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Shapeless Dreams

[Atem center]
von

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Sein Unwissen

Gebelk wartete ungeduldig auf den jungen Prinzen, tippte dabei mit seinem Fuß auf und ab. Wie oft hatte er ihm gepredigt, dass Achtsamkeit und Pünktlichkeit für einen angehenden Herrscher enorm wichtig waren? Zumindest hatte das Verhalten des Prinzen etwas Gutes, denn man konnte sicher sagen, dass er anders war als Akhenamkhanen. Er war sehr jung, hatte seinen eigenen Kopf und war somit sehr leicht zu manipulieren. Gebelk setzte sich an seinen Tisch, verschränkte die Arme und breitete die Schriftrolle vor sich aus. Das heutige Unterrichtsmaterial beinhaltete Kriegsführung und die anwendbaren Methoden und Strategien, einen Feind aus dem Hinterhalt zu besiegen. Akhenamkhanen hatte als Kind stets die Kriegsführung ihrer Ahnen hinterfragt.
 

Atem jedoch lauschte aufmerksam seinen Worten. Er brauchte nur zu erwähnen, dass die vorherigen Pharaonen und die Götter ihnen diese Strategien überließen und schon wurde der junge Prinz ganz hellhörig und demütig. Es war beinahe zu einfach, seinen Charakter zu formen und ihn in eine bestimmte Richtung zu lenken. Gebelk war als Folterer sehr gut darin, die menschliche Psyche zu seinem Gunsten zu wandeln und seinem Gegenüber Worte in den Mund zu legen. Meist tat er dies, um Geständnisse von Verbrechern zu erzwingen, doch auch Atem erwies sich anfällig für diese Art der Manipulation.
 

Gebelk war der Ansicht, dass Akhenamkhanens Führung und sein Zögern im Krieg zu herben Verlusten geführt hatten und es war enorm wichtig, dass der junge Prinz früh verstand, wie wichtig es für ihn war, mit eiserner Hand zu regieren und nicht nur das Schicksal einzelner zu betrachten, sondern das Wohl eines ganzen Landes im Auge zu behalten und entsprechend zu handeln. Ähnlich wie die Hohepriester hatte Gebelk als Gelehrter einen guten Ruf und Mitspracherecht, was etwaige Gesetze anging. Natürlich war es der Pharao, der Gesetze erließ und die Macht inne hatte, aber ein jeder Pharao hatte stets seinen Wesir (Tjati), welcher mit den Gelehrten, Schreibern und den Hohepriestern in Kontakt stand. Gerade letztere hatten aufgrund ihrer Verbundenheit mit den Göttern und ihrer Fähigkeit die Worte der Götter zu übersetzen und mit ihnen zu kommunizieren, großes Ansehen und nahmen großen Einfluss auf das Militär. Jeder Pharao holte sich Rat bei seinem Tjati und Gebelk hatte früh verstanden, dass man lediglich den Tjati bestechen musste, um ein Land in eine bestimmte Richtung zu lenken.
 

Mit süßen Worten verdrehte er Atems Verstand und versuchte in diesem ein Gefühl von Geborgenheit auszulösen, damit er, sobald der junge Prinz den Thron bestieg, den Posten als Tjati sicher bekam. Als Tjati hätte er unglaublich viel Macht und würde dem Land und den Göttern dienen und die Fehler der Vergangenheit niemals wieder wiederholen. Erst die Übername von Heka-chesat, die beinahe 100 Jahre über Kemet geherrscht hatten und nun die Bedrohung der Hethiter, die ihnen ihren Wohlstand stehlen wollten. Dabei galt Kemet als Weltmacht. Jeder fürchtete sich vor ihnen und ging demütig in die Knie! Sie waren es, die der Welt den Kalender schenkten, eine Zeiteinteilung brachten, die Sterne und den Himmel verstanden und die Natur der Welt zu ihrem Gunsten nutzen konnten. Das Nilometer maß den Pegel des Stromes und somit konnten sie die zu erwartende Höhe der Ernte berechnen.
 

Das Gesetz des Gottes Thot lautete immerhin: „Wie oben, so unten“, denn ein jeder wusste, dass das, was am Himmel geschah, direkten Einfluss auf die Erde nahm. Durch ihren Kalender konnten sie genau vorherbestimmen, wann welches Naturereignis eintreten würde und somit war nicht nur ihre gute Lage am Nil beneidenswert, sondern vor allem ihr Wissen und die Macht, die mit eben diesem einherging. Atem musste das Volk beschützen, ihr Wissen verteidigen und für Recht und Ordnung sorgen. Doch ein sanftmütiger König, ein Pharao, der Frieden wollte und bereit war, dieses Wissen unentgeltlich abzugeben und mit anderen Völkern zu teilen, war unwürdig.
 

