Zum Inhalt der Seite

Apnoe

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Matt heißt jetzt Gabe. Ich konnte mich mit der ersten Version einfach nicht anfreunden. Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Einschäumen - Auswaschen - Wiederholen

 

Ohne auf Alvaros vorhergegangene Bemerkung wegen der schlechten Nachricht zu reagieren, ließ ihn der junge Mann stehen und rannte den nun vor sich hin fluchenden Möbelpackern hinterher, die ihrem neuen Auftrag folgten und die Möbel und Kisten, die sie gerade erst mühsam aus der Wohnung transportiert hatten, wieder in eben jene zurückbrachten und vollkommen unbeeindruckt von den bösen Blicken, die ihr Tun dabei begleiteten, einfach an Ort und Stelle stehen ließen, bis der kleine Flur völlig überfüllt war.

"Der Scheiß kann hier nicht stehen bleiben!", giftete er die Männer an, die kommentarlos an ihm vorüber gingen.

 

"Die Fahrt und die angefangenen Stunden werden trotzdem in Rechnung gestellt!", rief der vollbärtige Riese Alvaro zu, ehe er sich mit einem verabschiedenden Tippen gegen sein Basecap mitsamt seiner Mannschaft aus dem Staub machte.

Bevor der junge Mann mit den nassen Haaren wieder schimpfend hinter den Möbelpackern herrennen konnte, hatte ihn Alvaro am Arm gepackt.

Das erste Mal stand dieser nun so ruhig, dass Alvaro Gelegenheit hatte, eine Ähnlichkeit zwischen dem jungen Mann vor sich und dem Jungen auf dem Kinderbild - und auch unbewusst zu seinem Chef – herzustellen. Was ihm absolut nicht gelang, dafür war alles zu viel und zu schnell auf ihn eingestürzt. Aus der kleinen Kiste, die er scheinbar entsorgen sollte, war ein massives Gebirge geworden und ein Teil davon stand ihm gegenüber und starrte ihn wutentbrannt an.

 

Alvaro ließ den jungen Mann los, der sofort auf Distanz zu ihm ging als hätte Alvaro eine ansteckende Krankheit. Er räusperte sich leise. "Die schlechte Nachricht", begann er seinen unfreiwillig unterbrochenen Monolog zum zweiten Mal. Und wurde erneut unterbrochen.

"Abgesehen von Einbruch und Diebstahl?"

Alvaro seufzte. Er suchte nach seinem Zigarettenpäckchen und zündete sich in aller Seelenruhe eine an.

"Sagt dir der Name LaRue etwas?", fragte Alvaro nach einer Weile, nachdem er sein Gegenüber etwas zappeln gelassen hatte, bis er sich sicher war, eine Antwort zu bekommen.

Gabe horchte auf, riss sich aber gleich darauf wieder zusammen. "Nie gehört", entgegnete er tonlos und erwiderte regungslos die Blicke des Fremden, dessen Mund sich zu einem hauchdünnen Lächeln verzog, das so schnell wieder verschwand, wie der Rauch, der zwischen den Lippen hervorquoll.

"Ok", erwiderte Alvaro knapp. Er hatte seine Antwort. Auch wenn die Worte gelogen waren, hatte das kurze erschrockene Blinzeln seine Frage mehr als ausreichend beantwortet. Er wandte sich ab und ging davon.

 

Mit offenem Mund sah Gabe dem Fremden nach, der zuerst aus dem Nichts hier aufgetaucht und seine Wohnung in ein heilloses Chaos verwandelt hatte, um dann eiskalt davonzuspazieren als ginge ihn nichts davon mehr was an.

"Was ist mit den Sachen?", schrie Gabe Alvaro nach, der ohne Eile die Metallstufen zum Innenhof hinab ging. Gabe rannte zum Geländer und beugte sich so weit darüber, dass er den anderen friedlich davon schlendern sehen konnte. "Das kann hier nicht so stehen bleiben, verdammt noch mal!"

"Nicht mein Problem. Ich bin nicht dein Inneneinrichter", antwortete Alvaro ohne stehenzubleiben und verließ das Grundstück durch die Hofeinfahrt.

"Arschloch!", rief Gabe der bläulichen Rauchwolke nach, die alles war, was von Alvaro übrig geblieben war. Er sah zu dem Berg aus Kisten und Möbeln, die den Eingang zu seiner Wohnung verstopften.

"Verfluchte Scheiße", fauchte Gabe und gab einer der Kisten, die ihm am nächsten standen, einen heftigen Tritt.

 

 

Nichtsahnend betrat Jules die Wohnung und stieß direkt im Flur gegen einen Stapel Kartons, der durch den Aufprall bedrohlich ins Wanken kam.

Gabe stand im Türrahmen, die Arme vor sich verschränkt sah er stumm seiner Schwester dabei zu, wie diese mit der Stabilität des Kartonstapels kämpfte, bis alles wieder sicher stand.

"Hi", begrüßte Jules ihren Bruder verlegen lächelnd, während sie sich Jacke und Schuhe auszog und sich vorsichtig in dem Labyrinth einen Weg um ihn und die Möbel herum bahnte, die kreuz und quer in der winzigen Wohnung verteilt standen.

"Hättest du nicht mal Staub wischen können, wenn du schon hier wohnst?"

"Ich hatte keine Zeit, du weißt was für Betrieb im Moment ist." Völlig gelassen räumte die junge Frau ihre Einkäufe in den Kühlschrank. "So schlimm ist es doch noch gar nicht...", versuchte sie ihren Bruder zu besänftigen, der nun seufzte.

 

Gabe, der Jules in die offene Küche gefolgt war, nahm sich eine Flasche Wasser aus der Einkaufstüte. Es zischte, als er sie öffnete. Nachdenklich sah er den winzigen Kohlesäurebläschen zu, die darin aufstiegen und an der Oberfläche zerplatzten. "Ich war drei Wochen weg und als ich heute nach Hause komme, ist die Wohnung ausgeräumt!"

"Ausgeräumt?" Das erste Mal hob Jules den Kopf. Gabe klang ernster als sonst. Ihre Blicke huschten über die chaotisch angeordneten Möbel. "Ich dachte, du stellst um."

Er musste ein paar Mal tief ein und ausatmen, bevor er in der Lage war, seiner Schwester eine einigermaßen gefasste Antwort zu geben. "Damit warte ich normalerweise immer, bis ich meine Tasche ausgepackt habe, aber egal, gibt es wenigstens irgendwas Essbares hier?"

Jules bedrücktes Gesicht hellte sich augenblicklich auf. "In der Mikrowelle steht Lasagne", antwortete sie fröhlich. Einen Moment hatte sie sich Sorgen um ihren Bruder gemacht.

"Besser als nichts." Gabe öffnete die Tür der Mikrowelle und nahm den rechteckigen Karton heraus. Das Willst du auch davon? an seine Schwester schon auf den Lippen, verschlug es ihm beim Anblick der Lasagne die Sprache. Wo normalerweise goldgelber Käse eine cremige Béchamelsauce krönen sollte, bedeckte ein dichter grüner Schimmelrasen die Oberfläche des Gerichts, an dessen Seiten die darunter gärende Tomatensauce Blasen schlug.

Der Pappkarton mit der Lasagne polterte auf die Arbeitsfläche. Mit offenem Mund sah Gabe der schimmeligen Staubwolke zu, die sich über der verdorbenen Pasta erhob. Der saure Geruch, der von dem Nudelgericht ausging war überwältigend abstoßend und es kostete ihn seine gesamte Beherrschung, die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken.

Beinahe hätte er davon gegessen...

"Vorsicht! Verbrenn dich nicht."

Mit vor Entsetzen geweiteten Augen sah Gabe, wie seine Schwester einen Pfannenwender aus der Schublade nahm und offensichtlich vorhatte, die glibberige Lasagne, die halb aus dem Karton gerutscht war, wieder in eben jenen zurück zu befördern.

 

"Verbrenn dich nicht?", wiederholte er heiser. "Jules", er hielt ihre Hand fest, bevor sie die zum Himmel stinkende Mischung aus Sauce, Nudeln und Schimmel erreichen konnte. "Jules, komm mal her."

Jules ging um die Kücheninsel herum, bis sie ihrem Bruder gegenüber stand, der aus irgendeinem Grund ziemlich besorgt aussah.

"Wie lange stand die Lasagne denn schon in der Mikrowelle?" Seine Hand fuhr sachte über die nun bleichen Wangen seiner Schwester.

