thomas sah der ersten startenden Harrier nach. Captain Valeri war nicht nur ein guter Pilot, sondern auch ein sehr guter Freund. Er wusste um seine Rolle als Rückversicherung und würde sie bestmöglich erfüllen.

Für ihn wurde es nun Zeit, unter Deck zu gehen, da das Flugdeck bald geschlossen werden würde. Die FEANOR würde danach tauchen und eine Schleife einschlagen, bis die Einheiten zurückkamen. Wenn alles gut ging, dann würde dies mit Tessa und Kim sein.

Alarm gellte auf, kündete davon, dass das Flugdeck geschlossen und versiegelt wurde. Höchste Zeit für den Deutschen.

Er ließ sich von einem der Lastenlifte in den Hangar hinabfahren und humpelte anschließend mit seiner Krücke in Richtung Brücke. Nebenan, in der Einsatzzentrale, würde er nervös im Hintergrund sitzen und gar nichts tun können außer Däumchen zu drehen und wahnsinnig zu werden.

Oh, er hasste es schon jetzt.

**

„Gute Ecke habt ihr mir ausgesucht, Gold fünf“, lobte Kurtz Weber über Funk mit minimaler Leistung.

Der Anführer des Beobachtungstrupp winkte kurz zu ihm herüber, es wirkte als würde ein Busch plötzlich lebendig werden. Die Jungs verstanden was von Positionen und vor allem von Tarnung.

Sein Gernsback lag in einer von Bäumen umgebenen Bodenmulde, hatte aber selbst freies Schussfeld in Richtung der Befestigungsanlage. Die Distanz betrug etwa einen Kilometer. Für das schwere Scharfschützengewehr des M9 eine schwierige, aber keine unmögliche Distanz. Für ihn natürlich eine Leichtigkeit.

Ben Brahim, der andere Scharfschütze der Arm Slaves, hatte seine Position im Nordosten gefunden, während er selbst im direkten Norden hockte.

Ben Brahim war noch näher dran, hatte aber zugegeben eine gute Position erhalten.

Allerdings musste der andere Pilot im sitzen schießen. Bei schnellen Serien würde sich das negativ auf die Balance auswirken.

Kurtz grinste schief. Soweit war alles gut gelaufen. Nun mussten sie nur noch Glück haben und keinem aktiven Lambda Driver über den Weg laufen, dann würde Amalgam heute eine weitere Festung verlieren.

Er warf einen Blick auf die Anzeige der Partikeltarnung; sie war aktiv und stabil. Solange es nicht regnete, würden ihn nur seine eigenen Schüsse verraten.

Seinetwegen konnte es losgehen. Je eher desto besser.
 

Eine knappe halbe Stunde später kam das ersehnte Zeichen: „GO!“

Die fünf Arm Slaves, die nach ihnen von der DANNAN gestartet waren, schwebten in diesem Moment einen guten halben Kilometer entfernt an Fallschirmen zu Boden und eröffneten das Feuer auf die ersten Bunker.

Automatische Stellungen erwachten zum Leben und feuerten in die Luft. Sperrfeuer gegen unsichtbare Gegner.

Kurtz ignorierte das. Der Feind hatte Raketen, die sich von der Partikeltarnung nicht täuschen ließen. Die waren seine Beute, nicht die Schnellfeuerwaffen oder die Bunkeranlagen, die ohnehin schnell von den Gernsback unter Clouseau zerschossen wurden.

Da! Rakete. Das sah doch gut aus. Kurtz legte an und sah dabei zu wie sie explodierte.

„Ups, Tschuldigung. Die war ja in deinem Bereich, Weber“, klang Ben Brahims Stimme auf.

„Grenzland. Da kann man wohl nichts machen. Wer zuerst schießt mahlt zuerst.“

Weitere Raketen fuhren aus, und diesmal teilten sich die beiden Sniper den Kuchen.
 

Seit dem Go waren drei Minuten vergangen. Im Berg öffneten sich Hangartore, entließen Arm Slaves vom Typ Venom.

Kurtz grinste trocken. „Jetzt wird es ernst.“

„Wer einen mit Driver trifft hat verloren“, erwiderte Ben Brahim.

Sie zählten acht Venoms, die sich nun ihrerseits tarnten und auf das Schlachtfeld hinaus eilten. Mittlerweile waren die Gernsback gelandet und kämpften am Boden weiter.

Kurtz schoss eine schnelle Serie ab, erwischte einen getarnten Venom und riss ihm mit seinen Treffern fast einen Arm ab. Auf jeden Fall flackerte die Tarnung, was die M9 der DANNAN dankbar annahmen, um den Gegner zu einem sehr teuren Haufen Metallschrott zu verwandeln.

Ben Brahim stand ihm nicht lange nach, erwischte einen anderen Arm Slave mittig im Torso, auch der lenkte seine Schüsse nicht mit dem Lambda Driver ab.

Auch hier machten die Mithril-Soldaten kurzen Prozess.

„Was ich dir noch sagen wollte, Weber“, rief Ben Brahim mit künstlich fröhlicher Stimme und feuerte eine neue Serie, mit der er einen weiteren getarnten Venom entdecken wollte, „wenn du einen mit erwischst, dann…“

„Schon klar, wechsle deine Position, sonst bist du selbst Schrott. Ich habe schon mal gegen einen Venom gekämpft.“

„So? Du musst verloren haben.“

„Stimmt. Und ich habe draus gele… VORSICHT!“

Einer der Venoms wurde plötzlich sichtbar, ihn umgab eine goldene Aura, an seiner Front bildete sich eine rote Kugel, die immer größer wurde. Schließlich schoss sie in genau die Richtung, aus der die ursprüngliche Kugel aus Ben Brahims Scharfschützengewehr gekommen war.

„Bin ja kein Idiot“, keuchte Ben Brahim. An seiner alten Position expandierte eine riesige Explosion. „Habe mich gleich abgesetzt, als ich das Leuchten gesehen habe. Neue Position erreicht.“

„Abbruch, Abbruch!“, klang die Stimme von Chu-i Clouseau auf. „Lambda Driver entdeckt! Jagdfalke eins, fordere Luftschlag an!“

„Jagdfalke eins, hier Jagdfalke eins. Urzu eins, lösen Sie sich vom Gegner und ziehen Sie sich zurück. Führen Flächenbombardement in zwei Minuten aus.“

„Weber hier. Ich decke den Rückzug.“

„Ben Brahim hier. Ebenso.“

„Zieht euch zurück, sobald der Luftschlag erfolgt ist“, erwiderte der Chu-i.

Die fünf Gernsback vor der Festung feuerten aus allen Rohren, mieden den Venom mit Lambda Driver und erwischten einen weiteren Venom. Leider hatte auch dieser einen Lambda Driver aktiviert; Samantha Rogers konnte ihren Gernsback gerade so aus der Schussbahn werfen.

