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Fatal Frame Gaiden

the chosen ones
von

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Chapter 4 || Encounter the Curse ~the chariot~

„Einatmen… Ausatmen… Einatmen… Bist du soweit?“, flüsterte Michiko Takeshima, die Shinto-Priesterin ihrer Nichte ins Ohr. Sie stand dicht hinter ihr und hielt mit ihr gemeinsam einen runden Gegenstand in die Höhe.

Miyako nickte unmerklich.

„Jetzt!“

Miyako schloss konzentriert die Augen und verfiel in leisen Singsang. Dann nahm sie vorsichtig die Hände von der Tonschüssel, die sie zum Üben benutzt hatten. Das Seltsame an der Schüssel war, dass sie über und über mit Bannzetteln versehen war.

Der Gesang, der eigentlich ein Gebet war, steigerte sich und wurde lauter. Gleichzeitig löste sie nach und nach die Fingerspitzen von der Schüssel, die diese noch hielten. Irgendwann öffnete Miyako unsicher die Augen und sah die Schüssel vor sich schweben. Fasziniert betrachtete sie, wie die Schüssel leicht hin und her schaukelte. Einen Moment später fiel sie zu Boden und zerbarst in tausende Stücke.

„Aah...Schmetterling! Nein, nein, nein! Auch wenn du die Augen öffnest, musst du trotzdem konzentriert bleiben! Stell dir einfach vor, das Ding wäre gar nicht da. Starre ins Leere!“

Seufzend schüttelte Michiko den Kopf und holte einen Reisigbesen, um die Scherben beiseite zu kehren, zu dem größeren Haufen in der Ecke, bestehend aus weiteren „Unglücken“, den Versuchs-Tonschalen, die letzte Woche zu Bruch gegangen waren.

„Tut mir leid...“ Betreten streifte sich die mittlerweile 18 Jahre alte Japanerin die Ärmel herunter. Seit den Sommerferien war Miyako nur am Üben: Beschwören da, Vertreiben hier, Bannen dort. Es war schwierig, sich alles zu merken, immerhin war die Gebetssprache noch Altjapanisch und hatte viele chinesische Silben zwischendrin.

„Nein, nein. Du machst dich gut, Kind. Ich bin stolz wie viel du in den letzten Tagen gelernt hast! Du kannst zumindest schon einmal heilen und schützen. Das ist auch wichtig, denn Schutzsprüche wirst du wohl brauchen, wenn...“ Die Shinto-Priesterin hielt inne. Ihr behagte es immer noch nicht, dass ihre junge Nichte wieder fort gehen würde. In eine andere Zeit, zu einem anderen Ort, an dem Böses und Dämonen ihr Unwesen trieben. Am liebsten würde sie selber dort hingehen, aber wie sie von ihrer Nichte erfuhr, konnten wohl nur Miyako und ihre Freundin Jin das „Tor“ passieren.

„Wir machen jetzt erstmal eine Pause. Gehe zu Haku-san und erzähle, was du geschafft hast!“

Michiko und ihre Schwiegermutter Kouhaku waren in den letzten eineinhalb Wochen auch einander gegenüber viel offener und freundlicher gewesen, sonst waren sie eher schweigsam zu einander. Jetzt durfte Michiko sogar „Haku-san“ sagen, eigentlich der Kosename, mit dem die alte Frau nur von ihrem Sohn bedacht wurde. Michiko lächelte gedankenverloren bei der Erinnerung an ihren geliebten Mann.
 

„Großmutter? Groß... Aah!“ Miyako erschrak bei dem Anblick ihrer Oma: Diese war kreidebleich geschminkt mit blutroten Lippen und tiefdunklen Augenhöhlen. „Was... was wird das?“

„Nichts... das ist nur der Anblick, den du künftig deinen Feinden bietest. Dies ist die ‚Maske’ einer Miko. Sie soll helfen, den Dämon zu verwirren und gleichzeitig soll sie dich unnahbar machen. Nun, was hast du gelernt Miyako...?“
 

„Gegenstände zu heben, ohne sie zu berühren… Tante Michiko meint, das soll mich vor bösen Geistern schützen, in dem ich sie befehlige, sich nicht zu rühren. Leider klappt es noch nicht so ganz.“, gab die Schülerin betreten von sich.

„Schön, schön. Aber was machst du, wenn du den Dämon damit nicht fernhalten kannst? Läufst du dann weg? Deine Kondition ist ja nicht die Beste, Kind.“ Kouhaku ging, obgleich sie so alt war, graziös zur Küche und füllte Reis und Wasser in den alten Reiskocher. Beschämt schlich die Schülerin hinter ihrer Großmutter her.

„Wann können wir denn anfangen?“, kam es ein paar Minuten später von Miyako. Diesmal schon selbstsicherer.

„Wenn du nichts mehr von Michiko-san lernen kannst.“ Kouhaku schälte die Karotten und löste die Bohnen aus ihren Hülsen heraus. Gedankenverloren schnitt sie alles klein und füllte es in einen großen Eisentopf, wo sie es stark anbriet.

„Ja, aber wann wird das sein?“ Miyako wurde nervös.

„Ich werde mit ihr sprechen. Achte auf das Gemüse!“

Damit schritt die rüstige Frau hinaus in den kleinen Innenhof des Gebäudes. Miyako folgte ihr unschlüssig durch die Küche hinaus auf die Terrasse, die den kleinen Garten umrahmte.

„Du sollst doch auf das Gemüse achten!“, schalt sie ihre Großmutter, nachdem sie ihre Anwesenheit wahrgenommen hatte. Schnell verzog sich die Schülerin wieder in die Küche, die in der Ecke eines großen Raumes war.
 

