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Eine Woche

Die Liebesabenteuer des Marc Terrence
von

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Donnerstag

Donnerstag

Heute bin ich ausnahmsweise mal energiegeladen und sehr, sehr glücklich aufgewacht, was mich zu der Vermutung verleitet, dass der Tag nur gut werden kann.

Hoffen wir, dass sich diese Vermutung nicht als Fehlschlag erweist.

Überglücklich stopfe ich nach der allmorgendlichen Katzenwäsche vorsorglich mein Handy in meinen Rucksack und will gerade von dannen ziehen, als ebendieses klingelt. Erschrocke, überrumpelt und gleichzeitig hibbelig wie ein kleines Kind pfeffere ich meinen Rucksack zurück auf den Boden und krame in aller Eile das handy hervor. "Ja?", grinse ich vor lauter Freude in den Hörer. Natürlich erwarte ich Kyle am anderen Ende der Leitung zu hören, aber meine Erwartungen werde derbst enttäuscht.

"Guten Morgen, mein Engel".

Ich erstarre mitten in der Bewegung, was sehr komisch aussehen muss, da ich mein linkes Bein in der Luft habe, den Arm vorgestreckt und nur Zentimeter von dem Rucksackhenkel entfernt. Mein Hals fühlt sich plötzlich beklemmend trocken an und ich bringe kein Wort heraus. Einige Minuten herrscht Stille, dann ergreift die Person wieder das Wort. "Ich bin erst seit kurzem wieder hier. Ich..."

Erwartungsvoll halte ich den Atem an. "Du?", helfe ich der Person am anderem Ende nach. Gott, wie lange habe ich diese Stimme nicht mehr gehört?

"Ich... ach Scheisse! Gott, Marc... ich vermisse dich".

Das hat gesessen. Mein Atem hat sich beunruhigend verschnellert und plötzlich bin ich mir sicher, dass er laut wie ein Elephantentrtompeten sein muss. Wetten, die Person, deren Namen ich mich weigere auch nur zu denken, kann sogar meinen erhöhten Herzschlag hören kann? Scheisse! Scheissescheissescheissescheisse! Gottverdammter Mist nochmal! Was will der plötzlich wieder von mir? Hallo?

"Selbst Schuld", höre ich mich tonlos sagen und versuche mein anderes Ich, welches im Moment anscheinend die Kontrolle über meinen Körper übernommen hat, gedanklich niederzustechen. "ICH bin nicht ohne einen Ton zu sagen nach Australien abgereist". KANN JEMAND DIESES HERZLOSE DING ABSTELLEN, DAS SACHEN SAGT, DIE ICH NICHT SAGEN WILL???

"Oh...", kommt es traurig aus dem Hörer und mein Innerstes verkrampft sich unangenehm. "Ja... ich..." -Moment! War das eben ein Schluchzen?- "...tut mir Leid... ich wollte nicht stören. Ich... wir... bye". Und aufgelegt.

Kraftlos sacke ich auf die Knie und starre mein Handy an. Das kann doch nicht wahr sein! Das kann doch verdammtnochmal nicht wahr sein! Da verbringt man ein ganzes Jahr damit diesen erbärmlichen Schwachkopf aus seiner Gefühlswelt zu verbannen und kaum das man denkt, man hat es geschafft und einen neuen, fetten (und überaus geilen) Fisch an der Angel; da kommt er wieder an und denkt, dass plötzlich wieder alles im Reinen ist? ARSCHLOCH!

