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Blut und Gold

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Surprise, bitches, ich bin noch nicht fertig mit dem Monstrum hier! *manisches Gelächter* Allerdings ist auch dieses Kapitel wieder auf der kürzeren Seite. Besser als nix, oder?

Manus manum lavat: lat. „Eine Hand wäscht die andere“ Komplett anzeigen

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TEIL II - KAPITEL VII: Iulia

„Ich kann das erklären“, sagte Iulia.

Yuriys blaue Augen glühten beinahe vor Wut, aber er hielt lange genug im raschen Auf- und Abgehen im Atrium inne, um sich von ihr einen Becher Wein geben zu lassen, einen tiefen Schluck davon zu machen und sich dann grob über den Mund zu wischen. Die Wolfshündin, die immer an seiner Seite war, legte die Ohren an, während sie den Blick nicht von Iulia nahm.

„Gib mir einen Grund, warum ich dir nicht eine Maulschelle verpassen sollte, dass es dich bis in die östlichen Provinzen wirft“, sagte Yuriy schließlich.

Iulia konnte nicht verhindern, dass ihre Augenbrauen in die Höhe schossen. „Du würdest Hand an eine Römerin legen?“

„Du hast keine Ahnung, an wen ich schon meine Hände gelegt habe“, sagte Yuriy grimmig. „Es würde mich wirklich brennend interessieren, warum du hier in diesem lächerlichen Fetzen herumläufst, anstatt mir in der Hagia Sophia zu assistieren.“

Iulia klappte der Unterkiefer herunter. Ihr fehlten nicht oft die Worte, aber diese Ebene von Ignoranz machte sie sprachlos.

„Das hier ist mein echtes Leben”, sagte sie mit kaum gezügelter Wut. Es fehlte nur eine einzige weitere Bemerkung und die Maulschelle würde an Yuriy gehen. Sie spürte, dass sie bebte, als sie mit flammender Stimme geradezu herausfordernd fortfuhr: „Ja, sieh mich ruhig an, du arroganter Bastard. Du kommst hier hineingestürzt, als hättest du ein Anrecht auf mich.” Sie lachte bitter auf. „Aber das bin ich von euch Männern ja gewohnt. Ich bin eine Ehefrau und Mutter, und das hier ist mein goldener Käfig, den ich nur verlassen kann, wenn mein Ehemann mich darin unterstützt. Also geh doch zu ihm und sag ihm, dass du deinen Assistenten zurück haben willst! Streitet euch um mich wie zwei Geier um Aas!”

„Du bist wirklich unfassbar dramatisch”, grollte Yuriy.

„Sagt der Mann aus der Fremde mit dem Wolf an seiner Seite!”, schoss Iulia zurück.

Einen Moment maßen sie sich stumm mit verärgerten Blicken. Der besagte Wolf legte sich flach auf den Boden und ließ sie nicht aus den Augen. Dann atmete Yuriy aus und rieb sich über das Gesicht.

„Du bist Mutter?”, wiederholte er dann schließlich.

Iulia zuckte mit den Achseln, immer noch angespannt und frustriert, aber wenigstens nicht mehr halb blind vor Wut. „Ich habe ein Kind geworfen, in der Tat. Aber um wirklich Mutter zu sein, braucht es wohl mehr als das.”

Yuriys Mundwinkel zuckten, dann schüttelte er wieder den Kopf, bevor er verlangte: „Erzähl mir alles.”

Ein Teil von Iulia wollte ihm entgegen spucken, dass sie zu keiner Aussage verpflichtet war und er sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern sollte. Aber Yuriy war hier und schien sich mehr darum zu kümmern, dass sie ihn bei der Arbeit im Stich gelassen hatte, statt dass sie eine Frau war. Mehr noch: Er suchte nach Antworten und versuchte scheinbar zu verstehen. Das war, traurig- und ironischerweise, mehr, als man von Emilia behaupten konnte. Der Gedanke an sie schmerzte so plötzlich und heftig, dass Iulia tief durchatmete.

Dann nickte sie und machte eine Handbewegung. „Folge mir.”

Der Wolf kam lautlos auf die Beine und tappte hinter ihnen her, als Iulia ihren Gast in eines der selten benutzten Zimmer im hinteren Bereich des Hauses führte. So etwas wie perfekte Privatsphäre gab es nicht, aber das hier musste reichen. Nadeschda rollte sich in einer Ecke zusammen, während Yuriy sich auf einem der leicht verstaubten Diwane niederließ und Iulia mit einem Blick aus seinen hellen Augen fixierte.

