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Nachhilfe

von

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Caleb schwieg mich wieder vermehrt an, was mir zwar weh tat, aber nicht mehr so aus der Bahn warf. Ich telefonierte jetzt öfter mit Connor, der sich mehrmals entschuldigte, so wenig Zeit zu haben, aber die Uni wäre gerade ein wenig anstrengend. Er war wirklich ein toller bester Freund, fast so wie Nicky früher. Der hatte sich übrigens zu meiner Freude auch gemeldet. Was mich noch mehr freute war, dass er, beziehungsweise Marielle, mich eingeladen hatten, mit ihnen was zu unternehmen. Ich durfte Caleb zwar nichts sagen, also wohin wir wollten, aber der war eh mit sich selbst beschäftigt und dem Schaden, den Connors Auto verursacht hatte. Er schimpfte jedoch nicht über ihn. Irgendwie waren gerade alle ein wenig komisch.
 

Pünktlich um halb acht stand ich geschniegelt und gestriegelt, in Jeans, Turnschuhen und einem dunkelblauen Hoodie vor dem Haus und wurde bereits erwartet. Nicky schenkte mir ein breites Lächeln.
 

„Hey, Danny!“
 

„Hi, Nicky! Alles klar?“
 

„Natürlich. Bei dir auch?“
 

„Jetzt wo du da bist natürlich!“
 

Auf meine euphorische Antwort hin wurde Nickys Lächeln ein wenig schmaler aber er schien sich echt zu freuen.
 

„Wo gehen wir denn heute nun hin?“
 

„In einen Club. Marielle hat wahrscheinlich eine Aussicht auf eine Lehrstelle als Friseurin. Das muss gefeiert werden.“
 

„Wieder in so einen für Ältere?“, wollte ich wissen.
 

„Mal sehen.“
 

Jap, es war ein Club für Ältere geworden. Marielles Schwester hatte uns hingefahren und Nicky reingebracht. Ein wenig mit den Augen klimpern reichte und der Typ am Eingang vergaß uns nach dem Alter zu fragen. Okay, das und weil er sich angeregt mit Marielle (die immer noch grüne Haare hatte) darüber unterhalten hatte, wie man so eine gleichmäßige Färbung hinbekommt. Drinnen war es laut. Von überall her dröhnte die Musik, die Bar war rappelvoll und es wurde getanzt. Nicky und Marielle hielten gleich mal auf einen der vier Barkeeper zu und ich folgte ihnen, vor allem, weil ich sie nicht verlieren wollte. Hier drinnen waren mir doch zu viele Leute.
 

„Dreimal Bacardi-Cola“, bestellte Marielle und hielt uns gleich darauf auch die Gläser hin. „Prost! Auf meine neue Lehrstelle!“
 

„Ich dachte das sei noch nicht sicher?“, fragte Nicky und nippte an seinem Glas. Ich tat es ihnen nach und verzog das Gesicht. Viel zu bitter. Das wollte ich aber auf keinen Fall zugeben.
 

„Naja, schon. Mehr oder weniger. Der Typ im Einkaufszentrum meinte, sie bräuchten noch jemanden und ich durfte mal ein paar Sachen probieren. Er war sofort begeistert.“
 

„Na dann“, grinste Nicky und wandte sich dann mir zu. „Und du? Ich habe gehört, dein neuer Freund hat Caleb zur Weißglut getrieben?“
 

„Ähm, ja schon irgendwie. Also sein Auto hat eine kleine Spur der Verwüstung hinterlassen.“
 

„Ja. Hat mir gut gefallen deinen Bruder so aufgebracht zu sehen. Er hat getobt“, lachte mein ehemaliger bester Freund.
 

„Jungs? Ich lasse euch mal alleine. Da hinten steht ein extrem süßer Typ!“ Damit verschwand Marielle auch schon im Menschengedränge.
 

„Ich weiß nicht. Caleb mag Connor nicht. Das ist manchmal voll anstrengend. Verstehe ich auch nicht. Er ist cool und nett und hilft mir immer!“ Ich nippte wieder an dem ekligen Zeug. Wie Nicky und Marielle das nur ohne mit der Wimper zu zucken hinunterwürgen konnten war mir ein Rätsel.
 

„Ach, das wird schon. Mich mochte er ja am Anfang auch nicht.“ Hastig fügte er auf mein betretenes Gesicht hin an: „Mach dir einfach nicht zu viele Gedanken.“ Das hatte weh getan. Ich wusste ja, dass sie mir wegen ihrer Beziehung aus dem Weg gingen, sofern es eben möglich war, und war noch immer unsicher, ob es nicht besser wäre, wenn sie vor mir offen rummachen würden, aber irgendwie… ich war eifersüchtig. Das und traurig.
 

„Danny, es tut mir echt leid.“ Nicky legte mir die Hand auf die Schulter. „Ich mag dich, echt, aber eben nur als bester Freund.“
 

„Schon okay“, murmelte ich und machte mir nicht einmal die Mühe es zu wiederholen. Bei der lauten Musik mussten wir schon schreien um uns überhaupt zu verständigen, da hatte er meine Worte gar nicht hören können. Ich sah auf und versuchte krampfhaft zu lächeln, was mir aber missglückte.
 

„Schau nicht so. Das ist ja schlimm“, seufzte Nicky und ließ den Kopf hängen.
 

„Mach dir mal du keinen Kopf, ja? Ich komme schon klar.“ Das war eine glatte Lüge gewesen. Ich kam überhaupt nicht damit klar. Nicht mal ansatzweise.
 

„Okay. Du kannst aber immer mit mir reden, das weißt du?“
 

„Weiß ich“, nickte ich und kippte mir wieder etwas von der Brühe hinunter.
 

„Ich gehe mal kurz nachsehen was Marielle so treibt. Kommst du mit?“ Nicky zögerte bei meinem Kopfschütteln.
 

„Ich bin kein Baby, Nicky. Du kannst ruhig gehen.“
 

„Sicher? Ich meine, hier sind so viele Leute und…“
 

„Jetzt hau schon ab“, fuhr ich ihn an.
 

„Danny“, fing er an, was ich aber gleich abwürgte. „Nicky, es ist alles in Ordnung. Mir geht nur diese Fragerei ein wenig auf die Nerven. Jetzt such Marielle. Ich warte hier.“
 

Das tat ich natürlich nicht. Kaum, dass Nicky verschwunden war, sah ich mich ein wenig um und stellte mich etwas ins Abseits. Es gab einige Tische und die waren erstaunlicherweise verwaist. Fast zumindest. An einem saßen zwei Männer. Ich kniff die Augen zusammen und schüttelte dann den Kopf. Da musste ich mich verschaut haben, das konnte nicht sein, oder? Ich ging ein wenig näher ran und blinzelte mehrmals. In dieser stickigen Luft, gepaart mit dem ständigen Alk- und Rauchgeruch, fiel einem das Denken sowieso schon schwer genug, dazu noch dieses Bacardizeugs, das ich bereits ein bisschen spürte. Sinnestäuschung, eindeutig. Oder doch nicht? In sicherer Entfernung blieb ich stehen, an einen der Trägerpfeiler gelehnt und schaute noch einmal genauer hin. Die blonden Haare, dazu noch breite Schultern und das verlegene Kratzen im Nacken: War das Connor? Ich überlegte kurz und tauschte seine Kleidung, er trug eine schwarze Jeans und einen roten Hoodie mit Reißverschluss und weißen Bändern, mit Trainingssachen aus und – ja das konnte hinkommen. Den anderen Typen kannte ich aber nicht. Sollte ich was sagen? Auf mich aufmerksam machen? So wie Connor gestikulierte eher nicht. Beide hatten ein Glas vor sich stehen, dazwischen einen Aschenbecher. Ich schlich mich ein wenig näher in Hörweite. Dabei vergaß ich mein eigenes Getränk, das ich auf einem der anderen Tische zurückließ.
 

„Und wann willst du es ihm sagen?“, fragte Connors Sitznachbar und fischte eine Schachtel Kippen aus seiner Hosentasche.
 

„Gar nicht. Das wäre das Beste“, seufzte mein bester Freund (der ganz und gar unglücklich wirkte) und fuhr sich durch die Haare.
 

„Das schaffst du nicht“, grinste sein Gegenüber und zündete sich eine Zigarette an. „Dafür kenne ich dich mittlerweile zu gut.“
 

„Du hast leicht reden, David.“
 

„Habe ich?“
 

„Natürlich. Ich meine, mit deiner Wahl wäre ich auch nicht sonderlich zufrieden, aber sie ist immer noch besser als meine.“ Connor klang dabei frustriert.
 

„Du weißt doch – man kann es sich nicht aussuchen.“ Dieser David schenkte Connor einen mitfühlenden Blick. „Wovor hast du denn Angst? Im schlimmsten Fall sagt er halt Nein und dann?“
 

„Das müsstest du doch besser wissen als ich. Wie war es denn, als sich deine Freundin von dir getrennt hat, hm?“
 

David machte daraufhin ein betretenes Gesicht.
 

„Ich habe einfach keine Ahnung was ich tun soll.“
 

„Er hat nichts gecheckt? Gar nichts?“ Connors Gesprächspartner nippte an seinem Glas und zog danach wieder an der Zigarette.
 

„Nein, null. Ich habe außerdem Schiss, dass er dann nichts mehr mit mir machen will.“
 

Meine Augenbrauen wanderten nach unten und ich überlegte. So wie sich das anhörte hatte Connor eine kleine große Krise. Warum hatte er mir nicht davon erzählt? Ich war doch sein bester Freund!
 

„Weil du ihm sagst, dass du dich verknallt hast? Ernsthaft? Er muss zwar eine ziemlich lange Leitung besitzen, vor allem nach den Nettigkeiten, die übrigens sogar für dich herausragend gewesen sind, von denen du mir erzählt hast, aber er klingt ganz niedlich. Jetzt gib dir einen Ruck.“ Dabei stieß David Connor mit dem Ellenbogen an. „Er scheint dir echt gut zu tun. Ich habe dich schon lange nicht mehr so lächeln sehen, wenn du von ihm erzählt hast.“
 

Also war Connor auch unglücklich verliebt, so wie ich in Nicky. War er deshalb immer so komisch drauf gewesen? Weil er mein Schicksal teilte? Verstand er mich deswegen so gut?
 

„David, ich kann das nicht. Weißt du wie schwierig es ist, bei der Arbeit den Kunden was vorzugaukeln?“
 

„Das hat dich doch bisher nie gestört. Und jetzt tu nicht so, als wäre es das erste Mal, dass du verliebt bist. Als du mit Annabelle was am Laufen hattest, war das doch auch kein Problem für dich.“ David drückte seine Kippe im Aschenbecher aus und schob sich gleich die nächste in den Mund.
 

„Schon, aber das hier ist anders. Annabelle habe ich ein paar Kleinigkeiten ins Ohr geflüstert und sie hat gekichert. Das war nicht gelogen gewesen, aber ich hatte dabei nicht dieses Gefühl von Schmetterlingen im Bauch.“
 

„Soso? Du weißt wie romantisch das klingt? Wenn du darüber ein Gedicht verfasst, oder es bei deinem nächsten Vortrag einbindest, bekommst du sicher eine gute Note. So ein gutes Motiv und du wirfst es weg. Eine verbotene Liebe. Shakespeare hätte sicher was draus machen können“ David klang verträumt, ähnlich wie Connor, wenn er sein Zeugs erzählte.
 

„Ah halt die Klappe“, schnaubte mein bester Freund und griff frustriert nach seinem Glas. Dabei sah er auf und ich hielt den Atem an. Er hatte mich gesehen! Eindeutig! Mich beim Lauschen erwischt. Hastig drehte ich mich um, schnappte mir im Gehen mein Glas und mischte mich in die Menschenmenge. Zur Beruhigung exte ich den Mist und schüttelte mich. Widerlich. Immer wieder schaute ich nach hinten, aber Connor war nirgendwo zu sehen. Auch seine Begleitung nicht. Erleichtert atmete ich aus. War wohl doch nur Einbildung gewesen. Ich brauchte trotzdem eine Weile um zu verarbeiten, was ich gerade erfahren hatte und die grölenden Menschen um mich herum, genauso wie die Rempeleien und die ohrenbetäubende Musik. Connor war also auch unglücklich verliebt und es klang noch weit komplizierter als bei mir. Dazu hatte er irgendwas von seinem Job gefaselt. Mir versetzte es einen Stich das ganze Gespräch noch einmal Revue passieren zu lassen, denn dieser Annabelle, oder wie sie hieß, hatte er ja, laut David, auch sowas Nettes gesagt wie mir. Dabei hatte ich mich so gefreut, als er mir etwas über meine Augen erzählt hatte oder dieses komische Paradiesdings. Sogar an das mit dem Pfirsich konnte ich mich erinnern! Ein Kloß machte sich in meinem Hals breit und ich blinzelte ein paar Tränen weg. Wahrscheinlich hatte er deswegen keine Zeit mehr für mich, nur am Telefon, weil er seinem neuen Freund nachgeiern musste, oder es zumindest versuchen. Ich wollte jetzt heim, auf der Stelle. Das, oder mich trösten lassen. Daher suchte ich Nicky, aber erfolglos. Hier waren einfach zu viele Leute und mir war seltsam schwummrig. Alles drehte sich um mich und ich musste angestrengt blinzeln um überhaupt ein einigermaßen klares Bild vor Augen zu haben. Ich hatte doch nicht so viel getrunken? Mehrmals schüttelte ich angestrengt den Kopf, aber das komische Gefühl wollte nicht weggehen. Dazu kam ein pelziger Geschmack im Mund. Ich hielt auf die Toiletten zu und brauchte auch dafür schon ordentlich lange, weil ich mittlerweile alles doppelt sah.
 

Die Klos waren sehr spartanisch gehalten: Ein paar Pissoirs und Kabinen aus Metall. In eine davon quetschte ich mich und ließ mich auf den Klodeckel sinken. Mein Kopf schmerzte höllisch, so als würde jemand mit einem Hammer draufhauen und mir war schwindlig. Dazu rumorte mein Magen. Was war denn los? Ich hatte doch echt fast nichts getrunken. Alles um mich herum drehte sich wie wild. Was sollte ich jetzt machen? Nicky und Marielle in dem Zustand zu finden war unmöglich. Gerade als ich versuchen wollte aufzustehen, drückte jemand die Kabinentür auf. Ein Kerl, Ende dreißig, Glatze, eher schmächtig, mit Lederjacke und Jeans, versperrte mir meinen Ausweg.
 

„Hier ist besetzt“, murmelte ich konzentriert.
 

„Jetzt schon, ja.“ Er grinste komisch und entblößte dabei eine Reihe gelber Zähne. Dazu fielen mir noch einige Ohrringe auf, die ein wenig klimperten, als er die Kabinentür schloss und absperrte. Hatte der einen Vogel? Hier drinnen war es doch sowieso schon viel zu eng.
 

„Was wird das, wenn es fertig ist?“, wollte ich wissen und hatte Mühe, dass mir meine Augen nicht zufielen.
 

„Das siehst du gleich.“ Der Typ legte seine Finger (die rau und kratzig waren, nicht so fein wie die von Nicky oder Connor) unter mein Kinn und drückte meinen Kopf in die Höhe. Prüfend schaute er mir in die Pupillen und schob meine Hände beiseite, die ich kraftlos nach oben ziehen wollte um ihn zu verscheuchen. Plötzlich hielt er mir den Mund zu und drückte mich mit dem Knie gegen den Spülkasten. Panik stieg in mir auf. Meine Augen weiteten sich, als sich seine freie Hand unter meinen Pulli und mein Shirt schob. Ich war wie gelähmt. Mein Atem beschleunigte sich, bevor ich zusammensackte. Ich wollte mich wehren, konnte aber nicht. Arme und Beine waren zu schwer und ich konnte mich kaum rühren. Einzig ein leises Wimmern brachte ich zustande und nicht einmal das war gut zu hören. Ein Schleier legte sich über meine Augen und ich spürte, wie der Typ am Hosenknopf meiner Jeans herumfummelte. Den Rest hörte ich nur noch.
 

Jemand klopfte gegen die Kabinentür und ich hörte meinen Namen, mehrmals. War das Nicky? Ich versuchte auf mich aufmerksam zu machen, aber der Typ drückte seine Hand noch fester auf meinen Mund. Die Klinke wurde mehrmals nach unten gedrückt, erfolglos. Wieder mein Name. Was ich noch konnte war weinen und das tat ich mittlerweile. Heiße Tränen benetzten meine Wangen, während der Typ weiter an mir herumfummelte. Das war so eklig und ich wollte nicht, dass er mich anfasste. Ich hörte, wie die Tür aufflog und dann, urplötzlich, ließ der Fremde mich los. Er schrie irgendwas und dann gab es einen dumpfen Laut, gefolgt von einem hässlichen Knacken. Ich sah fast nichts mehr, konnte nur Hell und Dunkel unterscheiden. Wieder fasste mich jemand an, dieses Mal aber weitaus sanfter und behutsamer.
 

„Danny?“ Diese Stimme kannte ich.
 

„Connor?“, fragte ich krächzend.
 

„Kannst du laufen?“
 

„I-Ich weiß nicht“, stammelte ich.
 

„Wie kommst du…“ Er brach mitten im Satz ab. „Mit wem bist du hier? Ist Caleb da?“
 

„Nein, nur Nicky und Marielle.“
 

Kurz betretenes Schweigen, das nur ab und an von einem lauten, schmerzverzerrten Stöhnen durchbrochen wurde.
 

„Komm, ich bring dich heim.“ Connor fasste mich am Arm und zog mich in die Höhe.
 

„Nein, sonst wird Caleb böse. Der weiß nicht, dass wir hier sind“, wehrte ich ab und versuchte mich aus seinem Griff zu entwinden. Ich wäre auch hingefallen, hätte Connor mich nicht am Pullikragen gepackt. Mittlerweile sah ich gar nichts mehr. Alles um mich herum war schwarz.
 

„Ich sehe nichts mehr“, versuchte ich panisch zu schreien, bekam aber nicht mehr hin als ein entsetzlich schwach klingendes Keuchen.
 

„Dann müssen wir ins Krankenhaus.“
 

„Nein, dann wird Caleb erst recht böse.“
 

„Schaffst du es, mit mir zum Auto zu gehen?“ Connor klang äußerst besorgt.
 

„Ich glaube nicht.“
 

„Halt dich an mir fest, okay?“
 

„Und Nicky und Marielle?“
 

„Lass das meine Sorge sein.“
 

Connor stützte mich und führte mich, was anderes konnte er auch nicht tun, denn ich war wirklich mehr oder weniger blind, nach draußen. Das Bassdröhnen machte mich fast wahnsinnig und ich glaubte mein Kopf würde zerspringen. Folgsam setzte ich einen Fuß vor den anderen und krallte mich dabei in Connors Hoodie. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis wir in der frischen Luft waren. Wir hielten an und ich schloss die Augen, die sowieso nutzlos waren gerade.
 

„Hörst du mich? Danny? Hörst du mich?“ Connor klopfte gegen meine Wange.
 

„Ja, ja! Ich höre dich! Hör auf zu schreien!“, murrte ich.
 

„Es ist nicht mehr weit bis zum Auto.“
 

„Ich glaube das packe ich nicht mehr.“ Meine Knie wurden weich und ich wäre wieder hingefallen, hätte Connor mich nicht festgehalten. Ich spürte wie sich sein Arm unter meine Kniekehlen schob und er mich in die Höhe zog. Meine Hände fanden Halt in seinem Pulli und ich legte meinen Kopf an seine Schulter, gegen die immer stärker werdende Übelkeit ankämpfend. Wir bewegten uns wieder.
 

„Nicht einschlafen, Danny. Bleib wach“, wiederholte er immer wieder.
 

„Aber ich bin so müde“, murmelte ich und dämmerte fast weg.
 

„Ich weiß, aber bleib wach, wir sind gleich da.“
 

Es war verdammt schwierig gegen die übermannende Müdigkeit anzukämpfen aber ich gab mir größte Mühe. Mittlerweile waren sämtliche meiner Gliedmaßen taub und ich hätte ohne Hilfe nicht mal im Traum stehen können. Ich hörte den Laut der Zentralverriegelung eines Autos und dann das Geräusch einer Autotür. Vorsichtig wurde ich abgesetzt und angeschnallt, sofern ich das richtig mitbekam.
 

„Mama? Ja ich weiß, es ist verdammt spät. Ja, Mama, ich weiß du hast morgen Frühschicht. Hör mir doch bitte mal zu, verdammt noch mal!“ Ich hörte Connor mit schimpfen, das, oder er führte Selbstgespräche. „Mama, bitte, ich habe echt keine Zeit. Einem Freund von mir ist was ins Glas gemischt worden. Ich weiß nicht ob es K.O.-Tropfen waren oder was anderes.“ Telefonierte er? Wahrscheinlich schon, oder? „Nein Mama, wir können nicht ins Krankenhaus, das möchte er nicht.“
 

Ich hörte nur mehr halb zu und versuchte mich zu konzentrieren. Mir war hundeelend zumute. Zumindest kapierte ich jetzt was passiert sein musste: Der eine Kerl hatte mir was in mein Glas gemischt als ich Connor und David beobachtet hatte. Weitergedacht, nein, ich wollte gar nicht weiterdenken. Wieder das Schlagen von Autotüren und dann hörte ich den Motor aufheulen.
 

„W-Was machst du?“, wollte ich wissen und lehnte mich stöhnend gegen die Lehne des Sitzes.
 

„Dich ins Krankenhaus bringen.“
 

„NEIN!“ Das klang erstaunlich bestimmt. „Bitte nicht“, wimmerte ich.
 

„Danny, meine Mutter meint…“
 

„C-Caleb wird böse, ganz böse. Außerdem wird Nicky dann Ärger bekommen.“
 

„Caleb wird nicht böse, versprochen. Nicky wird auch keinen Ärger bekommen. Ich habe David schon gesagt, er soll ihm sagen, dass du bei mir bist.“
 

„W-Wenn ich ins Krankenhaus komme dann fliegt aber auf, dass wir im Club waren. Da dürften wir nämlich noch gar nicht…“ Mir fiel das Sprechen immer schwerer.
 

„Sch, okay. Kein Krankenhaus. Ich bringe dich zu mir. Versuch nur wach zu bleiben, okay?“
 

Ich bekam ehrlich gesagt nichts mehr mit. Nicht, wie Connor wie ein Henker fuhr. Auch nicht, wie er mir immer wieder besorgte, fast schon panische Blicke zuwarf. Einzig das Rütteln an meinem Arm, das mich immer wieder davor bewahrte völlig wegzuschlafen, realisierte ich. Ich merkte kaum, wie er mich abschnallte und aus dem Auto trug. Wie er die Tür aufstieß und mich ins Badezimmer brachte, die Toilettenbrille hochklappte und mich stützte. Was ich dann wieder mitbekam war, dass ich ein komisches Gefühl im Mund hatte und gleich darauf würgen und auch wie ein Reiher kotzen musste. Die ganze Zeit hielt mich Connor fest, in einer leicht nach vorne gebeugten Haltung. Ich stöhnte und wimmerte, aber nach dem Entleeren meines Mageninhaltes ging es mir ein wenig besser. Mittlerweile konnte ich sogar wieder etwas erkennen, wenn auch nur verschwommen.
 

„Bist du fertig?“, fragte er sanft.
 

Ich nickte stumm. Das Brennen in meinem Rachen und der widerwärtige Geschmack hielten mich vom Sprechen ab. Wieder wurde ich getragen und dann auf eine weiche Unterlage gebettet. Connor zog mir den Pulli über den Kopf und auch das Shirt. Als er mich am Bauch berührte, zuckte ich zusammen. Das war genau die Stelle, wo der Typ mich angefasst hatte.
 

„Sch, Danny. Das bin nur ich.“
 

„Lass einfach gut sein“, forderte ich ihn mit noch immer schwacher Stimme auf.
 

„Danny, du hast dich angekotzt. Ich muss dich ausziehen. Ich mache auch schnell, versprochen.“
 

Ich gab meinen Widerstand auf und Connor zog mich aus, bis auf die Boxershorts. Dann wurde ich in ein viel zu großes Shirt gesteckt und mir etwas an den Mund gehalten, während ich in eine sitzende Position geschoben wurde. Ich nippte daran und verschluckte mich sogleich am Wasser. Das Husten tat verdammt weh. Er wischte mir die aufgesprungenen Lippen mit irgendetwas ab.
 

„Wie fühlst du dich?“ Connors Stimme klang noch besorgter als im Club.
 

„Ein wenig besser“, lispelte ich.
 

