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Advent, Advent, die Tanne brennt

von

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“Deaaaan”, bemühte ich mich direkt um einen mahnenden Klang, als ich sah, wie der nicht mehr ganz so kleine Greif die Klaue nach dem bunt bemalten Holzpferdchen ausgestreckt hatte, das ich liebevoll an den Ast des kleinen Nadelbäumchens gehängt hatte. Es war das gefühlt hundertste Mal, dass einer meiner Kleinen sich daran übte, meine Versuche, etwas Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen, direkt wieder ins Absurde zu führen. “Lass das.” Jetzt sah mich Dean einfach nur unverwandt an, die Klaue noch immer erhoben. “Nein, Dean”, betonte ich noch einmal und erst jetzt senkte der junge Greif seine Pfote. Dafür jedoch hörte ich an anderer Stelle ein verräterisches Klackern. Ich seufzte. “Sam!” Man konnte die Zwei wirklich nicht einen Moment aus den Augen lassend.

Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, ausgerechnet hier Weihnachten feiern zu wollen, doch auf der anderen Seite gehörten die beiden Greifen für mich zur Familie. Als wir uns kennengelernt hatten, waren sie noch kleine Küken gewesen, hinreißend hässlich. Jetzt waren sie ausgewachsen und lebten am Rand einer Gebirgskette, einen mehrstündigen Ritt von Beauclair entfernt. Die letzte Nacht hatte ich schon hier in einer Hütte verbracht, die Dettlaff schon seit ein paar Jahren als Rückzugsort benutzte. Als es daran ging, die Winchesters auszuwildern hatte er zögerlich davon erzählt und diesen Ort für die Greifen vorgeschlagen. Hier würden sie nicht auf Menschen treffen, es gab keine Straßen in der Nähe und niemand würde sich an ihnen stören.

Noch einmal hörte ich etwas, das verräterisch nach einer Glaskugel klang, ehe das aufgeregte Klackern eines Schnabels folgte. Das hieß dann wohl, dass eine weitere Kugel Opfer der Greifen geworden war - nicht die erste und sicher nicht die letzte. Diese beiden würden mich noch in den Wahnsinn treiben lange bevor es mir gelang, diesen Baum halbwegs nach Weihnachten aussehen zu lassen. Ich ächzte leise. Warum versuchte ich das überhaupt? Ach ja. Das war Geralts Idee.
 

Wäre nicht der Weiße Wolf gewesen, der bei gemütlichem Tee und Kuchen davon erzählte, wie er und ich im vergangenen Jahr versucht hatten, eine mysteriöse Tanne zu finden, die Wünsche erfüllte, hätte ich Weihnachten wohl einfach verpennt. Zwar es war auch hier in Toussaint kühler geworden, doch von Schnee keine Spur. Die meisten Tage waren sogar noch warm genug, um im Fragefall ohne Mantel aus dem Haus gehen zu können. Obendrein hatte sich mein Gefühl für Tage und Wochen völlig verabschiedet während des ganzen Hin und Her, sodass ich überhaupt nicht mitbekommen hatte, dass ich nun schon über ein Jahr lang in dieser Welt festsaß. Mir kam es noch gar nicht so lange vor. Vielleicht hatte ich mich auch einfach nur daran gewöhnt, hier zu leben. Eine Wahl hatte ich ja ohnehin nicht gehabt und eine ganze Weile hatte es für mich andere Prioritäten gegeben, als einen Heimweg zu finden.

In dem Punkt war ich bis heute kein Stück weiter. Weder Theodor, der zeitreisende Vampir, noch die Zauberinnen um Yennefer konnten sich erklären, wie ich in dieser Welt gelandet war oder wie ich zurück in meine eigen kehren könnte. Eine reine Zeitreise, soviel wussten wir, hatte ich zumindest nicht gemacht. Zwar hatte Yen versprochen, die Ohren und Augen offenzuhalten, ob es schon einmal ähnliche Fälle gegeben hatte, doch allzu große Hoffnungen machte ich mir da nicht. Wenn noch jemand wie ich hier geendet war, war es ziemlich wahrscheinlich, dass dieser Jemand nicht sehr weit gekommen war. Ohne Geralt wäre es mir immerhin nicht anders ergangen.

