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The Monster inside my Veins

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Mal ein Kapitel mehr als sonst 😂 weil ich zurzeit so gut mit dem Schreiben vorankomme. Der jetzige Stand liegt bei insgesamt 37 Kapiteln, welche 422 Seiten bzw. über 203.000 Wörter umfassen xD (Ja, ich war die letzten zwei Jahre sehr fleißig) Und das ist gerade mal der erste von drei geplanten Teilen 🤣
Sobald ich den ersten Teil fertiggestellt habe, werde ich die Kapitel auch in kürzeren Zeitabständen hochladen. Ich hoffe, ihr bleibt bis zum Schluss dran 😊
Aber jetzt wünsche ich euch erst mal viel Spaß beim Lesen des nachfolgenden Kapitels <3 Komplett anzeigen

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Das Meeting im Desaster

Gelangweilt lehnte Gin an der Wand und ließ seinen Blick durch die Lobby schweifen. Er fragte sich, wie er sich dazu nur überreden lassen konnte. Dieses Meeting war nichts als Zeitverschwendung. Obwohl er erst seit 20 Minuten hier war und die Gegenpartei bis jetzt noch nicht aufgetaucht war, konnte er schon vorhersagen, wie der Abend wohl oder übel enden würde. Er war lange genug in der Organisation, um zu wissen, wie die Dinge bei ihnen geregelt wurden und dass Gegner oder rivalisierende Gruppen für gewöhnlich immer aus dem Weg geräumt wurden. Egal mit welchen Mitteln.

Der Silberhaarige stöhnte genervt und nippte anschließend kurz an seinem Sektglas, welches ihm vorhin von einem Angestellten angeboten worden war. Endlich ging Vermouth ihm nicht mehr auf die Nerven und er konnte ein wenig Ruhe genießen. In dem Moment, als Rye den Saal betreten hatte, war sie immerhin zu diesem geeilt. Da war Gin ausnahmsweise mal froh über das Erscheinen des Neulings gewesen. In diesem schwarzen Tuxedo machte Rye einen ganz anderen Eindruck als sonst, auch seine langen Haare waren heute zusammengebunden. Im Moment konnte Gin beobachten, wie Vermouth den Schwarzhaarigen offensichtlich verschiedenen hochrangigen Mitgliedern vorstellte. Sie zerrte ihn am Arm hinter sich her.

„Fast schon wie ein Hündchen.“, spottete Gin gedanklich. „Sie präsentiert ihn als sei er irgendein seltenes Kunstwerk.“

Gerade schüttelte Rye einem älteren Organisationsmitglied mit dem Codenamen Pisco die Hand und lächelte dabei überfreundlich. Dass dieses Lächeln nicht echt war, erkannte Gin auf Anhieb. Für ihn war leicht zu durchschauen, dass Rye sich in Wirklichkeit einfach von allen überrumpelt fühlte und sich jetzt so gut wie möglich versuchte anzupassen.

Zugegeben, Gin selbst hasste solche Veranstaltungen und er konnte es ebenso nicht ertragen unter so vielen Menschen zu sein. Dennoch empfand er keinerlei Mitleid für seinen neuen Partner. Er war immerhin selbst Schuld, wenn er immer in Vermouths Nähe blieb, welche die Aufmerksamkeit anderer förmlich wie ein Magnet anzog. Auch einer der Gründe, weshalb der Silberhaarige sich meistens so weit wie möglich von dieser Frau distanzierte. Auch jetzt hoffte er, dass Rye als eine ausreichende Ablenkung genügte und sie ihn für den Rest des Tages in Ruhe lassen würde. Doch plötzlich drehte sich der Schwarzhaarige um und richtete seinen Blick auf Gin, welcher daraufhin schnell in eine andere Richtung sah.

„Ich hab den Kerl gerade ernsthaft die ganze Zeit angestarrt...“, musste er peinlich berührt feststellen. So interessant fand er ihn doch überhaupt nicht. Im Gegenteil. Und das würde sich so schnell auch nicht ändern, da konnte er noch so gute Fähigkeiten als Scharfschütze besitzen.
 

„Mischt du dich nicht unter die Leute?“

Erschrocken über die Stimme hinter seinem Rücken, drehte sich Gin hastig um und erblickte Rye plötzlich direkt vor sich. Durch die schnelle Drehung verschüttete er etwas Sekt auf den gefliesten Boden.

„Oh tut mir leid, ich wusste nicht, dass du so schreckhaft bist.“, entschuldigte sich sein Partner daraufhin ironisch.

Gin ignorierte sowohl sein kleines Missgeschick als auch Ryes vorherigen Satz und fuhr diesen stattdessen an: „Was machst du hier?“

„Vermouth meinte, es wäre von Vorteil, wenn ich auch käme. Sie will, dass ich mich schneller eingewöhne.“, erklärte er ruhig, was Gin nicht überraschte.

„Du bist trotzdem noch zu unerfahren für solche Meetings. Allein schon wie du dich verstellst ist auffällig.“, kritisierte er, ohne zu wissen, wie sein Gegenüber diesen Satz deutete.

„Ach so, das ist dir also aufgefallen, weil du mich die ganze Zeit genau beobachtest hast.“ Rye lächelte Gin schelmisch an, welcher sich nun ertappt fühlte.

„Es ist schließlich auch der Wille des Bosses, dass du unter Beobachtung bleibst.“, redete er sich jedoch raus, womit er nicht einmal falsch lag.

„Stimmt ja, hatte ich beinahe vergessen.“, erwiderte Rye und fügte nach einem Blick auf die Menschen im Saal hinzu: „Und entschuldige, ich muss wohl noch lernen mit so vielen Leuten auf einmal klarzukommen.“

„Schon gut.“, meinte Gin ruhig. „Wo hast du Vermouth eigentlich gelassen? Nicht, dass die auch noch angedackelt kommt...“, sprach er dann seine Befürchtung laut aus. Doch Rye schüttelte nur den Kopf und sagte: „Keine Sorge, sie ist mit ein paar Anderen gegangen, um die eben eingetroffenen Gäste zu empfangen. Dieses Hotel hier gehört doch auch eurer Organisation, oder?“

„Nein, wir befinden uns auf neutralem Boden. Damit niemand im Vorteil ist. Allerdings wird denen das nichts nützen...“ Ein hinterhältiges Grinsen zierte Gins Lippen.

„Also werden wir ihren Forderungen nicht nachkommen?“, hakte der Schwarzhaarige daraufhin nach, auch wenn er das irgendwie schon erwartet hatte.

„Natürlich nicht.“, stellte der erfahrene Mörder klar und legte seine Hand auf Ryes Schulter, bevor er abwertend hinzufügte: „Aber überlass‘ das den Profis. Ich glaube, du bist noch nicht kompetent genug, um ordentlich zu verhandeln.“

Mit diesen Worten entfernte sich Gin von seinem Partner, welcher ihm nach einem Seufzen folgte.
 

Eine halbe Stunde später
 

Angespannt rutschte Rye auf seinem Stuhl hin und her. Lockerte danach seinen Kragen, da er sich fühlte, als würde er jeden Moment zu ersticken drohen. Auch wenn er natürlich wusste, dass es sich nur um Einbildung handelte und das nie passieren konnte. Das hatte er immerhin schon ausprobiert.

Kurz nach seinem Gespräch mit Gin hatte Vermouth direkt vorgeschlagen die Diskussion in einen anderen Saal zu verlegen, welchen sie extra dafür gemietet hatten. So war er Gin dorthin einfach gefolgt und saß nun mit den anderen Mitgliedern an einer rundlichen Tafel, auf welcher sich neben ein paar Unterlagen für jeden ein Glas Wasser befand. Auch vor ihm stand eins, doch er rührte es nicht an.

Die Gespräche rauschten an ihm vorbei wie alle anderen Geräusche im Raum. Dafür nahm er die ganzen Gerüche umso intensiver war. Da war dieser unverwechselbare, verführerische Duft von menschlichem Blut, aber auch ein leichter Schweißgeruch, der sich bei den betreffenden Personen womöglich aus Nervosität bildete. Beides ergab eine seltsame Mischung, die allerdings seinen Jägerinstinkt erweckte. Trotzdem versuchte der letzte rational denkende Teil in ihm diesen Instinkt mit aller Kraft zu unterdrücken. Er durfte nicht die Kontrolle verlieren. Nicht hier an diesem Ort. Nicht heute, wo er doch das Vertrauen der Organisation in ihn aufbauen musste. Würde jetzt etwas schiefgehen, müsste er wieder ganz von vorn anfangen und erneut in eine andere Stadt flüchten. Daran wollte er gar nicht denken.

„Beruhige dich… lenk dich einfach ab...“, befahl er sich innerlich und suchte nach etwas, das aus seiner Sicht interessanter war, als der Gedanke die Menschen im Raum hier allesamt abzuschlachten. Während er sich umsah, blitzte mehrmals im Bruchteil einer Sekunde eine Art Wärmebild vor seinen Augen auf, welches er durch schnelles Blinzeln schnell wieder vertrieb.

„Reiß dich zusammen!“, wies ihn seine wütende Stimme im Kopf zurecht. Die altgewohnte Wut auf sich selbst machte sich wieder einmal bemerkbar, wohl zu Recht. Momentan war er wirklich erleichtert, dass alle Anwesenden so sehr in das Gespräch vertieft waren, so dass niemand auf ihn zu achten schien und seine ungewöhnliche Haltung bemerkte. Alle Anwesenden bis auf eine Person.

Rye spürte, wie er von rechts von jemandem unauffällig am Stoff seines Ärmels gezogen wurde. Irritiert drehte der Schwarzhaarige den Kopf zur Seite, nur um in das bestürzte Gesicht von Gin zu blicken. Oder war er wütend? Rye konnte den Blick nicht deuten. Auch schien Gin ihm etwas zu sagen, da sich dessen Lippen bewegten. Flüsterte er nur? Sprach er überhaupt mit ihm? Egal, wie sehr sich Rye auf seinen Gegenüber konzentrierte, er verstand kein einziges Wort. Nur die gedämpften Stimmen der anderen drangen noch zu ihm durch.

„Der Anzug steht ihm wirklich gut, so kann man seinen Hals viel besser sehen...“, schwirrte ein Gedanke durch seinen Kopf, während er Gin weiter betrachtete. Wenn er sich voll und ganz auf den Silberhaarigen fixierte, konnte er sogar dessen gleichmäßigen Herzschlag wahrnehmen. Oder hören, wie ihm das Blut durch seine Venen rauschte.

Ein unerwünschtes Bedürfnis stieg in Rye auf und er befeuchtete unbewusst seine Lippen. Nicht mehr lange und sein Verstand würde endgültig aussetzen…
 

„DAS KANN DOCH NICHT EUER ERNST SEIN, KOMMT NICHT IN FRAGE! WAS GLAUBT IHR EIGENTLICH, WER IHR SEID?!“, schrie plötzlich jemand völlig außer sich und schlug die Hände dabei auf den Tisch, so dass fast alle Anwesenden zusammenzuckten vor Schreck. Rye hingegen war überglücklich, dass er soeben aus seiner Trance befreit wurde. Er konnte seine Aufmerksamkeit nun wieder vollständig dem Geschehen widmen.

„Nun reg‘ dich doch nicht so künstlich auf. Dabei hatte ich gehofft, ihr wärt mit dem Vorschlag unseres Bosses einverstanden...“, sprach Vermouth an Ryes linker Seite in einer bedauernden Tonlage und stützte den Kopf auf ihrer Hand ab.

„Eures Bosses? Selbst wenn der Vorschlag gut wäre, würden wir ihn nicht annehmen. Nicht von jemandem, der sich hinter seinen Untergebenen versteckt und es nicht auf die Reihe bekommt, selbst hier aufzutauchen! Schon dass er dich als Vertretung geschickt hat, ist eine bodenlose Frechheit!“, entgegnete ihr Gegenüber gereizt, welcher offensichtlich nicht vorhatte, sich in absehbarer Zeit zu beruhigen. Danach kippte die Stimmung im Raum schlagartig und die bereits vorhandene Anspannung nahm mindestens auf das Dreifache zu.

Da spreizte Vermouth warnend ihren Zeigefinger und warnte: „An deiner Stelle würde ich gut aufpassen, was du sagst, Sigma.“

Nach einem Schmunzeln fügte sie belustigt hinzu: „False words could induce a disaster.“

Der Mann, der anscheinend den Namen Sigma trug, verengte die Augen.

„Tze!“ Er stand mit einem Ruck auf und sagte laut: „Wir sind hier fertig.“

Nach diesen Worten erhob sich auch der Rest der feindlichen Belegschaft und folgte ihrem Vorgesetzten zur Tür. Vermouth lehnte sich genüsslich in ihrem Stuhl zurück, betrachtete ihre lackierten Nägel und kommentierte amüsiert: „Wirklich interessant, wie schnell ihr den Schwanz einzieht. Hätte ich nicht erwartet.“

Kurz vor der Tür blieb Sigma stehen, bevor er lediglich seinen Kopf leicht drehte.

„Du hast mich offenbar falsch verstanden, als ich sagte, wir sind hier fertig, meine Liebe.“ Er setzte ein hämisches Grinsen auf und fügte bösartig hinzu: „Fertig mit euch.“

Kaum einen Augenblick später zückte er ein Messer aus seinem Ärmel und warf es schwungvoll in Vermouths Richtung. Die Klinge flog viel zu schnell für das menschliche Auge und…
 

...traf nicht das gewünschte Ziel.
 

Rye ignorierte die verblüfften, teils schockierten Gesichter aller Anwesenden und gab unbekümmert von sich: „Stimmt… Den Boss… den kenne ich ja noch gar nicht.“

Er musterte das Messer in seiner Hand, welches er kurz zuvor gefangen hatte, bevor es die Blondine erreichen konnte. Diese sah ihn jetzt mit großen Augen an.

Die folgende Stille spitzte sich immer mehr zu und niemand traute sich, sie mit dem kleinsten Laut zu unterbrechen. Schließlich räusperte sich die Führungsperson der Gegenpartei und sprach Rye dann direkt an: „Du bist also noch nicht lange bei denen tätig?“

Das hatte er wohl aus dem vorherigen Satz des Schwarzhaarigen geschlussfolgert, welcher sich gerade von seinem Stuhl erhob und im Plauderton erwiderte: „Nein, bin ich nicht. Ehrlich gesagt erst seit ungefähr einer Woche. Warum?“

„Ist dir das nicht zu suspekt, für jemanden zu arbeiten, den du noch nicht einmal gesehen hast?“, entgegnete Sigma mit einer Gegenfrage, woraufhin er von Rye einen nachdenklichen Blick zugeworfen bekam.

„Eigentlich hat er ja recht...“, gestand sich Rye gedanklich ein und stützte sich an der Rückenlehne seines Stuhls ab.

Aber auch wenn die Frage des Kerls der Tatsache entsprach, bedeutete das nicht, dass er sich das zu Herzen nehmen würde. Denn er war der Überzeugung, den Boss in naher Zukunft noch kennenlernen zu dürfen.

Zeitgleich breitete sich erneut Stille aus. Jeder hielt sich zurück und die Meisten schienen ohnehin zu durcheinander für irgendwelche Worte zu sein. Rye senkte den Kopf und konnte dabei den aufmerksamen Gesichtsausdruck von Gin erhaschen, der aber auch leicht feindselig wirkte. Als würde der Silberhaarige ihm schweigend mitteilen: „Wage es bloß nicht, etwas Falsches zu sagen.“

Rye zauberte dieser Blick ein Lächeln auf die Lippen. Als er sich endlich eine Antwort parat gelegt hatte, kam sein Gesprächspartner ihm jedoch zuvor: „Wir hätten noch einen Platz für dich bei uns frei. Du erscheinst mir sehr geschickt und begabt, wir könnten dich gut gebrauchen. Selbstverständlich für eine viel höhere Bezahlung.“

Der Schwarzhaarige zog daraufhin nur eine Augenbraue nach oben.

„Versucht der mich gerade ernsthaft anzuwerben?“, dachte er ungläubig. Da band der Mann Vermouth mit in das Gespräch ein und machte ihr den Vorschlag: „Wie wär‘s mit einem kleinen Tauschgeschäft. Ich bin bereit euren Vorschlag anzunehmen, wenn ihr uns dafür eins eurer Mitglieder übergebt.“

Dabei richtete er seinen Blick gezielt auf Rye und ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, welches Mitglied er meinte. Gerade als Vermouth ansetzte ihre Meinung lautstark zu verkünden, hob Rye die Hand, um an ihrer Stelle zu antworten: „Abgelehnt.“

Er ließ das Messer in der anderen Hand herumwirbeln, wodurch ihm der verblüffte Gesichtsausdruck von Sigma entging.

„Sicher? Es wäre doch schade um deine außergewöhnlichen Fähigkeiten, wenn sie nicht richtig zur Geltung kommen, findest du nicht?“, hörte Rye bloß dessen Frage. Sein Lächeln kehrte zurück.

„Ich weiß gar nicht, was Sie meinen.“, tat er absichtlich unwissend und warf dem Kerl anschließend einen provozierenden Blick zu. Doch er ließ diesem keine Zeit zu antworten.

„Ach und bevor Sie gehen…“, er stoppte die Drehungen des Messers in seiner Hand, „Das wollen Sie bestimmt zurück haben, oder?“

Kurz darauf warf er die Klinge mit einer blitzschnellen Geste zu ihrem ursprünglichen Besitzer zurück, welcher von dieser nur haarscharf verfehlt wurde. Mit schockgeweiteten Augen blickte der Mann zu seinem Messer, das nun tief in der Wand hinter ihm steckte. Als er Rye wieder ansah, verzog sich seine Miene zu einer wütenden Grimasse.

„Genug mit den Nettigkeiten, erledigt sie, alle! Und fangt mit diesem Bastard dort an!!“, verlangte er dann laut und wies zuletzt mit dem Finger auf den Schwarzhaarigen. Danach befolgte ein Großteil der Untergebenen den Befehl, indem sie ihre Waffen zogen und diese auf die Mitglieder der Organisation richteten.

„Ihr denkt doch nicht im Ernst, dass ihr uns so einfach los werdet?“, kaum hatte Vermouth die Frage gestellt, waren die Organisationsmitglieder ebenso bewaffnet. Nur Rye zückte seine Pistole nicht, da er sie nicht mal mitgenommen hatte. Wozu auch? Er wollte es schließlich vermeiden Blut zu vergießen, aber seine Mitstreiter schienen diesbezüglich wohl anderer Ansicht zu sein.

„Hey, hey… ihr wollt doch jetzt nicht wirklich ein Massaker starten?“, befürchtete Rye gedanklich, musste sich jedoch eingestehen, dass er die Situation selbst herbeigeführt hatte und mal wieder zu übermütig gewesen war. Leider bestätigte Vermouths nächste Aussage mehr oder weniger seinen Verdacht: „Wir werden dafür sorgen, dass niemand von euch dieses Hotel lebend verlassen wird.“

Daraufhin tippte einer der Untergebenen Sigma auf die Schulter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Nach einem genervten Zischen erwiderte der Kerl in einer abschätzigen Tonlage: „Na dann, versucht es doch.“

Eine Sekunde später fielen die ersten Schüsse.
 

Rye versuchte so gut wie möglich allen Kugeln auszuweichen. Immer darauf achtend, dass seine Bewegungen dabei nicht zu schnell wirkten. Zwar würden ihn die Kugeln nicht verletzen, doch es wäre auffallend, wenn er später keine Wunden davon tragen würde.

„Ich muss hier schnellstens raus...“, dachte er, als ihm bewusst wurde, was passieren würde, wenn das erste Blut floss. Auch wenn jeder der Anwesenden sich bisher geschickt genug anstellte, um nicht getroffen zu werden, gab es bestimmt bald die ersten Verletzten und Toten.

Als sich Rye prüfend umsah, welcher Weg durch das Chaos am sichersten wäre, fiel ihm jedoch etwas anderes auf: Anscheinend hatten gewisse Personen ebenfalls vor, sich aus dem Staub zu machen. Dieser Sigma nutzte mit ein paar seiner Untergebenen die Gelegenheit und verließ gerade unauffällig den Raum.

„So einfach kommst du mir nicht davon...“ Ein hinterhältiges Grinsen umspielte Ryes Lippen, als eine Idee in seinem Kopf Gestalt annahm: „Wenn ich ihn fange und ausliefere, könnte ich dafür in der Organisation vielleicht weiter aufsteigen...“

Ein Kinderspiel. Und man würde ihn mit Sicherheit dafür loben. Vielleicht würde dann sogar Gin nicht mehr auf ihn herabblicken und endlich als Partner respektieren.

Der letztere Gedanke spornte seinen Willen noch mehr an, weshalb er gleich danach zur Tür rannte, um die Kerle zu jagen.
 

Überrascht beobachtete Gin, wie Rye plötzlich aus dem Raum stürmte.

„Flieht er etwa…?“, vermutete der Silberhaarige zuerst, doch Ryes Gesichtsausdruck, welchen er noch hatte erhaschen können, widersprach diesem Gedanken. Es wirkte viel mehr, als wäre er von etwas angetrieben worden.

Als Gin seinen Blick durch die Umgebung schweifen ließ, bemerkte er auch, was das gewesen war. Außer Rye fehlten nämlich noch weitere, ganz bestimmte Personen im Raum. Er stieß den Kerl, der ihn gerade angreifen wollte, achtlos beiseite und lief ebenso aus der Tür.

Dahinter entdeckte er Rye noch am Ende des Gangs, wie dessen lange, schwarze Strähnen hinter der nächsten Ecke verschwanden.

„Rye!!“, schrie der Silberhaarige mit einem wütenden Unterton in der Stimme, während er seinem Partner begann zu folgen.

„Dieser leichtsinnige Mistkerl! Er glaubt doch nicht im Ernst, dass er allein gegen die ankommt!“, fluchte er gedanklich. Schon den ganzen Abend ging Rye ihm gewaltig gegen den Strich. Wie er große Töne gespuckt und schließlich mit seiner letzten Aktion das Fass zum überlaufen gebracht hatte. Für wen hielt er sich eigentlich?

Auf einmal hörte Gin ein lautes, schallendes Geräusch, durch welches der Boden unter ihm anfing zu beben. Ungläubig sah er nach hinten. Das war zweifellos eine Explosion gewesen. Hier im Gebäude.

„Deswegen hat der Kerl die ganze Zeit auf die Uhr geschaut und so seltsam reagiert, als ihm etwas zugeflüstert wurde...“, schlussfolgerte der Silberhaarige. „Dann war das mit Sicherheit noch nicht die letzte Bombe. Wahrscheinlich wollen sie uns hier drin alle lebendig begraben.“

Entschlossen schlug er ein schnelleres Tempo an. Jetzt musste er erst mal Rye einholen. Danach hieß es: nichts wie raus hier.
 

Rye rannte pausenlos weiter und ignorierte die Erschütterung unter seinen Füßen. Sein Jagdinstinkt beherrschte fast all seine Sinne. Er würde erst stehenbleiben, wenn er diesen Schuft erreicht hatte. Doch leider war das nicht so leicht, wie eigentlich geplant. Denn immerhin musste er in einem menschlichen Tempo rennen, um nicht aufzufliegen. Schließlich gab es hier eine Menge Zeugen und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Überwachungskameras, die all seine Taten aufzeichneten. Auch wenn die Organisation die Aufnahmen womöglich nicht hier lassen würde, so würden sie sich diese trotzdem ansehen und auswerten.

Da glaubte Rye plötzlich, jemand würde seinen Namen rufen. Mit geweiteten Augen sah er kurz über die Schulter und entdeckte Gin am Ende des Flures.

„Gin…? Aber wieso folgt er mir?“ Gerade fiel dem Schwarzhaarigen kein logischer Grund dafür ein. Oder hatte er etwas falsch gemacht und Gin wollte ihn jetzt zurückholen? Er schüttelte energisch den Kopf und lief einfach weiter. Gleich hatte er den Mistkerl geschnappt. Aufgeben kam gar nicht mehr in Frage.

Doch im nächsten Augenblick spürte Rye eine unerträgliche, brennende Hitze hinter seinem Rücken, gefolgt von einer starken Druckwelle, die ihn unweigerlich zu Boden riss. Einen Moment lang glaubte er, die Hölle würde ihn einholen. Er nahm kaum wahr, wie sein Körper einige Meter weit durch den Flur flog, bis er gegen die nächste Wand prallte. Der laute Knall hinterließ ein schallendes Echo in seinem Kopf.

„Eine Explosion…?“ Der Schwarzhaarige blinzelte ein paar Mal desorientiert, bevor er sich vorsichtig wieder aufrichtete und in den von Rauch erfüllten Gang starrte. Die Wände beidseits des Flures hinter ihm waren komplett zertrümmert. Selbst Decke und Boden hatten einige Risse bekommen. Ein Wunder, dass sie noch nicht eingestürzt waren.

„Verstehe, nicht mal dadurch kann ich sterben.“, erkannte Rye und betrachtete dabei seine angekokelten Klamotten, die zudem von Staub und Dreck übersät waren. Er stieß ein Seufzen aus. Irgendwie zum heulen, auch wenn ihn das längst nicht mehr überraschte.

Ein normaler Mensch wäre jetzt womöglich tot oder zumindest außer Gefecht gesetzt, je nach dem, wie weit die betreffende Person von der Explosion entfernt gewesen wäre.

Plötzlich weiteten sich Ryes Augen.

„Gin! Er war doch hinter mir!“, übermannte ihn die erschreckende Erkenntnis, doch zeitgleich fiel ihm noch etwas Wichtiges ein: Sigma - Der Anführer dieser seltsamen Gruppe. Er war spurlos verschwunden.

„Ich darf diesen Kerl nicht entwischen lassen. Gin kommt bestimmt auch allein zurecht. Außerdem ist er viel zu hochnäsig, um sich von mir helfen zu lassen.“, dachte er fest überzeugt, zuckte dabei mit den Schultern und wollte gerade weiter gehen… Aber irgendwie konnte er keinen einzigen Schritt setzen. Unsicher drehte er sich um.

„Soll ich wirklich...“
 


 

Schwer atmend lag Gin auf dem Boden. Seine Ohren waren wie betäubt. Er wollte aufstehen, doch sein Körper bewegte sich kein Stück und fühlte sich viel zu schwer an. Alles tat ihm höllisch weh, allerdings würde er sich die Schmerzen nie direkt eingestehen. Anscheinend hatte ihn die Druckwelle tatsächlich ziemlich heftig erwischt, auch wenn er seiner Meinung nach noch weit genug von dieser entfernt gewesen war. Es hätte deutlich schlimmer enden können. Und wie es schien, sollte es das auch noch…

Seine Sicht war nur leicht verschwommen, weshalb er die Umrisse mehrerer paar Schuhe auf sich zukommen sah, welche dann vor ihm stehenblieben. Kurz darauf spürte er, wie sein Kopf am Haaransatz gewaltsam hochgezogen wurde. Ein Mann mit tiefen Augenbrauen und kantigem Gesicht schien ihm irgendwas zu sagen. Der Silberhaarige konnte es nicht hören. Er wollte die Hand über sich wegschlagen, oder sich zumindest anderweitig wehren, aber seine Arme zitterten nur und blieben schlaff. Währenddessen wurde ihm der Lauf einer Pistole an die Stirn gedrückt. Es war aussichtslos.

„Wer hätte gedacht, dass ich in so einer armseligen Lage sterben würde.“ Beinahe hätte er gelacht. Eigentlich hatte er sonst noch nie darüber nachgedacht, wie er aus dem Leben treten würde. Aber ehrenvoll für die Organisation zu sterben schien ihm ein guter Weg zu sein. Denn es gab immerhin nichts anderes. Nichts, das wichtiger war…

Doch der Schuss, der ihn ins Jenseits befördern sollte, erfolgte nie. Gin merkte, wie der Griff an seinem Kopf nachließ, nachdem seinem Gegenüber die Pistole aus der Hand geschlagen wurde.

„Rye…?!“ Der Silberhaarige glaubte durch die Nachwirkungen der Explosion eine Halluzination zu sehen. Das vor ihm konnte unmöglich Rye sein. Die Explosion hätte diesen voll erwischen müssen. Selbst wenn er weit genug entfernt gewesen wäre, müsste es ihm ähnlich wie Gin gehen. Zudem würde dieser überhebliche Kerl doch niemals zurückkommen, um ihn zu retten.
 

Als Rye dem Mistkerl die Waffe aus der Hand geschlagen hatte, umfasste er dessen Kinn und Hinterkopf und brach ihm ohne zu zögern das Genick. Sein Opfer sank auf der Stelle zu Boden, während zeitgleich auch Gin durch den plötzlich fehlenden Halt wieder zusammenbrach, da er offensichtlich keinerlei Kraft besaß, um sich abzustützen. Trotzdem waren die grünen Augen des Silberhaarigen immer noch auf seinen Partner gerichtet.

Sofort hörte Rye das Klicken mehrerer Pistolen, die nun allesamt auf ihn gerichtet waren. Unbeeindruckt starrte er die Gruppe vor sich an, bei welcher es sich scheinbar um eine hinzugekommene Verstärkung der feindlichen Organisation handelte.

„Was? Soll ich mich jetzt ergeben, weil ihr in der Überzahl seid? Das ist erbärmlich.“, fragte er scherzhaft, woraufhin einer von denen gefährlich leise erwiderte: „Du kannst dich auch gern erschießen lassen.“

Danach herrschte eine Weile Stille, in welcher Rye einen überraschten Gesichtsausdruck vortäuschte, bis er schließlich in Gelächter ausbrach. Es stimmte, er würde sich gern erschießen lassen, was ihm aber leider nicht vergönnt war. Und das war so traurig, dass es ihn schon wieder amüsierte.

„Was ist so lustig?!“, blaffte einer ihn kurz darauf wütend an.

„Ihr seid alle so langweilig. Immer die gleichen, jämmerlichen Versuche. Und immer ist das Ende längst vorprogrammiert. Könnt ihr euch nicht mal was Effektiveres einfallen lassen?!“ Während Rye sprach wurde er zunehmend lauter. Mit seiner Antwort bezog er sich aber nicht allein auf die jetzige Situation, sondern auch auf viele andere, die er schon hatte durchmachen müssen. Schließlich war heute nicht das erste Mal, dass jemand versuchte, ihn umzubringen. Natürlich erfolglos. Und genau das machte ihn im Moment so wütend.

„Was-“

„Schnauze!“, unterbrach er den Typen vor sich schreiend, bevor er eine Kampfhaltung annahm. „Schießt doch. Das ändert nichts daran, dass ich euch alle zur Hölle schicken werde!“

Kaum waren seine Worte ausgesprochen, ging er ohne Umschweife auf die Kerle los. Obwohl die Grenze seiner Beherrschung fast überschritten war, versuchte er sie so zu töten, dass kein Blut floss. Es blieb also nur die Möglichkeit ihnen das Genick zu brechen, was dem Schwarzhaarigen aber nicht sonderlich schwer fiel. Die einzige Schwierigkeit bestand darin, es auf eine möglichst menschliche Weise zu tun ohne dabei nicht die Kontrolle zu verlieren. Am lästigsten waren die unendlich vielen Schüsse, denen er irgendwie ausweichen musste. Der ein oder andere Streifschuss war nicht weiter von Belang, doch eine Kugel traf ihn genau an der Schulter. Zum Glück war Gin der einzige Zeuge, den er am Leben lassen würde. Rye ging jedoch davon aus, dass dieser wegen den Nachwirkungen der Explosion ohnehin nicht alles um sich herum mitbekam.

Rye tötete schließlich sein letztes Opfer und warf es anschließend achtlos zu Boden. Als wäre es nur ein nutzloser Gegenstand, den er jetzt nicht mehr brauchte. Alles war so schnell gegangen, dass er gar nicht wahrgenommen hatte, wie viele er letztlich beseitigt hatte. Zählen wollte er die Leichen um sich herum auf dem Boden auch nicht. Jetzt fiel dem Schwarzhaarigen jedoch wieder auf, dass sich unter den Leichen jemand befand, der sehr wohl noch recht lebendig war.

Taumelnd ging Rye auf Gin zu, welcher ihn immer noch ansah. Er versuchte sich mit jedem seiner Schritte zu beruhigen, denn die Aktion hatte ihn mehr Beherrschung gekostet als anfangs vermutet. Inzwischen war von dieser nämlich kaum noch etwas übrig und Gins hilfloser, verlockender Anblick am Boden verstärkte Ryes momentanes Verlangen. Am liebsten würde er sofort über ihn herfallen.

„Nein… ich… will das nicht… noch nicht...“, dachte er, fasste sich dabei mit der Hand an die Stirn und schloss kurz die Augen. Versuchte dann, alle negativen Gedanken zu vertreiben. Bis er plötzlich über einen reglosen Körper stolperte und zu Boden stürzte.

Als Rye erschrocken die Augen aufriss, musste er feststellen, dass er direkt vor Gin gelandet war. Er kniete sich hin und drehte anschließend den Körper des Silberhaarigen vorsichtig auf den Rücken.

„Gin... hast du sehr Schmerzen? Kannst du aufstehen?“, fragte Rye mit gefasster Tonlage und stützte sich über seinen Partner, welcher leise erwiderte: „Seh ich so aus?“

„Eh... nein... entschuldige.“ Rye schüttelte leicht durcheinander den Kopf. Für was genau er sich eben entschuldigt hatte, wusste er auch nicht wirklich. Vielleicht weil die Antwort auf seine vorherigen Fragen offensichtlich gewesen war.

Sein Blutdurst warf ihn völlig aus der Bahn. Deswegen versuchte er lediglich auf sein klares Ziel hinzuarbeiten, dass er Gin nur helfen wollte. Nichts anderes.

„Wir müssen hier raus, sonst stirbst-… sterben wir hier drin noch. Ich kann dich tragen…“, meinte er ruhig und ignorierte seinen Versprecher. Doch als er seine Aussage in die Tat umsetzen wollte, versuchten zwei schwache Hände seine eigenen wegzuschlagen.

„Das kannst du vergessen, als ob ich mich von dir tragen lasse!“, wurde er kurz darauf von Gin heiser angefaucht.

„Sei doch nicht so stur!“, schrie Rye mit finsterer Miene zurück und fügte gedanklich hinzu: „Ich habe gerade einen hauchdünnen Geduldsfaden und wenn der reißt dann gnade dir Gott.“

Bevor er den Silberhaarigen einfach gewaltsam über seine Schulter werfen konnte, hörte er plötzlich eine weibliche Stimme hinter sich, begleitet von mehreren, schnellen Schritten.

„Rye, Gin! Ein Glück! Ich dachte schon, euch hätte es erwischt.“, rief Vermouth erleichtert und näherte sich den beiden langhaarigen Männern.

„Mich wundert es eher, dass ihr alle noch lebt.“, murmelte Rye und beobachtete, wie die Blonde Gins Zustand überprüfte.

„Don't underestimate us, Darling.“, lautete Vermouths Antwort, woraufhin sie zwei anderen Mitgliedern mit einer Handgeste bedeutete, dass sie herkommen sollten.

„Da ist nichts zu machen. Tragt ihn raus. Uns läuft die Zeit davon, wir müssen den Fluchtweg durch den Keller nutzen.“ Nach ihren Worten zogen die zwei Mitglieder Gin wieder auf die Füße und stützten ihn an den Schultern ab. Anders als zuvor, ließ der Silberhaarige das widerstandslos zu. Aber das interessierte Rye nun nicht mehr. Er war bereits von dem verräterischen Duft in seiner Nase zu sehr vom Geschehen abgelenkt. Dieser stammte eindeutig von den verletzten Mitgliedern, die gerade mit Gin an ihm vorbeigegangen waren.

Innerlich fluchend hielt Rye sich unauffällig die Nase zu und wollte sich gerade abwenden, als ihn jemand am Arm packte.

„Wo willst du denn hin? Zum Keller geht‘s in die andere Richtung!“, wies Vermouth den Schwarzhaarigen zurecht, bei welchem die Worte aber nicht mehr ankamen.

Um sich nichts anmerken zu lassen, versuchte Rye das Rauschen in seinen Ohren zu überspielen und nickte einfach. Dann ließ er sich von Vermouth ein paar Meter hinterherziehen, bis sich diese sicher war, dass er der Truppe von allein weiter folgen würde.
 

Gemäß Vermouths Aussage gingen alle hinunter zum Keller und nahmen dort den Fluchtweg, welcher in die Kanalisation führte. Den genauen Weg prägte sich Rye nicht ein, was ihm aufgrund des Wärmebilds vor seinen Augen ohnehin nicht mehr gelingen würde. Generell konnte er durch die zunehmende Benommenheit nichts mehr von seiner Umwelt wahrnehmen, geschweige denn auf irgendwas reagieren, das man versuchte ihm mitzuteilen. Wenn das Gesagte überhaupt an ihn gerichtet war.

Und so folgte er schweigend den rot-gelben Gestalten vor sich und wartete auf die perfekte Gelegenheit, um zu verschwinden.
 

An einer Abzweigung blieb Vermouth mit allen Anwesenden stehen und sprach: „Ab hier teilen wir uns auf. Als große Gruppe weiterzulaufen wäre zu riskant. Wie ihr rauskommt, wisst ihr ja.“

Danach begannen die Mitglieder sich in kleinere Gruppen aufzuteilen und verschwanden in verschiedene Richtungen.

„Ihr kommt mit mir mit, schließlich muss Gin auf die Krankenstation. Sonst bringt mich der Boss noch um.“, befahl sie den übrigen Dreien und fügte den letzten Satz scherzhaft hinzu. Leicht besorgt musterte sie den silberhaarigen Mörder, welcher kaum noch bei Bewusstsein war. Äußerlich konnte man auf den ersten Blick zwar keine lebensbedrohlichen Wunden erkennen, aber wer wusste schon, wie es innerlich aussah.

Da fiel ihr plötzlich ein, dass sie Rye den Weg nach Draußen noch gar nicht erklärt hatte. Irritiert leuchtete sie mit der Taschenlampe die Umgebung ab, doch der Neuling war nirgends zu sehen.

„Stimmt etwas nicht?“, erkundigte sich einer der Männer. Die Blonde schüttelte den Kopf. Sie ging davon aus, dass sich Rye wahrscheinlich bereits einer anderen Gruppe angeschlossen hatte und er später von selbst wieder auftauchen würde. Das würde zumindest zu ihm passen. Auch wenn Vermouth sich ein wenig um ihn sorgte, da sein Zustand zum Schluss etwas kränklich gewirkt hatte.

„Los jetzt, wir müssen uns beeilen.“, meinte sie streng und ging anschließend voran.
 


 

Wie abgetrennt von der Welt schwankte Rye durch den Abwasserkanal. Sein Kopf brannte. Sein Körper fühlte sich fremd, wie ferngesteuert an. Als würde er ihm nicht mehr gehören. Der Blutdurst lähmte all seine Sinne. Und trotz dessen besaß er einfach keinen Willen mehr, um weiterzugehen.

Besonders viel erkennen konnte er nicht mehr. Er hörte nur das Platschen des Wassers unter seinen Füßen und roch den ekelhaften Gestank um sich herum. Aber das war ihm ganz recht so, schließlich lenkte der schlechte Geruch ein bisschen von dem Verlangen nach Blut ab. Nichts würde ihn dazu bringen, diese Kanalisation vorerst zu verlassen. Denn wenn er das tat, würde in den folgenden Minuten jemand sterben. Also hielt er es für besser, hier unten zu schmoren bis er sich wieder unter Kontrolle hatte.

„Was nie passieren wird...“, wurde ihm letzten Endes bewusst. Daraufhin spürte er, wie der Halt unter seinen Füßen nachließ und er in das schmutzige Wasser fiel. Darin verweilte er eine Weile. Am liebsten wollte er nie wieder aufstehen. Obwohl das Wasser bereits seine komplette Kleidung durchnässt hatte und sein schwarzes, langes Haar klatschnass war, konnte er keinerlei Kälte an seiner bleichen Haut wahrnehmen. Es fühlte sich irgendwie angenehm an. Sogar fast befreiend. Er war allein. Hier unten war niemand. Hier konnte er keinen Menschen verletzen. Und allein diese Tatsache genügte.
 

„Hey, sieh‘ mal! Dahinten ist noch jemand!“

„Ist er tot? Er scheint nicht mehr zu atmen!“

„Das ist doch… Rye!“
 

Rye horchte angespannt. Das waren eindeutig Stimmen gewesen.

Er richtete sich langsam auf, wobei ihm ein paar nasse Haarsträhnen ins Gesicht fielen und einige Wassertropfen sein Gesicht hinunter liefen. Als er sich umdrehte, erblickte er zwei männliche Gestalten, darunter einer dessen Stimme ihm irgendwo her bekannt vorkam. Sie leuchteten beide mit einer Taschenlampe auf ihn.

„Oh, du lebst ja doch noch.“, meinte einer der Männer im ruhigen Ton und kam Rye näher, welcher von der plötzlichen Bewegung ruckartig zurückwich. Jedoch schien der Mann ihn beruhigen zu wollen.

„Keine Angst, wir können dir helfen. Bist du verletzt?“, erkundigte er sich, woraufhin Rye hastig den Kopf schüttelte und erwiderte: „Verschwindet.“

Dabei erschreckte ihn seine eigene Stimme, welche auf einmal so düster klang. Auch die Haltung der beiden Männer schien sich schlagartig zu verändern, trotzdem hielt der vordere Mann ihm seine Hand entgegen und redete unbekümmert weiter: „Du kannst doch aber nicht hierbleiben. Wenn du dich verlaufen hast, dann-“

„Wieso verschwindet ihr nicht?!“, wütend und zugleich verwundert, woher diese Wut überhaupt kam, packte er die Hand des Mannes und zog diesen mit voller Wucht zu Boden.

Danach stand Rye auf, um den anderen Mann, der gerade weglaufen wollte, ebenso auf den Boden zu schleudern, sodass das Wasser in alle Richtungen spritzte und der Aufprall ein schallendes Echo erzeugte.

Schweigend betrachtete er seine beiden Opfer vor sich, welche ihn mit schreckgeweiteten Augen anstarrten. Jetzt war es endgültig zu spät. Sein Verstand hatte sich verabschiedet. Zu lange hatte er heute versucht, dagegen anzukämpfen. Nun gab er sich geschlagen. Das Monster in seinem Inneren hatte gewonnen.

Die Stimmen der Männer drangen nicht mehr zu ihm durch, stattdessen stürzte er sich auf sie, um ihnen die Bewegungsfähigkeit zu rauben, was mit wenigen Knochenbrüchen schnell erledigt war.

Mit rot funkelnden Augen und einem übel gesinnten Grinsen im Gesicht sprach Rye bedauernd zu den Beiden: „Tut mir leid, aber ich muss euch töten.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Centranthusalba
2021-08-06T19:26:32+00:00 06.08.2021 21:26
War interessant zu erfahren, was in Ryes Innerem abgeht wenn er zum Vampir wird. Kann man das so nennen? Also wenn dieses Seite Überhand nimmt.😅
Und Gin hat er gerettet. Was er dieser gesehen und wird er sich in irgendeiner Art dankbar dafür zeigen? Und wenn er nur ein bisschen netter zu ihm wird, wäre ja schon ein erster Schritt getan.😉
Weiter so!
Antwort von:  ginakai
07.08.2021 19:14
Ja, das kann man so nennen ;D
Ich glaube, ehe sich Gin für etwas dankbar zeigt und netter zu Rye wird, muss noch ein bisschen Zeit vergehen 😂 aber der Tag wird irgendwann kommen.


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