"Noch nicht so lange", murmelte Jules mit beschämt gesenktem Blick. "Am gleichen Abend, als ich-" Sie suchte ihre Erinnerungen nach dem richtigen Zeitpunkt ab, doch da war nichts mehr. Als hätte es die Lasagne gar nicht gegeben.

"Seit drei Wochen also", beendete Gabe die Erklärung. Zum Glück hatte sie nicht den Backofen benutzt. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sie den vergessen hätte.

"So lange auch wieder nicht", hauchte Jules bedrückt. "Vielleicht eine Woche - aber keine Zwei!"

Also ob es das besser machen würde, dachte Gabe. Seine erste Wut wich Mitleid. "Weißt du noch, was wir wegen des Essens abgemacht hatten?"

"Nichts selber kochen. Liefern lassen oder etwas Kaltes essen."

"Richtig. Hör zu, Jules, das ist wichtig." Er nahm ihre Hände in seine und wartete, bis seine Schwester ihn ansah. Ihre reumütig ausweichenden Blicke hafteten nun konzentriert an denen ihres Bruders. Seine Stimme nahm einen neutralen Tonfall an und er betonte jedes Wort. "Benutz' nicht mehr die Mikrowelle oder sonst ein elektrisches Gerät, so lange ich nicht bei dir bin. Verstanden?"

Jules nickte artig.

"Wenn du etwas dringend brauchst, sag Nate Bescheid."

Jules nickte erneut, ohne eine Miene zu verziehen. Die zarte Berührung an ihrer Stirn wischte schließlich die schweren Wolken beiseite, die ihren Kopf umgeben hatten. Sie fühlte, wie sie langsam wieder an die Oberfläche auftauchte und normal atmen konnte.

"Komm, wir gehen was essen", bot Gabe Jules an, deren Blicke nun wieder klarer waren und die Gedanken geordneter schienen.

Mit einem schnellen Ruck, ehe ihn der Ekel wieder übermannte, beförderte Gabe die verdorbene Lasagne in den Mülleimer und wischte die Arbeitsplatte ab.

 

Geduldig sah Gabe seiner Schwester zu, die nun fröhlich etwas vor sich hin murmelnd wieder ihre Jacke und Schuhe anzog und dann freudig gebannt im Flur auf ihn wartete.

Er hatte nur einen kurzen Blick auf das ordentlich gemachtes Bett werfen müssen, um zu wissen, dass sie es drei Wochen nicht benutzt hatte. Alles war noch genauso, wie er es hinterlassen hatte. Keine einzige Falte zierte das Kopfkissen oder die Bettdecke. Die extra Decke, die er mitten auf dem Bett platziert hatte, war noch so zusammengelegt, wie er sie hingelegt hatte.

Er musste nicht lange raten, dass sie sich schon wieder auf das kleine Sofa gequetscht hatte, statt in dem Bett zu schlafen, das er ihr überlassen hatte, als sie hier eingezogen waren. Und über das, was sie gegessen oder getrunken hatte, durfte er gar nicht erst nachdenken. Er hatte die Sachen gesehen, die sie in den Kühlschrank geräumt hatte, der jetzt schon ungewohnterweise aus allen Nähten platzte. Sie hatte eingekauft und weggeräumt und eingekauft und weggeräumt, ohne viel verbraucht zu haben.

Scheinbar konnte er sie doch nicht mehr so lange alleine lassen. Er brauchte einen neuen Plan.

 

 

Nate hob den Kopf und lachte auf. Er konnte nicht glauben, wer da vor ihm in der Halle des The Gorge stand und ihn mit feindseligen Blicken durchbohrte.

"Guten Abend, der Herr, was kann ich für Sie tun?", säuselte Nate mit vor Liebenswürdigkeit triefender Stimme und ergötzte sich an dem Anblick seines Gegenübers, bei dem sich nun eine zornige Falte zwischen den Augenbrauen bildete.

"Haben Sie reserviert? Oder kann ich Ihnen unser heutiges Angebot-"

"Verarsch mich nicht", unterbrach Alvaro Nate grummelnd und trat einen Schritt näher an die Theke heran. Seine Hand zuckte schon, die den breit grinsenden Kerl vor sich nur zu gerne am Kragen gepackt und einmal gut durchgeschüttelt hätte, bis ihm das verdammte Grinsen aus dem Gesicht gefallen wäre. Doch Alvaro riss sich zusammen, so schwer es ihm auch fiel. Er brauchte Informationen und die bekam er nur hier.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück