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FMP: Nordatlantik

von

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Whispered I

Prolog:

Osteuropa kam auch nach Jahren des Bürgerkriegs nicht zur Ruhe. Weder russische Panzerdivisionen noch Arm Slaves konnten das ändern.

In einem Hexenkessel aus Gewalt und Chaos entstanden Reiche und vergingen wieder, während die Welt atemlos zusah.

Wenigstens konnte der Bürgerkrieg eingegrenzt werden, bevor er sich wie ein Flächenbrand ausbreitete. Der Nachteil waren Dutzende schutzlose Flüchtlingslager an den Grenzen zu den friedlichen Staaten, die jene Unglücklichen nicht betreten durften, weil sie den falschen Pass hatten. Nicht selten ging eines dieser Lager in Flammen auf.

Allein betreut durch das Internationale Rote Kreuz und so gut wie gar nicht geschützt waren sie ein Brutkessel für Verzweiflung, Extremisten und Krankheiten.

Und sie bildeten Schwarzmärkte, auf denen so gut wie alles zu verkaufen war.
 

1.

Richtig wohl fühlte sich Thomas Kramer nicht, und das lag nicht an der schmutzigen, zerrissenen Militäruniform ohne Rangabzeichen, die mal einem polnischen Gefreiten gehört hatte. Nein, der Anblick war es, der ihm zu schaffen machte. Ohne Strom, ohne fließendes Wasser und mit mangelnden sanitären Einrichtungen, in engen, niedrigen Zelten vegetierten dreitausend Menschen an der Grenze zur Tschechoslowakei vor sich hin, unfähig ihr Schicksal zu ändern.

In der UN lief seit Jahren eine Debatte über eine Intervention mit Truppen, um die neun Länder, die noch immer vom Bürgerkrieg erschüttert wurden, zu befrieden.

Aber die Soviets blockten jeglichen Vorstoß, sei es mit NATO- oder Blauhelm-Truppen rigoros ab. Tatsächlich betrachteten sie dieses Gebiet als ihr persönliches Einzugsgebiet. Was dazu führte, dass es jedes Jahr schlimmer wurde. Rotes Kreuz und Amnesty International legten jedes Jahr noch schrecklichere Berichte über die Situation in den Lagern vor.

Der letzte Bericht von Amnesty International war mit einem zynischen Schlusswort unterschrieben worden, wie sich Thomas erinnerte. Das Problem würde sich binnen von drei Jahren von selbst erledigen, weil die Menschen in den Lagern dann an Seuchen, Unterernährung und Gewalt längst umgekommen sein würden.

Und wenn Thomas all das Elend sah, musste er zustimmen. Wenn es hier noch schlimmer wurde, dann waren die Menschen verloren.

Nach außen hin verzog er keine Miene, wirkte kalt, unnahbar und zielstrebig. Aber innerlich fragte er sich verzweifelt, was er selbst, was Mithril hier tun konnte. Doch dieses Lager war nur eines von hunderten. Und beinahe täglich entstanden neue. Die Situation war verfahren.
 

"Pjotr?"

Kramer fuhr herum. Ein Mann, der die gleiche Uniform trug wie er selbst, hatte ihn angesprochen. "Dimitri?"

Russische Namen für Männer in polnischen Uniformen. Wie ironisch.

Der Mann nickte. "Richtig. Wo hast du so lange gesteckt?"

"Ich hatte zu tun", schloss Kramer barsch.

Der andere nickte nur und ging vor. Der Captain von Mithril folgte.

Sie kamen zu einem großen Zelt, an dessen Wänden das Rote Kreuz prangte. Im Innenraum versuchten die wenigen Hilfskräfte, so gut sie es konnten um die Gesundheit der Menschen zu kämpfen. Aber es mangelte an allem: Medikamenten, Personal und Ausrüstung.

Einzig Patienten gab es im Überfluss.

Sie gingen an zwei erschöpften Ärzten vorbei und verließen das Zelt durch den Hinterausgang. Dort schloss sich ein weiteres Zelt an, das als Lagerraum diente.

Dimitri öffnete eine Bodenklappe und stieg in die Tiefen hinab, Kramer folgte ohne zu zögern.

Ihn erwartete eine handfeste Überraschung. Nach ein paar hundert Metern in einem Kriechgang gelangten sie in einen Hangar. Dessen Ausmaße waren, nun, gigantisch.

"Willkommen, Captain Kramer", begrüßte ihn ein großer bärtiger Mann in der Uniform eines Obersten der polnischen Armee. In Gedanken verglich Kramer das Bild mit dem Dossier, das er erhalten hatte und kam zu dem Schluss, dass er an der richtigen Adresse war. "Oberst Schultz."

"Kommen Sie, kommen Sie, hier redet es sich schlecht." Der Bärtige ging voran, Thomas´ bisheriger Begleiter, der ihn abgeholt hatte, verließ sie und ging auf eine Gruppe Männer zu, die zwischen zwei Arm Slaves der Savage-Klasse um einen Kocher saßen.

Schultz führte ihn in ein Büro und bedeutete ihm, sich zu setzen.

"Kaffee?"

Thomas schüttelte den Kopf. Es erschien ihm nicht richtig, sich hier einen Luxus wie Kaffee zu gönnen, während er erst durch das Elend da oben gegangen war.

"Jaja", meinte der Mann, der zu den besten Auslandsagenten des Bundesnachrichtendiensts gehörte und nickte verstehend, "beim ersten Mal ist es ein Anblick, der einen aus den Latschen haut."

Der Oberst schenkte Thomas einen Kaffee ein und stellte ihm den Becher hin.

Automatisch griff er danach.

"Der Punkt, warum ich Sie kommen ließ, Kramer, ist, dass der BND alleine die Situation nicht handhaben kann. Nach zwei Jahren intensiver Nachforschung können wir endlich belegen, wer zumindest zum Teil die Unruhen und den Bürgerkrieg schürt. Ich habe diese Informationen an mein Hauptquartier weitergereicht, aber die Antwort war simpel: Wir sind zum beobachten hier, nicht zum kämpfen."

"Was ist das hier für ein Ort, wenn ich fragen darf?"

"Eine ehemalige Kaserne der Soviets, als sie noch glaubten, Bulgarien wäre fest in ihrer Hand. So kann man sich irren, was? Sie sollte als Anlaufstelle für Elitetruppen dienen um in einem Schwenk in der Türkei, Griechenland und Italien einfallen zu können, wenn der große Krieg beginnt. Tja, nun haben sie ihren Krieg, nur ein wenig anders als sie vielleicht gedacht haben."

"Verstehe. Ist dieser Ort sicher?"

"Er war geheim und ist es immer noch. Dennoch haben wir zwei Ausweichverstecke und können notfalls die Arm Slaves da draußen bemannen. Außerdem haben wir ein gut funktionierendes Kamerasystem unter permanenter Überwachung."

"Gut." Thomas trank einen Schluck Kaffee. Er schmeckte wie dieser Ort: Leer und fade.

"Wie ich schon sagte", nahm der Oberst den Faden wieder auf, "darf ich nicht aktiv werden. Aber Mithril kann es."

"Deswegen bin ich hier, nicht wahr?"

"Deswegen sind Sie hier, Captain."

Die beiden Männer musterten sich einen kurzen Augenblick. Dann nickte der Oberst. "Gut. Das Problem ist, dass es... Interessenten in Deutschland gibt, die wollen, dass der Bürgerkrieg weitergeht."

"Interessenten? Aber wer hat ein Interesse daran, dass Europa weiterhin destabilisiert wird? Ein Interesse daran, dass dieser Flächenbrand das eigene Land erreichen könnte?"

"Die Waffenlobby. Deutsche, französische, britische und amerikanische Firmen testen hier ihr experimentelles Equipment unter realen Bedingungen. Das ist ein Markt, den wir nicht unterschätzen dürfen.

Deshalb kann ich hier nicht eingreifen, weil Menschen mit Macht auf meine Vorgesetzten einwirken.

Übrigens testen auch die Soviets hier ihre Waffen, und das mit Erfolg. Meine Leute haben in diesem Jahr schon zwei neue Savage-Modelle beobachten können. Sie sehen aus wie die alten Modelle, sind aber sehr viel kampfstärker. Mit einem M6 können sie problemlos mithalten."

Kramer lachte rau auf. Die Waffenlobby also. Einer seiner Gründe für den Beitritt zu Mithril waren diese Machenschaften gewesen. Sie wollte er unterbinden, um den Menschen in den Lagern ihre Heimat wiedergeben zu können.

"Also", sagte Thomas ernst, "was haben Sie für mich?"

Der deutsche Oberst in der polnischen Uniform griff unter seinen Schreibtisch und holte eine dicke Akte hervor. "Vasili Vassilijewitsch Kumanow. Waffenhändler und Kommunalpolitiker. Und nach allem was wir wissen der hiesige Verbindungsmann einer geheimnisvollen Organisation namens Amalgam."

Kramer fühlte wie ihm ein kalter Schauder über den Rücken ging. "Von denen habe ich schon was gehört", sagte er leise.

"Aus Deutschland höre ich kaum etwas über sie. Es ist als gäbe es diese Truppe gar nicht. Meine Hinweise auf sie werden abgetan. Und genau deshalb interessiere ich mich für sie."

Thomas nahm die Akte auf und begann darin zu blättern. "Er verkauft Waffen."

"Richtig, und das zu einem verdammt günstigen Preis. Er füttert den Waffenmarkt regelrecht. Andere Waffenhändler haben bereits versucht gegen ihn vorzugehen. Aber seine Leibwache ist zu stark. Sogar eine ehemalige reguläre Regierungseinheit wurde von denen vernichtet. An dem Punkt bin ich auch auf Kumanow aufmerksam geworden und habe mich gefragt, wie dieser Mann seinen Umsatz macht. Oder ist er gar nicht am Waffenhandel an sich interessiert?

Weitere Nachforschungen haben das hier hervor gebracht. Studieren Sie die Akte aufmerksam. Sie wird dieses Büro niemals verlassen."

Kramer nickte automatisch. Blaupausen von Kumanows Villa, Verteidigungsparameter. Stärke seiner persönlichen Garde, sein Besitz, seine Lagerhäuser, Namen wichtiger Mitarbeiter sowie der vier Arm Slave-Piloten, die für ihn arbeiteten. Eine Menge Informationen.

"Irgendwie glaube ich, dass Sie hier nicht mehr auf diesem Posten sitzen würden, wenn Sie das hier nach Bonn weitergeleitet hätten", murmelte Thomas leise.

"Ich sehe, wir verstehen uns." Der Oberst sah zufrieden aus. "Hören Sie, Captain, vielleicht erweise ich der eigenen Wirtschaft einen schlechten Dienst. Vielleicht verstoße ich gegen Befehle. Aber ich bin schon viel zu lange hier um noch länger nur zusehen zu können. Die Menschen da oben können zwei Dinge gebrauchen: Ein Dach über dem Kopf und Frieden. Beides erreichen wir nur, wenn hier jemand die Ordnung wiederherstellt. Bulgarien ist groß und die Grenzen sind verwischt, seit der Bürgerkrieg von Aserbaidschan herüber geschwappt kam. Die Clans bekämpfen sich ebenso wie die verschiedenen Fraktionen der zerbrochenen Nationalarmee, die verschiedenen Parteien bis hinunter zu den unterschiedlichen Volksgruppen. Bei der letzten Zählung sind wir auf neunzehn ernst zu nehmende Fraktionen gekommen, und das ohne Polen und die Gruppen anderer Nachbarländer zu zählen, die teilweise auf bulgarischem Gebiet aktiv sind."

Thomas Kramer kannte die Geschichte. Als relativ friedliches und Moskau verbundenes Land war Polen bisher vom Krieg verschont geblieben. Aber nach fünf Jahren Horror und Elend hatte Polen es seinen Soldaten und Offizieren freigestellt, freiwillig in den Bürgerkrieg einzugreifen.

Viel hatten sie nicht erreicht, aber wenigstens tauchten hier und da polnische Uniformen in den Lagern auf und sorgten für eine gewisse Ruhe und Ordnung.

Thomas verstand mit einem Mal die Symbolik der Uniformen, welche Oberst Schultz und seine Leute trugen. Erstens fielen sie als Fremde nicht in dem Maße auf und zweitens brachten sie ihre Gesinnung zum Ausdruck.

"Das Lager und die Ärzte da oben", begann Thomas.

Der Oberst nickte. "Ja, wir zweigen einen Teil unseres Budgets ab, um diese Versorgung zu finanzieren. Wir haben das Lager ursprünglich über dem Hangar errichtet, um unser Versteck zu tarnen, aber Sie sehen ja, was draus geworden ist."

"Ich verstehe."

Kramer schloss die Akte wieder und schob sie zurück. "Und was genau erwarten Sie von Mithril, Oberst Schultz?"

"Was kann Mithril tun?"

Thomas Kramer lächelte dünn. "Mithril könnte ein paar Arm Slaves ausschicken, um diesem Kumanov auf den Zahn zu fühlen. Wenn er wirklich Verbindungen zu Amalgam hat, dürfte das interessant werden. Und wenn wir so ein paar Kampfeinheiten von der Grenze und damit von den Lagern fortziehen können, würde Ihnen das auch helfen, oder?"

"Ich sehe, wir verstehen uns. Den Rest lege ich in Ihre Hände, Captain Kramer."

Die beiden erhoben sich.

"Ich wünsche Ihnen viel Glück, Captain Kramer."

"Ich wünsche Ihnen Erfolg auf der ganzen Linie, Oberst Schultz."
 

2.

Als Thomas Kramer die Aufnahmen aus den Akten und aus dem Lager vorführte, erlebte er ein merkwürdiges Phänomen: Seine Leute hielten bei einer Besprechung ausnahmslos die Klappe.

Das Leid, das Elend der Menschen, die katastrophalen Bedingungen unter denen sie lebten, ließ sie verstummen.

"Erlaubnis, offen sprechen zu dürfen, Sir", meldete sich Lieutenant Rogers zu Wort.

Thomas nickte der großen Blonden zu. "Erteilt."

"Was tun wir dagegen? Was tut Mithril dagegen?"

"Nichts", antwortete Thomas.

Captain Sergej Karasov, Chef der Bordinanterie, zog bei diesen Worten die Augenbrauen zusammen, sagte aber nichts.

"Nichts? Aber..."

"Es ist wie folgt", dozierte Thomas ernst, "die Unruhen umfassen neun ehemalige Ostblockstaaten. In ihnen werden regelmäßig rund fünftausend Arm Slaves eingesetzt, dazu kämpfen zwei Millionen Soldaten und Paramilitärs wie Nationalgarden, Polizei und Guerillas.

Durch die andauernden Kämpfe liegen die Industrien der beteiligten Länder am Boden. Es gibt keine Arbeit mehr. Sichere Regionen, in denen nicht gekämpft wird, sind auch eher selten.

Es gibt ländliche Bereiche, die ohne Interesse für die kämpfenden Parteien sind - oder die wohlwollend geschont werden, weil in ihnen Nahrungsmittel angebaut werden. Tatsächlich könnten diese neun Nationen achtzig Prozent Selbstversorgung garantieren, wenn nicht ein Großteil der Ernten von den Armeen und Milizen konfisziert werden würde.

Das Ergebnis sehen Sie alle. Flüchtlingsströme zu den Grenzen der friedlichen Länder, wo sie in Lagern auf eigenem Staatsgebiet gesammelt und anschließend mit Hilfslieferungen versorgt werden.

Das ist den westeuropäischen Staaten lieber, als ein, zwei Millionen Menschen in ihre Länder zu lassen."

"Aber das ist nicht..."

"Das ist nicht unsere Entscheidung. Selbst Mithril kann keine zweihundert Millionen Menschen versorgen. Geschweige denn beschützen. Das ist die traurige Wahrheit, Lieutenant Rogers."
 

Captain Kramer ließ den Film weiter vorspulen. "Kommen wir zu Dingen, die wir tun können. Was Sie hier sehen, sind Aktenauszüge über den Aufbau der Wohnanlage des Waffenhändlers Vasili Vassilijewitsch Kumanow, einem der größten Anbieter vor Ort.

Unser BND-Kontakt hat die berechtigte Vermutung geäußert, dass Kumanow Kontakte zu Amalgam hat."

Thomas wartete das erschrockene Raunen seiner Leute ab, bevor er fort fuhr. "Und selbst wenn sich das nicht bewahrheiten sollte, bleibt er immer noch der größte Waffenhändler in der Region. Wir haben die Erlaubnis bekommen, das Anwesen anzugreifen und Kumanow zu fangen. Des Weiteren sollen wir sämtliche Daten sichern, um die Kontakte zu Amalgam zu verifizieren und mehr über diese Organisation zu erfahren."

Neue Bilder erschienen hinter Kramer. "Wie Sie sehen, Ladies und Gentlemen, haben wir es mit einer gut ausgebildeten Kompanie Infanterie zu tun, die in befestigten Stellungen hockt. Raketenwerfer, MG-Nester, Minenfelder.

Dazu kommen vier M6 aus amerikanischer Fertigung. Wir wissen einiges über die Piloten, über ihr Verhalten im Kampf und dergleichen. Es wird definitiv schwer, aber nicht unmöglich."

"Eine Frage, Sir", meldete sich Yussuf Ben Brahim zu Wort, "gehen wir mit allen Maschinen rein? Ich frage ja nur, weil wir noch keinen Ersatz für Cyrus haben."

Thomas Schneider erstarrte. Er hatte den Tod seines Flügelmanns in der Westsahara noch immer nicht verdaut. Das Soldatenleben war leider so, dass man am Morgen noch zusammen frühstückte und den Kameraden abends dann zu Grabe trug. Falls noch was übrig war, was man begraben konnte. Für Cyrus hatte es nur einen symbolischen Sarg gegeben, denn sein Mörder, ein Venom-Pilot, hatte mit Hilfe des Lambda Drivers nicht genug übrig gelassen, um wenigstens eine Urne zu füllen.

"Wir kriegen einen Ersatz für die Mission, Sergeant. Wir haben zwei Tage für die Vorbereitung. Wir gehen Samstag raus, lassen uns von Hubschraubern hinbringen. Danach vernichten wir die Abwehrstellungen, um Karasovs Jungs zu erlauben, in die Villa einzudringen. Die raffen alles an sich, was für uns relevant erscheint, mit etwas Glück sogar Kumanov. Anschließend gehen wir wieder raus. Die Aktion sollte ohne An - und Abflug nicht länger als dreißig Minuten dauern. Wir überwachen die Umgebung mit einem Satelliten, um über die Bewegungen von möglicherweise mit Kumanov verbündeten Einheiten in der Region informiert zu sein. Aber Ihr wisst ja, unsere Stärke ist die Improvisation."

"Mit anderen Worten", meldete sich Samantha Rogers zu Wort, "kein Plan überlebt den Kontakt mit der Realität."

"So in etwa."

"Sir, eine Frage: Warum greifen wir so kurzfristig an? Warum auf einem Samstag?", meldete sich Jasmin Smith zu Wort.

"Nun, Corporal, wir beginnen diese Mission etwas überhastet, weil der Pilot leider nur Samstag für uns Zeit hat. Sonntag hat er ein Schulfest."

"Was, bitte?", rief Sergeant Ciavati erstaunt. "Was hat man uns jetzt wieder aufs Auge gedrückt?"

Lieutenant Colonel Santos, der die Besprechung bis dato wortlos verfolgt hatte, nickte Thomas Kramer zu und ging zu ihm. Die Bilder an der Leinwand wechselten und zeigten nun einen Arm Slave und den dazu gehörigen Piloten. "Den hat man uns aufs Auge gedrückt. Gun-so Sousuke Sagara, der Pilot des Arbalest. Ich hoffe, er wird Sie nicht allzu sehr behindern, Sergeant Ciavati."

Die Italienerin schluckte trocken. "Wie gefährlich, sagten Sie, soll diese Mission gleich noch mal werden?"
 

3.

Es war später Vormittag, die FEANOR passierte gerade den Bosporus-Isthmus, um in Position für den Start der Hubschrauber zu gelangen. Thomas brütete über diversen Dokumenten und Anforderungsbescheiden. Papierkrieg. Oh, er hasste Papierkrieg. Lieber legte er sich mit einem Venom an, als... Na, vielleicht war der Papierkrieg doch nicht so übel.

Es klopfte, und Kramer bat automatisch herein. Er sah erst auf, als sich jemand in grüner Felduniform vor seinem Schreibtisch aufbaute und den rechten Arm zum Salut hochriss.

"Sergeant Sousuke Sagara, ich melde mich zum Dienst, Captain!"

Kramer war beeindruckt. Erstens vom ernsten Gesicht, das Sousuke Sagara machte, zweitens von dem sehr exakten Salut und drittens von der Tatsache, dass Sagara sich selbst Sergeant genannt hatte, anstatt Gun-so, wie sein Rang auf japanisch lautete.

"Stehen Sie bequem, Sergeant Sagara."

"Sir." Die Haltung, die der junge Mann als bequem verstand, hätte in manchen Armeen als vorbildliches Strammstehen gegolten.

Kurz rief sich Thomas Kramer wieder ins Gedächtnis, was er über den jungen Mann wusste. Vor seiner Zeit bei Mithril war er aus Gründen, die nicht näher beschrieben wurden, in Helmajistan gelandet, wo er seine Eltern verlor und zum Kindersoldaten gegen die sovietischen Besatzer ausgebildet worden war. In diesem Gebiet war er ziemlich erfolgreich gewesen, hatte sogar ein natürliches Talent für Arm Slaves bewiesen und war in jungen Jahren dank seiner überragenden Reflexe einer der besten Arm Slave-Piloten der gesamten Bewegung geworden. Danach kam sein Wechsel zu Mithril, seine viel versprechende Karriere in Tai-sa Testarossas Truppe, etliche spektakuläre Erfolge, und, und, und...

Was nicht in der Akte stand, das war gewesen, was für ein Mensch Sousuke Sagara, Sergeant, eigentlich war. Himmel, er war achtzehn, aber hatte schon so lange wie Kramer selbst im Militär gedient, wenn man seine Guerilla-Zeit hinzurechnete.

Irgendwie brachte Thomas den Mann aus der Akte und den zornig dreinblickenden Jungen mit der Narbe auf dem linken Wangenknochen nicht miteinander im Einklang. Bei allen Erfolgen, was für ein armseliges Leben hatte dieser junge Mensch bisher geführt?

Okay, aber das war nicht sein Problem.

"Bitte setzen Sie sich, Sergeant Sagara", sagte Thomas schließlich resignierend, als sich Sagaras wilde Entschlossenheit zeigte, seine unbequeme Haltung nicht aufzugeben.

Der Mann aus der Pazifik-Division nickte und nahm Platz. Doch selbst auf dem Stuhl wirkte er steif.

"Sergeant Sagara, hat man Sie über die Hintergründe und Details der Operation Russischer Bär informiert?"

"Sir! Ein Überraschungsangriff auf den Besitz des Waffenhändler Kumanov, eine großzügig ausgelegte Villa mit großen Lagerhallen, patrouillierenden Arm Slaves vom Typ M6 sowie befestigten Stellungen für eine Kompanie gut ausgebildeter Infanterie! Der Plan sieht vor die Stellungen der Infanterie auszuradieren, die M6 in Einzelduellen zu erledigen und der Infanterie zu erlauben, in die Villa sowie die unterirdischen Bunkeranlagen einzudringen. Ziel ist zu beweisen, dass Kumanov mit Amalgam zusammenarbeitet. Boni der Aktion sind die Gefangennahme des Waffenhändlers, die Zerstörung seiner Handelswaren auf dem Villengelände sowie die Unterlagen, auf die unsere Infanterie treffen wird! Aktionsfenster für den Angriff sind dreißig Minuten, plus minus fünf Minuten Toleranz! Die beteiligten Einheiten sind..."

"Gut, Sergeant Sagara", unterbrach Thomas den Wortschwall des eifrigen jungen Mannes. "Wie ich sehe, sind Sie bestens informiert. Da Sie Sergeant Doherty ersetzen müssen, meinen ehemaligen Flügelmann, erlaube ich mir, Sie an meine Seite zu holen. Wir gehen da als Team ran."

"Es ist mir eine Ehre, Sir."

"Übertreiben Sie nicht so, Sagara. Der Pilot des Arbalest sollte sich eher der Tatsache bewusst sein, dass es für uns eine Ehre ist, dass er die FEANOR und dieses Team mit seiner Mitarbeit erfreut."

"Erlaubnis, offen sprechen zu dürfen, Sir."

Thomas Kramer runzelte die Stirn. Da war sie wieder, seine alte Befürchtung, seit sie mit aller Kraft versucht hatten, die FEANOR in Dienst stellen zu dürfen. Die Angst, doch nicht gut genug zu sein. Die Angst, zweitklassig zu sein. Die Angst, genau das ins Gesicht gesagt zu bekommen. "Erlaubnis erteilt, Sagara."

"Sir. Ich empfinde den allergrößten Respekt für Sie persönlich und Ihre Einheit. Dies war einer der Gründe aus denen ich für diese Operation zugesagt habe. Ich hätte nie gedacht, dass es jemand schaffen würde, einen Lambda Driver ohne eigenen Lambda Driver zu besiegen! Sie haben es geschafft! Außerdem hat sich diese Arm Slave-Einheit in allergrößter Not geordnet und professionell zurückgezogen, anstatt in Panik und Konfusion zu zerfallen! Und das, ohne ihre Verwundete zurückzulassen! Sir!"

"Das war nur Glück, Sagara", wiegelte Thomas ab, während er gleichzeitig mit aufkeimendem Stolz kämpfen musste, der ihm einreden wollte, besser zu sein als er sich selbst sah.

"Es ist dumm, sich im Gefecht auf sein Glück zu verlassen, aber es ist gut, es zu haben! Sir!"

Thomas winkte ab. "Schon gut. Falls wir diesmal auf Venoms treffen, haben wir ja Sie dabei, Sagara. Ich überlasse Ihnen die Lambda Driver ohne mit der Wimper zu zucken."

Kurz huschte eine Emotion über das wütende Gesicht des Sergeants. Thomas Kramer blinzelte. Hatte der junge Mann gerade... Kurz gelächelt?

"Keine Einwände, Sir!"

"Gut. Treten Sie weg und suchen Sie Ihre Koje auf. Wir brechen in zwei Stunden auf. Der Flug selbst wird eine Stunde dauern, der Rückflug ebenfalls eine Stunde. Wir sollten also vor Sonnenuntergang wieder hier sein. Und Sie sollten um Mitternacht bereits wieder in einem Learjet sitzen, der Sie nach Hause fliegt. Die Zeitverschiebung eingerechnet sollten Sie es zu Ihrem Schulfest schaffen, Sagara."

"Danke, Sir."

"Also schlafen Sie etwas. Sie werden jede ruhige Minute bitter brauchen können. Aber gestatten Sie mir eine persönliche Frage, Sergeant Sagara Sousuke: Was ist an diesem Schulfest so wichtig für Sie?"

