Zum Inhalt der Seite

50 Jahre später

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

„Da bist du ja wieder. Ich habe dich schon erwartet“, grüßte Madame Fey mit einem unterschwelligen Schmunzeln, als Kenneth am nächsten Vormittag wieder in ihrer Tür stand. Er hatte das kleine Atelier auf Anhieb wiedergefunden.

„Ja, diesmal glaube ich Ihnen das sogar“, gab Kenneth ernst zurück und setzte sich sofort unaufgefordert zu ihr an den Tisch. Er hatte sich damals Erfolg gewünscht, und den hatte er durchaus bekommen. Aber er hatte damals keine Karte gezogen. Also hatte er sich seiner Meinung nach auch keiner Vertragsverpflichtungen schuldig gemacht. Dieses neue, tolle Leben würde keinen Preis fordern können. Es war einfach nur Glück, dass jetzt alles so geschmiert lief. Trotzdem ließ ihn das Thema seit letzter Nacht nicht mehr los.

„Nun? Hat sich dein Leben verändert, seit du das letzte Mal hier warst? Hast du bekommen, was du gesucht hast?“

„Das schon, aber hier geht doch irgendwas nicht mit rechten Dingen zu! Ich muss mehr über diese vier Clowns aus dem Kartenspiel wissen, die Sie mir letztes Mal gezeigt haben.“

Madame Fey griff nach ihrem Stapel Tarot-Karten und suchte ihn zügig nach den entsprechenden Karten durch. „Diese vier Clowns …“, hob sie amüsiert an, „sind Götter. … Naja, nein, keine Götter. Aber was wir Menschen uns so gemeinhin unter Göttern vorstellen, kommt dem, was sie sind, am nächsten. Sie verkörpern die vier Triebfedern der Existenz.“ Sie legte ihm die erste Karte hin. „Die Weisheit des Universums“, betitelte sie die Figur darauf. „Sein Name ist Shed.“

Sie legte die zweite Karte auf den Tisch. „Die Triebe der Natur. Die animalischen Triebe. Karotais.“

Die dritte Karte folgte. „Die Leidenschaft der Lebenden, Rana’suraya.“

Und auch die letzte Karte legte sie ihm noch hin. „Und den Hass der Toten. Er wird in den alten Überlieferungen Cythraul genannt, oder ‚Der Cythraul‘. Bei ihm ist das eher ein Titel als ein Name.“

„Da! Das sind sie!“, keuchte Kenneth und zeigte auf die Toten, die auf der letzten Karte abgebildet waren: zombiehafte Kreaturen mit eingefallenen Wangen und leeren Augenhöhlen zu Füßen des mächtigen Toten-Gebieters. „Von so einem Freak bin ich verfolgt worden!“

„Verfolgt?“, hakte die Wahrsagerin ungläubig nach.

„So einer war gestern hinter mir her. Er hat mich gejagt.“

„Hier in Las Vegas?“

„Ja, Mann! Ich wollte ihm die Fresse polieren! Hab ihm sogar eine Bierflasche über den Schädel gehauen. Aber der Penner hat einfach keinen Schmerz gespürt. Ich bin gerade so entkommen. Gott, diese leeren Augenhöhlen haben mich fertiggemacht. Er konnte mich trotzdem sehen, irgendwie.“

Madame Fey zog ein besorgtes Gesicht. „Das sind Tote, hörst du? Die KÖNNEN nicht auf die Erde kommen.“

„Wenn ich´s doch aber sage!?“

Sie rieb sich das Doppelkinn und musterte nachdenklich die vier Karten auf dem Tisch. Sie schien ihm zu glauben. „Dann ist es noch viel schlimmer, als ich angenommen habe. Der Cythraul beginnt, die Kontrolle über sein Reich zu verlieren. Ich hätte nie gedacht, dass es ausgerechnet mit ihm den Anfang nehmen würde.“

„Hören Sie auf, in Rätseln zu sprechen und erklären Sie mir endlich, was hier abgeht! Von Anfang an!“, verlangte Kenneth aufgebracht.

„Nun gut.“ Sie holte tief Luft und überlegte sichtlich, wie sie anfangen sollte.
 

„Diese vier Wesen hier existieren schon seit der Zeit, als die Welt noch jung war. Sie wachen über das Wohl und Wehe der Aspekte, die sie verkörpern. Man kann sagen, sie lenken die Geschicke der Welt. Sie sind das, was man Schicksal nennen würde. Man hat sie in den großen Schlachten der Menschheit in Erscheinung treten sehen, und an den bedeutenden Wendepunkten der Weltgeschichte.“ Madame Fey machte eine kurze Pause. „Es gab immer ein paar wenige Seher, die mit ihnen in Kontakt treten konnten. Sie wurden zu Avataren. Die Vier gingen Verträge mit ihnen ein und banden sich so an diese Seher. Vor 50 Jahren ist einer Novizin ein folgenschwerer Fehler unterlaufen, der ein Ungleichgewicht zwischen den Vieren herbeigeführt hat. Seither war es nur noch eine Frage der Zeit, dass etwas aus den Fugen gerät.“

„50 Jahre? Das ist aber ganz schön lange her“, diagnostizierte er. „Da soll wirklich jetzt noch was passieren?“

„Durchaus, mein Lieber. Diese uralten Wesen denken in anderen Zeitspannen als wir. 50 Jahre sind nichts für sie.“ Sie sah Kenneth direkt an. „Das letzte Mal hast du dich geweigert, eine Karte zu wählen. Willst du wissen, welche Karte das Schicksal daraufhin für dich gewählt hat?“

„Schicksal?“, gab der Musiker argwöhnisch zurück. „Haben SIE Schicksal gespielt und eine Karte für mich gezogen?“

„Nein. Als du gegangen bist, hat eine Windböe eine Karte vom Tisch genommen, da du selbst keine nehmen wolltest.“ Sie schob ihm eine der Götterkarten hin. „Es war eben jener Gebieter der Toten, der jetzt Probleme zu haben scheint. Wir müssen irgendwie mit ihm in Kontakt treten und sehen, was los ist.“

„Schön“, entschied Kenneth. „Sie sagen, die Vier hätten menschliche Avatare. Dann gehe ich doch Cythrauls Avatar mal besuchen und erkläre ihm die Lage. Wo finde ich ihn?“

„Den Avatar des Cythrauls wirst du in dieser Welt nicht finden. Er lässt seinen Avatar nicht auf der Erde rumlaufen, wo er all den täglichen Gefahren des Lebens ausgesetzt ist. Der Cythraul wird nicht riskieren, dass sein Avatar von einem Auto überfahren, von einem dahergelaufenen Gangster umgebracht oder von einem runterfallenden Dachziegel erschlagen wird, oder anderweitig plötzlich stirbt.“

„Und wo ist er dann?“

„Der Cythraul hat ihn in sein Reich geholt.“

Kenneth verengte skeptisch die Augen. „Nur, dass ich das richtig verstehe …“, merkte er zynisch an. „Cythraul herrscht über die Welt der Toten!“

„Ja.“

„Dann ist sein Avatar also tot?“

„Nein. Der ist in der Tat sehr lebendig.“

„Ein Lebender im Reich der Toten?“

Madame Fey zuckte mit den Schultern. „Glaub, was du willst. Ich kann es dir nur so sagen, wie es ist.“

„Das muss ja furchtbar sein. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie es seinem Avatar dort unten ergeht.“

Die Wahrsagerin schmunzelte. „Seltsam. Ich habe immer gedacht, ihr jungen Leute mit den langen Haaren und den elektronischen Gitarren würdet sowas ‚cool‘ finden – das war doch das Wort, das ihr immer verwendet, nicht?“

„Es ist ein Unterschied, sowas auf der Bühne zu schauspielern, oder es für den Rest seines Lebens tatsächlich ertragen zu müssen, ja?“

„Mh. Der Cythraul wird schon ein Interesse daran haben, dass es seinem Avatar gut geht. Leiden wird der wohl nicht.“

Kenneth seufzte, weil er merkte, dass sich das Gespräch im Kreis zu drehen begann und ihn nicht weiterbrachte. „Wie auch immer. Wie lösen wir das Problem jetzt? Wie finde ich den Cythraul, oder seinen Avatar, oder meinetwegen beide?“

„Ich schicke deinen Geist auf die Reise und entsende ihn direkt zum Cythraul.“

„Ich … WAS!? Nein, ich will nicht! Gehen Sie selber!“

Aber Madame Fey hatte bereits die Hände in die Luft gestreckt und eine eindringliche Zauberformel in einer Sprache angehoben, die Kenneth nicht verstand.

Die vielen Kerzen um ihn herum schienen zu explodieren, die Flammen schossen in die Höhe und wuchsen zu einem Inferno an, das den ganzen Raum verschlang.
 

Geblendet von Helligkeit und brüllend vor Hitze riss Kenneth beide Arme vor die Augen. Ein wahrer Feuersturm zerrte an seiner Kleidung, versengte seine Haut und fackelte ihm fast die Haare vom Kopf. Wie sich die Umgebung um ihn herum veränderte, spürte er eher, als dass er es sah. Der Raum wurde weit und luftig. Kenneth hatte plötzlich das Gefühl von sehr viel Platz. Die enge Wohnzimmer-Akustik wurde zu einer Akustik, die seine Schreie in unendlicher Ferne versickern ließ. In Konzertsälen strebte man eine Nachhallzeit von etwa 2 Sekunden an. Das war die Zeit, nach der ein Ton nach jeglicher Hin- und Her-Reflexion endgültig verklungen war. Fiel die Nachhallzeit kürzer aus, klang der Sound trocken. Fiel sie länger aus, überlagerten sich die Töne und sorgen für eine verwaschene Akustik. In Tonstudios hatte man eine Nachhallzeit von 0,2 Sekunden lieber. – Warum, verdammt, kam Kenneth sowas gerade jetzt in den Sinn!? – Der Weihrauch wich dem Gestank von Asche und Lava. Kenneth zwang sich hinzusehen. Wenn er schon sterben musste, wollte er wenigstens sehen, woran. Und er erschauderte. Wenn er je eine bildhafte Vorstellung von der Hölle gehabt hatte, dann war sie hier.
 

Der Feuersturm legte sich. Als der ganze Tumult wieder zur Ruhe kam, befand Kenneth sich auf einem Lavafeld. Nur hier und da konnte man von einem trittfesten Stein zum nächsten springen. Es war immer noch brütend warm, aber nicht mehr so glutsengend, dass es einen bei lebendigem Leib verkohlte. Um ihn her streiften Zombies rastlos umher. Denen schien die Lava nichts auszumachen. Zum Glück interessierten sie sich nicht für Kenneth und ließen ihn in Ruhe. Mit mulmigem Gefühl sprang er auf einen größeren Felsen, der noch nicht eingeschmolzen war, und schaute sich suchend um. Wie sollte er hier wohl den Cythraul finden?

Seufzend begann Kenneth, höher zu klettern. Das würde ein langes, beschwerliches Unterfangen werden. In drei Himmelsrichtungen gab es nichts als diese Lavafelder, durch die man sich, von Stein zu Stein hüpfend, vorarbeiten musste. Im Rücken hatte er sowas wie ein kleines Gebirge. Mehrere schroffe Felsen bildeten eine Wand, die den Blick auf das, was dahinter lag, verbarg. Vielleicht hatte er von dort oben ja eine bessere Aussicht, um entscheiden zu können, wohin er sollte.

Auf halber Höhe zum Gipfel fand der Sänger einen Höhleneingang und blieb kurz argwöhnisch stehen. Dann schlich er doch neugierig näher, und … stolperte unversehens in ein Paradies. Kenneth traute seinen Augen nicht. Die Höhle war hell und freundlich, um nicht zu sagen sonnendurchflutet. Einige reich verzierte Säulen vermittelten das Bild eines architektonisch errichteten Raumes. Die Mitte des Raumes wurde von einem großen Pool vereinnahmt. Palmen standen am Rand herum. In einer davon saß ein roter Ara, was zu einem sehr karibischen Flair beitrug. Und dazwischen lag, auf einem breiten Diwan, ein langer, schlaksiger Kerl mit dreieckigem Kapitänshut, Goldborten-Jacke und Lederstiefeln. Sein Bart war gepflegt, aber altmodisch, ebenso wie der protzige Goldschmuck, den er trug. Und zierte da wirklich ein kleines Totenkopf-Symbol einen seiner zahlreichen, dicken Goldringe? Der Kerl ließ es sich gutgehen. In einer Hand hatte er ein Cocktail-Glas mit Trinkhalm und Papierschirmchen, in der anderen das lange Schlauchende einer Wasserpfeife. Drei üppige, fast nackte Mädchen machten sich aufreizend an ihm zu schaffen.

Der Pseudo-Pirat blinzelte irritiert, als er Kenneth erblickte, legte den Pfeifenschlauch auf seinem Schoß ab, und schnippste mit den Fingern einmal in Kenneths Richtung. Dann schnippste er noch zweimal. Wieder erfolglos. „Okay!? Du scheinst echt zu sein“, kam er nicht umhin, zu bemerken.

„Warum sollte ich das nicht sein?“, gab Kenneth total verwirrt zurück. Der Anblick dieser Idylle inmitten der Hölle ergab für ihn immer noch keinen Sinn.

Der Fremde schob die drei barbusigen Mädchen von sich und stand auf. Der ganze Raum löste sich daraufhin auf, wie Nebel im Wind. Das Pool und die Palmen verschwanden ebenso wie die Mädchen und das ganze, luxuriöse Beiwerk. Zurück blieb nur eine dunkle, unwirtliche Lava-Höhle in einem brütend heißen Felsmassiv. Und der Pirat, der sich gähnend streckte.

„Bist du …??? Du bist doch nicht der Cythraul, oder?“, brachte Kenneth mit viel Willenskraft irgendwie hervor.

„Sei nicht albern. Ich bin Quentin, Cythrauls Avatar.“

Kenneth nickte, wenn auch wenig überzeugt. „Das gibt Sinn. Und was war das hier? Dieser Pool, und die Mädchen?“

„Illusionen, leider.“ Quentin steckte leger die Hände in die Jackentaschen und grinste. Selbst einer seiner Zähne war aus Gold. „Cythraul hat mir die Macht gegeben, sein Reich meinem Willen zu beugen und es mir hier gemütlich zu machen, wenn ich schon hier leben muss. Ich kann zu meiner Unterhaltung jede Illusion erzeugen, die ich möchte, solange ich Cythraul damit nicht auf die Nerven gehe … was leider sehr schnell der Fall ist.“

Kenneth glotzte ihn an wie das erste Auto. Das alles war noch zu viel für ihn. Am Rande bemerkte er, dass dieser Quentin altermäßig kaum zu schätzen war. Er konnte zwischen 30 und 70 alles sein. Aber egal. Wo hatte Cythraul nur so einen Typen aufgegabelt? Stammte der wirklich noch aus dem Piraten-Zeitalter? Oder kleidete er sich nur so, weil er die Juwelen mochte? Nun, immerhin trug er einen klassischen Piraten-Säbel an der Hüfte, wogegen auch immer er damit hier kämpfen wollte. Gegen die Zombies wohl kaum. Die waren schon tot.

„Und? Darf man erfahren, was dich herführt? Du siehst noch gar nicht tot aus, mein Freund. Und ein Avatar bist du wohl auch nicht, sonst hättest du ja nicht einfach so hier aufkreuzen dürfen.“

Als der Musiker gerade nach einer halbwegs plausiblen Antwort suchen wollte, schoss aus dem kleinen Lava-See neben ihm ein gewaltiger, feuriger Geysir in die Höhe und spuckte ein Wesen aus, so grauenerregend, dass sich Kenneth die Haare zu Berge sträubten.

‚Ach … du … scheiße …‘, dachte der Musiker nur, als er der gewaltigen Kreatur gegenüberstand. Die Abbildungen auf den Tarot-Karten vermittelten absolut keine Vorstellung davon, wie diese Wesen wirklich waren.

Diese Kreatur war mehr Raubtier als Mensch. Die langen, krausen Haare hingen ihm gleich Sauerkraut um die Visage, welche vornehmlich von einem gewaltigen Reißzahngebiss dominiert wurde. Die Augen waren Feuerkugeln. Und er trug, wie auf der Tarot-Karte, stählerne Schienbeinschoner, die ihm bis über die Kniee reichten, sowie einen eisernen Tiefschutz am Unterleib. Nur war beides sehr viel aufwändiger mit Totenköpfen und Knochen verziert als auf der Abbildung. Er musste über 2 Meter groß sein. Das also war Cythraul. Bei seinem Erscheinen stieß er ein löwenhaftes Brüllen aus, getrieben von purer Wut.

Kenneth straffte die Schultern und wartete. Sicher war es unhöflich, einen Gott anzusprechen, bevor dieser selbst das Wort ergriffen hatte. Und Cythraul machte nicht den Eindruck, bei groben Etikette-Verstößen sehr viel Spaß zu verstehen.

„Wer wagt es!? Dir wurde nicht erlaubt, hier zu sein!“ Seine Stimme war laut und dunkel. Sehr Bass-lastig, um es mit dem Vokabular eines Musikers auszudrücken. Cythraul kam zähnefletschend näher, hielt dann aber inne. „Du hast einen vertrauten Geruch an dir. … Wer bist du?“

„Madame Fey schickt mich“, erwiderte Kenneth, und hoffte inständig, dass er sie kannte.

„Ah, daher kommt das also …“, murrte der Cythraul, zwar immer noch schlecht gelaunt, aber schon sehr viel ruhiger. Zumindest wirkte er nun nicht mehr, als würde er Kenneth direkt zerfleischen wollen.

„Ich entschuldige mich in aller Form für mein ungebetenes Eindringen in Euer Reich. Ich hätte mich nicht dazu erdreistet, wenn es nicht wichtig wäre.“

„Sag also, was du hier willst“, trug der Cythraul ihm auf.

„Äh …“ ‚Oh Gott, Kenneth, lass dir was einfallen!‘, dachte er überfordert. Wie redete man mit einem so mächtigen, übernatürlichen Wesen? Und was wollte er überhaupt hier? Er war auf dieses Gespräch gar nicht vorbereitet. „Also, eigentlich schickt Madame Fey mich nur, um nachzusehen, ob man Euch helfen kann, oder ob hier alles in Ordnung ist. Einer Eurer Toten spaziert da auf der Erde rum und erschreckt die Leute“, sog sich der Musiker schnell etwas aus den Fingern.

„Inzwischen ist es mehr als nur einer. Die Angelegenheit ist mir geläufig.“

„Dann war es also zumindest keine Absicht?“

„Das war es nicht“, bestätigte der grummelige Totenreich-Herrscher. „Ich gedenke sie zu finden und wieder zurückzuholen, sobald …“ Er unterbrach sich selbst und fuhr knurrend herum, als sich ein Stück weit entfernt ein Spalt in der Luft bildete. Direkt vor dem Höhleneingang. Es war wie ein Riss zwischen den Welten, anders konnte man es nicht beschreiben. Ein Tor. Kenneth glaubte, dahinter Hochhäuser zu erkennen. War das der Stratosphere Tower von Las Vegas? Schon stürzte der Cythraul brüllend zu dem Riss und versuchte ihn mit Feuer und Magie wieder zu schließen. Aber zu langsam. Drei Tote, die gerade auf dem Berg herumstreiften, waren bereits hindurchgewandert, ehe der Cythraul die Stelle auch nur erreichte. Weitere drei, die als Zombies in die Welt der Lebenden entkommen waren, wurde Kenneth klar. Der Cythraul brüllte wie in Raserei. „Du musst jetzt gehen!“, entschied er dann wutschäumend. „Dies hier ist Skurs Werk. Berichte das der, die dich geschickt hat. Du bist nun gewarnt!“

„Äh-was!?“, konnte Kenneth gerade noch herausbringen, dann hüllte ihn erneut der Feuerwirbel ein, der ihn schon hergebracht hatte. Abermals fühlte er sich bei lebendigem Leibe geröstet, hatte das Gefühl in ein bodenloses Loch zu fallen …
 

… und fand sich plötzlich auf seinem Stuhl gegenüber der Wahrsagerin wieder. In der Realität. Im Hier und Jetzt. Die Kerzenflammen flackerten fröhlich und harmlos vor sich hin. Der Weihrauch stahl sich in seine Sinne zurück. Kenneth stöhnte. „Das war aber ein kurzes Gespräch“, meinte er in einer Art Galgenhumor. Er klopfte seine Kleidung aus, als hinge noch der Rauch darin.

„Sehr geschwätzig ist der Cythraul in der Tat nicht.“

„Hätten Sie nicht selber da hingehen und mit ihm reden können, Mann!?“

„Nein.“ Madame Fey schmunzelte. „Ich habe dort leider keinen Zutritt. Was ist geschehen?“, wollte sie gelassen wissen.

„Der Cythraul hat Probleme, soviel steht fest.“ Er begann, zu berichten, was er gehört und gesehen hatte. Von der Lavahölle, über den rasenden Cythraul selbst, bis hin zu dem Riss zwischen den Dimensionen und den drei weiteren Toten, die nun als Zombies irgendwo hier herumkrochen. Die Kartenlegerin hörte sich das alles ruhig an, als wäre das für sie weder neu noch besorgniserregend. Erst als die Bezeichnung ‚Skur‘ fiel, regte sich ihre Mimik.