„So nicht, Ihr Spinner! Das klappt nur einmal bei mir!“

„Luftschlag in einer Minute. Verlassen Sie das Gelände vor der Festung, Urzu eins.“

„Fläche geräumt. Ihr könnt kommen.“

„Turmfalke eins, hier Turmfalke eins. Bestätige Missionsabbruch. Eskortiere Transporthubschrauber zum Sammelpunkt.“

„Verstanden, Turmfalke eins.“
 

„Was meinst du, Weber“, meldete sich Ben Brahim, „wenn der Luftangriff erfolgt, wird noch mal die Spreu vom Weizen getrennt. Wollen wir dann nicht noch ein paar Venoms grillen?“

„Aber gerne doch. Die paar Sekunden sind doch erlaubt, oder, Urzu eins?“

„Tut was ihr nicht lassen könnt. Aber setzt euch rechtzeitig ab.“

Der Deutsche grinste schief. Eine Generalerlaubnis war doch was Schönes.

„Hey, Weber, da kommt was raus in deiner Ecke. Schießt du auch auf Jeeps?“

„Kommt drauf an wer drin sitzt, Ben Brahim.“

Kurtz suchte das neue Ziel auf. Ein geräumiger Geländewagen, der die Festung in schneller Fahrt verließ.

„Luftschlag in zehn Sekunden. Bereit oder nicht, die Jagdfalken kommen!“

Dem Wagen liefen Männer hinterher, die mit Pistolen und MPs schossen.

Einer der Insassen lehnte sich aus dem Wagen heraus und feuerte mit einer MP zurück.

„Interessant“, brummte Kurtz und zoomte näher heran.

Der Mann, der sich aus dem Seitenfenster lehnte, kam ihm bekannt vor. Dabei wäre das doch eher eine Rolle für Sousuke gewesen, anstatt das Steuer zu übernehmen und… Steuer? Sousuke?

„ABBRUCH! ABBRUCH! JAGDFALKE EINS, BRECHEN SIE DEN ANGRIFF AB!“

Die Super Harrier huschten in diesem Augenblick über das Gelände hinweg, hinter sich her zogen sie einen Schwall Raketen und Bomben, die zu Boden gingen und eine Serie an Explosionen auslösten. Kurz bevor die Jets den einsamen Jeep erreichten, zogen die Piloten hoch und drehten nach Norden ab.

„Abbruch bestätigt, Gun-so Weber.“

„Gut, denn beinahe hättet ihr Gun-so Sagara auf der Flucht mit einem Geländewagen erwischt!“ Kurtz zoomte noch näher heran.

Vor der Anlage bewiesen drei Venom-Piloten, dass sie den Lambda Driver beherrschten, die anderen wurde nun eine leichte Beute von Ben Brahim.

„Da waren es nur noch diese drei! Ich setz mich ab. Sagara auf der Flucht? Was macht der hier?“

„Sagara, dieser Typ von der Schule neulich, die Frau die bei ihm war, sowie Tessa-chan und Kim-chan! Na, auf DIE Erklärung bin ich wirklich gespannt!

Verdammt, die Ärsche schießen auf Sousuke!“

„Unten bleiben, Gun-so! Sie können gegen Lambda Driver sowieso nichts ausrichten!“, blaffte Clouseau. „Markieren Sie die Venoms für erneuten Luftschlag! Und danach setzen Sie sich ebenfalls ab! Wir können nur hoffen, dass es Gun-so Sagara schafft, die Venoms abzuschütteln!“

„Ich könnte ihn einholen!“

„Und ebenfalls die Beute der Venoms werden? Negativ. Jagdfalke eins, nebeln Sie das Gelände, ich wiederhole, nebeln Sie das Gelände!“

„Ich markiere Ziele für Luftangriff“, erwiderte Weber trotzig. Es gefiel ihm überhaupt nicht, den Freund derart in Stich zu lassen.

„Welches Ziel markieren Sie, Gun-so?“

„Alle Ziele, Jagdfalke eins!“
 

Wieder stürzten die Super Harrier herab, sporadisch eröffneten kleinere Stellungen das Feuer auf die Jets, aber sie waren zu schnell wieder vorbei, um wirklich gefährdet zu werden.

Die drei Lambda Driver leuchteten hell auf, als Raketen mit ihrem Radius kollidierten.

Kurz darauf legte sich schwerer Nebel über das Gelände.

„Kurtz, bist du auf deiner Position entdeckt worden?“, klang die Stimme von Kramer auf.

„Nein, bisher nicht.“

„Ist deine Partikeltarnung noch aktiv?“

„Bestätige.“

„Kannst du den Geländewagen verfolgen? Ihn im Auge behalten und uns seine Position melden?“

„Das wäre kein Problem.“

„Gun-so, ich will ehrlich sein. Wir haben hier auf See einigen Ärger. Irgendjemand hat der nordchinesischen Marine unsere Position gegeben, von ihren südchinesischen Pendanten ist nichts zu sehen. Wir werden also unsere Leute einholen und dann Fersengeld geben. Es ist Ihr Risiko, wenn Sie bleiben. Es ist ein Ihnen überlegener Feind und die Mission selbst nahezu aussichtslos, bedenken Sie das.“

„Brich den Funkkontakt ab. Ich melde mich sporadisch alle Stunde einmal und sage wo wir sind.“

„Das fasse ich als ja auf, Kurtz. Viel Glück. Bis in einer Stunde.“

„Schafft eure Hintern aus dem Schussfeld. Ich komme schon klar.“

„Von mir auch viel Glück, Gun-so. Halten Sie den Kopf unten.“

„Ich weiß was ich tue, keine Angst, Urzu eins.“

„Genau das befürchte ich ja.“

Kurtz Weber schwankte zwischen Ärger und einem schiefen Grinsen, als er den Gernsback aus seiner liegenden Position aufrichtete, um dem Jeep zu folgen.

**

Die Verladearbeiten auf der DANNAN wurden hektisch durchgeführt, die Lasten nur ungenügend verstaut. Die Arm Slaves mussten dabei helfen, die Helikopter beim angehenden Tauchgang zu fixieren, es blieb einfach keine Zeit für ordentliche Arbeit.

Die nordchinesischen Schnellboote waren schon gefährlich nahe heran und eröffneten das Feuer.

„Ich werde ihr Feuer auf mich ziehen und dann mit ihnen verstecken spielen“, sagte Mardukas ernst. „Sobald Sie alle Hubschrauber aufgenommen haben, gehen Sie ebenfalls auf Tauchstation. Wir sehen uns auf Melina Island.“

„Die ersten Hubschrauber landen bereits“, sagte Johann Sander ernst. „Die Chinesen haben uns noch nicht entdeckt, aber das wird nur eine Frage der Zeit sein. Wir folgen so schnell wie möglich.

Wir haben einen Trost bei der Geschichte, wir wissen nun, dass Gun-so Sagara noch lebt. Und wir wissen, dass Tai-sa Testarossa und Miss Sanders frei sind.“

„Ein schwacher Trost, wenn man bedenkt, dass ihnen drei Venoms auf den Fersen sind. Nichts besiegt einen Lambda Driver außer einem anderen Lambda Driver. Und unser einziger Pilot ist auf der Flucht, während sein Arm Slave bei Ihnen an Bord ist.“

„Besser als nichts, Chu-sa“, tadelte Sander.