„Gut. Wir sind bei mir. Ich hoffe du hast das Zeug ausgekotzt. Nach einer Runde Schlaf sollte es dir besser gehen. Was macht das Sehen?“
 

Ich blinzelte und konnte meinen Retter allmählich wieder einigermaßen erkennen. Erst jetzt fiel mir auf, dass seine Nachttischlampe brannte, über die er ein dunkles Shirt geworfen hatte.
 

„Ich kann dich wieder sehen.“
 

„Gut, Danny. Dann schlaf. Ich bin draußen im Wohnzimmer. Mama meinte, du sollst viel trinken.“
 

Als er aufstand griff ich nach seiner Hand und hielt ihn fest. Ich wollte nicht, dass er ging. Nicht nur, weil ich es wahrscheinlich nicht geschafft hätte nach dem Wasserglas zu greifen, sondern, weil ich nicht alleine sein wollte.
 

„Bitte bleib.“
 

„Das halte ich für keine gute Idee. Ich bin doch nicht weit weg“, wiegelte Connor ab, machte aber keine Anstalten zu gehen.
 

„Bleib einfach. Ich…“ In meinen Augen brannte es und ich weinte stumm. Die Bilder von vorhin kamen jetzt mit aller Macht hoch. Um Haaresbreite hätte der Typ sich an mir vergangen und ich hätte nichts machen können. Ich fühlte mich so hilflos und schmutzig und schwach. Connor zögerte einen Moment, ehe er nickte und sich dann auszog. Von irgendwoher fischte er eine Trainingshose und ein weißes, ausgeleiertes Shirt, bevor er sich zu mir legte.
 

„Darf ich dich anfassen?“, fragte er vorsichtig und ich nickte noch immer weinend.
 

Seine Arme schlossen sich sanft um meinen Oberkörper und er zog mich behutsam an sich. Ich konnte seinen warmen Atem in meinem Nacken spüren und auch das Streicheln über meine Brust.
 

„Sch, alles okay, Danny. Ich bin ja da.“
 

Nach einer Weile hatte ich mich wieder so weit gefangen, dass ich einigermaßen sprechen konnte.
 

„Was hast du mit dem Typen gemacht?“, wollte ich wissen.
 

„Die Nase gebrochen, denke ich.“
 

„Bekommst du dann keinen Ärger?“
 

„Denke nicht. War ja Notwehr oder Nothilfe.“
 

„Danke“, murmelte ich und schmiegte mich an meinen Retter.
 

„Das musst du nicht. Es tut mir leid, Danny“, hauchte er mir ins Ohr.
 

„Was denn?“, fragte ich verwirrt.
 

„Dass ich nicht früher da war. Dass dein Ritter von deiner Seite gewichen ist. Ich hätte dich beschützen müssen.“
 

„Ich hab dich lieb, Connor.“
 

„Ich dich auch, Danny. So sehr.“
 

„Ich glaube auch, dass du deinen Liebsten bald in Händen halten wirst, so wie du bei mir und Nicky glaubst. Der hat dann einen ganz tollen Freund.“
 

„Ach, Danny“, seufzte Connor und ich konnte dabei hören wie er lächelte. Dann spürte ich seine Lippen und seine Nase auf und in meinen Haaren. „Wenn du es nur verstehen könntest.“

Ich schloss die Augen und dämmerte weg, was Connor tat oder sagte, hörte ich nicht mehr.
 

„Fast wäre ich zu langsam gewesen. Fast hätte ich dich verloren. Du wolltest doch wissen, was mir der Geist von Tai-Kui zeigt.“ Er beugte sich über mich und schaute mich traurig an. „Dass du gehst. Dass du dich von mir abwendest. Verschwindest, mit einem anderen. Meine größte Furcht ist, dass ich dich unglücklich mache. Das ist es, was mich zerreißen würde. Darum darf ich nicht, dir nicht sagen, was ich wirklich empfinde, fühle.“ Damit drückte er mir einen Kuss auf die Stirn und ich seufzte wohlig im Schlaf auf. „Ich liebe dich, mehr als Odysseus seine Heimat. Was gäbe ich dafür, wenn auch du so empfinden würdest?“ Connor strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und ließ sich ins Kissen zurücksinken. Jetzt war er es der weinte und dass weitaus bitterer als ich.



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