„Erzähl”, sagte er ruhig.

Also erzählte Iulia. Sie begann damit, dass sie schon lange ihre Ähnlichkeit zu ihrem oft verreisten Bruder Raulus nutzte, um in männlicher Maskerade Freiheiten zu erlangen, die sie sonst nicht hatte. Die Kunst lag ihr im Blut, aber als römischer Frau, die in einen höheren Stand geheiratet hatte, waren ihr in vielerlei Hinsicht die Hände gebunden. Sie wiederholte, dass Romulus davon wusste und sie gelegentlich sogar deckte, schilderte dann den Grund für seinen plötzlichen Sinneswandel und ihr daraus resultierendes Fortbleiben, machte dabei sogar ein paar Bemerkungen zu ihren eigenen Beobachtungen hinsichtlich der Vorgänge im Palast. Emilia erwähnte sie jedoch nicht. Das ging Yuriy nichts an, und egal wie verletzt Iulia war, sie würde die Äbtissin nicht in Gefahr bringen.

Yuriy hörte ihr schweigend zu, ohne sie zu unterbrechen. Als sie ihre Bedenken hinsichtlich Iréneo schilderte, erhob er sich und ging mit hinter dem Rücken verschränkten Armen im Zimmer auf und ab, das Gesicht angespannt. Erst nachdem sie geendet hatte, blieb er stehen und studierte ein Gemälde an der Wand, ohne es richtig wahrzunehmen. Iulia konnte förmlich sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete.

„Du denkst vielleicht, dass ich dich nicht verstehe, und in vielerlei Hinsicht stimmt das wohl auch“, sagte er schließlich, ohne sich zu ihr umzudrehen. „Wie sollte ich auch wirklich verstehen können, wie es ist, in deiner Haut zu stecken? Aber ich kann vermutlich mehr nachvollziehen, als du denkst. Ich verstehe, wie es ist, einer zugedachten Rolle entfliehen zu wollen. Ich verstehe, wie hart der Kampf für persönliche Freiheit sein kann - und wie einsam. Leute, die so etwas nie durchmachen müssen, verurteilen leichtfertig. Ich tue es nicht.“

Nun wandte er sich doch zu ihr um, und obwohl sein Gesichtsausdruck hart war, fand Iulia darin etwas seltsam Tröstliches, das sich verstärkte, als er fortfuhr: „Dein Geheimnis ist sicher bei mir.“

„Weil du etwas gegen mich und Romulus in der Hand haben willst, nur für den Fall der Fälle?“, fragte Iulia trotz ihres beruhigten Gefühls.

Yuriy zuckte mit den Achseln. „In einem früheren Leben hätte ich so gedacht, das stimmt.“

„Und in diesem?“

„In diesem versuche ich genau das zurückzulassen.“ Yuriy machte einen tiefen Atemzug. „Ich bin kein guter Mann. Nie gewesen. Aber ich muss nicht noch schlechter werden, als ich es schon bin. Und in gewisser Weise suche ich einfach …“

„Glück?“

Yuriy lächelte flüchtig, aber warm. „Ruhe. Nun, wer weiß, vielleicht sind diese beiden Begriffe oftmals das gleiche.“

Einen Moment schwiegen sie sich, doch es lag nichts Bedrückendes darin. Dann ergriff Iulia, getrieben von einem plötzlichen, immer stärkeren Bedürfnis, das Wort und sagte: „Es ist schon seltsam. Bis vor wenigen Tagen dachte ich, dass mich nur eine Person versteht: Die Person, der ich mein Herz geschenkt habe. Aber-“

„Aber?“, bohrte Yuriy nach, als sie stockte.

„Aber dann hat sie gezeigt, wer sie wirklich ist. Und dass sie mich die ganze Zeit nicht verstanden hat.“ Iulia atmete tief durch. „Ich dachte immer, dass es ist wie in den Geschichten: Dass es das schlimmste ist, für einen anderen, besseren Menschen verlassen zu werden. Aber das stimmt gar nicht - das schlimmste ist, für eine Überzeugung verlassen zu werden.“

Yuriy sah sie einen Moment lang an. Dann überraschte er sie, indem er an sie herantrat und auf eine fast tröstende Weise sachte eine Hand auf ihren Arm legte.

„Ich würde gerne sagen, dass ich das eher respektieren könnte, aber leider stimmt es nicht so ganz“, sagte er ruhig. Dann sah sie ihn einen Moment überlegen, ehe er sich erkundigte: „Du meintest, du bist öfter im Palast, nicht wahr? Und die Situation ist nicht gut?“

„Könnte besser sein“, sagte Iulia vorsichtig und neigte den Kopf. „Wieso fragst du?“

„Es gibt da jemanden“, sagte Yuriy langsam. Sein Blick wurde geradezu forschend. „Persönlicher Beschützer des Kaisers.“

„Kai“, sagte Iulia sofort.

Yuriy hielt inne. Dann nickte er. „Ich sehe, er hat sich einen Namen gemacht.“

„Alle wissen, dass Kai da ist und Irenéo ihn hasst“, sagte Iulia mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Er kann ihn nicht kaufen, er kann ihn nicht überzeugen und er kann ihn auch nicht töten, weil Kai zu klug ist. Es würde mich nicht wundern, wenn er irgendeine List ersinnt, um ihn in Ungnade fallen zu lassen - das ist der einzige Weg, um ihn von Takaos‘ Seite zu bringen. Und wenn er das geschafft hat …“

Yuriy erblasste schlagartig, als ob ihm etwas Schwerwiegendes bewusst geworden war. Er fluchte lautstark auf Russisch, dann schloss er die Hand deutlich fester um ihren Arm.

„Iulia“, sagte er rau. „Zeig mir einen Weg, wie ich unbemerkt in den Palast komme. Ich muss mit ihm sprechen.“

„Oh“, sagte Iulia verdattert. Auch ihr wurde jetzt einiges klar. Vielleicht konnte sie Yuriy tatsächlich mit Emilia vertrauen, zumindest mit einem gewissen Teil der Geschichte … doch das war eine Überlegung für ein andermal. Für den Moment schürzte sie nur die Lippen, ehe sie den Kopf schüttelte. „Das ist keine gute Idee.“

„Das habe ich auch nicht gesagt, oder?“, fragte Yuriy mit hochgezogener Braue. „Also?“

„Das ist dir wirklich wichtig, oder?“, realisierte Iulia voller Erstaunen. „Nein - er ist dir wirklich wichtig. Stimmt das?“

„Vielleicht“, sagte Yuriy nach einer langen Pause und begegnete ihrem Blick fest. „Ich hätte gerne die Möglichkeit, das Ausmaß genauer festzustellen. Aber er braucht Hilfe. Und Kai … Kai denkt, dass er alles im Griff hat und die Lage im Alleingang lösen kann, aber so funktioniert das Leben nicht. So landet man nur mit dem Gesicht nach unten in einer Lache des eigenen Blutes.“

„Danke für das geschmackvolle Bild“, seufzte Iulia, dann hielt sie inne. „Du sprichst aus Erfahrung, oder?“

Yuriy zuckte mit den Achseln, zögerte einen Moment und schien dann eine Entscheidung zu treffen.

„Ich war nicht immer ein Mönch“, sagte er langsam. „Die meiste Zeit meines Lebens war ich es nicht. Und Maler schon gar nicht. Ich bin in einem winzigen Dorf in der Tundra aufgewachsen, mitten im Wald. Nun, das Dorf hat mich mehr oder weniger - eher weniger - großgezogen, nachdem sie meine Mutter zum Teufel gejagt haben.“

„Warum?“

„Sie hatte rote Haare.“ Yuriy lächelte grimmig. „Mein Vater hat mir die Haare gefärbt, bis er in irgendeinem Scharmützel gefallen ist, damit sie mich nicht als Hexensohn aufknüpfen. Ob es viel gebracht hat … Nachdem Fürst Volkov mich einem Ritt durch das Dorf aufgesammelt hat, habe ich damit aufgehört. Er lehrte mich die Macht von Furcht anderer vor einem. Keine Ehrfurcht ohne Furcht, pflegte er zu sagen. Nun, damals war er noch kein Fürst. Nur ein dahergelaufener Rus, mordend und brandschatzend, aber mit einem Plan im Hinterkopf. Ambitionen … Sie sind manchmal alles, was die Spreu vom Weizen trennt.“

Yuriy machte eine Pause und Iulia realisierte, dass sie ihn mit angehaltenem Atem zugehört hatte. Nun ließ sie ihn langsam entweichen und fragte: „Was ist passiert?“

„Was passiert ist …“ Yuriys Gesichtsausdruck war nicht zu deuten. Sein Blick wanderte in weite Fernen, die sich Iulia nicht erschlossen. „Du musst verstehen, ich hatte lange kein Problem mit dieser Art des Lebens. Ich war Volkovs rechte Hand. Es hat mir nichts ausgemacht, zu morden - ich tat, was nötig war, um ein halbwegs angenehmes Leben zu führen. Ich denke, das kannst du verstehen.“ Er lächelte flüchtig. „Was passiert ist … Es war schleichend. Die schlimmsten Dinge passieren immer schleichend. Irgendwann ging es nicht mehr darum, Land zu sichern, ein Fürstentum aufzubauen, zu Macht zu kommen. Irgendwann hat Volkovs Armee gebrandschatzt und vergewaltigt, zerstört und gemordet, wo es nicht nötig war.“

„Wann ist eine Vergewaltigung jemals nötig?“, sagte Iulia mit bitterer Schärfe.

„Das hat Boris auch gesagt“, sagte Yuriy ruhig. „Ich denke, vielleicht ist einfach nur er passiert. Ich war an irgendeinem Punkt wie berauscht von der Macht, von Volkovs Gunst. Es hat mich blind und taub und grausam gemacht … und ich musste erst verlieren, was wirklich wichtig war, um zu realisieren, dass es nicht das war, was ich wollte. Dass ich genug hatte von Grausamkeit, Machtkampf und Politik.“

„Wer ist Boris?“, fragte Iulia, ohne einen Hehl aus ihrer tiefen Faszination zu machen.

„Mein Waffenbruder“, sagte Yuriy leise. „Mein Gewissen in vielen Momenten. Mein Seelenmensch.“

„Warum ist er nicht mit dir gekommen?“, wollte Iulia wissen. Doch sie ahnte die Antwort schon, und die Frage tat ihr leid, sobald sie aie gestellt hatte.

„Er ist tot“, erwiderte Yuriy mit fragiler Nüchternheit. „Und es ist meine Schuld, die ich niemals begleichen kann.“ Er machte einen tiefen Atemzug. „Aber ich werde nicht zulassen, dass Kai sehenden Auges in sein Unglück rennt. Also bitte ich dich noch einmal: Sag mir, wie ich in den Blachernen-Palast gelangen kann. Wenn der Berg nicht zum Prophet kommt, muss der Prophet eben zum Berg.“

„Ich halte das immer noch für eine ausgesprochen unüberlegte Idee“, sagte Iulia mit einem tiefen Seufzer. Aber es berührte sie, dass Yuriy ihr von seiner Vergangenheit erzählt hatte - sie eingelassen und ihr Vertrauen gezeigt hatte, wo er nicht hätte müssen. Vielleicht hatte sie eine Geliebte verloren, aber einen Freund gewonnen? Sie gab sich einen Ruck. „Na schön. Ich weiß tatsächlich einen Weg und verrate ihn dir. Manus manum lavat, nicht wahr? Aber bist du dir sicher? Ich dachte, du bist fertig mit den Machtkämpfen.“

„Das dachte ich auch“, sagte Yuriy sehr grimmig. „Aber scheinbar sind die Machtkämpfe nicht ganz fertig mit mir.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  esperluette
2022-01-09T18:54:46+00:00 09.01.2022 19:54
SOOO!!!
Exposition an allen Fronten. Der Blick auf Yulia’s struggles als Frau in der Gesellschaft und Yuriy’s Vergangenheit. Love it! Ich liebe die Spitzen im Austausch und in welcher Weise es die Beiden zu Verbündeten macht und vor allem die ersten Momente im Kapitel.

Nur waswaswaaas?? Was jetzt mit Yuriy’s quasi Zugeständnis an Kai?
Von:  Phoenix-of-Darkness
2021-12-23T05:55:56+00:00 23.12.2021 06:55
🤩🤩🤩
Endlich ein neues Kapitel und es liest sich so super flüssig, dass ich es gleich mehrfach gelesen habe.
Am Anfang fand ich es etwas überstürzt, dass Yuriy ihr so grei weg von sich erzählt. Doch nein es ist sehr stimmig und ich denke, dass die beiden sich aktuell wirklich vertrauen können.
Zwischen den Zeilen finde ich auch Yuriys Sorge um Kai einfach nur mega süß 😅
Aber es zeugt auch wirklich davon wie eichtig Kai ihm ist, dass er sogar einen Schritt in sein altes Leben macht.
Vielen Dank für dieses Kapitel


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