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Als die Dunkelheit das Licht verschlang

Buch I: Hohepriester Chaths
von

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Kapitel VII

„Amsu, ich kann nicht mehr“, murmelte Chaths leise. Nachdem sie zwei Tage am Fluss Rast gemacht hatten, waren sie nun sieben Tage unterwegs gewesen und Chaths war am Ende. Er litt immer mehr darunter, dass er nichts sehen konnte.

Amsu hielt inne und blickte besorgt zu seinem Freund. „Halt noch etwas durch, Chaths. Ich kann den Eingang des Tempels schon sehen. Wir sind gleich da.“

Chaths nickte leicht seufzend und flog fast auf die Nase, als seine Schlange plötzlich anfing zu ziehen und immer schneller wurde. Chaths strauchelte immer wieder bei der Geschwindigkeit. Amsu folgte verblüfft und doch leicht amüsiert. Anscheinend war der Schlange die Wärme zu viel.

Nach einer knappen halben Stunde betraten die drei den Tempel und Chaths seufzte erleichtert auf. Er ließ sich an der Wand einfach niedergleiten und entfernte dann Apophis das Geschirr.

Amsu ließ sich neben seinen Freund in den Staub fallen und lehnte sich gegen das kühle Gestein, während er Chaths etwas zu trinken reichte. „Wir sind da“, frohlockte er müde.

Chaths lächelte erleichtert und trank gierig. Dann gab er seiner Schlange noch etwas und reichte den Wassersack wieder Amsu. „Erstmal ausruhen, dann gehen wir in den Tempel“, schlug er vor, während er es sich schon bequem machte und erschöpft einschlief.

Amsu beobachtete seinen Freund besorgt. Dieser war blass und eingefallen und eigentlich gar nicht mehr in der Lage zu stehen, geschweige denn zu laufen. „Oh ihr Götter, bitte gebt ihm das Augenlicht wieder zurück...“ murmelte er inbrünstig, während stumme Tränen über sein Gesicht liefen.
 

„Und du bist dir sicher, dass wir im richtigen Tempel sind?“, fragte Chaths wohl zum hundertsten Mal, als sie nun schon mehrere Stunden in den kargen Räumlichkeiten umherirrten.

„Ja, bin ich!“, erwiderte Amsu genervt. „Ich frag ja nur, weil ich in den Inschriften, die ich bis jetzt erfühlen konnte nicht einmal den Namen Anubis ertasten konnte“, kam es leicht zynisch zurück.

Amsu verengte sein Augen gefährlich und blickte sich um. „Wir müssen nur tiefer!“, schnappte er bissig und bog in den nächsten Gang ein. Chaths zuckte nur mit den Schultern und folgte einfach Amsus Schritten. Dabei stellte er fest, dass sie wohl immer tiefer ins Erdreich gelangten.

Schließlich hielten sie vor einem Eingang und Amsus Augen leuchteten auf, da auf den Steintafeln das Totengericht verzeichnet war. Ohne nachzudenken öffnete er den Eingang zur Kammer und trat ein.

Chaths folgte und stockte minimal. Es roch nach Tod! Langsam traten die beiden Jugendliche immer tiefer in die Kammer. Amsu zündete ein Öllicht an und war gelinde gesagt irritiert. „Merkwürdig...“, murmelte er, was seinen blinden Freund unruhig werden ließ. „Was ist?“, wollte er wissen.

Der junge Prinz blickte sich um. „Das hier ist die letzte Kammer, aber hier stehen nur einige Sarkophage und Kanopen. Keine Ma'at“, meinte er verwirrt und Chaths brauchte einen Moment, bis er begriff. „Wir sind falsch!“, stöhnte er auf und schlug seine Hand an die Stirn. „Wir sind in keinem Tempel, wir sind in einer Grabanlage!“

Amsu blinzelte verdutzt. „Ja, aber das würde ja heißen, dass wir die Totenruhe stören.“ Chaths schnaubte und begann dann sich tastend umzuschauen. „Korrekt. Schau mal, ob es noch was essbares gibt!“, befahl er.

„Was?! Das können wir nicht machen, das wäre Raub! Der Tote braucht die Nahrung, um auf seiner Reise durch die Verdammnis nicht zu hungern!“

Chaths atmete tief durch und mahnte sich zur Ruhe. „Amsu! Der Kerl ist TOT! Der kann nicht mehr hungern oder sterben oder was auch immer! Und so lange wie der hier wohl liegt, dürfte er schon mehrere Male durch die Verdammnis und die Brücke der Seligkeit überquert haben! Also such, ob es was essbares gibt!“ zischte er leise.

„Chaths, nein! Das ist Frevel! Das ist eine Sünde! Wir würden unser Seelenheil verlieren! Wir...“ - „Amsu, dann habe ich mein Seelenheil schon vor Ewigkeiten verloren! Was glaubst du, warum ich auf der Straße überhaupt überleben konnte? Ich habe mich von den Grabbeilagen ernährt“, unterbrach Chaths den jungen Prinz.