„Michiko... wie lange dauert es noch?“, kam die raue Stimme der alten Frau, die sich behände auf einem der dunkel gebeizten Holzstühle niedergelassen hatte. Schwerfällig richtete sich die andere Frau auf und band sich mit einem breiten Band ihre langen Ärmel hoch. „Nicht mehr lange, das sagte ich doch. Warum bist du so ungeduldig?“

„Weißt du, wie alt dieses Haus hier ist?“, kam die Gegenfrage der älteren Dame und sie streckte die Hand nach einem der kühlen, glatten Felsen aus, die den kleinen In-nenhof zierten. Michiko setzte sich zu ihrer Schwiegermutter und neigte den Kopf. „Natürlich, über 350 Jahre ist dieses Anwesen und der Schrein alt, aber… was hat das mit unserer Miyako zu tun?“

Kouhaku wandte sich um und steckte ihre Hand unter den Obi ihres zartblaufarbenen Kimonos, um ein Taschentuch hervorzuziehen.

„Meine Familie bewohnte dieses Anwesen schon seit ewigen Zeiten, so schien es mir. Auch mein Mann hat damals in meine Familie eingeheiratet, da meine Mutter nur Mädchen zur Welt gebracht hat. Für meinen stolzen Vater war das eine Schande. Eines Abends, als ich sieben Jahre alt war, beobachtete ich genau von diesem Platz aus, wie mein Vater seinen Unmut an meiner Mutter ausließ…“ Kouhaku blickte trau-rig zu Boden. Es war, als sei es erst gestern gewesen:
 

Die kleine Kouhaku mit den auffallend hellen Augen saß unter der auf Stelzen ge-bauten Terrasse des großen Anwesens und hielt sich panisch die Ohren zu, während ihr Vater ihre liebe Mutter an den Haaren hinter sich herschleifte und ihr böse Worte wie rohe Brocken Fleisch zuwarf. Als das junge Mädchen dann für einen Moment der Stille die Hände von den Ohren nahm, zischte ihr Vater gerade: „Du weißt, dass nur ein Junge diesen Fluch aufheben kann! Warum gebärst du keine Jungen? Wir brauchen einen Jungen! Frau, du weißt, was mit uns geschieht, wenn wir die Götter nicht milde stimmen… Hast du denn…“

Ihr Vater brach jäh ab, denn ihre jüngere Schwester Anzu stand auf der Terrasse und weinte. „Mama… Papa, ich kann nicht schlafen!“, jaulte das kleine Mädchen und lief ihrer Mutter in die offenen Arme.

Damals gaben ihre Töchter ihrer Mutter noch Kraft, doch als Kouhaku’s Mutter kurze Zeit später eine Fehlgeburt erlitt, schien sie wie gestorben. Ziellos wanderte sie auf der Terrasse umher, ging in den kleinen Garten hinunter und weinte lautlos vor sich hin. Wochen später fand ihr Ehemann sie erhängt an der großen Trauerweide, die hinter dem Schrein wuchs….
 

Kouhaku strich wieder über den glatten Fels und wischte sich vornehm die Tränen aus den Augenwinkeln. „Meine Familie hat ein schlimmes Geheimnis und ich bin bis heute nicht dahinter gekommen. Aber ich glaube, Miyako könnte es lösen. Miyako kann sogar die Toten zur Ruhe bringen, also wird sie mir helfen, dieses obskure Rätsel zu lösen…“

„Dann lass mich mit ihr noch einmal die Bann-Übung machen, danach ist sie dein.“, wisperte Michiko geheimnistuerisch, nicht ahnend, dass ihre Nichte sich im angrenzenden Raum an die dünne Wand gepresst hatte und gebannt den Erzählungen lauschte.
 

***
 

Unruhig tippte Miyako die Nummer in ihr rosafarbenes Klapphandy. An dem Handy baumelte ein kleiner Daruma, ein Stehauf-Männchen, das einem helfen sollte, Wünsche zu erfüllen. Beim Erhalt dieser bauchigen Gestalt hatte diese nur weiße Augenhöhlen, jedoch keine Pupillen. Ein Auge hatte Miyako bereits angemalt, als sie ihren sehnlichsten Wunsch aussprach. Hatte sich ihr Wunsch erfüllt, durfte sie das zweite Auge auch anmalen und den Göttern und dem Daruma dafür danken.

Der kleine Kugelgeselle baumelte hektisch am Handy herab und schlug einmal unsanft gegen die Plastikhülle des Mobiltelefons.
 

„Ha…Hallo? Jin?“

„Spinnst du? Es ist bereits zwei Uhr Morgens! Ich brauche meinen Schönhei….meine Ruhe!“, zischelte die Chinesin schnell.

„Entschuldige…“ Miyako zupfte verlegen an ihrem honigfarbenen T-Shirt, an dem sie einen Faden entdeckt hatte.

„Du sollst dich nicht immer entschuldigen, Mi! Was ist denn los? Ist irgendwas passiert?“

Jin drückte den Kippschalter ihrer Nachttischlampe und blinzelte. Schlaftrunken stieg sie aus dem Bett und wanderte in die Küche, um sich dort ein Glas Saft zu holen.

„Na ja, so genau weiß ich das noch nicht. Aber ich habe Großmutter und Tante Michiko reden gehört, über einen Fluch, der Haku-san’s Familie heimsucht…“

„Haku-san?“ Jin nahm einen Schluck kalten Mangosaftes.

„Meine Großmutter heißt Kouhaku… ihr Sohn nannte sie immer Haku-san. Na ja jedenfalls…“

„Mi… leg dein Ei.“, schmunzelte Jin.

„Ich werde zur Priesterin ausgebildet. Schon seit über einer Woche, das weißt du ja. Aber… Kouhaku sagt, sie will mich zur Miko ausbilden, damit ich die Dämonen besser bekämpfen kann. Ich hab ehrlich gesagt Angst, weil ich nicht so mutig bin und na ja… ich bin nicht so mutig wie du zum Beispiel.“
 

Jin seufzte tief. Eine Miko zu werden war eigentlich das, was ihr ihre Mutter ermöglichen wollte, soweit sie das aus dem letzten Telefonat nach China herausbekommen hatte.

