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Rivals' Reunion

von

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Nebel


 

XV: Nebel

I think about you all the time

But even though I don't talk to you

That doesn't even mean that we are through

I see you as a paradigm

Of a life that seems so amused

By all the things that I refuse

Friend, can't you see I'm trying to help you out

But your mind is stuck on things

That leave you adrift with broken wings

Hey, don't ever bring me back

To where I used to be

Don't bring me down

Cause I don't have time for that anymore.

(Family Force 5)

Ryou Bakura im Interview Part II
 

Auweia, ich wusste, dass ihr dieses Thema hier irgendwann anbringen würdet (lacht verlegen).
 

Ich hab eigentlich keine Ahnung, ob Malik schon etwas über mich erzählt hat im Interview … hat er? Ich werde irgendwie das Gefühl nicht los, dass er unter anderem hier teilnimmt, weil er sich irgendwas von mir erhofft. Und ich befürchte, ich muss da ein bisschen was klarstellen, aber ich habe den richtigen Moment dafür irgendwie noch nicht abgepasst.
 

Ich weiß, wie gesagt, nicht, wie viel Malik schon über mich erzählt hat, aber wir hatten ja mal so einen Moment in England … also, es war eigentlich nur ein Abend, wo wir uns irgendwie ganz gut verstanden haben. Und dann habe ich eine Dummheit begangen und gehandelt, bevor ich nachgedacht hab. Ich hab mich im Nachhinein immer wieder gefragt, was eigentlich in mich gefahren ist. Es passt nämlich so gar nicht zu mir. Ich brauche normalerweise echt lange, bis ich mit Menschen warm werde.
 

Auf jeden Fall hatte ich hinterher das vage Gefühl, dass das alles für Malik mehr bedeutet hat als für mich. Ich habe gehofft, das Ganze würde sich einfach im Nichts verlaufen, ohne dass ich groß etwas zurechtbiegen muss. Aber mir scheint es jetzt fast, als würde ich nicht drumherum kommen.
 

Es ist nämlich so: Ich hab leider keine … Gefühle für Malik. Also nicht dass ich ihn nicht gut leiden kann, so ist das nicht. Aber ihr wisst schon … ich bin nicht in ihn verliebt. An dem Abend, als wir … uns geküsst haben, da ging’s mir nicht so gut. Ich bin mit Sachen konfrontiert worden, die ich nicht handhaben konnte, und irgendwie habe ich eine Ablenkung oder einen Ausweichmechanismus oder sowas gesucht. Ein bisschen Alkohol war auch im Spiel. Und ehe ich mich versehen hab, war ich in dieser prekären Situation. Ich komme mir wirklich ein bisschen schlecht vor, als ob ich Malik irgendwie benutzt hätte. Und noch mehr jetzt, wo es auf mich den Eindruck macht, als hätte das Ganze einen anderen Stellenwert für ihn.
 

Ich würde wirklich gerne mit Malik befreundet sein. Aber ich hoffe, er kann das akzeptieren. Oh verdammt, ich bin echt nicht gut in sowas. Aber es hilft ja nichts. Ich muss es ihm auf jeden Fall sagen, bevor wir hier wieder raus sind und er dieses Interview hier sieht. Es führt kein Weg dran vorbei. Also gut … morgen. Morgen krieg ich das bestimmt hin. Hoffentlich.
 

~*~
 

Yami hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren, als sie schweigsam tiefer und tiefer in den Wald stapften. Alles verlief ineinander wie nasse Farbe. Seine Gedanken waren stumpfsinnig, aber sein Körper stand nach wie vor unter Spannung. Er konnte nicht sagen, woher er die Gewissheit nahm, aber er war sich noch immer sicher, dass er Bakura finden konnte und dass sie auf dem richtigen Weg waren. Er dachte keine Sekunde daran, umzukehren, auch wenn er vermutete, dass es Seto diesbezüglich anders ging. Auch nahm er kaum wahr, dass es um sie herum stetig kälter wurde und ein eisiger, tückischer Nebel über den Wald kroch, der ihnen die Sicht mehr und mehr nahm. Als Seto ihn darauf hinwies, gab er nur ein abwesendes „Hm“ zurück. Er brauchte ohnehin seine Augen nicht, um zu Bakura zu gelangen. Schon seit einigen Minuten verließ er sich einzig auf das stetige, hypnotische Wispern, das sein Inneres leitete, und sah seinen Weg klar vor sich.
 

