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Nur Schatten im Wind

Den Lebenden schulden wir Respekt, den Toten schulden wir nur die Wahrheit...
von

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EIN WEIT ENTFERNTES ZIEL

Die Wegstrecken, welche wir in kurzen Abständen zurück legten, waren nicht besonders lang oder beschwerlich. Unsere Pausen waren erholsam und in der sich verändernden Landschaft merkten wir deutlich das Näherkommen unseres Zieles.

Waren die Ländereien in der Umgebung unseres Dorfes noch meist mit Äckern bebaut, so wurden diese im Verlaufe des Tages immer spärlicher und verschwanden schließlich ganz. Immer mehr Buschwerk tat sich um uns herum auf und die Stimmen der Natur erklangen in fast nie gehörter Lautstärke.
 

Die Vorräte waren von Lionel gut bedacht und eingeteilt worden, so dass jeder von uns, selbst Leo, zu jeder noch so kleinen Pause einen Happen essen oder etwas trinken konnte, ohne befürchten zu müssen, auf der Rückreise nichts mehr zu haben, denn immerhin rechnete keiner von uns mit dem plötzlichen Auftauchen eines Gasthauses.
 

Gegen Abend hatten wir, begleitet von Leo's fröhlichem Gebell und herum Gespringe, welches mit der Zeit jedoch etwas abnahm, schon einen schönen Teil des Weges zurück gelegt. Alles in allem war es aber nicht so viel, wie ich mir zuvor im Rahmen meiner Überlegungen ausgerechnet hatte, was mich doch etwas traurig stimmte. Doch, so sagte ich mir, hatten wir alle Zeit der Welt, auf keinen von uns warteten Verpflichtungen, denen wir unbedingt in nächster Zeit nachgehen müssten. Wenn nun unsere kleine Reise ein paar Tage länger dauern würde als vorher angenommen, so wäre damit keinem von uns geschadet. Hätte ich zu diesem Punkt unserer Reise gewusst, wie viel wir noch in kauf nehmen mussten, dann wäre ich sicherlich einer der ersten gewesen, der die Gemeinschaft mit all der mir zur Verfügung stehenden Kraft zum Umkehren bewegt hätte...
 

Die Gefahr ist dein Glück, du spürst sie und sie wird dich bewahren, doch reize sie nicht... sonst wird sie dein Untergang sein...
 

Im Endeffekt war ich doch sehr froh, dass nicht nur Henry dabei war, sondern ich auch Oliver für die Reise gewinnen konnte, was unsere abendlichen Probleme des Zeltaufbauens erheblich verminderte.

Dass Lionel nicht sonderlich begabt in praktischen und handwerklichen Dingen ist, sondern eher den Theoretiker verkörpert, das sollte doch vielen bis jetzt bewusst geworden sein. Doch ich gebe offen zu, dass auch meine Wenigkeit mit solchen Dingen nicht so bewandert ist und mehr zum Scheitern als zum Glücken des ganzen Unterfangens beigetragen hätte.
 

Das Aufstellen unserer Unterkünfte also den anderen beiden überlassend zog ich es vor, mich mit Lionel einmal mehr über unsere Reise zu streiten.
 

"Du wirst dir doch sicherlich im Klaren sein, mein lieber Freund, dass wir das ganze hier nur auf uns nehmen, damit du einen Blick auf diesen dunklen, bewaldeten Landstrich werfen kannst, der dir in einem Buch so geheimnisvoll und nichtssagend beschrieben wurde?"
 

"Dessen bin ich mir durchaus bewusst Lionel, und ich meine mich erinnern zu können, dir das bereits mehrmals gesagt zu haben."
 

"In der Tat, in der Tat, das sagtest du bereits, doch wollte ich es mir nur noch einmal sagen lassen, da ich es bis jetzt immer noch nicht glauben kann, so seltsam ist es!"
 

Unglücklicherweise wurde Lionel bei unserer kleinen Diskussion immer lauter, so dass die anderen beiden nicht umhin kamen, uns alsbald Gesellschaft zu leisten.
 