Andere Völker wagten es, die heiligen Götter Kemets zu hinterfragen und waren somit in Gebelks Augen nicht würdig, an ihrem Wissen teilzuhaben, sofern sie sich nicht zunächst unterwarfen. Jeder loyale und fromme Bürger wurde dasselbe sagen. Umso wichtiger war es, dem jungen Prinzen so früh wie möglich dies verständlich zu machen. Sie konnten sich keine weitere Unruhen mehr leisten. Der Krieg war zwei Jahre vorbei und der Wiederaufbau ging nur mäßig voran. Viele Felder waren aufgrund der wütenden Feuer niedergebrannt und die Ernten vielen weiterhin schlecht aus. Eine Hungersnot drohte. Die Wasserversorgung im Land musste sichergestellt werden und es stand außer Frage, dass die Unruhen im Land schon bald bis in den Palast drängen würden.
 

Der Vorhang am Eingang wurde zur Seite geschoben. Prinz Atem kam mit erhobenen Haupt in den Raum und setzte sich wortlos an den Tisch, verschränkte die Arme und sah seinen Lehrer erwartend an.
 

„Ihr seid spät, mein Prinz“, grummelte Gebelk und sah ihn nun an.
 

„Es ziemt sich für einen zukünftigen Herrscher nicht, Termine zu verpassen oder gar verspätet zu seinem Unterricht zu erscheinen. Ein Mann Eures Format muss immer Haltung bewahren.“
 

„Dem bin ich mir bewusst. Ich habe keine Entschuldigung für mein Verspäten, doch wisset, dass ich gute Gründe habe und bereit bin, bis spät in die Nacht Euren Lehren zu lauschen.“
 

„Das ist eine gute Einstellung. Und doch wirkt Ihr angespannt. Hat Eurer Schwertmeister Euch sehr hart rangenommen? Ihr habt blaue Flecke und Abschürfungen überall. Wir sollten Eure Wunden reinigen und Salben zur Behandlung auftragen.“
 

„Mein Schwertmeister sagte, dass ein wahrer Krieger einen solchen Firlefanz nicht braucht.“
 

„Ihr seid in erster Linie ein Prinz, ein angehender König eines großen Reiches. Ihr mögt auch ein Krieger sein, aber wir dürfen Eure Gesundheit auf keinen Fall riskieren“, erklärte Gebelk, erhob sich und verschwand in seinen Hinterraum, kam nur wenige Minuten später mit einer Schale Wasser und Tüchern zurück. Vorsichtig rieb er über die Schürfwunden des Jungen, reinigte sie und setzte dabei ein nettes Lächeln auf. Man hätte meinen können, dass ein Vater sich liebevoll um sein Kind kümmerte, doch Gebelk wollte nichts weiter, als das Vertrauen des Prinzen.
 

„Seht Ihr, mein Prinz? Sand und Schmutz befanden sich in Euren Wunden“, sagte er und zeigte das verunreinigte Leinentuch.
 

„Nun lasst uns die Salben auftragen. Ertragt den Schmerz, das Brennen und denkt stets daran, dass Ihr als zukünftiger Herrscher große Verantwortung tragt und dass die Last auf Euren Schultern zwar schwer wiegen mag, aber Ihr jederzeit die vollste Unterstützung Eurer Priester habt. Auch ich stehe hinter Euch. Eurer Wohlergehen liegt mir sehr am Herzen.“
 

„Ich danke Euch, Gebelk.“
 

Atem erwiderte das Lächeln. Als Gebelk sich erhob, verschleierte sein Umhang sein Gesicht und im Schatten dessen, konnte Atem das kurz aufblitzende, selbstsichere Grinsen seines Lehrmeisters nicht sehen. Vorsichtig griff er nach der Wasserschale und brachte die Utensilien weg, ehe er mit einem großen „Kasten“ zurückkehrte.
 

„Mein Prinz“, begann er und hob nun seinen Kopf und wies auf die edle Schatulle in seiner Hand hin.
 

„Wie wäre es mit einer Runde Senet? Zur Ablenkung?“
 

Atem riss seine Augen begeistert auf.
 