Verbittert merke ich, wie mir die Tränen aufsteigen. Siehst du das? Ich hoffe, du hast einen Riesenberg Schuldgefühle, Idiot! Schniefend wische ich mir einmal über die Augen und rappel mich dann wieder auf. Keine Zeit für Gefühlsduselei. Mein Chef wartet. Glücklich über diese Ablenkung schlurfe ich aus meiner Wohnung, schließe hinter mir die Tür ab, registriere nebenbei, dass mir meine Vermieterin überraschenderweise gar nicht auflauert und schlurfe apathisch weiter, bis ich vor dem Fotoshop ankomme, der auch schon auf hat. Schon etwas munterer schleppe ich mich die Stufen hinauf, mache die Tür auf, die mein Kommen mit einem überschwänglichem Klingeln ankündigt, werfe der Frau hinter dem Thresen ein Guten-Morgen-Lächeln zu, geselle mich zu ihr und werfe meinen Rucksack gewohnheitsgemäß gegen die Hintertür. Die Frau sieht mich komisch an. Ich sehe komisch zurück. Moment mal... ist das nicht eigentlich mein Platz? Ich mein; meiner GANZ ALLEIN? Was hat dieses Weibsbild hier zu suchen? Irritiert ziehe ich die Augenbrauen zusammen und mustere sie von oben bis unten. Ein schönes Exemplar Frau. Auf jeden Fall weniger dominahaft und erschreckend als Miss Helena, aber trotzdem: "Was machen Sie hier?"
 

Schnell verbessere ich mich: "Ich meine; ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber... eigentlich arbeite ich hier allein".

"Oh", flötet sie und schwingt graziel ihre blonde Dauerwelle über ihre zierliche Schulter nach hinten. "Der Chef hat mir davon erzählt. Er warnte mich, dass wahrscheinlich ein Kerl hier rein kommen würde, der behaupten würde, das hier wäre sein Arbeitsplatz". Ich nicke bekräftigend, auch wenn ich das Ganze nicht verstehe. Aber trotzdem: es IST ja auch mein Arbeitsplatz!

"Nun", sagt sie und lächelt mich schalkhaft an. "Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass sie gefeuert worden sind. Heute Morgen."

Ich erstarre. Wie bitte? Ich. Bin. Gefeuert?! O... mein... Gott! Perplex starre ich sie an und fasse mir an den Kopf. "Ah... aha... ja...", stammle ich und starre sie weiterhin an. Ich bin gefeuert? Wurde rausgeschmissen? Ohne jegliche Vorwarnung? Gelten in Fotoshops andere Gesetze, als sie im Arbeitsschutzgesetzbuch stehen? Wahrscheinlich ist mein Chef - sorry... EX-Chef - Hintermann des Bürgermeisters. Arbeitet beim FBI! Moment... wir sind hier nicht in Amerika - das geht gar nicht. Aber arbeitet Superman nicht auch auf der ganzen Welt?

Aufgewühlt fahre ich mir durch die Haare und werde erst von dem Gewinke der blonden Frau in die Gegenwart zurückgeholt.

"Entschuldigen Sie", meint sie und schlägt die Augen nieder. Anscheinend ist ihr das Ganze auch unangenehmer, als sie tut. "Aber könnten Sie bitte hinter dem Thresen weggehen? Ich... das ist jetzt mein Arbeitsplatz und ich soll Ihnen vom Chef sagen, dass Sie bloß nicht versuchen sollen, mich hier wegzudrängen. Sie verstehen? Entschuldigen Sie..."

"Schon gut", krächze ich heiser, hole meinen Rucksack und gehe zur Tür. "Und noch was", füge ich hinzu, bevor ich durchgehe. "Sagen Sie dem Chef, dass er das größte Drecksschwein ist, dass ich jemals kennen gelernt hab. Nein, warten Sie! Das ZWEITgrößte! Danke". Bloß weg hier!

Die kleine Ladenglocke klingelt mir hinterher, als wolle sie mir auf Wiedersehen sagen. Komisch... meine Gedanken schweifen sogar schon zum Kitsch ab. Wahrscheinlich bin ich einfach noch viel zu apathisch. Ruhig gehe ich die Straße entlang zum Park. Ich habe das Gefühl, in meinem Bauch ist so viel Energie angestaut, dass ich platze, wenn sie nicht bald raus kommt.

