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Pan

von

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1943 – Rosa

Sirenen schallten über die Stadt hinweg, deren Lichter ausgelöscht waren. In der Ferne erklangen die lauten Explosionen der Bomben, die die Stadt trafen.

Nichts davon wurde jedoch von den Besuchern des Pan gehört. Sie wiegten sich allesamt im Takt mit der Musik oder saßen an der Bar, an den Tischen. Niemand von ihnen ahnte auch nur, dass draußen ein Krieg herrschte. Selbst jene, die während des Krieges hierher gekommen waren, hatten ihn schon lange vergessen. Hier waren sie sicher, würden sie auf ewig sicher sein.

Der Mann hinter der Theke war der einzige, der die Explosionen und die Sirenen hörte. Er war der einzige, der sah, was draußen vor sich ging, in jener anderen Dimension, die soweit von hier entfernt und doch so nahe war. Sein Blick streifte durch die Straßen Schönebergs, suchte nach denjenigen, die seine Hilfe brauchten.

Dabei wusste er nicht einmal, warum er tat, was er tat. Er wusste nicht, wie dieses Lokal, wie das Pan angefangen hatte. Er kannte nicht einmal seinen eigenen Namen. War er Pan? War er der vergessene Gott? Hatte er dem Lokal diesen Namen gegeben? Er konnte sich nicht erinnern. Es war alles so lange her. Wie lange? Auch das wusste er nicht.

Er mischte Getränke, die meisten mit Alkohol, stellte sie seinen Gästen hin. Sie alle waren in ausgelassener Stimmung. Sie feierten - feierten das Leben, feierten die Freiheit, feierten, sich hier nicht verstecken zu müssen.

Er hatte sie vor so vielen Dingen gerettet, von denen sie nichts - nicht mehr - wussten. Vor den Durchsuchungen. Vor den Nazis. Vor dem Krieg. Keiner von ihnen war verschleppt worden. Keiner von ihnen hatte hier drin leiden müssen. Das Leid, das sie einst in der Welt da draußen erfahren hatten, war schon lange vergessen.

Sie verdienten es hier zu sein. Sie verdienten die Freude, die Nähe, die Freiheit. Sie hatten es schon immer verdient, selbst wenn so viele es ihnen hatten verbieten wollen. Hier waren sie unter Leuten, die sie verstanden. Unter Leuten, die sie gefahrenlos lieben konnten. Hier konnten sie glücklich sein. Für immer, selbst wenn die Zeit hier drin nicht wirklich verging. Sie waren gefroren. Eingefroren in einer besseren Welt.

Da. Der Mann bemerkte die Frau, die die Straßen Schönebergs entlang rannte. Sie hatte keine wirkliche Unterkunft, war nicht in die Bunker gekommen. Sie wurde von Angst getrieben, hatte in den letzten Jahren bereits so viel Angst erfahren. Sie hatte sich verstecken müssen, hatte einen Mann geheiratet, den sie nie geliebt hatte, hatte die wahre Liebe ihres Lebens verloren. Ihr Name war Rosa und sie hatte bereits so viel gelitten. Bliebe sie da draußen, würde sie wahrscheinlich die Nacht nicht überleben.

Also öffnete er die Pforten des Pan und rief sie.

Hier drin spielte die Band unermüdlich weiter ihren munteren Jazz, der eigentlich nicht mehr dem Stil der heutigen Zeit entsprach. Doch der Mann hinter der Theke fühlte eine seltsame Nostalgie, wenn er diese Töne hörte. Sie erinnerten ihn an eine Zeit, in der die Menschen hier noch mit Hoffnung hingekommen waren. Er hatte sie dennoch beschützt, da er immer gewusst hatte, dass diese Hoffnung zu keinen Ergebnissen führen würde.

Trotz der Sirenen bemerkte Rosa draußen auf der Straße die Musik. Sie sah sich verwirrt um. Tatsächlich konnte sie sich nicht erklären, welches Lokal während eines Bombardements geöffnet haben sollte. War es überhaupt erlaubt, Musik zu spielen?

Dennoch spürte sie, wie alle hier, die seltsame Anziehungskraft der Musik. Statt weiterzurennen, statt weiter nach einem Schutz vor den Bomben zu suchen, ging sie in die Gasse hinein, die an diesem Tag zum Pan führen sollte. Die Musik hypnotisierte sie, führte sie hierher. Sie musste heute nicht besonders weit laufen, um sich auf dem kleinen Platz wiederzufinden, der vor dem Pan war, und mit verwunderten Augen die erleuchteten Buchstaben zu sehen. Dabei mussten die Lichter doch gelöscht werden.

Rosa wusste ganz instinktiv, dass dieser Ort eine sichere Zuflucht sein würde. Ja, wie konnte es denn auch anders sein? Wer sonst hätte den Mut, die Lichter anzuzünden. So schob sie den Vorhang zur Seite und trat ein.

Wie viele, die in den letzten Jahren hergekommen waren, trug sie zerschlissene Kleidung, aber niemand sollte sich daran stören. Niemand störte sich hier an solchen oberflächlichen Dingen.

Ihr Herz raste noch immer von der Angst, die sie draußen gespürt hatte. Der Gedanke, dass sie in Sicherheit sein sollte, trieb ihr die Tränen in die Augen. Aber sie wusste es. Sie war hier sicher. Sie konnte hier bleiben und würde sich nicht länger verstecken müssen.

Schon begann sich ihr Körper ganz automatisch im Klang der Musik zu wiegen. Sie wollte tanzen. Sie hatte schon so lange nicht mehr getanzt.

Der Mann hinter der Theke lächelte matt und senkte den Blick. Er besann sich auf seine Arbeit hier. Die Feiernden wollten weiter etwas trinken, wollten bedient werden. Er würde es ihnen nicht verwehren. Er war hier, um sie zu beschützen, selbst wenn es manch einer wohl nicht verstanden hätte.

Doch sie waren hier sicher. Allesamt. Sie würden hier auf ewig sicher sein.

Sirenen hallten über ein Berlin, das von Bomben erschüttert wurde. Im Pan jedoch wurde Musik gespielt, wurde getanzt, würde auf ewig weiter getanzt werden.



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