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Apnoe

von

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Schall und Rauch

 

 

Alvaro stand nun direkt an der Theke. "Ich war letztens wegen des Appartements hier", begann er seine Mission, auch wenn ihm der belustigte Gesichtsausdruck seines Gegenübers wenig Hoffnung auf Erfolg machte.

"Entschuldigen Sie, mein Herr, aber ich kann mich nicht daran erinnern, Sie hier einmal gesehen zu haben." Nate konnte sich das Lachen kaum noch verkneifen. Und wie er sich an den Typen erinnern konnte, der beim letzten Mal so neben der Spur gewesen war, dass er kaum ein vernünftiges Wort hervorgebracht hatte. Hier kamen nicht viele Menschen im 1000$-Anzug rein, auch wenn er heute etwas legerer gekleidet war, und wenn es dann mal einer tat, dann vergaß er ihn garantiert nie mehr. "Wie kann ich Ihnen denn helfen?"

"Ich habe was im Appartement vergessen."

"Hatten Sie nicht einen Schlüssel?", hakte Nate interessiert nach, bei dem auf wundersame Weise das Gedächtnis zurückgekehrt war. Trotz aller Witzeleien konnte der Typ ruhig wissen, dass er hier nicht zur Zierde hinter der Theke stand.

"Genau den habe ich ja im Appartement vergessen!" In Alvaros Ohren klang das völlig legitim. In denen seines Gegenübers wohl nicht, der sich auf eine längere Diskussion zu freuen schien. "Ich brauche die Nummer des Mieters."

"Da könnte ja jeder hier antanzen und irgendwas wissen wollen." Nate wedelte mit einer Hand vor sich in der Luft, als wolle er unsichtbare Fliegen vertreiben. "Was weiß ich schon über Sie? Sie könnten ein Auftragsmörder sein und dann?"

"Dann würde ich mit dir anfangen! Also los, anrufen!"

"Sieht das hier wie eine Telefonzentrale aus?" Nate kostete seine Überlegenheit bis zum letzten Wort aus, während die Ader am Hals seines Gegenübers immer deutlicher hervortrat. "Wen soll ich denn überhaupt anrufen? Name?"

Alvaro spürte, wie ihm der Geduldsfaden Faser für Faser riss. "Den Namen weiß ich nicht, aber spielt der eine Rolle?"

"Finde ich schon. Woher soll ich denn sonst wissen, wen Sie meinen?" Nate sprach nun mit gedämpfter Stimme, als wäre es das Geheimnis des Jahrhunderts, das er Alvaro gerade offenbarte. "Nicht jeder Mieter hat was mit der Bar zu tun..."

Alvaros Hand schoss wie eine Schlange beim Angriff nach vorne. Schneller als Nate überhaupt blinzeln oder zurückweichen konnte, hatte er diesen am Kragen seines ungebügelten Hemdes gepackt und ihn näher zu sich gezogen. "Dann gehe ich jetzt runter und trete die Tür ein und danach komme ich wieder hoch und trete dir die Visage ein!"

"Ok, ok", presste Nate atemlos hervor. "Ganz schön mutig, dafür dass Sie hier heute mal unbewaffnet erscheinen."

"Darauf würde ich mich nicht verlassen...", raunte Alvaro und verstärkte seinen Griff, bis Nates zittrige Hand endlich nach dem Telefonhörer griff.

"Wie war die Nummer des Appartements?"

 

 

Das kühle blaue Leuchten des im Takt des Anrufs aufblinkenden Displays durchbrach die wohltuende Dunkelheit, in der Gabe seit Jules' Weggehen saß und nachgedacht hatte. Die nahezu vollkommene Schwärze hatte etwas tröstliches. Alles, was außerhalb seines eigenen Körpers existierte, versank in undurchdringlicher Lichtlosigkeit. Und umgekehrt kam nichts von Außen zu ihm durch. Alles prallte an dem schweren Vorhang ab, den er selbst um sich herum gezogen hatte, ehe es ihn erreichen konnte.

Nur das Handy hatte er völlig vergessen.