Nicht selten dachte ich daran, wie es meinen Lieben wohl ergangen war. Zwar war das Heimweh nicht mehr so schlimm wie anfangs, aber ich kam dennoch nicht umhin, mich immer wieder zu fragen, was aus ihnen geworden war und ob sie mich bereits für tot erklärt hatten. Nach über einem Jahr würde niemand mehr glauben, dass man mich lebend fände - oder überhaupt noch fände. Schon nach der ersten Woche, spätestens der zweiten, nahm ich an, dass man längst nach meiner Leiche gesucht hatte. Und so wie ich hier lebte, war ich auch so einige Male nur knapp an diesem Schicksal vorbeigerutscht.
 

Ein knackendes Geräusch verriet, dass Dean oder Sam - vermutlich Dean - einen der Strohsterne zerkaute, die ich in mühevoller Handarbeit zusammengefügt und an den Baum gehängt hatte. Baumschmuck war hier nicht gerade einfach zu kriegen. Ich hatte mich sogar daran versucht, kleine Kekskringel aufzuhängen. In der Theorie war das eine gute Idee gewesen, doch natürlich stand das Gebäck bei den Winchesters auch hoch im Kurs.

“Ich geb’s auf”, murmelte ich geschlagen und ließ mich auf den Boden sinken. Die Tanne war kaum größer als ich, sodass die beiden Greifen sie sogar noch überragten, wenn sie sich aufrichten. Im Moment allerdings lagen die Winchesters entspannt neben meinem Weihnachtsbaum und zerpflückten diesen hingebungsvoll.

Sehnsüchtig dachte ich an die Wunschtanne. Im vorigen Jahr hatte sie blöderweise Plötzes Wunsch erfüllt und uns einen Bund Möhren beschert, doch vielleicht hätte sie mich ja nach Hause bringen können, wären wir nicht viel zu weit, als dass auch nur die Chance bestand, sie rechtzeitig zu erreichen.
 

Ich seufzte leise. Je länger ich hier blieb und mich an alles hier gewöhnte, desto schwerer würde es mir fallen, in mein altes Leben zurückzukehren. Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich einfach herumsaß und ins Leere starrte, in Gedanken ganz bei meiner Heimatwelt. So vieles war hier anders im Vergleich zu meiner Heimat und ich hätte lügen müssen, um zu behaupten, dass ich Vieles vermisste. Nicht unbedingt die Autos auf den geteerten Straßen, aber doch einiges anderes. Zum Beispiel das Internet - oh Gott, ich vermisste das Internet! - und all die kleinen und großen technischen Errungenschaften, die wir als absolut alltäglich hinnahmen.

Ein Jahr schon. Mir kam es vor, als wäre es gestern gewesen, dass ich in diese verrückte, magische und zugleich in vielen Punkten völlig rückständige Welt geplumpst war. Man mochte mich dafür verurteilen, doch wenn ich nur hörte, wie die Einstellung der Leute hier zu Ideen wie Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung oder Religionsfreiheit ausfiel, sträubten sich mir die Nackenhaare. In diesen und vielen anderen Punkten steckte man hier halt noch im Mittelalter fest. Hygiene war auch so ein Ding. Zum Glück waren meine beiden vampirischen Mitbewohner da ähnlich pingelig wie ich, sodass ich mir nicht mehr ganz so oft Geralts Geläster über meinen “Reinlichkeitstick” anhören musste.
 

“Ah und das ist jetzt so ein Weihnachtsbaum, von dem du erzählst hast?”, riss mich Regis’ Stimme aus meinen Gedanken. Erschrocken zuckte ich zusammen. Ich hatte ihn und Dettlaff, den ich direkt neben ihm entdeckte, weder kommen sehen noch einen von ihnen gehört. “Äh, ja, genau. Nur normalerweise frisst niemand die Deko”, brummte ich in Deans Richtung, der gerade die Zunge nach einem weiteren Strohstern ausgestreckt hatte. Seufzend ließ ich die Schultern hängen. Die Hälfte der Deko hatten die beiden Greifen schon wieder abgeräumt und was sie nicht gefressen hatten, lag auf der Erde neben dem Nadelbaum. Ob es sich dabei wirklich um eine Tanne handelte, hatte mich erstmal weniger interessiert. “Wenigstens haben die beiden Spaß”, murmelte ich leise und wandte mich dann den beiden Vampiren zu.

“Wirklich ein seltsames Fest”, ergriff nun auch Dettlaff das Wort. Sein Blick ruhte auf dem improvisierten Weihnachtsbaum. “Und ihr macht das jedes Jahr?” Ich nickte bestätigend. “Ja, jedes Jahr. Immer am 24. Dezember. Wobei es da verschiedene religiöse Hintergründe gibt, die zu diesem Datum führten, für die sich jedoch schon ziemlich lange kaum noch jemand interessiert. Es ist eher so ein kulturelles Ding und eine Ausrede, um es sich gut gehen zu lassen, mit seinen Lieben Zeit zu verbringen und Geschenke zu verteilen.” Ich zuckte mit den Schultern. “Im Grunde ist es Kommerz.” Da gab es halt einfach nichts schön zu reden. Wer interessierte sich denn heutzutage noch wirklich für die Geburt Jesu oder irgendeinen anderen religiösen Hintergrund? Keiner. In dieser Welt erst recht nicht, denn vom Christentum hatte hier noch keiner je etwas gehört. Dafür gab es allerdings auch genug andere religiöse Fehlschläge. Ja, ich schaue da zu dir, Ewiges Feuer. Leute verbrennen war schon in meiner Welt nicht cool.
 

So richtig überzeugt wirkte Dettlaff nicht von dieser ganzen Sache, das stand ihm ins Gesicht geschrieben. Nach meiner Erklärung war das vermutlich kein Wunder. Wie sollte man auch jemandem einen Feiertag verkaufen, von dem er zum ersten Mal hörte und dessen Ursprünge sogar von den Feiernden nicht mehr beachtet wurden? Umso mehr wusste ich zu schätzen, dass er mir nicht nur seinen Rückzugsort dafür überließ, sondern auch hergekommen war. “Ihr werdet sehen, es kann auch sehr schön sein. Man sitzt gemütlich zusammen, trinkt heiße Schokolade und Tee, isst Kekse und genießt den Winter”, versuchte ich meine harschen Worte von zuvor etwas abzumildern.

Erst reagierte der Vampir nicht, sodass ich mir nicht sicher war, ob er überhaupt zugehört hatte, doch dann wandte Dettlaff den Blick in meine Richtung. “Eigentlich wärst du jetzt bei deiner Familie, nicht wahr?”, wollte er mit unbewegter Miene wissen. Anstatt mich das zu fragen, hätte er ebenso gut einen Eimer Eiswasser über mir ausgießen können. Ich nickte steif. “Ja.” Meine Familie. Das wäre das erste Weihnachten ohne mich. Also… nicht das erste Fest ohne mich, aber das erste Mal seit ich fort war. Dass ich es mal vermissen würde, mit meinem Vater und meiner Schwester zusammenzusitzen, hätte ich wirklich nicht erwartet. Aber so war das wohl meistens. Man wusste Vieles erst zu würdigen, wenn man es verloren hatte. Meine Hochstimmung war direkt verflogen, wenn ich daran dachte, dass ich meine Lieben vielleicht - sogar wahrscheinlich, wenn ich realistisch war - nie wieder sehen würde.
 

Eine schwere Hand legte sich auf meine Schulter und holte mich damit zurück ins Hier und Jetzt. Fragend sah ich auf. Dettlaffs Miene war nun nicht länger ungerührt, sondern zeugte von Mitgefühl. Er sagte nichts, doch das war auch nicht nötig. Ich verstand auch so und war dankbar für diese Anteilnahme. “Danke”, murmelte ich leise, dann wandte ich mich Regis zu, der gerade versuchte, Deans Schnabel von einer bunten Glaskugel wegzuschieben, die an einem der Äste des Weihnachtsbaumes hing. “Ich fürchte, was die Winchesters angeht, kämpfen wir auf verlorenem Posten”, grinste ich ob des Anblicks. Während Dean zwar durch Regis abgelenkt war, hatte Sam nämlich die Chance genutzt, sich einen der Kekse vom Baum zu klauen. Zum Glück war da kaum Zucker drin, sonst würde ich mir ernsthaft Sorgen machen, denn das Greifen Süßes gut vertrugen, glaubte ich irgendwie nicht.

“Lass gut sein, Regis. Hauptsache, wir sind alle zusammen hier.” Der höhere Vampir seufzte hörbar, ließ Dean dann aber gewähren, der sofort begeistert mit dem Schnabel gegen die Glaskugel stieß, die daraufhin hin und her schwang.
 

“Es ist wirklich nett von dir, dass wir hier feiern dürfen”, sprach ich Dettlaff unvermittelt an, als wir im Inneren der kleinen Holzhütte den Tisch deckten. Der Geruch des geplanten Weihnachtsmahls lag bereits in der Luft, weil es bereits über heißer Kohle vor sich hinköchelte. “Und danke, dass ihr beide mir den Gefallen tut und das hier mit mir durchzieht. Ich weiß das wirklich zu schätzen.” Regis lächelte und winkte dann gelassen ab. “Wir danken für die Einladung”, erklärte er für sich wie Dettlaff gleichermaßen, der nur schweigend in Richtung Küchenzeile sah, als wolle er prüfen, was ich dort angerichtet hatte. Im Grunde nichts Weltbewegendes, wenn man ehrlich war. Die Hühnerbrühe, die es als Vorspeise gäbe, hatte sich durch das Hauptgericht, Hühnerfrikassee, von allein ergeben. Dazu gab es Kartoffeln und zum Nachtisch dann Kekse.

“Geralt trifft sicher auch bald ein. Wir haben ihn unterwegs gesehen”, meinte Regis, als ich mich der Kochstelle zuwandte. Schließlich wollte ich nicht, dass hier noch etwas anbrannte, auch wenn es im Moment nicht danach aussah. “Super, das passt perfekt.”

Mein Blick wanderte zum Fenster, durch das man sehen konnte, wie Dean und Sam jetzt gemeinsam die Glaskugel in Augenschein nahmen. Ich hatte nicht den blassessten Schimmer, was die beiden daran so faszinierte, doch sie waren eindeutig hin und weg von dem schimmernden Stück Glas. Selbst hier drin konnte man sie abwechselnd begeistert krächzen hören, während sie die Kugel immer wieder vorsichtig mit ihren Schnäbeln anstießen, wobei sie keinen Anstoß an dem tröpfelnden Nieselregen nahmen, der eingesetzt hatte. Ein bisschen erinnerten die beiden mich an Wellensittiche, die einen Spiegel gefunden hatten. Sie mochte nun fast ausgewachsen sein, aber innen drin waren die Winchesters eindeutig noch verspielt wie Kinder.
 

Geralts Timing war unfehlbar. Gerade, als ich überlegte, uns Anwesenden schonmal die Suppe zu servieren bis der Hexer kam, schob dieser sich ohne anzuklopfen durch die Tür. Kaum, dass diese sich öffnete, konnte man das aufgeregte Krächzen der Winchesters noch lauter hören. Diese Glaskugel musste sie wirklich unendlich faszinieren. “Hallo Gera-”, flötete ich ihm fröhlich entgegen, bis mein Blick auf ihn fiel. Seine ganze Rüstung war blutbesudelt und klatschnass, genau wie sein grauweißes Haar. Regis war bereits an seiner Seite, doch Geralt hob abwehrend die Hand. “Ich bin nicht verletzt”, schnaubte er, missmutig an sich herabblickend. “Was ist passiert?”, wollte ich wissen. Auch wenn Geralt sagte, dass er nicht verletzt sei, hieß das noch lange nicht, dass das auch stimmte, auch wenn er sich nicht seltsam bewegte oder sonst Anzeichen von Schmerz zeigte. Allerdings wusste ich zu gut, dass auch das noch überhaupt nichts heißen musste.

“Hab deinen Biestern etwas mitgebracht und sie sind direkt drüber hergefallen”, erklärte der Weiße Wolf und grinste nun tatsächlich ob meiner verwirrten Miene. “Du hast ihnen etwas… mitgebracht?”, hakte ich verwundert nach und erntete nun sogar noch ein Lachen seitens des Hexers. “Eine alte Sau. Hab ich von einem hiesigen Bauern.” Noch während er sprach, hatte Geralt begonnen, die Riemen seiner Rüstung zu lösen. “Das ist wirklich lieb von dir. Danke! Ich mache dir schnell etwas Wasser warm, damit du dich waschen kannst. Hast du trockene saubere Sachen dabei?” Geralts Brummen wertete ich einfach als Zustimmung. Zum Glück hatte ich schon vorhin Wasser übers Feuer gehängt, auch wenn das eigentlich für Tee gewesen war.
 

“Dachte erst, deine Biester würden mich gleich mitzerfleischen.” Ich hob eine Augenbraue ob dieses indirekten Vorwurfs und schüttelte den Kopf. “Das würden sie nicht tun. Sie haben dich immerhin ins Herz geschlossen. Du bist gewissermaßen Opa Geralt”, scherzte ich grinsend, als ich Geralt die Schale mit Wasser ans Tischende schob, wo er Platz genommen hatte. Teller und Besteck hatte vermutlich Regis schon beiseite gezogen. “Opa?” Geralt griff ohne zu zögern nach dem Tuch im heißen Wasser. Schon das Zusehen tat mir weh. Ein Wunder, dass sich Geralt nicht die Finger verbrannte. Doch er schien von der Hitze des Wassers nicht einmal richtig Notiz zu nehmen. “Opa”, bestätigte ich. Regis, der neben Geralt saß, schmunzelte vielsagend.
 

“Es ist wirklich erstaunlich, wie gut es dir gelingt, dich mit eben den Monstern anzufreunden, die man dich ausgesandt hat, zu jagen”, amüsierte sich der ergraute Vampir und spielte damit wohl gleichermaßen auch auf sich wie Dettlaff an, der nur leise grummelte. So richtig Freunde waren Geralt und er ja nicht unbedingt, da ging es ihm wie den Winchesters. Wobei die eben doch eher wilden Tieren glichen, wenn das auch nichts daran änderte, dass sie für mich immer zwei entzückende kleine Babys sein würden. Auch jetzt noch, wo sie größer waren als ich und jeder von ihnen mich problemlos frühstücken könnte. Das war immerhin auch der Grund für die Auswilderung der beiden. Wenn sie bei mir blieben, provozierte das förmlich, dass es früher oder später zu einer Eskalation kam. Es genügte schon, dass sie glaubten, ich wäre bedroht und sie müssten mich beschützen. Ausbremsen konnte ich die beiden im Fragefall nicht.

“Gibt genauso viele Menschen, die keinen Deut besser sind”, murmelte ich schließlich leise und wollte mich gerade meinem ursprünglichen Vorhaben, nämlich uns die Suppe aufzutun, zuwenden, als mein Blick am Fenster hängen blieb - oder vielmehr an dem, was ich dadurch sehen konnte. Die Winchesters hatten, wie ziemlich viel Blut verriet, wohl wirklich etwas zerlegt. Die Sau, von der Geralt gesprochen hatte, wenn ich raten müsste. Allerdings hatte der Hexer verschwiegen, dass die Greifen obendrein noch ein paar Reste großzügig als Weihnachtsbaumschmuck benutzt hatten. Nicht nur, dass mein Bäumchen jetzt voller Blut war, es hing an einem Ast mindestens etwas, von dem ich annahm, es wäre ein Darm.

“Daelis? Alles in Ordnung?” Dettlaffs Frage riss mich aus meiner Starre. Ich hatte nicht einmal bemerkt, wie lange ich abgedriftet war. “Ja, alles gut”, meinte ich noch, mich herumdrehend, um dann festzustellen, dass der Vampir direkt hinter mir gestanden hatte und nun wohl ebenfalls bemerkte, was ich entdeckt hatte. “Mh. Der Regen wird es bald wegwaschen”, meinte Dettlaff nach einigen Sekunden und kehrte dann an seinen Platz zurück.
 

“Also hab ich mir gedacht, ich nehm das Schwein hierher mit”, beendete Geralt schließlich seine Geschichte davon, wie er zu der Sau gekommen war, die die Winchesters so begeistert zerlegt hatten. “Wirst du häufig in Naturalien bezahlt?”, fragte Dettlaff neben mir mit so aufrichtiger Neugier, dass es mir richtig Leid tat, als Geralt so vielsagend grinste, dass zumindest ich ganz genau wusste, was er sich nun darunter vorstellte. Nein, Geralt, nein. “Ich nehme es nicht immer an, aber manchmal gibt es das als Bonus”, meinte der Hexer feixend. Ich biss mir auf die Zunge, um nicht zu kichern und griff mir lieber noch einen Keks. So wie Regis dreinsah, hatte er, anders als Dettlaff, auch ganz genau verstanden, worauf Geralt hinauswollte. “Das ist erfreulich zu hören. Regis’ Erzählungen hatten ahnen lassen, dass deinesgleichen oft um die Bezahlung betrogen wird”, erklärte Dettlaff freundlich. Verdammt, es war wirklich schwierig, nicht loszuprusten. Beinahe erstickte ich an meinem Keks. Mitfühlend schlug mir Dettlaff auf den Rücken, als ich husten musste.

Das Abendessen hatten wir längst verputzt und tauschten nun munter Geschichten aus. Das bedeutete vor allem, dass ich nochmal erklärte, wieso Weihnachten gefeiert wurde oder wenigstens, woher dieser Brauch kam. Regis schien das Ganze ziemlich zu faszinieren, zog dutzende Vergleiche zu hiesigen Religionen und wollte das Thema wohl vertiefen, bis Geralt ihn stoppte und die Geschichte von unserer Suche nach der Wunschtanne zum Besten gab, die schließlich nicht seinen oder meinen, sondern vielmehr Plötzes Wunsch erfüllt hatte. Und Plötze hatte sich ein Bund Möhren gewünscht. Dafür erzählte ich auch freimütig, wieso Geralts Aufmachung nach dem Kampf mit den Gestaltwandlern für mich eine gewisse Komik innegehabt hatte.
 

Gerade, als der Hexer zum Besten gab, wie ich kopfüber kichernd herumgehangen hatte, während er um unser beider Leben kämpfte, krachte es draußen. Fast zeitgleich durchzuckte ein gleißend heller Blitz den dunklen Himmel und erhellte die warme Stube, in der wir zusammensaßen.. “Das Gewitter kommt näher”, brummte Dettlaff. “Ich sollte nach den Winchester sehen”, befand ich kurzerhand und wollte schon aufstehen, als Geralts Kopfschütteln mich innehalten ließ. “Die kommen prima klar und das müssen sie in Zukunft auch. Du kannst sie nicht rund um die Uhr bemuttern.” Ich wusste ja, dass Geralt Recht hatte. Dennoch fiel es mir schwer, mich daran zu halten. “Sie sind meine Familie”, meinte ich leise. Verständnisvoll sah mich Regis an, doch es war Dettlaff, der mich da wohl am besten verstand. Er umgab sich oft mit niederen Vampiren, die teils kaum intelligenter als Tiere waren, doch für ihn waren sie dennoch sein Pack, seine Familie.

Ein zweiter Blitz tauchte alles in blendend weißes Licht, dann krachte es. Lauter als vorhin. “Vielleicht sollte ich doch…”, begann ich und als wollten die Winchesters mir Recht geben, ertönte im nächsten Moment aufgeregtes Krächzen von draußen. Dieses Mal widersprach niemand, als ich aufsprang und sofort zur Tür hetzte. Genau genommen war Dettlaff sogar schon vor mir an der Tür und riss diese auf. Ich lief in Richtung Weihnachtsbaum, aus der auch das laute Kreischen der Greifen kam. Dicke Regentropfen fielen auf uns herab und durchnässten mich binnen weniger Augenblicke bis auf die Haut, doch davon nahm ich kaum Notiz. Etwas anderes hatte meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Feuer! Ich brauchte einen Moment, ehe ich begriff, dass es mein Weihnachtsbaum war, der da in Flammen stand. Ob ihn ein Blitz getroffen hatte? Anders konnte ich mir nicht erklären, wieso er lichterloh brannte, obwohl es noch immer wie aus Kübeln goss.

Geralt stieß mich beiseite. “Kümmer dich um Hässlich und Hässlicher”, wies er mich im Befehlston an. Ohne nachzudenken gehorchte ich und lief auf die Winchesters zu, die mich zum Glück sofort bemerkten. Sam kam mir sogar entgegen und rieb seinen Kopf gegen meine Schulter, wobei er sich zwischen den brennenden Baum und mich schob. “Ist ja gut, mein Großer. Alles wird gut. Ich bin ja da”, redete ich beschwichtigend auf ihn ein, dann suchte mein Blick Dean, der kreischend vor dem Baum hockte, die mächtigen Schwingen ausgebreitet, als wolle er die Flammen durch seine Gestalt beeindrucken. “Dean!”, rief ich ihn. “Dean!” Erst nach dem fünften oder sechsten Ruf ließ der kleinere Greif endlich vom Feuer ab. Ich konnte sehen, dass die beiden Vampire und Geralt irgendetwas am Baum taten, doch was genau, erkannte ich nicht und ich stellte es auch gar nicht in Frage. Helfen konnte ich ihnen im Moment ohnehin am besten, indem ich meine Babys beruhigte. “Shh… alles wird gut, mein kleiner Dean. Mama ist ja da.” Zärtlich strich ich dem längst nicht mehr kleinen Greifen über den Kopf. Wir standen ein gutes Stück abseits des brennenden Baumes im strömenden Regen, die Greifen ihre Köpfe an meinen Schultern und ich dazwischen, die einfach auf sie einredete, um mich ebenso zu beruhigen wie sie. Wir bekamen kaum mit, wie der Regen die Flammen nach und nach löschte.
 

Regis und Dettlaff hatten den Boden rund um den Baum jeden möglichen Brandherdes beraubt, indem sie ihn mit ihren Klauen umgruben oder Geralt bereits alles vorab versengte, sodass sich das Feuer nicht hatte ausbreiten können. Bis wir schließlich jedoch alle wieder in der kleinen Hütte angekommen waren, war es mitten in der Nacht. Die Winchesters hatten sich sofort vor den Kamin gequetscht und dabei halb gestapelt. Es grenzte fast an ein Wunder, dass sie es überhaupt durch die Tür geschafft hatten und mit ihnen hier drin, war es in der Hütte recht eng. Regis hatte sich sofort daran gemacht, für uns alle Tee aufzusetzen, in den er etwas aus einer kleinen Flasche goss, von der ich annahm, dass sie seinen berühmten Alraunenschnaps enthielt. Ekelhaft, fragte man mich, aber aufwärmen würde das Zeug uns bestimmt.

Zumindest trockene Kleider hatten wir zum Glück da. Ich, weil ich mir welche mitgebracht hatte, als ich hergereist war, und die anderen, weil Dettlaff sonst hier lebte. Dass seine Sachen zwar weder Regis noch Geralt richtig passten, war zwar nicht zu übersehen, aber allemal besser, als klatschnass herumzusitzen und zu frieren. “Hier”, reichte mir Regis einen Becher. “Wir sollten uns alle erst einmal aufwärmen.” “Danke”, murmelte ich und nippte an dem heißen Getränk, wobei ich mir prompt die Zunge verbrannte. Ob des Alkohols im Tee schüttelte ich mich, sagte jedoch nichts. Auch nicht, als Geralt den Inhalt seines Becher herunterstürzte.
 

“Schätze, das ist bei euch nicht Teil dieser Weihnachtsgeschichte, oder? Mach dir nichts draus. Der Baum sah eh furchtbar aus”, meinte der Hexer mit einem halbherzigen Lachen in meine Richtung. Ich wusste zu schätzen, dass er die Stimmung auflockern wollte. Irgendwie war eine Menge schief gelaufen. “Nicht unbedingt, nein”, gab ich zurück und zuckte mit den Schultern, während Regis Geralts Becher erneut füllte. “Normalerweise zünden wir nur Kerzen an, nicht gleich Bäume.” Dettlaff gab ein Grollen von sich, das an ein Lachen erinnerte, dann breitete sich Stille aus, weil jeder von uns an seinem Getränk nippte.

“Ich weiß, dass du dir diese Feier so nicht vorgestellt hast”, begann Regis schließlich vorsichtig, “aber ich finde, wir hatten dennoch einen schönen Abend und sollten das im nächsten Jahr wiederholen.” Ich wusste nicht, wie er das machte, aber Regis schien immer zu wissen, was er sagen musste. Dankbar lächelte ich ihn an, auch wenn der Gedanke an ein weiteres Jahr hier mich gleichermaßen ein wenig erschreckte. Es erinnerte mich daran, dass ich vielleicht jetzt hier Zuhause war und es für mich keinen anderen Ort mehr gab, den ich so nennen könnte. “Aber dann zünden wir keinen Baum an, versprochen?”, scherzte ich über den Rand meiner Tasse hinweg, aus der kleine Dampfschwaden aufsteigen. Nun lachte auch Regis. “Das nächste Mal nehmen wir Kerzen.” Ich nickte, dann hob ich meinen Becher, wie um anzustoßen. “Frohe Weihnachten.”



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