„Da würde ich niemals nein sagen!“
 

„Doch bedenkt, dass ich Euer Lehrer bin. Ich möchte, dass Ihr mir zunächst die Regeln und das Ziel dieses Spiels erklärt.“
 

„Senet ist ein Brettspiel mit 30 Feldern und symbolisiert Geburt, Tod und Wiederauferstehung. Wir übernehmen symbolisch die Rolle des Entscheiders und müssen unsere sieben Figuren – die Ibau – ins Ziel bringen. Doch dieser Weg wird erschwert, da uns Glück und Unglück erwartet. Das Spiel hat einen Bezug zu den Göttern und erklärt den Lauf der Sonne und der Baktiu-sebau – so wie es Senetj schemet net sebau lehrt.“
 

„Richtig, der Grundriss des Laufes der Sterne, am Leib der Nut – das Nutbuch. Auch dies ist Wissen, um das uns feindliche Länder beneiden. Denn wir verstehen die Baktiu-sebau – die Arbeitenden Sterne. Wir wissen um die sechs Phasen. Erinnert Ihr Euch?“
 

„Selbstverständlich. Geburt, Aufstieg, Arbeit leisten, Abstieg, Tod und Regeneration/Erneuerung.“
 

„Was sagt Euch dieser Zyklus?“
 

„Senet ist verwoben mit dem Weg der Götter und erklärt uns spielerisch die Ordnung der Welt. Wer den Weg der Sterne kennt, kennt auch die Jahreszeiten und kann somit die Nilschwemme bestimmen, die unser aller Überleben sichert.“
 

„Ihr werdet ein großartiges Herrscher, mein Prinz. Sehnsüchtig erwarte ich den Tag, an dem ich Euch im Thron sitzen sehen werde und Ihr das Land regiert.“
 

Atem grinste triumphierend. Dieses Wissen wurde ihm ja auch schon seit Jahren immer und immer wieder eingetrichtert und wenn er ehrlich war, interessierten ihn die Sterne sehr. Er liebte es, sich nachts auf den Balkon seines Gemaches zu schleichen und die funkelnden Lichter der Götter zu betrachten, die von da oben auf sie hinabsahen und ihnen ihren Segen gaben. Astrologie gehörte zu seinen Lieblingsfächern. Denn die Sterne wiesen ihnen den Weg. Als Gebelk das Spielfeld auf den Tisch stellte und die Spielfiguren auslegte, begann sein Puls zu rasen. Der Würfel in seiner Hand brachte sein Blut in Wallung. Sieg oder Niederlage! Dazwischen gab es nichts und er als zukünftiger Herrscher konnte sich keine Niederlage erlauben.
 

Gebelk hatte ihm einmal gesagt: „Das Leben ist ein Spiel, mein Prinz. Nur wer überlebt, siegt. Wer verliert, stirbt. Es ist Eure Bestimmung zu siegen.“
 

Gebelk war ein guter Lehrer und hatte immer Recht. Dass dieser hinter seinem Rücken einen Komplott plante und ihn zu manipulieren versuchte, ahnte er nicht. In diesem Palast gab es viel zu viele Personen, die ihn nicht ernst nahmen und ihn zu formen versuchten, doch Gebelk war freundlich, fürsorglich und zeigte großes Interesse an ihm.Wie könnte er anders als ihm zu vertrauen?
 

[Kapitel 4]
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  SuperCraig
2019-08-11T01:08:27+00:00 11.08.2019 03:08
Gebelk ist genau das, was ich vermutet hatte. Es gibt sicher noch mehr von seiner Sorte, aber er ist halt der Herausragendste gerade. Verschlagen, manipulativ, ein guter Schauspieler; zu oft haben solche Ratgeber ganze Weltreiche zugrundegerichtet, aus Habgier und Machtversessenheit. Eine, in meinen Augen, widerwärtige Person.

Ich bin in der Geschichte nicht so bewandert wie du, zumindest was das alte Ägypten angeht, aber, ich weiß ob der Wesire der Sultane des Osmanischen Reichs, und dass der Diwan oft selbst ein korrupter Haufen gewesen ist. Außerdem ist Gebelks Einstellung zu den anderen Kulturen und Völkern etwas, dass, über kurz oder lang, zum Untergang führen muss. Nicht einmal das alte Ägypten, Kemet, der Nabel der Welt, kann es mit allen aufnehmen, und dann vielleicht noch zeitgleich.

Ich dachte mir fast, selbst ohne das Insiderwissen, dass, wenn nicht Sachmet Atems Patronin wird, es Thot sein könnte, der ihn "leitet". Atem wirkte immer wissbegierig. Ich hoffe, nein, ich glaube, dass er den Lehrer durchschaut; und der dann seine eigene Waffe, die er zu formen versucht, tief ins Herz gebohrt bekommt.

Fällt den Schützlingen erst einmal auf, dass sie manipuliert werden, ist die Retourkutsche meist blutig und grausam. Das Land kann derzeit keine schwachen, egoistischen Priester brauchen, genauso wie es keinen zu gütigen, milden Pharao brauchen kann.

Das Spiel hast du angedeutet übrigens schön erklärt, genauso wie die Bedeutung des alten Ägyptens in Bezug auf Astronomie und Astrologie. Auch deine "Vokabeln"; alles schon mal gehört, aber wieder vergessen.

Danke für das Kapitel, ich sehe zu, aufzuholen!




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