Endlich blieb er stehen. Sie waren am Rande einer kleinen Lichtung angekommen. Der Mond schien gespenstisch hell auf den baumlosen Waldboden. Und einige Meter vor ihnen konnte Yami vertraute Umrisse ausmachen. Bakura stand regungslos da und schien vollkommen mit dem Ort verschmolzen zu sein. Yami konnte nicht sagen, ob er bemerkt hatte, dass sie sich ihm näherten. Erst als er mit gesenkter Stimme fragte: „Bakura?“, kam die forsche und wenig überraschte Antwort: „Still! Unterbrecht mich nicht. Er ist hier.“ „Wer ist hier?“, fragte Yami, während er einige weitere Schritte auf Bakura zumachte.
 

Jetzt erst drehte Bakura sich zu ihm um und wandte ihm seine volle Aufmerksamkeit zu. „Na er, der Junge, der für all das verantwortlich ist. Genau hier ist es passiert.“ „Passiert? Aber was denn?“, fragte Yami verständnislos, „meinst du etwa diesen Jungen auf den Bildern, von dem Limono und Umko uns erzählt haben? Diesen Miko Tomayashi?“ Bakura breitete die Arme aus, ohne Yamis Fragen zu beantworten. „Hier hat er sich das Leben genommen. In der Einsamkeit dieses Waldes. Und hier nehme ich ihn in diesem Augenblick besonders stark wahr, obwohl seine Präsenz auch im Haus fast erdrückend ist.“ „Was soll das, Bakura? Bist du jetzt unter die Esoteriker gegangen? Sag mir nicht, du willst behaupten, du wärst irgend so eine Art Medium“, sagte Seto abschätzig, aber verunsichert und mit nicht ganz fester Stimme. „Blödsinn. Wenn man selbst der Geisterwelt entstammt, so wie wir, braucht man keine übersinnlichen Fähigkeiten, um es wahrzunehmen. Der Pharao kann es genauso spüren, wenn er es zulässt. Und ich verwette meinen Milleniumsring darauf, dass du selbst auch nicht gefeit bist vor dieser Fähigkeit.“ Seto warf Yami einen erstaunten Blick zu. Dieser nickte nur sachlich. „Es stimmt. Ich habe es heute früh im Fitnessraum bereits gefühlt.“ Seto sagte nichts, sah sich aber unbehaglich um.
 

Nun erst begann auch Yami, ein waches Auge für seine Umgebung zu entwickeln. Bisher hatte er sein Augenmerk ausschließlich auf Bakura gerichtet. Doch dieser ganze Ort schien von einer Anwesenheit zu glühen. Er pochte wie ein schlagendes Herz. „Aber Bakura“, fuhr er leise fort, „was soll das alles bewirken? Was genau willst du jetzt tun? Und warum gerade jetzt, mitten in der Nacht?“ „Weil er es so will“, sagte Bakura, „ach, Pharao, denk doch mal nach. Beantworte mir Folgendes: Warum bist DU hier? Warum bist du heute Nacht überhaupt aufgewacht, anstatt friedlich in deinem Bettchen zu schlummern? Sicher nicht nur, um mich zu suchen. Nein, du hast aus demselben Grund deinen Weg hierhergefunden wie ich. Er hat uns gerufen. Und ich beabsichtige, diese Sache hier heute beizulegen, egal wie.“ Ein ungutes Gefühl kroch als Gänsehaut über Yamis Rücken. Mit jedem von Bakuras Worten waren seine Sinne mehr und mehr geschärft. Jede Müdigkeit war jetzt von ihm gewichen. Mit einem Mal wusste er, dass Bakura Recht hatte. Er war nicht nur seinetwegen hergekommen. Oder vielleicht hatte er auch bereits geahnt, warum Bakura den Weg in den Wald gesucht hatte. Und trotz dieser unbewussten Ahnung hatte er nicht gezögert, Seto ebenfalls in diese Sache mit hineinzuziehen.
 