Aber ich unternehme nichts, um sie wieder los zu lassen. Erst, als ich fast beim Park angekommen bin, wallt Wut auf. Erst ganz wenig. So ein bisschen Na-ist-doch-wahr!-Wut. Dann kommt die Jetzt-reichts-aber!-Wut und kurz darauf habe ich das Gefühl, meine Eingeweide brennen. Mann, bin ich sauer! (Das ist die dritte Stufe: die Ich-bring-dich-um!-Wut)

Meine Schritte werden immer straffer und schneller. Die Leute werfen mir schon komische Blicke zu. MIR EGAL! Endlich bin ich im Park angekommen und kann meinem Frust freien Lauf lassen.

"Gottverdammte Scheisse! ICH HASSE ES! ICH HASSE ES! ICH HASSE ES! MANN! ICH BRING EUCH ALLE UM!!!!", schreie ich aus Leibeskräften, werfe dabei meinen Rucksack mit voller Wucht zu Boden - das Samsas Traum Album hat sich sowieso schon in die Ewigen Jagdgründe verabschiedet - und fuchtel/springe/trete/schlage dabei so wild um mich, dass einige Passanten die Flucht ergreifen. Allen voran eine ältere Dame, die wohl meint, die Morddrohung wäre an sie gerichtet gewesen. Ich wüte auf einem Rasenstück herum. So lange, bis ich kaum mehr die Kraft habe, normal zu laufen und meine Stimmbänder den Geist aufgegeben haben. Gefrustet, aber beruhigt, mühe ich mich zu einer Parkbank ab und lasse mich kraftlos darauf fallen. Warum? Warum? Schon wieder musste ich feststellen, dass Was-auch-immer-da-oben-ist eine Abneigung gegen mich hat. Ich bitte euch! Da gehts mir prima, mein Job läuft gut und ich habe einen neuen Freund in Aussicht, der mich nicht nur vertrösten soll... da schlägt der Blitz ein und WUMM! fliegt alles in Fetzen.

Zuerst mal schaltet sich mein Ex ein: meine gute Laune sinkt sofort unter den Gefrierpunkt ab. Dann verlier ich meinen Job: meine gute Laune erreicht tiefen, von denen man noch nicht einmal wusste, dass es sie gibt. Somit wären alle drei Punkte erledigt und abgehakt. Gott, wie ich das hasse!

"Na? Schlechten Tag gehabt?", spricht mich jemand von der Seite her an.

"Nein, schlechtes Leben", gebe ich zurück und vergrabe mein Gesicht in den Händen. "Wieso wird immer dann alles über den Haufen geworfen, wenn man denkt, das wäre nicht möglich?"

Eine tröstende Hand legt sich auf meinen Rücken. "So ist das doch bei allen Dingen des Lebens... man hat nie die vollständige Kontrolle darüber. Das Leben ist ein Spiel und man muss geschickt spielen. Manchmal hat man eben den Schwarzen Peter auf der Hand".

Tolle Lebensweisheit. "Dann hab ich wohl gerade das Game Over erreicht", seufze ich und sehe zu meinem Gegenüber. Ein Mann um die 60 sieht lächelnd zurück.

"Möchten Sie darüber reden?", fragt er freundlich und sofort bricht irgendein Damm in meinem Inneren. Ohne Punkt und Komma rabarber ich den Mann zu. Angefangen mit meiner Geburt in einem Schuppen in der Nähe von Oxford, während es draussen in Kübeln schüttete, bis zu den Rauswurf, den ich gerade hinter mir habe. Natürlich wird auch nicht meine Schulzeit als 24-Stunden-Loser ausgelassen, geschweigedenn von meinen engstirnigen Eltern, die sich von mir abwandten, kaum dass sie wussten, dass ich schwul bin.

Der Mann hört mir die ganze Zeit schweigend zu, reicht mir ein Taschentuch, als ich anfange zu schniefen und wirft ab und an einen Blick auf die Uhr, was ich aber ignoriere. Er hat gefragt, ob ich reden will, dann soll er sich auch anhören, was ich zu sagen habe. Egal, wie lange das dauert!

Schließlich ende ich und starre stumm auf den Kieselsteinweg, auf dem hier und da Verpackungspapier oder ein Zigarettenstummel liegt.

"Das ist in der Tat hart", gibt irgendwann der Mann von sich und ich sehe ihn an, während er fortfährt. "Aber es gibt noch viele andere Menschen, denen es um einiges schlimmer ergeht, als es ihnen passiert ist. Seien Sie froh, dass ihr Leben noch einigermaßen heil ist und Sie es mit ein wenig Mühe wieder aufbauen können. Natürlich erlebt niemand ein durchgängig wundervolles Leben! Jeder hat seine großen und kleinen Problemchen. Überlegen Sie erst einmal, was Sie für ihren alten Freund empfinden. Dann, was Sie für Ihren neuen... ähem... Schwarm empfinden und entscheiden Sie sich. Danach ist dann mal eine Jobsuche angelangt. Ich bin mir sicher, dass es noch einige Fotoshops in der Stadt gibt, die nur darauf warten, dass ein engagierter, junger Mann, wie Sie einer sind, daher kommt und nach einer Stelle sucht. Versuchen Sie das mal! Nun, wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen? Ich war eigentlich auf dem Weg, meine Enkel von der Grundschule abzuholen... Viel Glück, mein Lieber". Dankbar lächle ich ihn an, nicke und stehe zeitgleich mit ihm von der Bank auf.

"Vielen Dank! Ich wüsste nicht, was ich getan hätte, wenn ich Sie nicht getroffen hätte! Auf Wiedersehen und einen schönen Tag noch", sage ich erleichtert, schüttel dem Mann die Hand und wende mich Richtung Pizzeria Selvall. Hinter mir höre ich noch ein nett gesagtes "Gern geschehen" und schon macht sich auch der Mann auf, seine Dinge zu erledigen.

Ob Kyle schon Vormittags in der Pizzeria arbeitet? Ich weiß es nicht, aber es wäre schön ihn zu treffen. Aber erst mal steht ein Gespräch mit Selvall im Vordergrund. Ausserdem arbeitet dort in der Nähe auch Jo, also kann ich sie gleich auch mit einbeziehen. Ach, wenn ich meine Freunde und alte, wildfremde Männer, die mich ohne Vorbehalte ansprechen, nicht hätte...

Auf dem Weg zu Selvalls Pizzeria komme ich an der Boutique vorbei, in der Jo arbeitet und winke ihr, durch das Glas hindurch, zu. Sofort winkt sie zurück und ich bedeute ihr mit Zeichensprache, dass sie doch mit mir zu Selvall gehen soll, weil ich mit ihr sprechen will. Im Nachhinein denke ich, dass es doch passender wäre, wenn Kyle noch nicht dort arbeitet...!

Jo kommt raus und wirft sich im Gehen noch einen Mantel über. "Was ist denn?", fragt sie sofort besorgt nach. Klar, sie hat natürlich auf der Stelle gemerkt, dass es mir schlecht geht. Super!

"Erzähl ich dir, wenn wir bei Selvall sind. Ich möchte, dass ihr beide mir Ratschläge gibt". So hätte ich die Meinung von drei Parteien. 1. der Aussenstehende (alter Mann), 2. die Insiderin (Jo) und schließlich 3. der Insider, der zudem auch Kyle kennt (Selvall).

Schneller als mir wirklich lieb ist, sind wir bei der Pizzeria angekommen und treten in die wohltuende Wärme, die unsere Wangen brennen lässt, weil wir gerade aus der Kälte kommen.

