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Vom Zauber einer orientlischen Nacht

von

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Es klingelt

Natürlich bewarb ich mich um die Stelle, denn auch wenn sie nicht ganz so passte, hatte ich doch mein Bestes gegeben, um meine Begeisterung für die Sache zum Ausdruck zu bringen. Und so war ich, als ich die Unterlagen in den Briefkasten steckte, richtig stolz auf mich. Ich hatte etwas geschafft, egal, wie es kommen würde: ich hatte etwas angepackt und dabei noch nicht einmal so ein schlechtes Gefühl. Und ich wollte jetzt auch einfach nicht negativ denken, sondern den Tag genießen. An alles Weitere durfte ich nicht denken … Das Was wäre, wenn …verbat ich mir. Und in dieser Stimmung ging ich zur Arbeit. Es war mir auch ganz egal, dass meine Chefin mir sagte, dass ich die Literaturlisten bis Ende des Monats fertig zu stellen hatte. Das war mir sowieso klar: Arbeitsauftrag war Arbeitsauftrag. Auch, dass sie dann nochmals ankam und meinte: „Was machen Sie denn da?“, brachte mich zuerst nicht aus der Ruhe.
 

„Was? Was ist denn?“, erwiderte ich.
 

„Na das da…“
 

Sie deutete auf eine der Literaturliste.
 

„Ja?“
 

„Das ist doch total falsch“, ereiferte sie sich.
 

„Aber Sie haben es mir doch nicht anders gesagt. Ich soll die Autoren alphabetisch ordnen …“
 

„Wie idiotisch ist das denn? Das nützt doch niemandem. Nach Jahreszahlen … nach Jahreszahlen“, rief sie.
 

Innerlich verdrehte ich doch die Augen und überlegte, ob ich die Mail, die sie mir vor Wochen geschrieben hatte, hervorkramen sollte. Die Mail, in der es hieß, dass ich die Liste alphabetisch ordnen solle. Nur das, nichts weiter. Ich unterdrückte den Hinweis, denn vielleicht war es ja tatsächlich mein Fehler und ich hatte einfach nicht mitgedacht? Schweigend machte ich mich also daran, die alphabetische Liste, die bereits ellenlang war, nun auch noch nach Jahreszahlen zu ordnen:
 

2000
 

Pearle, Philip: ….
 

Tegmark, Max: ….
 

Als ich am Nachmittag noch immer nicht weiter gekommen war, wusste ich, dass ich die Masse an Namen niemals bis zum Ende des Monats würde ordnen können. Aber meiner Chefin das zu sagen, traute ich mich nicht. Schließlich konnte ich mir das ja auch zur Hälfte anlasten: ich hatte zu spät mit der Arbeit begonnen – ebenfalls ein Fehler von mir – und ich hatte wohl auch nicht mitgedacht.
 

Daheim verfluchte ich mich wieder für meine Dummheit, meiner Chefin nicht Paroli geboten zu haben, denn immerhin stand in der Mail doch, dass …
 

Ach, ich wollte darüber nicht mehr nachdenken, sondern mich auf das konzentrieren, was wirklich wichtig war: diese Bewerbung, die vielleicht meine einzige Chance war. Einen Haken hatte das Ganze allerdings – und das musste ich mir unwillig bewusst machen –, meine Chefin hatte mich auf die Stelle aufmerksam gemacht. Meine Chefin, die mich nicht leiden konnte. Warum sollte sie mir zu einer neuen Stelle verhelfen? Ausrechnet sie? Das wollte mir partout nicht ein, aber ich drückte den Gedanken immer wieder weg.
 

In den nächsten Tagen wurde ich dann auch immer aufgeregter wegen der Bewerbung. Denn ich wusste, dass meine Unterlagen höchstens zwei Tage bis nach Heidelberg unterwegs sein müssten und ich wenigstens mit einer Eingangsbestätigung zu rechnen hätte. Aber die war bisher ausgeblieben und so überlegte ich, ob meine Unterlagen vielleicht verloren gegangen waren und ob ich mich in Heidelberg melden solle. Aber just in dem Moment packte mich wieder diese Nervosität, mein Herz begann zu rasen und meine Hände schwitzten. Furchtbar! Einer 30jährigen Frau nicht angemessen. Aber ich war eben so. Und so zögerte ich diesen Anruf, der mich ja nur ins Sekretariat von Ulrich Hensel geleitet hätte, immer weiter hinaus. Und wieder beschimpfte ich mich für mein Verhalten … so lange, bis ich ganz klein vor mir selbst war und fürchterlich an mir zu zweifeln begann und mir die größten Gedanken und um die kleinsten Dinge machte. Es war zum aus der Haut fahren.
 

Andererseits kam ich mit den Listen nicht weiter und fragte mich, warum Sisyphos ein glücklicher Mensch gewesen sein soll. Mich nämlich überrollte der Stein jedes Mal in Form von Zahlen und Namen, sobald ich auch nur eine der Listen anklickte. Und wenn dann auch noch meine Chefin hinter mir stand und mir auf die Hände starrte, konnte ich gleich gar nichts mehr.
 