„Also gut“, sagte er, seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, „wie viel weißt du über diesen Miko? Hast du etwas rausgefunden, was wir nicht wissen?“ Bakura lachte hohl auf. „Ich weiß alles, was du auch wissen könntest, wenn du nur deine Augen dafür öffnen würdest.“ Langsam wurde Yami ungeduldig. Er war es satt, dass Bakura lediglich in Rätseln sprach und ihn ein ums andere Mal von oben herab belehrte. Wut wallte in ihm auf, aber die Neugier überwog letztlich und er atmete tief ein und aus. Er gestand es sich nur ungern ein, aber er hatte den starken Verdacht, dass Bakura auch diesmal Recht behalten sollte. Also schloss er seine Augen und ließ den Ort in sein Inneres vordringen, ließ die Kälte durch seine Adern kriechen und den Nebel seine Gedanken einnehmen.
 

Zuerst hörte er eine Stimme, die aus dem Nirgendwo zu kommen schien. Es waren kaum Worte, die er vernahm, und doch wusste er, was sie ihm sagte. „Ihr seid gekommen. Ihr seid hier eingedrungen. Dafür werdet ihr bestraft werden.“ Yami öffnete seine Augen. Noch immer befand er sich auf der Lichtung, aber etwas war anders. Schichten aus Wirklichkeit von Vergangenheit und Gegenwart schienen alles mit ihrem Staub zu bedecken. Er befand sich nicht mehr nur im Hier und Jetzt. Seine Aufmerksamkeit wurde wie ferngesteuert auf einen der Bäume am Rande der Lichtung gezogen. Dort konnte er eine Regung wahrnehmen. Ein schmächtiger Junge stand dort. Ganz ruhig und bestimmt reckte er sich nach oben auf die Zehenspitzen befestigte er einen Strick an einem der höheren Äste. Dann drehte er sich um und blickte mit traurigen Augen direkt in Yamis Richtung und doch durch ihn hindurch in weite Ferne. Mit Augen, die Yami durchdrangen wie Dolche und ihn doch nicht sahen. Er legte sich den Strick um den Hals. Yamis Kehle war wie zugeschnürt, er konnte kaum atmen. Der Junge drehte sein Gesicht wieder weg und endlich löste Yami sich aus seiner Starre und schaffte es, seine Stimme unter Kontrolle zu bekommen. „Nein!“, entfuhr es ihm und er wandte seinen Blick ab. Es war mehr als er ertragen konnte.
 

Im nächsten Augenblick war es vorbei. Er befand sich wieder in der Gegenwart, spürte etwas Weiches an seinen Handflächen und bemerkte, dass er auf dem Waldboden kniete, die Hände im taufeuchten Moos vergraben. Seto hatte sich neben ihn gekniet. „Alles ok? Was hast du gesehen?“, fragte er aufgewühlt. Yami schüttelte den Kopf, um die Bilder aus seinem Bewusstsein zu vertreiben. „Kein Grund, sich zu grämen“, sagte Bakura ruhig, „es ist lange vorbei. Du hättest es nicht mehr verhindern können.“ Da wusste Yami, dass alles wahr war. „Aber was will er denn jetzt noch von uns?“ Bakura schnaubte. „Es gefällt ihm nicht, dass wir ihn mit unserer Anwesenheit stören. Sie sind sehr territorial, diese verirrten Seelen. Er will uns loswerden. Uns heimsuchen, wie man so schön sagt.“ Und auch dies stimmte.
 

„Ich habe jetzt wirklich genug von diesen Schauergeschichten“, sagte Seto barsch, „Yami, bitte lass uns einfach wieder zurückgehen.“ Der Angesprochene war inzwischen wieder aufgestanden und hatte sich die Hände an seiner Hose abgeklopft. Er blickte Seto an und bemerkte, dass er seine Umrisse kaum ausmachen konnte. Alarmiert sah er nach oben. Der Nachthimmel über ihnen war nun tiefschwarz. Der Mond war verschwunden und der Nebel um sie herum wurde dichter. Yami konnte spüren, wie er an seinen Gliedmaßen heraufkroch und sich nass in seine Kleider setzte. Panik loderte mit einem Mal heiß in ihm auf. „Ich denke, er hat nicht vor, uns wieder gehenzulassen“, sagte Bakura, „aber Mumie, hör zu. Wir haben nach wie vor eine andere Magie, die wir ihm entgegensetzen können. Wir sollten es jetzt zu Ende bringen.“
 

„Nein“, Yami machte zwei weitere Schritte auf Bakura zu, obwohl er ihn kaum lokalisieren konnte. Bis er spüren konnte, dass er nah bei ihm stand. Er konnte seinen Atem hören und streckte seinen Arm nach ihm aus. Zaghaft berührte er mit seiner Bakuras Hand. „Nein, Bakura. Seto hat Recht. Wir sollten zusehen, dass wir hier wegkommen. Das hier war ein Fehler. Wir kommen hier nicht weiter. Er hat uns in eine Falle gelockt und jetzt hat er uns genau da, wo er uns haben will.“ „Ihr könnt gern gehen, aber ich bleibe“, sagte Bakura störrisch, zuckte jedoch unter Yamis Berührung leicht zusammen. Kurzentschlossen verstärkte Yami seinen Griff und drückte Bakuras Hand fest in seiner eigenen.
 

Unwillkürlich überwältigte ihn dasselbe Gefühl, das ihn bereits in der letzten Nacht in seinem Traum heimgesucht hatte. Er fühlte sich sicher in Bakuras Gegenwart und die Berührung war vertraut für ihn. Er spürte ein Vertrauen zu ihm, aber auch, dass Bakura umgekehrt auch ihm und seiner Einschätzung vertraute. Er hatte also eine Chance. Noch immer konnte er nicht mit Sicherheit sagen, ob Bakura tatsächlich einmal an seiner Seite gestanden hatte, wie sein Traum es ihm suggeriert hatte. Aber tief in seinem Inneren wusste er, dass es die Wahrheit war. Und in diesem Augenblick wünschte er es sich sehr, wollte daran glauben.
 

„Oh nein, das wirst du nicht. Du wirst mit uns kommen!“, sagte er entschieden und war über seine eigene klare Ansage verwundert. Bakura blieb für einige Sekunden stumm. Er lachte keineswegs über Yamis übergriffiges Kommando, wie dieser es im ersten Augenblick befürchtet hatte. Dann fragte er in ernstem Tonfall: „Und … sagst du mir das als Pharao Atem? Oder ist das nur eine trotzige Reaktion von dieser Kunstfigur, die du dir geschaffen hast?“ Nun war es an Yami zu schweigen. „Erinnerst du dich denn wieder?“, fragte Bakura und die Frage ging Yami ebenso tief unter die Haut wie vor über 24 Stunden, als er sie ihm zum ersten Mal gestellt hatte. „An vieles ja. Aber leider nicht …“, brach er schuldbewusst ab und erwähnte den Traum der gestrigen Nacht dabei nicht. „Verstehe“, sagte Bakura tonlos, „dann gibt es für mich auch keinen Grund, dir Folge zu leisten.“ „Doch, den gibt es!“, brauste Yami auf, „ich weiß, dass du meinen Entscheidungen damals vertraut hast, und du tust es auch heute! Ich bin mir ganz sicher, wir können hier im Augenblick nichts ausrichten. Also werden wir jetzt alle zusammen umkehren und in aller Ruhe austüfteln, wie wir in dieser Sache weiter vorgehen!“
 

Bakura drehte sich langsam zu ihm um. Yami konnte in der fast perfekten Finsternis lediglich das Glimmen seiner braunen Augen ausmachen. Noch immer hielt er Bakuras Hand fest als ein Zeichen, dass ihm trotz seiner fehlenden Erinnerung seine Vergangenheit nicht gleichgültig war, dass sein Körper und sein Instinkt bessere Erinnerungen waren als sie sein Verstand produzieren konnte. „Na schön“, knurrte Bakura schließlich, „nimm deinen kleinen Hohepriester an die Hand und lass uns von hier verschwinden!“
 

*
 

„Sollen wir uns aufteilen?“, fragte Limono, als sie ein Stück in den Wald hineingelaufen waren und an einer Gabelung angelangt waren. Umko, der vor ihm lief, warf einen kritischen Blick zurück und zog eine Augenbraue nach oben. „Ist das dein Ernst?“, fragte er gereizt, „erst weckst du mich, damit ich mit dir hier blindlings in den Wald marschiere, und jetzt willst du mich wieder loswerden und doch alleine suchen?“ Limono verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe dich nicht gefragt, damit du als mein Bodyguard mitkommst. Ich kann ganz gut alleine auf mich aufpassen, danke“, fauchte er zurück, „ich hab dich gefragt, weil ich dachte, es könnte …“ „Es könnte was?“, bohrte Umko unbarmherzig nach. „… es könnte Spaß machen“, sagte Limono leiser. „Und, hast du Spaß?“; fragte Umko schnaubend. „Nicht, wenn du dir so viel Mühe gibst, das Gegenteil zu erreichen. Aber vergiss es einfach. Ich sag ja, es war eine dämliche Idee“, knurrte Limono genervt. Er bereute seinen unbedachten Schritt mittlerweile. Hätte er eine Sekunde länger nachgedacht, hätte er sich womöglich diese ganze unangenehme Situation erspart. Was er sich naiverweise erhofft hatte, konnte nicht eintreten. Nie mehr.
 

Ohne noch weiter darüber zu beratschlagen wählten sie den linken Weg. Das Schweigen zwischen ihnen und die Stille der Nacht legte sich auf Limonos Gemüt. Er hasste diese komplizierten Situationen und war nicht für das Ausdiskutieren von Konflikten geschaffen. Lieber beschränkte er sich auf oberflächliche Wortwechsel als zu riskieren, dass in komplizierten Auseinandersetzungen Schweigen aufkam. Aber mit Umko war immer alles anders gewesen, als er es gewohnt war. Er brachte ihn stets an die Grenzen seiner Komfortzone. Umgekehrt war es wohl kaum anders.
 

Irgendwann hielt er es nicht länger aus. Fieberhaft überlegte er, wie er das Eis brechen und dieser peinlichen Stille, in die er sie beide bugsiert hatte, ein Ende machen konnte. Gerade in diesem Moment ergriff jedoch Umko das Wort: „Limono … tut mir leid, dass ich so zickig war, ok? Die Wahrheit ist: Ich habe gemerkt, dass mich das mit uns wohl doch noch mehr belastet, als es mir lieb ist. Hier auf so engem Raum mit dir zu sein ist nicht so einfach für mich.“ Er lief nun auf Limonos Höhe und sah ihn direkt an. Limono hätte gerne den Blick gesenkt, aber er war zu überrumpelt. Wie so viele Male zuvor hatte ihn Umkos schamlose Ehrlichkeit kalt erwischt. Er scheute sich nie davor, seine eigenen Schwächen zuzugeben und fand damit immer einen Zugang zu Limonos Innerem.
 

Der Grünhaarige seufzte müde. „Nein, mir tut's leid. Ich hätte besser drüber nachdenken sollen, bevor ich mit so einer sinnlosen Idee um die Ecke komme. Ich muss zugeben, auch ich hab irgendwie vergessen, dass ich nicht einfach Zeit mit dir verbringen kann, wann immer ich es will, nachdem ich mich entschieden hab, die Sache zwischen uns zu beenden. Das war nicht fair. Wenn es dir recht ist, gehen wir einfach wieder zurück und vergessen das Ganze hier.“ „Nein“, entschied Umko, „wir sind zu weit gekommen und mich interessiert jetzt auch brennend, wohin die beiden Vögelchen ausgeflogen sind.“ Limono grinste. „Also schön … dann lass uns …“
 

Mit einem Mal stockte er mitten im Satz. Er sah sich um und auch Umko ließ seinen Blick um sich schweifen. „Siehst du das auch?“, fragte dieser trocken. „Ich seh' gar nichts“, gab Limono zurück. „Eben!“ Um sie herum hatte sich während ihrer Unterhaltung eine dichte Nebelwand gebildet. Nebel waberte als Suppe in der Luft und setzte sich eiskalt auf ihre Haut. Limono konnte seine Hand vor Augen kaum erkennen, geschweige denn den Weg vor ihren Füßen. Ohne es zugeben zu wollen war er mehr als beunruhigt. „Denkst du … das ist ein natürliches Phänomen?“, sprach Umko aus, was sie beide dachten. Limono antwortete nicht darauf. „In jedem Fall macht es keinen Sinn, weiterzugehen. Wir sollten hier warten, bis wir wieder was sehen können.“ Er ließ sich auf einen Baumstamm am Wegrand sinken, den er gerade noch so ausmachen konnte. Umko tat es ihm gleich. „Also … da wir jetzt hier festsitzen … wie läuft es so bei dir? Was macht die Arbeit?“, fragte Limono mit einem schwachen Lächeln.
 

