Habt ihr Angst?
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61. Habt ihr Angst?
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~Setos Sicht~
Nur noch wenige Augenblicke bis zum Signal für den Aufstieg auf den Berg der Toten. Erstaunlicherweise bin ich völlig ruhig und gefasst, obwohl ich aufgrund der lauernden Gefahr im Tempel des Scheichs vor Nervosität zerspringen müsste. Meine beiden Begleiter sind beinahe unheimlich still und völlig unbeweglich, obwohl ich sicher bin, dass sie höllische Angst haben müssten.
„Wenn ihr Angst habt, mit mir zu kommen, könnt ihr gerne hierbleiben, ich schaff diese kleine Rettungsaktion sicher auch alleine.“, teile ich völlig unbeeindruckt mit, woraufhin ich nur ein leises Schnauben und einen leise gezischten Fluch als Antwort bekomme.
Zumindest hab ich erfolgreich diese bedrückende Stimmung durchbrochen.
„Wüstenfuchs an Oberhaupt. Sind aufbruchbereit, warten auf Startsignal.“, höre ich Harouns Stimme aus dem Funkgerät.
„Oberhaupt an Wüstenfuchs. Melden uns sobald Freigabe von Vierauge und Wirbelwind erfolgt.“, antworte ich monoton, während ich weiterhin den Gebel al-Mawta mit meinen Augen fixiere.
„Wüstenfuchs an Oberhaupt. Verstanden, over and out.“, höre ich den Rebellenanführer antworten.
Jetzt heißt es warten. Ich hoffe, dass Rebecca und Mokuba es rechtzeitig schaffen, das Sicherheitssystem zu knacken, ohne dabei erwischt zu werden. Ich bin wirklich froh, dass Mokuba nicht mit mir in den Tempel des Scheichs eindringen muss, ich will ihn keiner unnötigen Gefahr aussetzen, denn für mich bleibt er immer mein kleiner Bruder, ganz egal wie alt und selbstständig er auch sein mag.
„Wirbelwind an Oberhaupt. Vierauge teilt mit, dass Aufgabe vom Flügelpferd soeben erfolgreich gelöst wurde. Bisher noch kein weiteres Problem aufgetaucht, Vorsicht ist allerdings weiterhin angebracht. Freigabe für Höhlenforschung erteilt. Viel Glück.“, rauscht Mokubas leise Stimme durch die Stille der Nacht und ich spüre förmlich das nervöse Zittern, das durch die Körper meiner zwei Begleiter geht, während ich nur einen tiefen Atemzug mache und Haroun die letzte und entscheidende Anweisung gebe.
„Oberhaupt an Wüstenfuchs. Freigabe für Operation Troja erteilt, ich wiederhole, Freigabe für Operation Troja erteilt. Hals und Beinbruch, over and out.“, sage ich ins Funkgerät, bevor ich ohne eine Antwort abzuwarten das Funkgerät abschalte und in meiner Manteltasche verstaue.
Mit einem kurzen Fingerzeig teile ich Devlin und Taylor mit, dass sie mir folgen sollen, was sie sofort und ohne jeglichen Kommentar tun. Langsam und so leise wie möglich schleichen wir uns in völliger Dunkelheit an den Berg der Toten heran, ständig darauf bedacht, so viel Deckung wie möglich hinter Sträuchern und Geröll zu suchen.
Plötzliches Gewehrfeuer von links und eine heftige Explosion von rechts lassen Taylor ein erschrockenes Schnauben ausstoßen, während ich nicht mal mit der Wimper zucke. Mit einem Stiefvater wie Gozaburo ist es kein Wunder, dass ich an Gewehrschüsse und Explosionen gewöhnt bin.
„Bitte keine unnötigen Geräusche.“, zische ich leise und taste mich weiter den Berg hinauf.
Die Augen zu Schlitzen verengt, versuche ich den Trampelpfad zum geheimen Tunnel bei dem wenigen Sternenlicht der Nacht zu erkennen, der Mond versteckt sich hinter einer dichten Wolkendecke. Meine zwei Begleiter stolpern mehr oder weniger leise hinter mir her. Ich hoffe, dass die Geräusche, die wir verursachen, unter dem Lärm von Haroun und seinen Männern unter geht. So zumindest unser Plan.
So leise wie möglich arbeiten wir uns weiter hinauf, während links und rechts immer wieder Gewehrschüsse, Explosionen oder sogar Schreie ertönen. Welche Seite im Vorteil ist, kann ich nicht sagen, aber ich hoffe, dass die Rebellen nicht verlieren oder zumindest solange ohne Rückzug durchhalten, bis wir mit Wheeler wieder zurück sind.
„Kaiba.“, höre ich Taylor halb links zischen, während ein ausgestreckter Arm neben mir den Berg hinauf zeigt.
Ein Blick in die gewiesene Richtung bestätigt meine Vermutung. Eine alte Eisentür in Stein gesetzt, reflektiert ein wenig von den Flammen, die links von uns in die Höhe geschossen sind. Das muss der Eingang in den Tunnel sein. Langsam gehe ich auf die Tür zu und muss zu meiner absoluten Enttäuschung feststellen, dass der Eingang halb vom Geröll verschüttet ist. Die Tür ist versperrt und nicht zu öffnen.
„Fuck.“, zischt Devlin rechts neben mir. „Was machen wir jetzt?“
Wenn wir das Geröll wegräumen, verlieren wir nicht nur wertvolle Zeit, sondern verursachen auch noch mehr Lärm, als gut für uns wäre. Wenn wir einen anderen Weg suchen, verlieren wir ebenfalls wertvolle Zeit, zumal wir nicht mal wissen, ob wir überhaupt einen anderen Weg finden, auf den Plänen war jedenfalls kein anderer Weg vermerkt. Wenn wir allerdings diese ganze Aktion abbrechen, dann war alles umsonst, wir können nicht erwarten, dass Haroun sämtliche Männer des Scheichs erledigt und den Tempel unter seine Gewalt bringt, bevor der Scheich Wheeler tötet, wenn er es noch nicht getan hat.
„Unsere einzige Möglichkeit besteht darin, dass Geröll leise und schnell zu entfernen, was durchaus nicht leicht sein wird.“, sage ich und beginne sogleich mit der Arbeit, die Steinbrocken von oben zu entfernen und zur Seite zu tragen. „Versucht keine Steinlawine auszulösen, seit also vorsichtig.“
Die Sekunden verstreichen und werden zu Minuten, während wir in Dunkelheit gehüllt zu dritt den Geröllhaufen vor der Eisentür wegräumen. Schweiß steht mir auf der Stirn und ich höre das angestrengte Keuchen von Taylor und Devlin, während sie zu zweit einen größeren Steinbrocken zur Seite räumen.
Diese ganze Aktion dauert definitiv zu lange!
Links und rechts von uns erhöht sich der Geräuschpegel. Die Explosionen, Gewehrschüsse und Schreie hören sich dichter an als noch vor wenigen Minuten. Wenn wir uns nicht beeilen, wird uns der Rückweg durch die kämpfenden Truppen versperrt.
Nachdenklich schau ich den Steinhaufen an, der uns so vehement den Weg versperrt und marschiere nach wenigen Augenblicken darauf zu.
„Ich habe eine Idee, leider ist diese ziemlich riskant. Dennoch bleibt uns keine Wahl, wir müssen eine Steinlawine riskieren.“, sage ich zu meinen zwei Begleitern.
„Was ist Dein Plan.“, fragt Devlin und ich zeige auf einen großen Stein, der sich ziemlich weit unten befindet.
„Wenn wir diesen Stein entfernen, wird der restliche Steinhaufen in sich zusammenfallen und hoffentlich nicht allzu viel Lärm machen.“, antworte ich.