Reglos sah Gabe zu dem rechteckigen Störenfried und wägte ab, ob es sich lohnte, sich seinen Abend von Nate und dessen Unsinn versauen zu lassen. Kurz bevor die Mailbox den Anrufer endgültig abfangen konnte, ging er dran.

"Was?", bellte er ungehalten in das Mikrofon.

"Könntest du mal in die Bar kommen?"

"Ist was mit Jules?"

"Nein", kam es zögerlich zurück. Nate sah zu Alvaro, der dessen Blicke mit unbeweglicher Miene erwiderte und nur darauf wartete, dass Nate etwas falsches sagte. "Hier ist jemand für dich."

Gabes langer Seufzer ließ Nate nichts gutes ahnen.

"Schick ihn weg, ich erwarte niemanden."

"Aber-", setzte Nate nervös an, als der Anruf auch schon wieder unterbrochen wurde. Er schluckte, um seinen trockenen Hals zu befeuchten. Seine Kehle schmerzte noch immer von dem Griff, mit dem dieser Irre ihn gepackt hatte. Der Kraft nach zu urteilen, die man ihm äußerlich nicht mal ansah, musste der irgendeine dubiose Ausbildung genossen haben. Vermutlich war er wirklich ein Auftragskiller...

In Zeitlupe legte Nate den Hörer zurück auf das Telefon. "Er ist nicht zuhause", erklärte er dem Verrückten unnötigerweise, obwohl dessen leichtes Schmunzeln bereits Bestätigung genug war, dass er nichts anderes als eine Lüge erwartet hatte.

"Scheint so", stimmte Alvaro Nate betont gelassen zu, der ihn mit argwöhnischen Blicken bedachte, bis Alvaro das The Gorge endgültig verlassen hatte.

 

Gabe wartete, bis das leichte Vibrieren seines Handys das Ausschalten bestätigte, und ließ es neben sich auf das Sofa fallen.

Seine Hand griff wieder nach dem metallenen Gegenstand, der auf dem niedrigen Wohnzimmertisch lag und den er schon sicher zwanzig Mal hochgenommen und wieder hingelegt hatte. Zwischen Daumen und Zeigefinger haltend betrachtete er sich den Schlüssel von allen Seiten, doch egal welche er sich ansah, es blieb gleich furchtbar. Die eingestanzten Zahlen schimmerten im Zwielicht und prompt schlug sein Magen wieder Salto.

Er hatte den Schlüssel im Türschloss steckend gefunden - an dem Tag, als der Typ mit der Umzugsfirma die Wohnung ausgeräumt hatte. Und er war es; es war seiner. Der Anhänger fehlte, aber die Nummer stimmte. Gabe selbst hatte den Schlüssel weggegeben und dass er nun hier war, war kein gutes Zeichen.

 

 

Für den Fall, dass diese Knalltüte aus dem The Gorge tatsächlich gedacht hatte, dass sich Alvaro nach dieser offensichtlichen, fast schon beleidigend offensichtlichen Lüge in sein Auto setzen und seelenruhig nach Hause fahren würde, hatte er sich getäuscht.

Er könnte einfach wieder auf dem gleichen Weg zum Appartement gehen, doch offenbar war man - vermutlich wegen Alvaros letzter Aktion hier - sensibler gegenüber unerwünschten Besuchern geworden und hatte das Hoftor abgeschlossen, das leider der einzige Zugang zu den Wohnungen war.

Ihm blieb also nur, hier am oberen Drittel der Gasse zu warten und auf sein Glück zu vertrauen, dass der junge Mann das Appartement verließ, oder - falls dieser Wicht vom Empfang wirklich nicht gelogen haben sollte - es betrat.

Ohne den Eingang des Hoftors aus den Augen zu lassen, zündete sich Alvaro eine Zigarette an. Er hatte alles im Blick, ohne selbst allzu verdächtig zu wirken. Und wenn ihm doch jemand zu neugierig auf die Pelle rücken wollte, konnte er die kleine Gasse hinunter dem 24h-Kiosk einen schnellen Besuch abstatten.

Alvaro lehnte sich mit dem Rücken gegen die noch sonnenwarme graffitiübersäte Mauer und sah dem Rauch zu, der über ihm in den dunklen Abendhimmel stieg. Die übertrieben hellen Neonlichter der Bar überdeckten mit ihrem grellen Leuchten sämtliche Sterne. Als ob man diesen hässlichen Bau sonst übersehen könnte...