„Hoffen wir das beste“, erwiderte Mardukas, salutierte und schaltete ab.
 

Thomas wechselte einen schnellen Blick mit Kaname, dann sah er zu Sander herüber.

Der sah desinteressiert an die Decke.

Commander Allister interessierte sich plötzlich sehr für die anlaufenden Verladearbeiten und deckte die Brückencrew mit einer Menge unnützer Arbeiten ein.

Der Arm Slave-Pilot zögerte nicht lange, er griff nach Kanames Hand und zog sie hinter sich her, raus aus der Operationszentrale.

„Okay, was ist das, dieser Dom?“

„Ich denke, ich darf es dir nicht sagen!“

„Mardukas hat uns gerade einen Hinweis gegeben und Sander unterstützt es! Ich versuche gerade herauszufinden, welche Rolle ich dabei spielen kann. Welche spielst du?“

Unsicher zog sie die Plastikkarte hervor. „Diese Karte öffnet die Tür zu einem Raum namens Dom. Es ist der Sitz der künstlichen Intelligenz der FEANOR. In ihm befindet sich ein ähnlicher Tank wie bei den Sitzungen von Kim. Wenn ich als Whispered in diesen Tank klettere, habe ich vollen Zugriff auf sämtliche Funktionen an Bord dieses Schiffes. Besser noch, das Schiff wird zu einem Teil von mir!“

„Was bedeutet das? Wird das Schiff schneller? Besser? Widerstandsfähiger?“

„Alle Daten gehen direkt in meinen Kopf. Ich kriege alles sofort serviert und kann dementsprechend schnell reagieren.“

Nur zögernd ließ Thomas die Hand der jungen Frau los. „Könntest du eine Anfahrt auf die Küste machen, einen Arm Slave starten lassen und wieder entkommen?“

„Theoretisch ist es möglich. Ich müsste aber sehen, was uns dort erwartet.“

„Aber du würdest es versuchen?“

„Ja, das würde ich.“

„Gut, dann ist das geregelt. Ich schnappe mir den Arbalest und du übernimmst es, die FEANOR in Abschussposition zu bringen.“

„Und dann?“

„Dann bringe ich Sousuke seinen Arm Slave mit Lambda Driver. Auf den Anblick freue ich mich schon.“

Kaname Chidori nickte entschlossen, umklammerte die Plastikkarte und lief los.
 

„Sie ist wirklich etwas besonderes und leistet Dinge, die den meisten Soldaten unmöglich sind“, stellte Thomas mit einem wehmütigen Lächeln fest.

„Das ist sie in der Tat, Major Kramer.“

Der Deutsche fuhr herum, in diesem Moment trat Sho-sa Kalinin aus dem Schatten hervor.

„Ich… Sho-sa, ich… Ich meine…“

Der große Russe nickte. „Tun Sie es. Wenn es schief geht werden Sie sterben. Wenn es schief geht und Sie schaffen es zurück, werden Sie erschossen.“

Der Captain grinste schief. „Ich bin nicht Soldat geworden, weil ich die Sicherheit im Leben zu schätzen weiß.“

„Schaffen Sie es mit Ihren Brüchen, Junge?“

„Alles was ich machen muß ist das verdammte Ding in Sousukes Reichweite zu bringen, oder? Es wäre natürlich einfacher, den Arbalest einzupacken und zu ihm rüber zu schießen, eingewiesen von Weber, aber mit drei Venom hinter ihnen erscheint es mir sicherer, den Arm Slave persönlich abzuliefern.“

„Versagen Sie nicht. Nicht nur um Ihretwillen, Kramer.“

Thomas salutierte knapp und bündig. „Sir.“

Dann wandte er sich um und humpelte in Richtung Hangardeck davon.

**

„Kaname, bist du da?“

„Ich höre dich, Thomas. Wir steuern auf die Küste zu. Du hast genau einen Versuch. Ich tauche für drei Minuten auf. Das muß für dich reichen um aus dem Hangar raus zu kommen und um auf das Katapult zu kommen. Sobald ich das Flugdeck ganz geöffnet habe werde ich es gleich wieder schließen, damit ich schneller tauchen kann. Du hast also wirklich nur diesen einen Versuch.“

„Ich habe es schon beim ersten Mal kapiert, Kaname“, erwiderte Kramer. „Du wirst den Lift für mich bedienen müssen.“

„Verstanden. Ich gebe dir einen Countdown.“

„Wie viele erwarten uns?“

„Über zwanzig Einheiten. Einige pingen mich an, aber ich bleibe noch knapp unter der Thermalschicht. Abholen werde ich dich nicht mehr können.“

„Verlangt ja auch keiner. Kaname, ich bringe unsere Ausreißer schon sicher nach Hause.“

„Ist das ein Versprechen?“

„Das ist mein Wort als Offizier.“

„Hm, ist dein Wort als Offizier was wert?“

„Das hat mich Kim auch gefragt. Mal sehen, ob ich mein Wort halten kann“, erwiderte der Deutsche gepresst.

„Zwei Minuten. Geh zum Lift, Thomas. Und, ich glaube an dich.“

„Danke, Kaname.

Also, Al, dann wollen wir mal.“

„Positiv, Captain Kramer.“

„Weißt du, was ich mich frage, seit ich dir begegnet bin, Al?“ Thomas richtete den Arbalest auf, dabei zerrissen die Stahltaue, die ihn bisher fixiert hatten. Der Deutsche war dankbar dafür, dass er die Techniker raus gescheucht hatte, bevor er in den Arbalest geklettert war. Ein umher sirrendes Stahlkabel konnte einen Menschen zweiteilen.

Mit eleganten Schritten trat er auf den Lift.

„Was fragen Sie sich seitdem, Captain?“

„Ich frage mich die ganze Zeit, ob ich auch den Willen aufbringe, den Lambda Driver zu benutzen. Das wäre doch wirklich mal eine tolle Erfahrung.“

Der Lift fuhr hoch, über ihnen öffnete sich das Schott zum Flugdeck.

„Dummerweise habe ich das Gefühl, dass ich bald eine Antwort auf diese Frage kriege.“

Auf dem Flugdeck angekommen bekam Thomas gerade noch mit, wie die Raketensilos ihre tödlichen Kurzstreckenraketen ausspieen, um die gegnerischen Oberflächenschiffe auf Abstand zu halten.

Die Flügel des Flugdecks verharrten für eine Sekunde in ihrer höchsten Position, bevor sie sich wieder zu schließen begannen.

Thomas rastete den Arbalest auf dem Dampfkatapult ein.

„Schieß mich raus, Kaname.“

„Viel Glück, Thomas.“

„Danke“, erwiderte der Deutsche, während ihn der Andruck des Katapultstarts in den Sitz drückte. Glück würde er jede Menge brauchen können.