Hinter dem Thresen steht ein neuer Angestellter. Ich kenn ihn nicht. Sachlich sage ich ihm, dass er gefälligst den Koch holen soll, weil ich und meine Freundin - ich ziehe Jo mit einem grimmigen Gesichtsausdruck näher an mich - eine Beschwehrde einzureichen haben. Als der Typ weg ist, bricht Jo in unterdrücktes Gekicher aus und hält sich die Hand vor den Mund. Wenn der Kerl wüsste, wie hochgradig wir denn gerade verarschen...! Ich kann mir das breite Grinsen nicht mehr verkneifen, als er mit einem sinkwütendem Selvall im Schlepptau auftaucht und uns feixend ansieht. Scheint wohl zu denken, dass wir jetzt ordentlich zusammengeschissen werden. Pech gehabt, Kleiner! Selvall grummelt uns halbherzig böse an, als er uns erkennt und umarmt uns dann beide.

"Ist Kyle da?", will ich wissen und ziehe Jo und Selvall zu einem hohen Tisch, um den vier Barhocker stehen.

"Nein, ist er nicht. Was willst du denn, Marc?", fragt Selvall sofort höchstgradig neugierig, kaum, dass wir uns gesetzt haben. Meine Miene wird wieder ernster.

"Gut. Ich... ich muss mit euch reden."

Jo und Selvall sehen mich beide besorgt an und beugen sich über den Tisch, damit ich leiser sprechen kann und der eingebildete Fatzke hinter der Theke nichts mitbekommt.

"Ratet mal, wer heute Morgen angerufen hat!", fordere ich sie auf, ohne eine Antwort zu erwarten. "Das größte Arschloch der Welt: Adam! Einfach so! Nach dem Motto Hi-da-bin-ich-wieder! Als sei nichts passiert! So ein verfickter Bastard...!" Ich habe mich in Rage geredet und Jo legt mir besänftigend eine Hand auf den Unterarm. Langsam beruhige ich mich wieder und schnauze den Angestellten hinter der Theke an, er solle verschwinden und in der Küche den Boden ablecken, damit er uns nicht mehr zuhören kann. Erst bewegt er sich nicht, aber nach einem Blick von Selvall tut er, was von ihm verlangt wird.

Nun muss ich nicht mehr so aufpassen in welcher Lautstärke ich rede und erzähle meinen Freunden alles, was in den letzten Tagen passiert ist. Insklusive dem Ratschlag des alten Mannes.

Stumm sitzen wir danach da und hängen unseren Gedanken nach. Überlegen, was wir tun können.

"Ich denke, du solltest dir das, was der Mann gesagt hat, zu Herzen nehmen", meint schließlich Jo und rutscht vom Barhocker runter. "Ich muss wieder zur Boutique, ansonsten verlier ich auch noch meinen Job", ein tröstendes Lächeln zeichnet sich auf ihren Zügen ab, "ich wünsche dir viel Glück! Tu das Richtige!"

"Kein Problem! Verrätst du mir auch noch, was das Richtige ist?", entgegne ich und lasse mich von ihr umarmen, ehe sie aus der Pizzeria verschwindet. Um diese Zeit ist nie was los - trotzdem geht die Tür gleich nochmal auf und eine Kundin kommt herein. Selvall ruft nach seinem Angestellten, der die Bestellung entgegen nehmen soll. Tatsächlich erscheint er kurz darauf und kümmert sich darum. Ich sehe, wie er ab und zu unmerklich schmatzt, als wolle er einen Geschmack von der Zunge entfernen. Der hat doch jetzt nicht wirklich den Küchenboden abgeleckt, oder?

Ich mache mir keine weiteren Gedanken darum. Wie auch? Selvall hat sich abermals zu mir gebeugt und ich tue es ihm nach, lege meinen Kopf auf meinen Oberarm und schließe die Augen, während ich ihm zuhöre. "Ich finde auch, dass das, was der Alte gesagt hat, stimmt. Erstma über alles klar werden, meinst du nicht? Für wieviele Monate in deiner Wohnung hast du denn noch Geld?"

"Ungefär 3 oder 4", überlege ich und reibe mir mit der freien Hand über das rechte Auge. "Die restliche Miete könnt ich ja mit meinem Körper bezahlen". Ich öffne probeweise die Augen, um zu sehen, was für ein Gesicht Selvall macht. Er starrt mich vollkommen fassungslos an. "He! Ich hab gesagt, ich KÖNNTE, nicht, dass ich das tatsächlich auch MACHE! Ist ja eklig...", beruhige ich ihn und grinse schelmisch. "Das hast du jetzt nicht wirklich ernst genommen, oder?"

"Uhm... doch... doch, schon", gibt er etwas verlegen zu und mein Grinsen verbreitert sich.

"Das würde ich NIE machen!", sage ich nochmal nachdrücklicher und richte mich wieder ordentlich auf.

"Jaja, schon klar", winkt Selvall nun etwas genervt ab und sieht mich grummelig an. Er mag es nicht, wenn er im Unrecht ist, oder etwas denkt, was nicht stimmt. "Und was hast du jetzt vor?", fragt er noch.

Ich seufze. "Da ihr ja alle das Selbe gesagt hab, werde ich mir entweder noch eine Meinung einholen und dann darüber nachdenken, oder ich mache einfach das, was ihr alle gesagt habt".
 

"Wie wärs mit meiner Meinung?", erklingt da eine Stimme von hinten. Oh-oh! Die kenn ich doch! Wie vom Blitz getroffen wirbel ich auf meinem Hocker herum, verliere dabei das Gleichgewicht und kann mich nur mit Müh und Not am Tisch festklammern.

"Ah! Erschreck mich doch nicht so!", keuche ich mit immer noch schreckgeweiteten Augen und sehe Kyle an, der mich breit angrinst. Wie kommt der hier rein? Ich habe ihn nicht durch die Tür gehen... ach mann! Du bist echt bescheuert, Marc! Es gibt doch noch einen Hinteraus bzw -eingang.

"Entschuldige, das wollte ich nicht", meint er lächelnd und lehnt sich mit den Ellbogen auf den Tisch, an dem ich mit Selvall sitze. "Guten Tag", begrüßt er seinen Chef und lächelt diesen ebenfalls an. Gott, ist der zuvorkommend! Sowas von nett!

Nein, ich darf nicht schon wieder ins Schwärmen geraten! Schon gar nicht, wenn ich eigentlich darüber nachdenken sollte, was ich für Adam empfinde.

Trotzdem lächle ich Kyle flackernd an und stehe dann auf.

"Ich muss leider gehen, Selvall. Mir die Stellenangebote durchsehen... danke, dass du mir zugehört hast", sage ich zu meinem Freund und umarme ihn fest. "Schön, dass du da bist!"

Er lächelt mich warm an, was in dreiteufelsnamen verdammt selten vorkommt!, wuschelt mir durch die Haare und verschwindet kurz darauf auch schon wieder in der Küche.

Etwas weniger unsicher drehe ich mich zu Kyle um. "Tut mir Leid, aber ich kann nicht hier bleiben", versuche ich zu erklären.

"Mmh... wieso musst du dir die Stellenangebote durchsehen?", fragt er, ohne auf mein Gesagtes einzugehen und sieht mich aufmerksam an. Sofort bildet sich ein Rotschimmer auf meinen Wangen. Ich bin mir ganz sicher!

"Mein Chef hat mich heut Morgen rausgeworfen", gestehe ich seufzend und werde dabei wieder wütend. "Stell dir das mal vor! Mir-nichts-dir-nichts stand ich da und hatte keinen Job mehr! Was ist denn das! Hat der noch nie was vom Arbeitsschutzgesetz gehört? Das ist doch die Höhe! Allein, wenn ich schon daran denke, könnte ich....!" Grinsend legt er mir eine Hand auf die Schulter. "Na, komm schon runter! Wieso fragst du nicht Selvall, ob du hier arbeiten kannst? Dann könnten wir uns öfter sehen". Oh, vermisst er mich etwa? Wär schön, wenn...

