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Spiel ohne Limit

von

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"Herr Kaiba? Tenma Yoshiba ist auf Leitung zwei. Es geht um die Werbekampagne, die nächsten Monat starten soll. Möchten Sie, dass ich durchstelle?" Aus den Lautsprechern der Freisprechanlage drang die fiepende Stimme seiner Sekretärin durch, dass Kaiba kurzerhand die Augen verleierte.

"Haben Sie vergessen, dass ich nicht gestört werden wollte?!", sein Ton ließ keine Widerworte zu.

"Nein, Herr Kaiba, aber-"

Wenn er dieses Wort schon hörte…ihm stellten sich sämtliche Nackenhaare auf.

"Wenn er die Details abklären will, soll er am Montag wieder anrufen", seine Stimme war so gefühllos wie die Maschine, mit der er sprach.

"Ich richte es ihm aus", entgegnete sie kleinlaut und kappte die Telefonverbindung zwischen sich und dem jungen Firmenchef.

Seto Kaiba tat einen tiefen Seufzer und tippte weiter auf seinen Rechnern herum. Sich auf zwei Bildschirme gleichzeitig zu konzentrieren und sich dabei auch noch ständig am Telefon wiederholen zu müssen, war nicht gerade die Beschäftigung, die er sich für einen Freitagvormittag (oder überhaupt) vorgestellt hatte. Aber die finalen Endrunden standen kurz bevor. Wichtige Schritte mussten getätigt, letzte Anweisungen erteilt werden. Ohne Kaibas Vorkehrungen, seine Technologie, ja sogar seine Präsenz, wäre der Worldcup nicht das große Ereignis, das es seit vielen Jahren war; es wäre bloß ein verstaubtes Event, eine Kür der Langeweile, um die Besten unter sich zu bestimmen. Das wusste der junge Firmenchef und wenn er ehrlich war, genoss er die Abhängigkeit, die er der Kommission durch seine Technik aufgezwungen hatte.
 

Seine Augen wanderten über die Zeilen. Er kam schnell voran. Hauptsächlich, weil er noch andere Pläne hatte: Auf dem zweiten Bildschirm hatte sich ein Verlaufsprotokoll geöffnet, das ihm seine KI in regelmäßigen Abständen aktualisierte. In seinem Blick spiegelte sich der Frust der letzten Wochen wider.
 

Er war noch kein Stück weitergekommen. Die beste Technologie, das beste entwickelte Equipment - und trotzdem kam er nicht drauf, was er übersah; was bloß ihr Geheimnis war.
 

Ein Klopfen lenkte ihn kurzzeitig ab. Seine Sekretärin erschien im Zimmer, hielt ihm ein halbes Dutzend Zettel vor die Nase, die der junge Firmenchef zu unterzeichnen hatte. Ohne von seinem Rechner aufzusehen, gab er jedem einzelnen Wisch seine Signatur und gab anschließend mit einem Wink zu verstehen, für den Rest des Tages allein sein zu wollen. Mitsuki verbeugte sich. Aus dem Augenwinkel konnte er die junge Blondine beobachten, wie ihr Blick kurz auf ihm und schließlich an der Uhr über der Tür hängen blieb. Vermutlich erhoffte sie sich, heute einmal früher nach Hause zu kommen. Die letzten Tage hatte der junge Firmenchef zusätzliche Aufgaben zu verteilen gehabt, dass Mitsuki erst nach siebzehn Uhr aus der Firma gekommen war. Dass sie ihn nicht fragte, ob sie denn früher Schluss machen könnte, hatte zwei Gründe: zum einen wusste sie, dass Kaiba seine Angestellten nie früher nach Hause schickte und zum anderen war ihr erster und einziger Versuch damals gründlich nach hinten losgegangen. Es war noch während der sechsmonatigen Kündigungsfrist, die Blondine hatte etwas eher Feierabend machen wollen und war bei dem Versuch, kokett und aufreizend zu wirken, kläglich gescheitert. Seto, der die Ereignisse damals mit einer Verwarnung auf sich beruhen lassen hatte, hatte Mitsuki nur aus einem Grund nicht hochkant aus seiner Firma geworfen - obwohl er solch ein Verhalten nicht tolerierte, missfiel es seinem Ego weniger, wenn er von Zeit zu Zeit umgarnt wurde. Mehr aber auch nicht. Mitsuki konnte froh sein, dass Kaiba damals mitten im Grand Championship gesteckt hatte und mit Zigfrieds Hirnschmalz beschäftigt gewesen war, dass er sich mit dem Fehlverhalten seiner Mitarbeiterin nicht rumärgern wollte. Die Warnung, die er nach dem Ereignis ausgesprochen hatte, war bei der Blondine definitiv angekommen. Seitdem hatte es keinen weiteren Vorfall gegeben. Sie würde sich wohl auch in Zukunft hüten, den jungen Firmenchef ein zweites Mal um etwas zu bitten. Die Blondine konnte es nicht wissen, aber Kaiba hatte nichts übrig für diese Stereotype Sekretärinnen-Boss-Beziehung, die ihm mehr wie ein billiges Rollenspiel vorkam - und Kaiba stand nicht auf Rollenspiele. Genau aus dem Grund hatte er sein weibliches Personal auch immer nach einem bestimmten Kriterium ausgewählt. Prinzipiell hielt Kaiba nichts von Beziehungen am Arbeitsplatz. Daran hatte sich der junge Firmenchef stets gehalten.

Bis…
 

Sobald die Bürotür zugefallen war, ging sein Blick über das Tablet, das seit einigen Stunden neben seinem Berg an Papieren lag. Im Wechsel zeigte der Bildschirm die Schlagzeilen der letzten Tage. Wie angeordnet war seine Duellantin in allen Medien Thema Nummer eins. Das Investieren hatte sich gelohnt - der Umsatz der Kaiba Corporation war in den letzten Wochen um 0,2% gestiegen. In der kurzen Zeit ein Rekordgewinn. Das hatte bisher keiner seiner Duellanten geschafft. Rin war zu einer richtigen Vermarktungsmaschine geworden; überall, wo die junge Frau auftrat, steigerte es die Verkaufszahlen seiner DuelDisc und die seiner Tickets auf Kaibaland. Die Aufmerksamkeit, die sie auf seine Firma projizierte, war so hoch wie seit Jahren nicht mehr. Ihre öffentlichen Auftritte verfehlten ihre Wirkung nicht, der Besuch in einem der wichtigsten Late Night Sendungen des Landes hatte Rin wieder einmal tadellos über die Bühne gebracht - wenn ihm der Anblick seiner Duellantin auch überhaupt nicht gepasst hatte. Was hatte sich Maki nur dabei gedacht?!
 

"Wegen der plötzlichen Terminänderung mussten wir auf Frau Yamamoris Kleiderschrank zurückgreifen…"

Kurz hatte Kaiba geglaubt, er hätte sich verhört gehabt. Wenn er sich vorstellte, dass sie des Öfteren so herumlief…in Gegenwart anderer…
 

Er wischte über den Bildschirm, dass das Bild der jungen Frau, wie diese keck in die Kamera blickte, gegen ein weitaus unschuldigeres Foto ausgetauscht wurde.

Es lag nicht daran, wie sie ausgesehen hatte. Keinem Mann würde dieser Anblick nicht gefallen - und genau da lag das Problem. Es löste etwas in ihm aus, sobald er daran dachte, dass das halbe Land sie so zu Gesicht bekommen hatte.

Tiefe Falten entstanden auf seiner Stirn. Das Bild hatte er zwar vom Bildschirm verbannen können, aber nicht aus seinem Kopf.

Von wegen, sie wäre zurückhaltend! Diese Frau war längst nicht mehr so unscheinbar, wie sie einem vorgespielt hatte…

Kaiba hielt inne.

Unscheinbar

Er starrte auf seinen Rechner.

Vielleicht-

Er hämmerte auf seiner Tastatur herum, bis das Verlaufsprotokoll um weitere Daten erweitert wurde.

Ich habe mich bisher nur auf die offiziellen Logins versteift. Was, wenn es aber eine Möglichkeit gibt, sich unbemerkt anzumelden.

Seine Augen wanderten über die Zahlenfolge. Ein bestimmtes Datum vor Augen, ließ er diese zu winzigen Schlitzen verengen.
 

Er hatte sich ablenken lassen. Zwei der Login-Daten hatten nicht ins Bild gepasst. Das eine Mal unmittelbar nach ihrer zweiten virtuellen Session. Und ein weiteres Mal kurz nach dem Nullspiel gegen Zigfried und Hacharui. Beide Male war die DuelDisc weit nach Mitternacht aktiv gewesen, ohne dass sein System ein Duell aufgezeichnet hätte. Wenn er davon ausging, dass Yamamori die DuelDisc willkürlich eingeschaltet und sein System mittels Gehirnströmungen Informationen aufgezeichnet hatte, könnte dies - wenn er alle Möglichkeiten, so ubskus sie erscheinen mögen, in Betracht zog - eine Erklärung auf den versteckten Raum sein. Die Erinnerungen, in die Kaiba damals Einblick erhalten hatte, überschnitten sich mit den Anmeldedaten, dass er seine Aufmerksamkeit auf die entsprechenden Zeitabschnitte gelenkt hatte. Nur hatte seine Hypothese einen entscheidenden Haken: die verdächtigen Logins und die dazugehörigen Erinnerungssprünge - sie verliefen nicht linear, nicht in der stetigen Abfolge >Login-Session-Login<, dass Seto schon länger bemerkte, in einer Sackgasse festzustecken.
 

"Mika", sagte er, ohne die Datensätze aus den Augen zu lassen, "wir erweitern unsere Suche. Gehe sämtliche Zeitabschnitte durch, in denen Yamamori nicht in das System eingeloggt war. Ich glaube, wir haben es mit einem Ghost-User zu tun."

"Bestätigt. Ich starte die Überprüfung."

Zwei weitere Fenster öffneten sich. Kaiba schloss indes die Seite mit den Plänen für den Worldcup. Er war jetzt definitiv fertig mit seiner Arbeit! Der andere Bildschirm begann zu blinken und Kaiba konzentrierte sich einzig auf das Ergebnis seiner Überprüfungen.

"Sie haben recht. Die Login-Daten von Rin Yamamoris DuelDisc wurden an mehreren Tagen nicht erfasst. Die Messwerte lassen den Schluss zu, dass sich die DuelDisc im Standby Modus selbst eingeschaltet haben muss. Der Login fand ohne den Fingerabdruckabgleich statt..."

"Du meinst, das System hat Yamamori eingeloggt? Obwohl die DuelDisc abgeschaltet war?" Kaiba stützte sich mit dem Ellenbogen am Schreibtisch ab und verhakte die Finger ineinander. Langsam bekam er ein Bild von dem Ganzen - und das Ergebnis gefiel ihm ganz und gar nicht. "Das neuentwickelte System funktioniert über Solid Vision, das mittels Gehirnströmungen umgesetzt wird…meinen Gehirnströmungen." Oder zumindest durch eine Kopie seines Gehirns. Wenn auch Yamamori in der Lage war, die holographische Technik ebenfalls für sich zu nutzen, erklärte das noch lange nicht das Ausmaß der Berechtigung, die ihr das System offensichtlich ausgehändigt hatte. Was hatte das alles nur zu bedeuten? Er sprang von seinem Bürostuhl auf. Mittels der Freisprechanlage ordnete er seine Sekretärin an, nicht gestört werden zu wollen - und das für den Rest des Tages. Kaum von dem Knopf gelassen, stürmte er auch schon davon - zu seinen geheimen Anlagen, dem einzigen Ort, an dem er Antworten erhalten konnte.
 

Er machte sich nicht einmal die Mühe, Vorkehrungen zu treffen. Sein Kopf war seinen Handlungen bereits mehrere Schritte voraus. Kaiba setzte sich den Helm auf, wies das Programm an, dass es starten sollte und befand sich nach einigen Sekunden bereits im virtuellen Raum.

Der Weg zur Hütte kam ihm bereits so vertraut vor, dass er sich nicht einmal mehr orientieren musste, als er auch schon vor dem Haus stand, dass ihm mit jedem Mal mehr wie eine Provokation erschien. Ohne Umschweife hinein marschiert, stand er mitten im Flur, der ihm heute viel heller und freundlicher erschien. Was für eine Farce!

Vorbei an dem schwarzen Magier, der ihm finstere Blicke hinterher warf, lief er direkt ins Wohnzimmer.
 

Er hatte bereits den Trick mit dem schwarzen Magiermädchen angewandt. Wie Rin gesagt hatte: nachdem der schwarze Magier besiegt war, tauchte unmittelbar ein zweites Hexermonster auf - der Magier des schwarzen Chaos; größer und stärker als sein Vorgänger hatte er mittels Zauberkarte einen Powerschub von tausend zusätzlichen Angriffspunkten. Das Ganze erschien Kaiba selbst wie eine schlechte Rückblende seiner eigenen Duelle gegen Yugi Muto. Der Kleine mit der Stachelfigur hätte wohl etwas ähnliches vorgebracht - bloß mit weitaus mehr Raffinesse und einer weiteren Zauber- oder Fallenkarte als Trumpf. Kaiba erwischte sich dabei, wie er Yugis Strategien eine gewisse Brillanz zugestand und setzte mit eisiger Miene das Duell gegen den Chaosmagier fort. Sobald dieser aus dem Weg geräumt war, ging alles ganz schnell. Er brauchte sich lediglich an Rins Anweisungen halten, als auch schon der zweite schwarze Magier vernichtet war. Danach brauchte er nur noch die Tür öffnen. Was sich dahinter befand, hatte ihn doch verblüfft. Dies schien eine Nachbildung ihrer Wohnung zu sein. Er lief durch ein Zimmer, dass ihm nur verschwommen präsentiert wurde. Trotzdem war es als Wohnzimmer und improvisierte Schlafgelegenheit zu erkennen. CD's lagen auf dem Boden, die Bettdecke hing quer über der Sofalehne. So ein buntes Chaos hatte er Rin nicht zugetraut. Irgendwie ernüchternd, wie er feststellen musste. Bis er weiter lief. Durch eine klarer dargestellte Küche, welche die finanzielle Lage der beiden Frauen perfekt darstellte. Die Möbel schienen bunt zusammengewürfelt worden zu sein, an den Ecken fanden sich bereits starke Gebrauchsspuren - sicher hatten sie die Möbel aus zweiter Hand erstanden. Kaiba konnte sich vorstellen, dass Yamamoris damaligen Aushilfsjobs zu keinem wirklichen Lebensstandard ausgereicht hatten. Soweit er informiert war, hatte Rin auch noch ihre Studentenfreundin auszuhalten. Luxus würde er also hier vergeblich suchen.

Er ging weiter und öffnete die nächste Tür. Perplex starrte er auf Rin Yamamori, die am Ende des Zimmers auf dem Bett saß. Mit angewinkelten Beinen war sie von dutzenden DuelMonsters Karten umgeben. Die junge Frau trug rote Short mit Spitzenansatz, sowie ein passendes Top - vermutlich die Sachen, die sie zum Schlafen trug. Sie schien den jungen Firmenchef nicht zu bemerken, und nach einigen Augenblicken begriff Kaiba, dass er in diesem Raum nicht für sie existierte. Und selbst wenn, sie war so in ihre Karten vertieft, dass sie ihn auch dann nicht bemerkt hätte, selbst wenn sie echt gewesen wäre.

Sein Blick huschte einmal über die Gegenstände im Zimmer. Dieser Raum war so klar abgebildet, dass er sich sogar die einzelnen Fotos in den Regalen ansehen konnte. Dann sah er wieder zu Rin. Ihre eigenen Seelenspiegel verschlangen die Karten. Er sah den weißen Drachen, sein geliebtes Monster, sowie eine Reihe weiterer seltener Exemplare - darunter eine, die er zum ersten Mal in Natura erblickte (wenn er denn dies als Realität betrachtete). Doch egal, wie oft sein Blick zu den Karten wanderte, er blieb immer wieder bei der jungen Frau hängen - ihren langen, schmalen Beinen, die sich hin und her bewegten, während sie über eine neue Strategie zu grübeln schien. Es fiel ihm schwer, nicht auf diese leicht bekleidete Frau zu starren, die einen viel zarteren Körper hatte, als ihre alltägliche Aufmachung oft zu überspielen versuchte.

Reiß' dich zusammen. Starrst du jetzt schon Hologrammen hinterher?!

Seine Augen konzentrierten sich auf die Karten. Die Art, wie sie diese auf die Decke verteilte - eine interessante Strategie, sollte sie wirklich an einer herumfeilen. Er hatte sich vorgenommen, noch einmal zurückzukehren und ihre Strategie bis zum Ende mitzuverfolgen.
 

Aber jetzt interessierte ihn nur eines.
 

Im Wohnzimmer angekommen stellte er sich breitbeinig vor den Couchtisch. Die altbekannten Symbole flackerten auf. Wenn sein eiskalter Blick noch weiter gefrieren könnte, dann wäre jetzt der richtige Augenblick gewesen. Seine Augen verschlangen die eingeritzten Zeichen, während sich seine Hand langsam auf sein Deck zubewegte. Die oberste Karte gegriffen, offenbarte sie seinen Gedanken; die Zauberkarte Wandel des Herzens klemmte zwischen Zeige- und Mittelfinger. Aus dem Augenwinkel betrachtete er die zwiegespaltene Persönlichkeit auf dem Cover, die ihm ihr Herz geradezu auf dem Silbertablett servierte. Oder gehörte dieses Herz womöglich jemand anderem? Und seit wann machte sich Kaiba Gedanken über die Hintergründe einer DuelMonsters-Karte? Er schüttelte innerlich den Kopf. Seine Hand schwebte gefährlich nahe über dem Tisch…nein, die Karte schwebte gefährlich nahe über jene Einkerbung, die keine andere Schlussfolgerung zuließ, als dass diese Karte an diese Stelle gehörte. Seine Mundwinkel begannen zu zucken, bis er sich zu einem Lächeln zwang. Einem düsteren Lächeln, das seine Seelenspiegel gefährlich aufblitzen ließ. Zuletzt hatte er so gelächelt, als er den blauäugigen weißen Drachen das erste Mal in den Händen gehalten hatte. Die Gefühle, die langsam an die Oberfläche kamen, waren dieser Erinnerung gar nicht mal so unähnlich.

"Denkst du", seine Stimme bestimmte den gesamten Raum - überheblich, dunkel und dominant, genauso wie er selbst, "ich falle noch einmal auf diesen Trick herein? Ich habe dein kleines Spielchen längst durchschaut."

"Ach ja?!" Kam es dicht hinter ihm.

Na also

Sein Lächeln wurde zu einem siegessicheren Grinsen. Er hatte gewusst, dass er sie damit aus der Reserve locken würde. Rin Yamamori - zumindest ihr optischer, böser Zwilling, wie ihn Kaiba im Geheimen getauft hatte. Ihre giftigen Blicke konnten sich sehen lassen. Mit verschränkten Armen stand sie hinter Kaiba und grinste ebenfalls schief. Ein Edelstein hätte kaum stärker funkeln können - so leuchtend begegneten ihm ihre Seelenspiegel. Sobald der junge Firmenchef seinen Kopf vollends zu ihr gedreht hatte, ließ sie sich auf die Couch fallen, schlug die Beine übereinander und starrte geduldig zu Seto Kaiba hinauf. Obwohl er zu ihr hinunter sah, hatte es nicht die entsprechende Wirkung. Sie fühlte sich noch immer überlegen und stellte dies mit ihren Blicken so sehr zur Schau, dass an seiner Schläfe die Pulsschlagader zum Vorschein kam.

"Also", ihre Stimme passte nicht zu ihrem Blick. Ein leichtes Knurren drang aus ihrer Kehle. Sie schien wohl ebenfalls kein geduldiger Mensch zu sein…oder kein geduldiger Avatar - Kaiba hatte die Grenzen für sich noch nicht abstecken können.

"Ich muss zugeben", er schloss kurz die Augen und genoss den ersten Triumph, den er seit Wochen zu verzeichnen hatte, "zunächst bin ich darauf hereingefallen. Dieses Haus, seine Rätsel, die angeblich nur mit DuelMonsters-Karten zu lösen seien..." Er öffnete die Lider, steckte alles an Überheblichkeit in ihnen, bis er sich selbst überzeugt hatte. "Alles Schwachsinn!" Er zuckte mit den Schultern. "Du wolltest es bloß so aussehen lassen, als hätte ich wirklich eine Chance, mich durch dein Programm zu spielen. Dabei bist du es, die von Anfang an die Fäden zieht. Das obere Stockwerk ist der Beweis. Du lässt mich nur sehen, was du willst. Die Zeichen über den Zimmern? Sind ebenfalls nur Täuschungen. Ich denke, man könnte die Räume als eine Art Gäste- oder Hotelzimmer sehen. Aber das Eigentliche…" Er deutete auf den Holztisch hinter sich. "Du wolltest mich zum Narren halten. Das hat schon lange keiner mehr gewagt. Zu schade, dass dein Trick aufgeflogen ist. Sobald ich Wandel des Herzens ablege, schmeißt du mich aus deinem Programm. Jede andere Karte hätte wohl dieselbe Wirkung. Das kann nur bedeuten, dass Yamamori - und nur Yamamori allein - hierauf Zugriff hat. Vermutlich hast du hier Daten versteckt, die einen Hackerangriff abwehren sollen, und dieser Raum dient als Personal Firewall, die nur vom Anwender durchbrochen werden kann…wenn du nicht selbst ein Virus bist…du stimmst doch meinen Schlussfolgerungen zu."

"Sagen wir, zum Teil", entgegnete sie breit grinsend und ließ den Kopf in den Nacken fallen. Ihre Augen bohrten sich durch seinen Blick einfach hindurch. "Es stimmt. Ich habe die Schlüssel so geschrieben, dass niemand, außer der Anwender selbst, Zugriff auf dessen Daten hat."

"Du vergisst eines: Ich bin der Anwender dieses Programms. Du bloß ein lästiger kleiner Zwerg, der sich einbildet, mein Revier mit seinem Unsinn verpesten zu können, und mich dann auch noch zu einem Spiel herausfordert - in einer Welt, in der ich das Sagen habe." Ein Blick ihrer stechenden Augen und Kaiba hatte sich nicht mehr zurücknehmen können. Der emotionale Ausbruch war eine Ansammlung stressiger und aufgeladener Wochen, in denen er ein Problem nach dem nächsten hinterherjagen musste. Zu allem Überfluss war da diese Spielerin in sein Leben getreten, die mehr als nur seine Arbeit beeinflusste. Die geradezu so tief eingedrungen war, als wäre als nächstes Seto Kaiba persönlich an der Reihe.

Seine Nüstern begannen zu beben. "Diese Spielchen haben hier und jetzt ein Ende!"

"Meinst du?!" Sie erhob sich, sah angriffslustig zu ihm hinauf. "Du bist es doch, der diese Spielchen überhaupt erst angefangen hat!" Ihre Stimme war ein Fauchen. Sogar dieser Avatar schien zu emotionalen Veränderungen. "Ganz richtig: Es ist deine Welt, deine Anweisungen. Aber glaub' ja nicht, dass deine Befugnisse auch nur einen Schritt über diese Grenze hinaus gehen…ja, du hast mich richtig verstanden. Dein Zugriff beschränkt sich auf die Anweisungen, die mir weitergeleitet werden. Mehr aber auch nicht. Wann kapierst du das, Seto Kaiba?!" Hatte sie ihn gerade in seine Schranken gewiesen? Ihn? Seto Kaiba? Der Mann, der sich von niemandem etwas sagen ließ, schon gar nicht von einem eingebauten Sicherheitsprogramm, Trojaner…oder weiß der Teufel? Dass er nicht sofort gegensteuerte lag lediglich daran, dass er einfach überrumpelt worden war. Nicht nur von ihrer Tonart. Auch ihre Worte irritierten ihn kurz, dass er einfach nur dastand und zu dieser falschen Rin herunter sah.

"Das Programm sah vor, Yamamoris Erinnerung innerhalb eines Dungeons visuell darzustellen", sprach er ganz sachlich, um die Selbstkontrolle zu behalten. "Ganz sicher hatte ich nicht vor, ihre gesamte Vergangenheit in diese Hütte zu verfrachten. So funktioniert das Programm nicht. Es speichert keine Informationen, die sich im Unterbewusstsein des Probanden befinden. Schließlich habe ich ihr Gehirn nicht kopiert." Er hatte nur die Ergebnisse gespeichert, die er angeordnet hatte.

"Und doch sind wir beide hier, Kaiba."

"Ich bin hier, um dich loszuwerden", erwiderte Kaiba und lächelte schwach.

"Das sehe ich anders", konterte sie - wieder einmal. Kaiba war ihrer Widerworte so leid.

"Was du denkst, interessiert mich nicht. Sobald ich weiß, was du bist, werde ich dich eliminieren, und diesen Wald mitsamt Hütte gleich mit."

"Der Wald", wiederholte sie und drehte den Kopf in Richtung Fenster. "Du hast es scheinbar immer noch nicht begriffen." Sie sah wieder zu ihm. "Du kannst mich nicht eliminieren.'' Ich bin nur aus einem Grund hier und dieser Grund bist du, Seto Kaiba. Wir würden dieses Gespräch nicht führen müssen, wenn du nicht so gierig geworden wärst."

"Du redest dummes Zeug."

"Ach wirklich?!"

"Ich habe kein Interesse daran, Yamamoris Erinnerungen in das System zu speichern." Er ist doch erst wegen dieser Rätsel neugierig geworden. Einer Herausforderung war er noch nie aus dem Weg gegangen und wenn der Preis ein paar Einblicke in das Leben seiner Duellantin war, würde er diesen Einsatz akzeptieren. In Spielen ging es doch einmal darum, einen hohen Einsatz zu zahlen, und welcher Einsatz war höher als das eigene Leben?
 

Yamamoris Avatar lachte auf; boshaft und hässlich, ganz und gar nicht wie Rin.

"Dein System sieht das aber ganz anders. Und ich meine mich zu erinnern, dass es direkt mit deinem Gehirn verbunden ist…du kannst dich nicht rausreden, Kaiba. Niemand anderes als du, ist für diese Anomalie verantwortlich. Zumindest ein Teil von dir. Vielleicht solltest du nicht alle nonkonformen Wesenszüge an dir verleugnen, dann würde dein Programm auch nicht verrückt spielen und unerlaubte Datensätze klauen wollen."

Daraufhin wurden Kaibas Augen zu gefährlichen Schlitzen. "Was willst du mir sagen."

"Dass du mal schauen solltest, was am Ende dieses Waldes auf dich wartet. Du sprichst immer davon, dass dies hier ihr Werk sei. Aber das", sie zeigte auf die kahlen Wände um sich herum, "das ist nur das Resultat deiner Besessenheit." Mit diesen Worten ließ sie Kaiba wortlos im Raum stehen. Sein Kopf begann auf einmal heftig zu hämmern. Alles in ihm sagte, dass sie ihn austrickste, ihn manipulierte. Wenn sie tatsächlich - und langsam kam ihm dies immer logischer vor - ein Virenprogramm war, gehörte es zu ihrer Aufgabe, das Sicherheitsprogramm zu täuschen; Kaibas eigene Firewall, die eigentlich nichts und niemanden durch ließ. Und genau dies schürte Zweifel. Wie sollte sich ein derart parasitärer Virus in sein System geschleust haben. Einem System, das noch gar nicht der Welt präsentiert wurde. Selbst Zigfrieds Virus hatte sich nicht durch die neue Technologie durchbeißen können. Sollte an ihren Worten etwas dran sein, egal, wie unlogisch es sich anhören mochte, musste er wissen, was hinter dem Wald verborgen lag. Also lief er aus der Hütte, stellte eine Verbindung zu seiner KI her und ließ den Raum erneut durch scannen. Das Programm lieferte ihm dieselben Antworten wie die Wochen zuvor. Ein tiefer Atemzug drang aus seiner Kehle. Er würde wider seiner Natur handeln müssen und zu Fuß weiter stapfen. Aus der Lichtung hinaus, weiter den Wald durchqueren.

Wenn sie glaubt, mich hinter's Licht führen zu können-

So dicht die Bäume auch zusammen standen, er würde sich durch den Wald kämpfen. Kaiba würde immer einen Weg hinaus finden.

Warme Sonnenstrahlen drängten sich zwischen die Laubbäume. Ein herrliches Wetter für eine kleine Wanderung. Dabei war ihm überhaupt nicht nach einem Waldspaziergang.

Was mache ich hier eigentlich!?

Ständig änderte sich die Vegetation. Er hörte das Meer vom Weiten rauschen. Hummeln flogen über seine Köpfe. Es gab Vogelgezwitscher und allerhand andere Stimmen, die der junge Firmenchef nicht alle zuordnen konnte. Seine Augen nahmen dankbar den aufkommenden Pfad auf. Er folgte ihm, der Wald wurde wieder lichter, eine Höhle tauchte auf, dann wieder Wald und schließlich…

"Was zum-"

Kaiba blieb stehen. Alles in ihm zog sich zusammen. Kurz hielt er den Atem an. Hinter dem Wald tauchte eine riesige Freifläche auf. Dahinter: eine große, breite Treppe. Hunderte Stufen führten sie hinauf in einen gewaltigen Bau. Einem Schloss. Nein, nicht irgendein Schloss. Es war das Schloss. Das Schloss, in dem er etwas hatte wiederfinden müssen. Etwas, das er verloren hatte. Starr blickte er hinauf zur Turmspitze. Kurz vergaß er zu atmen.

"Das darf doch nicht wahr sein-"
 

~

Wild flatterte der Mantel hinter ihm her. Aus dem Fahrstuhl getürmt, marschierte er geradewegs auf die milchige Glastür zu, riss sie auf und rauschte an seiner Sekretärin vorbei, welche er mit den Worten >nehmen Sie sich den Rest des Tages frei< verwirrt hinter dem Schreibtisch zurückließ. Mitsuki brabbelte ein unverständliches Dankeschön, während sie zur Wanduhr und wieder zu ihrem Chef zurück sah, welcher im Begriff war, über den Fahrstuhl zu verschwinden. Kurz überlegte die Blondine, ob sie ihren Chef daran erinnern sollte, dass es gerade einmal Mittagszeit war und ein Berg Arbeiten auf sie wartete. Der eisige Blick des Chefs der Kaiba Corporation, als er langsam hinter den Fahrstuhltüren verschwand, ließ sie flink ihre Sachen zusammenpacken. Diese einmalige Chance würde wohl nie wieder kommen.



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