Für eine Sekunde wirkte Sagara verlegen. Die starre Miene brach auf und beinahe hätte Thomas erwartet, der junge Mann würde entschuldigend lächelnd.

Doch anscheinend betrachtete der junge Sergeant dies als Entgleisung, denn er setzte sich wieder aufrecht auf seinen Stuhl und rief: "SIR! Als Mitglied des Schülerrats habe ich wichtige Pflichten auf diesem Schulfest!"

Kurz dachte Thomas Kramer darüber nach, ob sich eine Diskussion über Sinn und Zweck eines Schulfestes im Vergleich zu Sinn und Zweck ihrer Aktion lohnte, aber dieser junge Mann hatte seit seiner Kindheit in einem Guerillakampf gedient. Er kannte herunter gekommene Flüchtlingslager. Er kannte Hunger, Elend, Durst, Soldatenwillkür und Hass. Er kannte wahrscheinlich sogar Dinge, die er selbst, Thomas Kramer, aufgewachsen im weitestgehend friedlichen Westeuropa, niemals machen wollte, geschweige denn davon hören.

Darum rieb er sich nur nachdenklich am Kinn. Ein einigermaßen friedfertiges Leben war diesem jungen Mann eindeutig zu gönnen, vor allem bei der Extrabelastung als Pilot des Arbalest. Wenn er denn ein Privatleben hatte, entgegen Kramers erstem Eindruck, dann nahm sich der Deutsche vor, es ihm auch zu gönnen.

"Nun, Sergeant, seine Pflichten zu kennen und sie wahrzunehmen ist wichtig. Egal ob dies bei Mithril ist oder in Ihrem Privatleben." Thomas klatschte in die Hände. "Na, dann wollen wir mal dafür sorgen, dass Sie nicht wortbrüchig werden. Ab in die Koje mit Ihnen, Sergeant!"

Der junge Mann sprang auf und salutierte. "Jawohl, Sir!"

"Sie können gehen, Sergeant Sagara."
 

Der junge Mann legte eine perfekte Wende hin, ging zur Tür. Dort verharrte er.

"Ist noch etwas, Sagara?", fragte Thomas.

"Sir, es ist... Spielen Sie Fußball?"

"Wie kommen Sie jetzt darauf, Sagara?"

Der Sergeant wandte sich halb um; er hatte die Stirn gerunzelt. "Nun, So-sho Mao hat mir aufgetragen dafür zu sorgen, dass Sie diesmal den Ball flach halten, darum frage ich mich, ob Sie Fußball spielen oder die FEANOR eine eigene Mannschaft hat."

Thomas, der gerade einen Schluck Kaffee genommen hatte, prustete los. Mit dem Ergebnis, dass ihm die schwarze Brühe durch die Nase schoss und seine Dokumente ruinierte.

Thomas befreite den Rachen mit einem verlegenen Husten. "Ich denke, ich weiß, was Melissa gemeint hat, Sagara. Und nein, die FEANOR hat keine eigene Fußballmannschaft. Sie hat drei. Auf dem gesamten Styx-Stützpunkt gibt es zehn, genügend für eine eigene Liga. Aber darüber können wir während des Flugs reden. Gehen Sie jetzt schlafen, Sagara."

"Sir." Der junge Mann nickte und verließ den Raum.
 

Thomas Kramer sah ihm lange nach. Er verzog das Gesicht zu einem Schmunzeln. Und er bedauerte es, dass er nur in einen einzigen Einsatz mit dem Piloten des Arbalest gehen konnte.

Kurz entschlossen erhob er sich und verließ sein Büro. Auch er hatte noch zwei Stunden Zeit, bevor der Einsatz begann.

**

Äußerlich unterschied sich der M9 Gernsback nicht von den Modellen, die Thomas und seine Leute benutzten, zumindest nicht auf den ersten Blick. Aber die unauffällige Metalltafel unter dem Cockpit, auf dem Sagaras Name stand, sprach Bände.

"Du bist also der Arbalest", sagte der Captain und legte eine Hand auf das kalte Metall.

"Positiv, Captain Kramer."

Thomas sah hoch zum Sensorkopf, der kurz rot aufleuchtete. "Deine KI ist aktiv?"

"Positiv, Captain Kramer. Ich fahre im Moment Selbstdiagnosen. Letzten Monat kam es partiell zu Ausfällen des Lambda Drivers. Ich versuche, die Ursache zu finden."

"Ausfälle? Lambda Driver? Ich dachte, diese Dinger sind unbesiegbar."

"Positiv. Wenn sie funktionieren."

Thomas runzelte die Stirn. "Hat dir dein Programmierer eine Subroutine für Humor einprogrammiert, Arbalest?"

"Mein Name ist Al, Captain. Nein, ich habe keine Subroutine für Humor."

"Dann hat er eine Menge Ironie besessen", bemerkte Thomas sarkastisch.

"Positiv, Captain Kramer."

Überrascht sah er zu dem Sensorkopf auf. "Für eine künstliche Intelligenz bist du bemerkenswert, Al."

"Ich gleiche nur die Defizite meines Partners aus, Captain."

Thomas runzelte die Stirn. "Witziger als Sagara zu sein ist nicht besonders schwer."

"Positiv, Captain."

"Du weißt schon, dass Offizieren im Rang eines Captains an Bord von Schiffen eine Beförderung ehrenhalber zugestanden wird, solange sie auf dem Boot sind? Damit es nur einen Captain gibt?"

"Ich erfasse gerade keinen Captain, den ich damit beleidigen könnte, Captain."

Misstrauisch sah der Deutsche zu dem Sensorkopf hoch. "Du verarschst mich gerade, oder?"

Stille antwortete ihm.

Als er den Blick gerade abwendete, sagte Al verspätet: "Positiv, Captain."

Thomas Kramer schmunzelte, verschränkte die Arme ineinander und lehnte sich gegen das Knie des Arbalest. "Mehr Humor als Sagara hast du schon mal. Schlagfertiger bist du auch. Wie sieht es mit deinem Wissensschatz aus? Was hast du da drauf?"

"Möchten Sie etwas Konkretes wissen, Captain?"

"Hm, ja, du bist mit dem Lambda Driver ausgerüstet, richtig?"

"Positiv, Captain."

"Wie funktioniert der Lambda Driver eigentlich? Ich habe zwar schon einem Arm Slave mit dem Driver gegenüber gestanden, aber ich habe nie so richtig begriffen, was ihn so mächtig macht. Und warum."

Thomas legte den Kopf in den Nacken und sah aus seiner unbequemen Haltung dem Arm Slave hinauf. "Tschuldigung. Du darfst sicher nicht über solche Informationen reden, weil sie geheim sind."

"Da Sie Offizier sind, ist es mir erlaubt, Ihnen diese Daten zukommen zu lassen. Sie sind nicht besonders geschützt."

Überrascht sackte Thomas einen halben Meter ab, bevor er seine Füße fest auf den Boden stemmen konnte. "Was? Nicht besonders geschützt? Aber dann kann sich ja jeder Trottel einen Offiziersrang bei Mithril erschleichen und dich ausquetschen."

"Das Problem ist nicht ein Trottel im Offiziersrang bei Mithril zu sein, Captain", sagte der Arbalest, und erneut fühlte sich Thomas von der KI tüchtig hochgenommen. "Das Problem ist, das weltweit nur fünf, vielleicht sechs Menschen das Funktionsprinzip verstehen und erklären können. Es ist komplex und interdisziplinär."

"Autsch", brummte der Deutsche. "Ich würde es also nicht verstehen?"

"Das weiß ich nicht, Captain. Wie fit sind Sie in Quantenmechanik, höherer Physik und Quigong?"

"Quigong?"

"Quigong", bestätigte Al.

"Da ich auf keinem der Gebiete einen Doktortitel habe, nicht so gut. Also verstehe ich es nicht."

"Negativ, Captain. Sie werden sicherlich nicht die Formel verstehen, nach denen ein Lambda Driver in Resonanz mit einem Piloten arbeitet. Aber eine Definition verstehen Sie sicherlich."

Abwehrend hob Thomas eine Hand. "Auszeit, Al. Einiges kann ich mir jetzt selbst zusammenreimen. Du hast Quigong gesagt, also geht es um körpereigene Energie, deren Steuerung und Produktion, vielleicht sogar deren Projektion. In Bezug auf den Driver könnte auch Aura eine Rolle spielen."

"Das ist simpel ausgedrückt, aber korrekt, Captain."

"Dann erwähntest du höhere Physik. Ich denke nicht, dass wir schwache und starke atomare Kraft zusammenführen müssen, um einen Lambda Driver zu erklären. Außerdem Quantenmechanik, also schätze ich mal, wir gehen hier richtig ins Detail - nämlich zu Wellen und Teilchen."

"Das ist ebenfalls simpel ausgedrückt und korrekt, Captain."

"Ich fasse mal auf meine simple Art zusammen. Es geht um Teilchen und Auras, richtig?"

"Ich bestätige die simple Art und einen Teilaspekt, Captain."

"Na, besser als nichts." Zufrieden sah er wieder den Arm Slave hoch. "Dann erklär es mir mal. Wie also arbeitet ein Lambda Driver? Wie kann er ein so umfassender Schutz werden? Wieso kann ihm nichts anhaben? Wenn der Wille des Piloten stark genug ist?"

"Ich denke, Sie wissen selbst schon recht gut, wie der Lambda Driver theoretisch funktioniert, Captain."

Thomas nickte bestätigend. "Dann will ich mal meine Theorie ausbreiten. Der Lambda Driver ist eine Art Verstärker. Verstärker für den Willen des Piloten. Nur was verstärkt er? Schön, wenn wir bereits energetische Schutzschirme erfunden hätten, aber das ist wohl Science Fiction. Was bleibt übrig? Auras. Die des Piloten und die des Arm Slaves. Ich schätze mal, es geht uns um die Aura des Arm Slaves, oder? Die ist größer und damit sicher leichter zu manipulieren."

"Alles mit einem elektromagnetischen Feld etabliert eine Aura, Captain. So weit liegen Sie richtig."

"Gut. Ich habe den Driver mit eigenen Augen gesehen, wie er aufgeglüht hat, als er Waffenfeuer abwehrte. Wie er Kugeln reflektierte und deren Explosionskraft enorm verstärkte. Es war beeindruckend und gespenstisch. Bei meinem Kampf gegen den Venom musste ich permanent in Bewegung bleiben, um nicht von meiner eigenen Munition zerstört zu werden. Wie aber kann eine Aura Kugeln aufhalten? Wie reflektieren?"

"Ich bin gespannt auf die Antwort, Captain."

Entschlossen trat Thomas gegen das Bein des Arm Slaves. "Hör auf mich hochzunehmen, Al. Ich bringe es mal auf den Punkt. Die Aura kann das nicht. Die Aura darf das wohl auch gar nicht können. Das ist ja Physik für Anfänger. Aber was benutzt man, um massehaltige Objekte zu stoppen?"

Applaus heischend sah der Deutsche hoch.

"Massehaltige Objekte!" Irritiert registrierte Thomas, dass er und Al zur selben Zeit die gleichen Worte ausgesprochen hatten.

"Im Prinzip", setzte er seinen Monolog fort, "sieht es so aus, als wäre die Aura des Arbalest nur eine Art Suchraster für den Driver. Genauer gesagt, sie ermöglicht die Manipulation von Materie. Und diese manipulierte Materie ist es, die dann die massehaltigen Objekte stoppt, von der Rakete bis zum Gewehrschuss."

"Vergessen Sie bei Ihrer Aufzählung nicht Kampfmesser, stumpfe Waffen und Laserfeuer, Captain."

"Laserfeuer?"

"Laserfeuer besteht aus Teilchen, genau wie Sonnenlicht. Sonnenlicht dringt in Wasser nur wenige hundert Meter ein, bevor die Teilchen des Lichts komplett reflektiert wurden. Ebenso verhält es sich mit Laserfeuer."

"Womit wir wieder beim Thema wären. Wir schmeißen dem Waffenfeuer - meinetwegen Laser - also Teilchen entgegen. Der Witz ist jetzt einfach, dass der Lambda Driver nicht eben mal eine Schutzwand aufbaut, was wohl auch viel zu energielastig und verlangsamend wäre. Nein, er benutzt kleine und kleinste Teilchen, um einen viel genaueren Schutz aufzubauen."

Thomas atmete tief durch. "Er konstruiert innerhalb der Aura aus ihm zur Verfügung stehenden Atomen eine Abwehrkette, welche die angreifenden Waffen auf dieser Ebene stoppt, absorbiert oder reflektiert."

"Das erklärt, warum eine reflektierte Waffe ein vielfaches des alten Vernichtungspotential aufweist", fügte Al hinzu. "Eine auf submolekularer Ebene zerstörte Kugel setzt wesentlich mehr Energie frei als sie durch Sprengkraft und Masse erreichen könnte. Trifft sie dann auf ein Ziel, ist die Wirkung fatal."

Thomas dachte an Cyrus, dessen Asche wohl genau in diesem Moment dreitausend Kilometer von ihm entfernt durch die unendliche Sahara wanderte und biss sich auf die Unterlippe. Da hatte er die Erklärung, warum von ihm und seinem M9 kaum etwas übrig geblieben war, nachdem der Venom Doherty mit dem Lambda Driver gerammt hatte.

"Im Prinzip muss man eine verdammte Kugel gar nicht mit einer Wand stoppen, oder? Auch so ein vermeintlich massives Ding besteht letztendlich aus Molekülen mit einer Menge Zwischenräumen. Man braucht einfach überall da, wo ein Molekül ist ein anderes, das es stoppt... Oder mehrere, bis es reflektiert wird."

Nachdenklich klopfte Thomas auf den lackierten Stahl des Arbalest. "Auch die Rolle des Piloten wird mir langsam klar. Von wegen, es hängt von seinem Willen ab, was? Es ist eher seine Konzentrationsfähigkeit. Je wütender, je konzentrierter er ist, desto stärker ist der Lambda Driver. Weißt du was ich glaube, Al? Der Driver macht sich die größte Rechenmaschine des bekannten Universums zunutze, um die atomare Verteilung der Abwehr zu berechnen - das menschliche Gehirn. Deshalb ist ein Driver, der von einem angsterfüllten Piloten benutzt wird, vergebens. Das Gehirn ist gelähmt, die Denkprozesse sind verlangsamt, anstatt fokussiert und unerschütterlich zu sein. Das hat meinem Gegner bei dem Erdrutsch das Leben gekostet. Unser Freund Sagara ist ein ganz besonders gutes Exemplar, wenn es darum geht, konzentriert zu sein. Seit seiner Kindheit Soldat, kann er stundenlang auf eine Aufgabe konzentriert sein, ignoriert alles andere um sich herum, was nicht zu dieser Aufgabe gehört. Wenn dann noch ein kleiner mentaler Pusch dazukommt, eine Emotion, die diese Konzentration noch erhöht, ihn noch mehr fokussiert, dann entfaltet der Driver seine wahre Macht.

Das erklärt auch, warum die Piloten von Amalgam Drogen nehmen müssen, um ihre Lambda Driver zu aktivieren. Ihre Fähigkeiten zur absoluten Konzentration sind bei weitem nicht so ausgeprägt, wie es die Driver bräuchten.

Na, wie nahe dran an der Wirklichkeit bin ich, Al?"

"Gut genug, dass ich Sie jetzt sofort eliminieren werde, weil Sie ein Geheimnis entdeckt haben, dass Mithril zerstören könnte, Captain."

Entsetzt sackte Thomas auf den Fußboden, wo sein Hintern schmerzhafte Bekanntschaft mit dem Hangar der FEANOR machte.

"Das war nur ein Scherz, Captain."

"Behauptest du", brummte der Deutsche und stand langsam wieder auf.

Als er sich einigermaßen von dem Scherz erholt hatte, fragte er: "Was denkst du, Al, könnte ich einen Lambda Driver aktivieren?"

"Diese Frage ist müßig, Captain, da Mithril nur über einen einzigen Lambda Driver verfügt."

"Hm. Und was wenn uns einer in die Hände fällt?"

"Dann bekommen Sie vielleicht schneller als Ihnen lieb ist eine Antwort auf Ihre Frage, Captain."

"Deinen Programmierer würde ich zu gerne mal kennen lernen, Al."

"Ich rate davon ab, Captain. Man sagt ihm Humorlosigkeit nach."

Kopfschüttelnd wandte sich Thomas ab. "Ich glaube es nicht. Im Rededuell von einer Blechkiste besiegt. Da hat das Oberkommando ja ein tolles Team zusammen gespannt."

"Das habe ich gehört, Captain."

"Das solltest du auch hören, Al", rief Thomas, als er den Hangar verließ. Ohne sich umzusehen winkte er dem Arbalest. "Bis in zwei Stunden."

"Punkt für Sie, Captain."

Der Arm Slave-Pilot schmunzelte.

**

Sie war gefangen. Schlicht und einfach gefangen. Ihre Welt bestand aus Lichtgewittern, crescendoartigem Lärm, der entnervendem Kreischen wich, wiederum abgelöst von ängstigender Stille, untermalt von einer wahren Flut wechselnder Motive. Bilder, dreidimensionale Gebilde, Bewegungsabläufe, Falschfarben, Negativaufnahmen.

All das wechselte sich so schnell ab, dass sie schon seit Minuten nur noch japste, ihr Herz bis zum Hals rasen fühlte.

Warum hatten DIE sie hier eingesperrt? Was hatten DIE mit ihr vor? Warum wurde sie so gefoltert? Was versprachen sie sich davon, sie in den Wahnsinn zu treiben?

Ihr Körper schwelgte im Fieber, ihr Verstand bröckelte unter dem Bombardement der Farben, der Geräusche und der Informationen, die sie erlangte, die sie verließen.

Und in einem lichten Moment fragte sie sich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn DIE sie körperlich missbrauchen würden und nicht geistig.

Die Schmerzen, die Abscheu, die widerlichen Bewegungen, diesen Ekel vor sich selbst, all dem hätte sie vielleicht ausweichen können, es ignorieren können, in eine Traumwelt flüchten können, welche nur ihr alleine gehörte, und in die ihre Peiniger ihr nicht folgen konnten, egal was sie mit ihrem Körper anstellten. Auch wenn sie körperlich zerstört oder gar getötet worden wäre, dies wäre ihr eigenes Reich gewesen. Ihr letztes, katatonisches Refugium.

Aber das hier... Das was DIE ihr antaten, in ihrem Geist, in ihrem Verstand, davor gab es keine Flucht, gab es keine eigene Welt. Sie konnte sich nicht einmal auf diese kleine, eigene Art wehren, sich verschließen, denn dies war ja schon die Welt ihrer Gedanken. Sie spürte einfach, wie das, was sie ihren Verstand nannte, nach und nach weg bröckelte, wie ihr Körper zu Höchstleistungen getrieben wurde und darin zu versagen drohte. Sie sehnte den Kollaps herbei, das Vergessen, den Tod. Warum kam er nicht? Nichts und niemand würde sie retten, es gab nur diese eine, letzte Flucht. Aber würde sie diese Flucht antreten, bevor ihr Geist vollkommen zerrüttet war? Sie fühlte, wie ihr Leib sich aufbäumte, das Crescendo einen Höhepunkt erreichte, die Farben zu einem Kaleidoskop wurden, wie die Fesseln an den Gelenken sich gierig in ihre Haut fraßen. Wie ihr Herz stotternd den Kampf verloren gab. Wie die Schwärze kam...
 

4.

Die FEANOR lag gut gesichert auf dem Grund des schwarzen Meeres, knapp außerhalb des Seegebietes, das vormals von Rumänien als Staatsgebiet angesehen worden war. Dort hatte man die acht M9 Gernsback, die Transporthubschrauber und die sie begleitenden Kampfhelikopter starten lassen, um das Kampfgebiet in Bulgarien zu erreichen.

Dies war nun schon fast eine Stunde her. Unwillkürlich spannte sich Thomas Kramer im Sitz seines Gernsback an. Die Transporthubschrauber würden sie einen Kilometer vor dem Anwesen absetzen. Sobald sie das Gelände freigekämpft hatten, würden sie nachkommen und die Infanterie der FEANOR ins Ziel bringen. Und dann würde der Ärger erst losgehen. Wer würde schneller sein? Mithril beim Versuch, einen Waffenhändler zu schnappen und Beweise für eine Verstrickung der geheimnisvollen Organisation Amalgam im Bürgerkrieg zu finden? Oder die vielen militärischen und paramilitärischen Streitkräfte in dieser Region, denen die Ideale Mithrils in etwa so viel bedeuteten wie die Flüchtlinge in den Lagern?
 

Seufzend öffnete Thomas einen Funkkanal. "Falke eins an Urzu sieben."

"Urzu sieben hier. Ich höre, Falke eins."

"Sagara, für die Dauer der Operation übernehmen Sie das Rufzeichen Falke zwei."

"Verstanden, Captain. Urzu sieben heißt ab sofort Falke zwei."

Thomas nickte zufrieden. "Tragen Sie das Rufzeichen mit Stolz. Der Mann, der es vorher trug, starb für die Ideale Mithrils."

"Ich kenne die Akte von Sergeant Doherty, Sir", erwiderte der junge Mann aus Japan. "Es ist mir eine Ehre, sein Rufzeichen zu tragen."

"Aawwww, so wie das klingt, meinst du das wirklich ernst, was, Sousuke?", rief Samantha Rogers.

"Funkdisziplin, Falke fünf", tadelte Thomas grinsend.

"Was denn, was denn? Noch sind wir über den Laserrichtfunk verbunden, da kann uns sowieso niemand abhören. Diszipliniert kann ich später werden."

"Darauf warten wir seit Jahren, Lieutenant", warf Sergeant Ben Brahim lachend ein.

"Klappe", brummte Sam zurück.

"Lassen Sie sich nicht irritieren, Falke zwei. Diese kleinlichen Streitigkeiten sind nur temporär. Ab und an sind meine Leute auch mal vernünftig", murmelte Thomas schmunzelnd.

"Selbstverständlich. Keine halbherzige Einheit überlebt die Attacke eines Arm Slave mit Lambda Driver. Es ist mir eine Ehre, mit ihnen zu dienen."

"Der meint das wirklich ernst", rief Sergeant Ciavati erstaunt.

Natürlich meinte Sagara es ernst. Es entsprach genau seinem Wesen, genau zu sagen, was er dachte. Meistens.
 

"Falke eins an Wanderfalke eins. Wie weit noch?"

"Fünf Minuten, Falke eins. Machen Sie sich besser fertig."

"Verstanden. Also, Falken, macht euch bereit. Gleich geht der Spaß wieder los. Und das Beste ist, Ihr werdet auch noch dafür bezahlt."

"Äh, Captain, diesmal lauert hoffentlich kein Venom auf uns, oder?" Yasmin Smiths Stimme, der Flügelfrau von Ben Brahim, klang genervt, aber nicht ängstlich.

"Keine Sorge, Corporal. Diesmal haben wir ja unseren eigenen Lambda Driver dabei."

"Drei Minuten, Falke eins."
 

"Sagara, wie würden Sie eine Partikeltarnung aufdecken, wenn Sie keine Hightech haben?"

"Wie meinen Sie das, Falke eins?"

"Wie würden Sie, Sagara?"

"Fußspuren und Wasser."

Thomas nickte zustimmend. Daran hatte er auch gedacht. Den ersten Angriff würden sie getarnt durchführen. Wie aber verriet man einen getarnten Arm Slave? Entweder an seinen Fußspuren, oder durch einen Wasservorhang, in dem sich die Umrisse der großen Gernsbacks wunderbar abzeichnen würden.

"Womit würden Sie unsichtbare Arm Slaves abwehren?"

"Minen und überlappende Schussfelder."

Auch dazu nickte Thomas. "Haben das alle mitgekriegt? Ich gehe davon aus, dass ein Teil des Anwesens vermint ist. Wahrscheinlich mit Panzerminen, damit die Infanterie Kumanovs sich nicht durch eigene Dummheit selbst reduziert. Und ich rechne damit, dass ein Teil der Waffen auf bestimmte Abschnitte ausgerichtet ist, um einen erkannten Gegner mit mehreren Geschützen einzudecken.

Was tun wir dagegen, Sagara?"

"Wir setzen auf zwei Vorteile. Die Überraschung und unsere Geschwindigkeit."

"Eine Minute, Falke eins."

"Und: Unsere überlegene Waffentechnik sowie unser hervorragendes Training, Sagara."

"Bestätigt."

Thomas grinste. "Na, dann wollen wir mal, Falken. Der erste, der auf eine Mine tritt, bezahlt die erste Kiste Bier!"

**

Die Helikopter setzten die acht M9 auf einer Waldlichtung ab. Mit aktivierter Tarnung begannen die Falken ihre Jagd.

"Sam, Sie sitzen da in einer brandneuen Mühle. Schrotten Sie die bitte nicht auch", brummte Thomas und drehte vorsichtshalber die Lautstärke runter, um der harschen Antwort seiner Stellvertreterin zu entgehen.

In der Sahara hatte sie auf einen Venom geschossen. Dessen Lambda Driver hatte ihren Schuss reflektiert und dessen Zerstörungskraft um ein vielfaches potenziert. Es war reines Glück, dass sie überlebt hatte.

Sam Rogers reagierte wie erwartet und entlud einen derben und lauten Fluch über den Funk.

Thomas grinste knapp, bevor er die Lautstärke wieder hochfuhr. "Funkdisziplin, Falken. Vorgehen wie geplant."

"Verstanden!"

Seine Gruppe verhielt sich professionell, nahm sofort die geübten Positionen ein, während sie die weiten Waldwege entlang hetzten.

Thomas hatte sich für einen schnellen - einen verdammt schnellen - Anmarsch entschieden und setzte voll auf das Überraschungsmoment. Selbst wenn sie erwartet wurden, die Schrecksekunde gehörte ihnen und niemandem sonst.

Kurz sah er zur Seite auf einen Hilfsmonitor und erkannte dort den Arbalest. Er war direkt hinter ihm. Merkwürdigerweise beruhigte ihn das.
 

Schnell ließen sie den Wald hinter sich, kamen in Sichtweite des großzügigen Anwesens ohne zu stoppen. Thomas zoomte heran und sah, dass die Erde vor dem Grundstück vor Nässe triefte. Reifen hatten matschige Rillen gezogen und zeigten, dass das Umfeld der Villa regelmäßig patrouilliert wurde.

"Wir brechen direkt durch, Falken. Erwartet keine Gnade und gewährt auch keine."

Die Antwort war ein gebrülltes Jawohl und Dauerfeuer aus acht Arm Slave-Waffen auf alles, was als feindlich eingestuft werden konnte.

Thomas Kramer sah dabei zu, wie eine MG-Stellung regelrecht umgegraben wurde, während Ciavati darauf zuhielt.

Er selbst feuerte auf kein Ziel, noch nicht. Stattdessen benutzte er die MGs am Kopf, um den Boden vor sich umzupflügen. Schnell rauschten seine Salven bis zur Mauer, die das Grundstück umzäunte. Ein sicherer Weg ohne Minen. Vielleicht war das Gelände auch gar nicht vermint.

Ohne zu zögern rannte er den Weg hinauf, den seine Schüsse markiert hatten, den Arbalest dicht hinter sich. Dreihundert Meter neben ihm trat Ben Brahim auf eine Mine und musste schwer darum kämpfen, damit der Arm Slave nicht das Gleichgewicht verlor.

In der gleichen Sekunde setzten im Gras verborgene Wassersprenkler ein und zogen meterhohe Bögen.

Drei seiner Kameraden wurden durch den Wassernebel sichtbar.

"Tarnung aufheben. Bleibt vorsichtig, aber in Bewegung", rief er seinen Leuten zu.
 

"Falke zwei, sind Sie hinter mir?"

"Bestätigt, Falke eins."

Thomas führte seinen Gernsback bis an die hohe Mauer heran, beugte sich über sie und jagte eine Salve seines Gewehrs in ein wartendes gepanzertes Fahrzeug. "Ich springe jetzt über die Mauer. Geben Sie mir Deckung. Falke drei, Falke fünf, beginnt damit, die Abwehrstellungen auszuradieren. Falke sieben, gib uns Deckung und halte nach den Arm Slaves des Gegners Ausschau."

"Verstanden."

"Wir versuchen, eine sichere Landezone einzurichten, Falke zwei. Achten Sie dabei auf Fahrzeuge, die das Gelände verlassen."

Sagara antwortete nicht, aber drei Schüsse seiner Hauptwaffe zuckten knapp über die Schulter von Kramers Gernsback hinweg. Ein klobiger, feindlicher M6 sackte geköpft und perforiert in sich zusammen. Thomas hatte ihn noch nicht in der Ortung gehabt, weil der Gegner im toten Winkel auf zweihundertsiebzig Grad gewesen war. "Danke, Falke zwei."

"Gern geschehen."
 

Thomas wirbelte herum, ließ seinen M9 feuern, ein Panzerfahrzeug vernichten. Danach zog er mit den MGs am Kopf eine Spur über die Fenster der Villa, aus denen nun vereinzelt Infanterieraketen aufstiegen.

"Falke sieben hier. Habe einen M6 ausgeschaltet."

"Gute Arbeit, Falke sieben."

"Falke drei hier. Ebenso."

"Wie, noch keine zwei?"

"Sehr witzig, Falke eins."

Thomas schmunzelte. "Wanderfalke, Wanderfalke, macht euch langsam auf den Weg. Das Gelände ist fast gesichert."

"Hier Wanderfalke. Verstanden, Falke eins. Sie verstehen aber hoffentlich, dass wir in sicherer Entfernung warten, bis die endgültige Bestätigung kommt?"

"Wer rennt schon gerne wissentlich mitten ins Feuer?", kommentierte Thomas trocken.

"Arm Slave-Piloten", erwiderte der Hubschrauberpilot noch trockener.

"Punkt für Sie." Thomas riss seinen Arm Slave herum und feuerte auf kürzeste Distanz auf einen gedrungenen Savage, der eine hohe Halle auf dem Gelände verließ.

"Verdammt, es sollten doch nur M6 hier sein!"

Neben ihm jagte eine Garbe von Sagara in die Halle und warf einen zweiten Savage nach hinten. Auch nachdem der russische Arm Slave gefallen war, feuerte der Japaner weiter. Kramer riskierte einen Blick und sah einen M6 in der Halle, der unter den Einschlägen zuckte wie eine Puppe an den Fäden eines Puppenspielers mit epileptischem Anfall.

Als Sagara das Feuer einstellte, sackte der Arm Slave in sich zusammen.

"Hier Falke zwei. Habe einen M6 vernichtet."

"Ich habe es gesehen, Falke zwei. Wir nehmen uns jetzt die Raketen und die Infanteriestellungen vor."

"Verstanden."

Thomas sah auf die Uhr. Der Einsatz dauerte erst drei Minuten, und drei der vier M6 waren bereits vernichtet. Es waren zwar Savages auf dem Gelände, aber die konnten den M9 nicht gefährlich werden. Den Hubschraubern schon.

"Hier Falke eins an alle Falken. Sagt Bescheid, wenn Ihr den letzten M6 gesichtet habt. Und achtet auf weitere Savages."

Neben ihm feuerte Sagara die MGs am Kopf seines Arm Slaves ab, radierte eine MG-Stellung aus und trieb die Besatzung ins Freie.

Thomas selbst griff zu seiner Klinge und stieß sie in einen Humvee, der ihn gerade passieren wollte.

"Falke acht hier! Habe den letzten M6 entdeckt! Ich nehme ihn mit Falke sieben in die Zange!"

"Gute Arbeit. Hat jemand weitere Savages gesehen?" Thomas trieb mit seinen MGs weitere Infanteristen aus ihren getarnten Stellungen.

"Negativ." "Negativ." "Wird wohl Verkaufsware gewesen sein, die bemannt wurde", warf Falke fünf ein.

"Wir sehen trotzdem mal nach", sagte der Captain und winkte Sagara in die Halle, aus der die drei Arm Slaves gekommen waren.
 

"M6 vernichtet, Falke eins."

"Gut gemacht, Falke acht. Dafür kriegen Sie auf der Basis von mir ein Eis am Stiel."

Allgemeines Gelächter erklang auf der Ruffrequenz.

"Aber nicht vergessen, ja?", warf Ken Ibuto, Falke acht, lachend ein.

"Bestimmt nicht. Wanderfalken, Ihr könnt jetzt kommen! Gelände ist gesichert."

"Neuer Rekord, Falke eins. Nicht mal vier Minuten. So macht der Job wirklich Spaß."

"Ja, uns auch und... Falke zwei, haben Sie was gesagt?"

"Sir, dieser Lastwagen hier in der Halle, das... Können Sie mich sichern? Wenn das stimmt was ich vermute, können wir nicht auf die Infanterie warten!"

"Was ist mit dem Laster?"

"Sir, wenn ich mich nicht irre, ist dies einer der Laster, mit denen die Ausrüstung transportiert wird, um das Wissen eines Whispered zu testen!"

Thomas Kramer wurde heiß und kalt zugleich. "Falke fünf, Position verlassen und zu Falke eins und zwei aufrücken. Sam, decke uns den Rücken. Wir verlassen die Arm Slaves."

"Habe verstanden, Falke eins. Gibt es auch einen Grund dafür, dass du nicht auf die Schlammstampfer warten kannst?"

"Hey, das haben wir gehört!", beschwerte sich Sergeant Sumner, der Chef des zwanzigköpfigen Infanterieteams.

"Falke zwei vermutet, tja, einen Whispered auf dem Gelände. Wir müssen schnell reagieren, sonst töten sie ihn vielleicht. Stellen Sie Ihre Strategie entsprechend um und unterstützen Sie uns, Sarge."

"Verstanden, Falke eins."

Hastig öffnete Thomas die Luke seines Cockpits. Sagara stand bereits auf dem Hangarboden, seine bevorzugte Handfeuerwaffe im Anschlag. Er pirschte sich an den Lastwagen heran.

Deutlich erkannte Thomas Kramer armdicke Kabelstränge, die zu ihm hin führten.

Er griff nach seinem Heckler&Koch Sturmgewehr und kletterte zum Hallenboden hinab.

Hinter ihm bewiesen die schweren Schritte eines Arm Slaves, dass Sam angekommen war.
 

Geduckt hetzte Thomas durch die Halle, nutzte die gestapelten Kisten als Deckung und erreichte den Laster schließlich. Er duckte sich neben Sagara. Sie wechselten einen kurzen Blick und jeder wusste, was er zu tun hatte.

Thomas wechselte auf die andere Seite, immer darauf bedacht, nicht durch die Fenster im Heck gesehen zu werden.

Sagara zählte stumm mit drei Fingern an. Als er nur noch einen Finger hob, legte Thomas das Sturmgewehr an und drückte den Abzug halb durch.

Sagara riss die Tür auf, sprang wieder zur Seite. Die befürchtete Feuersalve blieb aus.

Kramer sah blitzschnell in den Laster und zog seinen Kopf wieder ein.

"Falke eins hier, der Laster ist leer. Falke zwei und ich folgen den Kabeln!"

"Falke eins, warten Sie auf die Infanterie!", rief Sam beschwörend.

"Negativ, Falke fünf. Wir sind nun schon fünf Minuten hier. Vielleicht ist der Whispered schon tot. Aber wenn nicht, dann will ich nicht rumtrödeln."

Hart stieß er mit der Schulter auf die Wand rechts von der kleinen Tür, die direkt in die Villa führte. Sagara landete auf der anderen Seite. Wieder zählte der zähe Japaner an und riss die Tür auf. Nur gab Thomas diesmal einen Feuerstoß in die Öffnung ab, zog sich zurück und wartete zwei Sekunden eine Antwort ab.

Als diese nicht erfolgte, sah er schnell in den Gang.

Sagara bestätigte nickend. Geduckt und dicht an der Wand folgten sie dem Gang, ihre Waffen im Anschlag.
 

Die Tür auf der anderen Seite des Gangs war nicht gepanzert. Die Salve von Thomas hatte sie durchschlagen. Wieder vollführten sie das gleiche Spiel, nur das Sagara diesmal die Tür nicht öffnen konnte. Sie ging nach außen auf, die Klinke ließ sich herunter drücken, aber die Tür rührte sich nicht.

Thomas sah zu Boden und erkannte eine dünne Lache Blut, die sich langsam von der Tür ausgehend ausbreitete.

Er deutete auf seine Augen und dann zu Boden.

Sagara folgte der Geste, nickte verstehend und stemmte sich hart gegen die Tür.

Plötzlich gab sie nach, Sagara stürzte in den Raum auf der anderen Seite, fing sich ab und riss wieder seine Waffe hoch. Dann nickte er Thomas zu.

Der Captain kam ebenfalls herein, stieg über die Leiche des Mannes weg, welche die Tür blockiert hatte, dabei seine Waffe immer im Anschlag.

Sagara deutete auf die Wand, aus der die dicken Kabel aus dem Laster hervortraten und in einen Raum zur Linken führten. Sie blockierten eine Tür, die deshalb einen Spalt weit offen stand.

Wieder nickten die beiden sich zu und Sagara übernahm erneut die Rolle des Türöffners.

Weil die Gefahr bestand, den Whispered zu treffen, verzichtete Thomas auf einen Feuerstoß, sah aber blitzschnell hinein, als der Japaner die Tür aufriss.

Ein paar Kugeln zischten zwischen ihm und Sagara durch die Öffnung.

Beide duckten sich zu Boden, falls jemand auf die Idee kam, die Wand zu durchschießen.

Thomas hob zwei Finger, Sagara nickte bestätigend. Er machte das Zeichen für Waffen. Der Deutsche nickte und hob wieder zwei Finger.

Wieder nickte der Sergeant. Er deutete auf sich und dann auf den Raum.

Der Captain nickte erneut. Ja, er würde ihn von der Tür aus sichern, während der junge Mann in den Raum rollte.

Wieder zählte Sagara stumm an, warf sich durch die Tür und rollte sich ab. Er kam auf einem Knie hoch, riss seine Waffe herum und feuerte einen bellenden Schuss ab.

Thomas erschien in der Tür, suchte nach seinem Opfer, das nun auf Sagara angelegt hatte und beendete sein Leben mit einem gezielten Schuss in den Kopf.

Er trat in den Raum, die Waffe noch immer im Anschlag, als Sagara an ihm schräg vorbei zielte und den Hahn seiner Pistole spannte.

Thomas ging in die Hocke, um eine kleinere Angriffsfläche zu bieten und wirbelte herum.

Dort stand eine kaukasische Frau mittleren Alters mit Brille und Laborkittel. Ihr Haar war zu einem Zopf gebunden, der auf den Rücken fiel. Langsam hob sie die Rechte, in der eine Pistole lag.

"Oh nein, machen Sie das nicht. Bitte machen Sie das nicht", sagte Thomas und richtete sein Visier auf ihren Kopf, zielte zwischen die Augen.

"Du schon wieder", blaffte die Frau den Sergeant an.

"Lassen Sie die Waffe fallen!", erwiderte Sagara wütend.

"Du schon wieder? Da steckt bestimmt eine interessante Geschichte hinter", witzelte Thomas, ließ die Frau aber nicht aus seinem Blick. "Ich zähle bis drei, dann schieße ich. Eins!"

Die Hand der Frau zögerte. "Zwei!"

Klappernd fiel die schlanke Beretta der Frau zu Boden. Zögernd hob sie die Hände. "Ich ergebe mich."

Ohne zu zögern trat Sagara heran, wirbelte sie gegen die Wand und drückte ihr die Hände auf den Rücken. Mit einem Kabelbinder fesselte er die Arme aneinander.

"Junge, Junge, Sarge. Das sieht aus als wäre das was Persönliches."

Sagara warf ihm einen undefinierbaren Blick zu. "Ich bin ihr schon einmal begegnet. Bei der gleichen Gelegenheit. Und auch mit dem Ding da." Der Japaner deutete auf das sargähnliche Gebilde, in dem eine junge Frau lag.

Thomas schätzte ihr Alter auf siebzehn, höchstens achtzehn. Über ihren Augen lag eine Art Ring, ihr Gesicht war schmerzverzerrt und ihre Hände krampften unkontrolliert.

"Scheiße!", rief Thomas, trat an die Kontrollkonsole heran und schaltete alles aus. Was die junge Frau mit einem schrecklichen Schrei beantwortete.

"Die Tür, Sarge!", befahl Thomas, von Entsetzen geschüttelt. Nie hatte er einen Menschen so schreien gehört.

Sagara nickte und trat in den Türrahmen.

Thomas´ Hände begannen zu zittern, als er den Tank entsiegelte. Verdammt, hatte er sie getötet? War das, was eigentlich gut gemeint war, ihr Tod geworden? Er sah auf das kurze, blonde Haar und die jungen, schmerzverzerrten Gesichtszüge.

In den Dossiers, die er regelmäßig hieß es jedenfalls immer das man so ein Gerät ohne Gefährdung der Probandin sofort abschalten konnte. Ja, es wurde sogar eindringlich dazu geraten, da manche Probanden unter der Belastung wahnsinnig wurden.
 

Endlich hatte der Deutsche den richtigen Schalter gefunden. Der Tank fuhr aus der Waagerechten auf und öffnete sich. Zuerst suchte er nach einem Puls am Hals der jungen Frau. Die zuckte zusammen als er sie berührte, was dazu führte dass er entsetzt zurück sprang.

Sie richtete sich auf, riss die futuristische Brille von den Augen und sah... Direkt Sagara an, der ebenfalls zu ihr herüber sah.

Die junge Frau blinzelte, sah zu Thomas herüber.

Ihre Augen schimmerten feucht, dann brach sie in Tränen aus. Sie lehnte sich über den Tank hinaus, drohte zu fallen. Thomas trat wieder heran, fing sie auf. "Nicht so hastig, junge Dame", scherzte er.

Hemmungslos begann sie zu schluchzen, klammerte sich in Kramers Pilotenanzug. "Ich hatte solche Angst. Ich dachte, ich muß sterben!"

"Was für ein Quatsch! Bei mir ist noch niemand gestorben!", rief die gefesselte Wissenschaftlerin wütend.

"Halt besser die Klappe, wenn du hier lebend raus kommen willst!", blaffte der Deutsche wütend.

Er sah das blonde Mädchen an. "Kannst du gehen?"

"I-ich weiß nicht."

"Falke eins hier. Haben potentielle Whispered gefunden. Wie weit sind Ihre Schlammstampfer, Sumner?"

"Ich habe Ihnen fünf Mann in den Hangar geschickt, die müssten gleich bei ihnen sein. Foxtrott und Ruby, Falke eins."

"Verstanden." Er sah Sagara an. "Du auch, Sousuke?"

Der Japaner nickte.
 

Vorsichtig half Thomas der jungen Frau aus dem Tank. Sie belastete ihre Beine, knickte aber haltlos ein.

Zugleich brüllte jemand draußen: "Foxtrott!"

"Ruby!", erwiderte Sagara. Erleichtert trat er einen Schritt zurück, um drei der fünf Infanteristen in den Raum zu lassen, während die anderen den Gang sicherten.

Einer kam auf Thomas zu. "Corporal Spencer, Captain. Ihre Befehle?"

"Decken Sie unseren Rückzug. Wir bringen die Whispered..." Bei diesem Wort verkrallten sich die Hände des blonden Mädchens erneut in seinem Anzug. Thomas schluckte hart. "Wie bringen die Gefangene und die Brillenschlange da zu Wanderfalke eins und evakuieren sie. Vernichten Sie die Einrichtung hier mit Handgranaten."

"Die Anlage ist achthundert Millionen Yen wert!", begehrte die Wissenschaftlerin auf.

"Verklagen Sie mich doch", konterte Thomas. Er griff zu und nahm das Mädchen auf die Arme.

"Sir, soll nicht einer von uns vielleicht..."

"Negativ, Spence. Sie sind die Infanteristen, ich bin Arm Slave-Pilot. Wenn Ihre Finger an den Abzügen Ihrer Waffen sind, sind Sie nützlicher als ich."

"Verstanden. Antonelli, Handgranaten her. Garcia übernimmt die Wissenschaftlerin. Ich sprenge die Sachen hier und komme nach. Falke zwei, übernehmen Sie die Vorhut?"

Sagara nickte knapp und trat zu den beiden Wächtern auf den Gang hinaus.

Wieder krallten sich die Hände der jungen Frau in den Anzug des Deutschen. "Ruhig. Wir bringen dich hier raus. Nicht mehr lange, und du bist in Sicherheit."

Angstvoll sah sie zu ihm auf. "I-ich... Diese Bilder... Ich habe sie nicht verstanden. Ich hatte solche Angst..." Übergangslos sackte ihr Kopf gegen seine Schulter. Sie war bewusstlos geworden. Na, das war in dieser Situation recht nützlich.
 

"Falke fünf hier. Falke eins, wo steckst du?"

Hinter ihm röhrten die MPs der Nachhut auf. "Sind fast im Hangar, aber wir werden verfolgt. Was gibt es?"

"Wir haben hier in ein echtes Wespennest gestochen. Auf dem Gelände sind gut einhundert Soldaten, zum Teil ausgerüstet mit Anti Arm Slave-Bewaffnung! Außerdem meldet die FEANOR per Satellit anrückende Kampfverbände! Panzer und Infanterie, GAZ dreißig Minuten."

"Wir haben erst elf Minuten verbraucht, Falke fünf."

"Schon, aber wenn wir uns festsetzen lassen, dann sind die Kampfverbände da."

"In Ordnung. Wir haben unseren Beweis für die Verbindung mit Amalgam ja schon." Hinter ihm lief der Corporal in den Gang, kurz bevor mehrere Detonationen ertönten.

"Und einen Haufen Scherben."

Vorsichtig rückten sie weiter vor, Thomas drückte sich seitlich an die Wand, um der jungen Frau soviel Schutz wie möglich zu geben.

"Hangar ist sauber."

"Dann aber schnell. Wanderfalke eins, holen Sie uns bei der Halle ab. Wir brechen ab."

"Abbrechen? Aber wir haben Komanov noch nicht gefunden! Okay, wir räumen gerade ihr Computersystem aus, aber..."

"Nehmt mit, was Ihr kriegen könnt, aber wir brechen ab. In fünf Minuten ist Abflug! Kommen Sie endlich zum Hangar, Wanderfalke eins!"

"Schon unterwegs."

"Sousuke, in deinen Arbalest. Unterstütze Falke fünf da draußen."

"Verstanden."

Der junge Mann steckte seine Waffe weg und erklomm den M9. Noch bevor Kramer mit seinen Begleitern und der Gefangenen das Hangartor erreicht hatte, stapfte er an ihnen vorbei. Kurz darauf senkte sich der Transporthubschrauber vor der Halle herab.

Drei Mann sicherten, während die Infanteristen an Bord gingen. Thomas übergab die junge Frau einer Sanitäterin. "Seien Sie vorsichtig mit ihr! Sie ist eine Whispered!"

"Verstanden, Sir." Die Maschine startete durch und hob vom Boden ab.
 

"Geben Sie mir noch mal Deckung, Falke zwei!", rief der Deutsche, während er wieder in die Halle lief. Die richtige Idee, erkannte er, als ihm die Kugeln um die Ohren flogen.

Sagaras MGs bellten auf und verwüsteten den Hintergrund der Halle. Thomas nutzte die Gelegenheit, um seinen M9 zu erreichen.

Hastig kletterte er hinein, bewegte die Maschine aus dem Hangar hinaus. Dann feuerte er auf die Dachkonstruktion, bis die ganze Halle in sich zusammen sackte.

"Ist die Infanterie raus aus dem Gebäude?"

"Der letzte Mann verlässt es gerade. Wir haben drei Terabyte Daten mitgenommen, Falke eins."

"Das freut mich zu hören, Sumner. Gehen Sie an Bord Ihrer Hubschrauber, die Falken geben Deckung.

Falken, Status!"

"Falke zwei hier, kein Feindkontakt, Munition wird knapp."

"Falke drei hier, kein Feindkontakt. Munition halb verbraucht."

"Falke vier hier, kein Feindkontakt. Munition wird knapp."

"Falke fünf hier, kein Feindkontakt. Munition aufgebraucht."

"Falke sechs hier, kein Feindkontakt. Munition wird knapp."

"Falke sieben hier. Scharmützel mit Infanterie. Ziehe mich langsam zurück. Munition wird knapp."

"Falke acht hier. Gebe Falke sieben Deckung. Munition ein Drittel verbraucht."

"Ich sage es ja immer, Ihr ballert zuviel. Das ist ja schlimmer als damals in der Sahara", witzelte Thomas, während er den Gernsback auf die Villa zusteuerte. Sagara folgte ihm wie selbstverständlich. "Hier Status Falke eins. Kein Feindkontakt. Munition..."

Er lud das letzte Magazin in seine Waffe, die Kopf-MGs spuckten die letzten Runden raus. Danach entlud er das volle Magazin auf die Villa, zerschoss zwei Seitenwände und ließ das halbe Dach einstürzen. "Warnung. Munition wird knapp. Warnung. Munition verbraucht."

"Munition ist alle. Sumner, wie sieht es aus?"

"Sind alle an Bord, Falke eins."

"Okay, dann holt uns hier auch raus. Wanderfalke eins."

"Sind schon unterwegs, Falke eins."
 

Hinter ihm erschien der Transporter wie aus dem Nichts, hielt sich knapp über dem Boden, während ein Transportgestell zu Boden fuhr. "Du zuerst, Sousuke."

"Verstanden." Der Arbalest trat auf das Gestell. Sich rückwärts zurückziehend kam nun auch Thomas zum Gestell und stellte das erste Bein auf der Vorrichtung ab.

"Falke drei und vier sicher."

"Falke fünf und sechs sicher."

"Falke sieben und acht sicher."

Thomas zog das zweite Bein seines Gernsback vom Boden und stellte es ebenfalls auf das Transportgerüst. Sofort setzte die Automatik ein und holte beide M9 an Bord.

"Falke eins und zwei sicher. Wanderfalken, bringt uns raus."

"Das brauchen Sie uns nicht zweimal sagen, Falke eins."
 

5.

Johann Sander sah den Offizier vor seinem Schreibtisch lange an, bevor er das Wort ergriff.

"Major Kramer, Sie haben ein Problem."

"Erlaubnis, offen sprechen zu dürfen, Skipper!"

Sander winkte ab. "Wenn wir alleine in diesem Raum sind, dürfen Sie immer und alles sagen." Kurz ging sein Seitenblick zu seinem ersten Offizier, Lieutenant Commander Sharon Allister. "Auch wenn Commander Allister anwesend ist."

"Danke, Sir. Zu meiner Verteidigung kann ich anführen, dass ich diesmal alle Arm Slaves nach Hause gebracht habe und die Infanterie nur leichte Verwundungen davon getragen hat und..."

"Das meine ich nicht. Sie haben vorbildlich reagiert, als Sergeant Sagara erkannt hat, was in dem Gebäude vor sich ging. Den Einsatz abzubrechen war ebenfalls richtig. Die erbeuteten Computerdaten werden bereits analysiert, aber wir können diesen Teil des Einsatzes wohl als Erfolg werten. Die Daten sind nicht virenverseucht und unverschlüsselt. Wir haben Kumanov wohl auf dem falschen Fuß erwischt. Ihn selbst zu fangen war von vorne herein nur ein Bonus gewesen."

Kramer runzelte die Stirn. "Wo ist dann das Problem? Sitzt Ihnen das Oberkommando im Nacken?"

"Mit mir hat das nichts zu tun, Major. Sie und nur Sie sitzen in der Scheiße."

"Na danke. Und wieso?"

"Nun, die junge Frau, die Sie gerettet haben, ist sehr wahrscheinlich eine Whispered. Das Kommando Pazifik verfügt über eine Einrichtung, mit der sie Zugriff auf das Wissen von Whispered nehmen können. Nicht so ein primitives Gerät wie das, welches Sie in der Villa zerstören ließen. Sehr effektvoller und vor allem sanfter. Tai-sa Testarossa half maßgeblich bei der Entwicklung."

"Aha."

"Wir wollen die junge Dame dort hinschaffen. Und das so schnell wie möglich. Wir können dort auch feststellen, ob der primitive Tank, dem sie ausgesetzt war, Schäden in ihrem Gehirn verursacht hat. Es ist also auch noch dringend. Sergeant Sagara wurde bereits informiert, dass er die Whispered mitnehmen wird. Das Safe House, in dem die Anlage steht, befindet sich in Tokio."

"Soweit so gut. Und wo ist mein Problem bei der Geschichte?"

"Nach der ersten Untersuchung auf eventuelle Gehirnschäden bei der Whispered werden die weiteren Analysen und Tests zwei bis drei Wochen dauern. Sie werden beide begleiten, Sergeant Sagara und Jane Doe."

Nachdenklich kratzte sich Thomas am Schädelansatz. Jane Doe, das bedeutete, dass die Identität der jungen Frau nicht hatte festgestellt werden können. "Gibt es einen besonderen Grund, warum gerade ich die beiden begleiten soll?"

Sander schmunzelte. Auch die ansonsten eher ausdruckslose Miene von Allister verzog sich zu etwas, was man mit viel Phantasie als humorvolles Lächeln deuten konnte.

"Wo kommen Sie gerade her, Major?"

"Aus dem Krankentrakt. Unser Gast ist dort die Wände hochgegangen und hat sich erst beruhigt, als ich... Oh..."

"Sehen Sie, schon haben Sie Ihre Antwort. Leider haben Sie versäumt, sie zu betäuben, als Sie die junge Dame befreit haben. Jetzt ist sie auf Sie fixiert, Major Kramer.