„Das ist nicht wahr! Du lebst noch! Und die Götter lieben dich!“, entfuhr es Amsu fassungslos.

„Falls du Honig findest, den nehme ich!“, überging Chaths einfach diesen Ausruf und begann nun vor den entsetzten Augen seines Freundes die gesamte Grabkammer zu untersuchen und fand tatsächlich Honig, getrocknete Früchte und Trockenfleisch.

„So, jetzt können wir wieder gehen. Ich bevorzuge es unter dem Sternenhimmel zu speisen“, spottete Chaths und verließ die Kammer.

Amsu folgte direkt, schloss die Grabkammer wieder und schließlich setzte er sich neben Chaths draußen in den Wüstensand. „Du isst das nicht wirklich? Das ist nicht unser Eigentum!“

Leise grollend führte Chaths ein Stück vom Trockenfleisch zu seinem Mund und biss ein Stück ab. „Lecker!“, spottete er und Amsu fühlte sich alles nur nicht wohl dabei.

„Ich glaube, ich werde mich von jemand anderem weihen lassen“, meinte der Prinz da plötzlich. „Du hast keinen Respekt vor den Toten und dem Eigentum von fremden Leuten.“

Chaths verharrte und seine blinden Augen wanderten zu Amsu. „Sagt der, der sich gegen Regeln auflehnt, nicht auf andere hört, immer nur seinen Kopf durchsetzen will, wegläuft vor seinen Verpflichtungen und in seinem ganzen Leben noch nicht einmal hungern musste!“, erwiderte er gefährlich leise.

Amsu sprang empört auf. „Ich weiß sehr wohl, was Hunger ist!“, brauste er auf. „Wie oft hat mein Papa mich ohne Essen ins Bett geschickt, wenn ich nicht gehört habe!“

Chaths fletschte leicht angenervt die Zähne. Doch bevor er antworten konnte, trat eine Gestalt aus dem Schatten und auf die Jungs zu. „Ich wünsche einen angenehmen Abend. Darf ich mich zu euch setzen?“

Amsu musterte den vermummten Mann. „Ja, natürlich. Sei unser Gast.“

„Nein!“, kam es zeitgleich von Chaths, der sich überhaupt nicht wohl fühlte.

„Ignoriere Chaths. Er muss noch Respekt lernen“, sprach Amsu unbewusst die Worte seines Vaters nach.

Chaths keuchte auf über diese Anmaßung von Amsu. „Apophis!“, donnerte er daher und schon kam die Schlange angeschlängelt – ungläubig beobachtet von der vermummten Gestalt.

„Wo willst du hin?“, wollte Amsu alarmiert wissen, als er sah, wie Chaths der Schlange das Ledergeschirr anlegte.

„Nach Hause, Respekt lernen!“, grollte Chaths bebend vor Wut, Enttäuschung und unbeschreiblichen Hass.

Amsu lachte gehässig auf. „Du vergisst, dass du blind bist! Du kommst nicht weit. Du bist auf mich angewiesen!“, meinte er herablassend.

Chaths schwieg dazu und da schlängelte seine Schlange los. Er folgte dem Zug und hoffte, dass Apophis ihn nach Hause führte.
 

Ungläubig blickte Amsu den beiden nach, wie sie in der Nacht verschwanden. „Möchtest du ihn nicht aufhalten? Er wirkte sehr verletzt“, meldete sich der Vermummte zu Wort. Amsu schüttelte trotzig den Kopf. „Nein, er wird nicht weit kommen und morgen früh wird er angekrochen kommen!“, behauptete er und musterte nun seinen Gast. „Was treibt dich hier her?“, wollte er ruhig wissen. „Ich bin auf dem Weg zu einem Tempel, einen Priesteranwärter suchen. Und ihr?“, antwortete der Gast.

Amsu seufzte. „Wir waren auch auf dem Weg zu einem Tempel, damit Chaths seine Weihe bekommt. Allerdings sind wir falsch“, erklärte er zerknirscht.

Der Fremde gluckste leise. „Ihr ward nicht wirklich hier in der Grabanlage, oder?“ - „Ja sehr witzig. Wir haben alle gelacht!“, murrte der Prinz. „Wir waren sogar in der Grabkammer! Und da hat er den Toten beraubt! Die ganzen Lebensmittel hat er mit genommen!“, echauffierte er sich.

„Ist das denn so schlimm?“, wollte der Fremde behutsam wissen. „Natürlich ist das schlimm! Die Lebensmittel sind dazu da, dass der Tote nicht Hungern muss auf der Reise ins Totenreich! Und auch dort keine Not leiden muss! Er hat nur gelacht und gemeint, dass er durch solch einen Raub überlebt hat! Und behauptet, dass ich nicht weiß, was Hunger ist! Er ist respektlos, achtet nicht das Eigentum anderer und er ist ein Dieb!“

Der Fremde blickte lange in die Ferne, während er über all das nachdachte, was Amsu gesagt hatte.