Und dann, wenn ich mal Luft hatte – schließlich musste meine Chefin auch einmal woanders hin – klickte ich meine Emails an, in der Hoffnung, dass sie mir in irgendeiner Weise die Erlösung brachten, doch da war nichts und ich beschwor mich: wenn heute Abend keine Mail aus Heidelberg da war, würde ich morgen anrufen. Ganz bestimmt würde ich morgen anrufen. Ganz, ganz bestimmt.
 

Es versteht sich von selbst, dass ich es nicht tat. Und natürlich verfluchte ich mich erneut und erneut begann ich an mir zu zweifeln und mich noch schlechter zu fühlen.
 

„Na, darf ich Sie bitten, keine Fehler zu machen?“, ließ sich meine Chefin vernehmen, die wieder einmal hinter mir stand.
 

„Könnten Sie …“, begann ich zaghaft und schon schwitzte ich wieder. „Könnten Sie …“
 

„Was?“
 

„Ich meine, ich würde Sie gerne bitten, nicht immer hinter mir zu stehen. Ich …“
 

„Sagen Sie bloß, Sie fühlen sich auch noch durch mich bedrängt.“
 

„Ja.“
 

„Das … das schlägt dem Fass ja den Boden aus. Das habe ich ja noch nie gehört. So eine Frechheit!“
 

Sie funkelte mich an, war offensichtlich wirklich aufgebracht über das, was ich da zu wünschen gewagt hatte. Aber im gleichen Atemzug fragte sie mich: „Haben Sie schon etwas aus Heidelberg gehört?“
 

Und da war es wieder, dieser unsäglich komische Gefühl, dass sie mich in etwas hineinreiten wollte, dass sie ihr Ding spielte.
 

„Sie haben sich doch beworben?“, fragte sie lauernd.
 

Ich nickte und sie lächelte und da wusste ich es: sie wollte mich reinlegen. Sie hasste mich wohl sosehr, dass sie mich auf eine falsche Fährte geleitet hatte und freute sich nun diebisch über mich. Aber – und diese Frage drängte sich mir auch auf: Wenn alles ein Fake war, warum hatte sie sich dann ausgerechnet Ulrich Hensel ausgesucht? Sie konnte doch gar nichts über meine Vorliebe für ihn wissen. Oder etwa doch? Und dann fiel es mir ein: der alte Sack … nur der konnte es gewesen sein! Der musste mit ihr in Kontakt stehen und musste ihr etwas gesteckt haben. Ja, so schätzte ich den wirklich ein! Geschwätzig und indiskret. Und das hieß, dass meine Chefin um … um … verdammt, sie wusste alles!
 

Später, als ich daheim war, hatte sich meine Aufregung doch etwas gelegt und ich versuchte mir einzureden, dass es gar nicht klar war, dass meine Chefin etwas über mich wusste. Es gab auch andere Erklärungen. Vielleicht suchte Ulrich Hensel ja wirklich jemanden. Nur seltsam war es, dass ich das Stellenangebot nicht im Internet gefunden hatte, als ich danach suchte. Und wieder kamen Zweifel in mir hoch. Verdammt! Ich wusste, dass ich kurz vorm Durchdrehen war.
 

Und dann klingelte auch noch das Telefon und ließ mich dermaßen aufschrecken, dass ich mein Wasserglas, was ich neben die Tastatur gestellt hatte, verschüttete.
 

„Mist!“, murmelte ich und huschte zum Telefon. Mein Herz raste, als ich abnahm.
 

„Ja?“
 

„Ach, schön, dass du mal ran gehst. Hier ist dein Papa.“
 

„Ach du.“
 

„Wer denn sonst?“
 

„Ach, ich dachte …“
 

„Dann denk mal weiter, aber vergiss den Besuch bei uns nicht.“
 

„Ach … ach ja, den hätte ich beinahe …“
 

„Weiß ich. Deswegen rufe ich an.“
 

„Wann?“
 

„Sonntag.“
 

„Soll ich was mitbringen?“
 

„Hmmm … nein, wir haben alles: Kaffee, Kuchen, Blumen als Zierde für den Tisch … “
 

„Also nix?“
 

„Hmm, doch, doch, etwas könntest du mitbringen.“
 

„Was?“
 

„Du könntest uns endlich mal einen vernünftigen Freund vorstellen.“
 

Ich hörte meinen Vater am anderen Ende lachen.
 

Endlich mal einen vernünftigen Freund …
 

„Wäre Ulrich Hensel ein vernünftiger Freund für mich?“, dachte ich unwillkürlich. Wie wäre es, wenn ich ihn meinen Eltern vorstellen würde.
 