Und da wir sie in einen ähnlichen Tank stecken wollen, in dem sie Höllenqualen erlitten hat, müssen wir versuchen, ihr Vertrauen zu gewinnen."

"Verstehe."

"Das ist noch nicht alles. Das Oberkommando hat auch... Nun. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das beibringen soll. Aber da Miss Doe offensichtlich das Gedächtnis verloren hat, sind die Oberen der Ansicht, dass man ihr so etwas wie ein normales Leben gönnen sollte, während die Untersuchungen laufen."

"Äh, normales Leben?"

Sander reichte dem Arm Slave-Piloten eine Akte. "Was Sie hier sehen ist Top geheim. Die Person, die in dieser Akte beschrieben wird, ist ebenfalls eine Whispered. Sie war in dem Vorfall vom letzten Jahr im Südpazifik und am Vorfall in Hong Kong maßgeblich beteiligt. Sie wird bereits von Sergeant Sagara und einem Backup-Team beschützt. Es ist also sinnvoll, dass wir Miss Doe in ihrer Nähe positionieren, solange sie sich in Japan aufhält. Was übrigens auch bedeutet, dass Sie den Schutz für beide Whispered übernehmen, Major Kramer. Eine Anfrage an die junge Dame, unserer Schutzbefohlenen Obdach zu gewähren, ist bereits raus.

Wir sind sehr sicher, dass Miss Chidori positiv darauf reagieren wird, denn sie hat selbst mal in so einem Tank gelegen.

Alle weiteren wichtigen Parameter Ihres Auftrags sind ebenfalls in der Akte enthalten. Sie fliegen in einer Stunde mit Sergeant Sagara und Jane Doe. Ein Helikopter bringt Sie drei nach Istanbul, von wo ein Lear Jet Sie nach Japan bringen wird. Ab dort unterstehen Sie dem Kommando von Commander Kalinin."

Kramer räusperte sich verärgert. "Ich nehme nicht an, dass ich meinen M9 mitnehmen kann?"

"Falls Sie bei diesem simplen Überwachungsauftrag einen M9 benötigen, bin ich sicher, das Arm Slave-Team der TUATHA DE DANNAN wird Ihnen mit einem aushelfen. Übrigens, das hätte ich fast vergessen. Ein dreiköpfiges Team wird Sie unterstützen. Die Namen stehen auch in der Akte. Und jetzt gehen Sie packen, Major."

Thomas salutierte vorbildlich, nickte in Richtung von Commander Allister und verließ das Büro.
 

Allister stieß sich von ihrem Platz an der Wand ab. "Er ist kein Bodyguard."

"Deshalb schicken die vom Pazifik ja auch drei Profis, um ihn zu unterstützen." Sander dachte an die drei Namen in der Akte und korrigierte sich selbst. "Zwei Profis und Tai-sa Testarossa."

Allister runzelte die Stirn. "Was soll das denn nützen? Außerdem, ist es nicht gefährlich, gleich drei Whispered auf so engem Raum zu konzentrieren?"

"Tai-sa Testarossa kann am ehesten beurteilen, über welches Wissen Jane Doe verfügt. Wie Sie wissen, überlappen sich die Informationen der Whispered in vielen Bereichen. Die Kunst im Umgang mit ihnen ist, einen Whispered zu finden, dessen Informationen absolut neu sind. Oder so ähnlich. Tai-sa Testarossa wird das sehr schnell herausfinden. Ich denke, das ist das Risiko wert."

"Das mag sein", murmelte Allister und schlug ihr Exemplar der Akte auf. "Dennoch halte ich es für ein Risiko. Und dann diese Tarnidentität, muß das sein? Der heilige Thomas wird uns an die Kehle gehen, wenn er von dem Einsatz zurückkehrt."

Sander winkte ab. "Er schafft das schon."

"Aushilfslehrer? Sein japanisch ist miserabel."

"Aushilfslehrer?" Sander riss die Augen auf. "Ich habe nur bis zu dem Part gelesen, in dem steht, dass sich Thomas als Verwandten von Sergeant Sagara ausgeben soll."

Die beiden Führungsoffiziere sahen sich an und seufzten simultan.

"Er wird uns umbringen." "Stimmt."

**

Der Flug von der FEANOR zum Flughafen Istanbul, dem Atatürk Havalaani, verging relativ schnell und unspektakulär. Sie hatten Zivilikleidung angezogen, was bei Sagara nicht ganz einfach war, da er nur seine Uniformen mitgebracht hatte. Ben Brahim, der in etwa die gleiche Größe hatte, musste ihm was borgen.

Für das Mädchen fand sich schließlich eine Kombination aus Jeans, Shirt und Pullover aus dem Fundus von Lieutenant Rogers, auch wenn sie sich nur bedauernd von den Sachen trennte. Leichte Bordschuhe aus dem Magazin vervollständigten das Ensemble. Thomas fragte sich, ob es eine Uniform ohne Rangabzeichen nicht auch getan hätte.

Während des Fluges mit einem der Transporthubschrauber, Wanderfalke vier, schlief die junge Whispered, die sie aus den Klauen des Waffenhändlers gerettet hatten, die ganze Zeit. Was ganz nett gewesen wäre, wenn sie dabei nicht den Arm von Thomas umklammert halten würde.

Der deutsche Arm Slave-Pilot hielt das mit der Fixierung für einen Witz. Wenn sie auf den ersten Menschen fixiert war, den sie nach ihrer Befreiung gesehen hatte, dann musste das ja wohl Sagara sein, und nicht er. Andererseits hing sie hier an seinem Arm und ließ ihn nicht los, während Sagara recht unbehelligt direkt neben ihr saß und ungestört ein Magazin über Angelsport lesen konnte.
 

Für das umsteigen in den Jet mussten sie Jane Doe wecken, aber wenn Thomas gehofft hatte, sie würde ihn loslassen, sah er sich getäuscht.

Er fragte sich, was Sagara wohl darüber dachte; seine ansonsten starre Miene zeigte eine Spur von Mitgefühl als sich kurz ihre Blicke trafen.

Als sie im Jet saßen und bereits in zwölftausend Kilometern Höhe schwebten, ließ sie ihn endlich los. Aber das auch nur, um das bereitstehende verspätete Abendessen anzunehmen.

Thomas nutzte die Gelegenheit, um sich einen Kaffee zu holen.

Als er wiederkam, hatte die blonde Frau bereits die zweite Portion am Wickel.

"Ich habe mir was überlegt", sagte Thomas auf englisch, obwohl er auch russisch oder deutsch mit der Whispered hätte sprechen können. Sie beherrschte alle drei Sprachen gleich gut. Was irritierend war. "Wenn du nach Tokio kommst, können wir dich nicht Jane Doe nennen. Und wir können dich auch nicht so einschulen."

Ein entsetzter Blick traf ihn. "Sie... sie haben gesagt, ich muß wieder in diesen Sarg! Ich... Es war so... Ich..."

Thomas trat vor und legte der jungen Frau eine Hand auf die Schulter. "Beruhige dich. Ich habe mir sagen lassen, dass unsere Analysemethoden sanfter sind. Vielleicht finden wir ja auch auf diese Weise einen Hinweis auf deine Vergangenheit. Und außerdem bin ich dabei. Wenn ich merke, dass es dir wehtut, hole ich dich da raus."

"Versprochen?"

"Du hast mein Wort als Offizier."

Sie runzelte die Stirn. "Ist das was wert?"

Entrüstet schnappte Thomas nach Luft. "Ob das was wert ist?" Theatralisch griff er sich an die Brust. "Ah, das tut weh. Das tut wirklich weh. Ich habe noch nie mein Wort gebrochen."

"So? Wie oft hast du es denn schon verpfändet?"

Verblüfft sah der Deutsche das blonde Mädchen an. "Das ist eine gute Frage. Ein paar mal vielleicht."

"Ein paar mal? Hm, dann muß das als Referenz wohl reichen. Du gibst mir also dein Wort, dass du auf mich aufpasst?"

"Ich gebe dir mein Wort, dass ich dich beschütze", korrigierte Thomas. "Sousuke, du bist Zeuge."

Der Japaner nickte bestätigend.

"Reicht dir das?"

"Okay."

"Gut. Dann überleg dir mal einen schönen Namen. Jane Doe klingt wirklich nicht so gut."

"Kim", sagte sie spontan.

"Kim, was ist Kim? Wer willst du sein? Eine Amerikanerin?"

"Warum nicht?", warf Sagara ein. "Wenn wir sagen, dass sie Amerikanerin ist, dann werden ihr viele ihrer Fehler leichter verziehen. Sagen wir sie ist Europäerin, kommt zudem noch das Problem dazu, dass die Leute sie ausfragen würden, aus welchem Land sie kommt, was in diesem Land gerade passiert, und so weiter."

"Hm. Meinetwegen Kim. Und wie weiter?" Nachdenklich kratzte sich Thomas an der Schläfe. "Wie wäre es mit Kramer. Wir könnten sagen, du wärst meine..."

Röte schoss in ihre Wangen. "Frau?"

"Kleine Schwester", korrigierte Thomas.

"Nein."

"Nein, wieso? Wäre doch eine gute Erklärung."

"Kim Kramer, wie klingt das denn? Außerdem, wie soll ich die Schwester eines Deutschen sein, wenn ich selbst aus Amerika komme?"

"Wie wäre es mit Sander? Oder der anglikanisierten Form Sanders?", half Sagara aus.

"Das klingt doch gut. Was denkst du, Kim? Kim?"

"Äh... Schon gut. Ich war nur etwas überrascht, weil du mich schon mit meinem neuen Namen angesprochen hast. Ja, Kim Sanders klingt doch gut."

"Also ist es beschlossen, oder?"

Ein leichtes Lächeln huschte über Sagaras Züge. "Kim Sanders. Gut."

"So, nachdem das geklärt ist, sollten wir alle versuchen, etwas zu schlafen. Aber, Sousuke..."

"Captain?"

"Nenn mich Thomas. Wenn ich dich schon frech beim Vornamen nenne, darfst du das auch."

Entsetzen stand in Sagaras Augen. "W-was? C-captain, ich..."

"Thomas."

"C-captain..." "Thomas!"

Ergeben ließ der Japaner die Schultern. "Thomas."

"Das ist doch schon viel besser." Der Deutsche knuffte mit der Faust gegen Sousukes Schulter und tätschelte Kim anschließend den blonden Haarschopf.

"So, ich gehe jetzt schlafen. Es war ein langer Tag und wir müssen früh raus."

Thomas gähnte und sah sich sicherheitshalber nach einem Sitz weiter vorne um. Nicht, das Kims Fixierung auf ihn etwas zu weit ging...

**

Der Arm Slave-Pilot erwachte, als jemand auf japanisch fluchte. Verschlafen blinzelte er mit den Augen, sah auf. Und war eine Sekunde später hellwach. Drei Reihen hinter ihm saßen Sagara und Kim beieinander und das schlanke Mädchen fluchte auf japanisch wie ein Rohrspatz mit Zahnschmerzen.

Thomas sprang auf, eilte nach hinten.

Die beiden sahen zu ihm herüber. "Ah, Thomas, haben wir dich geweckt?", fragte Sagara ernst. "Du warst doch zu laut, Kim."

"Tut mir Leid. Aber Sousuke war so nett und hat mir etwas japanisch beigebracht. Die wichtigsten Phrasen, damit ich den Schulalltag durchstehe." Zweifelnd sah sie ihn an. "Denkst du, es ist wirklich die richtige Strategie, einfach stur zu lächeln, wenn ich etwas nicht verstehe?"

"Ich bezweifle, dass du etwas nicht verstehen wirst." Sagara warf dem Deutschen einen merkwürdigen Blick zu. "Wir sind seit etwa einer Stunde wach. Also habe ich ihr ein wenig Sprachunterricht gegeben. Allgemeines von Bitte und Danke bis zu Guten Morgen und Guten Abend. Aber mittlerweile hat sie soviel gelernt, dass wir schon bei den wichtigsten Flüchen sind. Sie saugt das Wissen auf wie ein Schwamm. Wenn wir in Japan sind, wird sie die Sprache..."

"Perfekt beherrschen?", half Thomas aus.

"Nein, aber ausreichend beherrschen, um sich zu orientieren. Ich frage mich, wie es mit dem lesen ist."

"Was für eine Überraschung." Thomas holte das längst überfällige Gähnen nach dem Aufwachen nach. "Wo sind wir eigentlich?"

"Südchinesisches Meer. Noch eine halbe Stunde bis Narita."

"Danke, Sousuke. Dann dauert es ja nicht mehr lange bis zu einem ordentlichen Frühstück. Ist noch was?"

Sagara nickte. "Ja. Eines noch. Man wird uns abholen."

"Wie nett. Und wer?"

Für einen Moment begann Sagaras rechte Augenbraue zu zucken. "So-sho Mao, Gun-so Weber, Tai-sa Testarossa und Kaname Chidori."

"Hm, Tessa und Melissa? Das sind gute Nachrichten. Kaname Chidori ist die Whispered, die du beschützt, richtig? Sie wird es doch nicht missverstehen, wenn du mit einem jungen, hübschen Mädchen aus dem Flieger kletterst, oder? Ich meine, man hat sie doch informiert, oder?"

Auf Sagaras Stirn bildete sich eine feine Schweißschicht. "Ich hoffe es."

"Wird schon schief gehen. Ich gehe mir einen Kaffee holen. Noch jemand? Nein?"

Während sich Thomas in der kleinen Küche einen Kaffee einschenkte, hörte er Kim fragen: "Sousuke, wer sind diese Tessa und diese Melissa genau?"

Er seufzte entsagungsvoll.

"Und wer ist diese Kaname Chidori?"

Mist, der Tag hatte schon schlecht angefangen. Als er mit seinem Kaffee zurückkehrte, meinte er genau diese Feststellung auch in Sagaras Gesicht zu lesen.

**

Indigniert betrachtete Robert Hausen die Trümmer der Villa und die zusammen geschossenen Lagerhallen. Bergungsmannschaften waren bereits dabei, sich zu den Tiefenbunkern durchzuarbeiten. Ein Dutzend Leichen mit frischen Schusswunden zeigte allerdings, das nicht jeder Gerettete automatisch am Leben bleiben würde. Kumanov war ebenso darunter wie die beiden Arm Slave-Piloten, welche die Attacke Mithrils überlebt hatten.

Lediglich einfache Infanteristen, Unteroffiziere, Wissenschafter und Techniker wurden geschont.

Der dicke, pausbäckige Conrad wischte sich die Stirn ab, auf der eine dicke Schweißschicht glänzte. "Eine eklige Sache, das hier, mein lieber Robert."

"Erzählen Sie mir mehr." Er ging in die Hocke und legte seine Handfläche in den Fußabdruck eines M9.

"Nun, der Angriff von Mithril kam für uns nicht wirklich überraschend. Ich meine, jetzt wo die FEANOR in Dienst gestellt wurde und Vogel beim Versuch versagt hat, sie zu entern, mussten wir damit rechnen. Aber da es Dutzende exponiertere und zum Teil auch wichtigere Ziele in der Mittelmeerregion gibt... Unsere Aufklärung war sehr nachlässig, mein lieber Robert."

Conrad beugte sich schnaufend vor und hob ein Metallstück auf. Es war von einem Savage abgesprungen. "Die Aktion wurde gut und schnell durchgeführt. Acht Arm Slave vom Typ M9 Gernsback sind im Sturmangriff herangekommen, haben die Minenbarriere umgangen, die M6 auf Wache gezielt vernichtet und sämtliche Infanteriestellungen ausgeschaltet.

Danach hat Mithril Infanterie nachgezogen, um in den Bunker einzudringen. Hier wurden sie gestoppt, und eine Einheit, die bei uns im Lohn steht, war bereits angefordert und auf dem Weg hierher, um den Gegner aus der Villa zu werfen. Nach insgesamt siebzehn Minuten zog Mithril wieder ab."

"Hm." Hausen nickte in Richtung Kumanovs, dessen Leiche merkwürdig verkrümmt am Boden lag. "Und warum dann das da? Selbst wenn er überrascht worden ist, hat er vorbildlich und schnell reagiert. Er konnte sogar eine Gefangennahme vermeiden."

"Dafür haben wir ihn ja auch nicht erschossen." Angewidert, als hätte er etwas Totes in der Hand, warf Conrad den Metallspan fort. "Dieser Trottel hat in der Tat einigermaßen folgerichtig gehandelt. Trotzdem hat er uns Millionen gekostet. Er hatte eine potentielle Whispered hier. Wir haben ihm die Ausrüstung geschickt, um das zu überprüfen. Außerdem eine unserer besten Wissenschaftlerinnen in diesem Fachgebiet. Nun, die Anlage ist nur noch Schrott, die Wissenschaftlerin nicht unter den Toten und die Whispered verschwunden. Was das alles wieder kosten wird."

"Wollen Sie mir sagen, dass Mithril eine weitere Whispered sowie einen Ihrer wichtigsten Wissenschaftler in der Hand hat?"

"Ja, mein lieber Robert."

"Verstehe." Robert Hausen schüttelte sich. Kumanov konnte mit seinem schnellen Tod eigentlich ganz zufrieden sein.

"Und als wenn das noch nicht alles wäre, Mithril konnte mehrere tausend Gigabyte unverschlüsselter Daten aus dem Computersystem der Villa extrahieren. Damit können sie einen Großteil der eigentlichen Historie des Bürgerkrieges rekonstruieren."

"Spuren zu Amalgam werden sie nicht finden?"

"Nicht mehr als ein paar Bankverbindungen. Und die wechseln aus Sicherheitsgründen alle paar Wochen." Schnaufend setzte sich der dicke Mann in Bewegung. "Aber deswegen ließ ich Sie nicht kommen, mein lieber Hausen. Ich habe einen neuen Auftrag für Sie."

"Ich habe Ihnen schon mal gesagt, dass ich selbst entscheide, wann ich Aufträge annehme und welche das sind."

"Und ich habe Ihnen gesagt, dass Sie es leider wert sind, am Leben gelassen zu werden, mein lieber Robert. Wollen Sie sich den Auftrag nicht wenigstens anhören?"

"Es geht um die Whispered, oder?"

"Richtig. Wir müssen unbedingt einen Überblick über ihr Wissen erhalten. Besorgen Sie uns das. Üblicher Sold, übliche Unterstützung."

"Nur den Überblick über ihr Wissen?"

"Nur den Überblick über ihr Wissen."

"Und wenn was dabei ist, was Amalgam interessiert?"

"Dann hätten wir gerne die Whispered. Um jeden Preis."

"Wissen Sie, wohin Mithril sie bringen wird?" Hausen strich sich nachdenklich über sein Kinn.

"In der Tat. Es gibt nur eine Anlage, die in Frage kommt, um das Wissen der Whispered abzufragen. Diese Anlage steht in Japan. Genauer gesagt in Tokio." Conrad griff in seine Jacke und zog eine Akte hervor. "Hier, das wird Ihnen helfen."

"Was ist das?"

"Kumanov war so dumm oder so umsichtig, die Whispered zu amnesieren. In der Akte steht alles Wissenswerte über sie drin. Quasi ihr ganzes Leben. Es könnte Ihnen nützlich sein, mein lieber Robert."

Kurz ging der Söldner über die Schriftstücke in der Akte und pfiff anerkennend. "Das hätte ich jetzt nicht erwartet, Mr. Conrad."

"Heißt das, Sie nehmen an?", fragte der Mann von Amalgam hoffnungsvoll.

"Ich stelle mein eigenes Team zusammen. Anderthalbfache Bezahlung. Und ich will eine Sektion Arm Slaves auf Abruf bereit haben."

"In Tokio?"

"In Tokio."

"Ich leite alles in die Wege. Viel Erfolg, mein lieber Robert."

"Danke. Zugegeben, es reizt mich, gegen Mithril anzutreten." Er wandte sich um und ging auf den wartenden Helikopter zu. "Diesmal würde ich eine Niederlage persönlich nehmen."

**

Es war früher Morgen, sehr früher Morgen, als die drei aus dem Lear Jet stiegen. Der Pilot hatte die Jet bis auf wenige Dutzend Meter an einen Terminal heran gebracht; deutlich konnte man vier wartende Personen erkennen.

Thomas Kramer ging zuerst. Danach kletterte Kim die kleine Treppe hinab.

"Hey...", sagte sie staunend, als sie stolperte und Thomas direkt in die Arme stürzte.

Doch Sagara hatte schnell genug reagiert und sie rechtzeitig an der Schulter ergriffen. Mit Nachdruck zog er sie zurück, bis sie ihr Gleichgewicht wieder fand.

"Danke", sagte sie säuerlich.

Thomas runzelte die Stirn und hielt ihr seine Hand hin. "Du hast wer weiß wie lange in diesem Tank gelegen. Übertreibe es nicht gleich, Kim."

Sie griff nach der Hand, ließ sich die Treppe hinab helfen.

Hinter ihr folgte Sagara.
 

Als sie der Halle näher kamen, erkannte Thomas unter den vier Personen Melissa Mao und Tessa. Der große Mann mit den langen blonden Haaren musste dieser Weber sein. Die junge Frau in der Schuluniform daneben konnte nur Kaname Chidori sein.

Seltsam, dass sie so merkwürdig drein sah.

"Ist das Chidori?", fragte er Sagara. "Warum ist sie so verbissen?"

Der Pilot des Arbalest antwortete nicht.

Thomas sah herüber, in sein angsterfülltes Gesicht.

"Sousuke? Sousuke!" Der junge Mann reagierte nicht, starrte die Schülerin an wie ein Kaninchen eine Schlange.

Kramer seufzte. Der Tag hatte schon schlecht angefangen.
 

"Danke, dass du uns unseren Sagara heile zurück gebracht hast, Thomas", empfing ihn Tessa mit einem Augenzwinkern. "Er hat euch doch nicht behindert?"

"Natürlich bringe ich ihn heile zurück, Tessa. Schön, dich wieder zu sehen. Sousuke war uns übrigens eine große Hilfe. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass wir eine Whispered befreien konnten."

Er deutete auf die blonde Frau neben sich. "Darf ich vorstellen? Kim Sanders. Dies sind Tai-sa Theresa Testarossa, So-sho Melissa Mao, der freundliche junge Mann links daneben dürfte Gun-so Kurtz Weber sein und die junge Dame dort sicherlich Miss Kaname Chidori. Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Gun-so, Miss Chidori."

"Ich freue mich ebenfalls, Sie kennen zu lernen." Kim verbeugte sich steif in der Hüfte. "Chidori-san, Tai-sa, bitte kümmern Sie sich gut um mich."

Übergangslos verschwand die finstere Miene von Chidoris Gesicht. Sie lächelte auf eine herzerfrischende Art, die einen glauben ließ, die finstere Miene von eben könnte von solch einem Gesicht niemals gebildet werden.

"Guten Morgen, Sanders-san. Ich freue mich ebenfalls, Sie kennen zu lernen. Wenn jemand weiß, was Sie durchmachen mussten, als man Sie in diesen Tank gesteckt hat, dann ich. Ach, und Sie hatten ja auch den gleichen Schutzengel wie ich, um da wieder raus zu kommen. Nicht wahr, Sousuke?"

"Ch-chidori..."

"Ich bin ebenfalls hoch erfreut, Sie kennen zu lernen, Captain Kramer. Und Miss Sanders", Kurtz Weber sprach akzentfreies deutsch, als er sich der jungen Whispered zuwandte, "verfügen Sie über mich. Ich werde alles was in meiner Macht steht tun, um Sie zu beschützen."

"Das ist sehr freundlich, Gun-so Weber, aber ich habe bereits einen hervorragenden Beschützer", erwiderte sie auf englisch.

Chidoris Augenlider entwickelten ein Eigenleben. Sagara begann übergangslos zu schwitzen.

"Captain Kramer hat mir bereits sein Wort als Offizier gegeben, dass er mich sogar aus dem Tank von Mithril rausholen wird."

"So, hat er das?", warf nun Mao ein. Sie musterte Kramer aufmerksam. "Du hast deine glänzende Rüstung vergessen, strahlender Ritter."

"Die ist zusammen mit meinem Heiligenschein in der Wartung", konterte Thomas. Er reichte ihr die Hand. "Ich freue mich, dich wieder zu sehen, Melissa."

"Ich freue mich auch. Ich hätte nicht gedacht, dass das so bald passiert."

"Tessa? Melissa? Ihr duzt euch?" Irritiert sah Kim von Kramer zu Mao und von dort zu Tai-sa Testarossa.

"Ach!" Kaname Chidori lächelte wieder. "Sanders-san, ich weiß, es ist sehr früh am Morgen, aber wir müssen uns jetzt ein wenig beeilen. Sousuke und ich müssen noch auf unser Schulfest. Und wenn Sie und Tessa mit wollen, solltet Ihr euch bei mir noch umziehen.

Kramer-san, ich nehme an, Sie wollen die Gelegenheit nutzen, um sich vorzustellen, oder?"

"Ich verstehe nicht ganz, Miss Chidori."

"Aber... Tessa, hast du nicht gesagt, er soll an unserer Jindai High School als Aushilfslehrer für englisch anfangen, solange Sanders-san hier in Tokio ist?"

"Ja. So steht es zumindest in der Missionsakte. Thomas, hast du sie etwa nicht gelesen?"

Übergangslos brach dem Deutschen der kalte Schweiß aus. "Aushilfslehrer? In Japan? Ich? I-ich bin nur bis zu der Stelle gekommen, an der steht, dass ich mich als entfernter Verwandter von Sousuke ausgeben soll."

Theresa seufzte viel sagend. "Du solltest deine Einsatzbefehle gründlicher studieren."

"Das glaube ich auch, denn wenn ich das gewusst hätte, dann..."

"Heißt das, Thomas ist die ganze Zeit in meiner Nähe? Nicht nur im Safe House?", fragte Kim mit strahlenden Augen.

"Ich frage mich, ob der Lear Jet zurück zur Türkei fliegt..."

"So, jetzt müssen wir uns aber wirklich beeilen. Tessa, Melissa, Sanders-san, wir müssen ja noch in meine Wohnung. Sousuke!"

"J-jawohl!"

"Du wirst mit Kurtz und Kramer-san bei dir vorbei schauen. Sie haben doch einen Anzug in Ihrem Gepäck, Kramer-san? Sich im Anzug vorzustellen ist für einen Lehrer immer besser."

Der große Deutsche schluckte hart. "Sollten wir nicht erst mal ins Safe House fahren?", spielte er seinen letzten Trumpf aus.

"Nein, mit denen ist alles geregelt. Die Sitzungen fangen erst morgen Abend an." Melissa zwinkerte ihm zu. "Wir haben den ganzen Tag frei, um uns zu amüsieren."

Misstrauisch beäugte Kim die Arm Slave-Piloten. "Amüsieren?"

"Auf dem Schulfest."

"Wenn das mal gut geht..." Kramer seufzte schwer.

**

"Ähemm!" Etwas unsicher trat Thomas Kramer aus dem Gang in das Wohnzimmer. Er war seit Jahren nur seine Uniformen gewohnt. Einen Anzug trug er eigentlich äußerst selten. Dementsprechend fühlte er sich auch. "Ich nehme an, ich werde mich nicht allzu sehr blamieren, wenn ich so auftrete, oder?"

Kurtz Weber grinste breit. "Das geht in Ordnung", sagte er auf deutsch. "Hach, ich beneide dich, Kumpel. Zusammen mit Kaname-chan und Kim-chan auf einer Schule zu sein, das ist doch das Paradies."

Kramer sah zu Sagara herüber. "Er steht wohl auf jüngere Frauen, was?"

"Er hat in dem Punkt keine konkreten Prioritäten", antwortete Sagara, ohne mit der Wimper zu zucken.

Kramer zog die Stirn kraus. "Was?"

"Er steht auf alle Frauen", erklärte Sagara.

Weber quittierte den Einwand mit einem Gesicht, als hätte man ihn von seinem Arm Slave abgezogen.

"Das heißt, auch auf Melissa?"

"Gerade auf Melissa."

Thomas schenkte dem Blondschopf ein grimmiges Lächeln. "Mein lieber Kurtz, du bist doch nicht ihr Freund, hm?"

"Hm, weiß nicht. Welche Antwort würdest du gerne hören?"

Die beiden starrten sich an, keiner gab einen Zollbreit nach.

"Wir müssen uns beeilen. Die Damen sind bereits fertig und warten auf der Straße auf uns", sagte Sagara, ging zwischen den beiden hindurch und unterbrach so den Blickkontakt.

Nervös nestelte Kramer am Kragen seines Anzughemdes. "Ich weiß nicht."

"Du wirst dich schon vor den Damen nicht blamieren", meinte Kurtz, lächelte freundlich - etwas zu freundlich - und schob den Captain vor sich her.

Sagara indes überprüfte ein letztes Mal seine Schuluniform und steckte zufrieden seine Pistole weg.

"Das ist nicht dein Ernst, Sousuke", platzte es aus Thomas heraus. "Du nimmst eine scharfe Waffe mit?"

"Wir haben eine Bodyguard-Mission. Wie willst du Kim-san beschützen, wenn du nicht zurückschießen kannst?"

Unwillkürlich zuckte die Hand Kramers zu seiner linken Achselhöhle, wo in einem Holster seine Glock19 steckte. "Ja, aber du als Schüler, gibt das nicht eine Menge Ärger?"

Prustend begann Kurtz zu lachen. "Du beschreibst gerade seinen Alltag, Kumpel."

Für einen Moment wusste Kramer nicht, ob er ebenfalls lachen oder den armen Burschen bedauern sollte. "Gehen wir runter", sagte er mit einem Seufzer.

**

"Wow, das steht dir aber", stellte Tessa neidisch fest. "Die Schuluniform der Jindai sieht ja schon sehr gut aus, aber an dir kommt sie fast so gut zur Geltung wie damals an mir."

Kaname runzelte die Stirn, als sie das hörte, nein, es sah eher so aus, als wollte sich ein ärgerliches Äderchen durch die Haut drücken. "Wo wir gerade davon sprechen, du willst wirklich nicht mit zur Schule gehen? Die anderen werden sich bestimmt freuen, wenn du sie wieder besuchst."

Tessa winkte ab. "Diesmal habe ich leider keinen Urlaub. Ich bin dienstlich hier. Ich werde einiges abarbeiten müssen, da bleibt einfach keine Zeit für die Schule." Seufzend sah sie Kim an, die noch immer neugierig ihre Schuluniform betrachtete. "So gern ich auch würde."

"Ist vielleicht den ganzen Ärger nicht wert", murmelte Kaname leise. Sie griff nach den Sachen, die Kim getragen hatte. "Ich nehme das mal an mich."

"Was willst du damit machen?", fragte die blonde Whispered ängstlich.

"Ich packe es nur weg. Wieso?"

Kim sah zu Boden. "Weil... Weil, ich brauche die Klamotten bestimmt noch."

Die Augen der jungen Frau begannen zu schwimmen, kurz darauf fielen die ersten Tränen zu Boden. Sie wandte sich abrupt ab und dabei wäre es wohl auch geblieben, wenn nicht Tessa und Kaname sie zugleich berührten, und dies mit dem Blick Wissender, die einfach verstanden, welche Schmerzen in den Seelen der Menschen wüten konnten.

Kim schluchzte laut, aber diese Berührungen waren wie ein Riegel, der ihre aufgestauten Gefühle entließ. "Ich... Ich habe doch nichts anderes als ihn."

"Ihn?", argwöhnte Kaname, gefangen zwischen Sorge und Vorsicht.

"Thomas." Tränen flossen Kims Augen herab und tropften auf den Boden. "Nicht Sousuke, keine Angst."

Chidori und Tessa atmeten erleichtert auf, und erröteten, als sie die Reaktion der anderen sahen.

"Alles was ich weiß, das ist dieser Tank, diese Welt, die Farben, die Befehle, die Muster und Zeichnungen, die Abermilliarden Worte, die auf mich einstürmten, einprügelten. Mir klopfte das Herz bis zum Hals, ich dachte es würde zerspringen. Ich wusste nicht wo ich war, ich wusste nicht einmal wer ich war. Ich dachte, ich sterbe gleich. Dann war das vorbei, ich spürte wie ich mich bewegte, sah wie die Bilderflut endete.

Ich riss mir diese Brille vom Kopf und sah Sousuke an der Tür stehen."

Kaname und Tessa tauschten einen entsetzten Blick aus.

"Aber ich wusste, er konnte mich nicht aus dieser Hölle befreit haben. Er war zu weit weg. Ich sah nach rechts, und dort stand Thomas. Er half mir aus dem Tank, nahm mich auf seine Arme und trug mich den ganzen Weg zurück, weil meine Beine noch zu schwach waren.

Er hat mich mit seinem Körper geschützt, als uns die Kugeln um die Ohren pfiffen. Er war bei mir, als ich auf dem U-Boot untersucht wurde. Und er hat mich getröstet, als all das schreckliche wieder über mich hereinbrach."

Fahrig wischte sich die junge Frau die Tränen aus den Augen. "Tut mir Leid. Aber ich weiß doch nicht, wer ich bin. Ich weiß doch nicht, wo ich herkomme. Ich weiß nur, dass ich eine Whispered sein soll, und das so jemand wertvoll sein muß. Wertvoll genug, um mich nach Japan bringen zu lassen. Was wird danach kommen? Werde ich es überleben? Kann ich mich irgendwann erinnern? Ich habe nur das Versprechen von Thomas, mich notfalls auch aus dem Tank von Mithril zu holen. Größer ist mein Leben nicht..."

"Kim...", hauchte Kaname ergriffen.

"Natürlich wirst du überleben. Natürlich hast du auch nach den Untersuchungen ein Leben. Und vielleicht können wir sogar deine Amnesie beheben", sagte Tessa ernst. "Ich werde jedenfalls tun was ich kann. Und in der Schule und deiner Freizeit kümmert sich Kaname Chidori um dich."

Die Frau mit den langen, dunklen Haaren setzte ein Lächeln auf und nickte. "Großes Ehrenwort."

"Ich will euch nicht zur Last fallen", erwiderte Kim schüchtern.

"Ich glaube nicht, dass man meine Last noch wesentlich vergrößern kann", murmelte Kaname ärgerlich.

"Ich leite ein Unterseeboot und einen Mithril-Stützpunkt. Das Wort Last kenne ich gar nicht", behauptete Tessa lächelnd und kniff dabei die Augen zusammen.

Kim wischte sich die Tränen von den Wangen und lächelte schüchtern. "Danke. Danke, ihr beiden."

"Ähemm", machte Melissa Mao vom Eingang her. "Nur falls Ihr vergessen habt, dass ich auch noch da bin. Wir sollten jetzt runter gehen. Sonst beschweren sich die Männer noch, weil sie wieder auf die Frauen warten müssen. Übrigens, Kim, du sprichst gutes japanisch."

"Sousuke hat es mir während des Fluges beigebracht. Er hat extra auf zwei Stunden Schlaf verzichtet", berichtete die blonde Frau. "Er ist sehr nett."

"Zwei Stunden?", fragte Melissa erstaunt. "Das ist schnell."
 

6.

"Der Empfang ist etwas frostig." Indigniert sah Robert Hausen auf den kleineren japanischen Zollbeamten herab. "Und ich dachte immer, das Land der aufgehenden Sonne wäre ein Land der Herzlichkeit."

Der Zollbeamte lächelte, aber nicht mit den Augen. "Bitte gedulden Sie sich noch einen Moment, Mr. Hausen. Da Sie aus einem Bürgerkriegsland mit einem irregulären Flug einreisen, müssen wir Ihr Flugzeug und Ihr Gepäck intensiv durchsuchen. So sind die Vorschriften."

"Sie könnten mir wenigstens einen Kaffee anbieten", brummte der Deutsche verstimmt. Sinnlose Warterei, wie er das hasste. Sein Vogel war sauber, er selbst hatte es angeordnet. Er trug keine belastenden Papiere bei sich und war in Japan ein absolut unbeschriebenes Blatt.

Die Zöllner würden absolut nichts finden und sich anschließend mit nichts sagender Lächelei von ihm verabschieden. Und er hatte fünf Stunden oder mehr verloren. Bereits jetzt war er einen halben Tag zurück. Sein einziger Trost war, dass die verdammten Mithril-Wissenschaftler auf einem Sonntag nicht arbeiteten. Er konnte also aufholen und die junge Frau wieder einfangen, auf die er angesetzt worden war. Vorausgesetzt, das Wissen in ihrem Kopf war interessant für Amalgam.

"Natürlich, Mr. Hausen. Ich lasse Ihnen einen Kaffee bringen. Wenn wir hier fertig sind."

Ergeben seufzte der Deutsche. Seit zwei Stunden fragte ihn der Zöllner aus. Seit zwei Stunden waren es immer dieselben Fragen. Seit zwei Stunden pochten seine Schläfen in unterdrücktem Zorn auf diese übereifrigen Beamten. Sicher, mit einem pedantischen deutschen Beamten konnten sie es nicht aufnehmen. Aber ihre Geduld und Gelassenheit konnte einen gesunden Verstand zermalmen.

"Der Grund Ihrer Einreise, Mr. Hausen?"

"Geschäftlich. Ich muß eine illegale Söldnerorganisation infiltrieren und gegebenenfalls auslöschen."

"Mr. Hausen. Bitte bleiben Sie ernst. Seit dieser riesige Arm Slave im Hafen von Tokio aufgetaucht ist, sind die Fragen für Menschen aus Risikoländern etwas... Direkter. Also, können wir wieder?"

Robert seufzte. "Wir können. Ich bin geschäftlich hier. Ich plane eine feindliche Übernahme des wichtigsten Geschäftskapitals eines mit meinem Konzern verfeindeten Unternehmens."

"Mr. Hausen, geschäftlich hätte als Antwort vollkommen gereicht. Sie kommen aus Rumänien, einem Bürgerkriegsland. Was ist der Grund Ihrer dortigen Anwesenheit?"

"Meine Firma leistet Entwicklungshilfe. Ich habe dort in meiner Aufgabe als Controller ein fehlgeschlagenes Projekt analysiert und bewertet."

"Entwicklungshilfe."

"Ja. Waffen. Arm Slaves und Munition."

"Mr. Hausen, bitte."

"Nun gut. Hochklassige Technik, Verbrauchsgegenstände und Gebrauchsgegenstände gewisser Aspekte des öffentlichen Lebens."

"Schon besser. Haben Sie an Bord Ihres Jets etwas zu verzollen?"

"Nein", antwortete Hausen. Endlich mal eine einfache Antwort. Aber ob sich der Beamte damit zufrieden geben würde? Die Wahrheit interessierte ihn ja anscheinend nicht.

"Kommen wir zu... Moment, entschuldigen Sie mich, bitte."
 

Der Zollbeamte erhob sich, als es diskret an der Tür klopfte. Er ging kurz hinaus. Durch die halb angelehnte Tür hörte Robert zwei Männerstimmen miteinander wispern. Er spitzte die Ohren, verstand aber kein Wort.

Der Zöllner kam wieder herein und verbeugte sich vor Hausen. "Mr. Hausen, die Untersuchung Ihres Flugzeugs wird noch andauern. Aber da wir keine Verdachtsmomente gegen Sie haben und zudem Ihr Fahrer angekommen ist, hat mein Chef entschieden, Sie zu entlassen. Aber bitte halten Sie sich vorerst nur in Tokio auf, falls wir weitere Fragen haben."

"So, so", schmunzelte der Deutsche und erhob sich. Er trat an dem Zöllner vorbei, der sich noch immer verbeugte und ging auf den Flur hinaus.

"Yo, Robert."

Hausen wandte sich zu der Stimme um und erstarrte. "Lin."

Die asiatische Frau grinste ihn frech an. Im Gegensatz zu ihrer Angewohnheit trug sie keine traditionelle chinesische Kleidung, sondern eine saloppe Kombination aus Jeanshose und weiter Bluse, die bemerkenswert tief aufgeknöpft war. Ihr schwarzes Haar trug sie zum Zopf gebunden und nach vorne drapiert, wahrscheinlich um den grauen Kurzhaarschnitt des Deutschen zu karikieren.

"Bist du nicht schon zu alt, um so herum zu laufen?"

Das freundliche Grinsen verschwand. Sie blaffte: "Wer ist hier alt, hä? Habe ich graue Haare oder du?"

"Schon gut, schon gut, Lin. Ich entschuldige mich. Können wir?"

"Ha!" Abrupt wandte sie sich um. "Und du glaubst damit ist es getan? Hmpf!"

Hausen seufzte schwer und ging an der Jüngeren vorbei. Nach einigen Metern hörte er sie empört aufschreien und hinter ihm herlaufen.

"Na, du bist mir ja ein Gentleman. Lässt mich da einfach stehen, nachdem ich dich da rausgeboxt habe. Ist das die Höflichkeit der Deutschen?"

"Die Engländer sind für ihre Höflichkeit bekannt. Die Deutschen für ihre Genauigkeit", tadelte Robert.

"Hm. Dir helfe ich noch mal." Verärgert stapfte die Asiatin neben ihm her.

"Was machst du hier überhaupt, Lin? Ich habe dich nicht angefordert."

"Doppelt undankbar. Wenn das so ist, kann ich ja wieder gehen und du kannst laufen."

Hausen blieb abrupt stehen und ergriff die Frau an der Schulter und an der Hüfte. Er zog sie zu sich heran und bevor sie sich versah hatte er sie schon geküsst.

Als er sie wieder los ließ, hielt sie sich den Kopf. "Woah. Mir ist schwindlig. Wofür war das?"

"Muss ich einen Grund haben, wenn ich dich küssen will?"

Misstrauisch beäugte sie den großen Mann. "Du - ja."

"Wieso? War er nicht gut?"

"Das mit der Zunge musst du noch ein wenig üben, aber ansonsten kann ich mich nicht beklagen und - Hey, habe gar nicht gemerkt, dass wir schon draußen sind."

"Das war ja auch der Sinn der Aktion. Wo steht der Wagen?"

"Hier lang, Robert."
 

Eine schwarze Limousine mit Chauffeur erwartete sie bereits. "Sie gehört nicht zur Organisation. Ich habe sie angemietet und persönlich geprüft. Der Fahrer gehört zu meinen Leuten", sagte sie, als der Chauffeur ihnen die Tür zum Fonds aufhielt.

Robert setzte sich, Lin nahm ihm gegenüber Platz.

"Wir fahren zu meinem Stadthaus. Bis auf meinen Bruder Andrew und elf Mann seines Gefolges dürften wir dort alleine sein. Wir können in aller Ruhe unsere nächsten Schritte planen."

"Was mich wieder zu meiner Frage bringt. Wer hat dich angefordert?"

Lin wechselte auf seine Seite und kuschelte sich an ihn. "Was denn? Brauche ich einen Grund um dir zu helfen?"

"Das ist es nicht. Es wundert mich, dass die alten Männer dir Ressourcen freigegeben haben, um deinem Bastard-Mann zu helfen. Das wäre das erste Mal seit fünf Jahren, dass die alten Männer mich nicht tot sehen wollen."

Lin zuckte die Achseln. "Was soll´s, solange du Vater auf deiner Seite hast, haben wir auch die gelegentlichen Triadenkiller im Griff, die die alten Knacker ab und an auf dich hetzen."

Sie rieb ihre Wange an seiner Schulter. "Wann kommst du endlich mal wieder nach Hause, wenn ich auch da bin? Immer verpassen wir uns."

Gedankenverloren streichelte Hausen über ihre andere Wange. "Tut mir leid, die Sache mit dem Kingdom Sahara ging schneller zu Ende als ich dachte. Dann kam mir ein neuer Auftrag dazwischen. Du weißt, ich kann das Geld gebrauchen."

Lin seufzte schwer. "Ich weiß ja, ich weiß. Die Unterhaltung und die Sicherheit der Villa kosten ein Vermögen. Und dann fühlt man sich auch noch so gefangen und eingesperrt. Wie in einem goldenen Käfig. Wenn du nicht da bist, ist es so unerträglich..."

Hausen nickte schwer und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. "Ich weiß, mein Schatz. Ohne dich ist das Haus so unendlich groß. Aber es ist unser Haus, unsere Zuflucht."

"Eine Zuflucht vor der halben Welt." Wieder seufzte die Asiatin. "Wir werden nie unsere Ruhe haben. Oder einfach an einem schönen Ort in Frieden leben können. Vor zehn Jahren fand ich dieses Leben noch so interessant, so aufregend. Ständig in Bewegung, ständig am Puls der Welt, immer in Gefahr, Spannung pulsiert wie Starkstrom durch unsere Adern... Aber das kann nicht immer so weitergehen, Robert."

Hausen lachte auf. "Wir haben uns da wohl die falschen Berufe ausgesucht. Ich als internationaler Spion und du als illegale Arm Slave-Pilotin der Triaden. Einmal ganz davon abgesehen, dass wir uns ein paar Yakuza-Gruppen, einige Mafia-Clans und sonstige illegale Gruppen zum Feind gemacht haben. Ohne den Schutz durch deinen Vater und deine Brüder hätte es längst einen von uns beiden erwischt."

"Sag so was nicht. Das bringt Unglück", tadelte sie ihn ernst. "Ich will so was auch gar nicht hören. Verstanden, Robert?"

Hausen lachte leise. "Ich sehe den Tag kommen, an dem unser Schutz für deine Triadenfamilie zu teuer wird und wir ganz alleine da stehen."

"Auch so was solltest du nicht sagen. Vater wird uns immer beschützen."

"Auch er kann das nicht ewig." Robert Hausen runzelte die Stirn. "Andererseits hätten wir uns nie kennen gelernt, wenn wir nicht diese Berufe hätten, was?"

"Richtig." Sie drängte sich noch etwas enger an den Deutschen heran.

"Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du hier machst. Außer die Einreiseformalitäten zu beschleunigen."

"Amalgam hat mich angeheuert. Vier Arm Slaves, zu deiner Verfügung. Mistral II, französische Fabrikation auf dem neuesten Stand. Wofür brauchst du sie?"

"Hm? Hat dir dein Auftraggeber nicht gesagt, was ich hier tun soll?"

"Für mich reicht es, wenn du den Auftrag durchführst. Ich habe sofort zugesagt. Also, was sollen wir machen?"

Hausen atmete geräuschvoll aus. "Wir legen uns mit Mithril an."

"MITHRIL?" Erschrocken fuhr die junge Frau zusammen. "Hast du wirklich Mithril gesagt? Die sind dir doch schon in der Sahara in die Quere gekommen, oder? Ist es Rache? Wenn ja, dann eine brandgefährliche. Unterschätze sie lieber nicht."

"Rache? Nein, darum geht es nicht, Schatz. Es ist ein normaler Auftrag, der gutes Geld bringt. Wäre es persönlich, würde ich mir meinen Gegner im Mittelmeer suchen und nicht hier in Japan. Dieser Arm Slave-Pilot... Schon gut. Mit etwas Glück kommst du gar nicht zum Einsatz. Es wird wohl eine Kommandomission."

"Hat das was mit den Leuten von Mithril zu tun, die heute Morgen am Narita gelandet sind? Ich frage nur, weil ein paar Yakuza an ihnen dran sind. Meine Agenten haben davon berichtet."

"Yakuza? Vielleicht nehmen sie uns etwas Arbeit ab."

**

"Hatschi!" "Haben Sie sich erkältet, Kramer-sensei?"

Thomas warf seiner Gesprächspartnerin einen beruhigenden Blick zu. "Bestimmt nicht, Kagurazaka-sensei. Es hat wohl nur jemand intensiv an mich gedacht."

"Ach, das alte Sprichwort." Die Japanerin lächelte den großen Deutschen an. "Dann hoffe ich doch, dass er etwas Gutes gedacht hat."

Wohl eher nicht, ging es Thomas durch den Kopf. Laut sagte er: "Apropos gut. Sie haben sicherlich viel Mühe mit Sousuke in der Klasse, nicht wahr?"

Ihre Miene veränderte sich dramatisch. Das Lächeln verschwand vollkommen und machte einem depressiven Gesichtsausdruck Platz. "Sagara-kun ist... Nun, etwas schwierig. Eine Zeitlang dachte ich, es wird besser mit ihm, aber... Oh, er ist so ein verdammter Waffennarr. Können Sie nicht, als lebender Verwandter...?"

Abwehrend hob Thomas die Arme. "Ich bin vielleicht sein letzter lebender Verwandter, das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, Kagurazaka-sensei. Ich kenne die Verwandschaft seines Vaters nicht. Aber wir haben uns in den letzten siebzehn Jahren nur zweimal gesehen. Ich weiß nicht, ob ich Einfluss auf ihn habe. Oder ihm sogar seine Waffen verbieten kann. Aber auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass er es gut meint."

Die Miene der Japanerin wechselte erneut. Über ihrem rechten Auge trat eine Ader stark hervor, während das Lied unkontrolliert zu zucken begann. Ihr Mund verzog sich zu einem bitterbösen Lächeln. "Ja... Gewiss... Er meint es gut... Er meint es IMMER gut..."
 

Übergangslos verschwand die Miene wieder und machte dem Lächeln Platz. "Aber das ist ja jetzt egal. Endlich hat Sagara-kun jemanden, an dem er sich orientieren kann. Ein großes, stattliches männliches Vorbild. Das wird ihm Halt geben."

Verdutzt sah Thomas auf. "Sie meinen doch nicht mich, Kagurazaka-sensei?"

Er, ein Vorbild? Er war Offizier, das war es auch schon.

"Sie sind sehr charismatisch. Sagara-kun hört auf Sie, Kramer-sensei. Das ist ein gutes Zeichen."

"Er hört auf meine Befehle", murmelte Thomas leise. "Charismatisch? Ich?"

"Vielleicht liegt das an Ihrer Arbeit, ich meine Ihrer richtigen Arbeit. Eine eigene Abteilung in einem Konzern zu führen ist sicher sehr anstrengend. Vor allem wenn es die Sicherheitsabteilung ist. Das Sie Ihren Urlaub opfern, um Ihrem Cousin Zeit zu widmen und Sanders-kun zu begleiten, die Tochter Ihres Chefs, ist sehr anständig von Ihnen."

Thomas runzelte die Stirn. Mithrils Pazifik-Kommando hatte verdammt schnell und gründlich gearbeitet. Es erklärte einiges, auch von dem was die nächsten Tage und Wochen an Widersprüchlichkeiten entstehen würde.

"Ach das. Da haben sich nur zwei Gelegenheiten ergeben. Die dritte Möglichkeit, mein japanisch zu verbessern und gleichzeitig an Ihrer Schule englisch und deutsch zu unterrichten ist auch ein wichtiger Grund. Es ist sehr lange her, dass ich jungen Schülern etwas beigebracht habe. Ich vermisse diese Zeiten. Manchmal... Manchmal frage ich mich, ob ich den falschen Beruf habe und ob ich nicht lieber Lehrer hätte werden sollen. Ich stand kurz davor, es wirklich zu tun, aber dann wurde mir meine aktuelle Aufgabe angeboten."

Das war nicht ganz wahr und nicht ganz gelogen und verflocht sich zu einem feinen Gespinst aus Halbwahrheiten und Tatsachen. Thomas runzelte die Stirn. Er hätte das Dossier besser lesen sollen.

"Nun, dann betrachten Sie diese zwei Wochen an unserer Schule doch als Orientierung. Man sagt, es ist selten zu früh und nie zu spät, um etwas Neues zu beginnen, Kramer-sensei."

Verblüfft sah der Deutsche die Lehrerin an. "Sie müssen eine gute Lehrerin sein, Kagurazaka-sensei."

"So, finden Sie, Kramer-sensei?", fragte die Frau verlegen und strich sich mit der Rechten ihre Haare zurück.
 

"THOMAS!" Übergangslos hing ihm Kim am linken Arm. "Thomas, du hast versprochen, mit mir und Kaname-chan über das Schulfest zu gehen. Oder ist das nicht mehr so wichtig für dich?"

Bei der finsteren Miene des jungen blonden Mädchens schluckte der Arm Slave-Pilot hart. "Ach ja, sind Chidori-kun und Sousuke schon so weit? Dann sollten wir aufbrechen. Kagurazaka-sensei, falls wir uns heute nicht mehr über den Weg laufen sollten, sehen wir uns morgen."

"Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, Kramer-sensei."

Thomas deutete eine Verbeugung an, die von der Lehrerin mit einem Nicken erwidert wurde. Derweil zerrte Kim mächtig an seinem Arm und zog in aus dem Lehrerzimmer.

Auf dem Flur empfing ihn der Lärm von tausenden Schülern und Besuchern - und eine lautstarke Standpauke, die Kaname Chidori gerade für Sousuke Sagara hielt.

"Wie oft muß ich es dir denn noch sagen! Sousuke! Ich rede mit dir!"

"Thomas! Wir müssen reden. Entschuldigt uns, Kaname, Kim."

"Sousuke, ich rede mit dir! Sonst haut er nie ab, wenn ich mit ihm meckere."
 

Der Sergeant von Mithril zog seinen Vorgesetzten um die nächste Ecke. "Melissa meldet verdächtige Personen unter den Besuchern. Wir sollten Kaname und Kim nichts davon sagen, aber..."

"Amalgam?", hakte Thomas nach.

"Schwer zu sagen. Auf jeden Fall sollten wir die Augen offen halten."

Thomas seufzte schwer. "Du weißt, was das bedeutet, Sousuke? Hat sich was mit ruhigem Schulfest. Ab jetzt müssen wir arbeiten."

"Willkommen in meinem Schulalltag, Thomas."

"Nanu, war das etwa sanfte Ironie in deiner Stimme, Sousuke Sagara?"

Für einen Moment schien der Söldner zu schmunzeln. "Ich habe meinen Humor nicht abgegeben, als Mithril mich anheuerte." Er dachte einen Augenblick nach. "Zumindest nicht das wenige, was ich hatte."

Thomas runzelte die Stirn. "Daran können wir die nächsten Tage ja arbeiten. Gehen wir zurück zu den Mädchen."

"Verstanden."
 

Als sie auf den Gang zurückkamen, empfing die zwei ein doppelter eisiger Blick. Sousuke schluckte hart. Aber der Blick galt nicht ihm. Er galt Thomas.

"Mann, womit habe ich denn Kaname verärgert?"

"Wo wart Ihr solange? Wir warten hier und warten hier und es wird immer später. Vergesst nicht, wir haben nur wenig Pause. Und wir wollten noch was essen", empfing sie Kaname wütend.

"Na, na, wie redest du denn mit deinem Lehrer?", tadelte Thomas schmunzelnd.

"Apropos Lehrer", fiel Kim ein, "hast dich ja gut mit ihr verstanden, was?"

"Mit Kagurazaka-sensei? Es geht so. Warum?"

"Nichts." Wütend wandte sich Kim um und stapfte davon.

"Kana-chan! Ist das unsere Neue? Ist sie... Warum ist sie denn so sauer?"

"Nicht jetzt, Kyoko. Komm einfach mit. Kim, nun warte doch. Kim!"

Verzweifelt breitete Thomas die Arme aus. "Was habe ich denn gemacht?"

Wortlos reichte Sousuke dem Deutschen einen Kommunikator, bestehend aus einem fast unsichtbaren Ohrstecker und einem hauchdünnen Bügelmikrofon.

Automatisch legte der Captain das Equipment an und verstaute noch den dazu gehörenden Transmitter in seinem Anzug.

"Was du gemacht hast, willst du wissen?", klang Melissa Maos Stimme auf. "Frag dich lieber, was du nicht gemacht hast."

"Irgendwie hasse ich die Richtung, in die deine Gedanken führen, Melissa."

"Du bist ja auch selber Schuld, Thomas", hörte er Kurtz auf deutsch sagen, eine Sprache, die Melissa und Sousuke nicht beherrschten, "du hast sie viel zu nahe an dich heran gelassen. Nun musst du mit der Situation fertig werden. Also flirte nicht soviel mit der Lehrerin."

"Ich habe nicht mit..." "Aber Kim hat es gedacht. Komm schon, erzähl mir nicht, dass du so blöde bist, Junge."

"Könnt ihr entweder auf eine Sprache wechseln, die wir alle verstehen oder euch privat weiter unterhalten?", blaffte Melissa dazwischen.

"Schon gut", brummte Thomas auf englisch. "Was erwartet sie von mir? Ich bin hier um sie zu beschützen, nicht um sie..."

"Frag mal Sousuke wie es ist, eine störrische Person zu beschützen. Das gibt der ganzen Sache erst den Pepp", unterbrach ihn Kurtz erneut.

Da er diesmal japanisch gesprochen hatte, konnte der Gun-so ihn auch verstehen.

Unbewusst nickte Sousuke. "Ich habe es befürchtet. Los, Sousuke, hinterher."
 

Die beiden setzten sich in Bewegung, die Waffe in Thomas´ Schulterholster erschien ihm plötzlich sehr schwer zu sein. "Okay, Melissa, was hast du für uns?"

"Es sind ein paar Männer auf dem Gelände, sehr leger gekleidet, zu leger, einzeln oder in Zweiergruppen unterwegs. Ich glaube nicht, dass sie Angehörige unter den Schülern haben. Es sieht so aus als würden sie sich durchfragen."

"Alt oder jung?" "Was?" "Alt oder jung? Ich will nicht in den Streit zwischen zwei rivalisierenden Jugendbanden geraten, Melissa."

"Alt. Mitte zwanzig aufwärts."

"Gut. Wie viele sind es bisher?"

"Ich habe sieben gezählt. Drei mit Sakko, zwei mit Shirt, einer mit Weste und der mit dem Tattoo trägt ein offenes Hemd."

"Melissa, hast du gerade Tattoo gesagt?"

"Ups." "Ja, Ups. Yakuza?" Er sah zu Sousuke herüber, während sie unwillkürlich im Treppenhaus beschleunigten.

"Was könnten Yakuza von Kim oder Kaname wollen?", erwiderte Melissa.

Sousuke blieb abrupt stehen. Er wurde bleich, auf seiner Stirn bildete sich ein leichter Schweißfilm. "Mist!"

"Hat Sousuke gerade geflucht? Thomas, war das gerade Sousuke? Wenn ja, sollten wir den Tag rot im Kalender anstreichen und nächstes Jahr ganz groß feiern. Okay, Sousuke, was ist los?"

"Die Yakuza sind hinter Kaname her. Eine Geschichte von neulich."

Thomas dachte einen Moment nach. Durch seinen Rang hatte er in Tessas Abwesenheit automatisch das Kommando. Damit aber auch automatisch die Verantwortung für den Schutz aller Whispered, also ebenso für Kaname Chidori, nicht nur für Kim Sanders.

"Okay, Melissa, Kurtz, Sousuke. Wir neutralisieren sie."

"Wird das nicht eine Riesenschweinerei? Außerdem habe ich mein Scharfschützengewehr nicht dabei", scherzte Kurtz Weber.

"Ich sagte neutralisieren, nicht töten."

"Mein Nahkampfskill ist nicht wirklich hoch, Thomas. So was machen eigentlich Sousuke und Melissa-nee-chan für mich."

"Dann kriegst du die leichten Gegner. Also, wir neutralisieren sie einen nach dem anderen, sperren sie in einen Abstellraum, fragen sie kurz aus und lassen sie nach dem Schulfest abholen. Und danach würde mich die Geschichte interessieren, warum Yakuza hinter Kaname her sind, Sousuke."

Der Gun-so wurde noch eine kleine Spur bleicher. "J-ja, Sir."

"So schlimm?" Thomas runzelte die Stirn. "Holen wir die Mädchen besser schnell ein."

"V-verstanden, Sir!"

**

"Morgen." Gähnend betrat Second Lieutenant Rogers die Messe der FEANOR. "Diese Einsätze bringen mich irgendwann noch mal um."

"Morgen. Wenn du immer so wenig schläfst, hast du sogar Recht", tadelte Timothy Scott die Amerikanerin.

"Hm?" Sam hob eine Augenbraue und betrachtete den Hubschrauberpiloten. "Hast du was gesagt, Tim?"

"Nur über deinen ungesunden Lebenswandel. Wie viele Biere hast du dir gestern Abend nach dem Einsatz gegönnt? Ein Dutzend? Mehr?"

Sam streckte sich und gähnte dabei noch einmal herzhaft. "Es war eine harte Schlacht, aber letztendlich habe ich gewonnen. Ich hatte ja auch tolle Hilfe."

"Welchen armen Mann hast du denn diesmal unter den Tisch gesoffen, hm?" Desinteressiert stocherte der Hubschrauberpilot in seinem Essen herum.

"Sandra Ciavati."

"Hm? Hast du das Feindbild gewechselt? Oder warum bestrafst du die arme Sandra so hart?"

"Was meinst du mit bestrafen, Timmie?" Sie beugte sich auf die Tischplatte herab und sah den Engländer mit funkelnden Augen an.

"Ich kann dir ins Dekolleté sehen, Sam", konterte Scott mit kühler Stimme.

Die Amerikanerin errötete. Aber es brachte sie nicht wirklich aus dem Konzept. "Ist ja nicht so als würdest du so etwas zum ersten Mal sehen, oder?"

"Du solltest wirklich einen BH tragen, Mädchen."

Ihr heftiger Schlag mit der geballten Faust auf seine Stirn ließ ihn zusammen zucken.

"Man kann mit dir nicht ernsthaft reden. Man kann sich nicht richtig mit dir unterhalten! Männer!"

"Deshalb brauchst du mich nicht gleich zu hauen! Ich bin First Lieutenant, vergiss das nicht", sagte Timothy brummig und rieb sich die schmerzende Stelle auf der Stirn.

"Willst du als Offizier vielleicht die besondere Behandlung? Doppelte Ration für Vorgesetzte?", knurrte sie wütend.

"Schon gut, schon gut. Wir waren bei Sandra. Du hast sie also unter den Tisch gesoffen?"

"Nein, nicht unter den Tisch gesoffen. Sie hat mittendrin aufgegeben. Es scheint so, als würden die Italiener nicht viel vertragen, wenn es Bier statt Wein gibt. Was gibt es zum Frühstück?"

"Toller Themawechsel", brummte Tim. "Wir haben amerikanische Woche. Also Omelette, Bratwürstchen, Eier, Speck und so.

Sag mal, hast du die arme Sandra wenigstens beurlaubt? Oder ist sie jetzt auf der Krankenstation? Heute habe ich sie jedenfalls noch nicht gesehen. Ich meine, solange Thomas nicht da ist, hast du ja... Au! Wofür war der denn? Ich habe doch gar nichts Schlimmes gesagt, Sam!"

"So! Du vermisst also Thomas, ja? Der Heilige ist nicht hier und die ganze Arbeit bricht zusammen, hä? Unter mir nimmt die Leistungsfähigkeit des Teams gleich auf die Hälfte ab, oder was?"

"S-sieh mich nicht so grimmig an, Sam", erwiderte Tim mit dünner Stimme. "A-außerdem kann ich dir schon wieder ins Dekolleté sehen."

"Du lernst es wohl nicht, du kleiner, perverser..."

"Ähemm!", erklang hinter der Arm Slave-Pilotin eine laute Stimme.

"WAS?" Sie fuhr herum - und erstarrte.

Lieutenant Colonel Santos weidete sich einen Augenblick lang an ihrem Entsetzen, bevor er sich räusperte. "Lieutenant, das misshandeln von Vorgesetzten wird vom Kriegsbericht bestraft, das wissen Sie doch hoffentlich."

"I-ich... Ich meine, wir... Timmie und ich, wir...", haspelte sie hervor und gestikulierte mit beiden Armen zwischen sich und dem Hubschrauberpiloten hin und her.

"Wie dem auch sei", unterbrach der Spanier die Amerikanerin. "Nachbesprechung um Eins Einhundert. Ich erwarte, dass alle Beteiligten anwesend sind. Sie können wegtreten, Lieutenant Rogers."

Sam wurde rot. Doch sie riss sich zusammen und salutierte. Es wirkte etwas lächerlich, als sie sich anschließend ein Tablett schnappte, um sich bei der Essensausgabe anzustellen.
 

"Sir, das war nicht nötig", sagte Tim leise. "Sie hat das nicht ernst gemeint und sie hat auch nicht richtig zugeschlagen. Sie..."

"Sie hat Angst, First Lieutenant, einfach nur Angst. Es ist noch nicht lange her, da hat ihr ein Arm Slave fast das Lebenslicht ausgelöscht. Das hat sie immer noch nicht verdaut. Thomas hat sie damals raus gehauen. Jetzt ist der heilige Thomas weg und sie hat auch noch das Kommando. Ich würde mir wirklich Sorgen um sie machen, wenn sie keine Angst hätte."

"Das ist es nicht, Sir. Ich meine, nicht nur", warf Timothy Scott ein.

Interessiert hob der Spanier die Augenbrauen. "So? Was kommt denn noch dazu, Mr. Scott?"

"Sie vermisst ihn, Sir. Schlicht und einfach, sie vermisst ihn."

"Ach, und das ärgert Sie, was?"

Lieutenant Scott wollte aufspringen, losbrüllen, sich rechtfertigen oder sonst etwas tun, aber er brachte es nur zustande, geräuschvoll auszuatmen. "Egal ob Thomas da ist oder nicht, irgendwie spielt man neben ihm immer die zweite Geige. Das nervt, Sir. Das nervt wirklich."

"So? Dann habe ich gute Nachrichten für Sie, Mr. Scott." Colonel Santos sah zu der Arm Slave-Pilotin hinüber, die mit einigen Leuten in der Essensschlange zu scherzen begonnen hatte. "Da wo Thomas Kramer jetzt ist, kann er froh sein, überhaupt noch im Orchester zu sein. In der Pazifik-Division wimmelt es von charismatischen, erfahrenen Anführern, die ihn locker in die Tasche stecken. "

**

Ein langer und harter Nachmittag ging zu Ende, das Schulfest war fast vorbei.

Sagara und Mao waren gerade dabei, ihren letzten Fang zu verhören. Während dessen suchte Weber von seiner erhöhten Position nach weiteren potentiellen Gegnern.

"Das scheint es gewesen zu sein", klang seine Stimme auf. "Außerhalb des Gebäudes kann ich jedenfalls keine Verdächtigen mehr erkennen."

"Dann sehen wir drin noch mal nach", bestimmte Thomas. "Melissa, Sousuke, knebelt mir den letzten gut. Und, Sousuke, ich bin wirklich sehr gespannt auf die Geschichte."

"Ja, Sir", sagte der Arm Slave-Pilot und wirkte dabei zerknirscht.

So oft, wie der Gun-so ihn schon Sir genannt hatte, musste Thomas misstrauisch werden. Und neugierig. Er brannte wirklich darauf, die ganze Geschichte zu hören.

Aber erstmal musste er die Sicherheit seiner beiden Schutzbefohlenen gewährleisten, die Schule musste sicher sein.

Also verließ er den Abstellraum und begann sich systematisch durch das Stockwerk zu arbeiten.
 

Als ihn jemand anrempelte biss der Deutsche die Zähne zusammen, um nicht laut aufzustöhnen. Na toll, ausgerechnet diese Stelle musste der verirrte Ellenbogen treffen. Ausgerechnet diese Stelle.

Thomas lehnte sich an die nächste Wand und war dankbar dafür, dass dieses Stockwerk schon so leer war. Er griff unter seine Anzugjacke und berührte die schmerzende Stelle. Als er die Hand wieder einzog, war die Innenseite von Blut bedeckt.

"Melissa, die Wunde ist wieder aufgegangen."

"Was hast du gemacht, einen Dauerlauf?", tadelte die Pilotin ernst.

"Ein spitzer Ellenbogen am richtigen Ort zur falschen Zeit. Der Verband ist verrutscht. Ist aber nicht weiter schlimm. So stark blutet es nicht."

"Okay, mach deine Runde zu ende und komm dann zurück. Ich verarzte dich noch mal."

Thomas grinste dünn. "War das ein Versprechen, Sho-so?"

"Aber, aber, ich kann doch meinen Lieblingscaptain nicht verbluten lassen", spottete sie.

"Verarztet von einer schönen Frau. Da heilt es gleich doppelt so gut."

"Das hast du beim ersten Mal auch schon gesagt."

"Mir gehen wohl die Sprüche aus, was?" Thomas stieß sich von der Wand ab. "Bis gleich."
 

"Ah, ich habe Sie schon überall gesucht, Kramer-sensei!"

"Kagurazaka-sensei!" Erschrocken blieb Thomas stehen, als er die Stimme der Lehrerin hinter sich hörte. Langsam drehte er sich um und legte die Hand wieder auf die Wunde. Nun, sie war nicht tief und nicht gefährlich, nur ein eher oberflächlicher Schnitt mit einem schlecht geschärften Messer, aber sie hatte ordentlich geblutet und tat es schon wieder. Das Hemd war in jedem Fall hinüber. Und der Anzug musste zumindest in die Reinigung.

"Kramer-sensei, ich kann Sagara-kun nirgends finden und ich befürchte, er stellt wieder irgendeine... Geht es Ihnen nicht gut? Sie halten sich den Magen."

"Nicht so wild", haspelte Thomas hervor und dankte allen Göttern, dass die Lehrerin das nahe liegendste angenommen hatte, nämlich einen verdorbenen Magen und keine Schnittwunde. "Ich vertrage wohl keinen Tintenfisch."

"Wenn Sie sich hinlegen wollen, ich kann Sie zum Krankenrevier bringen."

Nun war sie erst recht besorgt. Verzweifelt suchte Thomas nach einem Ausweg. "Ich denke nicht, dass ich die Beine hochlegen muß, um den Magen auch noch mit Blut aus den Beinen zu belasten.

Ich denke, ich werde einfach in Bewegung bleiben und so meinen Magen wieder auf Vordermann bringen. Dabei halte ich ein Auge nach Sousuke auf. Versprochen."

"Danke. Wenn ihn jemand zur Vernunft bringen kann, dann sind das Chidori-kun und hoffentlich Sie als sein Cousin. Und ich soll Sie wirklich nicht..."

Mit der Linken wehrte er sanft aber bestimmt die helfende Hand der Lehrerin ab. "Nein, es geht, es geht wirklich. Aber haben Sie vielleicht die Tochter von meinem Chef gesehen, Kagurazaka-sensei? Ich habe sie und Chidori-kun aus den Augen verloren, irgendwo zwischen dem Geisterhaus und dem amerikanischen Lokal."

"Wenn ich sie sehe, werde ich ihnen ausrichten, dass Sie sie suchen, Kramer-sensei."

"Vielen Dank, Kagurazaka-sensei."

Sie nickten sich knapp zu, dann verschwand die Japanerin im Gang.
 

Wieder ließ sich Thomas gegen die Wand sinken. Verdammt, das war knapp gewesen. "Kurtz, wie sieht es bei dir aus?"

"Bin jetzt im zweiten Stock und arbeite mich zu dir vor. Du müsstest jetzt eigentlich Kaname-chan und Kim-chan sehen können. Sie sind vor mir in dein Stockwerk gegangen und..."

"Ähemm!"

Thomas zuckte heftig zusammen, als er das lautstarke Räuspern hörte. Er rutschte fast die Wand hinab, die ihm als Stütze diente.

Nachdem er sich etwas gefangen hatte, sah er böse zur Seite. "WAS?"

Kim war von dieser verbalen Attacke unbeeindruckt. "Hm. Du verstehst dich ja mittlerweile ganz gut mit dieser Lehrerin, was? Nicht, dass mich das was angeht."

Erst wollte Thomas erleichtert aufatmen, aber dann erinnerte er sich an seine Regel Nummer fünf im Umgang mit Frauen: Verneinungen bedeuteten immer das Gegenteil, solange es sich nicht um militärische Angelegenheiten handelte. In diesem Fall hieß es geht mich nichts an frei übersetzt: Was hast du ausgefressen? Er versuchte es rational.

"Es hat nichts zu bedeuten, wenn ich mich mit ihr unterhalte. Ich habe sie weder zum Karaoke eingeladen, noch werden wir nach der Arbeit in einer Bar einen trinken gehen. Zufrieden?"

Misstrauisch sah die junge Frau an ihm hoch.

Kaname verabschiedete sich gerade von dem dritten Mädchen, Kyoko oder so, und gesellte sich dazu. Ihre Miene wechselte unentschlossen zwischen was habe ich nicht mitgekriegt und was hast du angestellt?

"Hm. Was hat sie dir gegeben, Thomas?"

"Gegeben?" Der Offizier von Mithril zwinkerte verblüfft. "Gegeben?"

"Na, was du da unter deinem Anzug versteckst." Mit übertriebener Fröhlichkeit griff Kim nach seiner rechten Hand. Thomas war zu verblüfft um sich zu wehren. Also zerrte sie die Rechte hervor. Sie erstarrte. Und sackte auf die Knie herab. "B-blut..." Zitternd starrte sie auf die Hand, die sie immer noch umklammert hielt. Dann sah sie zu Thomas hoch, der dadurch in eine sehr unangenehme Haltung gezwungen wurde. "Blut."

"Es ist nichts schlimmes, nur ein kleiner Schnitt", versuchte Thomas die Frau zu beruhigen.

"Wie kommt man an dieser Schule zu einem kleinen Schnitt?", mischte sich Kaname ein.

"Nun, indem man auf Yakuza trifft, die nach einer gewissen Kaname Chidori suchen", erwiderte Thomas trocken. "Sagt dir das irgendwas?"

"Ach, Yakuza? Und sie haben nach mir gesucht? Ahaha. Ahahahahaha. Das kann ich mir gar nicht erklären." Ihr Gesichtsausdruck wechselte von unschuldig auf wütend. "Aber ich kenne da jemanden, der es kann!"

"Wir haben die Lage unter Kontrolle. Und wir haben alle eingesammelt, die wir finden konnten." Thomas ging vor Kim in die Hocke. "Hörst du? Alles ist gut. Wir haben sie. Es wird nichts passieren."
 

Der Arm Slave-Pilot sah in die Augen des blonden Mädchens und erschauderte. In diesen tiefen Abgründen sammelte sich Verzweiflung, Angst, Erinnerungsfetzen und Fragmente des Wissen der Whispered. Sie schien vor ihrem inneren Auge eine sehr traumatisierende Szene zu erleben, denn sie schluchzte erschrocken. Dann wurden ihre Augen wieder klar.

Sie fiel dem Deutschen um den Hals und umklammerte ihn wie eine Ertrinkende in Panik ihren Lebensretter. "Nicht sterben. Bitte nicht sterben. Nicht du auch noch."

Vorsichtig legte Thomas ihr die linke Hand auf den Rücken und drückte sie sanft an sich. Die junge Frau zitterte wie Espenlaub. Der Erinnerungsschub, den sie gerade gehabt hatte, musste furchtbar gewesen sein.

"Ich sterbe doch nicht", erwiderte Thomas. "Darauf hast du mein Wort."

Als Antwort schluchzte die junge Frau und begann zu weinen.
 

7.

"Lass bitte den Fahrer halten, Schatz." Robert Hausen beugte sich interessiert vor.

Lin zögerte nicht lange. Kurz darauf verließ Hausen den Wagen, seine Frau an der Seite.

"Was willst du hier, Robert? Hast du noch nie ein japanisches Schulfest gesehen?"

Der Deutsche lächelte dünn. "Dies hier ist die Jindai High School. Schön, dass wir an ihr vorbei kommen. Ich hätte sie sowieso aufsuchen wollen."

"Jindai, Jindai... Keine schlechte, aber auch keine besondere Schule. Was interessiert dich an ihr?" Zögernd folgte sie dem größeren Hausen auf das Gelände. Viele Besucher gingen gerade, und so standen sie in einem Strom Menschen.

"Amalgam hatte einige Zeit Interesse an dieser Schule. Hier gibt es eine Whispered."

"Hm? Und dann haben sie noch nicht versucht, sie zu entführen? Nicht gerade typisch."

Hausen schmunzelte. "Sie haben es versucht. Mit zwei großen und mehreren kleinen Aktionen. Sie endeten alle im Fiasko. Diese Whispered hat einen hervorragenden Personenschutz. Und es wird wohl noch etwas dauern, bevor sich Amalgam erneut an dieses Projekt heran trauen wird."

Er dachte kurz nach, während sich der Innenhof mehr und mehr leerte. "Das wäre eine Aufgabe nach meinem Herzen, weißt du?"

Lin drückte sich an den großen Mann. "Stimmt. Das ist eine Aufgabe nach deinem Geschmack. Unmögliches zu vollbringen, zu schaffen woran alle anderen gescheitert sind."

Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. "Das ist mein Robert."

Hausen lächelte bei der Berührung durch ihre Lippen. Viel war passiert in seinem Leben. Vieles hatte er getan und gelassen. Vieles bereute er. Doch sich mit der Triadenprinzessin einzulassen, sie sogar zu heiraten, hatte er nie bereut.
 

Dies war der Moment, als ihm eine Gruppe aus drei Frauen und drei Männern auffiel, die fast auf der anderen Seite des Innenhofs zum Ausgang strebten. Zwei der Männer und eine der Frauen - sie trug eine Schuluniform - schienen Ausländer zu sein.

Die zweite Frau in Schuluniform war Japanerin. Und zudem...

Ein dünnes Schmunzeln huschte über sein Gesicht. Er hatte das Dossier dieser Frau gelesen, wieder und wieder. Die Whispered Kaname Chidori. Amalgam hatte Gelegenheit gehabt, einen Großteil ihres geheimen Wissen zu testen, war aber zu dem Ergebnis gekommen, dass sie keine neuen Erkenntnisse in sich trug. Den Rest zu testen war aufwändig und dem Risiko nicht angemessen gewesen, deshalb genoss das Projekt keine Priorität. Die Whispered aus Rumänien hingegen hatte diese Priorität.

Erschrocken zuckte Robert zusammen, als er die blonde Frau in der Gruppe wieder erkannte. Wenn Gott Ironie mochte, dann hatte er gerade richtig zugeschlagen.

Der Junge in Schuluniform bemerkte seinen Blick. Automatisch glitt seine Hand unter die Uniformjacke. Hausen wusste sofort, dass sich dort eine Handfeuerwaffe verbarg.

Aber hier würde der junge Mann sie nicht ziehen. Nicht solange noch Zeugen anwesend waren, egal wie verdächtig ein Deutscher und eine Chinesin ohne Bezug zu dieser Schule auf dem Pausenhof waren.

Nun wandte sich der Mann im dunklen Anzug um. Ihre Blicke begegneten sich und er blieb stehen, während der andere Ausländer mit den langen blonden Haaren schwatzend die Damen weiter schob. Der Junge in Schuluniform blieb an der linken Flanke und behielt sie im Auge.

Hausen interessierte das nicht. Nicht in diesem Moment. Er fixierte den Mann im Anzug und bekam von ihm nichts geschenkt.

Sie tauschten einen Blick voller Intensität aus. Hausen kannte dieses Gesicht nicht, aber in den Augen dieses Mannes las er, dass er es gewohnt war Schmerzen zu ertragen, hart zu arbeiten und nicht aufzugeben.

Er war von dem Schlag Männer, die sich Hausen als Untergebene wünschte.

Zudem bewies der harte Blick eines: Dieser Mann war nicht zu seinem Vergnügen hier.

Um das zu erkennen hätte es nicht die Gesellschaft der Whispered gebraucht.
 

"Thomas, kommst du?"

Der Blickkontakt brach ab. Der andere sah zu der Gruppe, die gerade den Hof verließ. Eine der Frauen, die in der Zivilkleidung, hatte gerufen. Dabei hatte sie eine Hand auf die Schulter der blonden gelegt.

Hausen schmunzelte. Bingo.

"Bin schon unterwegs." Der Mann namens Thomas taxierte ihn noch einmal mit einem scharfen Blick, bevor er seinen Weg fortsetzte.
 

Hausen sah seine Frau an. "Wir sollten jetzt auch besser gehen. Ich glaube, Mithril hat genügend Bilder von uns geschossen."

"Mithril?"

Der Deutsche ging zurück zur Limousine und seine Frau folgte ohne zu zögern.

"Nachher verlange ich eine richtig gute Erklärung", murrte sie.

**

"Also, Herrschaften, zuallererst will ich euch zu der gelungenen Operation gestern Morgen gratulieren."

Die Anwesenden, Hubschraubercrews, Arm Slave-Piloten und Techniker sowie Infanteristen, begannen je nach Charakter zu klatschen oder zu jubeln.