Devlin wechselt einen kurzen Blick mit Taylor, der nur mit dem Schultern zuckt.
„Okay, versuchen wir es.“, meint Devlin und kommt auf mich zu.
Zusammen ziehen wir an dem ziemlich schweren Stein, der sich aber nur wenige Millimeter bewegt. Habe ich mich verrechnet? Ich war mir sicher, dass der Stein noch am einfachsten aus der untersten Mitte entfernt werden kann. Taylor eilt uns zur Hilfe und drückt oben gegen den Steinhaufen, während Devlin und ich den unteren Stein Millimeter für Millimeter aus seiner Verankerung lösen. Mein Rücken schmerzt, meine Hände sind mit Dreck, Blut und Schweiß bedeckt. Das ist ganz sicher keine Arbeit für einen Bürohengst wie mich, der die meiste Arbeit am Computer erledigt. Dafür ist mir Wheeler etwas schuldig!
Unter größter Anstrengung gelingt es uns schließlich, den Steinbrocken zu entfernen und er fällt mit einem dumpfen Geräusch vor dem Geröllhaufen zu Boden und nur Sekunden später fällt das restliche Geröll mit einem ebenso dumpfen Geräusch in sich zusammen. Mit ein paar großen Schritten nach hinten bringen wir uns vor den herabrollenden Steinen in Sicherheit. Nur ein paar wenige Steine rollen ein paar Meter den Berg hinab, während sich der Rest um die nun freigelegte Tür herum verteilt.
„Geschafft.“, murmelt Taylor erschöpft und sinkt in sich zusammen, während Devlin vornüber gebeugt neben ihm steht.
„Keine Zeit zum Ausruhen.“, sage ich und wische mir mit dem Ärmel meines Pullovers den Schweiß von der Stirn und den Dreck aus meinem Gesicht.
Ich gehe zur Tür und hoffe, dass sie sich jetzt öffnen lässt. Es rührt sich nichts. Nur mit Mühe kann ich verhindern, aus lauter Frust aufzuschreien.
„Ich nehme an, sie ist verschlossen.“, höre ich plötzlich Taylors Stimme neben mir, so dass ich leicht zusammenzucke.
Bevor ich auch nur nicken kann, macht er sich mit den geübten Handgriffen eines Mechanikers an die Arbeit das Türschloss zu knacken.
„Lass mich raten, Du warst nicht immer nur ein einfacher Koch.“, sage ich, Taylor zeigt mir ein etwas schiefes Grinsen.
„Ich war mit Joey zusammen in der ‚Yo Yo Gang’, mehr muss ich wohl nicht erklären, oder?“, antwortet er und ich schüttle seufzend den Kopf.
Nein, muss er wirklich nicht. Der Rest klärt sich schon von selbst.
„Fertig.“, murmelt er und schiebt die Tür mit einem leisen Knarren auf.
Muffiger Gestank nach Moos, Erde und Verwesung weht uns entgegen und ich werde wieder daran erinnert, woher der Berg der Toten seinen Namen hat. Ein unangenehmer Schauer läuft mir den Rücken hinab.
„Hoffen wir, dass das hier nicht auch noch unser Grab wird.“, flüstert Devlin hinter mir und spricht damit das aus, was wir sicher alle hier denken.
„Gehen wir.“, antworte ich und marschiere in den dunklen Gang hinein, während mir die anderen Beiden mit unsicheren Schritten folgen.
Was werden wir am Ende dieses Ganges finden? Ist das wirklich der Gang zu den unterirdischen Gefängniszellen? Ist Wheeler noch am Leben und werden wir ihn am Ende dieses Ganges finden? Wird es Wachen geben? Wenn ja, wie viele? Fragen, auf die ich keine Antworten weiß, Fragen, dessen Antworten allerdings über Gelingen und Misslingen dieses Befreiungsversuchs entscheiden werden. Was auch immer uns am Ende dieses Ganges erwartet, ich hoffe, dass wir darauf vorbereitet sind.
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