„Hallo Papa, hallo Mama, hallo Christa, das ist Ulrich, mein neuer Freund. Wir haben uns auf einer Konferenz kennengelernt. Er ist Professor …“
 

„Ach, lass doch den Professor weg“, würde Ulrich sagen, mein Uli, und mich in den Nacken zwicken. Und ich würde zusammenzucken, ihn bei der Hand packen und zum Kaffeetisch führen.
 

„Sie sind also Professor“, würde mein Vater beginnen und meine Mutter würde vor Ehrfurcht ersterben. Sie war immer so: Doktoren, Professoren – das waren für sie Übermenschen, obwohl sie ja ständig mit ihnen zu tun hatte. Aber ich musste schon zugeben, dass mich der Gedanke, dass Ulrich Hensel Professor war, nicht gerade kalt ließ, ja, es machte mich sogar richtig an … Macht besitzt eine ganz eigene Erotik.
 

„Also bis Sonntag, du …“, hörte ich meinen Vater sagen.
 

„Jaha. Grüß Mama und Christa schön“, erwiderte ich.
 

„Warum soll ich die grüßen? Die kennen dich sowieso nicht mehr!“
 

Als ich aufgelegt hatte und mich gerade wieder zu meinem Schreibtisch begeben wollte, um endlich die bereits herabtropfende Nässe zu beseitigen, klingelte das Telefon erneut. Ich verdrehte die Augen, denn es bestand kein Zweifel, dass es noch einmal mein Vater war: der vergaß immer etwas. Das gehörte schon dazu. Kein Anruf ohne Zweiten, manchmal auch Dritten! Ganz sicher hatte ich das Durch-den-Wind-Sein von ihm geerbt.
 

„Ja Papa“, fragte ich denn auch, „was noch?“
 

Einen Moment lang blieb es still und ich wollte schon frech sein und fragen, ob ihn der Alzheimer bereits befallen hatte, als sich plötzlich eine Männerstimme meldete: „Ja, guten Tag, hier ist Ulrich Hensel, spreche ich da mit Sascha Lorach?“
 

Unnütz zu sagen, dass mir das Herz in diesem Moment förmlich aus der Hose rutschte. Ich konnte nur noch nach Luft schnappen und ein breiiges: „Ähm“, hervorbringen.
 

„Spreche ich mit Sascha Lorach?“, wiederholte die mir fremde und doch so vertraute raue Stimme am anderen Ende.
 

„Ja … bitte entschuldigen Sie, ich … ich dachte, Sie wären mein Vater!“, stammelte ich und griff mir an die Stirn, hinter der das Blut in meinen Schläfen wie wahnsinnig pochte. „Der … der hatte nämlich gerade angerufen.“
 

Wieder blieb es einen Moment lang in der Leitung, dann hörte ich Hensel Luft holen.
 

„Schön, dass ich Sie erreiche, Frau Lorach. Ich möchte Ihnen den Eingang Ihrer Bewerbung bestätigen und …“
 

„M … m … macht das nicht eigentlich die Sekretärin?“, entfuhr es mir.
 

„Ja, genau, eigentlich ja, aber …“
 

Er unterbrach sich und ich fuhr mir mit zitternder Hand über den Mund.
 

„Es steht so, dass Sie sich auf eine Stelle beworben haben, die vor zwei Jahren ausgeschrieben war. Um ganz offen zu sein, fand ich das sehr befremdlich.“
 

„Ja, was …? Aber das …“
 

Augenblicklich traf mich die Erkenntnis, dass meine Noch-Chefin wirklich ein böses Spiel mit mir trieb. Diese dumme alte Spinatwachtel!
 

„Ja, im ersten Moment befremdete es mich, aber dann … nun, ihre Bewerbung gefällt mir, auch wenn Sie, wie Sie selbst schreiben, nicht ganz vom Fach sind. Und da wir Gelder erhalten haben, zusätzliche Gelder, und wir gerade wieder eine Stelle zu besetzen haben, würde ich Sie gerne kennenlernen. Könnten Sie es sich vorstellen, einmal nach Heidelberg zu kommen?“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Atina
2021-10-11T15:13:19+00:00 11.10.2021 17:13
Haha. Da ist der Plan wohl völlig nach hinten losgegangen - die Chefin hat aber auch echt mehr als eine Schraube locker. ^^
Antwort von:  Encheduanna
11.10.2021 17:21
Hat sie, auch in der Realität. Es ist so herrlich, wenn die Realität einem das Absurde so vor die Füße wirft und man es sich nicht extra ausdenken muss. Danke für deinen Kommentar.

:-D
Antwort von:  Atina
12.10.2021 19:03
Ach, die Dame hat ein reales Vorbild? Oh man....
Antwort von:  Encheduanna
12.10.2021 19:35
ja ... und das schreiben darüber galt mir damals als therapie. nicht falsch verstehen, sie legte niemals diese schlingen, aber die art, dieses pathologische misstrauen etc., das dachte ich, müsse ich niederschreiben. :-D


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