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Ich, er und die Liebe

von

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Von schimmligen Toastbrot und sozialem Selbstmord

Als ich am nächsten Tag aufwachte, wusste ich bereits, dass ich einen dieser gebrauchten Tage erwischt hatte. Ihr wisst schon. Einen von denen, die sind wie schon mal gekautes Kaugummi. Man kämpft und kämpft dagegen an, aber eigentlich ist der Geschmack schon lange verflogen und übrig bleibt nur eine graue, geschmacklose Masse, die man am liebsten in hohem Bogen von sich spucken würde. Geht aber nicht, weil niemand kommt und die Uhr mal eben zwölf Stunden vordreht, damit das Elend endlich ein Ende hat. Stattdessen läuft man die ganze Zeit mit einem emotionalen Belag auf der Zunge rum, der einfach nicht verschwinden will, egal wie oft man sich den Mund ausspült.

 

 

Nach einer Nacht, in der ich von Knetmännchen geträumt hatte, die höchst unanständige Dinge taten, begann der Morgen mit schimmeligem Toast. Grün und blau lachte mich der hübsche Pelz aus der Packung heraus an, die ich gleich mitsamt der Plastiktüte in den Abfall entsorgte. Blieb Müsli (ohne Milch, weil die auch alle war) oder normales Brot mit Marmelade. Ich hasste normales Brot mit was Süßem drauf. Allerdings hasste ich Salziges zum Frühstück oder eben kein Frühstück noch mehr.

 

Während ich lustlos auf meiner Stulle herumkaute und in meinem Buch schmökerte, kam meine Mutter die Treppe runter. Sie hatte bereits geduscht und wollte sich noch eine zweite Tasse Tee zum Fertigmachen holen. Das tat sie immer. Wir begrüßten uns kurz und eigentlich wäre sie jetzt wohl wie jeden Morgen wieder nach oben verschwunden, doch heute blieb sie stehen und warf mir so einen Blick zu. Ihr wisst schon. So einen Mutter-Blick, bei dem man bereits weiß, dass da gleich irgendeine unangenehme Frage folgt. In meinem Fall hieß die Frage:
 

„Ist alles okay bei dir?“

 

Uff, was sollte ich denn jetzt darauf antworten? Ich hatte schlecht geschlafen, mein Frühstück bestand aus Graubrot mit Erdbeermarmelade und ich war ein Teenager. Natürlich war nicht alles okay.
 

„Ja, Mama, alles prima.“

„Du guckst aber so.“

„Wie denn?“

„Na als wenn irgendwas wäre.“

 

Himmel, jetzt kam sie auch noch und machte Anstalten, sich zu mir zu setzen. Danke, kein Interesse.

 

„Hab schlecht geschlafen“, murmelte ich deswegen. „Und Toast war alle.“

Sie seufzte. „Das tut mir leid. Ich hab’s gestern nicht mehr geschafft mit dem Einkaufen. Diana und ich haben uns total verquatscht. Ich bring heute auf dem Heimweg ein bisschen was mit, ja?“

 

Ich brummte zustimmend. Wenn meine Mutter nach Feierabend noch einkaufen ging, würde sie garantiert nicht vor halb sieben nach Hause kommen. Und heute Nachmittag kam Manuel vorbei. Vielleicht konnte das den Tag noch irgendwie retten.
 

„Fein, dann beeil dich jetzt besser. Du verpasst sonst noch den Bus.“

 

Den Bus? Wieso? Wie spät war es denn?

 

Ein Blick auf die Uhr bestätigte mir: Es war allerhöchste Eisenbahn. Die ganze Geschichte mit dem Ersatz-Frühstück hatte mich viel zu viel Zeit gekostet. Dabei hatte ich doch duschen und mich rasieren wollen und alles wegen heute Nachmittag. Nun musste ich das ganze Programm im Schnelldurchlauf absolvieren und kam gerade noch rechtzeitig, bevor die Türen des Busses sich zur Abfahrt schlossen. Auf dem Weg die steile Treppe hoch, stolperte ich und stieß mir das Knie. Willkommen in meiner Welt.
 

„Immer langsam mit den jungen Pferden“, lachte der Busfahrer und zeigte auf sein Kinn. „Du hast da übrigens was.“

 

Jaa, ich weiß. Beim Rasieren geschnitten. Leck mich doch. Ich hatte halt nicht so viel Erfahrung damit, weil es da einfach noch nicht so viel zu rasieren gab. Aber heute hatte ich halt mal gewollt und es war prompt schief gegangen. Dämlicher Kaugummi-Tag.