"Das werde ich erst machen, wenn ich keinen anderen Job finde", grinse ich und tippe ihm mit dem Zeigefinger auf das Brustbein. "Nicht, dass ich dich nicht sehen will, aber ich will erst mal sehen, ob sich nicht vielleicht eine Arbeit finden lässt, die mir mehr Spaß macht, verstehst du?"

Er nickt wissend und mir fällt ein Stein vom Herzen. "Naja, ich muss dann! War schön, dich zu treffen. Bis auf bald", sage ich, drücke ihm einen Kuss auf die Wange, sehe feixend zu, wie er rot wird und trete aus der Pizzeria. Gut. Jetzt bin ich gut gelaunt und kann mir in aller Ruhe überlegen, was ich tun will.

Ruhig gehe ich zu meiner Wohnung, um mich dort mit einem heissen Kaffee und der Zeitung an den Küchentisch zu setzen.

Nach wenigen Blocks bin ich da, gehe die Treppe hoch, treffe dabei das kleine Kind einer anderen Mieterin, tätschel dem Knirps den Kopf, mache meine Haustür auf, schließe sie hinter mir wieder und ziehe mir die Schuhe aus. Auf dem Flur fallen mir die sauberen Handtücher auf, die dort vor dem Schrank verstreut liegen. Stimmt ja! Ich hatte gestern ganz vergessen, sie wieder einzuräumen, nachdem ich mir ein Handtuch gerobbt hatte. Lächelnd lege ich sie zusammen und räume sie wieder ein, bevor ich in der Küche verschwinde, mir den Kaffee mache und mich, nun als arbeitsloser Schmarotzer, mit einer Zeitung aufs Sofa setze.

Doch schon bald schweifen meine Gedanken ab und ich komme nach mehreren Stunden Nachdenken nur zu einem vernünftigem Schluss: ich muss Adam wieder treffen! Ansonsten habe ich keine Ahnung, was ich tun soll. Ich muss ihn wieder sehen, wissen, was ihn zu diesem Scheiss getrieben hat und sehen, ob es ihm wirklich Leid tut. Erst dann, kann ich die Seiten abwägen!

Es kostet mich mehr als nur ein bisschen Überwindung, zum Telefon zu greifen und selbst, als ich es in der Hand halte, sitze ich bloß schweigend da, starre auf die Ziffern und rühre mich nicht. Toll, Marc! Und wie lange soll das jetzt noch so weitergehen?

Schließlich ringe ich mich durch und beginne Adams Handynummer zu wählen. Ich kann sie selbst jetzt noch auswendig. Allerdings stoppe ich bei der vierten Ziffer und überlege. Will ich das wirklich? Was, wenn sich herausstellt, dass er mich kein Stück vermisst hat? Das würde weh tun. Schließlich habe ich ihn einmal geliebt. Liebe ihn vielleicht immer noch. Obwohl ich hoffe, dass es nicht so ist.

Doch dann reisse ich mich am Riemen und wähle erneut. Diesmal die ganze Nummer.

Zitternd und nervös halte ich mir das Telefon ans Ohr und wische meine schweißnasse rechte Hand an meiner Hose ab. Nimm ab, Idiot! Nein, nimm nicht ab! Sei nicht da! Dann kann ich sagen, ich hätte versucht dich anzurufen, dich aber nicht erreicht! Bitte, sei nicht da! Wieder einmal stellt sich alles gegen meinen Willen und es wird abgenommen.

"Hallo?"

"..."

"Hallo?"

"..."

"Ist da wer? HALLO?"

"..."

"Ok, darauf hab ich keinen Bock. Tschüss!"

Nein, gleich legt er auf! Verbissen presse ich meine Augen zu und verkralle mich im Stoff meiner Jeans.

"WARTE, DU DEPP!"

"..."

"..."

"... Marc?"

"..."

"Bist du das Marc? Sag doch was...!"

"..."

"Bitte! Oder hast du angerufen, um mich anzuschweigen?"

"... hallo, Arsch".

Stille am anderem Ende der Leitung. Ich weiß, was Adam gerade macht; er rauft sich die Haare. Das macht er immer, wenn ihm unwohl ist, er nervös ist, oder etwas nicht so läuft, wie er es geplant hat. "Hör mal, Marc... ich..."

"Schon klar", unterbreche ich ihn schroff. Meine Wut stärkt mir wieder den Rücken und lässt mich sicherer klingen, als ich bin.

"Ich ruf dich an, weil ich wissen will, was das sollte. Aber - NEIN! Sag jetzt nichts! Ich will keine Ausreden hören, kapiert? Können wir uns treffen? Wie wärs Morgen im Selvall?"

Adam seufzt. "Marc... "

"Ja? Ist was?"

"Ok... ok, ich komme! Aber bitte nicht zu Selvall! Da werden wir doch wohl kaum reden können, meinst du nicht? Ausserdem hab ich da wahrscheinlich Hausverbot".

"Stimmt, hast du", stimme ich zu. Dass das nur so ist, weil er mich verlassen hat, lasse ich hier mal ausser Acht. "Dann eben woanders".

"Im Dog-Palace?"

Ich lache bitter auf. "Ich will mit dir nicht schick essen gehen, sondern eine klärende Aussprache halten! Also lass die pickfeinen Restaurants draussen".

"Ist der Italiener neben dem Park, an dem ich wohne, ok?", versucht er es nochmal.

"Na... meinetwegen. Ich komme um 5 Uhr. Bis dann, Adam. Ich wünsche dir, dass sich deine Ausreden plausibel anhören. Ciao".

Und ich lege auf.

Wow!

Ich bin stolz auf mich! Wie glatt ich das Alles über die Bühne gebracht habe! Wahnsinn! Ich muss mir an dieser Stelle mal selbst auf die Schulter klopfen. Marc, du bist genial! Ich habe jetzt nur ein Problemchen: ICH HABE MICH ALLEN ERNSTES MIT MEINEM EX ZUM ESSEN VERABREDET!!! SAG MAL, TICK' ICH NOCH RICHTIG?!

Wah, was habe ich getan? Wie bescheuert bin ich eigentlich? Aussprache hin oder her: das hätten wir doch auch am Telefon erledigen können! Gratuliert mir zu meiner unvergleichlichen Dummheit! Ein hoch auf mein Erbsenhirn!

Völlig fertig rolle ich mich auf den Boden meiner Wohnung zusammen, bis es draussen anfängt zu schütten. Das lässt mein Weltbild wieder normale Konsistenz annehmen und ich raffe mich auf. Herrgottnochmal! Ich bin Marc! DER Marc! Ich lasse mich von sowas doch nicht unterkriegen!

Mit neuer Energie mach ich einen Seitensprung zur Dusche und lasse mich von ihr verwöhnen, bevor ich gut gelaunt Kev anrufe. Rose, Melinda, Daniel und Asta sind bei ihm und er lädt mich ein, doch auch zu kommen.

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und mache mich sofort auf die Socken.

Den Rest des Tages lasse ich mich bemitleiden, alber mit meinen Freunden herum und mache mir einen Spaß daraus, Daniel immer wieder beim Playstation zocken zu schlagen.

Um 10 Uhr Abends verabschiede ich mich bester Laune von meinen Schätzen - Meine Schääääääätzzeeeeeee! Mein Eigeeeeen! Gollum! - um ins Bett zu hüpfen und schlafe nach einer kleinen Katzenwäsche geschafft ein. Was ein Tag!



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