"Ihr brüllt ja so laut, da fliegen die Karnickel aus ihren Löchern!" meinte Henry nur, mit einem Lächeln auf den Lippen.
 

Er kannte mich und wusste natürlich, dass ich auf Lionels Gerede nicht viel gebe, wohl aber dass ich äußerst gereizt auf seinen lauten Ton reagieren würde.

Immer schon war ich eher von der ruhigen Sorte gewesen, selbst nicht sehr auffällig, ein Träumer wie er im Buche steht, doch wenn ich eines nicht vertragen konnte, dann waren es Menschen die mich anschrieen weil sie denken, ich würde sie nicht verstehen.
 

In diesem Moment nun war es nicht viel anders. Gerade war ich schon wieder dabei innerlich aufzuschreien über so viel Ungerechtigkeit, wie mir meiner Meinung nach wiederfuhr.

Natürlich wusste ich, dass mein Vorhaben, den Wald zu erreichen genauso leicht wie sinnlos war. Mir war bewusst, dass die anderen darin noch viel weniger Sinn sahen und nur mir zuliebe mit kamen, beziehungsweise um endlich einmal etwas anderes zu sehen als die ewige Eintönigkeit des dörflichen Lebens.

Aber gab das irgendjemandem das Recht, mich dafür zu richten? Immerhin waren alle meine Begleiter freiwillig mit mir gegangen und es stand ihnen frei, jeder Zeit wieder umzukehren. Musste ich mir nun wirklich immer wieder die Vorwürfe anhören, ich würde nur an mich denken und den anderen sinnlos ihre Zeit rauben? (Im Nachhinein muss ich zugeben, dass ich mich von Anfang an in meine seltsamen Gemütszustände hinein gesteigert habe.)
 

Mit dieser seltsamen Stimmung verbrachten wir vier nun den Abend, fünf wenn Leo mitgezählt wird, wohl der einzige von uns, der sich nicht mit derlei Probleme befasste.

Ich erinnere mich noch an unsere erste Nacht am Lagerfeuer, als wäre es gestern gewesen. Es war, als hätten wir selbst das Wetter mit unseren kleinen Streitigkeiten erzürnt, denn es war kälter, als in den ganzen Nächten zuvor, die wir ja alle in unseren gemütlichen Zimmern daheim verbringen durften.
 

Ab und zu begannen wir einige kleine Gespräche über belanglose Dinge und obwohl ich nicht nachtragend bin, vermieden wir es, weiter hin über das Ziel unseres Marsches zu sprechen.

Es war Henry, der uns mit seinen kurzen, aber doch belustigenden Einwürfen bei Laune hielt und Lionel, der diese mit ebensoviel Skepsis wie auch Ironie kommentierte.

Oliver hingegen, den wir alle damals noch nicht so gut kannte, hielt sich im Hintergrund, ohne dabei abweisend zu wirken, was ich persönlich als eine große Kunst ansehe, die nicht viele beherrschen. Schweigen, doch gleichzeitig seine Mitmenschen der uneingeschränkten Aufmerksamkeit und Anteilnahme versichern.
 

Hütet euch vor der Stille, denn wenn sie euch einmal umschließt, lässt sie euch nie wieder los.

Sie wird in euer Herz dringen und wenn ihr sie gewähren lasst, wird sie es einnehmen.

Dann gehört es ihr... für immer.
 

Die Nacht war unruhig, der Wind peitschte Regen über das Land bis hin zu der kleinen Steingruppe, in deren Gegenwart wir Deckung suchten. Die Wände unserer Zelte zitterten und es war nicht nur Leo, der keinen Schlaf fand. Aufgeregt bellend bewegte er sich in dem Zelt, das ich mir mit Henry teilte, hin und her. Doch nicht nur das Wetter schien ihn zu beunruhigen, wie wir noch viel später erfahren sollten.

