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Suculentus Campanula Mortalis

von

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Andächtig betrachtete ich die Blume, die ich am Abend zuvor von Dr. Feld beim Spaziergang durchs Kakteen- und Sukkulentengewächshaus bekommen hatte. Ihre wichtigsten Merkmale hatte ich in meinem Notizbuch vermerkt, um sie nachher in 1.001 Magische Bohnen nachschlagen zu können. Langer, blattloser Stiel, insgesamt fünf längliche Blütenblätter, Spitzen abgerundet. Farbe der Blütenblätter schwarz mit Schimmereffekten in Lila und Blau. Hellgelbe Staubblätter und Stempel. Und sie roch streng. Nicht unangenehm faulig, wie etwa ein Titanwurz, aber doch so, dass man ihren Geruch zweifelsfrei wieder erkennen würde.

„Sucu-irgendwas“, murmelte ich.

Dr. Feld hatte mir ihren botanischen Namen am Tag zuvor genannt, aber ich hatte nicht richtig aufgepasst. Jetzt verfluchte ich mich dafür.

Die Blume hatte die Nacht in meinem Zimmer gut überstanden, die Blüte hatte sich noch etwas mehr geöffnet. Ihr markanter Geruch hatte mich irgendwann aufgeweckt, es war etwa fünf Uhr am Morgen. Trotz meiner langen Nacht zuvor und der erfolglosen Jagd nach dem Niffler war an Schlaf nicht mehr zu denken. Zumindest bei dem Geruch nicht. Stattdessen war ich aufgestanden und hatte mich in den Unterkünften herumgeschlichen. 

Dusche war schnell erledigt und da ich zu dieser Zeit noch nichts Besseres zu tun hatte, beschloss ich, die Kantine unsicher zu machen und zu schauen, ob sie schon Frühstück auftischten. Ich stopfte mich genauso voll wie am Vortag, gönnte mir sogar eine zweite Runde Bacon, ehe die ersten anderen Gäste kamen. Niemand, den ich kannte und so konzentrierte ich mich wieder auf mein Smartphone. Warum es hier Empfang hatte, war mir ein Rätsel. Ebenso war mir schleierhaft, warum meine Messenger-Dienste, WhatsApp, Twitter und Discord, trotzdem nicht funktionierten.

‚Ob die einen Störsender extra dafür haben?‘, überlegte ich.

Stattdessen spielte ich ein paar Runden in meinem Handy Game Final Fantasy Brave Exvius, um die Zeit zu vertrödeln. Die Blume wollte ich nachher Jost schenken. Als Dankeschön dafür, dass er mit mir am Vortag trainiert und mir das ein oder andere beigebracht hatte.

Letztenendes brachte ich mein Tablett zur Geschirrrückgabe und ging in mein Zimmer zurück. Inzwischen war es kurz vor acht Uhr. Falls Jost noch nicht im Büro des Magischen Zolls war, würde mir bestimmt einer seiner Kollegen gestatten, die Blume samt Vase auf seinen Schreibtisch zu stellen. Obwohl ich sie ihm lieber persönlich übergeben würde, aber auch mein Zeitplan war eng gestrickt. Ein Niffler wollte schließlich gefangen werden.

Ich holte die Blume und machte mich dann auf den Weg zu den Aufzügen. Die Kabine kam schnell.

„Moin Bertie!“, grüßte ich den Aufzugwärter.

Er studierte mich irritiert. Scheinbar erinnerte er sich nicht mehr an mich, aber es war mir egal.

„Achtes Untergeschoss, bitte.“

„Dürfen Sie da überhaupt hin?“

„Ja, natürlich.“

Ich hielt ihm meinen Agentenausweis vor die Nase. Er zuckte mit den Schultern.

„Ich will nur jemanden besuchen“, beruhigte ich ihn.

„Mir soll’s recht sein.“

Er gab das Stockwerk ein und betätigte den Hebel. Rumpelnd fuhr der Aufzug nach unten, ich verfolgte die Stationen an der Anzeige über die Tür. Musste dann mit meinen Ohren knacksen, um den Druck hier unten auszugleichen. Faszinierend, dass man das auch so tief unter der Erde spürte.

„Achtes Untergeschoss“, verkündete Bertie überflüssigerweise.

Ich trat aus der Kabine und sah mich um. Die Abteilung für Magischen Zoll, Polizei und Justizwesen war so ganz anders gestrickt als die Magische Landwirtschaftsabteilung. Dunkelgraue Kacheln an den Wänden, schwarzer, durchgetretener Teppichboden.

„Die haben auch keine Angst, ihren Kaffee zu verschütten“, murmelte ich.

Ich blickte die Gänge auf und ab und sah links von mir die Rezeption, von der Jost gesprochen hatte. Stimmt ja, ich musste mich noch einmal extra anmelden, wenn ich hier zu tun hatte. Ich trat an den Tresen heran, der verlassen war.

„Guten Morgen!“, sagte ich laut an niemand bestimmten.

Ich konnte einen Krach und ein saftiges Fluchen hören. Ein Mann Ende vierzig kam aus einem Verschlag hervor, den ich zuvor nicht gesehen hatte, ein großer brauner Fleck auf der Brust und eine Tasse in der Hand, von der es verräterisch braun herunter tropfte. 

„Verflucht, was wollen Sie?“, herrschte er mich an.

Ich legte meinen Dienstausweis auf den Tresen.

„Ich möchte Jost besuchen. Ist er schon da?“

„Ja, gehen Sie einfach den Gang entlang und dann nach links. Er sollte an seinem Platz sitzen.“

Der Mann schaute sich nicht mal meinen Ausweis an. Stattdessen wandte er sich wieder seiner Tasse zu und dem Kaffeefleck, den er auf die Brust bekommen hatte. Er hatte sich wohl durch irgendwas erschrocken. 

Ich zuckte die Schultern und ging in die gewiesene Richtung. Jost saß tatsächlich an seinem Platz. Er hatte mir den Rücken zugewandt und ich erkannte ihn nur deshalb, weil er der Einzige war, der um diese Zeit schon im Zollbüro arbeitete.

Ich räusperte mich schon von weitem, um ihn auf mich aufmerksam zu machen. Jost riss den Kopf zu mir herum. Er erkannte mich scheinbar erst auf den zweiten Blick.

„Lizzy!“

„Moin“, meinte ich zur Begrüßung.

„‚Moin‘? Sagt man das bei euch so?“, lachte er.

„Eigentlich nicht. Aber es ist schön kurz. In der Kürze liegt die Würze! Hier, für dich.“

Ich hielt ihm die Vase samt Blume hin.

Jost starrte auf die Blüte und wurde blass.

„Lizzy! Woher hast du die?“

„Aus dem Botanischen Museum, warum?“, fragte ich irritiert.

„Äh, von Dr. Feld? Weiß er, dass du sie hast?“

„Ja, natürlich. Er hat mir ja selbst ein Exemplar der Blüte angeboten.“

„Äh, und er hat dir nicht gesagt, was es für eine Blume ist?“

„Doch. Ich hab nur den Namen wieder vergessen. Irgendwas mit Sukkulente-dingsda ... Du scheinst dich ja nicht gerade darüber zu freuen.“

„Du hast gar keine Ahnung, was die Blume eigentlich bedeutet, oder? Suculentus Campanula Mortalis, wie sie in der Fachsprache heißt. Gemeinhin ist sie als ...“

„Todesglocke?“

Jost sah mich überrascht an.

„Ja, als Todesglocke ist sie eigentlich bekannt.“

Ich ließ meine Vase sinken in der Vermutung, dass ihre Symbolik keine Positive war. 

„Während der Jahrhunderte der Hexenverfolgungen hat ein Geheimbund von Magiern den Inquisitoren solche Todesglocken in die Schlafzimmer geschmuggelt. In den meisten Fällen sind diese sehr bald eines natürlichen Todes gestorben.“

„Äh ... Was für ein Geheimbund?“, hakte ich nach.

Er sah mich betroffen an. Mir schwante nichts Gutes.

„Das ist bis heute nicht restlos aufgeklärt. Man munkelt, dass es sich um Hinterbliebene von Inquisitionsopfern handelte, so sie denn auch magisch begabt waren. Aber die Inquisition hat vor allem MaKas auf den Scheiterhaufen verbrannt.“

„Äh, und woher weiß man, dass sie eines natürlichen Todes gestorben sind? Also die Inquisitoren?“

„Von den wenigen Berichten, die die Zeit überdauerten und jetzt in verschiedenen Archiven herumliegen, ist kein Fall überliefert, der auf äußere Gewalteinwirkung schließen lässt.“

Ich sah Jost skeptisch an.

„Wurden sie vielleicht vergiftet?“

„Gut möglich, aber die Vorreiter der modernen Pathologie entwickelten sich erst im 18. Jahrhundert und waren mehrheitlich anatomischer Natur. Hexenverfolgungen waren zur damaligen Zeit schon sehr selten geworden, falls sie überhaupt noch stattfanden.“

Ich blickte wieder auf die Todesglocke in meiner Vase, die auf einmal ihren Reiz verloren hatte.

„Fest steht jedenfalls“, fuhr Jost fort. „Dass Suculentus Campanula Mortalis keinerlei giftige Eigenschaften besitzt.“

„Äh, nein? Warum nennt man sie dann so?“, fragte ich überrascht.

„Wegen ihres morbiden Äußeren natürlich. Ein MaKa namens Niccolo die Conti brachte sie aus China mit.“

„Ah. Klingt wenig eindrucksvoll“, meinte ich lapidar.

„Betrifft die meisten Entdeckungen von Pflanzen. Bei Tieren wird’s dann schon spannender.“

Mir fiel etwas ein.

„Aber sag mal, wenn die Todesglocke so gar keine giftigen Eigenschaften hat, woher ist sie dir dann bekannt?“

„Aus dem Schulunterricht an Arenberg. Lizzy, nur weil sie nicht giftig ist, heißt das nicht, dass sie unnütz ist. Schlag das mal in deinem Pflanzenbuch nach.“

„Äh, werd‘ ich machen. Entschuldige bitte. Ich wollte mich eigentlich bei dir bedanken, jetzt hab ich dir bestimmt den Morgen versaut, oder?“

„Na ja ich werde jetzt die Augen offen halten müssen, ob mir nicht ein Meuchelmörder auf der Spur ist, aber ansonsten mach ich mich ganz prima diesen Morgen.“

Ich wurde blass.

„Das sollte ein Witz sein ...“

„Entschuldige.“

„Na, vergiss es. Die Todesglocke hat viel von ihrer früheren Wirkung eingebüßt. Aber erschrocken hab ich mich schon.“

Ich sah betreten zu Boden.

„Kopf hoch. Fehler macht jeder Mal. Aber merk dir für die Zukunft, dass du dich am besten bei mir bedanken kannst, wenn du mich zum Essen einlädst.“

Jost strahlte mir ins Gesicht. Und mir war sofort bewusst, dass das bei ihm nicht günstig sein würde. Ich ließ die Schultern hängen, verabschiedete mich von ihm und schlurfte in mein Zimmer zurück. Die Todesglocke stellte ich auf den Schreibtisch meiner Bibliothek. Trotz ihrer Morbidität wirkte der Platz nun etwas persönlicher.

 

 

ENDE



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Vegetasan
2020-06-01T10:50:01+00:00 01.06.2020 12:50
Sehr schön Porpetina,
so in etwas hatte ich es mir vorgestellt, als mir die Aufgabe einfiel.
Das es die Blume so wahrscheinlich gar nicht gibt, macht überhaupt nichts. Du hast recht, so passt sie tatsächlich wunderbar in deine Geschichte.
Schade das er die Blume nicht behalten hat. Nach deiner Beschreibung, gehe ich davon aus, dass sie eigentlich eine sehr schöne Blüte hat. Da kann man schon mal über die Bedeutung hinweg sehen, finde ich.

Es hat mich gefreut, dein Shuffle zu lesen.

🍪🍪🍪🍪🍪 Ein paar Kekse für dich. 😃😃🤗🤗


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