Santos lächelte dazu. Dieser Enthusiasmus tat richtig gut.

"Ohne eigene Verluste ist es uns gelungen, das Waffenlager zu vernichten, das gesamte Datenmaterial aus den Computern zu bergen und eine Whispered zu retten. In diesem Zusammenhang werde ich nun eine Nachricht verlesen:

Von strategisches Oberkommando, Mithril, Admiral Jerome Porter. An die Besatzung der TDD-2 FEANOR.

Offiziere und Mannschaften der FEANOR. Noch vor einem halben Jahr war die Indienststellung des zweiten Schiffes der Dannan-Klasse fraglich. Aber in dem Dienst der letzten Monate hat die Crew bewiesen, dass nicht nur auf sie Verlass ist, sondern dass sie auch in der Lage ist über ihre Pflicht hinaus zu leisten.

Aus diesem Grund belobige ich hiermit Kapitän Johann Sander stellvertretend für Schiff und Mannschaft im Namen der gesamten Organisation.

Gezeichnet, Admiral Jerome Porter, XO strategisches Oberkommando."

Eine Zeitlang herrschte Stille im Raum. Dann schlug der Jubel über Miguel Santos zusammen.
 

Als sich die Söldner wieder beruhigt hatten, nickte der Colonel Captain Karasov zu, dem Chef der Infanterie.

"Soweit so gut. Kommen wir zur Einsatznachbesprechung. Da Captain Kramer gerade mit Spezialauftrag in Japan weilt, werde ich es übernehmen, auch die Arm Slave-Piloten zu besprechen. Beginnen wir mit dem Anflug..."

Was nun folgte war eine Abfolge des gesamten Einsatzes aus drei verschiedenen Sichtwinkeln. Mal aus der ihrer Infanteristen beim Versuch, die Villa zu stürmen oder die Whispered zu eskortieren, mal aus Sicht der Arm Slaves und deren harten, kurzen Kampf gegen die gegnerischen M6, mal aus Sicht der Helikopterbesatzungen.

Nach einer guten Stunde fand der Captain schließlich ein Ende. "Rückwirkend kann ich sagen, dass die eingesetzten Mannschaften auf die ungewohnte Situation, eine Whispered zu finden, mit Bravour und vorbildlich reagiert haben."

Wieder wurde gejubelt, wenn auch schleppender, da ein Großteil der Anwesenden schon ab der Hälfte des Monologs die Ohren auf Durchgang gestellt hatten und erst spät merkten, dass Karasovs Hölle, wie die Einsatzbesprechungen intern genannt wurden, zu ende war.

Wieder wechselte der Sprecher.
 

Commander Allister trat nun vor die Mannschaft. "Freuen Sie sich. Freuen Sie sich alle. Ihre exzellente Arbeit hat dazu geführt, dass Mithril in die Lage versetzt wurde, einen Schlag gegen ein zentrales Nachschubdepot von Amalgam zu führen. Freuen Sie sich doppelt, denn es wurde uns die Chance gegeben, in einem neuen Seegebiet zu operieren. Das Ziel liegt auf Sri Lanka im Indischen Ozean. Wenn wir dort gut arbeiten, können wir das Gebiet als unseren Vorhof betrachten. Und freuen Sie sich dreifach. Für den Schlag gegen den Stützpunkt werden wir nicht nur durch den Suezkanal übersetzen, sondern mit der TUATHA DE DANNAN zusammenarbeiten."

Auf diese Eröffnung erfolgte kein Jubel. Im Gegenteil. Die Offiziere und Mannschaften wirkten plötzlich verbissen.

Zufrieden registrierte Allister die Spannung, die sich aufgebaut hatte. Die DANNAN war der Rivale dieses Schiffes. Sie war der Maßstab gewesen, an dem sich die FEANOR hatte beweisen müssen. Nun würde die DANNAN bald merken, wie sehr sie alle aufgeholt hatten.

Bei dieser Mission würde der Atlantik dem Pazifik schon zeigen, wer bald an wem gemessen werden würde.

Als Allister in die entschlossenen Augen sah wusste sie, die Mannschaft der FEANOR dachte dasselbe wie sie.
 

8.

"Guten Morgen, Klasse." "Guten Morgen, Sensei."

Irritiert starrte Thomas Kramer in die jungen Gesichter vor sich, als könne er nicht glauben, dass sie wirklich ihn gemeint hatten. Aber er fing sich und lächelte. "Wie Kagurazaka-sensei bereits erzählt hat, ist mein Aufenthalt in Japan auf zwei Wochen beschränkt. Aber in dieser Zeit will ich mein Bestes geben, um Sie alle so gut es geht in Englisch zu unterrichten."

Kramer ließ seinen Blick über die Runde schweifen. "Mein Name ist Thomas Kramer. Ich bin Deutscher und arbeite normalerweise als Abteilungsleiter in der Sicherheitssparte eines großen Unternehmens. Ich bin hier mit Kim Sanders, der Tochter meines Vorgesetzten, die hier in Japan ein Orientierungsstudium machen wird." Thomas deutete mit einem Kopfnicken zu der jungen, blonden Frau, die sich unter lautem Hallo bereits vorgestellt hatte und nun auf einem Platz neben Sousuke Sagara in der letzten Reihe saß.

"Vermittelt wurde das ganze durch meinen Cousin Sousuke Sagara aus eurer Klasse. Das ist auch der Hauptgrund, warum ich das Angebot als Hilfslehrer in eurer Klasse angenommen habe. Wir zwei kennen uns nicht wirklich gut, und ich hoffe, so ein wenig Zeit mit ihm verbringen zu können. Soweit, so gut. Habt Ihr vielleicht Fragen?"

"Sensei, Mizuki Inaba. Was für Hobbies haben Sie?"

Erwartungsvoll und mit strahlenden Augen sah ein rotblondes Mädchen zu ihm herüber.

"Hobbies? Ich bin eine Leseratte, ein Bastler und ansonsten ein ziemlich begabter Sportschütze. Ich liebe Ausflüge und gehe sportlich gerne mal bis an meine Grenzen. Sie bitte, junger Mann."

"Sensei, Shinji Kazama. Wenn Sie ein Verwandter von Sagara-kun sind, warum sind Sie dann Deutscher?"

Thomas schmunzelte bei dieser Frage. "Nun, Kazama-kun, das sollten Sie nicht mich fragen, sondern meine Tante und Sousukes Onkel."

Der junge Mann wurde rot. "Äh, so habe ich das nicht gemeint! Ich wollte fragen... Ich wollte wissen... Entschuldigung."

"Entschuldigung wofür? Ich denke, das war eine sehr sinnvolle Frage. Du bitte, Kyoko-chan."

"Ja, Sensei!" Thomas sah seine erste Einschätzung vom gestrigen Schulfest bestätigt. Das kleine Mädchen mit den Zöpfen war ein quirliges Energiebündel. Wahrscheinlich musste man ihr doppelte Fußketten anlegen, um sie wenigstens etwas zu bremsen.

"Sensei, was sind Ihre Lieblingsspeisen? Mögen Sie japanisches Essen?"

"Oh, so viel habe ich davon noch nicht probiert. Aber zuhause esse ich gerne mal einen Becher Instantnudeln. Ich gehe auch gerne mal frisches Sushi essen."

Für einen winzigen Moment schienen die Gesichter einiger Mädchen in diesem Raum unter dunklen Schatten zu verschwinden, in denen nur die Augen als rot glühende Kohlen aufleuchteten. Unwillkürlich fragte sich der Mithril-Offizier, ob er gerade einen riesigen Fehler begangen hatte.
 

"So, das reicht jetzt aber. Mit Fragen könnt Ihr Kramer-sensei später noch löchern.

Hier ist die Namensliste, Kramer-sensei. Chidori-kun kennen Sie ja schon. Als Klassensprecherin wird sie Ihnen helfen."

"Gut. Kaname-chan kann mir zeigen, wie weit die Klasse mit dem Unterrichtsstoff ist."

"Zum Beispiel. Ich verlasse Sie jetzt, Kramer-sensei. Und viel Glück mit dieser Klasse." Sie warf einen viel sagenden Blick in Richtung von Sagara, als sie viel Glück sagte, was dieser beantwortete, indem er sich noch etwas steifer aufrichtete.

"Das ist also meine erste Stunde", murmelte Thomas mehr zu sich selbst. Für einen Augenblick wünschte er sich einen Kommunikator im Ohr und eine direkte Leitung zu Mao, damit sie ihm heimlich Tipps geben konnte.

**

Nach der Unterrichtseinheit schloss sich eine lange Pause an. Danach würde Thomas in eine andere Klasse wechseln. Alles was Recht war, die Jindai ließ sich die Chance, einen im englischen erfahrenen Aushilfslehrer mit ganzer Kraft einzusetzen, jedenfalls nicht entgehen.

Also nutzte er die Pause, um noch ein paar Dinge mit Sagara abzusprechen. Außerdem würde er Kurtz auf einen Beobachtungsposten scheuchen, von dem aus der Gun-so das Klassenzimmer einsehen konnte.

Der Raum hatte sich merklich geleert, bis auf zwei, drei Gruppen Mädchen, die beieinander saßen und kicherten. Und bis auf Sagara, Kaname-chan, Kim und drei weitere japanische Schüler.

Thomas trat an die Gruppe heran. "Und, Kim, hat dir deine erste Unterrichtsstunde gefallen?"

Die junge Whispered nickte mit glühenden Wangen, während sie zu ihm hoch lächelte. "Ich habe so viel gelernt, Kramer-sensei."

Thomas runzelte die Stirn. Kramer-sensei? Entweder hatte die junge Frau, die sie in Rumänien aus den Fängen eines Waffenhändlers gerettet hatten, wirklich Spaß am Unterricht gehabt, oder sie wollte ihm in Frauensprache irgendetwas mitteilen, was er nicht verstand.

"Apropos gelernt", sagte der Deutsche deshalb hastig, "Sousuke, hast du Zeit für mich?"

"Sir!"

Der Deutsche unterdrückte den Drang, sich die Rechte vor den Kopf zu schlagen. Es wurde eher schlimmer als besser mit dem jungen Gun-so. Seit gestern war er wie ausgewechselt, versteifte sich vollkommen auf sein militärisches Gehabe, sobald er mit Thomas zu tun hatte.

Kurtz Weber hatte es so erklärt: Ihn plagte das schlechte Gewissen, deshalb wollte Sagara wenigstens emotional auf der sicheren Seite bleiben.

Kim blies über diese eindeutige Abfuhr die Wangen auf, sagte aber nichts.
 

Die beiden gingen vor die Tür, wanderten ein Stück den Gang hinab. Thomas sah aus einem Fenster und fragte Sousuke, ohne sich umzudrehen: "Also, was ist mit den Yakuza? Und warum sind sie hinter Kaname her? Keine Ausflüchte mehr. Du bist wach, wir sind alleine und ich bin dein Vorgesetzter. Verstanden?"

"Sir! Die Yakuza sind wahrscheinlich hinter Kamane her, weil wir neulich eine Gruppe ausgelöscht haben."

"Was bitte?" Entgeistert wirbelte Thomas herum und starrte den Japaner an. "Ihr habt was?"

"S-s-s-s-sir! Es ist so..."

Die folgende Erklärung war nicht dazu angetan, die Situation entscheidend zu erklären. Sie bot eine Menge neuer Informationen und offenbarte Interpretationsmöglichkeiten. Nicht mehr und nicht weniger.

"Also, nachdem du mit der Mizuhara-Gruppe die anderen Yakuza vernichtet hast, war die Sache nicht erledigt? Wieso nicht?"

Sagara begann zu schwitzen. "SIR! Ich kann es mir nur so erklären, dass andere Yakuza-Gruppen in der Vernichtung der Gruppe eine Gefahr für sich selbst sahen und nun versuchen zu enthüllen, wer sie ausgelöscht hat. Als Hinweis gibt es nur die Mizuhara-Gruppe und Kaname!"

"Richtig. Du und die anderen Kobun der Mizuhara-Gruppe habt ja diese mobilen Kampfrüstungen getragen." Thomas widerstand der Versuchung, sich die Hand vor die Stirn zu schlagen, aber nur knapp. Diese Kampfrüstungen, auch wenn sie mit dem allerneuesten Equipment ausgestattet waren, mussten ein Bild für die Götter gewesen sein. Allerdings ein psychologischer Effekt, den man nicht unterschätzen sollte.

"Also wollten sie Kaname entführen, um mehr über die Hintergründe der Aktion zu erfahren. Oder um die Mizuhara-Gruppe zu erpressen. Ich sage jetzt nicht, dass du einen Fehler begangen hast, Sousuke. Ich sage jetzt auch nicht, dass du dich töricht verhalten hast."

"Sir!" Der Japaner versteifte sich. Die Botschaft war eindeutig angekommen.

"Aber wir können Kaname nicht in diesem Schwebezustand lassen. Entweder radieren wir die andere Yakuza-Gruppe aus oder wir sorgen irgendwie dafür, dass sie das Interesse an ihr verlieren. Komm, Sousuke."

"Sir?"

"Wir besuchen jetzt Fräulein Mizuhara."
 

"Guten Morgen, Kramer-sensei." Es wunderte Thomas nicht, dass die zerbrechlich wirkende junge Frau seinen Namen kannte, obwohl er in einer Nacht und Nebel-Aktion eingestellt worden war. Immerhin war sie stellvertretende Schülersprecherin.

"Guten Morgen, Mizuhara-kun."

"Guten Morgen, Sagara-san."

"Guten Morgen, Mizuhara. Hayashimizu-san ist nicht da?"

"Der Schulsprecher hat eine wichtige Angelegenheit zu erledigen. Wir sind ungestört."

Die junge Frau verbeugte sich leicht. "Danke, dass Sie den Weg zu mir gefunden haben, Kramer-sensei. Ich wollte mich sowieso bei Ihnen bedanken, dass Sie gestern zusammen mit Sagara-kun so schnell und umsichtig reagiert haben. Ich hatte leider keinerlei Gelegenheit, in das Geschehen einzugreifen. Ich bin sehr froh, dass das Schulfest nicht gestört wurde."

"Sie waren auch hinter Ihnen her?", schoss Thomas ins Blaue.

"Oh nein, nein. So weit würden sie sicherlich nicht gehen. Nicht nachdem meine... Familie den letzten Übernahmeversuch abgewehrt hat, ohne an Stärke zu verlieren.

Aber Chidori-san, nun, es kam etwas plötzlich."

Wieder machte es klick, und diesmal laut und vernehmlich genug, um den Hals des Deutschen in Bewegung zu setzen. "SOUSUKE!"

"Was? Nein, nein! Nein, ich glaube nicht! Das heißt, ich gehe nicht davon aus, dass Mizuhara irgendetwas weiß."

Wieder verbeugte sich die hübsche junge Frau. "Entschuldigen Sie bitte, Kramer-sensei. Sagara-kun hat nichts verraten. Aber wenn man ein paar Fakten zusammenrechnet und ein wenig nachdenkt, dann kommt man schnell zu ein paar Erkenntnissen. Aber seien Sie unbesorgt. Die meisten dieser Fakten sind nur mir und Chidori-san bekannt.

"SOUSUKE!", grollte Thomas.

Der Arm Slave-Pilot begann zu schwitzen.

Thomas wandte sich der stellvertretenden Schulsprecherin zu. "Sie brauchen mir nicht zu danken, Mizuhara-kun. Es gehört zu meinen Aufgaben, auf Kaname-chan zu achten. Aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Ihr Wissen... Ah, für sich behalten würden. Und versuchen Sie bitte nicht... Ah, Ihr Wissen zu vergrößern."

"Selbstverständlich, Kramer-sensei." Wieder verbeugte sich die junge Dame. Wie sagte man zu Frauen wie ihr? Natürliche japanische Schönheit? Zumindest das mit der Schönheit stimmte, fand Thomas.

"Was die Yakuza anging, die versucht haben, Kaname-chan... Nun, was auch immer. Was muß ich tun, damit das aufhört? Haben Sie einen Rat für mich, Mizuhara-kun?"

"Nun, nach dem gestrigen Debakel habe ich... Ein paar unserer Mitarbeiter gebeten, ein paar Gefallen einzufordern. Das Ergebnis wurde mir gerade bekannt gegeben." Sie sah auf und dem Deutschen direkt in die Augen. "Kramer-sensei, zumindest in nächster Zeit ist keine solche Aktion zu erwarten. Chidori-san und Sanders-san sind für den Moment sicher."

"Für den Moment, hm?" Thomas stieß wütend die Luft aus. "Warnen Sie mich vor, falls sich das ändert."

"Selbstverständlich, Kramer-sensei."

Der Arm Slave-Pilot nickte zufrieden. "Sousuke."

"Sir."

"Ich möchte, dass du jetzt ganz genau zuhörst. Haben wir uns verstanden?" Thomas warf dem Piloten des Arbalest einen ernsten Blick zu.

"S-sir!" Sagara richtete sich so steif auf, wie es ihm möglich war.

"Mizuhara-kun. Bitte beantworten Sie mir eine Frage: Was haben Sie sich über Sousuke und Kaname... Nun, zusammengereimt?"

Die junge Frau lächelte. "Es ist offensichtlich, dass Sagara-san eine militärische Ausbildung erhalten hat. Es ist ebenso offensichtlich, dass er nicht der regulären Armee angehört.

Chidori-san hingegen gehört weder dem Militär an, noch hat sie irgendeine Ausbildung in dieser Richtung erhalten. Sie hat keine Verbindungen in dieser Beziehung. Dennoch beschützt Sagara-san Chidori-san sehr resolut. Sie muß also für die Auftraggeber von Sagara-san sehr wichtig sein. Warum, konnte ich leider nicht herausfinden."

Sie lächelte den Arbalest-Piloten freundlich an. "Aber dafür habe ich herausgefunden, dass Sagara-san Chidori-san nicht nur deswegen so resolut beschützt."

"Sousuke, wirst du etwa rot?", spöttelte Thomas abgelenkt.

Verlegen sah Sagara zur Seite.

"Ich danke Ihnen für diese Information, Mizuhara-kun. Es ist nicht üblich, unser Wissen mit Oberstufenschülern zu teilen, aber Sie sind ein besonderer Fall. Deshalb will ich Ihnen etwas anvertrauen. Sousuke und ich, wir sind die Guten in diesem Spiel."

"Ich weiß, Kramer-sensei." Wieder verbeugte sich die junge Frau.

"Dann danke ich Ihnen." Thomas deutete eine Verbeugung an und wandte sich um. "Sousuke."

"Äh, Kramer-sensei?"

"Ja, Mizuhara-kun?"

"Nun, es... Ich weiß nicht, ob es für Sie interessant oder wichtig ist. Aber die... Mitarbeiter meines Vaters haben... Wie soll ich es sagen, ein merkwürdiges Interesse einer unbekannten Gruppe an Informationen über Chidori-san und Sanders-san festgestellt."

Thomas erstarrte. War Amalgam etwa schon an ihnen dran? Er wandte sich wieder um. "Ich... danke Ihnen, Mizuhara-kun. Und wenn Sie mehr in dieser Richtung erfahren, bitte zögern Sie nicht, mich zu informieren. Ich werde dafür sorgen, dass Sie jede Hilfe doppelt vergelten bekommen."

"Aber, aber", sagte die junge Frau und wedelte mit einer Hand. "Ich bin in Ihrer Schuld, Kramer-sensei, nicht umgekehrt."

Thomas schmunzelte und nickte noch einmal zum Abschied.
 

Auf dem Gang stieß er Sagara in die Seite. "Sousuke?"

"Sir?"

"Du hast gerade verdammt viel Schwein gehabt. Ich hoffe du weißt das zu schätzen."

Sagara atmete schnaubend aus. Es war das erste Mal, dass Thomas eine derartig heftige Reaktion bei dem Gun-so beobachtete. Anscheinend wusste er es wirklich zu schätzen.

**

Der Abend kam viel zu schnell und für den Geschmack des Deutschen kam die Dunkelheit auch viel zu früh. Zusammen mit Kurtz Weber begleitete er Kim, die aufgeregt von ihrem Tag erzählte, zum Safe House. Weber erwies sich nicht nur als guter Zuhörer, sondern auch als guter Plauderer.

Thomas tat es richtig leid, die Unterhaltung unterbrechen zu müssen, als sie am Safe House, einer staatlichen Anlage, ankamen. Er identifizierte sich und seine Begleiter und bekam die Erlaubnis, seinen Wagen im Parkhaus abzustellen.
 

Zwei Wachen empfingen sie und geleiteten sie in den nächsten Fahrstuhl. Im ersten Obergeschoss wurden sie in den Westflügel geführt.

Kim plapperte immer noch aufgeregt mit Kurtz Weber, aber ihre Hände bewegten sich fahrig.
 

Thomas stoppte, ergriff die nervösen Hände und sah der jungen Frau direkt in die Augen. "Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin hier und passe auf dich auf."

"Angst? Wer hat denn Angst? Ahahaha!"

Thomas ließ ihre Hände fahren und ging weiter.

"Warte!" Übergangslos hängte sich die junge Frau an seinen linken Arm. "Angst habe ich keine, aber ich weiß es zu schätzen, was du gesagt hast, Thomas."

Der Arm Slave-Pilot lächelte wissend.
 

Im eigentlichen Labor angekommen hatten Thomas und Kurtz eine längere Unterhaltung darüber, ob Kim auch beim umziehen in der kleinen Kabine überwacht werden musste, in der sie einen Patientenkittel anziehen sollte.

"Wir müssen immerhin für ihre volle Sicherheit sorgen, oder, Captain?", argumentierte Weber.

"Kurtz, ich werde gleich was für ihre Sicherheit tun und dich..."

"Ist in Ordnung", erklang Kims Stimme aus dem abgetrennten Bereich. "Solange es Thomas ist, der mich überwacht..."

Konsterniert starrte Thomas auf die Kabine. "Was, bitte?"

Die junge Frau lugte durch den Vorhang hervor und zog das linke Augenlid herab. "War nur Spaß. Oder hast du dich schon gefreut, Thomas?"

Der Deutsche räusperte sich laut und vernehmlich. "Ein Spruch, Kurtz Weber, und es setzt was."

"Ich wollte üüüüüüberhaupt nichts sagen, ehrlich, Captain", stellte der Gun-so grinsend fest.
 

Unter Anleitung des Chefwissenschaftlers kletterte Kim Sanders in den Tank, setzte die Brille, auf, die als Schnittstelle zwischen ihrem Wissen als Whispered und dem Computer fungierte, seufzte ein letztes Mal und ließ sich dann zurücksinken.

Der Tank begann zu arbeiten. Er senkte sich aus der vertikalen in die Horizontalen.

Thomas ertappte sich dabei, wie er bei jeder Bewegung der jungen Frau zusammenzuckte, jederzeit bereit, den großen roten Aus-Knopf auf der Konsole neben sich zu drücken.

"So, das wird jetzt eine Stunde oder noch etwas länger dauern. Wollen die Herren vielleicht erstmal einen Kaffee trinken?", bot der Chefwissenschaftler an. "Hier passiert sowieso nichts in nächster Zeit."

"Nein, danke." Thomas lehnte sich gegen die nächste Wand und fixierte den Tank.

"Hast du was dagegen, wenn ich mir nen Kaffee hole, Thomas?"

"Geh ruhig, Kurtz. Wenn ich mehr Vertrauen in das Mithril-Verfahren habe, werde ich mir wohl auch einen holen gehen."

"Also vielleicht nie", spottete der langhaarige Deutsche und verließ den Raum.

Mit diesen Worten hatte Kurtz sogar ins Schwarze getroffen.

In diesem Moment fühlte Thomas Kramer sein Versprechen an Kim schwer auf seinen Schultern lasten. Sehr schwer.
 

9.

Bereits am zweiten Tag fühlte sich Thomas Kramer sicher im neuen Terrain, der Schule. Da er englisch unterrichtete, musste er sich erfreulich wenig mit den Schriftarten Kanji, Hiragana und Katakana auseinander setzen. Seine Fähigkeiten auf diesem Gebiet waren eh begrenzt, aber immerhin kam er dazu, sein Wissen vorsichtig auszubauen. In den Englisch-Stunden jedenfalls wurde nur englisch gesprochen und geschrieben, was der Deutsche als große Erleichterung hinnahm.

Ja, der Unterricht machte ihm sogar großen Spaß. Und zum ersten Mal in seinem Leben fragte sich der Arm Slave-Pilot, ob er den Beruf verfehlt hatte.

Die letzte Stunde vor der Mittagspause hatte er in Sousukes Klasse. Alle arbeiteten gut mit, fand der Deutsche, sogar Sagara, der mit diesem Verhalten wohl irgendetwas kompensieren wollte. Thomas beschloss, Melissa darüber zu informieren. Nicht das der Junge einen Komplex aufbaute. Mehr als er ohnehin schon mit sich herumschleppte.
 

Mit dem Schlussgong begann Thomas seine Unterlagen zu ordnen und zusammen zu räumen.

So bemerkte er erst relativ spät, dass er am Schreibtisch umzingelt war.

Er sah auf. "Ja, meine Damen? Was kann ich für euch tun?"

Die Umstehenden, Mädchen aus der Klasse, lächelten schüchtern. "Sensei", sagte Inaba verlegen, "was essen Sie denn zum Mittag? Gehen Sie ins Lehrerzimmer oder bleiben Sie hier bei uns?"

Nachdenklich kratzte sich der Deutsche an der Schläfe. "Was ich zum... Zum Mittag esse? Ich habe mir belegtes Brot mitgebracht. Wenn Ihr wollt, dass ich hier esse, kann ich es holen."

"Belegtes Brot? Das macht doch einen ausgewachsenen Mann nicht satt!" Lächelnd zog sie ihre Hände hinter dem Rücken hervor und präsentierte eine Lunchbox. "Hier, Sensei. Ich habe ein Bento für Sie gemacht. Sie haben doch gestern gesagt, Sie mögen Sushi und..."

"Ich habe auch eins gemacht." "Ich auch!" "Ich habe auch Sushi gemacht!"

Irritiert starrte Thomas auf die neun Boxen, die sich nun vor ihm beinahe stapelten.

"Danke, das ist sehr nett von euch, aber das schaffe ich doch nie alles. Und vor allem nicht in der Pause."

Enttäuscht raunten die Mädchen.

"Aber wenn Ihr mir helft?"

Die Mädchen holten Stühle und setzten sich um das Lehrerpult herum. Thomas wusste zwar nicht, womit er soviel Aufmerksamkeit verdient hatte und warum auch Kyoko unter den Bento-Produzentinnen war, aber er wusste, dass er diese Aufmerksamkeit genoss.

Was er nicht so sehr genoss war der wütende Blick, den Kim und Kaname ihm zuwarfen.

**

Abends im Safe House hatte Kim noch immer kein Wort mit ihm gesprochen. Sie schwatzte auffallend fröhlich mit Kurtz, aber ihn würdigte sie nicht einmal eines Blickes.

Also verließ er resignierend das Labor, nicht ohne Kurtz an seiner Statt vor dem Tank platziert zu haben.

Während er das Labor verließ, fragte sich der Deutsche, warum ihm die junge Frau diesen wehmütigen Blick zugeworfen hatte. Wenn sie doch auf ihn sauer war - weswegen auch immer.
 

"Frauen!", stieß Thomas hervor, machte einen ausholenden Schritt in den Gang, und stieß etwas um. Genauer gesagt jemanden.

"Autsch!"

Erschrocken sah Thomas auf und dann auf den Boden. Vor ihm saß Theresa auf dem Boden und umklammerte ein Bündel Akten.

"Oh, Tessa. Tut mir Leid, ich habe dich nicht gesehen." Er reichte ihr eine Hand zum aufstehen.

"Das wundert mich nicht. Du hast vieles nicht gesehen. Warum sollte es jetzt besser sein?"

Er zog die Kapitänin der TUATHA DE DANNAN auf die Beine. "Muss ich das verstehen?"

Theresa klopfte sich imaginären Staub vom Rock und musterte den Deutschen aufmerksam. "Du weißt schon, was du heute getan hast?"

"Ich kann mich nicht dran erinnern, mit meinem M9 Amok gelaufen zu sein oder irgendetwas anderes, was diesen Blick von dir rechtfertigen würde, Tessa", tadelte der Deutsche.

"Männer", erwiderte sie. "Kaname hat es mir erzählt. Was hast du dir dabei gedacht, die Bentos der Mädchen zu essen?"

"Sushi ist nicht so lange haltbar?"

Entsetzt starrte die Italienerin den großen Mann an. Sie legte eine Hand vor den Mund und begann zu kichern. Schließlich brach sie in - für ihre Begriffe - lautstarkes Gelächter aus und legte die Linke auf Kramers breite Brust. "Du hast dir da wirklich nichts bei gedacht, oder, Thomas?"

"Kannst du bitte aufhören, in Rätseln zu sprechen, Tessa?"

"Ja, schon gut. Ich verstehe." Sie zwinkerte ihm zu, bevor sie das Labor betrat. "Du bist eben ein Mann."
 

Kurtz kam etwas irritiert auf den Gang raus. "Tessa-chan hat gesagt, ich soll mit dir einen Kaffee trinken gehen. Und wir sollen uns Zeit lassen."

Thomas runzelte die Stirn. "Bin ich der einzige, der sich gerade einen Kampf gegen einen Venom wünscht? Das wäre um einiges einfacher als die Situation hier zu verstehen."

"Willkommen in meiner Welt, Captain Kramer", sagte Kurtz grinsend und klopfte dem Landsmann kräftig auf die Schulter.

**

Den nächsten Mittag erwartete Thomas mit Grausen. Wieder versammelten sich die Mädchen um ihn - warum musste er nur wieder diese Stunde in Sousukes Klasse haben - und wieder hielten sie Bento-Boxen hinter ihren Rücken versteckt.

Thomas begriff, dass er sich mit zwei Dingen abfinden musste. Die erste war, dass er anscheinend recht beliebt war. Die zweite war, dass er den Damen eine sehr heftige Abfuhr erteilen musste, wenn er nicht wollte, dass Kim ihn zu hassen begann.

"Sensei", begann Kyoko, "Kaname-chan meinte, du solltest nicht nur Sushi essen, deshalb haben wir..."

"Es tut mir leid, Kyoko-chan, Ihr alle, aber heute muß ich im..."

Eine Bento-Box wurde ihm direkt unter die Nase gehalten. "Ach. Habe ich den Morgen dann umsonst in der Küche verbracht, Omelette gebraten und Fleischbällchen gemacht?"

Thomas sah zur Seite. "Kim?"

Die Whispered lächelte. "Kramer-sensei soll uns ja nicht vom Fleisch fallen."

"Na, unter diesem Umständen bleibe ich natürlich", stellte Thomas hüstelnd fest.

Sollte mal einer aus den Frauen schlau werden. Er tat es nicht.

Trotzdem hatte er selten so vielseitig und gut gegessen wie in dieser Pause. Und selten hatte er so viele fröhliche Mädchen gesehen.

**

Als sich Kim in den Tank legte, schien die Welt wieder in Ordnung. Ihr letzter Blick galt - wie auch sonst in den letzten beiden Tagen - Thomas, der neben dem leitenden Wissenschaftler stand. Sie kannte die Prozedur mittlerweile, aber dran gewöhnt hatte sie sich nicht.

Der Deutsche nickte ihr aufmunternd zu. Sie lächelte, setzte die Brille auf und lehnte sich entspannt zurück. Ja, die Welt war definitiv wieder in Ordnung. Aber Thomas wusste nicht einmal ansatzweise, wie er das geschafft hatte. Oder war es der kleine Disput mit Tessa gewesen? Er beschloss, mit der Kapitänin der DANNAN bei einer Tasse Tee darüber zu reden.
 

"Ich beginne jetzt", sagte der Chefwissenschaftler ernst. Er betätigte ein paar Tasten, einige der Konsolen erwachten zum leben und der Tank senkte sich aus der Schräglage in die Horizontale.

Melissa, die ihn heute begleitete, stand schweigend im Raum, sah zu Kramer herüber und seufzte. "Gehen wir einen Kaffee trinken oder soll ich dir einen holen?"

"Du kennst die Antwort", erwiderte Thomas ruhig.

"Ach, komm schon. Du musst nicht hier im Raum bleiben. Es reicht vollkommen, wenn du vom Flur aus auf sie aufpasst", tadelte Melissa. Sein Versprechen als Offizier in allen Ehren, auf Kim zu achten, aber ihrer Meinung nach übertrieb er es schlimmer als Sousuke bei seinem Versuch, Kaname zu bewachen.

Thomas schenkte ihr einen mürrischen Blick. Dann zuckte er die Achseln. "Eine Stunde auf den Tank starren macht nicht wirklich Spaß. Gehen wir."

"Nanu? Mit welchen Worten habe ich das denn geschafft?" Verwundert folgte die Arm Slave-Pilotin dem Offizier.

"Nicht unbedingt mit Worten. Aber mit dir einen Kaffee trinken zu können ist einfach zu verlockend, Melissa", erwiderte der Deutsche.

Melissa Mao schmunzelte.
 

10.

Robert Hausen marschierte nachdenklich auf und ab. Was für eine Chance, was für eine Gelegenheit. Das Safe House wurde nicht von Mithril direkt betrieben, sondern von einer staatlichen Einrichtung, die insgeheim immer wieder mit der Organisation kooperierte. Das machte es wesentlich leichter, die Anlage zu infiltrieren.

Söldner aus Mithril hervor zu brechen oder zu erpressen war wesentlich schwieriger, fand Hausen.

Vor etwas über einem Jahr hatte Amalgam bei einer fehlgeschlagenen Operation leider alle Schläfer, die sie auf der DANNAN hatte, verbrannt. Der Fehlschlag war spektakulär gewesen, spektakulär und teuer. Gebracht hatte er nichts, außer ein paar Toten, unter denen auch die Verräter gewesen waren.

Aber in einer staatlichen Einrichtung war vieles einfacher. Irgendwo gab es immer einen unzufriedenen Laborarbeiter, einen Doktoranden, der sich übergangen fühlte oder einfach jemand, der für etwas Geld zusammenhanglose Beobachtungen verriet, die sich dann in Hausens Händen zu einem Gesamtbild vereinigten.

Robert hatte erschreckend schnell Zugriff auf das Safe House nehmen können. Ein Doktor in der Forschungsabteilung war bis über beide Ohren bei den Yakuza verschuldet, Pech beim würfeln. Robert hatte die Schulden nur aufkaufen müssen, um ihn in seine Hand zu kriegen. Ein anderer war ein kleiner, schmutziger Perversling, der viel Geld für Prostituierte ausgab, die sich nach seinen Angaben kleideten und entsprechend verhielten - ein verdammter Lolicon, der aber zumindest wusste, wie weit er gehen durfte. Noch.

Robert hatte ihm die Tür zum richtigen Club aufgestoßen und verfügte nun über eine sehr genaue Aufstellung der Nahrungsmittel, die im Gebäude verbraucht wurden. Einschließlich der Menus, die gekocht wurden.

Aus diesen beiden Quellen hatte Robert einiges erfahren können. Innerer Aufbau des Gebäudes, Sicherheitsvorkehrungen, Anzahl und Stärke des Personals, Nationalität der Benutzer und noch einiges mehr.

Mit Hilfe des spielsüchtigen Doktors hatte er sogar drei wichtige Entdeckungen machen können. Tatsächlich kam die junge Whispered, die nun den Namen Kim Sanders trug, bereits den dritten Abend in Folge ins Safe House. Tatsächlich schien ein Teil ihres Wissens als Whispered Amalgam unbekannt zu sein, das schloss er aus Conrads begeisterten Reaktionen, nachdem er die wenigen Brocken, über die er verfügte, weitergeleitet hatte.

Und zu guter letzt wusste er nun, dass innerhalb des Gebäudes eine Frau gefangen gehalten wurde, die dort normale Schichten in der Forschung absolvierte.

Die verlorene Doktorin aus Rumänien.

Hausen lächelte bitter. Mit all diesen Informationen hatte er eine Entscheidung zu treffen gehabt. Und er hatte sie getroffen.

**

Alexi Valeri zog seine Super Harrier kurz vor der Küste hoch. Bisher hatte er mit seinem Schwarm aus fünf Maschinen eine strikte Flughöhe von fünf Meter über dem Meeresspiegel eingehalten. Das war praktisch flach wie ne Briefmarke und garantierte, dass die vier Vielseitigkeitsjets nicht auf dem Radar der staatlichen Luftüberwachung auftauchten. Obwohl es sowieso fraglich war, ob hier im von den rebellischen Tamilen kontrollierten Nordwesten überhaupt eine ausreichende Luftüberwachung existierte.

Nun passten sie sich dem Niveau des ansteigenden Landes an, blieben aber dennoch beachtlich flach am Boden kleben. Auf der linken Flanke tauchten vier glitzernde Punkte auf und passten sich an den Kurs der Jagdfalken der FEANOR an. Das waren die Terwaz-Harrier der DANNAN. Sie würden einen gemeinsamen Anflugkorridor benutzen, kurz vor dem Ziel splitten und es dann aus zwei verschiedenen Richtungen angreifen. Nach einem Bombardement der Luftabwehreinrichtungen würden die Arm Slaves folgen. Die meisten Piloten der DANNAN waren mit externen Aufträgen beschäftigt, deshalb würden die insgesamt sechs Maschinen der FEANOR die Hauptarbeit beim niederkämpfen des Widerstandes machen.

Danach würden die Wanderfalken der FEANOR und die Terwaz-Transporthubschrauber Infanterie von beiden U-Booten ins Ziel bringen und dem gegnerischen Stützpunkt den Todesstoß versetzen.

Für einen Moment dachte Valeri an eine Falle, an einen leckeren Köder, der ihnen im Datenmüll aus Kumanovs Computer absichtlich vorgelegt worden war. Dann würde die ganze Operation in einem gewaltigen Chaos enden.

Verdammt, und sie mussten auf Kramer verzichten, einen verdammt kompetenten Bodencommander.
 

Die Super Harrier der DANNAN wackelten kurz mit ihren Flügeln, als sie eine tiefe Schlucht zur Linken nutzten, um sich von den FEANOR-Fliegern zu trennen.

Alexi wackelte ebenfalls. Und begann im Geiste den Countdown bis zum Angriff herunter zu zählen. Zehn. Neun. Acht. Sieben. Sechs. Fünf.

**

Vier. Drei. Zwei. Eins. Null.

Robert Hausen sah, wie Team eins den Eingang stürmte. Die Wachleute wurden mit präzisen Schüssen ausgeschaltet. Hausen hatte darauf verzichtet, die Wachmänner töten zu lassen. Kampfunfähig reichte völlig. Selbst wenn einer der Verwundeten genügend Kraft und Mumm hatte, um Alarm zu geben, spielte das absolut keine Rolle für seinen Plan. Schnell rein und schnell raus war die Devise.

Wie erwartet war die Fronttür blockiert. Aber ein stattlicher Block an C4 würde die Tür schon überreden, doch noch aufzugehen.

**

Drei Sekunden nach dem Abwurf der Hellfire-Bombe verging eine SAM-Stellung. Zusätzlich versperrte die Hellfire die Landebahn optisch vom Rest des Geländes mit einer auflodernden Flammenwand, die fünf Minuten Bestand haben würde.

Alexi wagte es nicht, die Harrier noch höher zu ziehen, um für eventuell noch vorhandene Luftabwehr kein besseres Ziel zu bieten. Aber ehrlich gesagt fand er keine Einträge auf der virtuellen Karte seiner Maschine.

"Jagdfalke an Falkennest", sagte er mit ruhiger, sonorer Stimme, die seine wirkliche Aufregung Lüge strafte, "der Hausputz ist vorüber."

"Falkennest, hier Falkennest. Die Turmfalken, die Wanderfalken und die Falken rücken aus. Gehen Sie auf hohe Sicherung."

"Verstanden, Falkennest."

Nun erst zog Alexi Valeri die Maschine hoch, ließ sie über die Berge steigen. Schnell rein, schnell raus war die Devise.

Kurz darauf schwebten die ersten Arm Slaves an ihren nachtschwarzen Fallschirmen vom Himmel und begannen ihr tödliches Handwerk.

**

Die Teams gingen rein, stießen auf wenig Widerstand. Robert hatte die Operation unter mehreren verschiedenen Aspekten betrachtet und war immer wieder zum gleichen Schluss gekommen. Gezielt reingehen und permanent An- und Abmarschwege sichern war hier der Schlüssel zum Erfolg. Seine Teams verhielten sich verdammt diszipliniert, was er dieser zusammengestoppelten Truppe nicht wirklich zugetraut hatte. Seine örtlichen Kontakte hatten ihm wirklich die bessere Qualität an mietbaren Soldaten besorgt, die in Tokio verfügbar waren.

Zudem kamen sie mit dem modernen Equipment, mit dem er sie ausgestattet hatte, gut zurecht.

Über die in den Helmen integrierten Kameras konnte Robert ihr Vorgehen sehr gut mitverfolgen. Das Erdgeschoss und der Treppenaufgang waren relativ schnell gesichert. Und im ersten Stock wartete eins ihrer Ziele.

Noch stießen sie auf keinen Widerstand, aber die Alarmsirenen waren ebenso wenig zu überhören, wie es der Einsatz des C4 gewesen war. Die klugen Leute versteckten sich in ihren Büros und Labors, die weniger klugen liefen auf den Gängen umher und behinderten so eventuelle Bewaffnete.
 

Es kam schneller als er erwartet hatte zum ersten Feindkontakt. Ein einzelner Wachmann feuerte auf die vorrückende Truppe, suchte aber keinen Schutz. Er wurde von zwei schnellen Schüssen zu Boden geschickt.

Wieder fühlte Robert einen gewissen Respekt für seine Einsatzgruppe. Er hätte eher damit gerechnet, dass sie den Mann durchsiebten. Aber nein, diese Leute gingen zielstrebig, exakt und gründlich vor. Und sie verschwendeten keine Munition. Das imponierte ihm.

Der Mann hatte vor einer Labortür Wache geschoben. In dieses Labor drangen nun zwei seiner Leute ein. Sie verglichen die anwesende Person kurz mit den Fotos, die Robert zur Verfügung gestellt hatte und erkannten, dass die Frau mit der Brille Teil eins ihres Auftrags war. Soweit so gut.
 

Nun wurde die Gruppe doch ernsthaft angegriffen, auf der Treppe in die Zange genommen. Aber die Männer blieben besonnen und konzentriert.

Dies war vielleicht auch der Grund, warum sie die vollkommen überraschte junge Frau, die aus einem Fahrstuhl kam, nicht niederschossen sondern lediglich mit einem schnell gezielten Hieb zu Boden streckten.

Robert Hausen glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Die weißblonde Frau war niemand anderes als Theresa Testarossa.

"Mitnehmen", befahl er leise über sein Komm. Dieser Fang war besser als ein Sechser im Lotto.

Er wechselte auf eine andere Kameraansicht, begleitete den Vorstoß in den Westflügel des ersten Stocks. Zwei Viererteams gaben sich gegenseitig Deckung und hielten gemeinsam zwei Pistolenschützen nieder, die versuchten, in den Gang zu kommen. Es waren keine Wächter, sie trugen zivile Kleidung. Ein europäischer Mann und eine asiatische Frau, wenn Hausen das richtig erkannte. Er schaltete auf Standbild und zoomte die Gesichter heran, während sie die beiden Teams tiefer in den Gang vorarbeiteten. Dauerfeuer auf die Korridormündung hielt die zwei zurück.

Hm, der Mann aus der Schule. Und die Frau... Ja, sie hatte ihn zusammen mit Kim Sanders begleitet.

Nun fehlte zu seinem Glück nur noch, dass die dritte Whispered, das Mädchen mit den langen dunklen Haaren auftauchte und ihnen in die Hände fiel.

Aber Hausen wollte nicht undankbar und gierig sein.

Das eine Team hielt die beiden Zivilisten - oder Söldner von Mithril, was wahrscheinlicher war - mit ihrem Feuer nieder, während das andere in ein bestimmtes Labor eindrang. Kurz darauf kamen sie mit einem leblosen Bündel Mensch wieder hervor. Wieder machte Hausen ein Standbild. Ja. Das war ihre Beute. Die blonde Whispered, die Kumanov hatte entkommen lassen.

"Rückzug", befahl er ernst.

**

Nach den Harriers kamen die Arm Slaves. Den Giganten hatten die Verteidiger nicht wirklich viel entgegenzusetzen. Die M9 Gernsback machten kurzen Prozess mit den verteidigenden Arm Slaves, obwohl die M6 in der Überzahl waren und von sehr guten Piloten gesteuert wurden. Die beiden Venom-Einheiten, die sie außerdem angriffen, verfügten nicht über den Lambda-Driver, was sie zu einer bevorzugten Beute der Gernsbacks machte.

Der Kampf gegen Panzer, gegen Arm Slaves ausgerüstete Infanteristen und Waffenstellungen dauerte nur ein paar Minuten, dann hatten sie das Gelände gesichert.

Danach flogen die Transporthubschrauber mit den Infanteristen der DANNAN und der FEANOR ein.

Die Truppen sprangen aus geringer Höhe ab, während die Helikopter lediglich knapp über dem Boden langsamer flogen. Sofort formierten sich die Trupps und gingen tiefer auf das Gelände vor. Vereinzelt flackerte Widerstand auf, aber was die Infanterie nicht im Griff hatte, wurde von den M9 gehandhabt.

Siebzehn Minuten nach dem ersten Bombenabwurf galt die Anlage als gesichert.

**

Fasziniert beobachtete Robert Hausen seine angemieteten Truppen, wie sie sich sehr präzise aus dem Gebäude zurückzogen. Sie gaben sich gegenseitig Deckung und achteten vor allem darauf, dass die drei Frauen nicht in die Schusslinie gerieten.

Robert Hausen sprang auf, öffnete die Hecktür des großen Lasters, in dem er seine Kommandozentrale eingerichtet hatte und winkte die Männer mit den drei Frauen heran.

Währenddessen setzten sich die anderen Söldner noch weiter ab, zu Positionen, an denen sie von anderen Fahrzeugen bereits erwartet wurden.

Hausen half dabei, die beiden bewusstlosen Mädchen hoch zu schaffen. Dann reichte er der Wissenschaftlerin die Hand und zog sie in die Höhe.

Neben Hausens Kopf prallte eine Kugel gegen die Seitenwand des Lasters und sauste anschließend als gefährlicher Irrläufer durch den Innenraum, bevor sie von einem Monitor gestoppt wurde. Auf Kosten des Monitors.

Der Deutsche sah auf und begegnete wieder dem Blick dieses Mannes. Ihn begleitete die asiatische Frau, die sich neben das Wachhaus geduckt hatte und auf die sich zurückziehenden Söldner feuerte. Aber der Mann stand aufrecht da, als hätte er keinerlei Angst getroffen zu werden. Sein brennender Blick war selbst über die fünfhundert Meter, die sie beide trennten, zu spüren. Ein Lächeln huschte über Hausens Züge. Hier hatte er sich wohl gerade einen Todfeind geschaffen. "Versuch es doch", murmelte er spöttisch.

Der Andere lief los, feuerte wieder seine Waffe ab.

"Schatz, hast du kurz Zeit?", fragte Hausen unbeeindruckt.

"Aber für dich doch immer."

Zwischen dem Laster und dem Gebäude entstand aus dem Nichts ein Mistral II Arm Slave. Der Gigant französischer Fertigung hob seine Armwaffe und feuerte eine Salve in den Asphalt. "Soll ich ihn töten?"

Der Laster ruckte an und einen winzigen Sekundenbruchteil spielte der Deutsche wirklich mit dem Gedanken... "Nein, Lin, lass ihn leben. Diese Runde geht an mich, und das weiß er ganz genau."

Er zog die Hecktüren zu und konnte gerade noch sehen, wie sich seine Frau rückwärts zurückzog, die Waffe drohend auf den Mann namens Thomas gerichtet.

Er folgte dem Lastwagen nicht. Noch nicht.

**

"Die Basis ist in unserer Hand", meldete Captain Karasov und salutierte vor Sho-sa Kalinin. Der bärtige Riese salutierte ebenfalls und betrachtete das Werk der gemischten Truppe. "Danke, Sergej Ivanowitsch." Wenn sich der Landsmann über den vertraulichen Ton freute, zeigte er es nicht. Er machte eine einladende Geste zu einem einigermaßen intakt gebliebenen Hangar und setzte sich in Bewegung.

"Wir hatten keine Verluste. Die Arm Slaves und die Super Harrier haben gut vorgearbeitet. Dennoch wurden ein paar Infanteristen verletzt, teilweise schwer. Wanderfalke zwei fliegt sie gerade aus."

Sie betraten die Halle. In einer langen Reihe knieten über fünfzig Männer in grünem Fleckentarn auf dem Boden, die Hände mit Kabelbinder auf den Rücken gefesselt.

"Dreiundfünfzig Gefangene, einhundertvierzehn Tote. Zumindest soweit wir es bisher entdeckt haben. Dazu Waren im Wert von einhundert Millionen US-Dollar. Ihre Anweisungen, Sho-sa?"

"Lassen Sie die Gefangenen fort bringen. Wir übergeben sie so schnell es geht den örtlichen Behörden. Danach brennen Sie den ganzen Stützpunkt nieder. Mithril braucht nicht eine Schraube von diesem Abschaum."

"Verstanden, Sho-sa."

Der Captain blaffte ein paar Befehle und brachte Bewegung in seine Soldaten. Die wiederum trieben die Gefangenen auf die Beine und begannen, sie geordnet hinaus zu führen. Karasov gab weitere Befehle und kurz darauf feuerten zwei Arm Slaves auf eine bereits durchsuchte Halle. Noch während sie einbrach, ging sie in Flammen auf.

"Von diesem Schlag wird sich Amalgam nicht so schnell erholen", murmelte Kalinin zufrieden.
 

10.

"NUN HALT STILL!", brüllte Melissa Mao wütend. Wütend und laut genug, sodass Captain Thomas Kramer tatsächlich stehen blieb. "Durch nervöses Herumlaufen kriegst du die zwei jedenfalls nicht zurück."

Bei diesen Worten wollte Kramer seine nervöse Wanderung wieder aufnehmen, aber Mao hielt ihn fest. "Stillhalten, habe ich gesagt."

Thomas gab auf. Stattdessen ließ er Melissa die erneut aufgebrochene Wunde sowie den Streifschuss an rechten Oberarm behandeln. Aber auch wenn er sich nicht bewegte, in seinem Innern tobte es. Als diese Söldner angriffen, hatten sie ihn vollkommen überrascht. Ihn und alle anderen im Safe House. Es hatte Tote gegeben, Tote und jede Menge Verwundete. Dagegen machten sich seine Schussverletzung und die erneut blutende Wunde wie Schrammen aus.

"Danke", sagte er widerstrebend. Doch die Antwort der Arm Slave-Pilotin hörte er schon nicht mehr. Verdammt, Tessa, Kim! Wie hatte das passieren können? Es hätte gar nicht erst passieren dürfen. Vielleicht, wenn er im Labor geblieben wäre, wenn er die Eindringlinge hätte abwehren können... Wütend ballte er die Hände zu Fäusten. Verdammt, verdammt, verdammt!

"Sieh es ein! Sie haben uns kalt erwischt und das war es. Wir können dankbar dafür sein, dass dich der Mistral draußen auf dem Hof nicht einfach zertreten hat. Und wir können sicher sein, dass es Kim und Tessa gut geht. Sie wollten sie lebend, das ist sicher."

"Aber dabei belassen wir es nicht", stellte Thomas zornig fest.

"Natürlich belassen wir es nicht dabei. Tessa ist mehr als meine Vorgesetzte! Sie ist meine Freundin und..." Übergangslos standen der erfahrenen Soldatin Tränen in den Augen. "Verdammt, verdammt, verdammt!"

Zögernd streckte Thomas eine Hand nach ihr aus, zog sie wieder zurück und berührte dann ihre Schultern. Als hätte er damit ein Signal gegeben senkte sie den Kopf und ließ ihn gegen seine Schulter sinken. "Ich habe versagt. Verdammt, ich habe versagt. Ich war dazu da, um Tessa zu beschützen."

Thomas legte auch den anderen Arm um ihre Schulter, obwohl das den Streifschuss heftig schmerzen ließ, und drückte sie an sich. "Wir holen sie zurück. Wir holen sie beide zurück, versprochen."

Alles, was sich Thomas Kramer in diesem Augenblick wünschte, waren ein Arm Slave und eine handfeste Spur. Irgendetwas, was ihn zu diesem europäischen Bastard bringen würde. "Wir holen sie beide zurück", murmelte er erneut und kämpfte mit seinen eigenen Tränen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Nostradamus_MB
2006-04-26T00:58:31+00:00 26.04.2006 02:58
Also um anzufangen, ich glaube auch das es eher 'Sowjets' heißt. Wie auch das erste Kapitel, ist auch diese sehr gut geschrieben und auch die Übergänge sind wieder einmal gelungen.

Anders als das erste Kapitel (was man ja als Pilot sehen konnte) wäre es hier sogar möglich gewesen drei bis vier Folgen daraus zu produzieren. Obwohl innerhalb der Geschichte wahrscheinlich bloss eine Woche vergangen ist, wirkt es länger als das erste.

Ich hoffe das du ASAP (na was heißt es wohl? ^^) weiter schreibst.

nos / michel
Von:  Miyu-Moon
2006-04-20T16:12:35+00:00 20.04.2006 18:12
Sind die Soviets nicht die "Sowjets" gemeint?


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