Zum Inhalt der Seite

Pan

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

1929 – Emma

„Ich war heute bei Herrn Doktor Hirschfeld“, erklärte Emma der Frau, die ihr gegenübersaß. „Am Institut für Sexualwissenschaft.“

Die Frau ihr gegenüber sah sie nur verständnislos an. „Wer?“

„Du kannst mir nicht ernsthaft erzählen, dass du nie von Herrn Doktor Hirschfeld gehört hast!“ Das konnte sich Emma wirklich nicht vorstellen. Immerhin war sie mit der Frau ihr gegenüber ins Gespräch gekommen, weil sie ihr ähnlich zu sein schien. Sie waren beide bei ihrer Geburt für Jungen gehalten worden, obwohl sie es nicht waren. So viele von ihnen gab es nicht und hier in Berlin – nun, da ging man halt zu Herrn Doktor Hirschfeld.

Dennoch schüttelte die Frau, die sich als Annika vorgestellt hatte, nur den Kopf. „Nein, ich habe wirklich nie von ihm gehört.“

„Oh, dann müssen wir da unbedingt einmal gemeinsam hin. Weißt du, er hat einen Namen für uns. Er nennt uns Transvestiten. Und Herr Doktor Hirschfeld hat gesagt, das man mich vielleicht operieren kann, damit ich mehr ich sein kann.“

Annikas Augen glänzten. „Sowas ist wirklich möglich?“

„Nun, sie haben es noch nie gemacht. Aber Herr Hirschfeld sagt, dass das möglich sein sollte.“

„Das wäre ja wundervoll.“ Annika lächelte verträumt, zeigte dann aber dem Mann hinter Theke an, dass sie noch einen weiteren Drink wollte. Dieser zwinkerte ihnen zu und begann mit seinem Handwerk. Dabei leuchteten seine Augen seltsam golden.

So ganz sicher war sich Emma eigentlich nicht einmal, wie sie hierher gekommen war. Sie war mit Georg und Frieda, die auch häufig zum Institut kamen, noch ein wenig gemeinsam unterwegs gewesen. Sie hatten eine der Bars besucht, die für Leute wie sie einen sicheren Ort boten, und dann hatten sich irgendwann in den späten Stunden der Nacht ihre Wege getrennt. Aber irgendwie war Emma nicht danach gewesen, nach Hause zu gehen und ja, irgendwie hatte sie dieses Lokal gefunden. Das Pan, wie es sich nannte.

Hier herrschte eine ausgelassene Partystimmung. Eine Jazzband spielte auf der Bühne, während viele Gäste tanzten. Emma allerdings hatte sich an der Bar eingefunden und war so mit Annika ins Gespräch gekommen, die offenbar wirklich nicht von Doktor Hirschfeld gehört hatte.

„Kommst du häufig hierher?“, fragte Emma.

Annika sah sie verständnislos an. „Wie meinst du das?“

„Ich meine, ob du öfter hier bist.“ Sie sprach lauter, damit Annika sie über die Musik und die vielen parallel laufenden Gespräche hinweg verstehen konnte.

Annika zuckte nur mit den Schultern. „Eigentlich war ich schon immer hier, weißt du? Ich weiß gar nicht, wie lange schon.“

Emma runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“

„Na, so wie ich es sage. Wieso sollte ich woanders hingehen? Hier ist die Atmosphäre immer gut und die Leute sind gut, zu einer Frau wie mir.“

Das stimmte natürlich. Emma hatte selten einen Ort erlebt, der sie so willkommen geheißen hatte, wie dieser Ballsaal. Es war wirklich, als wäre er für Leute wie sie gemacht. Wenn sie sich auf der Tanzfläche umsah, so erkannte sie verschiedene Leute, die waren wie sie. Frauen, die sich ihre Oberweite hatten stopfen müssen, Männer, die sich ihre Brüste fraglos abgebunden hatten. Aber niemand schien ihnen besondere Beachtung zu schenken. Sie waren willkommen, so wie auch die anderen Paare hier. Niemand störte sich an ihnen, sie wollten alle nur gemeinsam ein wenig feiern und in die Nacht hineintanzen.

Emma hatte schon viele Nachtclubs besucht, aber selten einen mit einer solch seltsamen Atmosphäre. Die Menschen hier schienen aus allen Lebenslagen zusammengewürfelt zu sein. Manche trugen seltsam altertümlich wirkende Kleidung, wie ihr aufgefallen war. Doch sie alle tanzten gemeinsam und feierten die Nacht und ihre Existenz.

„Und Sie, meine Dame?“, fragte der Mann hinter der Theke, „kann ich Ihnen vielleicht noch einen Cocktail mischen?“ Dies tat er mit außerordentlichem Geschick. Der Cocktail, den er ihr gemischt hatte, aus Rum, Saft und Zuckersirup, hatte ausgesprochen gut geschmeckt.

So lächelte Emma ihn an. „Ja, warum nicht.“ Sie konnte sich später Gedanken darum machen, wie sie es bezahlen sollte. Denn eigentlich hatte sie nicht das Geld für so viele Mischgetränke. Aber irgendwie würde es schon reichen. Ja, für den Moment wollte sie einfach nur das Lokal und die ausgelassene Stimmung genießen, wollte sie nur genießen einen Ort in Berlin gefunden zu haben, der sie ähnlich willkommen hieß, wie Doktor Hirschfelds Institut. Sie sollte sich das Pan merken und häufiger herkommen. Ja, oder vielleicht sollte sie einfach gleich hier bleiben. Sie konnte feiern, tanzen, trinken, bis zum Ende der Nacht und dann noch viel länger weiter.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück