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Nachhilfe

von

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Ich saß gerade wieder über meinen Hausaufgaben (von denen wir erstaunlich viele bekamen in letzter Zeit) als Caleb in die Küche kam und mir einen schwer zu deutenden Blick schenkte. Auf mein fragendes Gesicht schnaubte er nur abfällig.
 

„Was ist denn?“ Wenn er schon nicht mit der Sprache rausrückte dann musste eben ich nachbohren.
 

„Dein Freund kommt wohl gleich mit seiner Schwester vorbei“, wobei er „Freund“ äußerst abwertend betonte.
 

„Wirklich?“ Meine Stimme überschlug sich fast. Das würde eventuell Nachhilfe bedeuten und mich von dieser Qual in meinem Heft erlösen.
 

„Du freust dich ein wenig zu sehr für meinen Geschmack, Danny.“
 

Ich streckte Caleb die Zunge raus und musste dem Drang widerstehen meine Nase gegen die Fensterscheibe zu pressen und am besten noch die Hände mit dazu.
 

„Wenn sie nicht gut zahlen dann…“
 

„Was dann, Caleb? Sei nicht immer so, so“ – ich suchte das richtige Wort dafür – „so negativ!“
 

„Das hat mit Negativität nichts zu tun. Er riecht nach Ärger und Problemen, wahrscheinlich auch seine Schwester.“
 

„Du kennst Olivia doch noch nicht einmal und Connor nur ganz flüchtig!“, verteidigte ich meinen neuen Nachhilfelehrer energisch.
 

„Das was ich gesehen habe hat mir gereicht.“ Der Unterton in Calebs Stimme signalisierte mir, dass dieses Gespräch beendet war. Ich gab mich geschlagen. Wenn er so auf stur schaltete konnte niemand etwas an seiner Meinung ändern. Ich glaube nicht einmal Nicky war dazu imstande.
 

Der gelbe Porsche bog gut eine halbe Stunde später auf den Hof ein und wurde von Leo bereits freudig bellend erwartet. Gleiches galt für mich. Ich hatte bei den ersten Anzeichen unserer Gäste bereits meine Schuhe an und stürzte nach draußen. Connor kraulte Leo das Fell ordentlich durch, während sich ein Mädchen zu ihm gesellte. Das musste Olivia sein: Sie hatte schulterlanges, zu einem Zopf geflochtenes, schwarzes Haar, braune Augen und blasse Haut. Ein schwarz-weiß gestreiftes T-Shirt unter einer Jeansjacke und eine schwarze Hose samt passenden Sneakers rundeten das Bild eines Mädchens in meinem Alter ab, das wahrscheinlich zu den beliebteren Exemplaren ihrer Klasse gehörte. Connor trug heute ein grau-schwarzes Knopfshirt, locker sitzende Jogginghosen und die Sneakers vom letzten Mal.
 

„Hallo Leo“, spielte er mit dem Zottelbock, der ihm bereits das Oberteil vollgesabbert hatte.
 

„Hi, Connor!“, machte ich auf mich aufmerksam und grinste breit.
 

„Hey, Danny!“, grüßte er zurück.
 

„Du bist also Danny“, unterbrach das Mädchen unsere Begrüßung. Sie kam lächelnd auf mich zu und bot mir ihre Hand an. „Mein Bruder hat mir schon viel von dir erzählt. Ich bin Olivia. Freut mich dich kennenzulernen.“
 

Ich schüttelte die angebotene Hand und lächelte zurück: „Hey, freut mich. Hat er das?“
 

Sie nickte bekräftigend. „Hat er, ja.“
 

„Nur Positives“, meldete sich Connor aus dem Hintergrund zu Wort, gab sich dann aber gleich wieder Leo hin.
 

„Na hoffentlich“, grinste ich. „Du suchst also einen Unterstellplatz für dein Pferd?“
 

„Ja, mehr oder weniger. Also mir wäre der alte Platz schon lieber, aber das Unwetter vor einem Monat hat das Stalldach abgedeckt und die Reparaturen dauern noch eine kleine Ewigkeit. Bis dahin bräuchte ich zumindest eine Übergangslösung. Ich möchte Achilles nicht irgendwo versauern lassen und Connor meinte, sein Freund hätte gesagt, dass ihr euch gut um die Pferde kümmern würdet.“
 

Meine Augen verengten sich ein wenig. Das hatte Magnus gesagt? Wohl kaum. Entweder eine Lüge oder er wollte schleimen oder Connor wollte schleimen. Letzteres schloss ich aber aus: Dafür wirkte er zu nett.
 

„Achilles?“, fragte ich ein wenig verwirrt nach.
 

„Die Idee meines Bruders.“ Olivia rollte mit den Augen.
 

„Zier dich nicht so, Olivia. Achilles war einer der bedeutendsten Helden Griechenlands. Sein Pferd nach so einer Berühmtheit zu benennen muss Glück bringen! Außerdem war er nur an seiner Ferse verwundbar. Wenn das auch mal auf deinen Schatz zutrifft, dann…“ Ihr Bruder ließ den Satz mit einem feixenden Gesichtsausdruck offen.
 

„Kann nicht jeder so ein Freak sein wie du und sich für diesen Schwachsinn interessieren.“
 

Ich musste unweigerlich grinsen. Das erinnerte mich stark an Caleb und mich, wenn er denn mal gute Laune hatte. Gut ich war nicht so frech wie Olivia und Caleb grinste nicht so wie Connor, aber es war übliches Geschwistergezanke. Apropos, wo wir gerade von Geschwistern sprechen; meines kam gerade durch die Tür und musterte sowohl Olivia, als auch deren Bruder, mit einem äußerst uncharmanten Blick.
 

„Und du musst dann Caleb sein“, stellte die Schwarzhaarige fest und hielt Caleb die Hand hin. Dieser zögerte einen Moment bevor er sie ergriff und schüttelte.
 

„Freut mich dich kennenzulernen. Danke, dass ich überhaupt einmal schauen darf. Ich nehme an, ich mache mir das alles mit dir aus?“
 

„Richtig“, stellte Caleb fest und warf mir einen „Wage es ja nicht dich einzumischen“-Blick zu.
 

„Kannst du mir dann einmal alles zeigen? Connor kann sich ja inzwischen zur Abwechslung mal nützlich machen und deinem Bruder Nachhilfe geben.“ Olivia grinste breit und sogar Caleb hob kurz die Mundwinkel an. Höflich bedeutete er ihr in Richtung Stall vorauszugehen.
 

„Dein Bruder liebt mich heiß und innig, was?“

Connor kam in Begleitung von Leo zu mir und versuchte sich dabei den Hundesabber vom Shirt zu wischen.
 

„Ach das ist bei Caleb normal. Denk dir nichts!“
 

„Herzallerliebst. Gut, dass ich bei Magnus´ Geburtstagsfeier nicht dabei war. Wenn er da auch so fröhlich dreingeschaut hat, na dann Gute Nacht.“
 

Ich stutzte einen Moment und lachte dann lauthals. Im Nachhinein betrachtet hatte er sich tatsächlich so verhalten. Zumindest ansatzweise griesgrämig. Gut, die Party war auch absolut langweilig gewesen und Nicky hatte es geschafft scheiße zu bauen, aber da waren sie ja auch noch nicht zusammen und mein Bruder einfach nur genervt gewesen. Also Nicky mit Caleb, nicht Caleb und Magnus. Die waren ja zusammen. So irgendwie.
 

„Die gute Laune der Familie hast wohl du geerbt, hm?“
 

„Ein bisschen vielleicht. Caleb ist eigentlich total nett und lieb, wenn er jemanden mag.“
 

Nun das war ein wenig geflunkert. Meinen Bruder als umgänglich zu beschreiben wäre sehr übertrieben gewesen. Ich kannte ihn aber nicht anders und mir gegenüber verhielt er sich normalerweise nicht so. Für mich war Caleb beinahe der tollste große Bruder, den man haben konnte. Beinahe.
 

„Ich glaube du bist viel zu nett, Danny. Macht dich sympathisch.“ Connor zerstrubbelte mir, unter einem heftig kichernden Protest meinerseits, die Haare.
 

„Lass das“, maulte ich gespielt beleidigt. „Sonst mache ich das bei dir auch!“
 

„Schon gut, schon gut. Nicht, dass du mich am Ende mal böse anguckst. Einer reicht mir.“ Seine Mundwinkel zuckten und ich musste ich zusammenreißen nicht erneut loszulachen. Das alles sollte Caleb besser nicht hören.
 

„Hast du Hausaufgaben?“
 

„Ja, leider.“
 

„Na dann schauen wir mal.“
 

Connor tat mir zwar nicht den Gefallen, mir einfach anzusagen was ich machen musste (wieder mal Englisch, hurra), aber er half mir mit den Formulierungen. Das war zäh und anstrengend, schien aber ganz gut zu funktionieren. Ich kapierte sogar ein wenig von dem Mist, den ich da ins Heft kritzelte.
 

„Studierst du eigentlich Englisch?“, fragte ich ihn beiläufig.
 

„Nein. Sport und Philosophie“, war seine Antwort während er mit dem Finger auf einen kriminell klingenden Satz zeigte.
 

„Klingt langweilig.“
 

„Was davon?“
 

„Beides?“, sagte ich frech.
 

„Dachte ich in deinem Alter auch. Sport war mehr so, hm, keine Ahnung, hat sich halt angeboten. Philosophie aber nicht. Das war ein Wunsch.“ Connor hob die Mundwinkel an. „Es ist sogar ganz cool, glaub mir.“
 

„Es ist absolut öde, oder?“, vermutete ich.
 

„Kommt drauf an. Zieht bei den Mädels ganz gut.“ Das klang ein wenig zu nebensächlich, so als hätte er über das Wetter gesprochen.
 

„Aha und wie?“ Mir war da nämlich eine Idee gekommen.
 

„Was meinst du und wie?“ Er sah von meinem Heft auf und legte ein wenig den Kopf schief.
 

„Wie machst du das denn? Ich meine, was machst du, damit es den Mädchen gefällt?“
 

Connor überlegte kurz und rückte dann mit dem Stuhl näher zu mir heran. Die Finger seiner rechten Hand legte er unter mein Kinn und zwang mich ihn mit sanfter Gewalt anzusehen. Seine Augenlider wanderten ein wenig nach unten und er setzte einen verträumten Gesichtsausdruck auf.
 

„Ich habe noch nie so etwas Schönes und Faszinierendes wie deine braunen Augen gesehen. Sie besitzen den Ausdruck eines scheuen Rehs, dem man die Süße von Schokolade und einen Hauch Bitterkeit beigemengt hat. Eine perfekte Komposition, einmalig, unbegreiflich, bezaubernd. Ich könnte mich stundenlang darin verlieren und würde am Ende nicht eine Sekunde davon bedauern, denn es war ein Blick in deine Seele. Hätte ich noch einen allerletzten Wunsch frei, so würde ich mich ein letztes Mal darin sehen wollen, bevor ich diese Welt verlasse. “
 

Ich brauchte einen Moment, um begreifen was er meinte, dann glühten meine Wangen seltsam auf. Ich kapierte zwar nicht alle seine Worte, aber sie klangen, in Kombination mit dieser weichen sanften Stimmlage, die er angeschlagen hatte, wunderschön.
 

„Ähm, danke“, murmelte ich verlegen und räusperte mich, damit meine Stimme wieder einen normalen Ton annahm.
 

„So ungefähr funktioniert das. Wenn sie dann noch ein wenig betrunken sind, und nicht gerade komplett ungebildete Analphabeten, muss man die Nummer mit „Ich würde für dich sogar einen Drachen erlegen“ oder „dein ebenholzschwarzes Haar hätte sogar Schneewittchen vor Neid erblassen lassen“ nicht auspacken. Das ist außerdem zu seicht, billig, abgekupfert.“
 

Connor ließ mich los und wandte sich wieder dem Heft zu. Ich blinzelte perplex und mein Herz pochte noch immer ein wenig schneller. Hatte er das mit den Komplimenten ernst gemeint? Schien nicht so, denn er schenkte mir keine weitere Beachtung. Ein Knoten machte sich in meiner Brust breit. Das war wohl nur ein Beispiel gewesen. Niederschmetternd.
 

„Sehen wir zu, dass wir fertig werden. Olivia lange warten zu lassen gleicht Selbstmord.“
 

Er tat wirklich so als wäre nichts gewesen. Meine Lippen zitterten ein wenig und ich begann wieder in mein Heft zu schreiben.
 

„Und das funktioniert?“, fragte ich nach einer Weile des Schweigens, das nur ab und an von meinem Nachhilfelehrer und dessen Instruktionen unterbrochen wurde.
 

„Hm? Was funktioniert?“ Er schaute mich verwirrt an.
 

„Na dieses Augendings von vorhin?“
 

„Ach so. Ja, schon. Wie gesagt, dafür sind nicht alle empfänglich, aber meist zieht es. Warum? Willst du deine Freundin damit beeindrucken? Oder deinen Schwarm?“ Connors Mundwinkel zuckten verräterisch.
 

„Ähm, so in der Art vielleicht?“
 

„Hach, ist das süß. In deinem Alter ist das ein wenig schwierig, aber solche Komplimente zeugen eigentlich davon, dass du dir Gedanken machst und nicht irgendeinen 0815-Scheiß aus dem Netz ziehst und vorliest.“ Er legte einen Arm um meine Schulter und schenkte mir ein strahlendes Lächeln. „Soll ich dir helfen? Ich meine, so ganz unverbindlich.“
 

„Ich weiß nicht…“, murmelte ich verlegen. Im Nachhinein klang das nach keiner so guten Idee.
 

„Überlegs dir einfach. Natürlich musst du es dir selbst überlegen, sonst wäre es ja nicht von dir, aber so ein Hauch von Romantik kann oft das Zünglein an der Waage sein.“
 

„Das Zünglein an der Waage“ echote es in meinem Kopf. Was Connor jetzt noch plapperte blendete ich vollends aus. Das war etwas, das Caleb sicher nicht konnte. Nicky war zwar kein Mädchen und wahrscheinlich würde er es blöd finden, aber es würde ihn sicher auch zum Nachdenken anregen. Vielleicht war das ja meine Chance? Konnte ich damit das Ruder herumreißen?

Ein Handyklingeln riss mich aus meinen Gedanken und unterbrach Connors Redeschwall. Er rollte mit den Augen und seufzte leise.
 

„Kleine Schwestern sind sowas Nerviges. Sogar zu faul ihren Hintern herzubewegen.“
 

Connor stand auf und klopfte mir auf die Schulter: „Wir sind ja soweit fertig. Ich will sie nicht länger als nötig warten lassen, sonst reißt sie mir den Kopf ab.“ Er zwinkerte mir zu. „Nur Mut. Mach dir mal ein paar Gedanken und ich helfe dir dann, okay?“
 

„Okay“, ging ich halbherzig auf das Angebot ein.
 

„Wenn sie weiß was gut ist, wird sie dir spätestens nach einem Hauch von Poesie verfallen sein. Versuch sie einfach in deine Augen sehen zu lassen. Sie haben wirklich etwas Anziehendes.“
 

Schon, nur war meine Sie keine sie, sondern ein Er. Das würde das Ganze wohl etwas verkomplizieren. Moment mal: Was hatte er da eben gesagt?
 

„Meinst du das ernst?“
 

„Natürlich, sonst hätte ich es nicht gesagt, oder?“, zwinkerte Connor und winkte zum Abschied. „Man sieht sich.“
 

Ich blieb in meinem Stuhl sitzen und dachte nach. Meine Wangen glühten wieder und irgendwie freute ich mich, denn indirekt hatte Connor mir gesagt, ich sei wohl doch eine gute Partie. Kein kleines Kind, wie mich Caleb und Nicky öfter hinstellten. Ich hatte wunderschöne Augen. Augen, in denen man sich verlieren konnte! Hätte nur Nicky das gesagt. Meine Freude verflog und machte Trübsal Platz.
 

„Du siehst ja aus als hättest du einen Geist gesehen.“
 

Das zweite Mal heute, dass ich so sehr in Gedanken versunken war. Das war normalerweise gar nicht meine Angewohnheit. Caleb starrte mich fragend an und deutete auf meine quer über dem Küchentisch verstreuten Sachen: „Bist du fertig? Wenn ja, dann räum auf. Wird bald Zeit fürs Abendessen.“
 

„Lässt du Olivia ihr Pferd unterstellen?“, fragte ich und sortierte alles in meinen Rucksack hinein.
 

„Mh“, brummte er und stellte eine Pfanne auf den Herd.
 

„Wirklich?“, fragte ich freudestrahlend. Das bedeutete mehr Gesellschaft für mich! Olivia wirkte nämlich auch ganz nett, sofern man das innerhalb von fünf Minuten beurteilen konnte. Ich konnte das!
 

„Sie scheint ganz vernünftig zu sein, im Gegensatz zu ihrem hochnäsigen Bruder, und sie zahlen gut. Ihr Pferd soll auch problemlos sein.“ Er zuckte mit den Schultern und schlug ein paar Eier in die bereits vor sich hin brutzelnde Pfanne.
 

„Ist er gar nicht!“
 

„Ist er sehr wohl. Er glaubt, nur weil er ein teures Auto fährt und studiert, dass er jemand ist, zu dem man aufschauen muss.“
 

„Das stimmt gar nicht! Zu mir war er immer lieb und nett!“ Fast hätte ich ihm noch gesagt, dass ich laut Connor wunderschöne Augen hatte, aber das wäre komisch rübergekommen.
 

„Du bist 15, Danny. Das kannst du einfach noch nicht so beurteilen wie ich.“
 

„Ich bin fast 16!“, konterte ich.
 

„Ja, das ändert aber auch nichts. Und jetzt iss, sonst wird es zu spät für die Stallarbeit.“
 

Damit stellte er mir einen Teller mit Rührei hin. Wenn der wüsste! Ich hatte jetzt so etwas wie einen Plan.



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