 

Grummelnd nahm ich einen der ach so beliebten Stehplätze ein, die all denjenigen zuteilwurden, die sich nicht durchsetzen konnten bei der alltäglichen Drängelei. Somit fiel Lesen aus und ich durfte die ganzen gut 20 Minuten Busfahrt damit verbringen, einem Stöpsel mit unterirdischem Lesetempo bei seinem Comic über die Schulter zu schauen. Bevor der mal umblätterte, hatte ich die Seite schon dreimal durch.
 

Der Tag zog und zog sich und wurde einfach nicht besser. In Englisch wurde ich an die Tafel gerufen, in Deutsch konnte ich die mir gestellte Frage nicht beantworten und in Mathe kam es dann ganz dicke. Herr Schrader legte mir die Zettel von der Klassenarbeit wieder auf den Tisch und auf der ersten Seite prangte eine dicke, rote Drei. What the fuck?

 

„Äh, Herr Schrader, ist das wirklich meine Arbeit?“

 

Ich war so verdattert, dass ich mich nicht mal meldete.

 

„Steht dein Name drauf?“

„Ja.“

„Dann ist es wohl deine.“

„Aber das ist ne Drei.“

„Wenn du mehr Punkte willst, hättest du vielleicht alle Aufgaben bearbeiten sollen.“

 

Alle Aufgaben? Was zum …? Voll böser Vorahnungen drehte ich den Arbeitszettel herum und richtig. Da waren echt noch zwei weitere Aufgaben, die ich einfach übersehen hatte.

 

„Na, Mister Oberschlau ist wohl doch nicht so toll, wie er immer denkt“, ätzte Oliver neben mir, aber ich zog es vor, ihn zu ignorieren. Eine Drei. Ich hatte noch nie eine Drei in Mathe gehabt.

 

Ich schielte zu Anton rüber, der seine volle Punktzahl gut sichtbar am oberen Tischrand platziert hatte. Man, wollte der mich jetzt etwa auch noch schikanieren?
 

„Warum hast du nichts gesagt?“, zischte ich zu ihm rüber.

Er schob die Brille hoch und sah mich an. „Wozu?“

„Na dass ich nicht alle Aufgaben gemacht hab.“

„Und woher hätte ich das wissen sollen?“

„Weil ich so früh fertig war? Das hätte dir doch auffallen müssen.“

„Ist es. Aber die eigentliche Frage ist doch, warum dir das nicht aufgefallen ist.“

 

Tja, das war tatsächlich eine gute Frage. Vermutlich, weil mein Kopf da noch vollgestopft war mit Knetmännchen und lauter verqueren Gedanken an T und wie mich seine Finger kurz gestreift hatten und wie er gelächelt hatte, als er mir den Zettel vom Sportgeschäft gegeben hatte. So wie jetzt auch gerade, als er zu mir rübersah und das Gesicht verzog, um mir zu signalisieren, dass er Mitleid mit mir hatte. Er sah sich kurz um und hielt dann seine Arbeit hoch. Darauf prangte eine rote Vier. Ich musste unwillkürlich grinsen. Immerhin war etwas an dieser Welt noch in Ordnung.
 

„Du wirkst in letzter Zeit abgelenkt“, konstatierte Anton plötzlich. Er sah dabei nicht auf, sondern schrieb weiter in seinem Heft. Eine Kunst, die wir beide perfekt beherrschten. Wir wurden quasi nie ermahnt, weil wir den Unterricht störten, denn wir arbeiteten ja schließlich ganz konzentriert, nicht wahr? Geschwatzt haben musste also wer anders.

 

„Ja und?“, fauchte ich zurück. „Seit wann interessiert dich das?“

„Es war lediglich eine Feststellung, keine Interpretation deines Verhaltens.“

„Keine …? Bin ich jetzt dein Studienobjekt, oder was?“
 

Da hörte sich doch wirklich alles auf. Statt mir zu sagen, dass ich ihm leidtat und dass der Schrader ein fieser Arsch war oder sich vielleicht mal zu entschuldigen, dass er mich so hatte hängen lassen, gab er mir auch noch die ganze Schuld an der Geschichte? Er hätte doch merken müssen, dass selbst ich nicht so früh mit allen Aufgaben hätte durch sein können.