**

„Hast du einen erwischt?“, fragte Lin ihren Mann besorgt.

„Habe es nicht gesehen. Jedenfalls schicken sie uns keinen Wagen hinterher!“

„Das werden sie kaum brauchen, wenn so viele Venoms vor Ort sind!“ Sagara sah kurz nach hinten. „Die werden uns bald genug folgen.“

„Können wir nicht zu den Arm Slaves rüber fahren und uns mitnehmen lassen?“, rief Kim aufgeregt. „Die müssen uns doch sehen können!“

„Die wissen aber nicht, dass wir hier drin sitzen! Bevor wir von unseren eigenen Leuten beschossen werden sollten wir lieber soviel Distanz wie möglich zur Festung aufbauen. Wenn wir hier erst mal weg sind, können wir immer noch einen Hubschrauber anfordern“, erwiderte Tessa.

„Oh, verdammt, ich hätte doch den Venom klauen sollen“, sagte Lin tonlos. Ihre Hand zitterte, als sie nach Osten deutete.

Dort schossen gerade Super Harriers heran, und es war deutlich zu sehen, wie sie etwas abwarfen.

„Oh, oh, oh! FESTHALTEN!“

Der Geländewagen, mit dem die fünf aus der Amalgam-Festung geflohen waren, dankenswerterweise ermöglicht durch Mithrils Angriff, ruckte heftig an und trieb sie zurück in die Sitze. Sagara trat das Gaspedal voll durch und hatte alle Mühe, den Wagen auf der Piste zu halten, während er versuchte, den Angriffsvektor der Harriers zu verlassen.

Die Raketen und Bomben begannen zu explodieren, woben einen dichten Teppich, der sich über etliche hundert Meter erstreckte – genau in ihre Richtung!

Erschrocken schrie Kim auf und duckte sich, die Hände über dem Kopf gefaltet.
 

„Puh, Schwein gehabt. Sie haben das Bombardement rechtzeitig beendet“, stellte Sagara ruhig fest.

„So, rechtzeitig, meinst du?“ Stoisch deutete Robert Hausen auf die verrußten Fenster der rechten Wagenseite.

Der Gun-so zuckte mit den Achseln. „Wir sind nicht verbrannt, also haben sie es rechtzeitig eingestellt. Und jetzt sollten wir zusehen, dass wir hier weg kommen. Weit, weit weg.“

„Keine Einwände“, erwiderte Hausen.

„Antrag angenommen“, stimmte nun auch Kim zu.

„Gab es denn keine Hubschrauber?“, warf Tessa ein.

„Und ich hätte doch einen Venom klauen sollen!“, rief Lin.

„Das hätte uns nur unnötig zur Zielscheibe gemacht“, erwiderte Sagara ruhig. Ein kleiner Wagen ist schwerer zu verfolgen als ein acht Meter hoher Arm Slave.“

„Ein acht Meter hoher Arm Slave ist aber schneller unterwegs.“

„Und würde dann den kleinen Wagen zurücklassen… Oder seine Position markieren“, konterte der Gun-so.

„Es ist doch sowieso egal. Sobald sie uns verfolgen sollten wir sehr weit weg von hier sein“, sagte Robert Hausen und setzte der Diskussion einen Schlussstrich. „Tut mir Leid, dass ich keine bessere Idee für unsere Flucht hatte. Der Angriff von Mithril kam überraschend, aber nicht unwillkommen.“

„Oh, Mist, Mist, Mist, die Flieger kommen wieder!“

„Ruhig, Kim. Ihr Anflugvektor liegt so, dass sie uns nicht treffen werden. DA! Sie nebeln das Gelände ein. Das bedeutet dann wohl, dass sich unsere Gernsback zurückziehen.“ Tessa atmete sichtbar auf. „Das ist auch gut so. Ein Kampf gegen Venoms mit aktivem Lambda Driver wäre auch ein Gemetzel geworden.“

„Und der Nebel hilft uns zu fliehen“, fügte Sagara hinzu. Er hatte fünf Arm Slaves gesehen, dazu mindestens einen auf Scharfschützenposition erkannt – vermutlich.

Aber der Gernsback von Thomas war nicht dabei gewesen.

Verdammt, hatte er wirklich richtig gehandelt? Was, wenn Thomas in der Explosion etwas passiert war? Nicht, dass er daran etwas hätte ändern können. Aber die Ungewissheit nagte an ihm.

Verdammt!

**

„Das ist jetzt gar nicht gut“, murmelte Kurtz Weber, während er seinen getarnten Gernsback langsam rückwärts hinter einen Hügel zurückzog. Alle drei Venoms mit Lambda Driver hatten sich an die Verfolgung gemacht. Nicht an die Verfolgung der Arm Slaves von Mithril, sondern an die Verfolgung des geflohenen Jeeps.

Oh, das war typisch, so schrecklich typisch.

Die Geschichte ging jetzt schon eine Stunde, die Venoms hetzten dem Geländewagen hinterher, der verzweifelt bemüht war, einen Mindestabstand zu halten. Ab und zu stoppte einer der Venoms und gab einem mit dem Lambda Driver verstärkten Schuss ab, dem der Geländewagen aber immer wieder wie durch ein Wunder ausweichen konnte.

Solange die Piste einigermaßen befahrbar war, konnte Sousuke das Spiel noch stundenlang durchhalten, bis der Sprit ausging.

Kurtz grinste schief. Bisher hatte er lediglich eine beobachtende Position eingenommen, aber wenn es hart auf hart ging, würde er auf die Lambda Driver scheißen und alles dafür tun, um seine Freunde zu verteidigen.

Und vielleicht war es ja auch möglich, dass… Ja, warum eigentlich nicht? Die Venom-Piloten waren ja auch selber Schuld, wenn sie so dicht beieinander blieben.

Aus dem schiefen Grinsen wurde ein unverschämtes Grinsen. Ein sehr unverschämtes Grinsen. Wenn das klappte, würde er sich ausgiebig Zeit nehmen, um seine Billardfähigkeiten wieder etwas aufzupolieren.

**

Robert Hausen wühlte sich durch fünf Kilo Straßenkarten. „Mist, Verdammter! Dämliche Geheimhaltung! Ich finde unsere Position auf der Karte nicht!“

„Kannst du sie vielleicht nicht lesen? Soll ich mal gucken?“, bot Lin an.

„Es geht nicht ums lesen, es geht darum wo wir sind! Natürlich sind die Festungen nicht eingetragen! Und wenn ich keinen Orientierungspunkt habe, kann ich nicht sagen, wo die nächste größere Straße ist, geschweige denn die nächste Stadt!“

Hausen sah angestrengt nach draußen. „Ich brauche einen Orientierungspunkt. Einen markanten Orientierungspunkt.“

„Wir werden einen bilden, wenn die Venoms uns einholen!“, kommentierte Sagara bissig.

„Sehr komisch, junger Mann! Ich… Mein Handy klingelt. Ich habe hier Empfang?

Hausen hier.

Oh, Mr. Conrad. Es ist mir eine Freude, Ihre Stimme zu hören. Nein, das meine ich durchaus ernst. Immerhin liegen ein paar Kilometer zwischen Ihnen und mir. Da sorgt für ein beträchtliches Gefühl der Sicherheit.

Was? Ob ich… Nein, ich habe keine Lust, den Wagen anzuhalten und mich den Venoms zu ergeben. SIE haben MICH betrogen und… Nein, es geht dabei nicht ums Geld. Es geht darum, dass Sie den Vertrag nicht einhalten wollten. Reden Sie nicht. Ich weiß, was ich weiß.

Nein, ich werde NICHT eines oder beide Mädchen aussteigen lassen, damit die Venoms sie aufsammeln können. Ich bringe hier beide raus oder keine!

Ja, ich weiß, was ein Lambda Driver ist. Sie erinnern sich? Sie haben mir diesen kleinen Psychopathen Vogel geschickt und den noch größeren Psychopathen, der den Venom gesteuert hat.

Ja, ich denke, damit endet unser Gespräch. Sie lassen wen von der Leine? Was?“

Robert schaltete das Handy wieder aus und verstaute es in seiner Jacke. „Mist.“

„Was ist los, Schatz?“

Hausen sah nach hinten, aus der Heckscheibe hinaus auf die Arm Slaves, die sie immer noch verfolgten. „Einer der Piloten ist Vicomte Vogel, der Mann, der im Kingdom Sahara mein Verbindungsmann war. Ich kann mir vorstellen, dass es ihm nach dem Überfall auf die FEANOR nicht besonders gut ergangen ist. Und das der Mann ein Ventil für seine Wut sucht. Wenn ich dann noch bedenke, dass die Venom-Piloten starke Drogen nehmen, um den Lambda Driver benutzen zu können, bekommt Conrads Drohung, ihn von der Leine zu lassen, eine völlig neue Dimension. Er wird mich töten.“

„DA!“

Erschrocken fuhren die Anwesenden zu Theresa herum. „Hier! Ich habe einen Orientierungspunkt gefunden! Hier, das ist der Berg da draußen! Die Piste, auf der wir fahren, ist nicht eingezeichnet, aber neben dem Fluss hier geht eine Schnellstraße lang! Wenn wir die zehn Kilometer schaffen, dann sind wir durch! Auf der Schnellstraße kommen wir viel besser voran als die Venoms!“

„Sprit ist genügend da!“, rief Sagara fröhlich.
 

Hinter ihnen blitzte es wieder auf. Sousuke Sagara schätzte kurz den Schusswinkel, dann riss er den Wagen nach links. Der gewaltige, von einem Lambda Driver unterstützte Schuss sauste harmlos an ihnen vorbei.

Dafür schlug er in der Piste ein, knapp vor dem Jeep.

„VORSICHT!“, brüllte Sagara, aber es war schon zu spät. Wie von der Faust eines Riesen getroffen wurde der Geländewagen vom Boden gehoben und meterweit durch die Luft gewirbelt.

Er kam auf der Seite auf und blieb so liegen.

Hausen gab einen herzhaften Fluch zum besten, stemmte sich ein und schnallte sich ab. Danach trat er nach der Frontscheibe, bis sie nach außen fiel. „Überlebende melden sich!“

„Sagara hier und okay.“

„Lin Hausen hier und okay.“

„Theresa Testarossa hier und okay.“

„Kim Sanders hier mit brummenden Schädel und zwei schweren Frauen, die auf mir liegen, aber ansonsten bin ich in Ordnung.“

„Habt ihr euch da hinten nicht angeschnallt? Muss ich euch so etwas Elementares noch vorbeten?“, tadelte Hausen. Er nickte Sagara zu. „Wir müssen in die Wälder.“

Der Gun-so nickte schwer, schnallte sich ab und half dann den Damen, das Gewirr aus Beinen und Armen zu lösen. „Könnt ihr laufen?“

„Beeilt euch“, sagte Hausen, lud ein neues Magazin in sein Gewehr und stellte sich halb nach draußen, um beim aussteigen zu helfen. „Sie kommen schnell näher.“

**

„Was zum…“ Entsetzt sah Kurtz dabei zu, wie der Geländewagen umstürzte und neben der Straße im Wald landete. Wie hatte das passieren können?

Entschlossen eilte er mit seinem Gernsback näher, um ein besseres Schussfeld zu bekommen.

Noch schoss kein Venom auf ihn, noch drehte sich niemand in seine Richtung.

Er dankte allen ihm persönlich bekannten Göttern dafür, dass es weder regnete, noch Staubfontänen aufwehte, die seine Position verraten hätten.

Abrupt bremste er seinen Gernsback ab, nahm sein Gewehr hoch und feuerte auf den mittleren Venom.

Die Kugel kollidierte mit dem Lambda Driver, wurde reflektiert und dabei um einen unbekannten Faktor verstärkt.

Da der Arm Slave aber in Bewegung war, reflektierte der Schuss auf einen anderen Venom, der genau in diesem Moment zwischen Kurtz und sein Ziel getreten war.

Dort reagierte nun auch der Lambda Driver.

Die Kugel verging in einer gewaltigen Explosion, die beide Arm Slaves trotz Lambda Drivers wie Puppen meterweit davon schleuderte.
 

Kurtz grinste schief. Spätestens jetzt wussten sie, dass er da war. Nun würden sie auch Jagd auf ihn machen und er bezweifelte, dass dieses kleine mathematische Kunstwerk ausgereicht hatte, um zwei Venom zu vernichten. Bestenfalls hatte er sie verzögert. Etwas.

Kurtz eilte weiter, gab auf den dritten Venom einen Schuss ab. Der wurde reflektiert und schlug mit der Gewalt einer mittelschweren Bombe an der alten Position des Deutschen ein.

Mittlerweile hatten sich die anderen beiden Arm Slaves wieder aufgerichtet.

Kurtz eilte weiter, auf den umgestürzten Wagen zu. Verdammt, sie waren noch nicht draußen! Deutlich konnte er Sousuke erkennen, wie er Tessa aus dem Wagen half.

Kurtz senkte den Kopf. Dies war also sein persönlicher Moment der Entscheidung.

Als er wieder aufsah war seine Miene wild und entschlossen. „KOMMT NUR HER, IHR BASTARDE!“

Das ließ sich der vorderste Venom nicht zweimal sagen. Er legte auf Webers M9 an.

Doch eine Serie von kleineren Explosionen direkt vor seinen Füßen ließ ihn stoppen.

Gut dreihundert Meter entfernt deaktivierte ein M9 seine Tarnung.

„Danke, dass du mir mit den Explosionen den Weg gezeigt hast, Kurtz. Ich konnte die Ecke hier sehr gut finden.“

„Thomas? Mensch, was machst du denn hier?“

„Ich? Was liefern.“

**

Die beiden Explosionen, die spektakuläre und die eher schwächere, hatten dem Team aus dem Arbalest und Captain Kramer gut den Weg gewiesen. Es wäre eh noch über eine Viertelstunde bis zu Webers nächster Funkmeldung gewesen, und Thomas hatte sich schon gedacht, was diese Explosionen ausgelöst hatte.