*
 

So schweigsam wie sie zuvor gewesen waren, so gesprächig waren Limono und Umko hier im Nebel. Beinahe hatten sie vergessen, warum sie eigentlich mitten in der Nacht im Wald gestrandet waren. Da Limono selten um Worte verlegen war, waren sie bald in ein gedämpftes Gespräch über dies und das vertieft. Umko erzählte Limono von seinem Job und seinen Arbeitskollegen, die Limono noch aus früheren Anekdoten kannte. Limono sprach zum ersten Mal über die Zeit nach ihrer Trennung und darüber, wie er monatelang alleine unterwegs gewesen war. Die Offenheit seines Ex-Mannes veranlasste Umko, sich über seine Beziehung mit Ren und deren Ende zu öffnen. Limono verurteilte ihn nicht, sondern hörte ihm aufmerksam zu. Am Ende erfuhr Umko schließlich die Wahrheit über Limonos Freundschaft zu Seto Kaiba. Hier im Herzen dieses surrealen Wetterphänomens und im Schatten der Bäume und der Nacht, der alles unwirklich scheinen ließ, konnten sie fast völlig vergessen, welche Altlasten und Konflikte zwischen ihnen lagen.
 

Es mochte gut und gerne eine halbe Stunde vergangen sein, seit sie ihre Wanderung unterbrochen hatten. In ihre Unterhaltung vertieft bemerkten sie anfangs auch nicht, wie die Temperatur weiter und weiter sank. Erst als Limonos Finger weiß waren und Umko vor Kälte fröstelte, sahen sie sich alarmiert an. Für einige Sekunden verstummten sie. Es war gespenstisch. Kein Laut, vom Knacken des Geästs bis zu Geräuschen nachtaktiver Tiere, war zu vernehmen. Sie befanden sich in Mitten des Waldes und schienen doch nicht wirklich dort zu sein. „Was denkst du?“, fragte Limono seinen Ex-Mann. „Ich denke … dass heute schon einige seltsame Dinge passiert sind. Und ich frage mich, warum ich dabei immer an diesen Jungen in den Akten denken muss.“ Limono nickte und wusste nicht, ob Umko es sehen konnte. Er hatte nun Gewissheit, dass dieser Verdacht nicht nur in seinem Kopf herumspukte. „Denkst du … er nimmt es uns übel, dass wir in seinem Leben herumgeschnüffelt haben?“, fragte er und hätte sich selbst gerne ausgelacht für diesen Gedanken, den er in allen anderen Umständen als absurd abgetan hätte.
 

Erneut kam es ihnen so vor, als wäre die Temperatur abrupt um ein oder zwei Grad abgesackt. „Wenn es noch kälter wird, dann wird es für uns hier echt gefährlich“, überlegte Umko, „wenn sich in der nächsten halben Stunde nichts tut, sollten wir versuchen, den Weg trotz Nebel zurückzufinden.“ Limono stimmte zu. Als ein kalter Lufthauch ihn erneut erschaudern ließ, kauerte er sich zusammen, um dem Wind so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten. Er tastete nach Umkos Hand. Sie zitterte leicht und seine Finger waren kalt wie Eiszapfen. „Umko … bitte sag es ehrlich, wenn es für dich nicht mehr geht. Ich hab dir diesen Mist eingebrockt, ich bringe dich auch wieder zurück“, versprach er entschieden. „Ach … komm einfach her“, sagte Umko ohne Umschweife. Er zog Limono näher zu sich heran und legte einen Arm um dessen Schultern. Limono schlang seine Arme um Umkos Taille und legte seinen Kopf in dessen Halsbeuge. Umkos freie Hand nahm er in seine. So saßen sie ganz still da und warteten auf die wundersame Erlösung aus ihrer vertrackten Situation. Und die Kälte wurde ein wenig erträglicher.
 

*
 

Der Wald und der Nebel um sie herum schien alle Zeit von ihren Schultern zu nehmen. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – welche Bedeutung hatte das alles noch? Die Gesetze der Chronologie waren ausgehebelt. Alles schien eins, alles schien nichtig. Und was sie erlebt hatten war zugleich zugegen und doch nebensächlich. Und obwohl unbeabsichtigt, war es doch ein Geschenk von demjenigen, der all das hier verursacht hatte. Dieser wirre Nexus aus Vergangenheit und Gegenwart sollte die Weichen für die Zukunft so vieler derjenigen stellen, die in seinen Sog geraten waren …



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