Laute Geräusche in der Nähe unseres Lagers ließen uns wissen, dass einige der jungen Bäume, die sich neben der Steingruppe gen Himmel reckten, diese eine Nacht wohl nicht überstanden hatten. Zu heftig und zu wütend war der Sturm, als dass einer von uns den beschwerlichen Weg hinaus in die Nacht auf sich genommen hätte um uns Gewissheit zu verschaffen. Und neben uns, im Zelt von Oliver und Lionel, hörten wir deutlich, dass auch die beiden in dieser Nacht keinen Schlaf mehr finden würden.
 

Der nächste Morgen brach über uns herein, so voller Ruhe und Schönheit, das ganze Gegenteil der Nacht. Uns war, als wolle die Natur mit uns ihre Spielchen spielen, uns damit sagen, dass doch nichts ist wie es scheint.

Meine Gefährten waren müde, höchst wahrscheinlich noch müder als ich, war ich doch nächtelanges Aufbleiben gewöhn, denn nur zu diesen Stunde fand ich die Zeit, meine Studien verschiedenster Bücher, vor allem des einen Buches, was sich wie immer in der Innentasche meines Reisemantels befand, da ich doch diesen umfangreichen Studien nur zu diesem Zeitpunkt meine volle Aufmerksamkeit zuwidmen im Stande war.
 

Durch die nun wieder aufkommende harmonische Schönheit der Natur beruhigt, nahmen wir unser Frühstück an unserem Lagerplatz etwas länger als beabsichtigt ein, doch fühlten wir uns dadurch nur umso mehr gestärkt.

Wie zu erwarten war ging uns auch das Zusammenpacken viel schneller von der Hand als noch das gestrige Aufstellen der Zelte, was wahrscheinlich auch daran lag, dass ich und auch Lionel uns zum Helfen überreden ließen.
 

Am späten Vormittag brachen wir schließlich wieder auf.

Über weite Grasflächen, vorbei an vereinzelten kleinen Wäldchen und über noch recht gut zu erkennende Wege führte ich meine Gefolgschaft, nur ab und zu von Leo überholt, der noch mehr als wir anderen die erfrischende Luft zu genießen schien.
 

Henry sagte mir einmal, dass er den Hund von einer alten Frau abgekauft hatte, deren ebenfalls alte Hündin doch noch im Stande gewesen war, einen Wurf Welpen zu gebären. Die Frau selbst war jedoch schon seit geraumer Zeit nicht mehr aus dem Haus gegangen und auch ihre Kinder und Enkel fühlten sich nicht dazu verpflichtet, sich um die Tiere zu kümmern. Natürlich ist es für ein solch prächtiges und lauffreudiges Tier wie es unser guter Leo augenscheinlich war alles andere als schön, die erste Zeit seines Lebens in derartigen Verhältnissen in einem Haus eingesperrt zu sein. Aus diesem Grund auch, so erklärte mir Henry, habe er dem Hund schon immer seinen eigenen Willen gelassen.

Diese Gedanken kamen mir ein, als ich Leo da so zwischen einzelnen Erdhügeln herum springen und auch den guten Henry freudig mit seinem treuen Begleiter die Landschaft erkunden sah.
 

Dazu muss gesagt werden, das Henry der Jüngste unserer Gemeinschaft war, dicht gefolgt von Oliver Morgen, der, auch wenn genauere Angaben zu seiner Person und seinem Alter nicht aus ihm herauszubekommen waren, doch schon optisch jünger wirkte als Lionel und ich.
 

Lionel hatte, auch wenn ich mich nicht erinnern konnte, ihn darum gebeten zu haben, in der stürmischen Nacht, die keinen von uns auch nur etwas Schlaf gönnen wollte, bereits eine Art genaue Reiseroute für uns ausgearbeitet, wie er es meist für seine Unternehmungen zu tun pflegte.
 

Die dunklen Wege werdet ihr gehen, kaum zu erkennen für die Augen der Suchenden.

Doch die Glaubenden werden sie finden.
 

Zu meinem Glück hatte ich es bis jetzt vermieden, den anderen diese Zeilen aus dem Buch zum Besten zu geben. War ich doch überzeugt davon, sie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht dazu bewegen zu können, mir auch auf diesen "dunklen Wegen" zu folgen. Doch immer noch hoffte ich, sie dann letztendlich, wenn sie mit mir im Angesicht des hoch aufragenden Waldes stehen würden, für mich zu gewinnen.
 

