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Wenn einen die Vergangenheit einholt

von

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Die wahre Identität

Liam kniete in seinem Quartier und meditierte. In den ganzen zwei Monaten, in denen er Magneto nun als Leibwächter zur Seite stand, hatte er nicht einen einzigen Moment die Maske abgenommen. Er wollte nicht. Ihm war auch bewusst, dass Magneto ihn beobachtete, beziehungsweise ihn beobachten ließ.
 

Seine Aufgaben erfüllte er mit äußerster Präzision. Er war nicht nur Leibwächter, sondern auch Attentäter. Erik hatte wenig über seinen Neuzugang herausfinden können. Es schien, als wäre er plötzlich dagewesen. Er hatte keine Vergangenheit.
 

Magneto stand in seinem Zimmer und beobachtete den White Ninja auf dem Bildschirm, der mit den Kameras in dessen Quartier verbunden war. Dabei hatte der alte Mann den Ellenbogen in die linke Handinnenfläche gelegt und strich sich mit den Fingern übers Kinn. Liam glich einem Geist. Mystique hatte alles versucht, und doch nichts gefunden.
 

Die Loyalität des Jungen war unerschütterlich. Er hatte ihn vor mehreren Angriffen gerettet, und dabei auch wirksam gegen Regierungstruppen, die mit dem Serum bewaffnet waren, gekämpft. Dabei wurde er ihm jedoch immer unheimlicher. Wenn er einmal außer Kontrolle geraten, sich gegen ihn wenden sollte, waren seine ganzen Pläne dahin. Ihn auszuschalten würde ihn aber nach hinten werfen. Was also sollte er tun?
 

Ein Klopfen an der Tür riss Magnetos Leibwächter aus seiner Konzentration. Mit Schwung wurde sie aus den Angeln gehoben und flog quer durch den Raum. Im Türrahmen stand der alte Mutant, in voller Montur, mit Helm am Kopf.
 

„Ich will wissen, wer oder was du bist“, forderte er ihn auf, die rechte Hand drohend ausgestreckt.

„Euer Leibwächter“, antwortete der Junge folgsam.

„Lüge!“, brüllte der Ältere.

„Was sollte ich sonst sein?“, fragte Liam ruhig.

„Ein Attentäter, ein Spion…“
 

Magnetos Züge verhärteten sich, als sein Gegenüber sich langsam aufrichtete. Jede einzelne Bewegung verfolgte er mit Argusaugen, bereit sich zu verteidigen.
 

„In all den Jahren habe ich mich immer gefragt, wie er wohl sein würde, wenn ich ihn einmal träfe“, begann Liam leise und machte sich daran, seine Maske abzunehmen.

„Ich habe ihn mir groß vorgestellt. Groß und stark. Ich habe trainiert, um ihm zu gefallen, Tag und Nacht. Mein Zusammentreffen mit ihm sollte etwas Besonderes werden.“
 

Magneto schrak zurück, als die weiße Maske zu Boden fiel. Er taumelte, bis er gegen eine Mauer stieß. Seine Augen wurden mit jedem Schritt, den Liam auf ihn zumachte, größer. Noch immer machte dieser keine Anstalten ihn anzugreifen. Er lächelte sogar. Ein Lächeln, das Magneto endlich zuordnen konnte.
 

„Meine Mutter meinte, ich sei meinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.“ Knapp vor Erik hielt er an und senkte seinen Blick ein wenig, so als wäre er bei einem kleinen Streich ertappt worden.

„Ihr gegenüber hat er sich als Liam vorgestellt. Erik ist aber auch nicht sein wahrer Name, oder?“
 

„Das ist unmöglich“, murmelte Magneto und schüttelte den Kopf. Niemand war in seinen Geist eingedrungen, und es wäre auch nicht möglich gewesen: Helm und jahrelanges mentales Training hatten sogar Charles davon abgehalten, ihm irgendwelche Gedankentricks zu spielen. Das musste also real sein.
 

„Gefalle ich dir nicht? Hast du dir deinen Sohn anders vorgestellt, Vater?“

„Aber…“, begann der Grauhaarige, wurde aber sogleich von seinem Kind unterbrochen.

„Bin ich zu schwach? Habe ich dir keinen guten Dienst erwiesen?“
 

Die Ähnlichkeit war nicht zu leugnen. Der Junge vor ihm war Magneto wie aus dem Gesicht geschnitten. Er wäre eine perfekte Kopie gewesen, hätte er nicht leicht mandelförmige, komplett weißen Augen besessen.
 

„Eine rhetorische Frage Vater, ich weiß.“

„Deine Mutter ist…?“

„Meine Mutter war eine Japanerin. Ich glaube kaum, dass du dich noch an sie erinnerst. Ihr Name war Yuna.“
 

Magneto überlegte. Yuna. Ein fremder Name. Er hatte ihn, um ehrlich zu sein, noch nie gehört. War das alles eine Lüge? Ein Trick? Nein, das konnte nicht sein. Eine so exakte Kopie seiner selbst, leicht abgeändert, zu erschaffen, war fast unmöglich. Dazu noch die herausragenden Fähigkeiten des Jungen.
 

„Es war auf einer deiner zahlreichen Studienreisen. Du warst schon älter. Sie war das Escort-Mädchen.“
 

Dunkel glaubte Magneto sich zu erinnern. Da war tatsächlich ein Mädchen gewesen, jung, hübsch, dunkelhaarig – eine Japanerin eben. Das schien zu passen, zumindest ansatzweise. Die Frage war jedoch, warum der Junge jetzt aufgekreuzt war.
 

„Und jetzt bist du hier, um mich zu vernichten“, schlussfolgerte Erik und machte sich bereit, einen Angriff abzuwehren.

„Nein, ich bin hier, weil ich dich kennenlernen möchte.“

„Eine passende Ausrede für einen Attentäter.“

„Hätte ich dich töten wollen, wären da andere, bessere Gelegenheiten gewesen.“
 

Das stimmte natürlich. Liam war ihm nicht von der Seite gewichen, und hatte sowohl Mutanten als auch Soldaten aus dem Weg geräumt. In seiner Nähe war er sicher gewesen. Sein Sohn schlief nicht, er aß auch nicht; er schien nur zu leben, um ihm zu dienen.
 

„Dein Name ist aber ungewöhnlich für einen Japaner.“

„Ist er. Du hast dich aber als englischer Gastprofessor vorgestellt. Ich glaube es war Geschichte und Arithmetik.“
 

Auch das konnte passen. In der Vergangenheit war er oft unter Tarnidentitäten gereist, meist als jemand der gehobeneren Gesellschaftsschicht. Arithmetik war eines seiner Lieblingsgebiete, in dem er herausragend bewandert war, was die Tarnung zusätzlich untermauerte.
 

„Mal angenommen, ich würde dir diese Geschichte glauben. Das ändert nichts an unserem Verhältnis, ist dir das klar?“

„Das ist mir vollkommen bewusst. Ich bin als dein Leibwächter in die Bruderschaft gekommen, und werde mein Leben für dich geben, wenn du es wünschst, Vater.“
 

Sollte er einmal Gefühle zeigen? Diese Form von Schwäche war ihm zuwider. Er war Max Eisenhardt, Erik Lehnsherr, Magneto, der Anführer der Bruderschaft, einer der gefürchtetsten Männer auf dem Planeten. Emotionen würden ihn menschlich machen und eine Angriffsfläche bieten.
 

„Zieh deine Maske wieder an, und behalte dieses Geheimnis für dich“, wies er Liam an und drehte sich dabei um. „Melde dich in einer halben Stunde in meinem Büro. Wir werden einen alten Freund besuchen.“

„Natürlich. Wen?“, fragte der Halbjapaner und zog sich die Maske über.

„Charles Xavier.“

„Warum?“

„Weil ich etwas herausfinden möchte“, antwortete Magneto leise.

„Das da wäre?“

„Ob ich Jean vielleicht gar nicht brauche.“
 

Beim Gehen schlich sich erneut ein Lächeln auf Eriks Lippen, verborgen für Liam, der nur seinen Rücken sehen konnte. Vielleicht war es gar nicht notwendig, Jean auf seine Seite zu ziehen. Er hatte jemanden, der eventuell genauso stark, wenn nicht sogar stärker war. Ein Kreis, der sich schloss. Auf dieses Zusammentreffen war er gespannt. Liam war leichter zu kontrollieren als sie, und er konnte in der Lage sein, dem Serum zu widerstehen. Am Ende würde die Welt ihre nächste Evolutionsstufe erreichen: Eine Gesellschaft voller Mutanten, und er würde ihr Herrscher sein.



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