Nun stand er hier, hatte die Vorwärtsbewegung der Venoms kurzfristig gestoppt. Und er stand vor einem neuen Problem.

Er saß im Arbalest, und Sousuke nicht.

Dabei mussten sie nur fünfhundert Meter schaffen, eigentlich keine Entfernung. Das Problem war der Pilotenwechsel. Sie brauchten Zeit, dringend Zeit.

„Vorschläge, Al?“

„Schnell handeln.“

„Danke. Aktiviere den Lambda Driver.“

„Captain?“

„Ich weiß, dass ich ihn nicht benutzen kann, aber das wissen die da nicht! Kurtz, hast du nicht noch einen Trick auf Lager, der uns zehn Sekunden Zeit einbringt?“

„Ich hätte da noch einen in Petto, der vorhin schon für eine wunderschöne Explosion gesorgt hat. Ich setze mich ab und suche mir ne gute Stelle für einen zweiten Schuss.“

„Okay, viel Glück.“

„Lambda Driver aktiviert.“

Thomas versuchte sich vorzustellen wie es aussah, wenn der Driver hochfuhr. Wie sich verschiedene Verschlussklappen öffneten, um den Driver zu aktivieren. Wie langsam die Panzerung hochfuhr wie die Partikeltarnung.

„Öffne einen Lautsprecher. Sousuke, alles klar?“

Der Gun-so winkte in Richtung Cockpit und gab das Daumen hoch-Zeichen.

„Schön, dass es dir gut geht, Sousuke. Es wäre mir nämlich schwer gefallen, einen Verletzten in zwei Teile zu brechen!“

Sagara riss die Augen auf. „Fliegender Wechsel auf drei. Die anderen sollen in den Wald fliehen, es könnte hier bald sehr schnell heiß werden, klar?“

Sagara nickte wieder und scheuchte die anderen vier zum Waldrand.
 

„Lautsprecher schließen. Gibt es eine Verbindung zu den Venoms?“

„Sie haben eine aktive Funkverbindung untereinander.“

„Können wir uns einklinken?“

„Positiv, Captain.“

Thomas beglückwünschte sich für die Idee, den Lambda Driver einzuschalten. Die Venoms blieben an Ort und Stelle, während die drei Frauen und dieser verdammte Hausen tiefer in den Wald flohen. Wie lange der Bluff funktionierte stand selbstredend in den Sternen.

„Klink mich ein.“

„..es keinen Rückzug! Ich sage, wir greifen an!“

Wie toll. Die Amalgam-Piloten benutzten nicht mal eine Chiffrierung für ihre Kommunikation. „Hier spricht Captain Kramer von der TDD-FEANOR. Ich rufe die Arm Slave-Piloten in den Venom-Einheiten. Sie haben genau eine Minute, um sich zurück zu ziehen. Danach werde ich ohne Rücksicht angreifen.“

„Weißt du, was du mich mal kannst, Captain Kramer?“, blaffte die Stimme von vorhin.

Der vordere Venom gab einen Schuss ab und Thomas sah seinen Bluff wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Verdammt, verdammt, es war noch zu früh, die anderen waren noch nicht weit genug entfernt! Die Kugel raste auf ihn zu und in rasender Wut heulte Thomas auf.

Grelles Licht blendete ihn, und dann war… alles wieder normal.

„Er hat vorbeigeschossen!“, rief Thomas erleichtert. „Kurtz, jetzt!“

„Verstanden, Kumpel.“
 

Während Thomas den Arbalest in die Knie gehen ließ und die Cockpitversiegelung öffnete, feuerte Weber von seiner Position einen einzigen Schuss ab. Er wurde von einem der hinteren Venoms reflektiert und schlug dann in den Vordersten ein, der gerade ein paar Schritte zurück wankte. Ergebnis war erneut eine gewaltige Explosion, die diesmal alle drei Venoms in Mitleidenschaft zog.

Thomas reichte Sousuke die Rechte, um ihn hoch zu ziehen, der andere Arm Slave-Pilot griff dankbar zu. Danach tauschten sie ihre Positionen, der Deutsche ließ sich aus dem Cockpit herausfallen, um Zeit zu sparen.

Dabei schlug er unglücklich auf dem Knie des Arbalests auf und heißer Schmerz brandete durch seinen linken Arm. Schließlich landete er auf der Schotterpiste, rollte sich ab und blieb auf dem Grünstreifen neben der Straße liegen.

Über ihm hatte der Arbalest sein Cockpit wieder geschlossen, der Lambda Driver leuchtete grell auf und sprang aus dem Stand zwanzig Meter nach vorne.
 

Trotz der Schmerzen setzte sich Thomas auf. Ja, so musste ein Lambda Driver eingesetzt werden, so und nicht anders.

Sousuke eröffnete das Feuer aus der Distanz, jagte seine erste Kugel in den linken Venom. Dessen Lambda Driver hielt nicht lange stand, die Kugel drang durch und schlug im Arm Slave ein. Ergebnis war eine gewaltige Explosion, die von dem Gegner nicht viel mehr als etwa Schrott zurückließ.

Der zweite Schuss verfehlte sein Ziel, weil der vorderste Arm Slave auswich; Ergebnis war eine beträchtliche Explosion, die einen großen Abschnitt der Piste für lange Zeit unbefahrbar machte.

Aber der Nachschuss saß und zerstörte den zweiten Venom.

Der dritte aber eilte auf den Geländewagen zu, genauer gesagt auf Thomas.

Für einen Moment starrte er in die Waffenmündung, sah den aufglimmenden Driver, der den für die Venoms so typischen Pferdeschwanz aufleuchten ließ und glaubte den Schuss kommen zu sehen. Viel spüren würde er jedenfalls nicht.

Hatte der Pilot vielleicht aus irgendeinem Grund einen persönlichen Hass auf ihn?

Das war eine Sekunde, bevor eine riesige Arm Slave-Hand nach ihm griff und ihn aus der Schusslinie brachte.

Der M9 sprang zehn Meter weit, krümmte sich schützend über ihm zusammen und wartete die Explosion ab, die dort entstand, wo Thomas gerade noch gelegen hatte.

„Danke, Kurtz“, seufzte der Captain erleichtert.

„Jederzeit wieder.“

Nun war Sousuke heran, zog sein Kampfmesser, beide Lambda Driver kollidierten.

Dann löschte ein Lichtblitz alles aus.
 

Epilog:

Ein wenig wehmütig starrte Mr. Conrad auf das leere Zimmer, das einmal sein Büro gewesen war. Die ganze Aktion war fast ein Reinfall gewesen. Auf jeden Fall aber hatte sie die Organisation acht Piloten gekostet, dazu acht Arm Slaves vom Typ Venom. Wobei er Vogel am wenigsten nachtrauerte. Unter dem Drogeneinfluss, den der ehemalige Agent gebraucht hatte, um den Lambda Driver aktivieren zu können, hatte sich noch viel mehr herausgestellt, was für ein hysterischer und vor allem labiler Idiot der Mann doch gewesen war.

Und dann war da noch die Festung. Jetzt, wo Mithril entkommen war, würden sie bald den Südchinesen von dieser Anlage berichten. Einem massierten Angriff würden sie aber nicht immer standhalten können, einmal davon abgesehen, dass Amalgam im geheimen arbeitete und eine aufgedeckte Basis nichts wert war.

Also hatten sie begonnen, alle wichtigen und wertvollen Gerätschaften abzubauen und zu evakuieren. Amalgam hatte nicht nur diese Basis in der Region.
 

Leise verließ er das ehemalige Büro, trat durch das leere Vorzimmer, auf den Gang hinaus. Ein Fahrstuhl brachte ihn runter in den Hangar. Dort wartete bereits ein Hubschrauber auf ihn, an Bord die letzten Söldner von Amalgam sowie das einzige, was in diesem Fiasko ein Erfolg gewesen war. Die restlichen Aufzeichnungen über die Black Technologie, die von Kim Sanders und Theresa Testarossa extrahiert hatte werden können. Es war nicht viel, aber alles war neu für die Wissenschaftler und Techniker, die für Amalgam arbeiteten. Vielleicht konnten sie daraus einen Vorteil für die Zukunft ziehen.

Der ewig schwitzende Mann ließ sich beim einsteigen und anschließend beim anschnallen helfen. Kurz darauf hob der Transporter ab. Die Partikeltarnung ließ ihn verschwinden.

Zusammen mit der Sri Lanka-Basis und Kingdom Sahara stand es jetzt drei zu null für Mithril.

Aber Amalgam, und insbesondere er, hatte ihr Pulver noch lange nicht verschossen.

Conrad warf einen letzten Blick aus der Luft auf die Basis, während er sich mit einem Stofftaschentuch die schweißbedeckte Stirn abwischte. Oh ja, es würde eine Rückrunde geben. Und darauf freute er sich auch schon.

**

„Ist das wirklich okay?“, zweifelte Robert Hausen.

„Wieso nicht? Du bezahlst ja“, erwiderte Kim Sanders kess.

„Ist ein Argument.“

„Moment, Onkel Hausen bezahlt? Dann nehme ich den Giant Royal-Eisbecher.“

„Übertreib es nicht, Thomas“, drohte Robert. „Und nenn mich nicht Onkel.“

„Nun lass ihn doch, Schatz, wenn es ihm Spaß macht. Zu Kranken soll man immer nett sein“, warf Lin von der Seite ein. „Also, der Giant Royal klingt wirklich gut, Thomas. Vielleicht sollte ich den auch nehmen.“

„Hey, habt Ihr etwa schon bestellt?“ Tessa lächelte in die Runde.

„Wir suchen noch aus. Komm, nimm Platz“, sagte Thomas und rückte auf der Bank noch ein Stück. „Wo bleiben die anderen?“

„Kaname und Sousuke müssten gleich hier sein. Sousuke ist vor einem Waffengeschäft stehen geblieben und will vielleicht was kaufen. Melissa und Kurtz kommen mit dem Taxi. Sie sind ja vorhin erst eingetroffen.“ Mitfühlend sah Tessa zu Thomas herüber. „Tut es sehr weh?“

„Es geht. Mir sind ja nur die gleichen Knochen noch mal gebrochen, als ich den Arbalest herab stürzte. Inzwischen weiß mein Körper ja, wie das zu heilen ist.“

„Schnell heilende Knochen. Eine gute Eigenschaft, mein lieber Thomas“, erklärte Hausen schmunzelnd.

„Hallo! Wie ich sehe seit ihr gerade dabei mit dem Feind zu fraternisieren“, rief Melissa Mao mit einem Augenzwinkern, als sie mit Kurtz Weber das Lokal betrat.

„Der Feind bezahlt, Melissa“, informierte Thomas sie sachlich. „Also bestell was Teures.“

„Was ist denn hier das teuerste?“, fragte Kurtz interessiert.

„Vorsicht. Ich wurde für die Sache in China nicht bezahlt“, schränkte Hausen ein. „Ich bestehe also nicht aus Yen.“

„Dafür wurdest du für die Sahara-Sache sehr gut bezahlt“, warf Lin lächelnd ein. „Also spiel nicht den Geizhals. Immerhin hat Gun-so Weber es mit drei Venoms mit Lambda Driver aufgenommen, um uns zu retten.“

„Zugegeben“, brummte Robert frostig.

„Kommen wir zu spät?“, fragte Kaname Chidori. Sie zog einen ziemlich enttäuscht aussehenden Sagara hinter sich her.

„Kaname, es ist doch nur ein Modell einer Heckler&Koch. Warum darf ich sie nicht auspacken?“

Chidori warf ihm den bösesten Blick zu, den sie beherrschte. „Weil du damit garantiert einen Auflauf verursachst! Ich kenne dich.“

Abwehrend hob der Gun-so die Hände. „Akzeptiert.“
 

„Da nun alle versammelt sind“, begann Thomas, „will ich die Gelegenheit nutzen, um euch alle zu begrüßen. Die Tage, die hinter uns liegen waren hart. Aber das ist nichts, was ein anständiges Eis nicht wieder richten kann.“

Über die Gesichter der Anwesenden huschte zustimmendes Lächeln.

„Mein besonderer Dank gilt hierbei Herrn und Frau Hausen, die sich entschlossen haben, auf die beiden Frauen aufzupassen, die ich verloren habe… Und die ich dank ihnen wieder einsammeln konnte. Beziehungsweise Kurtz und Sousuke, denn zu dem Zeitpunkt war ich wieder mal ohnmächtig. Dass ihr zwei Kim und Tessa überhaupt erst entführt habt, erwähne ich Taktvollerweise nicht.“

„Wie nett von dir“, erwiderte Robert säuerlich.

„Mein ganz besonderer Dank hierbei gilt natürlich Sousuke und Kurtz, die beide ihre Leben riskiert haben, um uns – und insbesondere mir – das Leben zu retten.

Des Weiteren Kim und Tessa dafür, das sie so nett waren zu überleben und natürlich Melissa, die mich von einigen Dummheiten abgehalten hat, die ich in meiner Panik fast begangen hätte. Danke. Danke euch allen.“

„Verzeihen Sie bitte, aber möchten Sie schon bestellen?“

Robert nickte. „Neunmal den Giant Royal-Becher, bitte.“

„Das ist ein Wort!“
 

Während sie die Eisbecher dezimierten, ergriff Robert wieder das Wort. „Wie geht es jetzt weiter, Captain Kramer? Was macht er Arm Slave-Chef der FEANOR als nächstes?“

„First Lieutenant. Ich wurde degradiert. Und ich denke, ich bin noch recht glimpflich davon gekommen.“

„Oh, das tut mir Leid.“

„Dafür kannst du nichts, Onkel Hausen. Die Degradierung habe ich eingesteckt, weil ich verletzt in einen Arm Slave gestiegen bin. Aber damit kann ich leben.“

„Du sollst mich doch nicht Onkel nennen, du ungezogener Bengel.“

Thomas schmunzelte. „Jedenfalls, da ein gewisser Hausen im Auftrag Amalgams Kim aus dem Safe House entführt hat, wurde ihre Untersuchung nicht abgeschlossen. Deshalb hat sich das Oberkommando dazu entschieden, ihren Aufenthalt in Japan um zwei Wochen zu verlängern. Ich bleibe dann natürlich auch noch.“

„Wirklich?“, fragte Kim mit leuchtenden Augen. Dabei drückte sie die Rechte von Thomas, so fest sie konnte.

„Das Team bleibt solange vor Ort, nur falls du einen zweiten Versuch wagst, Robert.“

„Nein, danke. Ich habe alle Verbindungen zu Amalgam abgebrochen. Was ich ansonsten wusste, habe ich Mithril zum Kauf angeboten. Mal sehen, was draus wird.

Heißt das also, Ihr bleibt alle noch eine Zeitlang in der Stadt? Gab es keinen Ärger? Gun-so Sagara, weil er eigenmächtig die Festung infiltriert hat? Kaname Chidori wegen einer Sache, die ich nicht wissen darf? Gun-so Weber, weil er uns auf eigenes Risiko begleitet hat, als wir mit dem Wagen geflohen sind?“

„Nein, es gab keine weiteren Strafen. Es hat ja geklappt, das hat den Oberen anscheinend gereicht“, erklärte Melissa grinsend. „Bis auf Thomas halt. Es tut mir Leid, dass du den Sündenbock spielen musst.“

„Mir tut es nur Leid, dass meine Degradierung auf die FEANOR zurückfällt.“ Thomas senkte betreten den Kopf.

Er seufzte still. „Aber was solls, dafür darf ich die nächsten beiden Wochen mit vier schönen Frauen verbringen.“ Er zog die rechte Augenbraue hoch. „Und mit euch zwei Helden, Sousuke, Kurtz.“

„Schade, dass sie dich nicht so weit degradiert haben, dass ich dir Befehle geben kann“, erwiderte Weber mit einem gefährlichen Grinsen. „Das wäre ein Spaß geworden.“

„Wie man in den Wald hineinruft so schallt es heraus, das solltest du doch wissen, Kurtz“, konterte Kramer.

„Keinen Streit am Tisch!“, mahnte Melissa. „Thomas! Kurtz!“

„Du bist ja schlimmer als meine Mutter“, brummte Thomas. „Du hättest bestimmt deine helle Freude, sie kennen zu lernen.“

„Hä?“ Erschrocken sah Kim auf. „Lädst du Melissa gerade zu dir nach Hause ein? Darf ich auch mit?“
 

Das Klingeln von Roberts Handy enthob Thomas einer Antwort – oder schob sie zumindest ein wenig auf.

„Entschuldigt, bitte. Hausen hier. Was? Ja, ich… SIE? Wo stecken Sie? Wieso…? Ja. Verstehe… Was? Nein, ich denke nicht. Nein, auch dann nicht… Ich denke, damit können wir beide leben, oder? …Ich glaube ein Dankeschön wäre angebracht, aber es kommt mir nur schwer über die Lippen. Entschuldigen Sie. Nein, ich hoffe doch, dass wir uns nicht wieder hören.“

Robert Hausen legte auf und verstaute das Handy wieder. Dann musterte er die Sitzordnung am Tisch. „Mist.“

„Wer war dran?“, fragte Lin.

„Conrad. Er sitzt hier irgendwo in einer Position, wo er uns beobachten kann. Er hat gesagt, als kleines Dankeschön für meine bisherige Arbeit lässt er mich vorerst nicht von einem Attentäter erschießen. Aber allzu viel Kredit habe ich bei ihm nicht mehr, vor allem nicht wenn ich wirklich erwäge, enger mit Mithril zusammen zu arbeiten.

Es ist noch nicht vorbei.“

Kramer lachte heiser auf. „Ihr zwei seid gerade nicht allein, also macht euch da nicht so viele Gedanken drum. Was Amalgam angeht haben wir einen gemeinsamen Feind.“

Er beugte sich etwas vor. „Für heute lässt er uns aber in Ruhe, richtig?“

Hausen nickte widerstrebend.

„Dann lasst uns in Ruhe aufessen. Danach wäre ich für Karaoke.“

„Thomas, Thomas, Thomas“, tadelte Melissa. „Wie kannst du nur so sorglos sein.“

„Ach, die Sorgen kommen früh genug wieder.“

„Ich stimme der Analyse zu. Für heute sollten wir Ruhe haben.“ Sousuke runzelte die Stirn. „Und für den Notfall haben wir hier immer noch drei kampfstarke Soldaten von Mithril.“

„Kanames Backup nicht zu vergessen“, fügte Theresa fast unhörbar hinzu.

„Also ist das abgemacht“, sagte Hausen grinsend.
 

Bedächtig schob der Deutsche eine Dokumentenmappe über den Tisch. „Bevor ich es vergesse, Kim. Das hier wollte ich dir schon lange geben.“

„Was ist das?“

„Deine Identität. Oder zumindest das, was du warst, bevor deine Erinnerung gelöscht wurde.

Was du daraus machst, ist deine Sache. Selbst ob du reinschaust ist deine Sache.“

„Du hast…?“

„Ja, ich weiß, was drin steht.“

„I-ich werde morgen reinschauen“, sagte sie fest. „Heute wollen wir feiern.“

„Keine Einwände“, schmunzelte Thomas.

„Dann auf zum Karaoke!“ Kaname sprang auf und zog Sousuke mit sich auf die Beine. „Ich kenne da einen tollen Laden gleich um die Ecke. Da gibt es wirklich gute Pizza.“

„Pizza beim Karaoke? Ich dachte da singt man nur“, wandte Thomas ein.

Kurtz klopfte seinem Landsmann auf die Schulter. „Du musst noch viel lernen, bevor du in diesem Land zurecht kommst, mein Freund. Viel, viel lernen.“

„Vielleicht bringt Melissa es mir ja bei“, erwiderte Thomas schmunzelnd.

In einem war sich der degradierte Arm Slave-Pilot sicher. Die nächsten beiden Wochen würden sicherlich nicht langweilig werden. Soweit die guten Aspekte…



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Von:  Nostradamus_MB
2006-08-20T13:37:17+00:00 20.08.2006 15:37
Es war mal wieder schön zu lesen wie es weiter geht, du baust daraus anscheinend wirklich eine virtuelle Staffel auf. Ich freue mich schon darauf zu lesen wie es weiter gehen wird, jedoch hoffe ich, das es bis zum nächsten Kapitel nicht so viel Zeit vergeht.

nos / michel


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