Natürlich bemerkten meine Gefährten nichts von meinen zwiespältigen Überlegungen sondern genossen lieber die sich nun immer stärker präsentierende Sonne des lauen Herbsttages, die sie sogar zu dem ein oder anderen freundschaftlichen Gespräch hinzureizen schien.

Und auch ich wurde in ihre unbekümmerten Konversationen mit einbezogen. So fragte mich Henry in einem ruhigen Moment, als die anderen beiden etwas abseits gingen:
 

"Nun sag endlich mal, was genau willst du eigentlich in diesem Wald? Ich kenn dich nun schon lange genug um zu wissen, dass so ein einfaches Gestrüpp dich normalerweise nicht sonderlich interessiert..."
 

Ich war mir schon lange im Klaren gewesen, dass meine Gefährten früher oder später sicherlich meine genauen Beweggründe für diese doch sehr seltsame Reise erfahren wollten, aber dennoch traf mich Henrys Fragen danach überraschend.
 

"Ich habe dir doch schon erzählt, dass mich die Schilderungen in diesem Buch so faszinieren, deshalb möchte ich diesen Wald unbedingt sehen..." versuchte ich nun, ihn und auch mich zu überzeugen.
 

Doch insgeheim wusste ich, dass dies nicht der einzige Grund war, oder vielmehr, dass dies nur eine Abschwächung meines eigentlichen Begehrens darstellte.

Denn auch wenn ich es mir selbst zum Teil noch nicht eingestand, so wusste ich doch zu diesem Zeitpunkt bereits, dass die Waldgrenze keinesfalls das Ziel war. Ich wollte hinein, so sehr, dass ich schon an nichts anderes mehr denken konnte und immer wieder dieselben Buchzeilen vor mich hin murmelte:
 

Der Wald ist ihr zu Hause, seit langer Zeit...

Unbeschreiblich, unvergesslich hält sie jeden in ihrem Bann, der sie je erblicken durfte.

Unvergesslich, unbeschreiblich wird sie auch für all jene sein, den den Weg zu ihr finden, in die Mitte des Waldes.
 

Ich wollte dazu gehören, zu jenem erlesenen Kreis, der sie erblicken durfte! Mein Herz verlangte so sehr danach, dass es bis zum Zerspringen gespannt war.

Selbst jetzt kann ich noch nicht richtig erfassen, noch nicht richtig wiedergeben, was ich fühlte als ich die Beschreibungen von ihr zum ersten Mal las. Es war eines dieser seltsam beklemmenden Gefühle, die jedoch gleichzeitig so wohltuend sind, dass man nie wieder ohne sie leben möchte!
 

Der Tag plätscherte nur so dahin und ich muss gestehen, dass selbst ich diesem langen Fußmarsch bald überdrüssig wurde. Wie musste es dann erst meinen Gefährten gehen, die doch nicht im Geringsten so einen Ansporn hatten wie ich.

Selbst der treu Leo, als einziger von uns die letzten Meilen noch jugendlich voran rennend, lief nun nur noch hechelnd neben seinem Herrchen her.
 

So geschah es denn, dass der Abend endlich über uns herein brach und unserem langen, eintönigen Marschieren ein Ende setzte. Den Wald hatten wir jedoch, sehr zu meinem Bedauern, noch nicht erreicht, ja noch nicht einmal in Sichtweite gebracht. Doch Henry, der meine betrübte Miene als mein engster Vertrauter sofort richtig zu deuten wusste, beruhigte mich durch die Feststellung, dass der Wald von der Spitze des nun noch vor uns liegenden Berges sicherlich vollends zu sehen sei.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Jadis
2005-05-19T09:24:18+00:00 19.05.2005 11:24
WHAAAAAAAAAA!! Ich liebe sie Anó!!! Ich hoffe das weist du?!?!? Wenn nicht weist dus jetzt!!! ^^


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