„Wie, Skur soll das gewesen sein?“

„Sagt Ihnen das was? Wer oder was ist das?“

„Ich weiß nicht genau“, gab sie nachdenklich zu. „Über ihn gibt es so gut wie keine Aufzeichnungen. Während des Menschenzeitalters ist der nie in Erscheinung getreten. Wohlmöglich ist er etwas noch Älteres.“

Der Sänger nickte ebenso ratlos. „Tja, und nun?“

„Wenn selbst der Cythraul ihm nicht gewachsen ist, dann kann ihm höchstens noch Shed Einhalt gebieten.“

„Der, der die Weisheit des Universums verkörpert?“

„Ja. Der, der über die Menschen gebietet, kann hier definitiv nichts mehr ausrichten. Und der, der über die Natur gebietet, ist ebenfalls nicht stark genug. Ich muss mit Shed verhandeln. Aber keine Sorge, das kann ich diesmal selbst. Da muss ich dich nicht wieder vorschicken.“ Ihr altes, runzliges Gesicht wurde eine Spur betrübter und verkniffener. Ihr war nicht wohl bei der Sache. „Nun ist es wohl an der Zeit, meinen Fehler von vor 50 Jahren wieder gut zu machen“, murmelte sie betrübt.

„Sekunde … SIE waren die Novizin von damals?“

„Ja. Mein Ritual wurde durch Kämpfe unterbrochen, deshalb ging es schief. Während der ‚Großen Wirren‘ gab es sehr viele gewaltbereite Leute. Hauptsächlich in Nordirland, aber auch hin und wieder in Irland. Vor allem in der Nähe der Häfen, wo sich verschiedene Menschen und Meinungen tummelten, kamen Ausschreitungen regelmäßig vor. Vermutlich hat der Hass diese Kreatur angelockt. Mein Meister starb in dem Handgemenge. Ich konnte entkommen, habe ein Schiff bestiegen und bin in die Neue Welt aufgebrochen, wie viele andere Iren zu dieser Zeit.“

„Wouw … Sie führen ein actionreiches Leben, Lady.“

Madame Fey lächelte dünn. „Ich wusste nicht, dass es damals ausgerechnet Skur war, dem ich die Tür geöffnet habe. Geh jetzt nach Hause. Ich habe viel zu tun, nun da ich weiß, was los ist. Danke für deine Hilfe, aber ab hier muss ich allein weitermachen. Du kannst mir nicht mehr helfen.“

Kenneth nickte verstehend und verabschiedete sich, auch wenn es ihm schwerfiel. Er war wahrlich nicht böse, nicht weiter in diese Dinge verstrickt zu werden, nur konnte er nicht glauben, dass sein Leben nach diesen Erfahrungen und Erlebnissen so weitergehen könnte wie früher. Aber mit wem sollte er darüber reden? Wer würde ihn verstehen? Seine Bandkollegen würden ihn für verrückt halten.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: irish_shamrock
2021-04-11T06:12:44+00:00 11.04.2021 08:12
Hallo die 2te :3 ...

ich mag es schon erwähnt haben, doch ich mag Madame Fey, auch wenn ich weiß, welches grausige Schicksal sie, womöglich, ereilen wird.
Und du hast wieder etwas am Setting geschraubt. Jetzt wirkt die Hölle "runder" und etwas weniger karg, als beim ersten Lesen. Auch hast du dem Cythraul einen Avatar verpasst :') "Quentin - der Pirat-spielende Avatar".
Und Cythraul scheint dem Entlaufen seiner Toten allmählich nicht mehr gewachsen zu sein.

Ich freue mich aufs nächste Kapitel.

Liebe Grüße,
irish C:
Antwort von: Futuhiro
11.04.2021 10:24
> Und du hast wieder etwas am Setting geschraubt. Jetzt wirkt die Hölle "runder" und etwas weniger karg,

--> Ja, den Avatar wollte ich unbedingt noch mit rein haben. Auch der wäre noch ausbaufähig gewesen, aber ich denke, so war es okay. ^^


Ich hab jetzt im Nachhinein allerdings ein bisschen die Befürchtung, dass Kenneths erster Zombie nicht klassisch-zombiehaft genug ausgefallen ist. ^^° Ich hoffe, du störst dich nicht an der Art Zombies, die ich hier kreiert habe.


Zurück