Seit sie diesen Brief von ihrer Großmutter erhalten hatte, versuchte die Oberschülerin alles, um in Kontakt mit ihrer Mutter und Großmutter zu treten. Nach langem, zielstrebigem Suchen hatte sie endlich in dem Notizheft ihres Vaters Yi-Liang eine hin gekrakelte Nummer gefunden. Die ihrer Tante Zu-Liang. Diese hatte sie gebeten, ihr die Nummer ihrer Schwägerin zu verraten, da die beiden Frauen immer gut mitein-ander ausgekommen waren.

Nach etlichem Hin und Her hatte sie endlich die Telefonnummer ihrer Familie in den Händen und spazierte schnurstracks zu einer Telefonzelle. Bei ihrem misstrauischen Vater wusste man ja nie, ob er nicht versuchen würde, die Verbindung zu unterbinden.

Nun kommunizierte sie seit zwei Wochen mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern. Abends gab sie vor, noch kurz etwas spazieren zu gehen und Yi-Liang nickte nur und vertiefte sich wieder in seine Arbeit am Schreibtisch.

Als sie dann immer freudestrahlend zurückgekehrt war, hatte ihr Vater sie einmal auf einen Jungen angesprochen, doch sie hatte kichernd verneint. Väter!

Und jetzt erzählte ihr ihre mittlerweile beste (und auch einzige, weil „am vernünftigsten“ und „nicht so aufgetakelt“) Freundin, sie würde zur Miko ausgebildet. Jin lächel-te ironisch.

„Mi… Ich weiß, dass du das Zeug dazu hast. In Wirklichkeit bist du doch vollkommen fasziniert von Übernatürlichem und so. Wer war es denn, der den Geistern nachgelaufen ist? Wer hat sich denn andauernd in Gefahr gebracht, weil es so interessant war, einem Mädchen nachzulaufen und am Ende fast von einem Monster gefressen zu werden?!“

Ärgerlich schnaubte die Chinesin und knallte das leere Glas auf den Küchentisch. „Mann, bin ich froh, dass wir da raus sind.“

„Aber wir müssen zurück.“, wisperte die kleine Japanerin und starrte an die Decke ihres Zimmers.

„Ich weiß. Schlaf jetzt. Wir sehen uns ja bald…“ Mit diesen Worten legte Jin auf.

„Hoffentlich“, murmelte sie schlaftrunken und kuschelte sich wieder in ihr kuscheliges Bett.

Miyako legte das Handy auf den Nachttisch. „Morgen lernen wir… Geisteraustreibung“, murmelte sie und gähnte herzhaft, als sie sich wieder zudeckte.
 

***

Klirr.

Miyako war sofort hellwach. Die Oberschülerin schlug die Augen auf und schlüpfte in ihre aus weißem Plüsch bestehenden Häschen-Pantoffeln. Nur waren die nicht da. Verunsichert suchte sie nach ihrer Nachttischlampe, stieß aber mit ausgestreckten Fingerspitzen nur gegen eine Holzwand. Fluchend lutschte sie an einem Finger, des-sen Nagel durch die unsanfte Begegnung gebrochen war.

Klirr.

Noch einmal hörte sie das Geräusch. Diesmal schien es näher zu sein als beim vorherigen Mal. Miyako schluckte. Langsam erhob sie sich und machte dabei Atemübungen, so wie sie es von ihrer Tante gezeigt bekommen hatte. Dann presste sie die Augenlieder fest zu und öffnete ihre Augen wieder. Durch diesen Trick und das fahle Mondlicht, das bei einem AUS VERGITTERTEM HOLZ bestehendem RUNDEN Fenster schien konnte sie nun endlich den Raum, in dem sie sich befand, ausmachen. „Oh… ihr Götter.“, entwich es ihr leise. Bin ich wieder in Yôsomura? Ist das ein Traum? Oder Wirklichkeit?

Vor ihr war ein dunkler hoher Schrank, auf dem einzelne Gegenstände standen und die Holzwand von vorhin entpuppte sich als mittelhohe Kommode auf der ein Spiegel blitzte und das Mondlicht wieder in den Raum zurückwarf. Miyakos Bett war ein schlichter Futon, das fiel ihr erst jetzt auf und als sie sich erheben wollte, stellte sie fest, dass sie nur mit einem weißen Hemdchen bekleidet war.

Klirr.

Das Geräusch war jetzt so nahe, dass die Japanerin sich nicht traute, den Kopf in die Richtung zu bewegen. Und doch tat sie es. Neben ihr saß ein Mädchen, das sein Gesicht zu einer komischen Fratze verzogen hatte. Miyako hielt sich die Hand vor den Mund, um den entsetzten Schrei abzudämpfen.

Sie beobachtete das kalkweiße Mädchen, doch es griente nur höllisch zurück. „Mama! Ich hab sie gefunden! Sie hat sich hier versteckt!“ hörte sie eine Stimme in ihrem Zimmer hallen.

„Mama?“, entwich es der Oberschülerin. Oh-oh… Wo einer ist, können auch mehr sein, erinnerte sie sich. Doch es war schon zu spät, um davon zu laufen: Vor ihr, dort wo die Tür aufgeschoben war, sah sie einen Lichtschein, der langsam näher kam. Dann stand eine Frau vor ihr, in einem blutig roten Kimono gewandet mit Haaren die so schwarz und undurchdringlich schienen und der Gestalt bis auf den Boden reichten. „Da bist du… Willkommen…“, kam die mächtige und dröhnende Stimme vom Türrahmen zu Miyako hin. Diese starrte dem Geist mutig in die Augen. Doch die Frau mit den vielen Haaren machte keine Anstalten, aggressiv zu werden. Sie streckte eine bleiche Hand nach vorne aus und rief nach ihrem Kind „Amane… komm, wir bringen unseren Gast zur Meisterin.“

Das Mädchen mit der Fratze schwebte ihrer Mutter entgegen und Miyako stellte entsetzt fest, dass sie keine Arme mehr hatte. Stattdessen hingen halb abgerissene Kimonoärmel in Fetzen an den Seiten herunter.

Als wäre es das natürlichste der Welt, folgte die zierliche Japanerin den beiden Geistergestalten und wanderte durch einen langen Gang, dessen Boden und Wände aus Holz waren. An manchen Stellen waren Löcher, aber es gab sogar ein oder zwei Bilder, die allerdings zerrissen waren.

Der Gang machte einen Knick und führte über eine breite Treppe hinauf. Links und rechts gingen Nischen von dem langen Gang weg, in mancher lagen verrottete Reste von Stoff und Wandschirmen.

Sie stieg die knarrenden Treppen hinauf und folgte den Geistern weiter.

Die große Gestalt verschwand in der Tür, Amane machte es ihr nach. Miyakos Schultern sanken mutlos. „Wie soll ich…“ Sie konnte nicht so einfach durchschweben, eher würde sie sich die Stirn blutig schlagen. Aber dann fasste sie Mut und riss an der Tür, die mit einem Quietschen aufging. Unsicher trat sie in den großen Raum. Es verschlug ihr die Sprache, bei diesem Anblick. Vor ihr breitete sich ein großer Altar auf und an den Wänden hingen lauter Kimono Puppen. Der quadratische Raum war am hinteren Ende in einen rötlichen Schimmer getaucht und es standen sogar Papierlampen, deren Licht den Boden einigermaßen erhellte. Auf dem Altar stand ein großer Spiegel, rund herum waren Kerzen und kleine Töpfe aufgestellt. An einer Wand hinter dem Altar hingen mehrere Bündel Haare, Fell und Federn. Miyako schluckte ob der gruseligen Erscheinung. Dann wurde sie Zeuge eines merkwürdigen Schauspiels.

Die Frau und ihre Tochter Amane gingen aus dem Raum, indem sie eine kleine Tür auf der linken Seite öffneten und hindurchschlüpften. Miyako zog verwundert die Au-genbraue hoch. Sind die nicht grad durch die Tür geflogen? Warum machen die sich die Mühe, sie zu öffnen…?[/i)

Einerlei…

Sie richtete ihren Blick nach vorne auf den Altar und schaute sich um. Über ihr, in luftigen Höhen waren die Dachbalken kreuz und quer verstrebt, um dem Gebäude, in dem sie sich befand, den nötigen Halt zu geben. An manchen Dachbalken baumelten Seile, von denen ebenso Haare und Federn hingen. Was zur Hölle geht hier vor?, rätselte die 18 jährige und drehte sich einmal um sich selbst, um den Raum genau zu studieren.

Hinter sich ertönte ein Knacken. „Warum immer hinter mir, warum mal zur Abwechslung VOR mir…?“, brummte die junge Frau und drehte sich gewappnet – sofern das ohne nötige Verteidigung überhaupt ging – um.

Eine Frau schwebte vor ihr, in einen weißen Kimono gehüllt, mit blauem Obi und ihre Haare wiegten sich hin und her, als würde ein Wind durch diesen Altar-Raum wehen. „Priesterin…“, dröhnte es in einem alten Dialekt und die Frau streckte die Hände nach Miyako aus. „Oh…nein!“

Diese rollte sich zur Seite und floh in eine Ecke des Raumes. Als sie merkte, dass sie in der Falle saß, fühlte sie heiße Tränen ihren Augen emporsteigen. Sie schluckte den bitteren Geschmack ihrer Magensäure mühsam hinunter und biss sich nervös auf der Lippe herum. „Priesterin…“, tönte es wieder und die Frau, die etwas älter zu sein schien, schwebte wieder auf Miyako zu. Diesmal hatte sie jedoch VIER Arme. „No..ko…ru…chu!“, rief Miyako voller Angst. Bleib weg!

Die alte Frau lachte hohl. „Te wu yako!“, rief die Japanerin weiter, doch die Priesterin näherte sich immer noch.

Die zierliche junge Frau blickte sich panisch um. Sie griff nach einer Puppe, die sich ganz in ihrer Nähe auf dem Boden befand, und schleuderte sie in die Richtung des Vier-armigen Geistes – der inzwischen sechs Arme hatte. „Scheiße!!“, fluchte sie und robbte schnell zur Seite. Die Frau im Kimono duckte sich, so als wolle sie der Puppe ausweichen und sank dann langsam im Boden ein. Dann war sie verschwunden.

„Ooooh nein… Ich weiß, was das wird.“, raunte Miyako in die Stille des Raumes hin-ein. „Wir spielen ‚Ich bleib jetzt versteckt, bis du denkst die Luft ist rein und dann schleich ich mich von hinten an dich…“

PENG!

Die Tür, durch die die beiden vorigen Geister entschwunden waren fiel mit einem solchen Knall auf, dass Miyako ängstlich kreischte. In diesem Moment fühlte sie auch, wie um sie herum der Boden kalt wurde. Gerade noch rechtzeitig erhob sie sich aus der Hockstellung und rannte Richtung Tür: Wie sie es vermutet hatte, tauch-te die Frau im weißen Kimono wieder aus dem knarrenden Holzboden auf und ließ ihr unerträgliches klirrendes Kreischen erklingen, während sie mit den langen Ärmeln um sich schlug. Miyako flüchtete zur Tür. So schnell wie möglich schloss die Japanerin sie und hechtete weiter den Gang entlang. ‚Wo bin ich?’ Unsicher blieb sie ste-hen. Der Geist folgte ihr nicht mehr. Ihre Großmutter hatte ihr einmal erzählt, dass manche Geister an ihren Ort gebunden sind, ihn obwohl sie durch Wände kommen, nicht verlassen dürfen. Gut, dass es auch bei dieser Kimono-Frau so war.

„Wenn ich doch nur wüsste, wo ich bin?“, krächzte die Oberschülerin verzweifelt und sah sich um. Vor lauter Aufregung hatte es ihr die Stimme verschlagen. Erst jetzt merkte sie, dass es schrecklich kalt war und eine Gänsehaut breitete sich schlagartig auf ihrem Körper aus.

Vor ihr lag ein langer Korridor, in dessen Wände Türöffnungen ausgespart waren, an einigen waren noch Papierschiebetüren, an anderen nicht. Miyako lief weiter gerade aus und bog dann links in einen größeren Raum ab. „Niemals in eine Sackgasse laufen!“, ermahnte sie sich selbst. Vor ihr in dem Raum war aber diesesmal kein Geist, nicht einmal viel Einrichtung. Ein kleines Schränkchen, das vom Mondlicht beleuchtet wurde, welches durch die großen runden, vergitterten Fenster hereinschien, schien neben den Tatami-Matten am Boden das einzige Möbelstück zu sein.

Ohne Scheu ging die junge Japanerin auf die Kommode zu und zog nach der Reihe die Schubladen auf. Wenn sie eines in Yôsomura gelernt hatte, dann, dass man sich alles in einem Raum zu Nutze machen sollte, um Geister oder Untote zu bekämpfen.

Und tatsächlich: sie fand etwas. Ein kleines Büchlein, eingebunden in einem violetten Seidenumschlag. Jedoch sah dieser schon sehr abgenutzt aus. In einer Ecke fanden sich Blutflecken. Die junge Frau mochte sich lieber nicht vorstellen, was der Grund für die Blutflecken gewesen sein könnte.

Da Miyako keine Tasche hatte, nahm sie das Buch einfach in die Hand und hielt es einfach gut fest. Sie wusste nicht, ob sie es jetzt lesen sollte, denn sie hatte Angst, jemand könnte sie auf frischer Tat ertappen und das wäre das Letzte, dass sie gewollt hatte, schon wieder auf der Flucht vor einem Geist zu sein.

Trotzdem schlug sie das Büchlein auf. Neugierde ist etwas Schlimmes, dachte sie sich und lächelte schwach. Die Seiten in dem Buch waren vergilbt, jedoch war die Schrift erstaunlich gut erhalten. Sie bestand zu einem Großteil noch aus Chinesischen Schriftzeichen und altem Katakana.
 

„Versteck dich nicht, du entkommst mir nicht. Meine schneeweiße Puppe, mein Kleinod. Ich werde dich lieben und vor allen andern beschützen. Schrei nicht mehr. Lauf nicht weg, es gibt keinen Ort wo du dich verstecken kannst. Du bist wie ich, hab keine Angst. Schrei nicht mehr. Alles ist jetzt vorbei. Meine schneeweiße Puppe, du gehörst mir!“, stand dort in abgehackt geschriebenen Schriftzeichen.
 

Irritiert versuchte sich Miyako einen Reim darauf zu machen. Wenigstens kann ich es diesmal lesen, der Alt-Japanisch Unterricht bei Haku-san zahlt sich aus! freute sich die junge Frau.

Sie fühlte wie eine leichte, aber sehr kalte Brise vom Fenster hereinstrich und ihre Schulter streifte. Dann hörte sie Schritte, ganz leise, aber sie waren da. Schnell suchte Miyako das Weite, aber es war zu spät. Sie presste ihren schlanken Körper in eine dunkle Nische und hoffte, dass man sie nicht entdecken würde. Neben ihr ging ein Mann vorbei, mindestens so gleißend hell wie die Strahlen des Mondlichts, die hereinschienen. Vor der Kommode kniete eine Frau in einem prächtigen Kimono und kämmte ihre langen schwarzen Haare. Der Mann beugte sich nach unten und berührte die junge Frau an der Schulter. Erst jetzt merkte Miyako, dass sie weinte, ihr Make-up war ganz verschmiert, das weiß ihres Gesichtes war rund um die Augen verwischt und schwarze Tusche, die von ihren Wimpern und Brauen stammte, lief ihr die Wangen herunter und malte dort geschwungene Linien.
 

Er berührte sie am Oberarm und zwang sie aufzustehen. Sie legte ihr Gesicht in ihre kleinen Hände, die makellos im Mondlicht aussahen. Mit dröhnender Stimme sprach er: „Komm, wir gehen, es wird Zeit.“

Sie starrte ihn an, ihr Blick war ausdruckslos. „Ich werde ihn niemals lieben können, Anjin-san. Er hat ihn getötet, einfach so... ohne...“

„Schweig!“, unterbrach sie der Mann barsch und schob sie aus dem Türrahmen. „Hatsukiko, du weißt es, er hatte es verdient. Sei froh, dass der Herr dich nimmt! Du bist befleckt und hättest dir eigentlich das Leben nehmen sollen! Sieh es als Chance für ein neues Leben!“, bellte der Mann.

Vermutlich ihr Vater oder Bruder, mutmaßte Miyako.

Dann waren die beiden weg. „Ich hoffe, der Fluch trifft ihn wirklich“, hörte sie noch die schwache Stimme der Frau im Raum schweben. Miyako beschloss, dass es hier nicht mehr sicher war, und zog weiter. An einer Wand hing ein Bild, welches der Ja-panerin ins Auge fiel. Leider war darauf nicht viel zu erkennen, aber es stellte wohl zwei Kinder da, die sich freundschaftlich an den Händen hielten. Gebannt betrachtete Miyako das Bild und berührte es mit ihren Fingerspitzen. „Hatsukiko...“, hauchte sie und das Bild leuchtete plötzlich, erneuerte sich und schien, als wäre es soeben fotografiert worden.

Es war eines dieser Bilder, die um 1910 gemacht wurden, bräunlich vergilbt aber sehr schön. Darauf waren tatsächlich zwei Kinder zu sehen, ein Mädchen und ein Junge, beide lächelten scheu in die Kamera und hielten sich an den Händen. Es war tatsächlich die Frau von eben, als junges Mädchen. Sie mochte vielleicht 7 Jahre sein, der Junge eventuell ein, zwei Jahre älter. Stolz hielt er sie an der Hand und Miyako lächelte über dieses Bild. So eines gab es auch von ihr und ihrer Schwester Kotoko. Vielleicht war der Junge ja ihr Bruder?

Miyako faltete die Hände und dachte über die Textstelle nach, die sie vorhin gelesen hatte. Es schien, als sollte die Frau gegen ihren Willen verheiratet werden, aber das könnte auch falsch sein.

Sie hörte ein Knarren hinter sich und lief wie ferngesteuert aus dem Raum. Beim Umdrehen merkte sie, dass es nur falscher Alarm gewesen war. Trotzdem musste sie auf der Hut sein. Miyako lief weiter den Flur entlang und erreichte am anderen Ende eine Tür, die sie aufschob. Sie roch hinter der Tür etwas seltsam strenges und versuchte es zu ignorieren, doch je weiter sie in die Dunkelheit ging, desto schwindeliger wurde ihr. Es roch wie schwerer Moschusduft, wie Blüten, Jasmin oder Lilien, fast unangenehm wehte der Duft in der Dunkelheit umher. Irgendwann wurde es Miyako noch schwärzer vor Augen und sie fiel auf die Knie. „Nei...nein! Nicht stehen bleiben! Weiter... muss..“, keuchte sie. Dann fiel sie zur Seite. Sie konnte nicht mehr sehen, dass hinter ihr die Frau aufgetaucht war, die sie schon zu Anfangs gesehen hatte. Sie hielt einen zerbrochenen Spiegel in der Hand und näherte sich mit glühender Silhuette der zusammengebrochenen Schülerin...
 

Jin wurde durch das Klingeln ihres Handy’s geweckt. Sie öffnete trübe ein Auge und starrte auf das Display.

„Kiin?“, gähnte sie in den Hörer und ließ sich wieder ins weiche Bett zurückfallen.

„Guten Morgen, ich hoffe ich störe nicht. Hast du Miyako schon erreicht? Ich hab versucht, sie anzurufen, aber irgendwie ist bei ihr andauernd besetzt, da dachte ich du sprichst vielleicht mit ihr.“, kam es ohne Punkt und Komma aus der Leitung und Jin grinste bei dem munteren aber sachlichem Wortschwall ihres mittlerweile guten Freundes Kin-Rai Akagawa, Student in Kyoto, fanatischer Journalist und begeisterter Anhänger von obskuren Dingen, die er leider in den letzten Wochen zu Hauf erfahren durfte.

„Wie du siehst... hörst, ist dies nicht der Fall. Aber danke der Nachfrage, mir geht es gut. Was macht die Uni?“

„Kann mich nicht beschweren, es sind ja Sommerferien, das heißt, ich lerne mir die Seele aus dem Leib“, kam es amüsiert zurück.

„Ach stimmt ja.“ Jin streckte sich und spürte ihre Muskeln, die sich dehnten. Sie schlüpfte in ein Paar Hausschuhe und schob ihre Zimmertür auf.

„Morgen Dad!“, grüßte sie freundlich ihren Vater, der in der Küche mit einer Tasse starkem Kaffee und einem Stück Kuchen bewaffnet die Zeitung las und seine wuscheligen Haare rieb.

„Nicht zu viel Süßes, das ist schlecht für deinen Cholseterinspiegel!“, mahnte sie, als sie noch einmal die Nase zur Küche hereinsteckte.

„Nö, nicht mit dir Kin. Ich werde versuchen, Mi zu erreichen, ansonsten schaue ich mal vorbei. Ich melde mich wieder. Jaa... in Ordnung. Mach es gut!“

„War das Akagawa?“, kam sofort die Antwort von Jin’s Vater, nachdem diese das Handy beiseite gelegt hatte.

„Ja. Er wollte wohl mit Miyako sprechen, aber bei der ist besetzt.“

„Ach so. Na dann soll er es weiter probieren,“ grinste ihr Vater und schlürfte aus der großen blauen Tasse während er die Zeitung weiter studierte.

„Allerdings, das passt nicht zu ihr, dass sie so lange telefoniert....“ Jin wählte nochmals Miyako’s Handynummer und erntete schon wieder ein Besetzt-Zeichen. „Komisch...“

„Papa, ich werde zu ihr fahren. Okay? Vielleicht hat sie ja ihr Handy verloren oder so. Ich muss ohnehin mit ihr sprechen.“

Jin’s Vater nickte nur und beobachtete weiter den Wirtschaftsteil der Zeitung, wäh-rend seine Tochter in ihrem Zimmer verschwand um sich umzuziehen.
 

Es dauerte nicht lange bis Jin vor den Toren des Tempels abbremste und das Rad durch den Torbogen schob. Zu ihrer Überraschung sah sie weit und breit niemanden.

Keine Besucher und auch niemanden von Miyakos Familie.

Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend sperrte sie rasch das Fahrrad ab und eilte dann in jenen Gebäudeteil in der sich das Zimmer ihrer Freundin befand.

Schon vom weitem konnte sie merkwürdige Gesänge vernehmen und bemerkte mit klopfendem Herzen, dass die Tür offen stand.

Als sie in die Tür trat stoppte er Gesang abrupt und sie erschauderte bei dem Anblick der sich ihr bot.

Miyakos Tante und deren Schwiegermutter saßen zu Mis linker und rechter Seite, beide die jeweilige Hand in ihren haltend.

Doch das war es nicht, was Jin solchen Schrecken bereitete. Es war die ungesunde Farbe die ihre ohnehin blasse Freundin angenommen hatte und langsam ins bläuliche wanderte.

„Miyako...“, murmelte sie erschrocken, bevor sie wie in Trance an ihrer Seite niederkniete. Sie konnte die Blicke der beiden Frauen auf sich spüren, als sie sich nach vorne beugte und sah wie das zierliche Mädchen erneut erschauerte.

Plötzlich setzte der Gesang erneut ein und irritiert stellte sie fest, dass es von den Erwachsenen kam, die ihre Augen in tiefer Konzentration geschlossen hatten.

Hilflos sah sie sich um und plötzlich erspähte sie etwas rosafarbenes. Miyakos Handy. Abwesend zog sie es an sich heran und blickte starr auf das Display. Es bestand keine Verbindung zu jemanden und in der Anrufsliste war sie als letztes angeführt. Warum also kam das Besetztsignal wenn man versuchte sie zu erreichen?

Jin blinzelte und fixierte das Handy als könnte es ihr eine Antwort geben.

Und nach mehreren Sekunden die ihr wie Stunden vorkamen erkannte sie die Antwort tatsächlich. Denn wenn man genau hinguckte, bemerkte man, das der Schriftzug ständig verschwamm oder flackerte.

Ruckartig drehte sie sich wieder zu Miyako bevor sie sich hektisch im ganzen Raum umblickte. Irgendwo musste doch der Übeltäter sein!

Wenn Kins Theorie stimmte – und davon war sie überzeugt – dann brachte die Anwesenheit von Geistern elektronische Geräte durcheinander oder erzeugte zumindest ein Störsignal, wenn diese aktiv waren.

„Zeig dich, du Miststück.“, murmelte sie, doch sie konnte beim besten Willen keine Spur eines Geistes entdecken und das obwohl die Raumtemperatur doch merklich zu sinken schien.

„Was ist den hier schon wieder los?! Hat dieser Nichtsnutz etwa schon wieder was angestellt?“, dröhnte es da plötzlich und wenig später kam ein Mann ins Blickfeld.

Jin erkannte ihn nicht gleich, da sie ihm noch nie persönlich begegnet war, doch dann kam ihr die Beschreibung von Miyakos Onkel in den Sinn.

Ein eher untersetzter Mann in einem Herren-Kimono stand im Türrahmen und blickte mit kleinen Augen auf das Geschehen dass sich vor ihm bot. Seine Mundwinkel waren streng nach unten gezogen und seine Haut schien leicht fettig zu sein. Er fixierte seine ältere Schwester, Michiko und bedachte dann seine Nichte mit einem herablassendem Blick. „Ich sagte doch, und ich sage es immer noch, dieses Kind taugt nicht zur Priesterin. Bei dir Michiko, mag es ja eine Ausnahme sein, aber sie, nun ja... „

Das war also Takeshima Yamato, stellte Jin gleichermaßen nüchtern und empört fest. Ein unangenehmer Zeitgeselle wie sie schon von ihrer Freundin gehört hatte und selbst gerade feststellen musste.

„Sei bitte still, wir versuchen gerade eine Geist auszutreiben.“, befahl die ältere Frau scharf, bevor sie wieder in ihre Trance zu fallen schien.

Beide Priesterinnen begannen langsam zu schwitzen, ein deutliches Anzeichen dafür, wie anstrengend es zu sein schien.

Es dauerte etwas bis die Chinesin die Lage so richtig begriff. Der Geist war da, ja, aber IN Miyako drinnen.

Aber das war merkwürdig. Würde sie dann nicht um sich schlagen oder völlig irre durch die Gegend rennen? Dabei sah sie doch nur so aus als würde sie träumen. Wenn auch einen unangenehmen Traum.

Ein erneuter Schauer durchlief die kleine Japanerin und Jin streichelte ihr automa-tisch eine Strähne aus dem Gesicht.

Als ihre Fingerspitze dabei Hautkontakt machte, stockte plötzlich ihr Atem und tau-sende eiskalte Nadeln schienen ihre Haut zu durchdringen.

Schwarze Punkte begannen vor ihren Augen zu tanzen als sich ihr Hals zuzuschnüren schien und für einen Moment lang glaubte sie eine Frau in Kimono umgeben von ganz vielen Händen und mit einem sadistischen Lächeln auf den Lippen zu erblicken.

Plötzlich riss Miyako die Augen weit auf und der Zauber, der sie beide gefangen zu halten schien, fiel.

Die eiserne Umklammerung die ihr die Luftzufuhr abgeschnitten hatte verschwand und sie beugte sich keuchend nach vor, während beide Hände zu ihrem Hals wander-ten, an dem sich langsam zwei Handabdrucke formten.
 

„Der Geist würgt sie!“, schrie Michiko plötzlich und schüttelte ihre Nichte. Kouhaku, die ältere Dame die Ihren Schwäger aus dem Zimmer zu drängen versuchte erstarrte bei dem Anblick ihrer Enkelin. „Jin, lauf in mein Zimmer! Es ist die dritte Türe rechts am Ende dieses Flures! Hol mir aus der ersten Schublade in dem Schränkchen neben meinem Bett Zettel und einen Pinsel! Beeil dich!“, kommandierte sie. Verdattert richtete sich die Chinesin auf, die erst nicht ganz verstand warum ausgerechnet sie die Dinge holen sollte. Ich Dummkopf, ich bin viel schneller wieder hier als die alte Dame, schalt sie sich und schüttelte den Kopf.

Jin riss sich aus der Versteinerung und flitzte durch das Zimmer hinaus in den Flur. Bannsprüche, eine gute Idee.... wo ist das Zimmer?

Atemlos fand die junge Chinesin das Zimmer und riss die Schubladen auf. Bewaffnet mit Papier, Pinsel, Tusche und einem kleinen Heft, dass sie auch noch fand, stürmte die Schülerin wieder nach unten.

„Sehr gut!“, mit diesen Worten wurde sie empfangen, dann riss die alte Dame die Sachen schon an sich und pinselte wie verrückt auf die Zettel. Wütend schleuderte sie einen Zettel nach dem anderen in viele verschiedene Ecken des Zimmers und fixierte mindestens fünf der Bannzettel an ihrer Enkelin, welche stark hustete und sich an den Hals griff. Plötzlich kehrte schlagartige Ruhe ein und Miyako fiel zurück in ihr Bett. Minutenlang hörte man ihr heftiges aber rasselndes Atmen ehe es wieder still in dem behaglichen Zimmer war.
 

„Da drüben steht sie...“, flüsterte Miyako plötzlich, allerdings klang ihre Stimme selt-sam fremd. Und tatsächlich, auch Jin erkannte die Stelle. Anfangs war es nur verzerrte Luft gewesen, doch jetzt zeichnete sie sich ab: Eine Frau in einem leuchtend rotem Kimono, mit wallenden langen Haaren, pechschwarz. Von ihrem Gesicht konnte man nur ihr grässliches Lächeln sehen, der Rest war von den vielen Haaren verdeckt.

Zurück blieb ihr gehässiges Lachen, dann verschwand die Silhuette der Frau ehe noch irgendjemand Zeit gehabt hätte, den Geist zu bekämpfen oder zu bannen.
 

„Was zur Hölle war das?“, schaltete sich Miyako’s Onkel wieder ein, der gebannt das ganze Geschehen aus der Ferne beobachtet hatte.

„Ich würde sagen, jemand sehr eifersüchtiges“, Michiko krempelte ihre Ärmel herunter und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihre Augen waren gerötet und verstohlen putzte sie sich die Nase.

„Ist alles in Ordnung mit dir, mein Schmetterling?“, fragte sie und half ihrer Nichte, sich aufzusetzen. Diese hatte immer noch Probleme mit dem Schlucken und auch ihre Stimme klang noch heiser. „Ich habe von ihr geträumt...“ Sie hustete. „Scheint, dass es doch kein Traum war.“
 

„Dieses Mädchen bringt uns nur in Schwierigkeiten, wenn das jemand erfährt haben wir bald keine Besucher mehr!“

Die donnernde Stimme von Yamato hallte vom Wohnzimmer hinauf in den ersten Stock. Michiko und ihre Schwiegermutter funkelten den Mann an, jedoch wussten sie, dass er sich bald beruhigen würde. „Wir können froh sein, dass sie noch lebt und alles was dir einfällt ist, dass wir bald keine Besucher mehr haben könnten?“, kam es eisig von Kouhaku die eine Ecke des Raumes fixierte. „Du musst noch viel lernen Yamato. Miyako ist jetzt schon stärker, als ich es damals war, sie wird es schaffen, jedoch braucht sie Zuspruch und jemand, der sie versteht!“ Tante Michiko erhob sich und lief auf den Tatami Matten hin und her und gestikulierte mit den Händen.

„Am besten ist, du reist heute wieder ab, deine Gegenwart gibt ihr nicht gerade das Gefühl, eine gute Shinto-Priesterin zu werden!“

„Aber..“

„Kein Aber! Ich habe es satt, dass du dir andauernd einbildest, du müsstest MIR sagen, wie ICH meine Nichte ausbilden soll, dabei hast du damals gesagt, du würdest das Priester-Erbe niemals antreten. Was glaubst du, wie es Vater damals ergangen ist!? Ich werde mein Erbe weiter geben, komme was wolle und du hast mir nicht zu sagen, dass ich es nicht schaffen könnte!“

Erbost stürmte die Frau in ihrem dunkelblauen Kimono aus dem Raum und Kouhaku lächelte leicht, als sie an ihrer Tasse nippte.

„Onee-san! Onee.... Ach vergiss es! Ich halte es nach wie vor für keine gute Idee, sie sollte lieber Shoui nehmen, nicht Miyako! Er ist stabiler als...“

„Dein Sohn wird in einer Bank arbeiten. Es interessiert ihn doch gar nicht, ob der Tempel überhaupt noch steht! Dein Ehrgeiz schadet deinen Kindern nur, zwinge sie nicht. Und jetzt geh!“ Kouhaku fixierte den runden Mann und erhob sich ebenfalls. „Eine Unsitte ist das, in diesem Haus geben plötzlich die Frauen den Ton an, nur weil sie denken, sie könnten eine Männerberufung besser ausführen! Wenn Vater das hören würde, würde er sich im Grab umdrehen!“, zischte Yamato und lief in ein anderes Zimmer. Wütend schob er die Tür hinter sich zu. Knall!
 

„Wütender Onkel verlässt die Bühne, Ende Akt eins.“, flüsterte Jin, die alles vom Treppengeländer im oberen Stockwerk aus beobachtet hatte. Ihr Lächeln sprach Bände. Leise huschte sie wieder ins Zimmer ihrer Freundin zurück.

Ihr Blick suchte den von Miyako, doch diese starrte zur Decke. „Ich habe Angst, wieder einzuschlafen, was ist, wenn diese Frau mich wieder im Traum verfolgt?“

„Hast du denn eine Ahnung, wo du warst?“ Jin erhob sich vom Bettrand und wanderte im Zimmer auf und ab.

„Nicht direkt. Könnte ein Teil von Yôsomura gewesen sein, aber ich kann es nicht sagen. Vielleicht gibt es noch mehr solcher Dörfer?“ Bei dem Gedanken wurde der kleinen Japanerin ganz schwindelig.

„Ich wünschte, ich hätte meine Kamera dabeigehabt. Hat Kin sie denn zusammen mit Frau Hinasaki schon präpariert?“

„Ich weiß es nicht. Aber wir können es ja rausfinden, in dem wir dem Guten einen Besuch abstatten. Kannst du aufstehen?“

„Ich kann es versuchen. Bei der Gelegenheit können wir dann auch das hier mitnehmen.“ Miyako griff unter das Kopfkissen ihres Bettes und zog ein kleines, in violette Seide gebundenes Buch hervor.

„Ich bin mir mittlerweile sicher, dass das kein Traum war, sonst würde dieses Buch nämlich nicht hier liegen.“...
 

Authors Notes
 

Ein neues Kapitel von FFG - wir haben seeehr lange nichts von uns hören lassen, aber die Zeit ließ es wohl nicht zu *sigh*

Das Kapitel wurde diesmal zum Großteil von mir (Zuckerfee) geschrieben, während meines Krankenhausaufenthaltes im Februar/März. Ich hoffe, man verzeiht die Rechtschreibfehler - sofern vorhanden - und ich hoffe auch, dass das Kapitel einigermaßen Spannend ist ^^
 

liebe Grüße
 

fee & dragon



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