 

Eine kleine, fiese Stimme bestand zwar weiterhin darauf, dass ich das ebenfalls mal hätte merken können, aber mein innerer Höhlenmensch gab ihr eins mit der Keule drauf und setzte sich dann mit seinem behaarten Hintern auf den übriggebliebenen Matschfleck. Ha, nimm das, Stimme der Vernunft! Komisch war nur, dass die Stimme ausgesehen hatte wie Anton.

 

Den Rest der Stunde strafte ich ihn mit Schweigen, was der Blödmann nicht mal zur Kenntnis zu nehmen schien. Es war ihm schlichtweg egal, ob ich mit ihm sprach oder nicht. Für ihn war ich wahrscheinlich wirklich nicht mehr als der Typ, der zufälligerweise neben ihm saß.

 

 

Eigentlich hatte ich in der Pause in die Bücherei gehen wollen, aber heute verzog ich mich lieber mit den anderen auf den Pausenhof. Sollte Anton doch mit Timo abhängen. Das schien seit diesem Geschichtsprojekt ohnehin sein neuer Busenkumpel zu sein. Die beiden hatten ihre Fantasy vs. Computer Streiterei nämlich dadurch beigelegt, dass sie sich jetzt über Fantasy-Computer-Spiele unterhielten. Wahrscheinlich hatten sie schon das Aufgebot bestellt und einen Platz in einem Gemeinschaftsgrab reserviert. Fickt euch doch!

 

Während ich in der Pause in einer Ecke herumsaß und Trübsal blies, glitt mein Blick über die verschiedenen Grüppchen. Da war die In-Clique, in deren Mitte T stand und gerade irgendeiner Erzählung von Jo lauschte, der sich dabei mächtig ins Zeug legte. Sicherlich nicht umsonst, denn „nur Mia“ stand ganz in der Nähe und sah immer mal zu ihm rüber. Wahrscheinlich würde der Penner mit seiner Methode doch irgendwann Erfolg haben. Arsch!

 

Mia-Marie saß mit ein paar der nicht so coolen Mädchen und unterhielt sich über irgendwas. Sie bildeten die Gegentruppe zu Mia-Sophie und ihren Freundinnen, die sich in die Frühlingssonne gesetzt hatten und von dort aus Hof hielten. Man fragte sich allerdings für wen, denn niemand, der auch nur annähernd wusste, wie das hier funktionierte, würde sich in ihre Nähe trauen. Selbst dann nicht, wenn er tatsächlich in ihrer Altersstufe war. Das war nämlich die nächste Aufteilung, die zu beherrschen man als Schüler in der Lage sein musste: Kenne deinen Platz in der Rangordnung.

 

Dabei gab es mehrere Gruppen, zu denen man gehören konnte und die sich stark unterschieden.
 

Da waren zum einen diejenigen, die einfach oben schwammen wie T oder Mia-Sophie. Sie waren beliebt, reich, gutaussehend, sportlich, und alle wichen ihnen aus, sobald sie den Raum betraten. In diese Gruppe wurde man hineingeboren oder, wenn man Glück hatte, durch Beziehungen hineingewählt so wie Jo. Wer einmal drin war, tat alles dafür, um dort zu bleiben.
 

Am anderen Ende der Skala befanden sich diejenigen, die in tausend Jahren nicht aufsteigen würden. Die Loser, die Spinner, die Unsportlichen, die komisch Aussehenden oder sonst irgendwie aus der Reihe fallenden. Die konnten eigentlich nur hoffen, dass die Schule irgendwann rum war und sie dann niemand mehr zu irgendwelchen Klassentreffen einlud, wenn sie bis dahin nicht wenigstens im Ferrari vorfahren konnten. Im besten Fall war es ihnen egal so wie Anton, denn auch als Kellerassel ließ es sich ja irgendwie leben.

 

Und dann war da das Mittelfeld, das ständig darum kämpfte, nicht zu weit abzurutschen, etwa indem man in einem unmöglichen Outfit erschien oder irgendwelche Peinlichkeiten über einen bekannt wurden, die über Wochen für Klassenspott sorgten und erst durch harte Arbeit wie etwa eine angesagte Party, zu der sich die coolen Leute einladen ließen, oder ein neues Inteil wieder ausgeglichen werden konnte.

 

Zu sagen, dass hier auf dem Pausenhof Krieg herrschte, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts gewesen und jeder, der so wie ich in der Mitte rumgurkte, stand nur einen Schritt entfernt vom zumindest zeitweisen, sozialen Selbstmord. Das war mit ein Grund, warum ich meist die Füße stillhielt und nicht allzu große Töne spuckte. Wer nicht wahrgenommen wurde, war auch nicht angreifbar. So wie Yasmin und Ayleen aus meiner Klasse zum Beispiel, die trotz der Tatsache, dass sie ziemlich hübsch waren und auch sonst ganz nett rüberkamen, eigentlich die ganze Zeit nahezu unsichtbar blieben. Die beiden hingen immer nur zu zweit ab und flüsterten vermutlich dabei auf Türkisch miteinander. Letzteres mochte auch der Grund sein, warum sie irgendwie nie so richtig dazugehörten, obwohl ich niemanden aus unserer Klasse als ausländerfeindlich einstufen würde und die beiden ja sogar in Deutschland geboren waren. Aber sie hielten sich eben abseits, hatten zu Hause ein anderes, kulturelles Leben und das führte dazu, dass sie nicht Teil der beliebten Gruppe waren.

 

Ihr Anblick erinnerte mich daran, dass wir gleich Französisch hatten. Frau Bertram hatte angekündigt, dass wir das Stück erst mal mit verteilten Rollen lesen würden, um ein Gefühl für den Text zu bekommen. Ich konnte mich also entspannen. Schließlich hatte ich ja nicht viel zu sagen. Danach noch Musik, Mittagspause und ne Doppelstunde Chemie. Alles ganz easy. Dachte ich. Bis die Chemiestunde dann wirklich kam.

 

 

Zuerst nahm ich ja noch an, dass sich der Kaugummi-Tag jetzt inzwischen beruhigt hatte. Ich hatte mich beim Mittagessen sogar zu Mia-Marie gesetzt, noch ein bisschen mit ihr über Geschichte geplaudert und locker abgemacht, dass wir uns irgendwann nächste Woche mal nachmittags dafür treffen würden.

 

Als ich den Chemieraum betrat, hatte ich mir fest vorgenommen, Anton weiter mit Nichtachtung zu strafen. Da es hier mehr Stühle als Schüler gab, suchte ich mir einfach einen Platz in der letzten Reihe und ließ mich dort häuslich nieder. Oliver machte zwar irgendwelche dummen Sprüche über „Stress im Paradies“, aber heute war ich auf dem Ohr einfach mal taub. Ich freute mich, dass bald Feierabend war und ich endlich nach Hause fahren konnte, um mich mit Manuel zu treffen, der immer mehr zum Lichtblick an diesem sonst so beschissenen Tag wurde.

 

Zuerst lief auch noch alles ganz prima. Wir stopften uns den Kopf mit Wissen über Protonenübergänge und Säure-Base-Reaktionen voll, bis sie uns zu den Ohren wieder herauskamen, und eigentlich hätte es alles gechillt ablaufen können, wenn Herr Wilkens nicht eine halbe Stunde vor Ende des Unterrichts plötzlich wieder mit dem Thema Klassenfahrt angefangen hätte.

 

„Eine besorgte Mutter hat bei mir angefragt, ob wir nicht bald mal mit den Vorbereitungen anfangen wollten. Wir bräuchten ja schließlich Zelte, Gepäck und so weiter. Damit ihr das regeln könnt, werden wir zunächst mal die Zelteinteilung machen. Gibt es da schon Vorschläge?“

 

Wie sich herausstellte, hatten die meisten Mädchen tatsächlich schon darüber gesprochen und aus ihren Reihen wurden fleißig Zelt-Mannschaften ausgerufen, die unser Klassenlehrer auf einem Blatt vermerkte. Als es dann an den männlichen Teil der Klasse ging, kamen die Rückmeldungen etwas zögerlicher, was vermutlich darauf zurückzuführen war, dass die meisten einfach nach links oder rechts guckten und sich spontan für einen Übernachtungspartner entschieden. Aber auch das lief eigentlich soweit ganz gut, bis Herr Wilkens dann am Ende verkündete:
 

„Bleiben also nur noch Oliver und Benedikt für das letzte Zelt.“

 

Äh wie? Bitte was? Och nö.

 

Ich hob gerade an, gegen diese Regelung zu protestieren, als Oliver schon in voller Lautstärke losplärrte.

 

„Mit der Schwuchtel schlafe ich nicht in einem Zelt.“

 

Herr Wilkens runzelte die Stirn.

 

„Solche Äußerungen verbitte ich mir hier. Aber wenn du einen besseren Vorschlag hast, immer raus damit.“

„Ich penne einfach bei Jo und T mit im Zelt. Die haben ein Dreier.“

 

Oh ja bitte. Die Idee ist super, dann hab ich meine Ruhe.

 

„Nein, das geht nicht. Es schläft niemand allein.“

„Aber warum denn nicht?“

„Weil ich es sage. Darum.“

 

Schweigen breitete sich aus. Ich fing einen Blick von Anton auf, aber der konnte mir jetzt auch nicht helfen. Immerhin würde er ja dank Krankenschein zu Hause bleiben und mich – schon wieder – im Stich lassen. Wollte denn keiner was sagen? Ich räusperte mich.
 

„Mir macht das wirklich nichts aus. Ich zelte gerne alleine.“

„Nein, das kommt nicht in die Tüte. Also. Nimmt jemand Benedikt mit zu sich?“
 

Das hörte sich an, als wäre ich ein verlauster Streuner, den man maximal mit der Kneifzange anfassen dürfte. Seit wann war ich denn so weit im Beliebheits-Ranking abgerutscht, dass man mich wie einen Aussätzigen behandeln musste? Bis jetzt hatte ich gedacht, dass mit mir alles soweit okay war. Aber anscheinend reichte es nicht, um mich mit im Zelt schlafen zu lassen. Oder hatten Olivers Schwuchtel-Rufe doch jemanden misstrauisch gemacht? Hatten die jetzt Angst, dass ich ihnen nachts an die Wäsche ging?
 

„Er kann mit zu uns kommen“, verkündete da plötzlich eine Stimme. Ich sah mich um. Ausgerechnet Timo, dem ich doch gerade noch die Pest an den Hals gewünscht hatte.

 

„Ich würd auch mit ihm in ein Zelt gehen.“ Ben. Natürlich. Der musste ja immer dagegen sein. Trotzdem wollte ich ihn nicht aus seinem trauten Bund mit seinem Busenkumpel Jonas reißen.

 

„Ich geh mit zu Timo und Elias.“

 

Dann konnten wir ein Nerd-Trio bilden oder so. Ick freu mir. Haha.

 

„Na dann haben wir es jetzt ja.“ Herr Wilkens schien höchst zufrieden. „Und weil wir das so schnell geschafft haben, schreibe ich euch jetzt noch ein paar Aufgaben an die Tafel, die ihr zu Hause lösen könnt. Hört auf zu stöhnen, das ist gut für eure Bildung.“

 

Pflichtergeben beugte ich mich über mein Heft. Ich hatte mich nicht mal bei Timo bedankt. Würde ich später noch machen. Jetzt malte ich erst mal Strukturformeln in mein Heft und versuchte mich noch ein letztes Mal zu konzentrieren, als ich plötzlich das Gefühl hatte, dass mich jemand beobachtete. Als ich den Kopf hob, erblickte ich T, der mich ein bisschen mitleidig musterte.

 

Als er sich wieder umdrehte, um ebenfalls den Kram von der Tafel zu kopieren, ging mir auf einmal auf, dass er ja auch hätte mit mir in ein Zelt kommen können. Er hatte doch gesagt, dass er mich mochte. Na gut, nicht direkt gesagt, aber immerhin hatte er doch versucht, mehr Zeit mit mir zu verbringen. Oder war das auch nur Mitleid gewesen? Ein paar Bröckchen, die man dem armen Außenseiter zuwarf, damit man sich besser fühlte? War das so eine Art Wohltätigkeits-Gala? Spendet für Benedikt, den komischen Freak, der keine Freunde hat?

 

Vor lauter Wut darüber drückte ich mit meinem Bleistift so stark auf, dass die Mine abbrach. Scheiße. Jetzt musste ich auch noch aufstehen, um ihn vor aller Leute Augen anzuspitzen. Heute war wirklich nicht mein Tag.

 

Als es klingelte, musste ich nicht mal so tun, als würde ich noch weiter arbeiten, denn mir fehlten immer noch zwei Formeln. Schnell kritzelte ich den Rest ab, während die anderen schon rausgingen, warf meine Sachen in den Rucksack und verließ schließlich als Letzter den Raum. Draußen hatte niemand gewartet. War ja klar. Wer auch? Für mich interessierte sich ja niemand auf dieser verdammten, ganzen, weiten Welt.

 

 

Meine miesepetrige Sicht der Dinge geriet allerdings ziemlich ins Schwanken, als ich das Schulgebäude verließ und dort eine Gestalt mit einem Fahrrad stand. Es war T.
 

„Hey, ich … ich hab auf dich gewartet.“

 

Wieso das? Und wieso gab er das so offen zu?
 

„Schöner Mist, das mit Oliver gerade. Der Typ ist einfach nur dämlich.“

„Mhm“, machte ich nur.

 

Warum wollte er mich deswegen denn jetzt volllabern? Er war doch derjenige, der den Schwanz eingezogen hatte, als es darum ging, sich zu mir zu bekennen.
 

„Was ich fragen wollte … hast du den Zettel schon mit? Ich arbeite heute wieder und könnte ihn gleich abgeben.“

 

Den Zettel? Ach ja. Die Arbeit bei Friedrichsen. Darüber hatte ich mit meiner Mutter noch gar nicht gesprochen. Sie war irgendwie so beschäftigt damit gewesen, mir von Dianas Hochzeit zu erzählen. Wenn ich zu Wort gekommen wäre, wäre sie bestimmt begeistert gewesen von der Idee, dass ich mal ein bisschen unter Leute kam. Aber plötzlich erschien mir die Idee, mich mit Gewalt in diesen Kreis drängen zu wollen, der mich ja offenbar nicht haben wollte, vollkommen widersinnig. Ich gehörte nicht dazu. Warum es also versuchen? Warum sich anstrengen, wenn man dann eh nur die ganze Zeit paddelte, um nicht wieder unterzugehen? Das war mir entschieden zu anstrengend. Blieb ich eben ein Grottenolm und versauerte am Meeresboden.

 

„Nee, sorry. Meine Mutter erlaubt es nicht.“
 

Damit ließ ich ihn stehen. Tja, mein Lieber, Chance gehabt. Erst wolltest du mich nicht und jetzt will ich dich nicht mehr. Das hast du jetzt davon. Benedikt over and out.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  KaffeeFee
2020-06-12T15:27:17+00:00 12.06.2020 17:27
Hallo zauberhafte Mag,

endlich wieder was von dir zu lesen xD so kann das Wochenende starten.

Wie ich dieses Klassenschichtensystem während der Schulzeit gehasst habe... ich sag es dir... schrecklich!

Du hast es super beschrieben. Ich denke, jeder kann das nachvollziehen. So ein Kaugummitag ist ätzend. Arme Benedikt... Hoffentlich kann Manuel ihn ein bisschen ablenken und den Tag zu einem schönen Absch(l)uss bringen.
Na, auf die Klassenfahrt bin ich ja mal gespannt... zelten... uägs... geht nur aufm Festival! Sonst ist das doof xD
Aus Theo werd ich nicht schlau. Irgendwas ist da... muss einfach da sein. Sonst wäre er nicht so... so eben.
Hach, ich freu mich schon aufs nächste!

bis dahin, koffeinhaltige Grüße, die KaffeeFee
Antwort von:  Maginisha
12.06.2020 18:44
Hallo liebste Kaffee-Fee!

Es freut mich, dass du dich so freust und ich kann das nächste Kapitel schon mal für spätest..ns Morgen versprechen. Getippt ist es nämlich schon. ;)

Dieses System ist wirklich nicht toll, aber es scheint sich ja leider recht hartnäckig zu halten. Wobei es bei Benedikts Klasse nicht so extrem ist, wie man es aus einigen amerikanischen Serien kennt. Trotzdem lässt es sich halt auch nicht verleugnen. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was da teilweise wirklich abgeht.

Die Klassenfahrt wird natürlich Teil der Geschichte werden, du darfst also weiter gespannt sein. Aber meins ist Zelten definitiv auch nicht. :D

Und mit Theo ist was? Findest du? Also ICH finde ja, dass er sich total normal verhält. ;D

Zauberhafte Grüße
Mag


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