„Warum ist er blind?“, wollte er dann wissen und Amsu erzählte ihm von ihren Abenteuer.

„Hm... wessen Idee war es denn, in die Schalen der Ma'at zu klettern?“ Amsu stutzte leicht. „Meine Idee, warum?“

Der Fremde schien weiter nachzudenken. „Warum hast du nicht auf ihn gehört, als er dich mehrmals bat, wieder hochzuklettern?“, wollte er wissen. Amsu schwieg und der Fremde lächelte nachsichtig.

„Mein Prinz, wenn man es genau nehmen will, hat Chaths wegen deinem Übermut, deiner Ignoranz und Egoismus sein Augenlicht verloren. Und diese Ignoranz hat ihn gerade wieder vertrieben. Du hörst nicht zu... Es existiert nur deine Welt und deine Meinung. Warum verurteilst du jemanden, der es nicht besser weiß? Der es nie anders gezeigt bekommen hat? Und ja, mein Prinz, er hat Recht. Du weißt nicht, was Hunger ist.“

Amsu war beschämt und dann auch wieder beleidigt. Er wollte immer wieder aufbrausen, doch irgendwas an dem Fremden unterband dies. „Wer bist du und woher willst du das wissen?!“, fauchte er seinen Gast an und dieser ließ zur Antwort seine Hüllen fallen. „Ihr niederen Geschöpfe nennt mich Apophis. Prinz, möchtest du, dass Chaths dich weiht?“ wollte der Gott wissen.

Amsu starrte komplett entgeistert sein Gegenüber an und war zu keiner Reaktion fähig. Er schluckte trocken und nickte dann zaghaft.

Apophis lächelte sanft. „Dann, Amsu, wirst du dich jetzt auf den Heimweg machen. Sobald Chaths die Weihe von mir erhalten hat, wirst du wieder im Palast sein!“, sprach er mystisch und verschwand.

Amsu starrte an den Fleck und griff nach dem Wasser. Nur um festzustellen, dass Apophis alle Vorräte mitgenommen hatte. „Nein!“, stöhnte er genervt auf. Musste er halt so nach Hause. Was ja kein Problem war, schließlich wusste er ja, wie es war, wenn man mal kein Essen bekam.
 

Hanbal lag ganz unköniglich im Sand auf den Rücken. Seine Arme waren unter seinem Kopf verschränkt und er schaute in den Himmel.

„Ausar, du bist dir sicher, dass sie hier her kommen wollen?“, rief er leise, als er sah, dass sein Hohepriester mit beten fertig war.

„Unsere Bekanntschaft war Anubis persönlich. Und er hat bestätigt, dass die beiden hier her unterwegs sind“, erwiderte er und trat neben den Pharao. „Warum zweifelst du?“

Hanbal zuckte mit den Schultern. „Wir warten jetzt seit drei Tagen hier und es ist noch immer nichts von ihnen zu sehen.“

Ausar wiegte bedächtig den Kopf. Sein Freund hatte Recht und tatsächlich wurde er innerlich auch langsam unruhig.

„Dieser Tempel ist der Einzige weit und breit zwischen hier und dem Tempel des Atons. Es gibt nur noch vereinzelte Grabstätten“, überlegte er. „Aber sie werden ja nicht gerade in einer dieser Grabstätte landen...“ Ausar stockte. Auch Hanbal saß mit einem Ruck kerzengerade. „Die beiden sind auf die Ma'at geklettert...“, erwiderte der Pharao nur trocken und musste dann laut lachen, denn Ausar begann zu fluchen und alles und jeden zu verwünschen, während dieser zu seinem Pferd eilte und es sattelte.

Hanbal hätte sich nie träumen lassen, dass sein bester Freund und Weggefährte so die Fassung verlieren kann.

Nur wenige Minuten später rasten sie auf ihren Pferden in Richtung der ersten Grabstätte.

Sie fanden den Ort, wo die Jungs gerastet hatten, aber die beiden fanden sie nicht. Nun wurden sie nervös. Irgendetwas musste vorgefallen sein und so fächerten sie sich etwas auf und ritten in Richtung Fluss, auf jede Spur oder Veränderung in der Landschaft achtend.

Nach drei Tagen fanden sie Amsu, ausgemergelt und bewusstlos. Sofort flößte Ausar dem Prinzen Flüssigkeit ein und als dieser zu sich kam, wurde er mit einem Brei gefüttert.

Weitere vier Tage später erreichten sie den Palast, wo Ausar sich nun komplett um Amsu kümmerte und ihn wieder gesund pflegte.



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