"Hey, ich kenne Sie!"

Alvaro zuckte kurz zusammen. Gott, er war wirklich mies im unauffälligen Beschatten. Er nahm die Zigarette aus dem Mundwinkel und sah vor sich, wo ihn eine junge Frau so herzlich anstrahlte, als ob sie sich wirklich kennen würden.

 

"Entschuldigung, ich glaube das ist ein Irrtum." Verlegen versuchte Alvaro nicht zu deutlich das Gesicht der jungen Frau mit seinen Erinnerungen abzugleichen. Ergebnislos.

"Wir haben uns hier schon mal gesehen!" Ihr Pferdeschwanz wippte im Takt ihres eifrigen Nickens.

Alvaros Mund verzog sich zu einem minimalen Lächeln. Er schnippte die Asche von seiner Zigarette. "Ich bin das erste Mal hier."

Das plötzliche laute Lachen der jungen Frau schallte durch die schmale Gasse.

"Wir haben uns unten im Kiosk getroffen. Vor knapp zwei Wochen." Sie hatte die Arme voller Tüten mit Snacks und ein paar Getränkedosen, von denen nun eine zu Boden fiel.

"Ich weiß es wirklich nicht mehr." Alvaro hob die Dose auf, bevor sie die Gasse runter rollen konnte, und wartete geduldig, bis seine Gesprächspartnerin ihre Einkäufe in ihrer Umhängetasche verstaut hatte.

Sie bot Alvaro eine Tüte gerösteter Erdnüsse an, der dankend ablehnte. "Sie haben sich zuerst ein Sandwich aus der Kühlung genommen und es dann wieder weggelegt und nur eine Dose Bier gekauft."

Alvaro starrte sie mit offenem Mund an.

"Das war auch besser so." Belustigt sah sie Alvaro von oben bis unten an, der hin und hergerissen war, ob er das Gespräch sofort beenden oder schauen sollte, wohin es führte.

"Die Sandwichs sind alles, aber nicht lecker. Von Konsistenz und Geschmack her wie ungewürzter Schwamm", erklärte sie und konnte sich das angeekelte Schütteln nicht verkneifen.

Alvaro lachte leise.

"Ich hoffe, Sie haben die Dose vorsichtig geöffnet", fuhr sie fort. Die Tüte Erdnüsse raschelte leise, als sie sich ein paar der Nüsse in die Handfläche schüttete.

Langsam entspannte sich Alvaro. Die junge Frau war sicher keine Gefahr für ihn oder sein Vorhaben. Und sie merkte sich Details, die ihm in manchen Situationen einfach entgingen, weil sein Kopf auf andere Sachen geschult war, musste er sich eingestehen.

"Wegen Jill", begann sie ihre Erklärung zur Dose.

"Weil sie sie öfter mal beim Einräumen fallen lässt", ergänzte Alvaro amüsiert, was ihm ein anerkennendes Lächeln der junge Frau brachte.

"Jules", stellte sie sich ihm nun vor und wartete gebannt darauf, dass er ihr seinen Namen auch verriet.

Alvaro zögerte. Er ließ den Rest seiner Zigarette zu Boden fallen und zermalmte das glimmende Röllchen unter seiner Schuhsohle. Er hasste solche alltäglichen Situationen, die ihn im Endeffekt doch dazu zwangen Entscheidungen danach zu treffen, welches Ergebnis seinen momentanen Zwecken diente.

 

"Alvaro", antwortete er nach einer Weile. Was sollte sein Name schon über ihn verraten.

Sie nahm es beiläufig nickend hin und kramte in ihrer vollgestopften Umhängetasche herum, bis sie zwei Getränkepäckchen daraus hervorzog und Alvaro eines davon anbot.

Belustigt lehnte er das Angebot ab.

"Und was machst du hier?" Jules nahm einen Schluck von ihrem Getränk. "Neu hier in der Gegend?"

"Ich suche jemanden." Alles oder nichts. Entweder es machte ihn erst Recht verdächtig oder er bekam endlich mal eine Information, die ihn weiterbrachte. So gefasst wie möglich erwiderte Alvaro Jules neugierige Blicke.

"Hoffentlich nicht Nate", platzte es aus Jules hervor. "Hat er was angestellt? War er wieder unfreundlich?"

"Nate?" Der Name sagte ihm nichts.

"Vom Empfang in der Bar", Jules nickte zum The Gorge.

Alvaro lachte innerlich auf. Bei dem Typen stimmte zwar einiges nicht, aber immerhin brachte er mit seinem Gequatsche nicht irgendwelche Leute in Gefahr. Auch wenn das hieß, dass Alvaro immer noch ohne Antworten war.

"Nein, nicht ihn." Er versuchte seine Gedanken zu ordnen. Wie das Schiebepuzzle aus dem Erste-Hilfe-Kasten. Nur das hier durfte er nicht genauso zerbrechen wie das Magische Quadrat. "Ich suche eine Frau mit ihren beiden Kindern, die hier mal gewohnt haben - oder vielleicht noch hier wohnen."

Jules sah an ihm vorbei in die Ferne. Ihre nachdenklichen Blicke schweiften über die Häuserkette mit den quadratischen Lichtflecken in den Fassaden, hinter denen Schatten der Bewohner hin und her huschten.

"Ich kann mich an keine Frau mit Kindern erinnern", murmelte Jules irgendwann so leise, dass Alvaro Mühe hatte, sie zu verstehen. Ihre Augen ruhten nun wieder auf ihm. Sie wirkte erschrocken über diese Tatsache, als wäre es eine wichtige Information, die sie verloren hatte. "Das hier ist auch nicht unbedingt die richtige Gegend, um seine Kinder großzuziehen", entschuldigte sie sich für den Zustand dieses verkommenen Viertels, als läge es in ihrer Verantwortung.

Alvaro bekam Mitleid mit dem plötzlichen Stimmungswandel, den Jules durchlief.

"Nicht schlimm", beteuerte er und schickte seinen Worten ein aufmunterndes Lächeln hinterher, das wirkungslos an ihren nun traurigen Augen abprallte. Sie senkte den Kopf und betrachtete konzentriert den Boden vor sich, wo Tabakkrümel und ein zerdrückter Filter lagen - die Reste von Alvaros Zigarette.

Gerade als Alvaro noch einmal seinen letzten Satz bekräftigen wollte, hob Jules den Kopf.

"Aber ich kenne jemanden, der es vielleicht weiß", rief sie nun eifrig und durchwühlte erneut ihre riesige Umhängetasche, um dieses Mal ein Handy daraus hervorzukramen. Ihre Finger wischten flink über das Display, bis sie die richtige Nummer hatte, die sie suchte. Gespannt lauschte sie dem ausgehenden Anruf und legte gleich darauf seufzend auf.

"Er hat sein Handy schon wieder ausgeschaltet", schimpfte sie und starrte wütend auf das Display. Sie packte das Gerät in ihre Tasche mit dem scheinbar endlosen Stauraum und deutete in Richtung des Hoftors. "Komm, ich bringe dich zu ihm", rief sie eifrig und wartete, bis Alvaro endlich verstand, was sie von ihm wollte und ihr die schmale Gasse hinab folgte.

 

"Er ist zuhause, keine Sorge. Ich habe ihn gerade noch gesehen." Jules schloss das abgesperrte Hoftor auf und nickte in den Hinterhof, an den sich Alvaro noch mehr als gut erinnern konnte.

"Appartement Nr. 17", erklärte sie Alvaro, dem beinahe ein 'Ich weiß' herausgerutscht wäre. Er konnte sein Glück kaum fassen.

"Ich muss zur Arbeit, aber du findest den Weg auch ohne mich." Jules schob ihn durch das Tor. "Sag Gabe, dass dich Jules schickt, ok?"

"Klar, mache ich." Alvaro hätte am liebsten laut gelacht. Hinter ihm wurde das Hoftor wieder abgesperrt und er hörte Jules' eilige Schritte, die sich die Gasse hinauf entfernten.

 

Mit breitem Grinsen sah Alvaro zu den Appartements hinauf.

 

 



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